Nitrofen in Geflügelfleisch und Eiern

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Nitrofen in Geflügelfleisch und Eiern
Naturkost.de - Das Nitrofen-Info / 3.6.2002
Nitrofen in Geflügelfleisch und Eiern
Nitrofen-Skandal aufgeklärt (3.6.02)
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Die Ursache für die Nitrofenbelastung in Bio-Lebensmitteln ist gefunden.
Als Quelle für die Verseuchung von Futtergetreide ist eine Lagerhalle in
Mecklenburg-Vorpommern ausgemacht worden. Dort hatte das Handelsunternehmen Norddeutsche Saat- und Pflanzgut AG (NSP) Bio-Getreide
gelagert, dass sie später an den Futtermittelhersteller GS Agri lieferte. In
der Halle in Malchin wurde zur Zeit der DDR der PflanzenschutzmittelVorrat für den gesamten Norden aufbewahrt. Im Staub der Halle wurden
Konzentrationen von zwei Gramm je Kilogramm an Nitrofen gefunden.
Die NSP wurde am Samstag gesperrt, ebenso sämtliche Niederlassungen in anderen Bundesländern. Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt wurden eingeschaltet. Die NSP hatte die Halle seit Oktober
2001 gemietet. Davor soll das Gebäude von einem Unternehmen genutzt
worden sein, das mit landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln gehandelt hat.
Ob die Geschäftsführer der NSP von der Vergangenheit der Halle
wussten, ist unklar. Von der Treuhand war das verseuchte Gebäude einst
ohne Auflagen verkauft worden. Zur Zeit suchen die Behörden noch
nach 120 Tonnen Bio-Getreide, die ebenfalls in der verseuchten Halle gelagert worden waren.
Nitrofen-Info:
In Proben von Bio-Geflügelfleisch und Bio-Eiern wurde das längst verbotene Pestizid
Nitrofen festgestellt. Dieser Skandal hat zu einer starken Verunsicherung bei den Verbrauchern geführt. Um ihre Fragen möglichst vollständig zu beantworten, hat
Naturkost.de hat die bisher bekannten Informationen zusammengetragen und aktualisiert sie täglich.
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Was ist Nitrofen?
Welche Produkte sind betroffen?
Wie gefährlich war die Belastung?
Die Chronologie des Skandals
Kann ich im Bio-Laden jetzt ohne Sorge Bio-Eier und Bio-Geflügelfleisch
kaufen?
Kann ich „Bio“ noch vertrauen?
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Was ist Nitrofen und wie gefährlich ist es?
Das Unkrautvernichtungsmittel Nitrofen wurde 1964 zuerst in den USA auf den Markt
gebracht. Bald darauf setzten es auch europäische Landwirte ein. 2,4-dichlorophenyl-pnitrophenylether, so die chemische Bezeichnung, kann beim Menschen gesundheitliche
Schäden auslösen. Das braune, kristalline Pulver reizt Augen, Haut und Atemwege und
kann bei längerem Kontakt chronische Hautkrankheiten verursachen. In Tierversuchen
Nitrofen-Info • bio verlag gmbh
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erwies sich Nitrofen als krebserregend, erbgutschädigend und beeinträchtigte die Fortpflanzung. Zudem gilt es als hormonell wirksam. Entsprechende Daten über die Wirkung beim Menschen liegen nicht vor. In der Bundesrepublik ist Nitrofen seit 1988 verboten, in den neuen Ländern seit 1990. Auch in der EU wird es nicht mehr eingesetzt.
Welche Produkte sind betroffen?
Gefunden wurde Nitrofen in Puten- und Hühnerfleisch sowie Eiern einiger Bio-Betriebe.
Alle diese Betriebe wurden von einem Futtermittelhersteller beliefert. Dieser hatte eine
Charge mit belastetem Öko-Getreide verarbeitet und, nach Angaben der niedersächsischen Behörden, an etwa 120 Bio-Bauern bundesweit geliefert. Soweit die Betriebe bisher bekannt sind, wurden deren Erzeugnisse gesperrt oder aus dem Handel zurückgerufen. Besonders betroffen war die Firma Wiesengold, die Bio-Eier an den konventionellen Lebensmittelhandel liefert. Auch Bio-Läden erhielten mit Nitrofen belastete Produkte. Dennoch: Der größte Teil der Geflügelprodukte im Bioladen war und ist nicht mit
Nitrofen belastet.
Wie gefährlich war die Belastung?
Jede Belastung mit Pestiziden stellt eine mögliche Gesundheitsgefährdung dar. Deshalb verzichtet der ökologische Anbau auch bewusst auf solche Gifte. Wie groß das Risiko bei nitrofenbelasteten Produkten war, lässt sich nur grob abschätzen, wobei zudem
nur Daten aus Tierversuchen zur Verfügung stehen. Dennoch ein Versuch:
Im Futtergetreide wurde ein Wert von knapp 6 Milligramm je Kilogramm (mg/kg) gemessen. Das Nitrofen fand sich in Fleisch, Fett und Dotter wieder. Der höchste bekannt gewordene Wert in Putenfleich lag bisher bei 0,8 mg/kg. Die amtliche Höchstmengenverordnung sieht einen Grenzwert von 0,01 mg/kg vor.
Bei den Tierversuchen zur krebserregenden Wirkung erhielten Ratten und Mäuse über
Monate hinweg Futter mit Konzentrationen von mehreren 1000 mg/kg Nitrofen. Erste
Schäden an Föten und neugeborenen Tieren zeigten sich dagegen schon bei Konzentrationen ab 5 mg/kg und wenigen Tagen Fütterung. Typisch waren Zwerchfellbrüche
und unausgereifte Lungen.
Relevant sind die Nitrofen-Funde also vor allem für Schwangere. Doch auch wer in diesem Frühjahr viel Bio-Putenwurst und Bio-Eier gegessen hat, kam – bei belasteter Ware
– bei weitem nicht an diese Konzentration von 5 mg/kg heran. Dennoch: Der Abstand
zu diesen in den Tierversuchen ermittelten Werten ist nicht so groß, dass Entwarnung
gegeben werden könnte. Das Bundesinstitut für den gesundheitlichen Verbraucherschutz BgVV spricht deshalb von einem „unzureichenden Sicherheitsfaktor“. Eine
schädliche Wirkung kann also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Sie muss
aber deswegen nicht zwangsläufig eintreten. Schlaflose Nächte wegen eines verzehrten
Bio-Putenschnitzels sind also nicht notwendig.
Die Chronologie des Skandals
Ende Januar
Der Babykosthersteller Hipp findet bei der Überprüfung von Bio-Putenfleisch im eigenen
Labor Rückstände des Pestizids Nitrofen und schickt das Fleisch zurück an den Erzeu2
Nitrofen-Info • bio verlag gmbh
ger, die Firma Grüne Wiesen, einen Vertragspartner von Naturland. Diese gibt Untersuchungen von Fleisch und Futtermitteln in Auftrag, bei einem privaten Labor und der
Bundesanstalt für Fleischforschung. Ihrer vertraglichen Verpflichtung, den Verband
Naturland zu informieren, kommt sie nicht nach. Ob und wann die Kontrollstelle informiert wurde, ist nicht bekannt.
Mitte bis Ende März
Am 19. und 28. März trudeln die Ergebnisse der Labore ein. Im Futterweizen waren fast
6 mg/kg Nitrofen. Der Weg der Belastung wird vom Futtermittelhersteller GS-Agri zurückverfolgt. Laut der dortigen Unterlagen wurde der Weizen (105 Tonnen) über eine
Landhandelsfirma in Mecklenburg-Vorpommern von der Agrarerzeuger- und Vertriebsgenossenschaft (AGV) im brandenburgischen Stegelitz gekauft. Am 28. März telefonieren drei der zuständigen Kontrollstellen miteinander.
Anfang April
Am 2. April überprüft die Kontrollstelle Agro-Öko-Consult die Steglitzer Genossenschaft,
findet keinerlei Hinweise und informiert das Landwirtschaftsministerium Brandenburg
von dem Vorgang. Naturland erfährt ebenfalls von der Belastung. Wann genau die Kunden der betroffenen Unternehmen informiert werden und es zu ersten Rückholaktionen
kommt, ist nicht klar. Sicher ist, das dabei belastetes Putenfett übersehen wurde.
Ende April
Deshalb muss der Naturkostgroßhändler Dennree am 30. April belastete PutenwurstProdukte zurückrufen. Ansonsten messen die betroffenen Firmen fleißig. Das Problem
scheint im Griff.
Mitte Mai
Am 7. Mai schlägt das interne System Alarm. Diesmal war Triticale, eine Weizen-Roggen-Kreuzung, belastet. Die Eingangskontrollen bei GS-Agri hatten nichts gefunden,
dafür ein Kunde. Ab 14. Mai wird erstmals Futtermittel zurückgerufen, Eier und Fleisch
von Kunden werden getestet. Naturland erfährt am 16. Mai von den neuerlichen Funden. Es kommt zu Rückholaktionen im Handel, vor allem von Wiesengold. Am 23. Mai
wird der Skandal öffentlich. In der Folge werden rund 120 Bio-Betriebe, die das fragliche Futtermittel bezogen haben, für die Produktion gesperrt.
Ab 25. Mai
Die Aufarbeitung des Skandals bringt einige neue Erkenntnisse:
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Betroffen waren 300 Tonnen Weizen und im zweiten Fall 250 Tonnen
Triticale. Ursprünglich war nur von 105 Tonnen Weizen die Rede. Insgesamt vier Betriebe werden als Lieferanten genannt. Einer der Verdächtigen, die AGV, wird von den brandenburgischen Behörden entlastet. Keine Spur von Nitrofen. Da die Getreidepartien mit anderen Zutaten vermischt wurden, muss der Weg von 8.000 bis 9.000 Tonnen Futtermitel
verfolgt werden.
Beliefert mit dem verseuchten Futtermittel wurden vermutlich120 BioHöfe, davon die Hälfte in Niedersachsen. Betroffen sind auch Bauern in
Mecklenburg Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und
Rheinland-Pfalz. Die betroffenen Betriebe werden beprobt und bleiben
gesperrt, bis die Ergebnissse vorliegen. In Mecklenburg-Vorpommern
wurden bereits in mehreren Betrieben belastete Eier und Fleisch festgestellt. Bis zu 100.000 Legehennen sollen getötet werden. Bei entspre-
Nitrofen-Info • bio verlag gmbh
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chenden Funden in anderen Höfen drohen weitere Massenschlachtungen. Allein in Niedersachsen könnten 350.000 Tiere betroffen
sein. In Nordrhein-Westfalen wurde ein Betrieb mit Masthähnchen gesperrt. Für Bio-Rinder- und Bio-Schweine sowie Milch hat das
Verbraucherministerium Entwarnung gegeben. Auch die konventionelle
Landwirtschaft ist nach allen bisherigen Probeergebnissen nicht betroffen. Ein konventioneller Betrieb mit Nitrofenfunden hatte als Umstellungsbetrieb Bio-Futter verwendet.
Das niedersächsische Ministerium teilte mit, dass bei der GS Agri von
November 2001 bis Mai 2002 31 Mal Nitrofen gefunden worden sei. Das
belastete Getreide sei wissentlich weiter verkauft worden. Die GS Agri
weist die Vorwürfe zurück. Auch die Staatsanwaltschaft hat für einen
wissentlichen Verkauf bisher keine Belege gefunden. Wegen Verstoßes
gegen Sorgfaltspflichten hat Niedersachsen der GS Agri verboten, BioFuttermittel zu mischen und zu verkaufen. Eine Schließung des gesamten Betriebs ist beabsichtigt.
Zahlreiche Einzelhandelsketten nehmen ab Dienstag vorsichtshalber
Bio-Eier und Geflügelfleisch ganz aus den Regalen. Der Naturkostgroßhändler Dennree liefert vorerst keine Putenwurst. Zahlreiche Naturkost-Hersteller legen Garantieerklärungen und Analysen vor, dass ihre
Produkte nitrofenfrei sind. http://62.112.68.138/input/pdf/Nitrofen.pdf
230 Tonnen Putenfleisch wurden sichergestellt. Dabei soll es sich um
Ware handeln, die von Hipp und anderen Kunden der Grüne Wiesen
Biohöfe zurückgeschickt wurde. Laut Auskunft von Naturland wurde die
von Hipp zurückgewiesene Partie ordnungsgemäß entsorgt, anderes
Fleisch sei noch gelagert. Für einzelne Partien habe die für die Regulierung des Schadens zuständige Versicherung einen Export nach
Russland geplant.
Die Hinweise mehren sich, dass das Nitrofen gezielt nach der Ernte in
das Getreide gemischt wurde. Dafür spricht die sehr hohe Belastung, die
zudem nur an einzelnen Stellen auftritt. Durch den illegalen Einsatz auf
dem Acker hätte die Werte nicht erreicht werden können. Die GS Agri
weist darauf hin, dass auch Rückstellproben von den anliefernden Lkw
belastet gewesen seien. Das Nitrofen sei also eingeschleppt worden und
stamme nicht aus der Futtermühle.
Litauen hat die Einfuhr von Fleisch, Lebendvieh und Futtermitteln aus
Deutschland verboten, Tschechien und die Slowakei lassen kein deutsches Geflügelfleisch mehr ins Land
Die Ursache für die Nitrofenbelastung in Bio-Lebensmitteln ist gefunden.
Als Quelle für die Verseuchung von Futtergetreide ist eine Lagerhalle in
Mecklenburg-Vorpommern ausgemacht worden. Dort hatte das Handelsunternehmen Norddeutsche Saat- und Pflanzgut AG (NSP) Bio-Getreide
gelagert, dass sie später an den Futtermittelhersteller GS Agri lieferte. In
der Halle in Malchin wurde zur Zeit der DDR der PflanzenschutzmittelVorrat für den gesamten Norden aufbewahrt. Im Staub der Halle wurden
Konzentrationen von zwei Gramm je Kilogramm an Nitrofen gefunden.
Die NSP wurde am Samstag gesperrt, ebenso sämtliche Niederlassungen in anderen Bundesländern. Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt wurden eingeschaltet. Die NSP hatte die Halle seit Oktober
2001 gemietet. Davor soll das Gebäude von einem Unternehmen genutzt
worden sein, das mit landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln gehandelt hat.
Nitrofen-Info • bio verlag gmbh
Ob die Geschäftsführer der NSP von der Vergangenheit der Halle
wussten, ist unklar. Von der Treuhand war das verseuchte Gebäude einst
ohne Auflagen verkauft worden. Zur Zeit suchen die Behörden noch
nach 120 Tonnen Bio-Getreide, die ebenfalls in der verseuchten Halle gelagert worden waren.
(Stand 03.06.02, 9 Uhr)
Kann ich im Bio-Laden jetzt ohne Sorge Bio-Eier und Bio-Geflügelfleisch kaufen?
Bio-Betriebe, die belastetes Futtermittel verwendet haben, wurden gesperrt. Produkte,
die bereits im Handel waren, wurden zurückgerufen. Zudem liegen von verschiedenen
Herstellern und Großhändlern, die Bio-Läden beliefern, bereits Untersuchungen oder
Garantie-Erklärungen vor. Andere haben Analysen in Auftrag gegeben, um Sicherheit zu
schaffen. Das (auch vorher nicht so große) Risiko, im Bio-Laden auf Nitrofen in
Gefügelprodukten zu stoßen, hat sich also seit Bekanntwerden des Skandals drastisch
verringert. So lange die Quelle der Belastung nicht genau geklärt ist, bleibt jedoch eine
gewisse Unsicherheit.
Kann ich „Bio“ noch vertrauen?
Der Skandal um Nitrofen in Fleisch und Eiern hat die Glaubwürdigkeit der Bio-Branche
stark getroffen. „Die sind ja auch nicht besser als die anderen“, wird sich mancher BioKunde denken – und wieder zu billigen konventionellen Lebensmitteln greifen. Verständlich – aber eine Überreaktion, die vor allem die Bio-Bauern trifft, die seit Jahren
ehrlich ökologisch wirtschaften und dadurch die Umwelt schonen. Der Nitrofen-Skandal
ist schlimm, ebenso die Fehler einzelner Beteiligter. Ein Grund dafür, auf Bio-Lebensmittel zu verzichten, sind sie nicht.
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Alle Untersuchungen zeigen: Bio-Lebensmittel sind deutlich geringer mit Pestiziden belastet als konventionelle Produkte. Auch die positiven Auswirkungen des ökologischen Anbaus auf Bodenfruchtbarkeit, Trinkwasser und Artenvielfalt sind vielfach belegt.
Bio-Lebensmittel und Bio-Betriebe werden wesentlich strenger kontrolliert als
konventionelle. Die Nitrofen-Belastung ist durch das interne Kontrollsystem
der Branche aufgedeckt worden. Dass es Vergleichbares im konventionellen
Handel nicht gibt, zeigen die regelmäßigen Funde giftiger Pestizide etwa in
Erdbeeren oder roten Paprika.
Auch ein gutes Kontrollsystem kann mit der entsprechenden kriminellen Energie überlistet werden. Schwarze Schafe gibt es auch in der Bio-Branche. Der
Nitrofen-Skandal hat deutlich gezeigt, dass einiges in der Bio-Branche nicht
funktioniert hat und verbessert werden muss.
Die Kommunikation zwischen betroffenen Firmen, Anbauverband, Kontrollstellen und Behörden war miserabel. Es wurde gegen Meldepflichten verstoßen.
Die Belastung wurde nicht ernst genug genommen.
Das Nitrofen-Problem wurde über Monate verheimlicht. Erst als es nicht mehr
zu vermeiden war, wurde die Öffentlichkeit informiert.
Aus diesen Fehlern müssen alle Beteiligten die Konsequenzen ziehen. Die von der
Verbraucherministerin verfügte Meldepflicht für staatliche Labore und das von den Anbauverbänden angedachte gemeinsame Labor sind erste Schritte, reichen aber bei weitem nicht aus.
Nitrofen-Info • bio verlag gmbh
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