Autobiographie in fünf Kapiteln

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Autobiographie in fünf Kapiteln
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herausgesucht von Hansueli Weber
Texte gefunden in www.zeitzuleben.de > Inspiration > alle Geschichten
Angst vor dem Ertrinken
Der Meister hatte mit seinen jungen Schülern einen Ausflug gemacht.
Zur Rast setzen sie sich an das Ufer eines Flusses, das steil hinab ging.
Einer der Schüler fragte: "Sag Herr, wenn ich nun abrutschen würde und in den Fluss
falle, müsste ich dann ertrinken?"
"Nein" antwortete der Meister "Du ertrinkst nicht, wenn du in den Fluss fällst - du
ertrinkst nur dann, wenn du drin bleibst."
(aus Mello, Anthony de: Gib deiner Seele Zeit, Geschichte überarbeitet und leicht geändert)
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Die neue Strasse
Es war einmal ein König, der beschloss, für sein Volk eine neue Strasse bauen zu
lassen.
Als sie fertig war, rief er alle Leute zusammen und lud sie dazu ein, herauszufinden, wer
am besten auf ihr reisen könnte.
Schon bald kamen die Leute wieder zum König zurück und beschwerten sich über die
vielen großen Steine und über den Schutt, der auf der Straße lag und das Reisen
erschwerte.
Am späten Abend kam ein Mann zum König, müde, staubig und erschöpft. In seinen
Händen hielt er einen Sack Gold, den er dem König überreichte.
"Diesen Sack habe ich gefunden, als ich Steine und Schutt auf der Straße aus dem
Weg räumte."
Der König lachte glücklich und sagte zu dem Mann: "Behalte das Gold. Du hast es dir
redlich verdient! Denn es reist der am besten auf einer Straße, der sie für die
Nachfolgenden bequemer macht!"
Verfasser unbekannt, gefunden in Begleiter auf den 7 Wegen der Effektivität von Stephen R. Covey
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Der optimistische Königsberater
Es war einmal ein König. Dieser König hatte einen Berater, der ihm manchmal durch
seinen extremen Optimismus ganz schön auf die Nerven ging.
Eines Tages zerkleinerte der König gerade mit einem riesigen Messer eine Kokosnuss,
als neben ihm unerwartet ein Vogel aufflog. Der König erschreckte sich und hackte sich
dabei mit dem Messer einen Zeh ab.
Der König schrie vor Schmerz und Wut auf und humpelte zu seinem Berater, um ihm
das Unglück zu zeigen.
"Das ist wunderbar!" rief der Berater.
"Wie bitte?" fragte der König vollkommen verdutzt.
"Na, ich sage, dass dieses Unglück ein Segen ist. Verlasst Euch auf mich, denn es wird
sich zeigen, dass dieser Unfall sein Gutes hatte."
Dem König reichte es nun. Er ließ den Berater in einen trockenen Brunnen werfen und
entschied, zurück zum Schloss zu gehen.
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Auf dem Weg dorthin überfiel ihn aber eine Bande von Kopfjägern, die auf der Suche
nach einem Menschenopfer für ihren Gott waren. Der König schien ihnen da genau
richtig.
Als jedoch der Schamane der Kopfjäger sah, dass dem König ein Zeh fehlte, sprach er:
"Nein, dich können wir als Opfer nicht gebrauchen. Der Gott akzeptiert nur vollständig
unversehrte Körper." und man ließ den König laufen.
Der König war überglücklich. Da fiel ihm plötzlich ein, dass er ja seinem Berater bitter
Unrecht getan hatte. Er lief zurück und ließ den Berater aus dem Brunnen holen.
"Bitte entschuldige, dass ich dich in den Brunnen werfen ließ." sagte er und erzählte
ihm, was vorgefallen war.
"Kein Grund, sich zu entschuldigen Euer Hoheit. Es war ein Segen, dass Ihr mich in
diesen Brunnen geworfen habt!"
"Aber wie kannst du denn auch darin wieder etwas Gutes sehen?" fragte der König.
"Na, wäre ich hier nicht im Brunnen gesessen, hätten die Kopfjäger doch mich als
Opfer genommen!"
gefunden in: Wiedergefunden! von Alan Cohen, geändert und gekürzt
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Die Fabel von den Fröschen...
Eines Tages entschieden die Frösche, einen Wettlauf zu veranstalten. Um es
besonders schwierig zu machen, legten sie als Ziel fest, auf den höchsten Punkt eines
großen Turms zu gelangen.
Am Tag des Wettlaufs versammelten sich viele andere Frösche, um zuzusehen.
Dann endlich - der Wettlauf begann.
Nun war es so, dass keiner der zuschauenden Frösche wirklich glaubte, dass auch nur
ein einziger der teilnehmenden Frösche tatsächlich das Ziel erreichen könne. Statt die
Läufer anzufeuern, riefen sie also "Oje, die Armen! Sie werden es nie schaffen!" oder
"Das ist einfach unmöglich!" oder "Das schafft Ihr nie!"
Und wirklich schien es, als sollte das Publikum recht behalten, denn nach und nach
gaben immer mehr Frösche auf.
Das Publikum schrie weiter: "Oje, die Armen! Sie werden es nie schaffen!"
Und wirklich gaben bald alle Frösche auf - alle, bis auf einen einzigen, der
unverdrossen an dem steilen Turm hinaufkletterte - und als einziger das Ziel erreichte.
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Die Zuschauerfrösche waren vollkommen verdattert und alle wollten von ihm wissen,
wie das möglich war.
Einer der anderen Teilnehmerfrösche näherte sich ihm, um zu fragen, wie er es
geschafft hätte, den Wettlauf zu gewinnen.
Und da merkten sie erst, dass dieser Frosch taub war!
Verfasser unbekannt
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Zwei Wölfe...
Ein alter Indianer saß mit seinem Enkelsohn am Lagerfeuer. Es war schon dunkel
geworden und das Feuer knackte, während die Flammen in den Himmel züngelten.
Der Alte sagte nach einer Weile des Schweigens: "Weißt du, wie ich mich manchmal
fühle? Es ist, als ob da zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen würden.
Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und grausam. Der andere hingegen ist
liebevoll, sanft und mitfühlend."
"Welcher der beiden wird den Kampf um dein Herz gewinnen?" fragte der Junge.
"Der Wolf, den ich füttere." antwortete der Alte.
Quelle unbekannt,
aus dem Englischen übersetzt
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Welpen zu verkaufen
In einer Tierhandlung war ein großes Schild zu lesen, auf dem stand: "Welpen zu
verkaufen".
Ein kleiner Junge kam vorbei und sah das Schild. Da der Ladenbesitzer gerade an der
Tür stand, fragte er ihn: "Was kosten die Hundebabys?"
"Zwischen 50,- und 80,- EUR." sagte der Mann.
Der kleine Junge griff in seine Hosentasche und zog einige Münzen heraus. "Ich habe 7
Euro und 65 Cents." sagte er. "Darf ich sie mir bitte anschauen?"
Der Ladenbesitzer lächelte und pfiff nach seiner Hündin. Fünf kleine Hundebabys
stolperten hinter ihr her. Eines von ihnen war deutlich langsamer als die anderen und
humpelte auffällig.
"Was hat der Kleine dahinten?" fragte der Junge.
Der Ladenbesitzer erklärte ihm, dass der Welpe einen Geburtsschaden hatte und nie
richtig laufen würde.
"Den möchte ich kaufen." sagte der Junge.
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"Also den würde ich nicht nehmen, der wird nie ganz gesund." antwortete der Mann.
"Aber, wenn du ihn unbedingt willst, schenke ich ihn dir."
Da wurde der kleine Junge wütend. Er blickte dem Mann direkt in die Augen und sagte:
"Ich möchte ihn nicht geschenkt haben. Dieser kleine Hund ist jeden Cent wert,
genauso wie die anderen auch. Ich gebe Ihnen meine 7,65 EUR und werde jede Woche
einen Euro bringen, bis er abgezahlt ist."
Der Mann entgegnete nur: "Ich würde ihn wirklich nicht kaufen - er wird niemals in der
Lage sein, mit dir zu rennen und zu toben wie die anderen."
Da hob der Junge sein Hosenbein und sichtbar wurde eine Metallschiene, die sein
verkrüppeltes Bein stützte. Liebevoll auf den Hund blickend sagte er: "Ach, ich renne
selbst auch nicht gut und dieser kleine Hund wird jemanden brauchen, der ihn versteht."
Dan Clark "Weathering the Storm",
aus dem Englischen übersetzt
und leicht geändert
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Gegenwart
Die Schüler baten den Meister, ihnen ein Modell für die Spiritualität zu geben, das sie
nachahmen könnten.
Der Meister sagte: "Still, lauscht!"
Und als die Schüler auf die Laute der Nacht draußen lauschten, sprach der Meister
leise den berühmten Haiku:
"Von einem frühen Tod,
zeigt die Zikade sich unbeeindruckt.
Sie singt."
aus: Anthony de Mello: Eine Minute Weisheit, leicht geändert
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Eine Menge Klatschen...
Ein fünfjähriges Mädchen bekam von seiner Mutter ein neues Springseil geschenkt.
Die Mutter zeigte der Kleinen, wie sie das Springseil benutzen konnte und schaute ihr
bei ihren ersten Versuchen zu. Schnell schaffte das Mädchen es, einmal zu springen
und dann sogar zweimal.
Die Mutter klatschte begeistert.
Das Mädchen übte noch eifriger und konnte nach kurzer Zeit schon recht passabel
springen.
Die Mutter klatschte wieder Beifall, drehte sich dann um und machte sich an die
Gartenarbeit.
Nach einer Weile kam die Kleine mit traurigem Gesicht zur Mutter und sagte: " Mutti, ich
kann es zwar, aber ich brauche eine Menge Klatschen."
n. J. Patrick Carroll und Katherine M. Dyckman, umgeschrieben;
gefunden in Die Spiritualität der Unvollkommenheit
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Geschickt gefragt!
Es waren einmal zwei Mönche, die es einfach nicht lassen konnten, während des
Gebets zu rauchen.
Weil sie aber das schlechte Gewissen plagte, schrieben sie jeder einen Brief an den
Bischof, um ihn dazu zu seiner Meinung zu befragen.
Als Antwort erhielt der eine Mönch eine Erlaubnis, der andere jedoch ein Verbot.
Darüber wunderten sie sich sehr.
Der Mönch, dem das Rauchen erlaubt wurde, fragte den anderen: "Was hast du denn
den Bischof gefragt?"
"Ich habe gefragt, ob ich während des Betens rauchen darf."
"Und ich", antwortete der, der eine Erlaubnis bekommen hatte, "habe gefragt, ob ich
während des Rauchens beten darf."
gefunden in Bruno Gideon: Die kleine Denkfabrik für Manager, leicht umgeschrieben
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Die Feuerwehr
Zwei Freunde gehen im Moor spazieren.
Plötzlich sinkt einer von ihnen bis zur Brust in den Morast. Schnell rennt der andere los,
um die Feuerwehr zu holen. Die trifft auch prompt ein und fährt die Leiter aus, um den
Versinkenden zu retten.
Der winkt aber ab: "Ich bin nun 50 Jahre Christ und immer treu und brav in die Kirche
gegangen. Der Herr wird mich schon retten!"
Also fährt die Feuerwehr kopfschüttelnd wieder ab.
Nach einigen Stunden entscheidet der Feuerwehrchef, doch noch mal ins Moor fahren:
"Der Mann stirbt ja sonst, dem müssen wir einfach helfen!"
Als sie ankommen, sehen sie, dass nur noch der Kopf des Mannes aus dem Moor
herausguckt. Also wird die Leiter wieder ausgefahren.
"Nix da", ruft da der Versinkende energisch, "Ich bin 50 Jahre Christ, habe auch immer
meine Kirchensteuer bezahlt. Gott wird mich schon retten!"
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Die Feuerwehr kann es nicht fassen, aber die Männer fahren wieder fort.
Am kommenden Morgen muss der Feuerwehrchef aber doch wieder an den Mann im
Moor denken und er lässt noch einmal ausrücken.
Im Moor angekommen sehen die Männer aber nur noch, wie die letzten Haare
versinken! Für sie ist nichts mehr zu machen!
Der Verstorbene kommt nun im Himmel an und ist sehr wütend: "Sofort her mit dem
Chef", brüllt er Petrus an, der diesen auch sofort holt.
Er schnauzt los: "50 Jahre bin ich nun Christ, immer habe ich brav meine Kirchensteuer
gezahlt, keinen Gottesdienst habe ich versäumt - und nun sowas! Hättest du mir nicht
ein wenig unter die Arme greifen können?"
"Ich verstehe deinen Ärger nicht, mein Sohn." sagt da Gott und fragt. "Habe ich dir nicht
dreimal die Feuerwehr geschickt?"
Quelle unbekannt, eingesandt
von einer Zeit zu leben-Leserin
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Wie viel wiegt das Leben?
Ein Schüler kam zu einem weisen alten Mann.
"Herr" sprach er mit schleppender Stimme "das Leben liegt wie eine Last auf meinen
Schultern. Es drückt mich zu Boden und ich habe das Gefühl, unter dem Gewicht
zusammenzubrechen."
"Mein Sohn" sagte der Alte mit einem liebevollen Lächeln "das Leben ist leicht wie einer
Feder."
"Herr, bei aller Demut, aber hier musst du irren. Denn ich spüre mein Leben wie eine
Last von tausend Pfunden auf mir. Sag, was kann ich tun?"
"Wir sind es selbst, die uns Last auf unsere Schultern laden." sagte der Alte, immer
noch milde lächelnd.
"Aber..." wollte der Junge einwenden.
Der alte Mann hob die Hand: "Dieses "Aber", mein Sohn, wiegt allein tausend Pfund."
Tania Konnerth aus: Leben kann so einfach sein
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Vom Wert der Dinge und der Menschen
Im Rahmen eines Seminars mit sehr vielen Teilnehmern hielt der Trainer einen 50EUR-Schein in die Luft.
Er fragte: "Wer von Ihnen möchte diesen 50-EUR-Schein haben?"
Überall gingen Hände hoch.
"Ok, einen kleinen Moment" sagte er und zerknüllte den 50-EUR-Schein. "Wer möchte
diesen nun zerknüllten 50-EUR-Schein haben?"
Wieder gingen die Hände in die Luft.
"Ok, warten Sie", sagte er und warf den zerknüllten 50-EUR-Schein auf den Boden und
trat mit seinen Schuhen darauf herum, bis der Schein zerknittert und voller Schmutz
war. Er hob ihn an einer Ecke auf und hielt ihn wieder in die Luft. "Und wer von Ihnen
möchte diesen dreckigen, zerknitterten 50-EUR-Schein immer noch haben?"
Und erneut waren die Hände in der Luft.
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"Sehen Sie, Sie haben gerade eine sehr wertvolle Lektion erfahren. Was immer ich
auch mit dem Geldschein machte, wie schmutzig und zerknittert er auch ist, es hat
nichts an seinem Wert geändert. Es sind immer noch 50,- EUR. So oft in unserem
Leben werden wir selbst fallen gelassen, sind am Boden zerstört und kriechen vielleicht
im Schmutz - und fühlen uns wertlos. Aber all das ändert ebenso wenig etwas an
unserem Wert, wie das was ich mit diesem Schein tat, seinen Wert änderte. Der Wert
von jedem einzelnen uns bleibt immer erhalten, wie schmutzig, arm oder verloren wir
auch immer sein werden."
gefunden in: "Geld ist mein Freund" von Phil Laut
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Die Geschichte von den Fröschen
Es war einmal eine Gruppe von Fröschen, die gemeinsam durch einen Wald liefen.
Plötzlich fielen zwei von ihnen in eine tiefe Grube, die sie nicht gesehen hatten.
Die anderen Frösche konnten einen Sturz in die Grube gerade noch verhindern und
versammelten sich nun um das Loch im Boden. Sie blickten zu den beiden Kameraden
herab, die tief unten auf dem Boden hockten und versuchten, aus der Grube
herauszuspringen.
Als sie sahen, wie tief das Loch war, riefen sie den beiden zu, dass das Springen
keinen Sinn hätte - die Grube sei viel zu tief. Sie sollten lieber aufgeben und einfach
sterben.
Der eine von den beiden ließ sich durch die Aussicht, schon so gut wie tot zu sein,
schnell entmutigen. Er erkannte, keine Chance zu haben und hörte auf zu springen.
Schnell starb er.
Die anderen riefen zu dem übrig gebliebenen Frosch, dass er sich doch nicht weiter
quälen, sondern sich ebenso wie der andere Frosch zum Sterben bereit machen sollte.
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Der andere Frosch aber sprang weiter - unermüdlich, verbissen und eifrig. Höher und
immer höher. Er mobilisierte noch einmal alle Kräfte und schafft es tatsächlich, aus der
Grube zu springen.
Oben angekommen fragten ihn die anderen Frösche: "Sag hast du uns nicht gehört?
Wir hätten nie gedacht, dass es möglich sein könnte, aus der Grube zu springen."
Schnell stellte sich heraus, dass dieser Frosch schwerhörig war. Er hatte die ganze Zeit
gedacht, die anderen feuerten ihn an!
nach Michael Peterson
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Über die Tradition
Das junge Paar war frisch verheiratet. Eines Tages beschloss die junge Frau, eine
Lammkeule zu schmoren.
Bevor sie das Ganze in den Ofen schob, schnitt sie von der Keule das untere Stück ab
und legte dann die zwei Teile nebeneinander in den Schmortopf.
Ihr Mann schaute ihr über die Schulter und fragte sie: "Warum machst du das?"
"Ich weiß nicht, aber meine Mutter machte das immer genau so." war die Antwort.
Daraufhin fragte der Mann seine Schwiegermutter, warum sie das untere Stück der
Keule abschnitt.
"Ich weiß nicht, aber meine Mutter machte das immer genau so." antwortete die
Schwiegermutter.
Die Großmutter war noch am Leben und so ging der Mann zu ihr und fragte auch sie,
warum sie den unteren Teil der Lammkeule vor dem Schmoren abschnitt.
Und die Großmutter antwortet: "Ach, das hat einen ganz einfachen Grund: Mein
Schmortopf war damals so klein, dass der ganze Braten einfach nicht hineinpasste."
(aus Nancy Friday "Wie meine Mutter", leicht geändert)
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Das schielende Huhn
Es war einmal ein Huhn, das stark schielte.
Dieses schielendes Huhn sah deshalb die ganze Welt etwas schief und glaubte, sie sei
tatsächlich schief.
So sah es z.B. auch seine Mithühner und den Hahn schief. Es lief immer etwas schräg
und stieß ziemlich oft gegen die Wände.
An einem windigen Tag ging das schielende Huhn mit seinen Mithühnern am Turm von
Pisa vorbei.
"Schaut euch das an", sagten die Hühner, "der Wind hat diesen Turm schiefgeblasen."
Auch das schielende Huhn betrachtete den Turm und fand ihn aber völlig gerade. Es
sagte nichts, dachte aber bei sich, dass die anderen Hühner womöglich schielten.
(Von L. Malerba: Die nachdenklichen Hühner, leicht verändert)
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Über die Schnelligkeit
Till Eulenspiegel ging eines schönen Tages mit seinem Bündel an Habseligkeiten zu Fuß zur
nächsten Stadt. Auf einmal hörte er, wie sich schnell Hufgeräusche näherten und eine Kutsche
hielt neben ihm.
Der Kutscher hatte es sehr eilig und rief: "Sag schnell - wie weit ist es bis zur nächsten Stadt?"
Till Eulenspiegel antwortete: "Wenn Ihr langsam fahrt, dauert es wohl eine halbe Stunde. Fahrt
Ihr schnell, so dauert es zwei Stunden, mein Herr."
"Du Narr" schimpfte der Kutscher und trieb die Pferde zu einem schnellen Galopp an und die
Kutsche entschwand Till Eulenspiegels Blick.
Till Eulenspiegel ging gemächlich seines Weges auf der Straße, die viele Schlaglöcher hatte.
Nach etwa einer Stunde sah er nach einer Kurve eine Kutsche im Graben liegen. Die
Vorderachse war gebrochen und es war just der Kutscher von vorhin, der sich nun fluchend
daran machte, die Kutsche wieder zu reparieren.
Der Kutscher bedachte Till Eulenspiegel mit einem bösen und vorwurfsvollen Blick, worauf
dieser nur sagte: "Ich sagte es doch: Wenn Ihr langsam fahrt, eine halbe Stunde..."
Quelle: Lothar J. Seiwert: "Wenn Du es eilig hast, gehe langsam", S. 21
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Jetzt reichts!
Nach vielen Jahren eines langes Schlafes wacht Dornröschen eines Tages auf. Doch
niemand ist da, um sie zu erlösen.
So schläft sie wieder ein.
Jahre vergehen und Dornröschen wacht wieder auf. Sie schaut nach links und rechts,
nach oben und unten, aber wieder ist niemand da - weder ein Prinz noch ein Gärtner,
der sie retten will.
Und so schläft sie wieder ein.
Schließlich wacht sie zum dritten Mal auf. Sie öffnet ihre schönen Augen, kann aber
abermals niemanden erblicken.
Da sagt sie zu sich selbst: "Jetzt reichts!", steht auf und sie ist erlöst.
(Nach Norbert Mayer, gefunden in E. Hatzelmann: Keine Macht dem Stress!)
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Arme Leute
Eines Tages nahm ein Mann seinen Sohn mit aufs Land, um ihm zu zeigen, wie arme Leute
leben. Vater und Sohn verbrachten einen Tag und eine Nacht auf einer Farm einer sehr armen
Familie.
Als sie wieder zurückkehrten, fragte der Vater seinen Sohn: "Wie war dieser Ausflug?" "Sehr
interessant!" antwortete der Sohn.
"Und hast du gesehen, wie arm Menschen sein können?"
"Oh ja, Vater, das habe ich gesehen."
"Was hast du also gelernt?" fragte der Vater.
Und der Sohn antwortete: "Ich habe gesehen, dass wir einen Hund haben und die Leute auf der
Farm haben vier. Wir haben einen Swimmingpool, der bis zur Mitte unseres Gartens reicht, und
sie haben einen See, der gar nicht mehr aufhört. Wir haben prächtige Lampen in unserem
Garten und sie haben die Sterne. Unsere Terrasse reicht bis zum Vorgarten und sie haben den
ganzen Horizont."
Der Vater war sprachlos.
Und der Sohn fügte noch hinzu: "Danke Vater, dass du mir gezeigt hast, wie arm wir sind."
(Quelle: Dr. Philip E. Humbert, The Innovative Professional's Letter, frei übersetzt und leicht geändert)
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Der Zirkusbär
Es war einmal ein Zirkusbär.
Sein Zuhause bestand aus einem kleinen Käfig. Er war bereits in einem solchen Käfig
geboren worden und verbrachte seine Freizeit damit, in diesem Käfig zehn Schritt
vorwärts zu machen und wieder zehn Schritte rückwärts.
Irgendwann beschloss der Zirkusdirektor, den Zirkus aufzugeben, da er nur noch
Verluste machte. Er fuhr mit den Bären in den Wald, stellt den Käfig ab und öffnete die
Tür, bevor er abfuhr.
Der Bär steckte die Nase aus der offenen Käfigtür. Nun stand ihm die Welt offen für ein
Leben als ein freier Bär.
Der Bär sprang aus dem Käfig. Er stapfte einen Schritt vorwärts, vier, sechs, acht,
neun... Aber nach dem zehnten Schritt ging der Bär wieder zehn Schritte rückwärts...
nach Bert Hellinger
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Seesterne retten
Ein furchtbarer Sturm kam auf. Der Orkan tobte. Das Meer wurde aufgewühlt und
meterhohe Wellen brachen sich ohrenbetäubend laut am Strand.
Nachdem das Unwetter langsam nachließ, klarte der Himmel wieder auf. Am Strand
lagen aber unzählige von Seesternen, die von der Strömung an den Strand geworfen
waren.
Ein kleiner Junge lief am Strand entlang, nahm behutsam Seestern für Seestern in die
Hand und warf sie zurück ins Meer.
Da kam ein Mann vorbei. Er ging zu dem Jungen und sagte: "Du dummer Junge! Was
du da machst ist vollkommen sinnlos. Siehst du nicht, dass der ganze Strand voll von
Seesternen ist? Die kannst du nie alle zurück ins Meer werfen! Was du da tust, ändert
nicht das Geringste!"
Der Junge schaute den Mann einen Moment lang an. Dann ging er zu dem nächsten
Seestern, hob ihn behutsam vom Boden auf und warf ihn ins Meer. Zu dem Mann sagte
er: "Für ihn wird es etwas ändern!"
gefunden in: Porter, Patrick:; Entdecke dein Gehirn, Junfermann, 1997; Geschichte gekürzt und überarbeitet
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Wer weiß...?
Ein alter Mann lebte zusammen mit seinem einzigen Sohn auf einer kleinen Farm. Sie
besaßen nur ein Pferd, mit dem sie die Felder bestellen konnten und kamen gerade so
über die Runden.
Eines Tages lief das Pferd davon. Die Leute im Dorf kamen zu dem alten Mann und
riefen "Oh, was für ein schreckliches Unglück!" Der alte Mann erwiderte aber mit ruhiger
Stimme: "Wer weiß..., wer weiß schon, wozu es gut ist?"
Eine Woche später kam das Pferd zurück und führte eine ganze Herde wunderschöner
Wildpferde mit auf die Koppel. Wieder kamen die Leute aus dem Dorf: "Was für ein
unglaubliches Glück!" Doch der alte Mann sagte wieder: "Wer weiß..., wer weiß schon,
wozu es gut ist?"
In der nächsten Woche machte sich der Sohn daran, eines der wilden Pferde
einzureiten. Er wurde aber abgeworfen und brach sich ein Bein. Nun musste der alte
Mann die Feldarbeit allein bewältigen. Und die Leute aus dem Dorf sagten zu ihm:
"Was für ein schlimmes Unglück!" Die Antwort des alten Mannes war wieder: "Wer
weiß..., wer weiß schon, wozu es gut ist?"
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In den nächsten Tagen brach ein Krieg mit dem Nachbarland aus. Die Soldaten der
Armee kamen in das Dorf, um alle kriegsfähigen Männer einzuziehen. Alle jungen
Männer des Dorfes mussten an die Front und viele von ihnen starben. Der Sohn des
alten Mannes aber konnte mit seinem gebrochenen Bein zu Hause bleiben.
"Wer weiß..., wer weiß, wozu es gut ist?"
Verfasser unbekannt, gefunden
in: "Way of the Peaceful Warrior" von Dan Millman,dt: Der Pfad des friedvollen Kriegers
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Der Axtdieb
Ein Mann fand eines Tages seine Axt nicht mehr. Er suchte und suchte, aber sie war
verschwunden.
Der Mann wurde ärgerlich und verdächtigte den Sohn seines Nachbarn, die Axt
genommen zu haben.
An diesem Tag beobachtete er den Sohn seines Nachbarn ganz genau. Und
tatsächlich: Der Gang des Jungen war der Gang eines Axtdiebs. Die Worte, die er
sprach, waren die Worte eines Axtdiebs. Sein ganzes Wesen und sein Verhalten waren
die eines Axtdiebs.
Am Abend fand der Mann die Axt durch Zufall hinter einem großen Korb in seinem
eigenen Schuppen.
Als er am nächsten Morgen den Sohn seines Nachbars erneut betrachtete, fand er
weder in dessen Gang, noch in seinen Worten oder seinem Verhalten irgend etwas von
einem Axtdieb.
(nach Lao Tse, gefunden in:
Gelassenwerden. - Herder, 1996)
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Zwei Mönche
Zwei Mönche waren auf der Wanderschaft. Eines Tages kamen sie an einen Fluss.
Dort stand eine junge Frau mit wunderschönen Kleidern. Offenbar wollte sie über den
Fluss, doch da das Wasser sehr tief war, konnte sie den Fluss nicht durchqueren, ohne
ihre Kleider zu beschädigen.
Ohne zu zögern ging einer der Mönche auf die Frau zu, hob sie auf seine Schultern und
watete mit ihr durch das Wasser. Auf der anderen Flussseite setzte er sie trocken ab.
Nachdem der andere Mönch auch durch den Fluss gewatet war, setzten die beiden ihre
Wanderung fort.
Nach etwa einer Stunde fing der eine Mönch an, den anderen zu kritisieren: " Du weißt
schon, dass das, was Du getan hast, nicht richtig war, nicht wahr? Du weißt, wir dürfen
keinen nahen Kontakt mit Frauen haben. Wie konntest Du nur gegen diese Regel
verstoßen?"
Der Mönch, der die Frau durch den Fluss getragen hatte, hörte sich die Vorwürfe des
anderen ruhig an. Dann antwortete er: "Ich habe die Frau vor einer Stunde am Fluss
abgesetzt - warum trägst Du sie immer noch mit Dir herum?"
(frei nacherzählt, The Wisdom of Zen Masters)
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