Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) – Was ist zu

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Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) – Was ist zu
Psychosomatik
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) –
Was ist zu tun?
A. Möllering, S. Herpertz
Zusammenfassung
Insbesondere für den Arzt für Allgemeinmedizin, der sich nicht
selten mit extrem belasteten, aber auch traumatisierten Patientinnen und Patienten konfrontiert sieht, ist es notwendig, diagnostische wie therapeutische Kompetenzen zu erlangen, um etwa
ernste Folgeerkrankungen wie die Posttraumatische Belastungsstörung (Posttraumatic Stress Disorder, PTSD) frühzeitig zu erkennen und adäquaten Behandlungsmöglichkeiten zuzuleiten.
Die PTSD ist mit einer Lebenszeitprävalenz von 7,8 % eine häufige
psychische Erkrankung, die neben einer adäquaten diagnostischen Einschätzung (Traumatisierung, Intrusionen, Hyperarousal
und Vermeidung) auch spezieller therapeutischer Maßnahmen
bedarf. Hier besteht der aktuelle therapeutische Standard in einer
dreistufigen Therapieempfehlung: traumaspezifische Stabilisierung – Traumabearbeitung – psychosoziale Reintegration.
Schlüsselwörter
Trauma, posttraumatische Belastungsstörung, PTSD
Summary
Posttraumatic stress disorder (PTSD): What should be
done?
The general practitioner is frequently confronted with extremely
stressed and traumatised patients. It is therefore important for the
practitioner to acquire diagnostic as well as therapeutic competence to recognise serious secondary illness as in the case of posttraumatic stress disorder (PTSD). Indeed, PTSD is a relatively
frequent mental disorder with a 7.8 % lifetime prevalence. PTSD
requires not only an adequate diagnostic appraisal, noting the
traumatised state ( i.e. intrusions, hyperarousal and avoidance)
but also prescription of special therapeutic measures. In this case
the recommended standard consists of three stages of appropriate therapy: stabilisation of the trauma-specific circumstances,
working through the trauma itself and psychosocial reintegration.
Key words
Trauma, posttraumatic stress disorder, PTSD
In den letzten Jahren hat das öffentliche Interesse an der
Diagnose der PTSD zugenommen (7, 9) – hier sei exemplarisch an Katastrophen wie das Flugzeugunglück in Ramstein, das Zugunglück in Eschede oder den Amoklauf eines
Schülers in Erfurt erinnert. Neben einem verbesserten
Wissen über Traumatisierungen und deren Folgen ist es
allerdings in den letzten Jahren auch zu einem teils inflationären Gebrauch dieser Begriffe gekommen.
Kasten 1: Die diagnostischen Kriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) nach ICD-10 (F 43.1)
Die Posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine
verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes
Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit
außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem
Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.
Prädisponierende Faktoren wie bestimmte z. B. zwanghafte
oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische
Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die
Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf
erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder
notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung
zu erklären.
Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem
Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein
und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich
Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie
Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den
genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten.
Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige
Wochen bis Monate dauern kann.
Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt
die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und
geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung
(F 62.0) über.
Dr. med. Andrea Möllering
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der
Rheinischen Kliniken/Universitätsklinik Essen
Virchowstraße 174, 45147 Essen
E-Mail: [email protected]
Z. Allg. Med. 2003; 79: 457–461. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003
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Kasten 2: Die diagnostischen Kriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) nach DSM-IV
A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden Kriterien vorhanden waren:
1. Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem
oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung
oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der
eigenen Person oder anderer Personen beinhalteten.
2. Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen. Beachte: Bei Kindern kann sich
dies auch durch aufgelöstes oder agitiertes Verhalten
äußern.
B. Das traumatische Ereignis wird beharrlich auf mindestens
eine der folgenden Weisen wiedererlebt:
1. Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bilder, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können.
Beachte: Bei kleinen Kindern können Spiele auftreten, in
denen wiederholt Themen oder Aspekte des Traumas
ausgedrückt werden.
2. Wiederkehrende, belastende Träume von dem Ereignis.
Beachte: Bei Kindern können beängstigende Träume
ohne wiedererkennbaren Inhalt auftreten.
3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis
wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das Ereignis wiederzuerleben, Illusionen, Halluzinationen und dissoziative
Flashback-Episoden einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder bei Intoxikationen auftreten).
Beachte: Bei kleinen Kindern kann eine traumaspezifische Neuinszenierung auftreten.
4. Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation
mit internalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte
desselben erinnern.
5. Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt
des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an
Aspekte desselben erinnern.
C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma
verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen
Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens drei der folgenden Symptome liegen vor:
1. Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder
Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen
Eine mögliche Reaktion auf das Thema
Trauma
»Wenn ich mir die Fernsehbilder von Katastrophen anschaue und an die »Psychotraumatologen« denke, die
sich auf die Betroffenen stürzen, werde ich als behandelnder Arzt das Gefühl nicht los, jede Extrembelastung
ist gleich ein Trauma und es besteht die Notwendigkeit
einer Psychotherapie. Muss ich jetzt auch eine Ausbil-
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2. Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen
3. Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern
4. Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten
5. Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen
6. Eingeschränkte Bandbreite des Affekts (z. B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden)
7. Gefühl einer eingeschränkten Zukunft (z. B. erwartet
nicht, Karriere, Ehe, Kinder oder normal langes Leben zu
haben)
D. Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (vor dem
Trauma nicht vorhanden). Mindestens zwei der folgenden
Symptome liegen vor:
1. Schwierigkeiten ein- oder durchzuschlafen
2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche
3. Konzentrationsschwierigkeiten
4. Übermäßige Wachsamkeit (Hypervigilanz)
5. Übertriebene Schreckreaktion
E. Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D)
dauert länger als einen Monat.
F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamerWeise
Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen
oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
Bestimme, ob:
Akut: Wenn die Symptome weniger als drei Monate andauern.
Chronisch: Wenn die Symptome mehr als drei Monate andauern.
Bestimme ob:
Mit verzögertem Beginn: Wenn der Beginn der Symptome
mindestens sechs Monate nach dem Belastungsfaktor
liegt.
Das Störungsbild lässt sich frühestens einen Monat nach dem
traumatischen Ereignis diagnostizieren. Zusätzlich zu den
vorgestellten drei Symptomkomplexen (hier als B, C, D) werden dissoziative Erlebnisweisen (B) erwähnt, die als zentrale
Reaktionsform in traumatischen Situationen anzusehen sind
und in der ein oder anderen Form bei fast jeder Traumatisierung auftreten.
dung in »Psychotraumatologie« machen oder den Patienten gleich zu einem Psychotherapeuten überweisen?«
So oder so ähnlich könnten Reaktionen von Hausärzten
auf die öffentlichen Diskussionen zum Thema Trauma
und Traumafolgen aussehen.
Epidemiologische Daten könnten diese Schlussfolgerung
unterstreichen. Traumatische Erlebnisse sind nicht selten. Ca. 60 % der Männer und 50 % der Frauen werden im
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Laufe ihres Lebens mindestens einmal von einem Trauma heimgesucht, das die Kriterien einer PTSD nach den
Leitlinien der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung DSM-IV (Kasten 2, Punkt A) erfüllt (7). Die Häufigkeit einer PTSD ist abhängig von der Art des Traumas.
Bestimmte Traumata wie Vergewaltigung, sexueller/
körperlicher Missbrauch führen häufiger zu einer PTSD
(ca. 50 %) als beispielsweise Naturkatastrophen oder Verkehrsunfälle (ca. 4,5 %) (4). Es besteht eine hohe Komorbidität für andere psychische Störungen (Depressionen,
Angst- und Suchterkrankungen, Schmerzsyndrome, Somatisierungsstörungen und Persönlichkeitsstörungen).
Nicht jedes Trauma führt zu einer PTSD, so dass davon
auszugehen ist, dass es sowohl protektive Faktoren (6)
als auch Risiken gibt (2, 3, 5). Weitere Problembereiche
zeichnen sich bei komplexeren PTSDs ab. Hier handelt es
sich oft um multiple, meist länger zurückliegende Traumata.
Doch wie kann der behandelnde Arzt das Risiko für die
Betroffenen abschätzen, an einer PTSD zu erkranken?
Zwei Fallbeispiele sollen das verdeutlichen.
sammenhang mit einem Autounfall vor einem Jahr aufgetreten, bei dem sie lebensgefährlich verletzt wurde.
Damals habe sie Todesangst gehabt, sei nach dem Unfall
rasch reizbar, nervös und unruhig geworden. Nachts hätten sie Alpträume heimgesucht und monatelang sei sie
nicht sie selbst gewesen »wie in einem Film«. Nach einer
gewissen hoffnungsvollen Erholungsphase seien die
Symptome wieder zurückgekehrt mit Ängsten, Schlafstörungen und zahlreichen körperlichen Beschwerden,
was sich auch negativ auf ihre mitmenschlichen Beziehungen auswirke. Mittlerweile zeigt die Patientin ein
ausgeprägtes Vermeideverhalten. Nur noch selten fühlt
sie sich in der Lage, ihr Haus zu verlassen.
Was wird an diesem Beispiel deutlich?
Neben der Traumaerfahrung sind auch die drei Symptomkomplexe Intrusionen, Hyperarousal und Vermeideverhalten als weitere notwendige diagnostische Kriterien einer PTSD nach ICD-10 (Kasten 1) und DSM-IV
(Kasten 2) vorhanden. Unter Intrusionen versteht man
die Wiederbelebung des traumatischen Erlebnisses z. B.
durch Alpträume, Bilder oder Flashbacks (Kasten 2, B).
Das von der Patientin beklagte Gefühl der innerlichen
Abstumpfung und der Vermeidung sozialer Kontakte
macht das Vermeideverhalten aus (Kasten 2, C). Als dritter Symptomkomplex leidet die Patientin an einem
Hyperarousal im Sinne von Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, übertriebener Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit (Kasten 2, D). Ein weiteres
Kriterium der PTSD ist das diagnostische Zeitfenster von
mehr als vier Wochen zwischen Trauma-Ereignis und
Beginn der psychischen Symptomatik (Kasten 2, E).
Was ist im Weiteren indiziert?
Abbildung 1: Viele betroffene Patienten erleben ein Trauma in sich
wiederholt aufdrängenden Erinnerungen, Träumen oder Alpträumen, kämpfen mit Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, Ängsten
oder Depression
Der Hausarzt beschrieb eine seit Monaten zunehmende
Beschwerdesymptomatik der Patientin. Im Vordergrund
unserer ambulanten Betreuung der Patientin stand zunächst einmal eine ausführliche Aufklärung über die
Erkrankung PTSD, damit verbunden die Motivation der
Patientin zu einer ambulanten Psychotherapie in Verbindung mit einer medikamentösen antidepressiven Behandlung (SSRI, selektiver Serotonin-WiederaufnahmeHemmer). Schließlich empfahlen wir eine engmaschige
Kontaktaufnahme zu ihrem Hausarzt.
Fallbeispiel 2
Fallbeispiel 1
Eine 22-jährige Frau stellt sich auf Anraten ihres Hausarztes mit im Vordergrund stehenden Schlafstörungen in
der psychosomatischen Ambulanz einer Universitätsklinik vor. Diese Symptome seien in zeitlichem Zu-
Eine 38-jährige Frau stellt sich bei ihrem Hausarzt vor.
Wenige Tage zuvor hatte sie unmittelbar den Tod ihres
Ehemanns miterlebt, der als Ersthelfer bei einem Unfall
getötet wurde. Den Unfall erlebte sie wie in einem Film,
fühlte intensives Entsetzen, Furcht und Hilflosigkeit.
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Seitdem fühlt sich die Patientin schon bei kleinsten Hinweisreizen von diesem Ereignis heimgesucht. Sie beschreibt sich als schreckhaft, reizbar, schlaflos. Auch diese Patientin zieht sich von ihrer Umwelt immer mehr zurück und fühlt sich immer weniger in der Lage, an ihren
Arbeitsplatz zurückzukehren.
Liegt bei der Patientin schon eine behandlungsbedürftige PTSD vor?
Das Traumakriterium und die Symptombereiche Intrusionen, Vermeideverhalten und Hyperarousal (Kasten 2,
A, B, C, D) liegen vor. Das Zeitkriterium für eine PTSD (>4
Wochen) ist allerdings nicht erfüllt (Kasten 2, E). Die Diagnose einer PTSD erscheint also zum jetzigen Zeitpunkt
noch nicht gerechtfertigt. Die Symptomatik entspricht
einer akuten Belastungsreaktion, einer vorübergehenden Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest
gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im Allgemeinen innerhalb von Stunden
oder Tagen abklingt. Eine Überweisung in eine fachpsychotherapeutische Behandlung ist in diesem Fall nicht
notwendig. Vielmehr besteht die Notwendigkeit der
hausärztlichen Betreuung etwa durch vertrauensvolle
Gesprächskontakte.
Behandlung der akuten Belastungsreaktion
Ausgehend von der Beobachtung, dass in den ersten Tagen bis Wochen eine Vielzahl von Patienten psychische
Symptome entwickeln, die in vielen Fällen innerhalb einer gewissen Zeit rückläufig sind, besteht die Notwendigkeit, die Patienten in dieser Zeit beobachtend zu begleiten. Wichtig ist die Herstellung einer Halt gebenden,
sicheren Umgebung und einer von Vertrauen geprägten
Gesprächsführung. Der Patient bestimmt selber, ob und
wann er über das Erlebte sprechen möchte. Oftmals ist
es schon hilfreich, die unterschiedlichen, den Patienten
oft selber verwirrenden eigenen Reaktionen als »normale Reaktionen auf ein unnormales Ereignis« zu erklären.
Viele Patienten erleben es als entlastend, wenn sie erfahren, dass sich ihre anfänglichen psychischen Symptome meist innerhalb weniger Wochen zurückbilden.
Gleichzeitig ist aber auch die Information wichtig, dass
es zu einem deutlich späteren Zeitpunkt zu Symptomen
kommen kann, die mit dem erlebten Trauma in Zusammenhang stehen. Für diesen Fall ist die Notwendigkeit der erneuten Kontaktaufnahme herauszustellen, um
rechtzeitig einen Psychotherapeuten hinzuziehen zu
können.
Behandlungsprinzipien bei der PTSD
Posttraumatische Belastungsstörungen erfordern eine
erhebliche Behandlungskomplexität (1, 8) (Kasten 3).
Neben der traumaspezifischen Stabilisierung, wozu die
Aufklärung des Patienten über mögliche Folgen des
Traumas, aber auch das Erkennen und die Aktivierung
von Ressourcen gehört, steht die Vermittlung von Sicherheit und der kontrollierte Umgang mit dem Traumaereignis im Vordergrund. Im Rahmen der Traumabearbeitung erfolgt die Rekonfrontation mit dem auslösenden Trauma mit dem Ziel der Durcharbeitung und Integration des Traumas unter geschützten therapeutischen
Kasten 3: Therapie der PTSD
Leitlinien zur PTSD, herausgegeben in Abstimmung mit
den AWMF-Fachgesellschaften:
Erst Herstellung eines Arbeitsbündnisses.
Dann folgen die unten benannten Phasen (wobei insbesondere die Elemente der Stabilisierungsphase die gesamte Behandlung begleiten):
1. Traumaspezifische Stabilisierung
– Coping-Strategien anerkennen und würdigen
– Wissen vermitteln über Folgen von Trauma
– Erlernen von Affektregulierung und -differenzierung
– Sicherheit (innen und außen) aufbauen
– (alle) Ressourcen herausfinden und nutzen lernen
– Ansprechen von Übertragungsverzerrungen
– Differenzierte Körperwahrnehmung und liebevollen Umgang mit dem Körper lernen
– Kontrollierten Umgang mit traumatischem Material erlernen
– Psychotherapie auf der inneren Bühne
• Umgang mit Täterintrojekten
• Umgang mit dem inneren Kind
2. Traumabearbeitung
– Die Therapie der Wahl bei der PTSD ist die Rekonfrontation
mit dem auslösenden Trauma mit dem Ziel der Durcharbeitung und Integration unter geschützten therapeutischen
Bedingungen
– Voraussetzung: ausreichende Stabilisierung, keine weitere
Traumaeinwirkung, kein Täterkontakt
– Traumaadaptierte Verfahren im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes
• Psychodynamische Therapie
• Kognitiv-behaviorale Therapie
• Einbeziehung adjuvanter Verfahren
• Einzelne gut einsetzbare Techniken sind hier auch die
– Beobachtertechnik
– Fahrstuhltechnik
– EMDR
3. Psychosoziale Reintegration
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Bedingungen. Dann schließt sich die wichtige psychosoziale Reintegration an. Darüber hinaus bietet sich in einigen Fällen auch eine medikamentöse Behandlung am
ehesten mit einem Antidepressivum, z. B. einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) an,
Benzoediazepine sollten u. a. wegen des Suchtpotenzials
– wenn überhaupt – nur für einen begrenzten Zeitraum
gegeben werden.
Literatur
1. AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften): Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung. AWMF online 1999. http://www.uni-duesseldorf.de/
WWW/AWMF/II/psytm010.htm 1999
2. Bryant RA, Harvey AG: Posttraumatic Stress in volunter firefighters. Predictors of distress. Journal of Nervous Mental Disease.
1995; 183 (4): 267–271
3. Ehlers A, Mayou RA, Bryant B: Psychological predictors of chronic posttraumatic stress disorder after motor vehicle accidents.
Journal of Abnormal Psychology 1998; 107 (3): 508–519
4. Kessler R, Sonnega A, Bromet E, Hughes M, Nelson C: Posttraumatic stress disorder in the National Comorbiditiy Survey. Archives
of General Psychiatry 1995; 52: 1048–1060
5. Kobasa SC: Stress resistant personality. In Ornstein RE, Swencionis C (Eds): The healing brain: A scientific reader. Oxford: Pergamon Press 1990
6. Perry S, Difede J, Musngi G, Frances AJ: Predictors of posttraumatic stress disorder after burn injury. American Journal of Psychiatry 1992; 149: 931–935
7. Saß H, Wittchen HU, Zaudig M: Diagnostisches und statistisches
Manual psychischer Störungen DSM-IV. Göttingen: Hogrefe Verlag
1996
8. Schnyder U: Psychotherapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen. Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 1999
9. WHO: The ICD-10 classification of mental and behavioural disorders. Clinical descriptions and diagnostic guidelines. Geneva:
World Health Organization 1992
Zur Person
Dr. med. Andrea Möllering, Ärztin für
Psychiatrie und Psychotherapie, in
Weiterbildung zur Ärztin für Psychotherapeutische Medizin an der Klinik für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Rheinische Kliniken/Universitätsklinik Essen, in psychoanalytischer
Weiterbildung am Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie e.V. Düsseldorf. Arbeitsschwerpunkte: Somatoforme Störungen, posttraumatische
Belastungsstörungen.
PD Dr. med. Stephan Herpertz, Arzt für
Psychotherapeutische Medizin, Arzt für
Innere Medizin, Psychotherapie, Psychoanalyse, leitender Oberarzt der Klinik für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Rheinische Kliniken/Universitätsklinikum Essen. Arbeitsschwerpunkte:
Essstörungen, psycho-genetische Aspekte der Gewichtsregulation, Diabetes mellitus.
Buchtipp
Praxis der Männergesundheit
V. Günther, H. Jacobi, Thieme-Verlag Stuttgart, 2003, 404 S.,
111 Abb., 69,95 Euro
Nach einer Standortbestimmung werden in den Kapiteln Gesundheitsrisiken, Prävention sowie Krankheiten und Funktionsstörungen alle wesentlichen Details der geschlechtsspezifischen Problematik umfassend abgehandelt. An mehreren
Stellen liest man Ausführungen wie die folgende: Wenn nun die
Thematik Männergesundheit als interdisziplinäres ärztliches
Kompetenzfeld zunehmend in den Fokus der Ärzte und der
»Betroffenen« rückt, so kann und darf man von keinem um Rat
fragenden Urologen erwarten, die komplizierten Zusammenhänge in Diagnostik, Klassifizierung, Therapie und Prognoseeinschätzung einer chronischen Krankheit quasi abdecken zu
können. Urologen mit sexualmedizinischer Betätigung haben
über die gemeinsam betreuten männlichen Erkrankten mit
sexuellen Potenzstörungen von je her einen ausgezeichneten
Kontakt zu ihrem Fachspezialisten. Es versteht sich nicht als
berufspolitische Pflicht, wenn festgestellt wird: Solide ausgebildete Ärzte haben eine Auffang- und Pilotfunktion: Sie werden
fachübergreifende Krankheiten früh erkennen und in einem
kooperierenden Netzwerk dem Fachspezialisten vorstellen.
Solche und ähnliche Formulierungen finden sich an mehreren
Stellen in diesem Buch, allein der Terminus Allgemeinmediziner
findet sich dort nirgends.
Das Buch eignet sich vorzüglich zum Detailstudium, die Kompetenz oder Aufgabenbereiche der Allgemeinmedizin bleiben
aber leider ausgespart. Ganz zuletzt finden sich im Kapitel
»Ganzheitlicher Gesundheitszugang« Arbeitsbereiche von
Psychotherapeuten und komplementärmedizinischen Ärzten.
Das Buch schließt mit den Kapiteln Lebensqualität und Kosten.
Es kann also gesagt werden, daß es sich um eine umfangreiche
Darstellung sehr vieler Details des neuen Gebietes Männergesundheit handelt.
H. Berger, Facharzt für Allgemeinmedizin, Marchtrenk,
Österreich
Z. Allg. Med. 2003; 79: 457–461. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003
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