P. Bernhard Pez

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P. Bernhard Pez
Sonderausstellung 2013 im Großen Saal der Melker Stiftsbibliothek:
Die Brüder Pez und die barocke Gelehrsamkeit
Während sich in Westeuropa im 17. und frühen 18. Jahrhundert durch die naturwissenschaftlichen
Entdeckungen von Gelehrten wie Isaac Newton, René Descartes oder Robert Boyle die sog. „wissenschaftliche Revolution“ vollzog, fand zeitgleich in der Geschichtswissenschaft etwas Vergleichbares
statt, das manche die „kritische Revolution“ genannt haben. Dabei ging es in erster Linie darum, historische Aussagen anhand von möglichst zeitnahen Quellen zu überprüfen und deren Echtheit zu erweisen. In diese umfassende kritische Durcharbeitung der abendländischen Traditionen waren auch Ordensgeistliche aus ganz Europa involviert, allen voran die französische Benediktinerkongregation vom
Hl. Maurus („Mauriner“), die jesuitische Forschungsgruppe der Bollandisten in Antwerpen (nach einem
ihrer wichtigsten Gelehrten Jean Bolland), sowie eben die Benediktinergelehrten, die im frühen 18.
Jahrhundert in Österreich und Süddeutschland wirkten. Ein prominente Stellung unter ihnen nehmen
die Melker Brüder P. Bernhard und P. Hieronymus Pez ein. Ihr Leben, ihre wissenschaftliche Tätigkeit
und ihre Vernetzung innerhalb der europäischen Gelehrtenrepublik sind Thema dieser Ausstellung.
Wissenschaftliche Ausstellungsleitung: Dr. Thomas Wallnig unter Mitarbeit von P. Dr. Gottfried Glaßner
OSB und Dr. Cornelia Faustmann.
1) 1713 – 2013. Der hl. Koloman im Brennpunkt historischer Forschung
Die hier gezeigten „Acta sancti Colomanni“ in ihrer Edition durch Hieronymus Pez wurden genau vor
300 Jahren, im Jahr 1713, publiziert. Dies ist Anlass für einen kurzen Blick auf die Rolle Melks im
gesamteuropäischen Geschehen dieses Jahres (Prioratsephemeriden zum Jahr 1713). Zugleich weist
die schriftliche Überlieferung über den heiligen Koloman, die in diesem Werk vorgestellt wird, auf
das 1000-Jahr-Jubiläum der Überführung seines Leichnams nach Melk voraus, das 2014 in Melk u.a.
auch im Rahmen einer Ausstellung begangen wird (Auszug aus den Melker Annalen zu den Jahren
1012–1014). Schließlich stellt die Tatsache, dass es sich bei der Schrift um eine akademische Qualifikationsarbeit handelt, einen Bezug zur der für das Jahr 2015 in der Melker Stiftsbibliothek geplanten Ausstellung her, in welcher die Beziehungen des Stiftes zur Universität Wien anlässlich ihres
650-jähriges Bestehens beleuchtet werden sollen.
Hieronymus Pez, „Acta sancti Colomanni regis et martyris“. Krems 1713. Titelblatt und Titelkupfer – Stiftsbibliothek Melk, Sign. 4.738a –
Die Leidensgeschichte des Pilgers Koloman, der 1012 sein Martyrium erlitten hatte, wurde schon
bald Gegenstand von Heiligenerzählungen. Die „Passio Cholomanni“, die seit dem 14. Jahrhundert
Abt Erchenfried (1121-1163) zugeschrieben wurde, lag bereits im Druck vor, als P. Hieronymus Pez
seine Neu-Edition vorbereitete: Der Qualitätsgewinn bestand in der kritischen Prüfung und Besprechung einzelner Inhalte des Textes in den im Werktitel angesprochenen „historisch-kritischen“ Bemerkungen. Es sollte nicht einfach der Text geboten werden, sondern seine kritische Analyse unter
Einbeziehung anderer gedruckter und ungedruckter Schriften sollte ihm zusätzliche Autorität verleihen.
Das von P. Bonifaz Gallner gezeichnete und von Johannes Andreas Pfeffel gestochene Frontispiz
verankert auf einprägsame Weise die dem Melker Hausheiligen gewidmete wissenschaftliche Arbeit
(und damit das Forschungsprogramm der Brüder Pez insgesamt) im historischen Umfeld, aus dem
sie erwachsen ist und in dem sie gedeihen konnte. Es ist die von „Gewandtheit, Frömmigkeit und
Vernunft“ (dexteritate, pietate, ratione) geprägte Regentschaft Abt Berthold Dietmayrs (1700–
1739), die als guter Stern über ihr leuchtet und unter dessen Adlerschwingen sie Schutz und Schatten findet (Anspielung auf Stern und Adler in Dietmayrs Wappen), wie sie auch über das einzigartige Projekt des Neubaus der Melker Klosteranlage wacht.
Im Jahr 1713 war der Rohbau der Stiftskirche vollendet und seit 1710/11 lag der „neue Klosterriss“
vor, der unter Einbeziehung einzelner bestehender Bauteile einen Neubau der gesamten Klosteranlage vorsah. Die auf dem Titelbild dokumentierte Ansicht von Süden zeigt im Zentrum die Stiftskirche mit dem 1713 in Planung bzw. Bau befindlichen Kaisertrakt (ohne Altane, ohne RisalitGliederung, noch mit dem 1718 abgebrochenen Torturm im Osten).
Melker Annalen zu den Jahren 1012–1014: Martyrium des hl. Koloman in Stockerau und
Überführung seines Leichnams nach Melk – Stiftsbibliothek Melk, Cod. 391, p. 117 –
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In unüberbietbarer Prägnanz und Kürze halten die sich auf ältere Quellen stützenden und im Jahre
1123 niedergeschriebenen Angaben zu den Jahren 1012, 1013 und 1014 in den Melker Annalen
fest: Der selige (beatus) Koloman wurde in Stockerau gemartert und aufgehenkt (1012), der selige
(beatus) Koloman wurde an eben diesem Ort begraben (1013) und der heilige (sanctus) Koloman
wurde von Megingaud, Bischof von Eichstätt, in Melk begraben (1014).
Prioratsephemeriden Vol. V (1.1.1709 bis 13.11.1722): Eintragung zum Kaiserbesuch am 16.
Juli 1713 – Stiftsarchiv Melk, 5 Priorat, Karton 10, p. 101 –
Im 17. Jahrhundert wurde es in vielen Klöstern üblich, dass der Prior Aufzeichnungen über wichtige
Vorkommnisse führte. In Melk begründete P. Robert Jäger (Melker Prior 1674–1678 und 1680–
1693) im Jahr 1682 diesen Brauch. Die Serie der Melker „Prioratsephemeriden“, die – fast durchgängig und mehr oder weniger ausführlich, je nach Situation und Neigung des amtierenden Priors –
bis ins 19. Jahrhundert fortgeführt wurden, dokumentieren u.a. die personellen Entwicklungen im
Konvent, aber auch Besuche von geistlichen und weltlichen Würdenträgern sowie das tagesaktuelle
Geschehen. Auf p. 101 des ausgestellten Bandes mit Eintragungen zum Zeitraum vom 12. bis 23. Juli
1713 ist am 16. Juli vermerkt, dass Kaiser Karl VI. (1711–1740) seiner erkrankten Gattin Elisabeth
Christine nach Linz entgegenreist und dabei in Melk Station macht. Elisabeth Christine, die Mutter
Maria Theresias, eine zum Katholizismus konvertierte Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel,
hatte die Jahre zuvor in Barcelona verbracht und versucht, die Rechte ihres Gatten am spanischen
Erbe zu wahren.
2) P. Bernhard Pez (1683–1735)
P. Bernhard Pez wurde 1683 in Ybbs in eine Fleischhauer- und Gastwirtsfamilie geboren. Sein Taufname war Matthias Leopold. Nach Studien bei den Jesuiten in Krems trat er 1700 in Melk ein und
bekleidete hier nach seinem Theologiestudium in Wien von 1709 bis zu seinem Tod im Jahr 1735
das Amt des Bibliothekars.
P. Bernhards zentrales Anliegen war es, spirituelle und kirchengeschichtliche Texte des Mittelalters,
insbesondere solche, die von Benediktinern verfasst worden waren, zum Nutzen der Allgemeinheit
nach kritischer Prüfung ihrer Echtheit und Unverfälschtheit ans Licht zu bringen. Dieser Ansatz, den
man als „positive Theologie“ bezeichnet, impliziert eine Abkehr von einer abstrakten „spekulativen
Theologie“, die vielen Zeitgenossen Pez’ als zu abgehoben vom Glauben der Menschen erschien und
vor allem von den Jesuiten vertreten wurde.
Bernhard Pez,„Thesaurus Anecdotorum Novissimus“ Tom. II. Augsburg 1721. Titelkupfer –
Stiftsbibliothek Melk, Sign. 3.091 –
Das Titelkupfer von P. Bernhard Pez’ großem Editionswerk mittelalterlicher Texte, dem „Thesaurus
anecdotorum novissimus“, zeigt den historisch arbeitenden Mönch in seiner Studierstube. Die von
Putten getragenen Leitsprüche verdeutlichen die Zielsetzung der Publikation, die sich in die Bildsprache der beginnenden Aufklärung ebenso wie in die Tradition kirchlicher Texte einreiht:
ne pereant – „damit sie (die Schriften) nicht verlorengehen“, in Anspielung auf Joh 6,12;
ut prosint – „damit sie (die Schriften) nützen mögen“, in Anspielung an Kapitel 64,8 der
Benediktsregel;
ut luceant – „damit sie (die Schriften) leuchten mögen“, gleichzeitig ein Hinweis auf die aufklärerische Lichtmetaphorik und eine Anspielung auf Ijob 12,5.
Bernhard Pez, „Epistolae apologeticae“. Wien 1715. Epistola 1 – Stiftsbibliothek Melk, Sign.
32.503 –
Die intellektuellen Milieus des frühneuzeitlichen Katholizismus waren in großem Ausmaß von Auseinandersetzungen zwischen Teilen der Kirche, insbesondere zwischen einzelnen Orden, geprägt.
Es ging dabei oft um handfeste politische Vorteile: Der ältere Orden oder das ältere Kloster konnte
auch zeremoniellen und damit politischen Vorrang beanspruchen.
In einer anonymen Schrift namens „Cura salutis“ griffen die Jesuiten um 1710 die Orden mit Ortsfestigkeit (stabilitas loci) an, indem sie ihnen Untätigkeit und Müßiggang vorwarfen. P. Bernhard
Pez wurde mit einer Gegenschrift beauftragt, den „Epistolae apologeticae pro ordine sancti
Benedicti“. Er verteidigt die Aktivität des Benediktinerordens, insbesondere aber dessen Gelehrsamkeit, und illustriert in der „Epistola 1“, wie „positive Theologie“ im konkreten monastischen Alltag funktioniert: Der Novizenmeister P. Bernhard diktiert seinem Novizen aus einer mittelalterlichen Handschrift, und dieser Text berührt das Herz des jungen Mannes so, als wäre darin nicht von
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einem längst verstorbenen Mönch, sondern von ihm selbst die Rede.
„Conspectus Bibliothecae Benedictinae Generalis a. R. P. Bernardo Pez edendae“, in: „Acta
eruditorum“. Leipzig 1716, p. 403-405 – Stiftsbibliothek Melk, Sign. 28.296/18 –
P. Bernhard Pez’ größtes Forschungsvorhaben war die „Bibliotheca Benedictina“, ein nach Jahrhunderten geordnetes historisch-kritisches Schriftstellerlexikon, das den gesamten Orden umfassen
sollte – vom hl. Benedikt bis in die Gegenwart des Herausgebers. Seine Korrespondenz diente vorrangig dem Ziel, Material für diese Publikation zu sammeln.
Zunächst warb Pez, wie innerhalb der Ordensgelehrsamkeit üblich, durch Rundbriefe an andere
Klöster um Unterstüzung und Mitarbeiter für sein Anliegen. Im Jahr 1716 beschritt er erstmals völlig neue Wege. Er ließ einen Aufruf zur Mitarbeit an seiner „Bibliotheca Benedictina“ in den „Acta
eruditorum“ drucken, der wichtigsten Gelehrtenzeitschrift des Heiligen Römischen Reiches, die in
Leipzig von protestantischen Gelehrten herausgegeben wurde. Hier, im gesamteuropäischen Rahmen, trifft die „wissenschaftliche“ auf die „kritische“ Revolution: Im selben Jahrgang, in dem Pez’
„Conspectus“ vorgestellt wird, finden sich auch Besprechungen zu Werken von Thomas Hobbes und
Isaac Newton.
Die problemlose Verständigung zwischen einem Melker Benediktiner und einem Leipziger Lutheraner beruhte vornehmlich auf zwei – von beiden geteilten – Idealen: einerseits dem Interesse für
eine (vermeintlich gemeinsame) „deutsche“ Geschichte, insbesondere in Abgrenzung zu Frankreich;
andererseits der Verpflichtung gegenüber der „Res publica literaria“ als einer internationalen und
interkonfessionellen Gelehrtengemeinschaft, die sich an der Wahrheitssuche und nicht am Interesse einzelner Parteien orientieren sollte. Diese „Gelehrtenrepublik“ wird auch in der Inschrift am
Ausgang der Melker Bibliothek angesprochen.
„Bibliotheca Benedictina“ – Stiftsarchiv Melk, Karton 85/24/2/1 –
Trotz der intensiven Bemühungen von P. Bernhard Pez, im Zuge seiner Korrespondenz und seiner
Reisen das nötige Material für die „Bibliotheca Benedictina“ zu sammeln, war das Projekt zum
Scheitern verurteilt. Die Qualität der übermittelten Informationen ließ oft zu wünschen übrig. Der
Orden war zu wenig zentral organisiert, als dass P. Bernhard eine adäquate Forschungsinfrastruktur zur Verfügung hätte stehen können – zudem starb er zu früh, um das Werk zu einem Ende zu
bringen.
Erhalten sind P. Bernhards Konzepte und Aufzeichnungen, die vielleicht als Vorlage für eine spätere
Publikation gedacht waren. Bemerkenswert ist an der Konzeption der „Bibliotheca Benedictina“,
dass jedem Band – er sollte jeweils ein Jahrhundert umfassen – eine Abhandlung zum Zustand der
kirchlichen Gelehrsamkeit in diesem Zeitabschnitt vorangestellt werden sollte. In dieser Organisation des Materials deutet sich eine Neuinterpretation auch der Kirchengeschichte an: Sie ist keine
statische Größe, die versucht, ihre Unwandelbarkeit seit apostolischer Zeit darzustellen, sondern
eine Geschichte von Menschen, die in ihren Sitten und Bräuchen dem Wandel der Zeit unterliegen.
3) P. Hieronymus Pez (1685–1762)
P. Hieronymus Pez wurde 1685 in Ybbs geboren und auf den Namen Franz Philipp getauft. 1703
legte er seine Profess in Melk ab. Nach Studien in Krems und Wien zum Priester geweiht, war auch P.
Hieronymus an der Seite seines Bruders vornehmlich als Gelehrter tätig. Er überlebte ihn jedoch um
fast drei Jahrzehnte und starb 1762.
P. Hieronymus Pez: Professurkunde, datiert 15. Dezember 1703 – Stiftsarchiv Melk, 7 Patres,
Karton 13 –
Die ausgestellte Professurkunde verdeutlicht, dass auch Gelehrte wie P. Hieronymus Pez den für
Ordensleute üblichen Weg ins Kloster beschritten. Die Spannung von Gelehrsamkeit und monastischer Pflicht stellt ein oft wiederkehrendes Thema dieser Zeit dar, da etwa das Chorgebet die Konzentration auf die wissenschaftliche Arbeit massiv beeinträchtigte, andererseits aber gerade im katholischen Bereich die Klöster aufgrund ihrer oft reichhaltigen Bibliotheken, Archive und Sammlungen zu den wichtigsten Pflanzstätten der Gelehrsamkeit zählten. So erklärt sich auch, dass die Brüder Pez stets darum rangen, eine monastische Rechtfertigung ihres gelehrten Tuns zu finden.
Hieronymus Pez, „Scriptores rerum Austriacarum“ Tom. I. Leipzig 1721. Titelkupfer und Titelblatt– Stiftsbibliothek Melk, Sign. 6.007/1 –
Während P. Bernhard Pez’ zentrales Arbeitsgebiet die Geschichte der benediktinischen Gelehrsamkeit war, wandte sich P. Hieronymus Pez der „Österreichischen Geschichte“ zu. Wie bei den „Acta
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sancti Colomanni“ ging es ihm um die historisch-kritische Edition mittelalterlicher Texte, vor allem
von Annalen und Chroniken zur Österreichischen Geschichte. Von seinem Hauptwerk, den
„Scriptores rerum Austriacarum“, erschienen drei Bände im Druck.
Interessant ist der bewusst mehrdeutig eingesetzte Begriff „Österreich“: Zwar meint „Österreich“ im
engen Sinn nur das Erzherzogtum Ob und Unter der Enns (Ober- und Niederösterreich) und die regierende Dynastie der Habsburger (Haus Österreich), doch schwingt bereits der Anspruch des „österreichischen“ Gesamtstaates – der „Habsburgermonarchie“ – mit. Dieser wurde zwar erst 1804
durch die Ausrufung des „Kaisertums Österreich“ Wirklichkeit, doch arbeiteten die habsburgischen
Herrscher seit dem frühen 18. Jahrhundert gezielt in diese Richtung. So überrascht es nicht, dass
man auf dem Titelkupfer neben dem Erzherzogshut auf dem Schoß der „Austria“ auch die
rudolfinische Hauskrone, die ungarische Stephanskrone und die böhmische Wenzelskrone erkennen kann.
Johann Michael Rottmayr, Fresko hl. Hieronymus im Kuppelpendantif der Melker Stiftskirche, nach 1716
Der hl. Hieronymus, einer der vier großen lateinischen Kirchenväter, erscheint als asketische Gestalt, die ihren Blick und die Schreibfeder auf die von einem Putto präsentierte Buchvorlage richtet.
Die andere Hand zeigt auf das getreu nach der Vorlage neu entstehende Werk. In dem zum Betrachter hin geöffneten Buch ist deutlich in hebräischen Buchstaben der Name zu erkennen, mit dem das
Buch Genesis in der hebräischen Bibel bezeichnet wird (und der dem Anfangswort entspricht): bereschit. Die Komposition bezieht sich auf das berühmte Übersetzungswerk des Heiligen, die als
„Vulgata“ bekannte lateinische Übersetzung der Bibel. Hieronymus’ herausragende wissenschaftliche Leistung bestand darin, den hebräischen Text als Grundlage der Neuübersetzung des Alten Testaments herangezogen zu haben.
Das Bild illustriert treffend das an den Quellen orientierte Forschungsvorhaben der Brüder Pez und
findet eine sprachliche Entsprechung in einem im Korrespondenz-Band III enthaltenen Brief des Lilienfelder Zisterziensers und Forscherkollegen P. Chrysostomus Hanthaler an P. Hieronymus Pez.
Hanthaler bezieht sich hier anlässlich des 50-jährigen Profess-Jubiläums von P. Hieronymus Pez auf
Hieronymus’ Epistola 3,58 (Übersetzung Th. Wallnig und Th. Stockinger):
„Ich enthalte mich weiterer Gratulationsformeln, die andere Dir bezeugen werden. Ich schrieb Dir,
selbst ein Anachoret, als einem Anachoreten, weil dieser Umstand dem Geist von Männern unserer
Lebensart niemals entgehen darf. Ich werde mich wieder freuen, wenn unser Allmächtiger mir gewähren mag, auch Deine Jubelprimiz zu erleben. Dein Heiliger Hieronymus hat mutig gewagt auszusprechen: es mache nicht heilig, in Jerusalem gewesen zu sein, vielmehr in Jerusalem heiligmäßig gelebt zu haben. Auch ich will also wagen, wenn Du es gestattest, diese meine Auffassung frei auszudrücken: unter unseresgleichen zählt es nicht, ein Jubiläum solch einer Zeitspanne zu erreichen, sondern
durch das Verdienst des Lebens einigermaßen sicher des ewigen Jubels zu leben.“
Das Zitat verdeutlicht neben dem Spiel mit kirchenhistorischen Assoziationsfeldern auch die selbstverständliche Aneignung und den täglichen Umgang mit Texten der Kirchenväter bei gelehrten
Mönchen.
4) Die Korrespondenz der Brüder Pez
Zwischen 1709 und 1716 versandte P. Bernhard Pez einige hundert Sendschreiben an Gelehrte im
In- und Ausland, in denen er sein Forschungsanliegen darstellte und zur Mitarbeit – zum Ruhm des
Benediktinerordens und zum Wohl der Gelehrtenwelt – aufrief. Die erste Phase der Korrespondenz
beinhaltet hauptsächlich Reaktionen auf die Rundschreiben: Den Briefen waren oft Schriftstelleroder Bibliothekskataloge aus den jeweiligen Klöstern beigelegt. Nach 1716/17 konzentrierten sich
die Brüder Pez vermehrt auf die Publikation der von ihnen neu aufgefundenen Quellen. Das wirkte
sich auf die Korrespondenz insofern aus, als sich die Anzahl der Briefpartner verringerte, der Austausch mit diesen aber intensivierte.
Nachlass P. Bernhard Pez: Brief-Band II – Stiftsarchiv Melk, 7 Patres, Karton 7 –
Das Melker Stiftsarchiv verwahrt knapp 1000 durchwegs lateinische Briefe an P. Bernhard und P.
Hieronymus Pez. Diese Briefsammlung wurde später in drei Konvoluten zusammengefasst. Ausgestellt ist ein im Brief-Band II enthaltenes Konzept für ein Rundschreiben von der Hand des P. Bernhard Pez. Vermutlich stammt es aus dem Jahr 1712 und war für den Abt des bayerischen Klosters
Metten gedacht. Solche „Rundbriefe“ (Litterae encyclicae) wurden per Hand in standardisierter
Form vervielfältigt, ab 1712 auch gedruckt.
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Die Brief-Bände aus dem Pez-Nachlass bilden die Grundlage für das seit 2008 am Institut für Geschichte der Universität Wien und am Institut für Österreichische Geschichtsforschung laufende
Forschungsprojekt „Monastische Aufklärung und die benediktinische Gelehrtenrepublik“: Der erste
Teil der Korrespondenz der Brüder Pez aus den Jahren 1709 bis 1715 ist in einer wissenschaftlichen Edition und Bearbeitung 2010 im Druck erschienen, der Folgeband zu den Jahren 1716-1718
steht vor der Fertigstellung.
Die Korrespondenz der Brüder Pez in ihrer geographischen Streuung – Homann, Germania
Benedictina. Nürnberg 1732 (Reproduktion nach einem von der Bayerischen Staatsbibliothek zur
Verfügung gestellten Scan) –
Am dichtesten ist die Korrespondenz mit den Benediktinerklöstern in Schwaben, Bayern, Salzburg
und Österreich. Viele von diesen Klöstern hatten durch die Melker Reform des 15. Jahrhunderts ein
Naheverhältnis zu Melk. Dicht ist auch der Kontakt in andere Teile des benediktinischen Europa, so
zur Helvetischen und Böhmischen Kongregation, zur Bursfelder Kongregation in Mitteldeutschland,
zur Maurinerkongregation in Frankreich und zur Kongregation von St. Vanne in Lothringen sowie
zur Cassinenserkongregation in Italien.
Bemerkenswert sind die Kontakte zu Protestanten im Reich, etwa nach Hannover, Leipzig, Gotha
oder Altdorf. Dazu kommen enge Kontakte an den Wiener Hof und zu anderen Orden. Schließlich
sind auch Kontaktaufnahmen von P. Bernhard mit Kaiser und Papst erhalten.
Leibniz-Autograph in Sammlung von Exzerpten und Beilagen von Briefen – Stiftsbibliothek
Melk, Cod. 395, p. 12 –
Zu sehen ist eine Abschrift der Lebensbeschreibung des Abtes Volkuin von Sittichenbach (Mitte 12.
Jahrhundert), eines ehemaligen Zisterzienserklosters in Sachsen. Der Abschrift des Textes folgen
einige historisch-kritische Anmerkungen, die von dem Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz geschrieben wurden – er stand als Historiograph in den Diensten des niedersächsischen Welfenhauses. Das Stück hatte Pez von Leibniz’ Nachfolger Johann Georg Eckhart erhalten.
Dieses Exponat verdeutlicht, dass die Briefe an die Brüder Pez stets im Zusammenhang mit ihren
umfangreichen Beilagen zu betrachten sind – gedruckte Bücher und Handschriften, Notizen und
Abschriften, Exzerpte; mitgenommen von einem reisenden Arzt, hinterlegt im elterlichen Ybbser
Gasthaus „zur Goldenen Sonne“, transportiert mit einem Weinschiff auf der Donau oder als Beilage
von „brasilianischem Tabak“ für P. Bernhard.
Mit dem Vorbild von Leibniz ist freilich nicht nur die Geschichtsforschung angesprochen, sondern
auch die Wissenschaft von der deutschen Sprache, die um 1700 – also ein Jahrhundert vor den Brüdern Grimm – erstmals in den Fokus wissenschaftlicher Aufmerksamkeit rückte. Auch hier hatten
die Klöster eine reichhaltige Überlieferung zu bieten, und auch hier galt P. Bernhards Interesse den
Sitten und Gebräuchen der Alten.
5) Die Klosterreise von 1717
Neben der Korrespondenz waren Reisen in umliegende und weiter entfernte Klöster das Forschungsinstrument, mit dem die Brüder Pez bevorzugt Material für ihre Publikationen sammelten.
Sie unternahmen mehrere solcher Reisen; die umfangreichste fällt in die Zeit zwischen Ende Mai
und Ende September 1717.
„Itinerarium“ (Sammlung von Notizen von den Forschungsreisen der Brüder Pez) – Stiftsbibliothek Melk, Cod. 1850, p. 219 –
Cod. 1850 ist aus zahlreichen ursprünglich losen Faszikeln zusammengebunden, die die Brüder
während ihrer Aufenthalte in den einzelnen Klosterbibliotheken mit Notizen zu den eingesehenen
Handschriften füllten. Aufgrund des enormen Arbeitspensums und der knapp bemessenen Zeit fiel
die Schrift dabei mitunter etwas flüchtiger aus.
Bei dem gezeigten Eintrag zum Kloster Wessobrunn findet sich neben den Handschriftenbeschreibungen ein seltener Hinweis auf ein Gespräch anlässlich anlässlich des Besuches im folgenden Reiseziel, dem Kloster Andechs: Der berühmte Maurinergelehrte Jean Mabillon hatte das Kloster 1683
auf seiner Reise durch Deutschland besucht, und den Brüdern wurde nun von diesem Besuch erzählt.
Fragment aus „Liber certarum historiarum“ des Johann von Viktring – Stiftsbibliothek Melk,
Fragm. 262 –
In der im „Itinerarium“ vorgestellten Reisenotiz zu Wessobrunn findet sich unter anderem ein Ver-
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weis auf eine mittelalterliche Handschrift, die heute in der Staatsbibliothek München aufbewahrt
wird – und aus der seit geraumer Zeit rund 50 Seiten fehlen. Drei von diesen fehlenden Seiten wurden vor wenigen Jahren im Stiftsarchiv Melk wieder aufgefunden, und es ist wahrscheinlich, dass
ihre Wegnahme aus der Handschrift und ihre Überbringung nach Melk in Zusammenhang mit den
Forschungen der Brüder Pez zu bringen ist; die Notiz lässt jedenfalls erkennen, dass sie die Handschrift noch vollständig vorfanden.
Es handelt sich um eigenhändige Notizen des „Liber certarum historiarum“ des Zisterzienserabtes
Johann von Viktring, in welchem dieser die Ereignisse des 13. und frühen 14. Jahrhunderts beschreibt. Das Werk ist von besonderer Bedeutung für die Geschichte des habsburgischen Herrschaftsantritts in Kärnten. P. Hieronymus Pez edierte den Text in seinen „Scriptores rerum
Austriacarum“.
Bernhard Pez, „Thesaurus Anecdotorum Novissimus“ Bd. I – Stiftsbibliothek Melk, Sign. 3.090 –
In der Einführung zum 1721 erschienenen ersten Band seines „Thesaurus“ beschrieb P. Bernhard
Pez auf ca. 100 Seiten Verlauf und Ertrag der Reise, die ihn mit seinem Bruder Hieronymus – zumeist mit Kutsche und Schiff – vom 30. Mai bis 22. September 1717 in zahlreiche Klöster Österreichs und Bayerns führte. Auf der aufgeschlagenen S. 19 ist unter lit. xxxvi festgehalten, dass sie am
23. Juli in der Früh von Polling aufbrachen (mane inde profecti), zu Mittag in der glanzvollen Klosteranlage von Wessobrunn ankamen und mit den Benediktinermönchen im Refektorium speisten
(sub meridiem in splendidissimae structurae monasterio Wessofontano ordinis sancti Benedicti
advenimus cum religiosissimis et politissimis sodalibus nostris in regulari coenaculo pransi). Danach
ging es sofort in die Bibliothek… – Interessant ist die Art und Weise, wie P. Bernhard Pez die flüchtigen Reisenotizen für ein gelehrtes Publikum aufbereitete und dem Bedürfnis der intellektuellen
Kultur und Öffentlichkeit seiner Zeit entgegenkam.
START-Projekt „Monastische Aufklärung und
die Benediktinische Gelehrtenrepublik“ (Y-390)
A) Korrespondenz der Brüder Pez (1709–1715): Brief-Band I —> Band I der Edition (2010)
Die historisch-kritische Arbeit an der Korrespondenz von P. Bernhard und P. Hieronymus Pez heute
gleicht dem Umgang der beiden Melker Benediktiner mit mittelalterlichen Quellen im 18. Jahrhundert: Es geht darum, einen Text gemäß seiner Vorlage wiederzugeben, die Überlieferungssituation
zu beleuchten und den Inhalt kritisch durchzuarbeiten.
Das aufgeschlagene Beispiel,
fol. 22r (Brief-Band) —> Nr. 31, Seite 80f. (Edition),
illustriert diesen Prozess. Der Brief des Weingartener Benediktiners P. Leopold Herderer ist im Original im ersten der drei Pez-Briefkompendien überliefert. In der Edition finden sich nach der Kopfzeile erst eine ausführliche deutsche Zusammenfassung und editorische Angaben. Es folgt der lateinische Text im Wortlaut des Originals. Den Abschluss bilden unter Auswertung der Sekundärliteratur Hinweise zum Inhalt, in diesem Fall besonders eine Beschreibung der dem Brief beigelegten
Schriftstellerliste von Weingarten.
B) Wissenschaftliche Publikationen aus dem Umfeld des START-Projektes
Neben der editorischen Tätigkeit widmen sich die Mitglieder der Projektgruppe auch der wissenschaftlichen Bearbeitung verschiedener Aspekte der vormodernen monastischen Kultur und Gelehrsamkeit. Besonderes Interesse gilt dabei dem Zusammenhang von historisch-kritischer Forschung
und politischer Instrumentalisierung von Geschichte im Europa der Zeit um 1700 und der damit eng
verbundenen Frage nach der „Professionalisierung“ von Geschichte. Ein wesentlicher Aspekt dieses
Prozesses war die zunehmende Verdrängung von theologischen und kirchenrechtlichen Argumenten durch solche der historisch-kritischen Evidenz auch im kirchlichen Bereich – eben eine Parallele
von „kritischer“ und „wissenschaftlicher“ Revolution.
Zahlreiche Beiträge ergeben sich aus dem vertieften Interesse an einzelnen Pez-Korrespondenten
und deren Verortung innerhalb der europäischen Gelehrtenwelt. So finden sich Studien zu P. Leopold Wydemann und der spezifisch kartäusischen Ausprägung von monastischer Gelehrsamkeit; zu
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Hofbibliothekspräfekt Johann Benedikt Gentilotti von Engelsbrunn und seiner Auseinandersetzung
mit P. Bernhard Pez; oder zu dem schwierigen Verhältnis von Johann Georg Eckhart zu seinem Mentor und Vorgänger Gottfried Wilhelm Leibniz – vor und nach dessen Tod. Auch Neufunde von PezBriefen, die sich im Laufe der Arbeiten ergeben haben, werden dokumentiert.
Das START-Programm des Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung in Österreich
(FWF) zählt zu den größten und renommiertesten Forschungsförderungsinitiativen in Österreich. Gefördert werden nach einer internationalen Begutachtung exzellente Jungwissenschafterinnen und
Jungwissenschafter, die ihre Vorhaben gemeinsam mit einer Forschungsgruppe realisieren. Das
START-Projekt „Monastische Aufklärung“ ist eines von etwa zehn geisteswissenschaftlichen STARTProjekten – gegenüber rund 90 Projekten aus naturwissenschaftlichen und technischen Fächern.
Förderhöhe: ca. 1,2 Millionen Euro
Laufzeit: 1. April 2008 bis 30. Juni 2014
Institutionelle Verankerung: Institut für Geschichte der Universität Wien (das Institut für Österreichische Geschichtsforschung fungiert als Nationaler Kooperationspartner).
Arbeitsgruppe: Dr. Thomas Wallnig, MAS (Leitung); MMag. Patrick Fiska; Mag.a Manuela Mayer; Dr.in
Ines Peper; MMag.a Irene Rabl; Dr. Thomas Stockinger, MAS; Abubakar Sidyk Bisayew; Dr.in Cornelia
Faustmann; Mag.a Claudia Sojer; Joëlle Weis BA; MMag.a Gabriela Winkler.
online-Datenbank des Pez-Nachlasses seit 2012 abrufbar und weitere Informationen unter: www.univie.ac.at/monastische_aufklaerung

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