Rezension_Jäger der Glückseligkeit
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Rezension_Jäger der Glückseligkeit
ALBUM-KRITIK: VIVID CURLS-„Jäger der Glückseligkeit” von: MICHAEL FUCHS-GAMBÖCK Bereits der erste Titel des aktuellen Vivid Curls-Albums gibt die Stoßrichtung für das gesamte Werk vor: „Ausflug zum Mond” besticht mit direktem Gitarrespiel, das in seiner konzentrierten Schlichtheit an Koryphäen wie Bob Dylan oder Leonard Cohen erinnert. Dazu gesellt sich der druckvolle, leidenschaftliche Gesang der beiden Vivid CurlsVorzeigedamen Inka Kuchler und Irene Schindele. Diese Direktheit, die augenblicklich unter die Haut geht, durchzieht „Jäger der Glückseligkeit” über sämtliche zwölf Stücke hinweg. Textlich dreht sich das im Allgäuer Dialekt gehaltene Lied um die Sehnsucht nach einem positiven Leben. Und auch dieser Aspekt ist die inhaltliche Klammer für die Scheibe der zwei Allgäuerinnen samt Band. Diesen lyrischen Anspruch erkennt man auch auf Song Nummer 2, dem Titeltrack: Der Weg zur Glückseligkeit mag ein langer sein, erklären Inka und Irene dem Hörer, aber er ist garantiert nicht unmöglich, dieses Ziel ist im Laufe eines Lebens zu erreichen, das steht außer Frage. „Jäger der Glückseligkeit” ist eine wunderbare, auf Hochdeutsch intonierte Midtempo-Nummer mit treibendem Rhythmus, prächtig untermalt von perlendem Gitarrenspiel. Beim nachfolgenden, wieder im Allgäuerischen eingesungenen „In Gottes Nama” zeigen sich die Vivid Curls erstmalig - und nicht zum letzten Mal - von ihrer sozialkritischen, kämpferischen, geradezu anklagenden Seite: Es handelt sich um ein eindringliches Anti-Kriegs-Lied, unterlegt von einer berührenden akustischen Gitarre. Um diese Eindringlichkeit etwas zu kompensieren, folgt das entspannte „Schier verruckt”, das musikalisch in seiner Lässigkeit an Größen wie Chris Rea oder Mark Knopfler erinnert. Auch inhaltlich geht es leger zu: Hier wird ein Leben ohne Plan und Ziel verherrlicht, ein freies Dasein, was immer „Freiheit” für jeden Einzelnen von uns auch bedeuten mag. Aber trotz aller Relaxtheit, unterschwellig steckt in dieser Komposition auch ein gehöriger Spannungsbogen. Danach wird - in „Sternakind” - die Grundstimmung melancholischverträumt. Doch wen wundert’s? Schließlich ist dieses Lied eine zärtliche Hommage ans eigene Kind. Wer es noch nicht weiß: Inka und Irene sind beide liebende Mütter von je zwei Kindern… Um den eigenen Nachwuchs geht es - irgendwie - auch im darauf folgenden Stück: „G 8” prangert das - genauso betitelte - Schulsystem an, das in den Augen von Kuchler und Schindele inhuman ist, denn durch die Verkürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre bleiben für die Jugendlichen viele menschliche Eindrücke außen vor, Schulkinder werden von Beginn an auf Funktionalität in der Wirtschaft getrimmt. „Ihr Schrei” ist das beklemmendste, traurigste Lied dieser Produktion. Da es inhaltlich bewusst offen gehalten ist, soll es auch nicht seziert werden, da vermutlich jeder Hörer eine andere Interpretation dafür hat. Die spartanische Instrumentierung tut jedenfalls ein Übriges, damit die Eindringlichkeit der Zeilen verstärkt wird. „Ganz oifach it miad” bietet, im Allgäuer Idiom, die Erkenntnis einer Frau, dass die Liebe zwischen zwei Menschen auch mal weh tun kann, dass sie gelegentlich wütend macht. Und dass man trotzdem oder vielleicht gerade deshalb trotzdem an ihr festhält. Weil man sein Gegenüber über alles liebt. Verstärkt wird diese Einsicht durch äußerst rockige Riffs. Mit „Geiz isch geil” wird man in die Welt des samstäglichen Einkaufsbummels, der für nicht wenige Mitbürger ein geradezu heiliges Ritual ist, auf zynisch-satirische Weise hinein versetzt. „Kaufen”, lautet die selig machende Devise, „Hauptsache billig!” Die sommerlichflockige Instrumentierung karikiert die Ironie des Shopping-Wahns ganz vortrefflich. Und dann gibt es auch noch das kernige Gitarren-Solo in der Mitte des Songs, das an Großmeister Carlos Santana erinnert. Das nächste Stück bringt einen radikalen Emotions-Umschwung - „All deine Engel” ist ein Lied von geradezu unbefleckter Schönheit, von purer Sehnsüchtigkeit und Wehmut. Wen wundert’s, handelt es sich dabei um eine zärtliche Hommage an die geliebte, leider verstorbene Oma. In seiner wundervollen Getragenheit versprüht der Track eine richtiggehend transzendente Atmosphäre. Danach sind mit „I ka fliaga” erdigere Töne angesagt - es ist eine packende Nummer, die auch Folk-Königinnen wie Suzanne Vega oder Alanis Morissette prächtig zu Gesicht stehen würde. Eindringlich und zerbrechlich zugleich - was verlangt das sensible Herz mehr? Zum Abschluss eines prächtigen Stücks Musik präsentieren uns die Vivid Curls ihr einziges englischsprachiges Lied namens „Home”. Es ist eine Hommage an die Freundschaft, ganz in der Classic Folk-Tradition von Joan Baez, gespickt mit zweistimmigem Gesang. Ähnlich eindringlichschlicht instrumentiert wie der Opener schließt sich jetzt der Kreis zu einem beeindruckenden Album.