Familienbilder – Prozess und Wandel

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Familienbilder – Prozess und Wandel
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Familienbilder – Prozess und Wandel
Themenheft Nr. 4, 2013
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Impressum
Herausgeberin:
Schweizerische Fachstelle für Adoption
Hofwiesenstrasse 3
Postfach 340
8042 Zürich
t: 044 360 80 90
f: 044 360 80 99
e: [email protected]
www.adoption.ch
Gestaltung und Layout:
Marc Aellen, SSI
Layoutkonzept:
Urs Bachmann, bfvg.ch
Illustrationen:
Malou *2008 und Miro Kammer *2007
Mai 2013
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Inhalt
Einleitung
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Adoption – ein langfristiges menschliches Abenteuer
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Familie sein - Wunsch und Realität
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Ich wusste nicht, dass man ein fremdes Kind so gern haben kann
(Interview 1)
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Vorher denkt man, man wisse alles. Wenn man drinsteckt,
ist es ganz anders
(Interview 2)
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Ivana möchte nicht, dass ihr Umfeld von der Adoption weiss
(Interview 3)
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Konsequent sein ist oft auch hart für uns Eltern
(Interview 4)
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Spannungsfelder
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Einleitung
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Rolf Widmer
Geschäftsleiter
In diesem Themenheft erfahren Sie
von einigen Adoptiveltern auf eine
sehr persönliche Art, wie sie den
Adoptionsprozess erlebten und wie
sie den Alltag mit ihrem Kind (ihren Kindern) empfinden. Ich wende
mich nun in der Einleitung zu diesem Themenheft an die Eltern, die
sich selber Sorge tragen sollten, um
ihre Rollen als Partner und Erzieher
leben zu können.
Mit der Aufnahme eines Kindes
kehrt das pure Beziehungsglück in
fast jede Familie ein. Doch nicht alle
Paare kommen mit dieser Umbruchsituation immer sofort zurecht, denn
wenn ein Kind in die Familie
kommt, ändert sich vieles. Dass man
– auch als Eltern - eine gute Paarbeziehung führen kann, ist sehr wichtig
für den Familienerhalt.
Aus Ehepaaren werden Familien. In
dieser Phase ist es besonders wichtig,
darauf zu achten, dass die Beziehung
nicht zu kurz kommt. Das Kind
steht oft im Zentrum der Aufmerksamkeit – was es auch muss. Trotzdem lohnt es sich, darüber nachzudenken, wie genügend Kraft und
Zeit für die Paarbeziehung bleiben.
Wenn es gelingt, sich auch als Partner nahe zu bleiben und auszutauschen, ist es möglich, langfristig
eine Familiensituation mit stabilen,
verlässlichen Beziehungen aufzubauen.
Gerade wenn man um die Risiken
weiss, kann man gut auf sie Einfluss
nehmen und sich bereits vor der
Aufnahme eines Adoptivkindes auf
diesen neuen Lebensabschnitt vorbereiten.
Die „Elternallianz“ sollte durch
kontinuierlichen Austausch über
die sich stellenden Erziehungsthemen gestärkt werden. Durch gegenseitige Unterstützung können
auch belastende Momente im Zusammenleben mit den Kindern
besser gemeistert werden. Es kann
zudem hilfreich sein, von Zeit zu
Zeit den Umgang als Eltern und
Paar mit einer aussenstehenden
Fachperson zu reflektieren. Dies
gibt Kraft, auch mit seinen eigenen
Gefühlen und Grenzen besser umgehen zu können.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre dieses Themenheftes und
interessante Gespräche mit Ihren
Kindern und Ihrem Freundeskreis.
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Adoption – ein langfristiges
menschliches Abenteuer
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Rolf Widmer
Der Begriff Adoption steht für die Aufnahme eines Kindes für ein langfristiges
menschliches „Abenteuer“, dessen Anfang
und Ende ungewiss sind. Die von vielen
Adoptiveltern oft als mühsam erlebten
Verfahren bis zur Ankunft des Kindes in
seine neue Familie und das anschliessende
tägliche Zusammenleben, sind wichtige
Meilensteine im Leben einer Adoptivfamilie.
Von der Adoption sind im engeren Kreise
mindestens drei menschliche Systeme betroffen:
• das Herkunftsmilieu und die leiblichen
Eltern, deren Lebenssituation oft sehr
belastet ist, weshalb sie ihr Kind zur
Adoption freigeben
• die Adoptiveltern und ihre anderen Kinder (wenn sie schon Kinder haben)
• der erweiterte Familienkreis und die Gesellschaft mit ihren Anregungen und ihren persönlichen Motiven für oder gegen
eine Adoption
Das Gefühl und die Realität bezüglich
Versagen oder Erfolg liegen nahe beisammen. Sie sind abwechselnd präsent:
auf der einen Seite das Gefühl eines
sinngebenden und bereichernden Zusammenlebens, auf der andern Seite die
Unsicherheit, den richtigen Entscheid
getroffen zu haben und die Tendenz, alle auftauchenden Probleme in der Paarbeziehung und der psychischen Befindlichkeit mit der Adoption in Verbindung zu bringen. Aber sind dies nicht
Gefühle, die auch bei leiblichen Eltern
entstehen können? Die Überwindung
von Schwierigkeiten gehört zum Zusammenleben mit Kindern und ist nicht immer mit der Adoption in Verbindung zu
bringen.
Trotzdem gibt es Besonderheiten, die das
Zusammenleben mit einem Adoptivkind
anspruchsvoller gestalten:
1. Die meisten adoptierten Kinder setzen
sich mit zunehmendem Alter mit ihrem
besonderen Status und ihrer besonderen
Lebensgeschichte auseinander und entwickeln ihre eigene Wahrnehmung, unabhängig von den faktischen Erklärungen ihrer
Eltern.
Für die Adoptivkinder sind die zentralen
Feststellungen und Fragen in den verschiedenen Entwicklungsphasen:
• Meine Eltern sind schlechte Menschen,
sie haben mich weggegeben
• Ich selber bin nichts wert, deshalb hat
man mich weggegeben
• Meine Adoptiveltern haben mich gestohlen
• Es könnte passieren, dass auch meine
Adoptiveltern mich weggeben
Diese teilweise unbewusste Auseinandersetzung mit sich selber kann das Verhalten
des Kindes stark beeinflussen und zu Aggressionsentladungen oder grosser Unsicherheit führen.
2. Jeder Mensch entwickelt seine persönliche Identität, welche durch sein Weltbild
und seine Identifikationspersonen, mit denen er im Alltag positive Beziehungen
pflegt, geprägt wird. Dies gilt für alle Kinder, aber adoptierte Kinder beziehen sich
vermutlich stärker auf ihre Vorstellungen
und die Kenntnisse ihrer Herkunft, sie integrieren Elemente, die ihnen plausibel erscheinen und die sie gerne verkörpern
möchten. Manche Kinder bringen diese
Vorstellungen klar zum Ausdruck, andere
halten sie aber auch vor ihren vertrauten
Bezugspersonen geheim. Es ist deshalb
wichtig zu wissen, dass das Kind sich oft in
eine Phantasiewelt flüchtet, um seine Identität aufzubauen.
Nachfolgend einige Grundhaltungen, die
das Zusammenleben mit dem Adoptivkind erleichtern können:
A. Das Kind akzeptieren, wie es ist
Seine Persönlichkeit, seine persönlichen
Interessen und Projekte annehmen, sofern
sie nicht destruktiven Charakter haben.
Wichtig ist auch, besondere Verhaltensweisen wie beispielsweise eine gewisse Passivität zu akzeptieren, vor allem wenn das
Kind in seinen ersten Lebensmonaten wenig Stimulation und affektive Zuwendung
erfahren hat. Oder seine Reaktionen zu
verstehen, wenn es seine innere Trauer in
Aggressionen ausdrückt (z.B. „Du bist
nicht meine Mutter!“)
Β. Das adoptierte Kind lieben
wie jedes andere gewünschte Kind
Diesen Wunsch haben alle Eltern, aber er
lässt sich nicht diktieren und es ist verständlich, dass man nicht zu allen Menschen denselben Zugang findet.
C. Für das Kind von einer
hoffnungsvollen Zukunft träumen
Verwenden Sie Ihre Energie zur Erziehung
Ihres Kindes und helfen Sie ihm, Perspektiven zu entwickeln, welche seinem Inneren
entsprechen, damit es seine Fähigkeiten
ausleben kann und auch lernt, mit seinen
Begrenzungen umzugehen. Der Prozess
der Identitätsfindung ist oft sehr komplex
und das Ergebnis spontaner und wiederholter Auseinandersetzungen zwischen
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den Wünschen und Werten der Eltern und
denjenigen des Kindes.
D. Über die Adoption sprechen
Ermutigen Sie Ihr Kind, auszudrücken, was
es sich vorstellt, was es zu wissen glaubt und
worüber es sich Fragen stellt. Erzählen Sie
auch von sich selber, wie Sie als Eltern das
Abenteuer „Adoption“ erleben. Teilen Sie
mit dem Kind die objektiven Informationen, aber auch Ihre Gefühle, Ihre Wünsche
und Zweifel. Solche Dialoge können dem
Kind helfen, sich selbst zu öffnen und seine
eigens zurechtgelegte „Geschichte“ bezüglich seiner Adoption sowie die damit verbundenen Ängste und Hoffnungen mitzuteilen. Die Eltern können über ihren
Schmerz der Kinderlosigkeit berichten,
über das Glücksgefühl, ihr Adoptivkind in
die Arme zu schliessen und beschreiben,
wie sie ihr Selbstvertrauen wieder aufbauen
konnten.
E. Nicht jedes Fehlverhalten mit der
Adoption in Verbindung setzen
Auf der andern Seite darf auch nicht ausgeblendet werden, dass das Kind existenziellen Leidensdruck erleben kann. Es ist
deshalb wichtig, entsprechende Hilfe beizuziehen.
F. Hoffnung ausstrahlen und ein tolerantes
Zusammenleben entwickeln
Es geht darum, Rahmenbedingungen zu
gestalten, welche das Zusammenleben für
alle Familienmitglieder erleichtern. Auf
diese Weise gelingt es oft, für die besondere
Problematik des adoptierten Kindes Lösungen zu finden. Die einfachste Regel ist,
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sich und dem Kind Zeit zu geben, um eine
Krisensituation besser zu überstehen.
Wichtig ist, dass die Eltern in der Lage sind,
das Kind in seiner Persönlichkeit zu akzeptieren, auch wenn die momentanen Konflikte das Zusammenleben überschatten.
Das Kind soll durch die gesetzten Grenzen
auch spüren, dass die Eltern dadurch ein destruktives Verhalten des Kindes sich selber
oder andern gegenüber verhindern möchten. Dadurch kann das Kind Krisen überwinden und ein stabileres Verhalten sowie
eine vertrauensvollere und sichere Beziehung zu seinen Eltern entwickeln.
Falls eine Krisensituation für alle Betroffenen belastend bleibt, ist es wichtig, fachliche
Hilfe beizuziehen, damit mit einer Distanz
von aussen über das Zusammenleben reflektiert werden kann.
Das Zusammenleben, aber auch die Begleitung des Kindes in ein selbständiges Leben
bleibt ein anspruchsvoller Prozess, der von
den Eltern ein hohes persönliches Engagement erfordert und nur gelingt, wenn man
das Kind als eigenständiges Wesen betrachtet und es in einer akzeptierenden, ermutigenden und unterstützenden Art auf seinem
Weg begleitet.
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Familie sein Wunsch und Realität
Veronika Weiss
„Ich wollte einfach eine Familie haben, sein wie die meisten anderen
(Freunde, Schwester).“ Diese Aussage stammt aus einem der nachfolgenden Interviews.
Noch heute ist die Gründung einer
Familie für die meisten Paare ein
ganz zentraler Wunsch. Kann ein
Paar sich diesen Wunsch auf natürlichem Weg nicht erfüllen, so folgt in
der Regel ein langer Prozess der
Auseinandersetzung mit dem
Kinder wunsch, bis es sich allenfalls dafür entscheidet, einen
Adoptionsantrag zu stellen. Ist der
Antrag gestellt, wird diese
Auseinandersetzung im Laufe der
Eignungsabklärung fortgesetzt.
Dies bedeutet, dass ungewollt kinderlose Paare sich viel intensiver mit
Fragen wie: weshalb wollen wir ein
Kind, welche Vorstellungen machen
wir uns von einem Kind und welche
Erwartungen haben wir ans „Familie-Sein“ befassen müssen.
Wir haben 2012 mit vier Adoptivelternpaaren Interviews geführt. Zwei
der Paare haben noch Kleinkinder
(zwei und knapp vier Jahre alt), ein
Paar hat Schulkinder und ein Paar
ist Eltern von zwei Teenagern.
Wir danken diesen Paaren ganz
herzlich für die Bereitschaft, unsere
Fragen zu beantworten und für Ihre
Offenheit.
Die Wahl des Themas „Familienbilder – Prozess und Wandel“ haben
wir getroffen, um zu erfahren, ob
und wie sich Familienbilder (Vorstellungen, Erwartungen), im Lauf
der Entwicklung des Kindes (der
Kinder) ändern können.
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Ich wusste nicht,
dass man ein fremdes Kind
so gern haben kann
Interview-Partner: Ehepaar M.
Adoptivsohn:
*Luca, geb. im November 2009
*Name geändert
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Interview durchgeführt von
Margot Karpf
ndert
Vorbereitende Phase
Wie haben Sie den Prozess erlebt? Sozialabklärung, Vorbereitungskurs, Austausch mit
andern Adoptiveltern oder Adoptierten?
Als wir im Vorbereitungskurs waren, waren
wir uns noch nicht sicher, ob wir uns auf
den Adoptionsprozess einlassen wollten.
Zufällig trafen wir aber wenig später ein
Paar vom Kurs wieder und stellten fest, dass
uns nicht nur in Sachen Adoption, sondern
auch beruflich einiges verbindet. Die neuen
Bekannten stiegen schnell in den Adoptionsprozess ein und bekamen nach kurzer
Zeit ein Kind. Wir beobachteten alles mit
Interesse und tauschten uns mit ihnen aus.
So waren wir zwei Jahre später, beim Zeitpunkt unserer Anmeldung, gut vorbereitet.
Die Abklärungsphase dauerte lange. Vor allem die Wartezeiten erforderten viel Geduld: Warten auf die Bearbeitung des Dossiers, auf die Gesprächstermine, auf die
Pflegeplatzbewilligung, etc. Die Sozialabklärung erlebten wir als sehr angenehm.
Entgegen der verbreiteten Meinung hatten
wir überhaupt nicht das Gefühl, „auseinander genommen“ zu werden. Die Gespräche waren intensiv, respektvoll und
professionell.
Wir haben in dieser Zeit sehr viel nachgedacht. Vor allem ein Themenkreis hat uns
stark beschäftigt: Woher soll ein Kind
kommen? Ist die Herkunft wichtig für die
Entwicklung des Kindes? Was ist Sozialisation und was ist angeboren?
Grundsätzlich waren wir offen gegenüber
allen Ethnien. Wir haben uns aber schon
überlegt, welche ethnischen und kulturellen
Hintergründe uns naheliegen. Das Kind,
das wir in der Zwischenzeit adoptieren
durften, hat Wurzeln in einer Region, die
nicht zu unseren Favoriten gehörte. Rückblickend glauben wir, dass es nicht sinnvoll
war, uns im Vorfeld so viele Gedanken zu
machen. Luca und damit auch sein Herkunftsland, sind für uns inzwischen etwas
vom Schönsten.
leicht „nein“ sagen zu müssen, weil ich spüren würde, dass es nicht stimmt. Ich wollte
nicht unter Druck kommen und ein Kind
akzeptieren MÜSSEN. Wir haben schliesslich vereinbart, dass wir nur ein Kind annehmen, wenn es für beide stimmt und uns
andernfalls zurückzuziehen.“
Wie hat sich dies auf Ihre Partnerschaft,
ihren beruflichen Alltag ausgewirkt?
Wie haben Sie die Wartezeit erlebt?
Wir konzentrierten uns auf unsere Berufe
und versuchten, auch darauf vorbereitet zu
sein, dass das Leben ohne Kinder weitergehen
könnte. Auf unser Kinderkonto zahlten wir
monatlich Geld ein, mit der Option, damit eine schöne Weltreise zu machen, falls die
Adoption nicht zu Stande kommen sollte.
Was haben Sie in Bezug auf die bevorstehende Adoption erwartet, erhofft oder
befürchtet?
Die Themen der Abklärungszeit haben uns
auch während der Wartezeit beschäftigt.
Wir haben oft überlegt, was für ein Kind,
mit welcher Hautfarbe und welcher Nationalität, es sein könnte. Wir haben Eltern
und ihre Kinder beobachtet und uns vorgestellt, wie die Kinder sein würden, wenn sie
unsere wären.
Befürchtungen gab es nicht wirklich und wir
wussten ja, dass wir uns bei Problemen jederzeit Hilfe holen könnten, da heute mit diesem Thema sehr offen umgegangen wird.
Herr M.: „Ich hatte Angst davor, für ein
Kind ausgewählt zu sein und dann viel-
Frau M.: „ Wir haben in dieser Zeit geheiratet, was für uns und unsere Partnerschaft
sehr schön war. Die Heirat war für uns das
Zeichen, dass wir das Leben gemeinsam
durchstehen, das Zeichen für die Zusammengehörigkeit - mit oder ohne Kind. Es
war ein Besiegeln unserer Partnerschaft.“
Aufnahme des Kindes
Wie lange mussten Sie warten, bis sie vorgeschlagen wurden?
Wir mussten fast zwei Jahre warten. Zwar
wurden wir mehrmals vorgeschlagen, aber
nie vom Vormund oder der Vormundin
ausgewählt.
Frau M.: „Ich hatte an einem Abend nach
dem Ausgang eine Nachricht von Herrn S.
von einer Amtsvormundschaft auf der
Mailbox. Er sagte, es würde um ein Adoptivkind gehen. Nach einer schlaflosen
Nacht konnten wir am nächsten Morgen
endlich anrufen. Wir wurden darüber informiert, dass wir für Luca ausgewählt worden seien. Einen Tag später fuhren wir mit
dem Vormund zu Luca und lernten ihn und
die Übergangspflegefamilie kennen.“
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Wie haben Sie diese Phase erlebt?
Wir waren sehr aufgeregt und konnten
kaum schlafen. Es war eine intensive Phase. Einerseits ging die Arbeit weiter. Andererseits mussten wir alles für das Kind organisieren und wollten es auch so oft wie
möglich besuchen. Hinzu kamen natürlich zahlreiche Gespräche mit unseren
Verwandten und Freunden, die sich alle
mit uns freuten und uns tatkräftig unterstützten.
Wie haben sie die Übergabe des Kindes erlebt? Was haben Ihnen die Begleitung
durch die Übergangspflegefamilie und der
Austausch mit ihr gegeben?
Auf der Fahrt mit dem Vormund zur
Pflegefamilie, lasen wir den Leitfaden zur
ersten Annäherung. Es stand darin, dass
man sich behutsam dem Kind nähern und
Kontakt aufbauen soll. Als wir bei der Pflegefamilie klingelten, machten sie uns auf,
hielten uns das Kind entgegen und sagten
zu dem Kleinen: „Schau, das sind jetzt deine Eltern“. So schnell ging das. Nach dem
Mittagessen mit der ganzen Familie, waren
wir mit Frau T. und dem kleinen Luca endlich allein und konnten uns in aller Ruhe
kennen lernen. Dieser erste Besuch machte
uns klar, dass wir es wagen wollten. Wir waren froh, dass die Zeit bis zur Übergabe etwas länger dauerte. So konnten wir über
vier Wochen eine recht intensive Beziehung
zum Kind aufbauen.
Die Übergangspflegefamilie war extrem
nett und hilfsbereit. Wir durften bei ihr
übernachten und den ganzen Tagesablauf mit Unterstützung - proben. Wir fühlten
uns gut begleitet, ohne Zwang und Vorschriften, mit guten Tipps. Die Beziehung
zu Luca vertiefte sich langsam, er lachte uns
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an, reagierte auf uns und wir gewannen ihn
immer lieber. Der Abschied war dann sehr
emotional und es flossen auf beiden Seiten
viele Tränen.
Wie haben Sie das Einleben des Kindes erlebt? Wie hat sich dies auf Ihren Alltag und
Ihre Beziehung ausgewirkt?
Als wir zu Hause ankamen, legten wir den
dreimonatigen Luca unter den Spielbogen
und er jauchzte. Das war ein sehr schöner
Moment. Er schien sich auf Anhieb wohl
zu fühlen.
Für uns war die Anfangszeit eine grosse
Umstellung. Unser Alltag war über Nacht
auf den Kopf gestellt. Es war unglaublich
schön und aufregend, aber auch energieraubend. Die Müdigkeit in Folge des leichteren Schlafes und Aufstehens in der Nacht
war sehr gross. Neu war auch die Verpflichtung rund um die Uhr. Aber die Fröhlichkeit und das einnehmende Lachen von Luca machte alle diese Dinge wett.
Was haben Sie bezüglich der Entwicklung
der Beziehung zwischen Ihnen und dem
Kind beobachtet?
Herr M.: „Ich wusste nicht, dass man ein
„fremdes“ Kind so gern haben kann.“
Frau M.: „Ich bin überzeugt, ich könnte ein
eigenes Kind nicht lieber haben. Obwohl
die ersten Monate irgendwie fehlen.“
Herr M.: „Luca war von Anfang an ein
fröhliches und sonniges Kind. Da wir nicht
seine leiblichen Eltern sind, müssen wir
nicht für all seine „Macken“ oder auch seinen Charakter verantwortlich sein. Wir
dürfen ihn sogar loben, ohne dass es auf uns
zurückfällt.“
Frau M.: „Für mich war es ein Vorteil, dass
ich vom Beruf her den Umgang mit Babies
gewohnt war. Luca war immer mit allen
Leuten sehr fröhlich und offen, er hat überhaupt nicht gefremdet. Er ist aktiv und
neugierig, aber er kommt immer wieder zu
uns zurück und muss wissen, wo wir sind.
Anfänglich hat er meist nur Papa gesagt,
auch oft nur nach Papa gerufen, was mich
sehr beschäftigt und auch verletzt hat. Ich
habe mir überlegt, ob das mit der Adoption
zu tun haben könnte.“
Vertrauensbildung : Woran merkten Sie,
dass das Kind beginnt, Vertrauen zu fassen?
Luca war, wie gesagt, von Anfang an sehr
offen. Aber wir merkten, dass er z.B. bei
Angst oder Unruhe immer unsere Nähe
suchte. Das war für uns ein Vertrauenszeichen. Auch umarmt er uns oft und sagt, wie
gerne er uns habe. Das ist sehr schön.
Gab es Auffälligkeiten bezüglich dem Verhalten des Kindes?
Eine Zeit lang hat Luca andere Kinder gebissen und geklemmt. Wir überlegten uns,
ob dies mit der Adoption im Zusammenhang stehen könnte. Als wir uns Rat holten,
erfuhren wir, dass dieses Verhalten in seinem Alter normal sei. Mit zunehmender
sprachlicher Entwicklung verschwand es
dann auch wieder.
Waren Sie deshalb manchmal verunsichert? Machten Sie sich zum Beispiel Gedanken, bezüglich dem, was das Kind wohl
bereits mitgebracht hat (Genetik)?
Natürlich machen wir uns Gedanken über
den genetischen Rucksack von Luca. Wir wissen zum Beispiel, dass Musik bei seinem leiblichen Vater eine grosse Rolle spielt und so erklären wir uns auch seine Freude an der Musik.
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Auf jeden Fall versuchen wir ein positives
Bild seiner leiblichen Eltern aufzubauen.
Wir machen uns immer wieder Gedanken,
wie wir ihm seine Herkunftsgeschichte erzählen sollen.
Wie fühlten Sie sich im Kontakt und Austausch mit natürlichen Eltern - z.B. beim
Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten
und/oder sich stellenden Erziehungsthemen?
Wie sind Sie in die Rolle als Eltern hineingewachsen?
Da Luca ein äusserst fröhliches und soziales
Kind ist, werden wir nur selten mit Verhaltensauffälligkeiten konfrontiert, die hinterfragt und auf die Adoption zurückgeführt
werden könnten. Beim Besprechen von allgemeinen Erziehungsthemen steht die
Adoption nicht im Vordergrund. Die Fragen und Antworten sind dieselben wie bei
leiblichen Kindern. Natürlich ist die Bindungsthematik für uns von Interesse. Aber
wir handeln einfach gefühlsmässig, so wie
wir bei einem eigenen, biologischen Kind
vermutlich auch handeln würden.
In die Elternrolle sind wir problemlos hineingewachsen, sie erfüllt uns sehr. Luca reagierte von Anfang an sehr positiv auf uns.
Die Betreuung konnten wir so organisieren,
dass wir ihn vollständig selber betreuen
können. Seit einem Jahr geht er zwei Mal
pro Woche in die Waldspielgruppe, was uns
etwas entlastet.
Schwieriger als die Elternrolle ist die PaarEbene. Auch mit einem Kleinkind sollte
man sich genug Zeit für sich selbst und den
Partner nehmen. Das ist sehr anspruchsvoll. Wir haben uns fest vorgenommen,
zwei Mal pro Jahr ein Wochenende ohne
Luca zu verbringen.
Weiterer Verlauf
Wie hat das Umfeld auf die Aufnahme des
Kindes reagiert? Verwandtschaft, Freundeskreis, weiteres Umfeld?
Unsere Verwandten und Freunde haben
sich alle mit uns gefreut und uns sehr unterstützt. Es gab nur einzelne, die sich eher
von uns abgewendet haben, was aber weniger mit der Adoption, als viel mehr mit
dem Kinder-Haben überhaupt zu tun hatte. Im weiteren Umfeld sind das Interesse
und die Neugierde an unserer Geschichte
oft gross. Wir gehen damit offen um und
erzählen gerne, worüber manche Leute sehr
erstaunt sind.
Frau M.: „Dass Luca ein Adoptivkind ist,
steht nicht im Vordergrund. Es ist zwar präsent, aber nur im Hinterkopf. “
Herr M.: „ Ich habe einen grossen Beschützerinstinkt, weiss aber nicht, ob das bei einem leiblichen Kind anders wäre. Manchmal sprechen uns fremde Leute auf Luca’s
Aussehen an. Da gehen wir aber nicht gross
darauf ein. Wir fragen uns dann höchstens,
ob man so gut sieht, dass er ein Adoptivkind ist?“
Gab es Gedanken, ob es bei einem leiblichen Kind anders verlaufen wäre, sich andere Themen ergeben hätten etc.?
Natürlich wäre es interessant, dies zu wissen. Wir glauben jedoch nicht, dass es grosse Unterschiede geben würde und sind
froh, dass alles so normal verläuft. Sicher
wird in der Schul- und Teenager-Zeit noch
einiges auf uns zukommen.
Herkunft
Welche innere Haltung haben Sie gegenüber den leiblichen Eltern?
Unsere Haltung den leiblichen Eltern gegenüber ist sehr positiv, da das Wenige, das
wir wissen, positiv ist. Schade finden wir,
dass absolut keine sichtbare Verbindung besteht. Luca hat z.B. den Namen von der
Hebamme bekommen, wir kennen die genauen Gründe für die Adoptionsfreigabe
nicht, etc. Der Vormund war mit den Informationen sehr zurückhaltend. Wir wüssten
gerne mehr.
Wann und in welcher Form begannen Sie
mit dem Kind über die Herkunft und Geschichte zu kommunizieren, z.B. Bezug zum
Herkunftsland, das Land bereisen, etc.?
Wir sprechen mit ihm immer wieder darüber.
Es gibt verschiedene Anknüpfungspunkte,
wie z.B. das Foto-Tagebuch der Übergangspflegefamilie oder der Ankunftstag. Für ihn
ist das alles aber noch ziemlich abstrakt.
Uns gefiel das Wort „Bauch-Mama“ nicht
so gut, wir suchten nach einer Alternative.
„Maika“ und „Babo“ stehen im Herkunftsland von Luca für Mutter und Vater. So
sprechen wir jetzt mit Luca von seiner Maika und seinem Babo, was uns sehr gefällt.
Unsere befreundeten Adoptiv-Eltern haben
für ihr Kind ein eigenes Biografiebuch gemacht. Wir möchten das auch tun. Eventuell werden wir Luca seine Geschichte in
Form einer Tiergeschichte erzählen.
Wir wollen aber so „normal“ wie möglich
bleiben. Das Thema soll präsent sein, aber
nicht immer im Mittelpunkt stehen. Wir
sind gespannt, was auf uns zu kommt, wenn
Luca älter wird und in die Schule kommt.
Wir hoffen jetzt auf ein zweites Kind.
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Vorher denkt man, man
wisse alles. Wenn man
drinsteckt, ist es ganz anders
Interview-Partner: Ehepaar B.
Adoptivtochter
*Sina, geb. im Dezember 2008
*Name geändert
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Interview durchgeführt von
Heidi Giger
ndert
Vorbereitende Phase
Wie haben Sie den Prozess erlebt?
Sozialabklärung, Vorbereitungskurs, Austausch mit andern Adoptiveltern oder Adoptierten?
Wir haben den Prozess sehr positiv erlebt und
für uns war klar, dass man Einblick in sein Leben geben muss. Im Nachhinein fanden wir
den bürokratischen Aufwand in der Abklärung einfacher als den eigentlichen
Adoptionsprozess.
Wie haben Sie die Wartezeit erlebt?
Während den zwei Jahren haben wir es zum
Teil ausgeblendet. Wir haben gedacht, wenn
es kommt, dann kommt es. Uns hat man ganz
klar im Vorfeld gesagt, dass unsere Chancen
gering sind, aufgrund der Anzahl adoptionswilliger Paare im Verhältnis zu den freigegebenen Kindern. Von dieser Basis aus haben
wir probiert, unsere Zukunft so zu gestalten,
dass diese auch ohne Kinder erfüllend sein
wird.
Was haben Sie in Bezug auf die bevorstehende Adoption erwartet, erhofft oder
befürchtet?
Wir hatten kaum konkrete Erwartungen.
Wir versuchten uns darauf einzustellen, wie
unser Leben sein wird, wenn wir kein Kind
aufnehmen können. Alles andere haben wir
als ein Geschenk des Lebens angesehen. Wir
wollten es auf uns zukommen lassen und
dann reagieren. Unser Motto war immer,
„Wenn es geschehen soll, wird alles so kommen, wie es sein soll“.
Wie hat sich dies auf Ihre Partnerschaft, Ihren beruflichen Alltag ausgewirkt?
Frau B: „In dieser Phase haben wir trotzdem
unsere Pläne gemacht, ich habe eine Ausbildung begonnen, mein Mann machte Pläne
für den Bau eines neuen Hauses.
Wir hatten es uns im Vorfeld so vorgestellt,
dass wir uns die Elternzeit zu Hause teilen, also beide 60% arbeiten gehen. In der Zwischenzeit hat es sich aber so ergeben, dass wir
beide berufliche Veränderungen hatten und
uns dadurch nur noch das klassische Modell
(Frau zu Hause und Mann arbeitet 100 %)
möglich war, um die nötige finanzielle Sicherheit zu gewährleisten. Für mich war es schon
schwierig, quasi über Nacht, Ausbildung und
Beruf aufzugeben. Aber mein Mann und ich
haben die Situation gut gemeistert.“
Aufnahme des Kindes
Wie lange mussten Sie warten, bis sie vorgeschlagen wurden?
Nach zwei Jahren wurden wir ausgewählt, 14
Tage vor Ablauf der vorläufigen Pflegeplatzbewilligung .
und zum Schluss einen Erwachsenen haben,
für den wir Verantwortung tragen werden.
48h später habe ich meine Stelle und die Ausbildung gekündigt, mit dem Wissen, dass ab
sofort ein komplett neues Leben beginnen
wird… ein neues Abenteuer. Wir waren sehr
neugierig auf diese neue Phase.
Wie haben Sie die Übergabe des Kindes erlebt? Was haben Ihnen die Begleitung durch
die Übergangspflegefamilie und der Austausch mit ihr gegeben?
Diese Zeit haben wir als „schwere“ Zeit in
Erinnerung. Das Wetter war trüb und den
ganzen Tag in einer fremden Wohnung zu
verbringen, war nicht einfach. Es war eine Erleichterung, als der definitive Umzug erfolgte.
Die Trennung von den Pflegeeltern im Alter
von 14 Monaten war für Sina schwierig und
für alle belastend. Es hat uns auch traurig gemacht, sie aus einem Umfeld rauszuholen, wo
sie sich wohl gefühlt hatte. Es hat uns sehr
wehgetan, dass sie sich von den Pflegeeltern
trennen musste, da sie aufgrund der langen
Zeit ein enges Verhältnis zu diesen aufgebaut
hatte.
Wie haben Sie diese Phase erlebt?
Wie haben Sie das Einleben des Kindes erlebt? Wie hat sich dies auf Ihren Alltag und
Ihre Beziehung ausgewirkt?
Man hat sich ja immer wieder vorgestellt, wie
man reagiert, wenn der Anruf kommt. Ich
kann nur sagen, dass wir uns riesig gefreut haben, aber uns auf einmal auch die Konsequenzen bewusst wurden. Im Vorfeld hatten wir
uns nur auf ein Kleinkind eingestellt. Dann
wurde uns schlagartig klar, wir werden ein Baby, dann ein Kleinkind, dann einen Teenager
Unsere Tochter hat ein problemloses Verhalten gezeigt, sie hat gut gegessen und geschlafen. Sie hat jedoch mit Ängsten auf
Fremde reagiert und wollte uns immer im
Blick haben. Mein Mann und ich waren für
sie ziemlich lange die einzigen Vertrauenspersonen. Für uns war sie von Anfang an
unsere Tochter und ich glaube, sie hat uns
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sofort als ihre Eltern akzeptiert. Sie wollte
immer nur bei uns sein. Ich musste sie auch
anfänglich immer tragen, weil sie einfach
den Körperkontakt brauchte. Das war
manchmal schon schwierig, weil ich im ersten Jahr rund um die Uhr bei ihr sein musste, oder auch mein Mann… aber er musste ja
arbeiten. Aber jede kleine „Abnabelung“ ihrerseits haben wir als ein grosses Erfolgserlebnis gefeiert, weil uns das zeigte, dass ihr
Vertrauen wächst.
Was haben Sie bezüglich der Entwicklung
der Beziehung zwischen Ihnen und dem
Kind beobachtet?
Es war eine intensive Zeit in der wir zu ihr eine gute Beziehung aufbauen konnten.
Wir haben einfach festgestellt, dass sie extrem
viel Körperkontakt und Zärtlichkeit brauchte. Sie hatte anfänglich auch sehr viel Angst
gehabt, was sich vor allem mit „Hauen“ ausdrückte. Aber über Streicheln und in den
Arm nehmen, konnte man sie gut beruhigen… ist auch heute noch so. Sie reagiert extrem positiv auf Streicheleinheiten und das ist
auch für uns als Eltern wichtig. Dadurch können wir eine schöne Nähe aufbauen.
Gab es Auffälligkeiten bezüglich Verhalten
des Kindes?
Wir haben uns oft Gedanken gemacht, ob ein
Verhalten mit der Adoption zu tun hat oder
nicht. Ihre vielen Ängste (Wasser, Schlitten
fahren, Urlaub, Männer) haben uns anfänglich zu schaffen gemacht... auch dass sie uns
viel „gehauen“ hatte. Aber der Kinderarzt hat
uns gesagt, wir sollen nicht soviel analysieren
und die Gegenwart einfach annehmen, ihr
Verhalten liege noch in einer gewissen normalen Bandbreite, was ich heute absolut bestätigen kann. Sie ist jetzt mit ihren knapp 4 Jahren ein mutiges, kleines Mädchen und alle
Ängste sind wie weggeblasen.
Waren Sie deshalb manchmal verunsichert?
Machten Sie sich zum Beispiel Gedanken bezüglich dem, was das Kind wohl bereits mitgebracht hat (Genetik)?
Frau B.: „Manchmal war ich sehr traurig über
die Vorstellung, was sie wohl in ihren ersten
14 Lebenstagen, bevor sie zur Übergangspflegefamilie kam, erlebt hat und welche Ängste
sie schon ausstehen musste.“
Wie gingen Sie damit um?
Vertrauensbildung: Woran merkten Sie, dass
das Kind beginnt, Vertrauen zu fassen?
Sie war entspannt und suchte sehr oft unsere Nähe. Sehr schnell hat sie zu uns Mama
und Papa gesagt. Sie hat ihre kleinen Wutanfälle bekommen und wollte danach nur
noch in unseren Armen liegen. Man spürt
einfach, sie ist gerne mit uns zusammen
und wir natürlich auch mit ihr. Am meisten
freut sie sich auf die Wochenenden, wenn
der Papa auch zu Hause ist, weil wir dann
immer etwas unternehmen. Sie geht nämlich sehr gerne in den „Ausgang“.
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Wir versuchen dies nicht so sehr zu hinterfragen und es so zu nehmen wie es ist. Für uns ist
der Gedanke, dass alles seinen Sinn hat in Bezug auf unsere Tochter, sehr wohltuend.
Wie sind Sie in die Rolle als Eltern hineingewachsen?
Vorher denkt man, man wisse alles. Wenn
man dann drin steckt, ist es ganz anders. Jeder
Tag ist ein neuer Tag. Das muss man lernen.
Aber wir haben das Gefühl, dass je älter sie
wird, wir immer mehr zusammen wachsen
und alles einfacher wird. Aber es ist ein sehr
schönes Gefühl, Mama und Papa für sie sein
zu können. Die Rolle als Eltern hat sich einfach so ergeben.
Weiterer Verlauf
Welche Erfahrung machten Sie mit Ihrer Erziehungshaltung? Unterschiede, Handhabung, Austausch?
Als Eltern muss man eigene Verletzlichkeiten
erkennen, Konflikte lösen und eigene Muster
erkennen und wenn nötig ändern. So direkt
erlebt man dies nur im Erziehungsalltag.
Frau B.: „Ich musste auch lernen, dass Kinder
das Spiegelbild der eigenen Empfindlichkeiten sind. Vorher habe ich mich nie hinterfragt, ob ich richtig reagiere. Heute merke ich
einfach, dass ich mich selbst kontrollieren
und gewisse Verhaltensmuster korrigieren
muss.“
Wie hat das Umfeld auf die Aufnahme des
Kindes reagiert? Verwandtschaft, Freundeskreis, weiteres Umfeld?
Unsere Familien und Freunde haben sich alle
sehr gefreut, da bestand kein Unterschied ob
leibliches oder adoptiertes Kind.
Wie hat sich Ihr soziales Umfeld durch die
Aufnahme des Kindes verändert?
Die engsten Freunde, auch kinderlose Freunde, sind geblieben. Durch die Berufsaufgabe
fielen einige Kontakte weg. Anderseits entstanden über unsere Tochter neue Kontakte
zu anderen Eltern.
Wie fühlten Sie sich im Kontakt und Austausch mit natürlichen Eltern - z.B. beim Auf-
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treten von Verhaltensauffälligkeiten und/
oder sich stellenden Erziehungsthemen?
von ihrer Seite. Aber wir glauben nicht, dass
sie wirklich versteht, was es bedeutet.
Herr B.: „Gleichwertig, Gedanken in Bezug
auf das Urvertrauen und den Einfluss der Monate, bevor sie bei uns war, sind sicher da, aber
jedes Kind ist einzigartig.
Wir fühlen uns da nicht benachteiligt. Bei gewissen Diskussionen halten wir uns raus,
mehr aus dem Grund, weil jedes Kind anders
ist und einer anderen Handhabung bedarf.
Aber es ist natürlich auch schön zu sehen, dass
gewisse Themen ab einem bestimmten Alter
überall gleich sind, ob Familie mit leiblichen
oder adoptierten Kindern.“
Wie hat das Kind es aufgenommen?
Gab es Gedanken, ob es bei einem leiblichen
Kind anders verlaufen wäre, sich andere Themen ergeben hätten, etc.?
Diese Frage stellt sich so gar nicht, unsere
Tochter gehört so sehr zu uns.
Gut. Es ist sicher ein Prozess, bis das Kind die
Zusammenhänge richtig verstehen lernt.
Hat das Kind später aus eigenem Bedürfnis
Fragen gestellt, wollte mehr wissen?
Ja, sie stellt immer wieder Fragen. Die Fragen
kommen dann ganz spontan und ohne Zusammenhang mit dem, was wir gerade besprochen haben. Sie möchte dann wissen, wie
die Bauchmami heisst und wo sie wohnt. Diese Fragen kommen immer wieder mal.
Gab es eine Phase, in der die Herkunft zum
zentralen Thema wurde, oder wurden diesbezügliche Fragen vom Kind eher abgewehrt?
Nein sie wehrt nicht ab und stellt Fragen.
Herkunft
Welche innere Haltung haben Sie gegenüber
den leiblichen Eltern?
Anfangs haben wir die Herkunftseltern nicht
miteinbezogen. Erst nach und nach hat sich
ein Bewusstsein für sie gebildet, dass da noch
eine ganze Familie mit dazugehört.
Aber grundsätzlich sind die leiblichen Eltern
im Alltag nicht präsent.
Wann und in welcher Form begannen Sie
mit dem Kind über die Herkunft und Geschichte zu kommunizieren ?
Wir haben von Anfang an mit ihr darüber gesprochen. Das Thema „Bauchmami und soziale Eltern“ wird öfters angesprochen, mehr
Entwicklung / Schule
Gab es bei der Einschulung und im weiteren
Verlauf in der Schule Probleme?
Sie besucht einen Tag pro Woche die Kita. Sie
fühlt sich dort sehr wohl und auch die Elterngespräche mit der Krippenleitung zeigen, dass
sie mit ihren knapp vier Jahren extrem gut
entwickelt ist und keinerlei sozialen Auffälligkeiten zeigt…im Gegenteil…sie ist sehr beliebt
und hat viele kleine Freunde in der Krippe.
Ist es Ihnen gelungen, die Ressourcen des
Kindes wahrzunehmen?
Ja, sie hat einen sehr starken Willen, ist kognitiv sehr weit und im Denken rational.
Hatten Sie ab und zu den Eindruck, dass dies
durch die eigenen Erwartungen erschwert
wurde?
Nein, es ist eher einfacher, da die Erwartungshaltung geringer ist. Im Sinne von: wir nehmen es so wie es kommt.
Frau B: „Wir hatten nie eine Erwartungshaltung. Mein Mann und ich sind immer wieder überrascht, was aus dem kleinen Wesen
rauskommt. Ich glaube, da ist alles schon
vorhanden… man muss nur den Rahmen
setzen, dass es gedeihen kann.“
Wie ist es Ihnen gelungen, das Kind zu fördern ohne es zu überfordern?
Sie fördert sich selbst und unsere Aufgabe ist
es, ihr Raum und Möglichkeiten zu lassen,
dass sie sich entwickeln kann. Wir lassen ihr
alle Zeit der Welt. Sie ist ein kleiner, starker
Dickkopf. Man kann bei ihr nichts erzwingen. Aber es kommt alles wie von alleine, zum
richtigen Zeitpunkt und dann fangen wir an
sie zu fördern, aber nur, wenn sie es will.
Sie hatte z.B. eine extreme Wasserangst. Baden, Duschen waren der reinste Horror für
sie. Im Sommer beim „Badeurlaub“ hatte sie
sich nicht mal getraut, die Füsse ins Wasser zu
halten. Vor ein paar Monaten ist nun die
Angst gekippt und auf einmal mutierte sie zur
Wasserrate.
Seit 1 Monat gehen wir zum Kinderschwimmen und sie hat einen Riesenspass und nicht
nur das. Sie ist richtig motiviert, schwimmen
zu lernen. Vor einem Jahr wäre das noch undenkbar gewesen. Die Angst hat sie aber
selbst überwunden.
Und das macht uns als Eltern richtig stolz,
zu sehen, wie sie immer wieder gegen ihre
Ängste angeht. Wir können nur sagen, sie
ist ein kleines, starkes Mädchen.
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Ivana möchte nicht,
dass ihr Umfeld
von der Adoption weiss
Interview-Partner: Frau und Herr E.
Adoptivtochter: *Ivana, geb. im Juni 2002
Leibliche Tochter: * Luna, geb. im Dezember 2003
*Namen geändert
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Interview durchgeführt von
Veronika Weiss
Vorbereitende Phase
Wie haben Sie den Prozess erlebt?
Sozialabklärung, Vorbereitungskurs, Austausch mit andern Adoptiveltern oder
Adoptierten?
Herr E.: „An der Infoveranstaltung hörten
wir zu, dann liefen wir dort raus, schauten
einander an und sagten uns, „das machen wir
niemals“. Wir waren mit Abstand die Jüngsten. Ich hatte das Gefühl wie wenn ich gestern zum Militär gekommen wäre, ich erlebte den Vortrag als schulmeisterlich, dachte,
dass wir eh keine Chance haben, alle diese
Bedingungen zu erfüllen. Die sichtbare
Konkurrenz hat uns verunsichert, wir versprachen uns nur eine minime Chance.“
Frau E.: „Wir wussten, was für Unterlagen
verlangt werden; nach ungefähr einem Jahr
gestanden wir einander, dass wir einen Lebensbericht geschrieben haben. Von dort weg
war es nur noch gut. Die Sozialabklärung war,
gegenüber den fortpflanzungsmedizinischen
Massnahmen, für uns eine einfache Sache.“
Herr E.: „Meine Gotte hat zwei Kinder
adoptiert und die Cousinen meiner Frau
adoptierten ebenfalls Kinder. Wir führten
Gespräche mit ihnen. Bei meiner Gotte war
noch die Haushaltführung das Wichtigste
beim unangemeldeten Hausbesuch.“
Wie haben Sie die Wartezeit erlebt?
Frau E.: „Nach kurzer Wartezeit kam als erstes eine Anfrage für die allfällige Aufnahme
von einem Mädchen mit einem Herzfehler;
wir empfanden dies als zu grosse Belastung.
Bei Ivana kam die Anfrage im August 2002,
im Oktober desselben Jahres war alles durch.“
Was haben Sie in Bezug auf die bevorstehende
Adoption erwartet, erhofft oder befürchtet?
Frau E.: „Familie werden war für uns eine tolle Vorstellung. Bei der Anfrage für das Kind
mit Herzfehler hatten wir einerseits ein
schlechtes Gewissen, uns für dieses Mädchen
nicht vorschlagen zu lassen – ja überhaupt
wählen zu können - was ja bei einem leiblichen Kind nicht möglich ist. Andererseits
versuchten wir, ehrlich zu uns selbst zu sein.
Wir mussten zugeben, dass uns die Aufnahme eines Kindes mit Herzfehler Angst machen würde. Wir hofften auf ein gesundes
Kind. Sonst hatten wir keine konkreten Erwartungen oder Befürchtungen.“
Aufnahme des Kindes
Wie lange mussten Sie warten, bis sie vorgeschlagen wurden?
Herr E.: „Wir wurden sehr bald vorgeschlagen. Ausgewählt als zukünftige Adoptiveltern von Ivana wurden wir sieben Monate
nach Abschluss der Sozialabklärung.“
Wie haben sie die Übergabe des Kindes erlebt? Was haben Ihnen die Begleitung durch
die Übergangspflegefamilie und der Austausch mit ihr gegeben?
Frau E.: „Es war hilfreich, durch die Pflegeeltern Tipps zu bekommen und den Tagesrhythmus von Ivana kennen zu lernen. Ich
setzte mich aber extrem unter Druck, dachte,
ich muss zeigen, dass ich mit einem Baby umgehen kann. Deshalb war die KennenlernPhase von Ivana bei der Pflegefamilie für
mich schwierig. Ich fühlte mich bei allen
Handlungen beobachtet, wollte ja keinen
Fehler machen. Den ersten Besuch bei der
Pflegfamilie machten wir mit dem Vormund
zusammen. Als wir dann ins Kinderzimmer
durften, kamen drei Leute mit, wir hätten
den Moment dieser ersten Begegnung gerne
für uns allein gehabt. Die Pflegeeltern waren
aber sehr nett, wir konnten kommen, wann
wir wollten.“
Wie haben Sie das Einleben des Kindes erlebt? Wie hat sich dies auf Ihren Alltag und
Ihre Beziehung ausgewirkt?
Frau E.: „Das nach Hause kommen mit Ivana
war dann wunderschön, nur wir drei - ganz allein. Wir waren einfach glücklich! Endlich
konnte ich unverkrampft mit Ivana umgehen!
Wir empfanden das Einleben von Ivana als
sehr positiv, sie war so ein einfaches Baby und
wurde sofort zu unserem Kind. Sie hat es uns
leicht gemacht. Für mich wurde der neue Tagesablauf sehr interessant, ich bekam emotional sehr viel. Ivana lachte oft und sie schlief
gut. Früh schon hatte sie einen eigenen Kopf,
sie gab nie auf, das ist bis heute so geblieben.
Velo fahren lernen musste sie in einem Tag,
egal wenn sie dabei umfiel und blutete. Ivana
hat den Drang in sich, alles sofort und möglichst gut zu machen, auch bei Hausaufgaben ... sie macht lieber etwas mehr als nötig.
Eine grosse Verunsicherung entstand anfangs
durch ein Missverständnis in unserer Gemeinde,
sie meinten dort, es handle sich um eine internationale Adoption. Die zuständige Person sagte,
dass immer noch sie entscheide, ob das Kind bei
uns bleiben könne. Dies löste bei uns starke Verlustängste aus. Der Vormund von Ivana jedoch
war die Ruhe in Person, er hat alles geregelt. Mit
dem Vormund hatten wir es wirklich gut.“
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Herr E.: „Wir hatten nie das Gefühl, etwas zu
verpassen, hatten auch nicht das Bedürfnis,
ein Wochenende frei zu haben. Es war schön,
wenn mal die Grossmutter die Kinderbetreuung übernahm und wir uns eine kleine Auszeit nehmen konnten. Wir wollten diesen
Weg gehen; wir haben so lange darauf gewartet, Familie zu sein, wir haben es einfach genossen.“
Frau E.: „Luna, unsere leibliche Tochter,
schrie fast 24 Stunden, sie hatte einen Schiefhals und deshalb einen Nerv eingeklemmt,
was man erst nach drei Monaten feststellte.
Damals kamen wir total an unsere Grenzen,
wir waren verwöhnt mit Ivana.“
Was haben Sie bezüglich der Entwicklung
der Beziehung zwischen Ihnen und dem
Kind beobachtet?
Frau E.: “In der Beziehungsentwicklung
konnten wir absolut keine Unterschiede zwischen Ivana und Luna feststellen. Ich muss
mich manchmal zurücknehmen, darauf achten, dass ich nicht zu viel für Ivana mache.
Die Leiterin der Spielgruppe sagte mir einmal, ich müsse nichts wieder gut machen,
was mit mir nichts zu tun habe. Es gab mal
kurz ein Problem mit Mobbing in der Schule, ich hatte Mühe damit, dachte, dieses Kind
ist schon einmal abgelehnt worden. Manchmal möchte ich Ivana zu sehr vor Verletzungen schützen.
Bei Luna habe ich diese Gefühle weniger. Ich
denke mir manchmal, das Leben ist hart,
man muss „ellbögeln“ können, irgendwann
gebe ich dann Rückendeckung.
Ivana möchte nicht, dass ihr Umfeld von ihrer
Adoption weiss. Luna erzählte das herum. Ich
sagte zu Luna, dass Ivana entscheiden könne,
wer davon erfahren solle und wer nicht.
Ivana macht alles zuerst mit sich selber aus,
sie kommt erst, wenn’s brennt unter dem
20
Dach, doch wenn sie dann kommt, kommt
die ganze Ladung. Luna ist ganz anders, sie
„ploderet“ drauflos, kommt immer sofort,
mit allem, macht sich Gedanken um die ganze Welt. Ivana kann beim Spielen mit anderen herumschreien, Vollgas geben, zurechtweisen. Wenn sie verletzt wird, versucht sie
das zuerst selbst zu regeln.
Das Vertrauen zu uns Eltern ist zu 100% da bei
beiden Kindern, sie wissen, dass sie mit allem,
was immer es auch ist, zu uns kommen können. Die Kinder können gut zusammen spielen, es kracht aber auch immer wieder mal.“
Herr E.: „Ich möchte nicht zu viel mit dem
Adoptiertsein in Zusammenhang bringen,
die Mädchen haben einfach sehr unterschiedliche Charakteren.“
Gab es Auffälligkeiten bezüglich Verhalten
des Kindes?
Nein.
Weiterer Verlauf
Wie hat das Umfeld auf die Aufnahme des
Kindes reagiert? (Verwandtschaft, Freundeskreis, Nachbarn, Fremde)
Frau E.: „Unser Umfeld reagierte mit riesiger
Freude, wir erlebten nur positive Reaktionen,
viele waren tief berührt, da sie unser „Elend“
mit dem unerfüllten Kinderwunsch miterlebt hatten.“
Wie hat sich Ihr soziales Umfeld durch die
Aufnahme des Kindes verändert?
Herr E.: „Die Freizeitgestaltung hat sich schon
verändert, der Kollegenkreis aber blieb, viele
von ihnen hatten schon Kinder. Mit dem
Schulbesuch der Mädchen entstanden zahlreiche neue Freundschaften. Wir haben auch
weiterhin Kontakt mit kinderlosen Paaren.
Unser soziales Umfeld hat sich vergrössert, die
alten Beziehungen blieben bestehen.“
Wie fühlten Sie sich im Kontakt und Austausch mit natürlichen Eltern - z.B. beim Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten und/
oder sich stellenden Erziehungsthemen?
Frau E.: „Da wir selber Adoptiveltern und
leibliche Eltern sind, können wir nur sagen,
dass wir – mindestens bisher – weder im
Vergleich mit Luna noch im Kontakt mit anderen Eltern mit leiblichen Kindern, irgendwelche Unterschiede festgestellt hätten, die
mit dem Adoptiertsein zusammenhängen
könnten. Wir haben uns von anderen Eltern
immer verstanden gefühlt.“
Gab es Gedanken, ob es bei einem leiblichen
Kind anders verlaufen wäre, sich andere Themen ergeben hätten etc.?
Herr E.: „Solche Gedanken hatten wir bisher nie.“
Herkunft
Welche innere Haltung haben Sie gegenüber
den leiblichen Eltern?
Frau E.: „Speziell am Geburtstag von Ivana
denke ich an die leibliche Mutter. Es ist sehr
wenig über sie bekannt, deshalb ist es schwierig, ein wirkliches Gefühl für sie zu bekommen. Die der Adoptionsfreigabe wirklich zugrunde liegenden Umstände und Gedanken
sind nicht bekannt. Daher ist unsere Haltung
der leiblichen Mutter gegenüber ziemlich
neutral. Wir sind froh und sehr dankbar, dass
wir Ivana adoptieren konnten. Wenn Ivana
mehr über ihre Herkunft wissen möchte,
werden wir sie auf jeden Fall unterstützen.“
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Wann und in welcher Form begannen Sie
mit dem Kind über die Herkunft und Geschichte zu kommunizieren, z.B. in Bezug
zum Herkunftsland, das Land bereisen, etc.?
Frau E.: „Als Eltern bieten wir das Thema
Adoption immer wieder einmal an. Ivana
weiss seit dem Kleinkindalter, dass wir sie
adoptiert haben. Luna fragt manchmal wie
es war, als sie bei mir im Bauch war. Ich erkläre Ivana dann jeweils immer wieder: „Du
weißt, dass das bei dir nicht so war.“
Wie hat das Kind es aufgenommen?
Frau E.: „Ivana will bisher nicht mehr wissen,
sie lenkt dann vom Thema ab. Sie hört es aber
sehr gern, wenn wir Episoden aus ihrem Babyalter erzählen. Dann sagt sie manchmal: „Gäll
ich bin nöd so müehsam gsi wie d’Luna.“
Hat das Kind später aus eigenem Bedürfnis
Fragen gestellt, wollte mehr wissen?
Herr E.: „Bisher nicht.“
Wenn nicht, haben Sie dem Kind hin und
wieder diesbezüglich Angebote gemacht?
Frau E: „Es werden immer wieder Angebote
gemacht.“
Gab es eine Phase, in der die Herkunft zum
zentralen Thema wurde, oder wurden diesbezügliche Fragen vom Kind eher abgewehrt?
Herr E.: „Diesbezügliche Fragen werden eher
abgewehrt.“
Entwicklung / Schule
Gab es bei der Einschulung und im weiteren
Verlauf in der Schule Probleme?
Herr E.: „Im Verhalten von Ivana gab es keine Auffälligkeiten, nur eine Lehrerin war
auffallend. Sie fand, Ivana müsse dringend
untersucht werden wegen einem allfälligen
ADS. Diese Lehrerin lobte beim ordentlichen Elterngespräch den schulischen Einsatz
von Ivana und auch ihre sozialen Kompetenzen, sagte dann aber am Ende des Gesprächs,
das Kind müsse unbedingt abgeklärt werden, sie habe vermutlich ein ADS. Begründung dafür: wenn Ivana sich über etwas
freue, jauchze sie laut und könne sich lange
nicht mehr beruhigen.“
Frau E.: „Wir waren recht konsterniert, vor allem auch, da die Lehrerin Ivana anfangs so positiv beschrieben hatte. Selbst erlebten und
erleben wir Ivana als völlig normales Kind, wir
waren deshalb auch nicht verunsichert in dem
Sinn, dass wir uns gefragt hätten, was Ivana
genetisch oder aus dem Erleben der Schwangerschaft und der Geburt sowie der darauf
folgenden Trennung von der leiblichen Mutter, wohl mitgebracht haben könnte.
Es machte uns auch ein wenig wütend, dass
ein Kind sich nicht mehr unbändig freuen
darf, ohne dass es gleich in Verdacht gerät, ein
ADS zu haben.
Nach der Abklärung durch einen guten Kinderarzt und dem Abgeben des Arztzeugnisses, in welchem Ivana als normal entwickeltes
Kind ohne Auffälligkeiten geschildert wurde, haben sich die Wellen gelegt und seither
gab es nie mehr ein Problem in der Schule.
Mit Luna hatten wir diesbezüglich grössere
Probleme, sie wollte nicht in die Schule gehen, wir hatten drei Monate lang ein schreiendes Kind, waren traurig, wütend, müde;
niemand zeigte Verständnis dafür oder reichte uns die Hand, damit die Schulangst
verschwinden konnte. Nun hat sie eine
Superlehrerin, jetzt fühlt sie sich wohl. Luna
braucht jemanden, der sie an der Hand
nimmt.“
Herr E.: „Wenn wir denjenigen Menschen
aus unserem Umfeld, die nicht wissen, dass
Ivana adoptiert ist, erzählen würden, dass eines unserer Mädchen ein Adoptivkind ist
und sie raten lassen würden, welche von den
beiden, würden sicher 80% auf Luna tippen.“
Ist es Ihnen gelungen, die Ressourcen des
Kindes wahrzunehmen?
Frau E.: „ Wir sehen die vielen Ressourcen,
die Ivana hat. Wir sehen aber auch, dass sie
durch ihr sehr soziales Verhalten und ihre
Zuvorkommenheit Gefahr läuft, unterzugehen. Wir bestärken sie darin, sich mehr für
sich selbst zu wehren.“
Wie ist es Ihnen gelungen, das Kind zu fördern ohne es zu überfordern?
Herr E.: „Ivana muss eher gebremst werden,
sie ist extrem ehrgeizig. Wenn sie keinen
Sechser hat in einer Prüfung empfindet sie es
schon fast als Katastrophe. Sie ist auch sehr
sozial. Zum Beispiel: Vor dem Abflug in die
Ferien standen wir alle vor dem Schalter.
Plötzlich sahen wir Ivana nicht mehr. Wir
entdeckten sie dann viele Reihen hinter uns.
Auf unsere Frage sagte sie: „Ich dachte, ich
lasse diese Leute vorbei gehen, ich komme
dann schon noch an die Reihe.“
Frau E.: „Es besteht eher die Gefahr, dass Ivana untergeht. Wir lehren sie, sich für sich
selbst zu wehren. Ivana hat ein grosses Harmoniebedürfnis, wenn ich mal mit Luna
streite, will sie schlichten, will helfen, die
Welt wieder in Ordnung zu bringen. Ich sage
dann zu ihr: „Du musst nicht helfen, das ist
ein Problem zwischen Luna und mir, mit dir
hat es nichts zu tun.“
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Konsequent sein ist oft
auch hart für uns Eltern
Interview-Partner: Ehepaar B.
Adoptivtöchter: *Alexia, geb. im August 1995 und
*Savina, geb. im April 1997
*Namen geändert
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Interview durchgeführt von
Veronika Weiss
ndert
Vorbereitende Phase
Wie haben Sie die Wartezeit erlebt?
Wie haben Sie den Prozess erlebt?
Sozialabklärung, Vorbereitungskurs, Austausch mit andern Adoptiveltern oder
Adoptierten?
Frau B.: „Die zweijährige Wartezeit war
speziell für mich qualvoll. Die Ungewissheit nagte an mir, ich war auch im Berufsleben nicht mehr glücklich. Ich überlegte
mir, was ich machen würde, falls es mit der
Aufnahme eines Kindes nicht klappen
würde. Ich veränderte meine Berufssituation, nahm eine andere Stelle an, ging eine
Woche mit meiner Schwester in die Ferien,
um etwas Abstand zu gewinnen. Trotz allem fand ich keine befriedigende (erfüllende) Zukunftsperspektive ohne Kind. Die
Beziehung zu meinem Mann litt auch darunter.“
Frau B.: „Ich habe den Prozess als qualvoll
in Erinnerung; das Schwierigste für mich
war vor allem der offene Ausgang, verbunden mit der Frage: „Was wollen wir machen, wenn wir kein Kind bekommen?“
Das Verfahren empfand ich als langwierig,
so viele Formulare mussten ausgefüllt werden. Grundsätzlich finden wir es schon
richtig, dass Paare, die adoptieren wollen,
durchleuchtet werden. Die Gespräche
während der Sozialabklärung empfanden
wir als sinnvoll. Ich fühlte mich als Frau
verletzt, da ich kein leibliches Kind bekommen konnte.“
Herr B.: „Wir machten in einer Selbsthilfegruppe für kinderlose Paare mit, was uns
bei der Verarbeitung und dem Akzeptieren
lernen der Kinderlosigkeit geholfen hat.“
Frau B.: „Seit der Aufnahme des ersten
Kindes hat die ganze Vorgeschichte an Bedeutung verloren. Die Sozialabklärung
beim Antrag für ein zweites Kind war für
uns problemlos, da wir ja bereits eine Familie waren. Bei der zweiten Sozialabklärung
wurde uns so richtig bewusst, wie viel
Druck bei der Erstabklärung dadurch erzeugt wurde, dass wir uns immer auch mit
der Frage auseinander setzen mussten, wie
wir die Zukunft allenfalls ohne Kinder
sinnvoll gestalten möchten.“
Herr B.: “Für mich wäre es gut vorstellbar
gewesen, kinderlos zu bleiben. Ich bin sehr
gerne Vater, aber für mich war Vaterschaft
nicht existentiell.“
Frau B.: „Ich wurde so erzogen, dass die
Mutterschaft für eine Frau die Erfüllung ist.“
Was haben Sie in Bezug auf die bevorstehende Adoption erwartet, erhofft oder befürchtet?
Frau B.: „Ich hatte keine Befürchtungen.“
Herr B.: „Ich hatte schon gewisse Ängste
davor, dass das Kind intelligenzschwach
sein könnte.“
Frau B.: „Meine Vorstellung war einfach
das Kind selbst, ohne Gedanken daran, wie
es werden sollte. Ich wollte einfach eine Familie haben, sein wie die meisten anderen
(Freunde, Schwester). Ich wünschte mir,
das weiter zu geben, was ich in meinem Elternhaus mitbekommen und selbst an
Lebenserfahrungen dazu gewonnen habe.“
Aufnahme des Kindes
Wie haben Sie diese Phase erlebt?
Frau und Herr B. bekamen telefonisch Bescheid, dass sie als zukünftige Adoptiveltern ausgewählt worden sind. Frau B.:
„Ich verstand am Telefon nicht einmal, ob
es ein Junge oder ein Mädchen ist. Der Anruf löste bei mir einen schockähnlichen Zustand aus, ich getraute mich nicht wirklich,
zu glauben, dass das nun wahr ist. Die Freude über diese langersehnte Nachricht kam
aber dann schnell.“
Herr B.: “Wir bauten das Haus um, gestalteten es kindgerecht. Im November 95
konnten wir die kleine Alexia nach Hause
nehmen.“
Wie haben Sie die Übergabe des Kindes erlebt? Was haben Ihnen die Begleitung
durch die Übergangspflegefamilie und der
Austausch mit ihr gegeben?
Herr B.: „Mit den Übergangspflegeeltern
hatten wir einen wunderbaren Kontakt.
Die Besuche bei ihnen und Alexia waren
sehr positiv. Wir bekamen gute Tipps und
lernten den Alltagsrhythmus des Kindes
und seine Vorlieben kennen.“
Frau B.: „Den Moment, als wir Alexia nach
Hause nehmen konnten, empfanden wir
23
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als unbeschreiblich schön. Die ganze
Nachbarschaft und die Eltern von meinem
Mann waren da und alle hiessen Alexia
willkommen, was für uns ein sehr positives
Erlebnis war. Aus unserem sozialen Umfeld
bekamen wir nur positive Reaktionen.“
Wie haben Sie das Einleben des Kindes erlebt? Wie hat sich dies auf Ihren Alltag
und Ihre Beziehung ausgewirkt?
Frau B.: „Obwohl ich über die Aufnahme
von Alexia sehr glücklich war, fand ich die
Umstellung von der Berufstätigkeit zur
Aufgabe als Familienfrau schwieriger, als
ich gedacht hätte. Es fehlte mir der Austausch mit den Arbeitskolleginnen und
–kollegen. Ich suchte und fand dann aber
schnell Kontakt zu anderen Müttern, was
mir sehr gut getan hat.“
Herr B.: „Als Paar ging es uns wie vermutlich allen anderen Eltern, wir gingen nur
noch selten weg und mussten – auch am
Wochenende – früh aufstehen. Wir hatten
ja noch Glück, Alexia schlief gut. Unsere
zweite Adoptivtochter, Savina, hat jedoch
bei Vollmond Ramba Zamba gemacht.“
Frau B.: „Alexia kam nachts zu uns ins
Bett, sie brauchte Nähe, Savina kam nie,
sie rief nach dem Mami, ich musste zu ihr
hingehen und sie trösten. Während der
Eingewöhnungsphase beider Kinder hatten wir wenig Zeit für die Paarbeziehung,
wir haben es aber nicht negativ empfunden, wir wollten ja Eltern sein. Wir bemühten uns zuerst darum, dass jeder Partner zwischendurch individuelle Freizeit
hat. Nach den ersten Jahren mit den Mädchen konnten wir wieder Zeitinseln zu
zweit finden.“
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Was haben Sie bezüglich der Entwicklung
der Beziehung zwischen Ihnen und dem
Kind beobachtet?
Frau B.: „Die Beziehung zu Alexia und
Savina hat sich sofort zu entwickeln begonnen.“
Herr B.: „Gegenüber beiden Kindern war
nie ein Gefühl von Fremdheit da.“
Vertrauensbildung: Woran merkten Sie,
dass das Kind beginnt, Vertrauen zu fassen?
Frau B.: „Mit der Beziehung ist auch das
Vertrauen gewachsen. Ich musste, als Alexia noch klein war, unvorhergesehen den
Blinddarm operieren. Es hat die Kleine
verunsichert, dass alles plötzlich anders gelaufen ist.“
Herr B.: „Ich habe dann aber die gewohnten
Rituale beibehalten, was sehr geholfen hat,
Alexia zu beruhigen. Wir halten Rituale für
sehr wichtig, da sie Sicherheit und Vertrauen
geben. Auch heute noch pflegen wir Rituale,
zum Beispiel, dass wir gemeinsam den Abend
abschliessen, bevor wir ins Bett gehen.“
Gab es Auffälligkeiten bezüglich Verhalten des Kindes?
Herr B.: „Bei beiden Töchtern gab es keine
speziellen Auffälligkeiten. Bei Savina ist es
vorgekommen, dass sie nachts aufgestanden ist und hysterisch geweint hat. Dies
hat uns als Eltern zuerst so beunruhigt,
dass wir einmal um 2 Uhr in der Nacht
Richtung Kinderspital gefahren sind.
Doch kaum sass Savina im Auto, hat sie
mit Schreien aufgehört. Wir hatten aber
nie das Gefühl, dass das Verhalten mit der
Adoption zu tun hat. Wir hatten wenig
Schwierigkeiten mit den Kindern. Beide
Töchter hatten keine besonderen Probleme, waren auch immer gesund.“
Frau B.: „Savina ist sehr beliebt in der
Schule, sie ist offen und sozial, geht auf
Menschen zu, knüpft rasch Freundschaften. Sie war am Pfadfinder-Weltkongress
und hat seither Freunde in aller Welt.
Alexia ist in den Klassen auch immer gut
aufgenommen worden. Sie ist grundsätzlich sehr kritisch und wählerisch. Beide
Töchter werden auch von aussen als normale Jugendliche wahrgenommen.“
Waren Sie deshalb manchmal verunsichert? Machten Sie sich zum Beispiel Gedanken, bezüglich dem, was das Kind wohl
bereits mitgebracht hat (Genetik)?
Frau B.: „Es gab keine Verunsicherung, da
besondere Auffälligkeiten fehlen.“
Weiterer Verlauf
Welche Erfahrung machten Sie mit Ihrer
Erziehungshaltung? Unterschiede, Handhabung, Austausch?
Herr B.: „Die Töchter werfen uns vor, wir
seien streng, ihre Kolleginnen dürften viel
mehr machen. Wir wollen nicht bei anderen Eltern „abluege“, wie wir es machen sollen, wir haben unsere Prinzipien. Zum Teil
empfinden wir uns selbst als streng. Ich bin
in Sachen Schule sehr streng, vielleicht weil
ich selbst als Jugendlicher sehr ehrgeizig
war. Manchmal habe ich Mühe, zu verstehen, dass meinen Töchtern in mancher
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Hinsicht dieser Ehrgeiz fehlt. Wir sprechen
offen miteinander über alles. Savina ist
nicht gerade eine begeisterte Schülerin. Ihr
ist vor allem wichtig, den Dialog mit Kolleginnen und Kollegen zu behalten.“
Frau B.: „Wir geben den Töchtern zu spüren, dass wir uns für sie interessieren, das ist
manchmal auch unbequem. Wir sind konsequent, manchmal kracht es halt dann
auch. Wenn Eltern ihre Kinder lieben,
müssen sie Grenzen setzen, z.B. bei digitalen Medien. Konsequent sein, ist oft auch
hart für uns Eltern (z.B. wenn eine der
Töchter eine Woche ohne Compi und
Handy auskommen muss). Savina kann
laut ausrufen, z.B. wegen der Ordnung im
Zimmer. Alexia und Savina müssen auch
zu Hause ihre Aufgaben übernehmen.“
Gab es Gedanken, ob es bei einem leiblichen Kind anders verlaufen wäre, sich andere Themen ergeben hätten etc.?
Herr B.: „Wir fragten uns schon manchmal,
wie es mit leiblichen Kindern gewesen wäre. Ich denke, ich war in der Schule ambitiöser, meine Töchter begnügen sich mit
dem Notwendigen. Andererseits bin ich
sehr stolz auf die musikalische Begabung
der einen Tochter, das hätte sie von mir
nicht erben können. Mein Traum wäre,
dass sie dieses Talent ausbauen könnte. Ich
habe festgestellt, dass es besser ist, wenn ich
nichts sage, dann macht sie eher was. Sie
sagt jeweils „ich bin ich und anders als du“.
Als Eltern möchte man schon gerne, dass
das Kind gut ist in der Schule; gut integriert sind aber beide in hohem Mass.“
Frau B.: „Beide waren lange bei den
Pfadfindern, Savina auch heute noch.
Dort lernten sie viel im sozialen Umgang
miteinander und in der Gruppe, im Bewältigen von schwierigen Situationen.
Alexia war Leiterin, Savina ist jetzt
Hilfsleiterin.“
Herkunft
Welche innere Haltung haben Sie gegenüber den leiblichen Eltern?
Frau B.: „Wir sind den Müttern für das Geschenk, das sie uns gemacht haben, sehr
dankbar, wir beten immer auch für die leiblichen Mütter von Alexia und Savina. Ich
denke viel an diese Frauen, bin ihnen dankbar, dass sie die Kinder ausgetragen haben.
Wir haben dadurch nun die Möglichkeit,
Alexia und Savina auf ihrem Lebensweg ein
Stück zu begleiten. Wir sind uns bewusst,
dass die Töchter irgendwann mehr über ihre Herkunft wissen und wahrscheinlich
auch ihre leiblichen Eltern kennen lernen
möchten. Es macht uns keine Angst.“
Wann und in welcher Form begannen Sie
mit dem Kind über die Herkunft und Geschichte zu kommunizieren, z.B. in Bezug
zum Herkunftsland, das Land bereisen, etc.?
Frau B.: „Alexia und Savina wissen von
uns, seit sie ganz klein sind, dass wir sie
adoptiert haben. Alexia fragte noch gar
nie nach ihrer Herkunft, stellte auch keine Fragen wegen ihrer dunkleren Hautfarbe. Die Töchter wissen, dass wir sie unterstützen werden, wenn sie mehr wissen
oder nach ihren leiblichen Eltern suchen
lassen möchten. Wir bewahren alle Adoptionsunterlagen offen in einem Schrank
auf.“
Hat das Kind später aus eigenem Bedürfnis Fragen gestellt, wollte mehr wissen?
Frau B.: „Savina fragte früher „weshalb hat
sie mich weg gegeben?“ Wir erzählten ihr,
was wir über ihre leibliche Mutter wissen.
Kürzlich wusch ich die Jacke von Savina
und fand darin ihren Geburtsschein. Ich
sprach es an, Savina sagte, ihre Kollegin
habe ihren Geburtsschein sehen wollen, da
ihre Mutter auch adoptiert wurde.“
Wenn nicht, haben Sie dem Kind hin und
wieder diesbezüglich Angebote gemacht?
Herr B.: „Wir bieten das Thema schon ab
und zu an, zum Beispiel, wenn wir an die
GV der Fachstelle gehen. Zurzeit haben
wir den Eindruck, dass beide Töchter, vor
allem aber Alexia, das Thema eher meiden.
Wir glauben, dass Savina die erste sein
wird, die mehr über ihre Herkunftsfamilie
erfahren möchte.“
Gab es eine Phase, in der die Herkunft
zum zentralen Thema wurde, oder wurden
diesbezügliche Fragen vom Kind eher abgewehrt?
Frau B.: „Bisher wurden solche Fragen eher
abgewehrt.“
Entwicklung / Schule
Gab es bei der Einschulung und im weiteren Verlauf in der Schule Probleme?
Frau B.: „Wie erwähnt, waren beide Töchter in den Klassen immer beliebt. Alexia
lernt relativ leicht, ist aber eher eine Minimalistin. Savina muss sich mehr anstrengen,
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um gute Noten zu erzielen, sie ist diesbezüglich auch nicht besonders ehrgeizig.“
Wenn ja, was haben Sie in diesem Zusammenhang bezüglich Ihren Erwartungen
festgestellt?
Herr B.: „Ich habe manchmal Mühe, zu akzeptieren, dass – vor allem Alexia als Gymi-Schülerin – nur eben den allernötigsten
Aufwand betreibt, um in der Klasse bleiben zu können. Ich habe inzwischen gelernt, dass es kontraproduktiv ist, wenn ich
diesbezüglich zu viel Druck mache, aber
einfach „laisser-faire“ will ich auch nicht
hinnehmen, es geht ja um die berufliche
Zukunft. So gibt es halt eher Diskussionen
um Sinn- und Wertfragen und nicht direkt
um Leistungsfragen.“
ken, das heisst, wenn die Töchter etwas
wollen, so müssen sie es dann auch eine gewisse Zeit durchziehen. Savina spielte zwei
Jahre lang Querflöte, sie ging in die Proben, übte aber nicht zu Hause. Wir sagten,
wenn du keine Zeit fürs Üben investieren
willst, dann hörst du mit dem Querflöte
Spielen auf.“
Pubertät
War eine ausreichend grosse Vertrauensbasis da, um auch in dieser Phase Boden zu
geben?
Frau B.: „Ja, ich denke schon. Beide haben
viele Ressourcen und Fähigkeiten. Alexia
ist musikalisch sehr begabt und Savina hat
grosse soziale Kompetenzen. Wir anerkennen und fördern diese speziellen Kompetenzen und sind auch sehr stolz auf unsere
Töchter.“
Frau B.: „Ja, wir haben eine gute
Vertrauensbasis und unsere Töchter haben
dieses Vertrauen auch noch kaum missbraucht. Wir sind sehr offen im Gespräch,
unterhalten uns über alles miteinander,
auch über Probleme und Schwierigkeiten.
Es kann dann schon auch mal laut werden.
Alexia und Savina sind dabei sich abzunabeln, sie können auch mal ganz schön
ausrufen, aber wir diskutieren die anstehenden Themen aus und legen Wert darauf, die Abende – auch nach heftigen
Gesprächen – gemeinsam gut ausklingen
zu lassen.“
Wie ist es Ihnen gelungen, das Kind zu fördern ohne es zu überfordern?
Haben Sie sich mit anderen (leiblichen)
Eltern ausgetauscht?
Herr B.: „Ich bremse bei Alexia, sie tendiert dazu, mal dies mal jenes zu wollen
(Tanzen, Musik, Reiten etc.). Sie möchte
viel zu viel; ich versuche, ihr klar zu machen, dass sie Prioritäten setzen muss, damit sie sich nicht überfordert und auch
noch Zeit hat für die Schule. Alexia kann
sich schnell für etwas begeistern. Wir als
Eltern versuchen, dies in Bahnen zu len-
Frau B.: „Wir haben natürlich Kontakt mit
anderen Eltern, die leibliche Kinder haben.“
Ist es Ihnen gelungen, die Ressourcen des
Kindes wahrzunehmen?
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Haben Sie sich in diesem Prozess anders
erlebt als leibliche Eltern - z.B. während
des Ablösungsprozesses, wenn Kinder sich
von den Werten der Eltern abzugrenzen
beginnen, wenn sich Eltern als Person in
Frage gestellt fühlen, Fremdheitsgefühl,
etc., dies vor allem auch im Zusammenhang mit einer allfälligen Herkunftssuche?
Frau B.: „Wir konnten bisher keine Unterschiede im Verhalten unserer Kinder/
Jugendlichen feststellen, die wir mit der
Adoption in Zusammenhang bringen
könnten. Unsere Kolleginnen, die leibliche
Kinder haben, kochen auch mit Wasser.
Wir gehen aber davon aus, dass Alexia und
Savina, wenn sie persönlich so weit sind,
mehr über ihre Herkunftseltern wissen und
sie eventuell auch kennen lernen möchten.
Mit dieser Situation müssen sich Eltern mit
leiblichen Kindern nicht auseinander setzen. Wir schätzen es aber so ein, dass auch
dann kein Fremdheitsgefühl gegenüber unseren Töchtern aufkommt.“
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Wir haben
unser Angebot erweitert
WIR
beraten und unterstützen Einzelpersonen, Familien
und das Bezugsfeld des Kindes mit einem
interdisziplinären Fachteam in Krisensituationen
und/oder langfristigen, regelmässigen Kontakten
•
•
ressourcen- und lösungsorientiert
mit systemischem Ansatz
vermitteln bei Bedarf spezialisierte
therapeutische Angebote
•
•
•
•
Familientherapie
individuelle Psychotherapie
des Kindes
Gruppentherapie
spezifische Themen im
therapeutischen Prozess
mit Adoptierten
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Spannungsfelder
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Veronika Weiss
Beim Durchlesen der Interviews fallen –
neben unterschiedlichen Aussagen – doch
einige Parallelen auf. Diese zeigen, dass
von der Auseinandersetzung mit der Kinderlosigkeit bis zum Alltag als Adoptivfamilie immer wieder Spannungsfelder auftreten, die mit dem Kinderwunsch und
der ganz besonderen Familienform zusammenhängen.
Solche Spannungsfelder bieten die Chance, sich vertieft mit den jeweiligen Themen
auseinander zu setzen. Sie machen das Leben spannend!
Auseinandersetzung
mit der Kinderlosigkeit
Lässt sich der Kinderwunsch weder auf natürlichem Weg noch mit Hilfe der Fortpflanzungsmedizin verwirklichen, beginnt
für jedes Paar die Auseinandersetzung mit
Fragen nach der Zukunftsgestaltung.
In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Männer sich, auch wenn sie gerne Väter wären, in
der Regel recht gut ein ausgefülltes Leben ohne Kinder vorstellen können. Für Frauen ist
der Kinderwunsch meist existenzieller.
Jedes Paar muss für sich einen Weg suchen, mit den vielleicht unterschiedlichen Prioritäten umzugehen, einen guten Kompromiss zu finden, oder sich allenfalls auch zu trennen. Dies erfordert
viel Ehrlichkeit und Offenheit von beiden Partnern. Gelangt ein Paar schliesslich zum Entscheid, einen Adoptionsan-
trag zu stellen, steht ihm ein längerer
Weg bevor.
Informationsveranstaltung,
Vorbereitungskurs
Die Informationsveranstaltung bietet den
Paaren die Möglichkeit, die Abläufe kennen zu lernen, also einen ersten Einblick in
einen Adoptionsprozess zu gewinnen und
zu erfahren, worauf man – sollte man sich
für ein Verfahren anmelden wollen – besonders achten soll.
Im Vorbereitungskurs wird vertieft auf
Themen wie: Motivation und Erwartungen; ein Kind aufnehmen; mögliche Probleme in Adoptivverhältnissen und Hilfsangebote; Zukunft mit oder ohne Adoptivkind, eingegangen.
Die sichtbare „Konkurrenz“ an den meist
gut besuchten Anlässen führt bei vielen
Paaren dazu, dass sie Vergleiche anstellen,
sich zum Beispiel denken: wir sind zu jung,
zu alt, zu wenig gebildet, zu wenig wohlhabend; kurz, wir haben kaum eine Chance
auf ein Adoptivkind. Der Kurs kann auch
bewirken, dass ein Paar sich vom ursprünglichen Gedanken, ein Kind zu adoptieren,
wieder distanziert. Während der Kurse entstehen aber oft auch wertvolle Freundschaften, die über viele Jahre andauern.
Sozialabklärung
Die Paare müssen bei der Sozialabklärung
sehr viel Persönliches von sich preisgeben.
Praktisch alle Paare haben – zumindest
im Vorfeld – einige Widerstände gegen
einen solchen „Seelenstriptease“. Biologische Eltern würden schliesslich nicht geprüft und doch seien einige von ihnen
nicht in der Lage, angemessen für ihre
Kinder zu sorgen, äussern sich Paare über
Beobachtungen in ihrem Umfeld. Das Erkennen, dass Adoptivelternschaft zusätzliche Anforderungen stellt und dass stets
das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen muss und nicht die eigenen Bedürfnisse, bedarf eines Prozesses. Wer adoptieren will, muss sich auf diese besondere Art
der Elternschaft einlassen, sich zum Beispiel eingehend damit auseinander setzen,
welch wichtige Rolle die biologischen Eltern und die Herkunftsgeschichte des
Kindes spielen und wie man als Adoptiveltern damit umgehen soll. Andererseits
wird den Paaren gesagt, dass es keine Garantie auf ein Adoptivkind gibt, dass sie
sich nicht zu sehr auf ein Kind fixieren
und ihr Leben weiter leben sollen. Diese
zweigleisige Zukunftsplanung ist ein hoher Anspruch.
Wartezeit
Hat ein Paar die Eignungsbescheinigung
erhalten, beginnt die Zeit des Wartens auf
ein Kind. Hier zeigt sich in den Interviews, dass – vor allem die Frauen – sich
sehr bemühen, die Adoptionsgedanken
möglichst zu verdrängen. Sie decken sich
mit Arbeit ein, beginnen eine Weiterbildung ... und doch funktioniert diese Verdrängung oft nicht, im Hinterkopf hat
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sich der Gedanke an die Aufnahme eines
Kindes – an einen erlösenden Telefonanruf – fest eingenistet. Viele Paare getrauen
sich kaum, weiter weg in die Ferien zu
fahren, aus Angst, nicht erreichbar zu
sein, wenn sie einen Kindervorschlag erhalten sollten. Der Versuch, sich eine erfüllte Zukunft – auch ohne Kinder – vorzustellen und entsprechend zu planen, gelingt den Männern meist besser als den
Frauen. Je länger die Wartezeit dauert, desto höher wird der Druck, da bald einmal
die Bewilligung ablaufen wird und man
dann vielleicht zu alt ist, um nochmals einen Adoptionsantrag zu stellen.
Kindervorschlag
Erhält ein Paar den lange ersehnten Anruf,
dass es als zukünftige Adoptiveltern für ein
Kind ausgewählt worden ist, so löst dieses
Telefon öfters einen schockartigen Zustand
aus. Der angerufene zukünftige Adoptivelternteil kann gar nicht glauben, dass es nun
tatsächlich so weit ist, ist wie gelähmt, es
fallen ihm gar keine Fragen ein, er braucht
Zeit und ganz dringend ein Gespräch mit
dem Partner. Bald macht der Schock der
Freude Platz, es wird gefeiert, zu zweit oder
mit Verwandten und Freunden. Oft folgt
dann beim Paar das Bewusstwerden der
Verantwortung, die es bald – und für lange
Zeit – für diesen kleinen Menschen übernehmen wird. Drängende Fragen werden
wach, wie: wer ist das Kind, wer sind seine
Eltern, ist es gesund, zeigt es Besonderheiten, wie sieht es aus?
Vorstellungen vom Kind
Die meisten adoptionswilligen Paare wünschen sich ein gesundes Kind oder allen-
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falls ein Kind mit einer leichten, heilbaren
Beeinträchtigung. Was den familiären
Hintergrund oder das, was ein Kind allenfalls an Anlagen oder bereits Erlebtem mitbringen könnte, angeht, sind die Vorstellungen der adoptionswilligen Partner öfter
unterschiedlich.
Frauen sind in der Regel mehr von Emotionen geleitet, sie möchten einfach gerne ein
Kind und wollen es so nehmen, wie es ist.
Männer überlegen meist rationaler, sie entwickeln eher Ängste oder Bedenken, wie
sich das Kind schulisch oder charakterlich
entwickeln könnte. Für sie dauert deshalb
der Prozess, bis sie zu einem Adoptivkind ja
sagen können, oft etwas länger.
Nach der Aufnahme
eines Kindes
Wie auch aus den Interviews hervorgeht,
bemühen sich die Adoptiveltern, das
Kind nicht zu sehr zu analysieren und seine Verhaltensweisen möglichst nicht
gleich mit dem Adoptiertsein in Zusammenhang zu bringen ... und doch ... im
Hinterkopf machen sich bei vielen Adoptiveltern immer wieder Fragen breit, wie:
Woher hat es dieses Verhalten, was liegt
ihm zugrunde, wo müssten wir Lösungsansätze suchen?
Es ist ein schwieriger, anspruchsvoller Spagat zwischen dem Anspruch, möglichst
„normale“ Familie zu sein, das Kind mit
liebevoller Unterstützung wachsen und
werden zu lassen und den im Hintergrund
doch immer wieder aufkeimenden Fragen,
was das Kind eventuell „mitgebracht“ haben könnte und ob man es nicht doch auf
andere Art unterstützen müsste.
Eltern und Kinder entwickeln sich gemeinsam, sie lernen gegenseitig voneinander,
wachsen miteinander. Im Laufe dieser Entwicklung gewinnen die meisten Eltern
mehr Sicherheit im Umgang mit ihren
Kindern und vermögen den Einfluss der
Herkunft und dessen, was das Kind allenfalls an Erfahrenem mitgebracht hat, besser zu gewichten.
Umgang mit der Herkunft
des Kindes
Je nach dem, wie viele Informationen über
die biologischen Mütter/Eltern des Kindes
bekannt sind, fällt es den Adoptiveltern
leichter oder schwerer, ein Bewusstsein für
sie zu entwickeln.
Ein anonymer Briefkontakt zwischen
Adoptiveltern und leiblichen Eltern (meist
Müttern), hilft dabei, einen besseren Zugang zu deren Persönlichkeiten zu finden.
Adoptiveltern erzählen ihren Kindern (wie
dringend empfohlen wird) in der Regel von
Anfang an, dass sie bei einem anderen „Mami“ im Bauch gewachsen sind und damit
ausser ihnen noch andere Eltern haben.
Es gibt viele Möglichkeiten, dem Kind mit
der Zeit verständlich zu machen, was
adoptiert sein bedeutet (Bilderbücher, Fotoalben mit Kommentaren, welche die Geschichte des Kindes und der Adoptiveltern
aufzeigen, Erinnerungskisten, in denen
Gegenstände, Fotos und Briefe, welche das
Kind von der biologischen Familie geschenkt bekam, aufbewahrt werden).
Die Kinder gehen aber mit dem Wissen,
adoptiert worden zu sein, sehr unter-
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schiedlich um. Es gibt Kinder, die erzählen
es jedermann, andere wollen nicht, dass jemand Dritter davon weiss. Die einen Kinder stellen immer wieder viele Fragen zur
Herkunft, andere weichen regelmässig aus,
wenn das Thema angeboten wird.
Für die Adoptiveltern ergeben sich aus
beiden Verhaltensweisen Fragen und
Unsicherheiten, wie zum Beispiel: Wie
viel sollen wir dem Kind schon erzählen; was kann es verkraften; ist es in
Ordnung, wenn das Kind unsere Angebote, über die Adoption zu sprechen,
abwehrt; wie sollen wir damit umgehen; machen wir vielleicht etwas
falsch; was löst es in unseren Kindern
aus und was macht es mit uns, wenn sie
ihre leiblichen Eltern kennen lernen
wollen.
Eltern sein...
Spannungsfelder gibt es in allen Beziehungen und bestimmt auch in der Erziehung
jedes Kindes und Jugendlichen.
Eltern sein ist grundsätzlich eine herausfordernde, anspruchsvolle, aber auch belebende und ungeheuer bereichernde Aufgabe. Adoptiveltern übernehmen eine noch
buntere Palette von Erziehungsaufgaben,
mit dem Ziel, dass ihr Kind/ihre Kinder
sich zu selbstbewussten, lebensfrohen, mit
ihrer Geschichte möglichst versöhnten Erwachsenen entwickeln.
Besonders während der Pubertätszeit gewinnt das Thema Herkunft oft an Bedeutung. Die Suche der Jugendlichen
nach sich selbst, das langsame Abnabeln,
Fragen danach, warum man weggegeben
worden ist und Phantasien darüber, dass
die biologischen Eltern für alles mehr
Verständnis hätten und viel mehr erlauben würden, bringen viel Diskussionsstoff in die Adoptivfamilien. Diese Diskussionen sind oft sehr emotional und
fordern Eltern und Jugendlichen viel an
Geduld, Verständnis und Durchhaltevermögen ab. Schliesslich können sie aber
enorm dazu beitragen, die jungen Adoptierten – mindestens ein Stück weit –
mit ihrer Geschichte zu versöhnen.
Manchmal kann es hilfreich sein, schon
in dieser Phase einen Kontakt mit den
leiblichen Eltern herzustellen, sofern
diese sich damit einverstanden erklären
können.
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