(Stillkinder) EvThom 22 (Mt 18,3 / Lk 18,17 / Mk 10,10f

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(Stillkinder) EvThom 22 (Mt 18,3 / Lk 18,17 / Mk 10,10f
Einssein an Gottes Brust (Stillkinder) EvThom 22 (Mt 18,3 / Lk 18,17 / Mk 10,14f.)
(22,1) Jesus sah Kleinkinder, die Milch tranken. (2) Er sagte zu seinen Jüngerinnen und
Jüngern: „Diese Kleinkinder, die Milch trinken, gleichen denen, die in das Königreich
hineingehen.“ (3) Sie sagten zu ihm: „Werden wir etwa als Kleinkinder in das Königreich
hineingehen?“ (4) Jesus sagte zu ihnen: „Wenn ihr die zwei zu einem macht und das Innere
wie das Äußere und das Äußere wie das Innere macht und das Obere wie das Untere, (5) und
zwar so, dass ihr das Männliche und das Weibliche zu einem einzigen macht, damit das
Männliche nicht männlich, das Weibliche nicht weiblich sein wird, (6) wenn ihr Augen
anstelle eines Auges macht und eine Hand anstelle einer Hand und einen Fuß anstelle eines
Fußes und ein Bild anstelle eines Bildes, (7) dann werdet ihr hineingehen in das Königreich.“
Sprachlich-narrative Analyse
Die eigentliche Parabel findet sich im Jesuswort aus V. 2. Die denkbar kurze
Handlungssequenz erzählt von Milch trinkenden, d.h. gestillt werdenden Säuglingen. Die
Handlung der Kleinkinder ist übertragen auf die verbreitete Metapher vom Hineingehen ins
Königreich. Die einleitende Szene (V. 1) ist vermutlich aus dem Jesuswort entwickelt, denn
sie stimmt wörtlich mit V. 2 überein. Jesu Sehen verweist auf die Handlung der Kinder.
Die Frage der Jüngerinnen und Jünger in V. 3 stellt die ausgeführte Metapher der Milch
trinkenden Kinder erneut ins Zentrum. Obgleich die Frage nicht gewertet wird, unterstreicht
sie die metaphorische Bedeutung der Handlungssequenz, indem sie sich gegen diese verwehrt.
Die Jüngerinnen und Jünger verstehen ‚Kleinkinder’ wörtlich. Das sich in V. 4-7
anschließende Jesuswort beantwortet die Frage nur indirekt. Das Wort ist auch ohne den
Kontext dieser Parabel überliefert (s.u.). Zwei Konditionalsätzen, die die Vereinigung von
Gegensätzen beschreiben, folgen in V. 5 zwei finale Aussagen über die Aufhebung der
Geschlechterdifferenz und in V. 6 weitere Konditionen, die zu einem Um- oder
Neubildungsprozess von Körperteilen auffordern. Zum Abschluss ist die Metapher vom
Hineingehen ins Königreich erneut aufgenommen. V. 3-7 geben also eine erste Interpretation
der Parabel von den Milch trinkenden Kleinkindern durch die Gemeinde des
Thomasevangeliums.
Sozialgeschichtliche Analyse
Ji erwte (ji er
heißt ‚Milch nehmen, aufnehmen, empfangen, erhalten, bekommen’
etc., aber auch ‚saugen’ und ‚säugen’. Griechisch könnte hier lamba,nein (lambanein) oder
qhla,zein (
) gestanden haben. Letzteres würde genauer ins Bildfeld passen (Fieger,
1991, 99). koui (koui), Kind, Kleinkind, kann griechisch mit paidi,on wiedergegeben
werden. Paidion ist das Kind bis zum 7. Lebensjahr. Die Stillzeit dauert allerdings nur zwei
bis drei Jahre (Neumann/Sigismund, 2005, 53-55), so dass hier sicher an Säuglinge gedacht
ist (vgl. Lk 18,15). Kleinstkinder sind durch Säuglingssterblichkeit und Kinderaussetzung zur
Geburtenkontrolle stark gefährdet. Bei Griechen und Römern fand die Annahme des Kindes
am 7. Tag nach der Geburt durch den Vater statt. Hob der Vater es nicht vom Boden auf,
wurde das Kind ausgesetzt und eventuell von anderen als Sklavin oder Sklave aufgezogen
(Deißmann-Merten, 1986, 285; Eyben, 1986, 324). Dennoch ist es sicher zu pauschal, der
Antike fehlende Liebe zu Kleinstkindern vorzuwerfen (Dixon, 1988, 104-167; Golden, 1990,
Rawson 2003). Im Falle der Annahme des Kindes suchten Oberschichtfamilien häufig
Ammen, die die Stillarbeit übernahmen. Die Amme hatte das Überleben des Kindes zu
garantieren und gegebenenfalls sogar Ersatz zu besorgen (Hengstl, 1972, 63-69). Weniger gut
situierte Mütter stillten selbst. Antike Moralphilosophen entdeckten einen großen Einfluss in
der Erstbeziehung zur Mutter oder Amme und rieten daher zur sorgfältiger Achtsamkeit
(Deißmann-Merten, 1986, 291-294; Eyben, 1986, 327-331). Die Phase der Kindheit wird in
der griechischen und römischen Antike als Teil einer Entwicklung begriffen, die ihren
Höhepunkt im Erwachsenensein erreicht. Kinder sind noch unfertig und daher unmündig und
unvernünftig. Pais, Paidion kann im Griechischen auch Sklave bzw. Sklavin bedeuten.
Jedoch lässt sich auch große Liebe zu Kindern in der Antike zeigen (Golden, 1990, 1-22;
Rawson, 2003, 17-92). Auf dem Weg zum Erwachsensein (bei Mädchen mit 12 Jahren, bei
Jungen mit 14 Jahren) wird das Kind durch Erziehung geformt und geprägt (DeißmannMerten, 1986, 268-271). In dieser Zeit ahmen Kinder spielend nach und leben im Augenblick
(Eyben, 1986, 333-335). Schließlich übte das Kind in einigen Religionen religiöse Funktionen
aus, gerade weil es noch ungeprägt ist und somit in Übereinstimmung mit Natur und
Weltseele lebt (Herter, 1961, 153f, vgl. Herm 106,1).
Das Milchtrinken von der Mutterbrust ist Bild für innigste Vertrautheit und Unmittelbarkeit
der Beziehung. Clemens von Alexandrien (Clem.) spricht von der „Leben erhaltenden Milch,
die aus zärtlich liebenden Brüsten quillt“ (paedagogus (paed.) 1.35,3; vgl. Dio Chrysostomus,
orationes 12,30f; OdSal 40,1). „Während der Geburt eingerichtet“ wird sie durch die Brüste
gewährt, die sich „zu dem Kind gesellen, als seien sie gelehrt, die von der Natur zubereitete
Nahrung bequem zur rettenden Ernährung darzubieten.“ (paed. 1.41,1). „Diese für das
neugebildete und neugeborene Kind angemessene und zuträgliche Nahrung ist von Gott, dem
Ernährer und Vater der Geborenen ..., gemacht, wie das vom Himmel herkommende Manna.“
(1.41,2 vgl. Philo, virt. 130). Ammen, so Clemens, nennen den ersten Tropfen Milch ‚Manna’
(1.41,3).
Analyse des Bedeutungshintergrunds
Der Bildempfänger ‚Hineingehen in das Reich’ ist eine vielfach in frühchristlichen Schriften
verwendete Metapher (Mk 9,47; 10,15par.; 10,24f par.; Mt 5,20; 7,21; 23,13; Joh 3,5; Apg
14,22; EvThom 49,2; 99,3). Ihr Urbild ist der Einzug Israels in das Land (vgl. Dtn 4,1 u.ö.)
und Gottes Einzug in den Tempel in Jerusalem beim Thronbesteigungsfest (Ps 15,24;
Windisch, 1928, 163-192). Gott und sein Volk ziehen gemeinsam in sein Heiligtum ein. Die
Ausbreitung göttlicher Königsherrschaft und das Hineinkommen der Glaubenden in das
Gottesreich ereignen sich zugleich (Marcus, 1988, 663-675). Anders als die synoptischen
Evangelien spricht das Thomasevangelium nicht von dem Gottesreich oder Himmelreich,
sondern vom Königreich des Vaters (EvThom 99; 113). Es ist bereits gegenwärtig, innerhalb
und außerhalb der Jünger (EvThom 3), auf der Erde ausgebreitet (EvThom 113, King, 1987,
48-53). Hineingehen und Finden des Reiches sind verbunden (EvThom 49, vgl. 2f; 27; 46).
Wer Jesus hört, ist nahe und wird in es hineingehen (EvThom 82; 99).
Klein- bzw. Kindsein ist positiv gewertet. Denen, die klein werden, ist verheißen, das
Königreich zu erkennen (EvThom 46). Wer ein kleines Kind von sieben Tagen nach dem Ort
des Lebens fragt, wird leben (EvThom 4), und diejenigen, die wie Kleinkinder auf den
Kleidern trampeln, werden den Sohn des Lebendigen sehen (EvThom 37). ‚Kindsein’ bzw.
‚Kind werden’ ist Metapher für die neue Identität oder alternative Subjektivität, auf die auch
die Worte vom Suchen und Einswerden zielen (Valantasis, 1999, 55-81).
In EvThom 22,2 ist darüber hinaus eine Handlung der Kleinkinder hervorgehoben, nämlich
ihr Milchsaugen. In biblischer und philosophischer Tradition wird das Bild vom Milchtrinken
häufig übertragen für die Anfangslehre gebraucht, der feste Speise folgen muss (Epict.,
dissertationes II 16,39; Philo, congr. 19; 1 Kor 3,2f; Hebr 5,12f; Schlier, 1933, 644f). Biblisch
kennzeichnet Milch auch das verheißene Land, in dem Milch und Honig fließen (Ex 3,8.17),
und zugleich die eschatologische Heilszeit (Joel 3,18; Jes 60,16). Die Metapher steht für
Erlösung. 1 Petr 2,2 fordert dazu auf, wie eben geborene Säuglinge nach der vernünftigen,
unverfälschten Milch zu verlangen, um so in die Rettung und das Heil hineinzuwachsen.
Clemens von Alexandria diskutiert das Trinken von der Mutterbrust als Metapher für die
Speise der Vollkommenen (vgl. Ex 3,8.17; 1 Petr 2,2f). Für ihn ist Stillen Analogie für die
Beziehung der Vollkommenen zu Gott (Clem., paed. 1.25-52; vgl. auch OdSal 35,5). Denn
Christus „pries nicht die weiblichen Brüste selig“ (Lk 11,27f), sondern „der zärtliche und
Menschen liebende Vater, der den Logos herabregnen lässt, ist bereits selbst geistliche Speise
für die Vernünftigen geworden.“ (Clem., paed. 1.41,3). Das Trinken der aus göttlichen
Brüsten fließenden Muttermilch führt auch in den Oden Salomos, einer weisheitlichfrühgnostischen Schrift des 2. Jh. n. Chr., zur Erlösung (OdSal 8,16; 19,5). Auch hier ist die
Geschlechtersymbolik verschoben. Die Milch geht von Gott als Vater aus, Sohn und heiliger
Geist sind die Vermittlungsinstanzen (OdSal 19,1-5; Corrington, 1989).
Zusammenfassende Auslegung
Die Milch trinkenden Säuglinge werden in der ursprünglichen Parabel (EvThom 22,2) mit
jenen gleichgesetzt, die in das Königreich hineingehen und somit an der Ausbreitung der
Königsherrschaft direkt beteiligt sind. Die Parabel betont die Unmittelbarkeit zwischen
Mutter und Kind, Gebender und Empfangenden, den von Gott und der Natur geschenkten
nährenden und rettenden Aspekt (Martin, 1998, 99). Obgleich die Mütter nicht genannt sind,
fällt auf, dass ihre Arbeit, anders als in EvThom 15; 79 und 101,1 (vgl. aber 101,2),
keineswegs abgewertet ist (anders Nash, 2002). Vielmehr ist das Bild des Stillens – ohne
Übertragung auf Vater und Logos – mit dem Ziel Königreich verbunden. Die Parabel von den
trinkenden Säuglingen wird als Bild für Hilflosigkeit und Empfangsbereitschaft verstanden
(Liebenberg, 2001, 477-479) und somit das Eintreten in das Königreich als etwas gedeutet,
das den Menschen begegnet. Andere interpretieren die Milch symbolisch als Anfangslehre
und identifizieren die Stillkinder als neubekehrte Christen, die ihre Anfangslehre in oder nach
der Taufe erhalten (Heininger, 2004, 77). Die spirituelle Deutung des Stillbildes durch
Clemens und die Oden Salomos weist jedoch in eine andere Richtung. Es geht um die
unmittelbare Vereinigung mit dem Göttlichen, das – so die erste Deutung, die EvThom 22,3-7
anschließt – eine gänzlich neue Wahrnehmung der Wirklichkeit bedingt.
EvThom 22,4f ist unabhängig als Jesuswort durch EvÄg (griech) 5 (Clem., Stromata 3.13,92);
2 Clem 12,2-6; EvPhil 69a; ActPetr 38; ActPhil 104 bezeugt. EvThom bringt die
ausführlichste Fassung. Unter der Überschrift Einsmachen von Zweien, wird zur Vereinigung
der Gegensätze Innen und Außen, Oben und Unten und, als Folge, der Aufhebung der
geschlechtlichen Differenz männlich und weiblich und schließlich, dies fehlt in allen
Parallelüberlieferungen, die Neuschaffung von Körperteilen und des Abbildes des Menschen
(22,6) aufgefordert. Aufgrund der Stichworte männlich und weiblich (22,5) sowie Bild (eik
eikwn, 22,6) denken viele Auslegungen an Gen 1,27 und die Vorstellung einer
Rückgestaltung des Menschen in den ursprünglichen (androgynen) Zustand des Menschen
(Adams) vor seiner leibhaften und geschlechtlich differenzierten Existenz (Klijn 1981,
269-278). Die trinkenden Kinder stehen dann für die spirituelle Rückkehr in den
ursprünglichen asexuellen Status vor dem Sündenfall (Kee, 1982, 312, vgl. EvPhil 71).
Jedoch ist Adam im EvThom keine positive Figur (EvThom 46; 85). Daher verstehen andere
Auslegungen EvThom 22 als Aufforderung zu einer asketischen, asexuellen Praxis
(DeConick, 2006, 115-118). Umstritten ist auch, ob die Aufhebung der Geschlechterdifferenz
eine grundsätzliche Überordnung des Männlichen impliziert (Petersen, 1999, 169-178; vgl.
EvThom 114; Philo, opif. 151f u.ö.) oder die Aufhebung der geschlechtlichen Differenzierung
(Heininger, 2004, 100-102) und ob Gal 3,28par. eine ekklesiologische Revision eines
EvThom 22,4-7 ähnlichen Jesuswortes darstellt (MacDonald, 1987) oder umgekehrt die
Tauftradition aus Gal 3,28 durch philosophische Genesisspekulation anthropologisch
umgeformt wurde (Heininger, 2004, 95-100). Die Diskussion zeigt, dass viele Auslegungen
den inhaltlichen Schwerpunkt in 22,5 sehen. Jedoch ist die Aufhebung der geschlechtlichen
Differenzierung ‚männlich’ und ‚weiblich’ Folge der viel grundsätzlicheren und breiter
ausgeführten Überschrift Einheit statt Zweiheit. Es geht dem Wort nicht um die
„Heraushebung eines bestimmten Gegensatzes, sondern um die Aufhebung des Denkens und
Wahrnehmens in Gegensätzen überhaupt“ (Zöckler, 1999, 238). Die trinkenden Kleinkinder
stehen in dieser ersten Auslegung für jene ungetrennte und unmittelbare Verbindung zur
göttlichen Einheit. Sie haben Erwachsenen voraus, nicht in den Kategorien ich und du, außen
und innen, oben und unten, Hand und Fuß, Himmel und Erde zu denken, ja dass sie zunächst
nicht einmal in der Kleidung geschlechtlich differenziert werden. Die Deutung der Parabel
führt jene unmittelbare Beziehung des Milchtrinkens von der Mutterbrust als Bild für jene
unmittelbare Gottesbeziehung aus, die Welt und Wirklichkeit mit neuen Kategorien erkennen
und leben lässt.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte
Die synoptische Tradition kennt ebenfalls Worte, die das Hineingehen ins Gottesreich mit
Kindern (paidion, paidi,on) vergleichen (Mt 18,3; Lk 18,15-17; Mk 10,15). Im Unterschied zu
EvThom 22 ist in der negativ formulierten Einlassbedingung das „wie ein Kind“ jedoch nicht
ausgeführt. Die traditionsgeschichtliche Entwicklung der Worte ist schwer zu bestimmen.
Während einige Auslegungen die Erzählung von Jesu Annahme und Segnung der Kinder als
Ursprung der Spruchbildung Mk 10,15par. ansehen (Mk 10,13f.16; Lindemann, 1983),
entdecken andere hinter Mt 18,3: „Wahrlich ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und
werdet wie die Kinder (hos ta paidia, w`j ta. paidi,a), werdet ihr nicht in das Himmelreich
hineingehen.“, eine Jesustradition, mit der EvThom 22,2 und Joh 3,3.5 verwandt sind
(Crossan, 1983). Matthäus bringt das Wort im Kontext des Rangstreits der Jünger (Mt 18,2
vgl. Mk 9,33-37par.) und denkt an Kinder, die bereits laufen können. „Kinder“ steht für
soziale und ökonomische Niedrigkeit (tapeinoun, tapeinou/n), bzw. physische Kleinheit,
Machtlosigkeit (Mt 18,4). Lk 18,15-17 betont dagegen die Kleinheit der Kinder (brephos,
bre,foj, Säugling Lk 18,15). Im Kontext steht das Bild für religiöse und materielle
Besitzlosigkeit (vgl. Lk 18,9-14.18-27). Die Formulierung aus Mk 10,15: „Wahrlich ich sage
euch, wer das Gottesreich nicht empfängt wie ein Kind (hos paidion, w`j paidi,on), wird nicht
in es hineingehen.“, kombiniert zwei widersprüchliche Metaphern (Liebenberg, 2001, 468f).
Die Formulierung „aufnehmen, annehmen, empfangen (dechesthai, de,cesqai) der
Gottesherrschaft“ ist einzigartig. Offen bleibt, was im abgekürzten Vergleich sinngemäß zu
ergänzen ist. Möglich ist sowohl die objektive Lesung: ‚die Gottesherrschaft aufnehmen(,)
wie (man) ein Kind (aufnimmt)’, also etwa sozial engagiert und zugleich voraussetzungslos
(Stegemann, 1980) oder offen gegenüber dem sozial Niedriggestellten (vgl. Mk 9,47), als
auch die subjektive Lesung: „das Gottesreich empfangen(,) wie ein Kind ((es) empfängt)“,
also durch Aufgabe allen erworbenen Status (Ebner, 2002) oder ohne eigenes Zutun, ganz
angewiesen auf das, was einer und einem geschenkt wird (Liebenberg, 2001, 469-473, vgl.
Mk 10,16). Weitere Assoziationen, die in der Auslegungsgeschichte mit „wie ein Kind“
verbunden werden, sind Unschuld bzw. Nichtkennen des Bösen (Herm 106,1f; vgl. Heckl,
2006), erziehungsfreie Natürlichkeit, Freiheit von Leidenschaften, Unmündigkeit, Gehorsam,
Vertrauen, Akzeptanz der eigenen Kleinheit, Anspruchslosigkeit etc. (Luz, 1997, 13f). Die
Kindheitsmetapher ist in keinem der überlieferten Worte auf einen einzigen Sinngehalt
einzugrenzen. Sie verweist ebenso wie die bildempfangende Metapher vom Eingehen in
Gottes Königsherrschaft auf ein vielfältiges Beziehungsgeschehen.
Literatur zum Weiterlesen
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Angela Standhartinger, Prof. Dr., geb. 1964, Professorin für Neues Testament, Marburg.
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