I.Können Erben Verluste des Erblassers doch nicht
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I.Können Erben Verluste des Erblassers doch nicht
1 I.Können Erben Verluste des Erblassers doch nicht mehr steuerlich geltend machen? Divergenzanfragebeschluss des XI. Senats des BFH vom 10.04.2003 im Volltext und ausführliche Darstellung des Meinungsstandes zum Thema Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers. Anfrage des XI. Senats an den I. Senat und den VIII. Senat: Wird an der Vererblichkeit des Verlustabzugs festgehalten? Der XI. Senat fragt beim I. Senat und beim VIII. Senat an, ob sie an der Auffassung festhalten, dass der Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug gemäß § 10d EStG bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen kann (Urteile vom 16. Mai 2001 I R 76/99, BFHE 195, 328, BStBl II 2002, 487; vom 25. April 1974 VIII R 61/69, nicht veröffentlicht). Beschluss vom 10. April 2003 XI R 54/99 Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom 21. September 1999 III 23/95 (EFG 1999, 1221) Gründe I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist selbständiger Landwirt. Er ermittelt den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der 1983 verstorbene Vater des Klägers hatte ihn testamentarisch zum alleinigen Hoferben bestimmt. Der Erbteil des Klägers am hoffreien Vermögen beträgt 10 v.H., die restlichen Erbteile entfallen auf seine Mutter und seine vier Geschwister. In den Jahren 1980 bis 1982 waren bei dem Erblasser Verluste entstanden, von denen im Wege des Verlustabzugs 1983 lediglich 16 431 DM berücksichtigt werden konnten. In seinen Einkommensteuererklärungen für die Kalenderjahre 1983 bis 1986 beantragte der Kläger, die beim Erblasser nicht ausgeglichenen Verluste bei ihm nach § 10d EStG abzuziehen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) veranlagte erklärungsgemäß und berücksichtigte für 1983 bis 1985 Verlustabzüge in Höhe von insgesamt 32.050 DM und für das Streitjahr 1986 --unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977)-- in Höhe von 59 951 DM. Im Anschluss an eine 1990 durchgeführte Außenprüfung änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 1986 mit der Begründung, dass kein Verlustvortrag mehr zu berücksichtigen sei, da der Kläger nur 10 v.H. 2 der vom Erblasser nicht verbrauchten Verluste hätte geltend machen dürfen. Nach erfolglosem Einspruch machte der Kläger mit seiner Klage u.a. geltend, das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verlange, dass der Verlustvortrag allein ihm als dem nach der Höfeordnung bestimmten Hoferben zustehe, zumal der wesentliche Teil des Nachlasses aus dem Hof bestanden habe. Das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge stehe zumindest im Bereich der Landwirtschaft dem nicht entgegen. Die Klage hatte keinen Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 1221). Dem Kläger sei zuzugeben, dass auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) manches dafür spreche, ihm den Verlustabzug in voller Höhe zu gewähren. Das Finanzgericht (FG) folge dem jedoch nicht; das Recht auf Verlustabzug nach § 10d EStG sei nicht vererblich. Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung des § 45 Abs. 1 AO 1977 und des § 10d EStG. Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer für 1986 unter Berücksichtigung des Verlustabzugs von 59 991 DM festzusetzen. Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. II. 1. Nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist der Erbe berechtigt, nicht verbrauchte Verluste des Erblassers geltend zu machen (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 16. Mai 2001 I R 76/99, BFHE 195, 328, BStBl II 2002, 487). Er muss allerdings durch die Verluste wirtschaftlich belastet sein (Senatsurteil vom 5. Mai 1999 XI R 1/97, BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653). 2. Geht man von der bisherigen Rechtsprechung aus, so ist die Revision begründet. In diesem Falle wäre zu entscheiden, welchen Erben der Verlustabzug zustünde --dem Kläger allein als Erben des Hofes oder der Erbengemeinschaft, die das hoffreie Vermögen geerbt hat, oder dem Kläger und der Erbengemeinschaft--, außerdem, ob der/die Erbe(n) durch die ihm/ihnen zum Abzug zustehenden Verluste wirtschaftlich belastet wären. Der nach der Höfeordnung vererbte Hof (vgl. BFH-Urteil vom 26. März 1987 IV R 20/84, BFHE 149, 557, BStBl II 1987, 561, m.w.N.) und das hoffreie Vermögen bilden zwei Nachlassteile, die unmittelbar zum einen auf den Hoferben und zum anderen auf die Erbengemeinschaft übergehen (vgl. Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 61. Aufl., § 1922 Rnrn. 7, 9). Ein Übergang des gesamten Vermögens des Erblassers als Ganzes auf die Erben (§ 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) findet nicht statt. Im Streitfall sind die beim Erblasser nicht ausgeglichenen Verluste im landwirtschaftlichen Betrieb entstanden und der Kläger trägt den Kapitaldienst für die landwirtschaftlichen Verbindlichkeiten. Bei ihm als dem Hoferben die Verluste abzuziehen, entspräche sowohl den tragenden Überlegungen der die Vererblichkeit begründenden BFH-Entscheidungen (BFH-Urteile vom 15. März 1962 IV 177/60, Höchstrichterliche 3 Finanzrechtsprechung --HFR-- 1963, 8, und vom 22. Juni 1962 VI 49/61 S, BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386) als auch --sofern sich die Verluste in einer Belastung nur des Betriebsvermögens niedergeschlagen haben-- dem Erfordernis, dass der Erbe durch den Verlust selbst wirtschaftlich belastet sein muss. Dem steht allerdings entgegen, dass nach der Rechtsprechung die Fortführung des Betriebs des Erblassers durch die Erben nicht erforderlich ist (BFH-Urteil in BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386). Auch im Senatsurteil in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653 stand dem Verlustabzug beim Erben nicht entgegen, dass nicht er, sondern ein Dritter die ehemalige Verlustquelle fortführte; der Verlustabzug wurde ihm versagt, weil er durch den Verlust nicht wirtschaftlich belastet war. Wenn die Miterben die Verluste des Erblassers selbst dann anteilig abziehen können, wenn (nur) einer der Erben den Betrieb fortführt (vgl. BFH-Urteil vom 10. April 1973 VIII R 132/70, BFHE 109, 342, BStBl II 1973, 679), so müssten im Streitfall für die Zwecke der Nachfolge in den Verlustvortrag beide Nachlassteile --der auf den Kläger übergegangene Hof und das auf die Miterbengemeinschaft übergegangene hoffreie Vermögen-- zusammengerechnet und der Erbanteil des Klägers ermittelt werden. Entgegen der Auffassung des FA läge der Erbanteil des Klägers jedenfalls höher als 10 v.H. Die Vorentscheidung müsste aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden, damit es feststellt, ob der Kläger durch die Verluste wirtschaftlich belastet ist. Der Senat ist allerdings der Auffassung, dass der vom Erblasser nicht ausgenutzte Verlustabzug (§ 10d EStG) nicht auf den/die Erben übergeht und die Revision als unbegründet zurückzuweisen ist. III. Der erkennende Senat hält die dogmatischen und systematischen Einwände gegen den Übergang der Verlustabzugsmöglichkeit auf den Erben für so schwerwiegend, dass er die bisherige Rechtsprechung aufgeben will. Er teilt die Auffassung des I. Senats des BFH in dessen Anfragebeschluss vom 29. März 2000 I R 76/99 (BFHE 191, 353, BStBl II 2000, 622). Insoweit wird auf die Ausführungen unter III. im Anfragebeschluss des I. Senats Bezug genommen. Die vom I. Senat im Urteil in BFHE 195, 328, BStBl II 2002, 487 unter 4. a genannten und nach seiner Auffassung für eine Beibehaltung sprechenden Gründe vermögen den erkennenden Senat nicht zu überzeugen. 1. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gebietet nicht, die Rechtsprechung aufrechtzuerhalten. Die Anerkennung der Vererblichkeit des Verlustabzugs ist, wie der I. Senat selbst einräumt, im Schrifttum ganz überwiegend und auch in der Rechtsprechung auf Kritik gestoßen. So hatten auch die drei Senate, bei denen der I. Senat angefragt hatte, erklärt, nicht mehr an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten (BFHBeschlüsse vom 24. August 2000 IV ER -S- 1/00, juris, StRE 200050939; vom 24. Oktober 2000 VIII ER -S1/00, juris, StRE 200051140, und vom 6. September 2000 XI ER -S- 3/00, juris StRE 200051085). Die Änderung einer seit langem umstrittenen Rechtsprechung ist nicht geeignet, das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung zu erschüttern. 4 Hinzu kommt, dass § 10d EStG seit den Entscheidungen des BFH in HFR 1963, 8, in BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386, und vom 17. Mai 1972 I R 126/70 (BFHE 105, 481, BStBl II 1972, 621), als die Regelung noch auf Verluste aus Gewinneinkünften mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 und § 5 EStG beschränkt war, einschneidende gesetzliche Änderungen erfahren hat. Die Regelung gilt nunmehr für alle Einkunftsarten, der Verlustvortrag wurde um den Verlustrücktrag ergänzt und seit dem Wegfall der zeitlichen Begrenzung kann der Verlustvortrag auf unbegrenzte Dauer fortgeführt werden. Verlustabzugspotentiale, die der Erblasser wegen seiner Einkommensverhältnisse auf Dauer nicht mehr nutzen kann, erlangen erst dank ihrer Vererblichkeit wirtschaftliche Bedeutung. 2. Der I. Senat verweist darauf, dass auch in anderen Fällen ohne ausdrückliche gesetzliche Anweisung bestimmte Besteuerungsmerkmale, die (nur) in der Person des Erblassers begründet sind, bei der Besteuerung des Erben berücksichtigt würden. Dies gelte etwa für § 24 Nr. 2 EStG hinsichtlich der Einkunftsart. Ferner habe der BFH wiederholt entschieden, dass vom Erben nachträglich gezahlte Vermögensteuer oder Kirchensteuer Sonderausgaben des Erben darstellen, wenn und soweit dem Erblasser für einen entsprechenden von ihm selbst gezahlten Betrag der Sonderausgabenabzug zugestanden hätte; Entsprechendes gelte im Hinblick auf den Verbrauch von Freibeträgen oder die steuerschädliche Verwendung eines Wirtschaftsguts durch den Erblasser. Der erkennende Senat hält die genannten Beispiele für nicht mit der Vererblichkeit des Verlustabzugs vergleichbar: - Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit sind nach § 24 Nr. 2 EStG derjenigen Einkunftsart zuzuordnen, zu der die aufgegebene Tätigkeit gehörte (Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 2002, § 24 Rz. 73); es folgt daher aus der gesetzlichen Anordnung selbst, dass dies auch dann für die Bestimmung der maßgeblichen Einkunftsart gilt, wenn die Tätigkeit noch vom Erblasser ausgeübt wurde. Erzielt erst der Erbe die Einkünfte daraus, so wirken sich diese unmittelbar auf seine Leistungsfähigkeit aus. - Im Rahmen des Sonderausgabenabzugs wird regelmäßig eine Belastungssituation des den Abzug geltend machenden Steuerpflichtigen selbst vorausgesetzt (BFH-Urteil vom 12. November 1997 X R 83/94, BFHE 184, 499, BStBl II 1998, 148; Schmidt/ Heinicke, a.a.O., § 10 Rz. 4, m.w.N.). Eine solche ist in den Fällen der Übernahme von Vermögen- und Kirchensteuer des Erblassers insoweit gegeben, als es der Erbe war, der die Ausgaben leistete. Dass ihm durch den Erbfall zusätzliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zugewachsen war, ist unbeachtlich; dieser Zuwachs ist Gegenstand einer eventuellen Erbschaftsbesteuerung. - Soweit sich nach der Rechtsprechung objektbezogene einkommensteuerrechtliche Tatumstände des Erblassers (Besteuerungsmerkmale) wie z.B. die Anschaffungskosten und Buchwerte von Wirtschaftsgütern, das negative Kapitalkonto nach § 15a EStG, laufende Fristen bzgl. konkreter Rechtssachverhalte, ausgeübte Wahlrechte und andere Merkmale, die den jeweiligen Wirtschaftsgütern und (Rechts-)Verhältnissen rechtlich anhaften bzw. diese steuerrechtlich bestimmen (vgl. BFH-Urteile vom 13. Dezember 1957 VI 234/56 U, 5 BFHE 66, 182, BStBl III 1958, 72; vom 21. März 1969 VI R 208/67, BFHE 96, 19, BStBl II 1969, 520, und vom 17. Juni 1997 IX R 30/95, BFHE 183, 470, BStBl II 1997, 802), beim Erben fortsetzen, beruht dies darauf, dass er die konkreten einzelnen Vermögenspositionen in der steuerlichen Ausprägung übernimmt, die sie beim Erblasser erfahren haben. Dies kann nicht mit dem vom Erblasser ungenutzten Verlustvortrag gleichgesetzt werden, der nicht auf einzelne Sachverhalte oder Rechtsverhältnisse des Erblassers bezogen ist, sondern auf den Steuerpflichtigen als Person. 3. Der I. Senat hält es vor allem auch deshalb für angezeigt, die bisherige Rechtsprechung aufrechtzuerhalten, weil diese im wirtschaftlichen Ergebnis einer Überbesteuerung des Erblassers entgegenwirkt. Denn der beim Erblasser entstandene nicht ausgeglichene Verlust sei letztlich Ausdruck des Umstands, dass der Erblasser --gemessen an seiner Leistungsfähigkeit-- zu viel an Steuern gezahlt habe. Eine solche Überbesteuerung ließe sich nur beim Erblasser selbst korrigieren. Eine steuerliche Entlastung beim Erben beseitigt nicht eine Überbesteuerung des Erblassers: das Nettoprinzip bezieht sich auf den einzelnen Steuerpflichtigen für die Dauer seiner Einkommensteuerpflicht. Den Tatbestand der Erzielung von Einkünften in Form von Verlusten erfüllt ausschließlich der Erblasser. Die Berücksichtigung eines von ihm nicht ausgeschöpften Verlustabzugs beim Erben durchbricht die das Einkommensteuerrecht beherrschenden Grundsätze der Individualbesteuerung und der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit. Die Einkommensteuer ist eine Personensteuer; Erbe und Erblasser sind verschiedene Rechtssubjekte, die jeder für sich zur Einkommensteuer veranlagt werden. 4. Der I. Senat verweist schließlich darauf, dass eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung insbesondere dann zu Folgeproblemen führen könnte, wenn der nicht ausgeglichene Verlust mit erhöhten Abschreibungen des Erblassers zusammenhänge, die beim Erben infolge der Buchwertverknüpfung (§ 6 Abs. 3 EStG) zu erhöhten Einkünften führten. Er sieht darin offensichtlich die Gefahr einer Überbesteuerung beim Erben. Die vom Erblasser nicht verbrauchten Verlustabzugsbeträge sind auf Betriebsausgaben oder Werbungskosten beruhende (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. August 1999 GrS 1/97, BFHE 189, 151, BStBl II 1999, 778, unter C. I. 1.) Aufwandsüberschüsse des Erblassers. Es entspricht allgemeinen Grundsätzen des Einkommensteuerrechts, dass ein Steuerpflichtiger Aufwendungen und Verluste anderer nicht geltend machen kann (Ring in Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1981, 24; Schmidt/Heinicke, a.a.O., 20. Aufl. 2001, § 4 Rz. 500 ff., m.w.N.; vgl. zum Abzug sog. Drittaufwendungen Beschlüsse des Großen Senats des BFH in BFHE 189, 151, BStBl II 1999, 778, unter C. I. 2. b und II. 2. a, und vom 23. August 1999 GrS 3/97, BFHE 189, 172, BStBl II 1999, 787, unter C. I. 1.). Die Möglichkeit einer Überbesteuerung des Erben aufgrund seiner Bindung an die Buchwerte des Erblassers ist auf die Fälle beschränkt, in denen der Erbe Einkünfte aus der geerbten Einkunftsquelle erzielt. Selbst in diesen Fällen ließe sich die Vererblichkeit der vom Erblasser nicht genutzten Verluste allenfalls --aus Billigkeitserwägungen-- dann rechtfertigen, wenn diese Verluste auf Maßnahmen des Erblassers beruhen, 6 die zu den niedrigeren Buchwerten geführt haben und wenn beim Erben aufgrund der niedrigeren Buchwerte --sei es, weil ihm Abschreibungsmasse fehlt oder weil er die Wirtschaftsgüter veräußert-- höhere Gewinne entstehen. Dass die Versagung des Abzugs von Verlusten des Erblassers in solchen Ausnahmefällen zu einem unbilligen Ergebnis führen kann, ist nach Auffassung des Senats aber kein Grund, an dem bisherigen generellen Abzug vom Erblasser nicht verbrauchter Verluste durch den Erben festzuhalten. IV. Mit der vom erkennenden Senat beabsichtigten Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung würde dieser von der Entscheidung des I. Senats in BFHE 195, 328, BStBl II 2002, 487 und von der nicht veröffentlichten Entscheidung des VIII. Senats vom 25. April 1974 VIII R 61/69 abweichen. Er fragt deshalb gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO beim I. und beim VIII. Senat an, ob sie an ihrer in diesen Entscheidungen vertretenen Ansicht festhalten. Eine entsprechende Anfrage beim VI. Senat ist nicht erforderlich, da dieser aufgrund der zwischenzeitlichen Änderungen des Geschäftsverteilungsplans nicht mehr mit der hier maßgeblichen Rechtsfrage befasst werden kann (Geschäftsverteilungsplan, Ergänzende Regelung unter II. 1. g). Beim IV. Senat ist nicht anzufragen, weil das Urteil IV 177/60 am 15. März 1962 (HFR 1963, 8) und damit vor dem 31. Dezember 1965 ergangen und nicht gemäß § 64 der Reichsabgabenordnung veröffentlicht worden ist (§ 184 Abs. 2 Nr. 5 FGO). Aktueller Meinungsstand zu diesem Thema Seit dem Divergenzanfragebeschluss des XI. Senats des BFH vom 10.04.20031 besteht wieder erhebliche Unsicherheit darüber, ob Erben Verluste des Erblassers noch steuerlich geltend machen können. Der XI. Senat wendet sich in dem Beschluss gegen das Urteil des I. Senats vom Mai 20012, in dem die Vererbbarkeit von Verlusten weiterhin zugelassen wurde. Bereits in dem Divergenzanfragebeschluss des I. Senats des BFH3 wurde eine Änderung der Rechtsprechung hin zu einer Unzulässigkeit der Vererbbarkeit von Verlusten angekündigt. Die betroffenen übrigen Senate des Bundesfinanzhofs stimmten einer Rechtsprechungsänderung auch einstimmig zu.4 Zur Verwunderung der Fachwelt ließ der I. Senat in dem auf den Divergenzanfragebeschluss folgenden Urteil vom Mai 20015 dann aber weiterhin die Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers zu. Man begründete dies BFH Beschl. v. 10.04.2003, XI R 54/99, ZEV 2003, 429. BFH Urt. v. 16.05.2001, I R 76/99, HFR 2001, 1142. 3 BFH Beschl. v. 29.03.2000, I R 76/99, DB 2000, 1497. 4 Vgl. Heinicke, in: Schmidt, EStG, § 10 d Rn. 4. 5 BFH Urt. v. 16.05.2001, I R 76/99, HFR 2001, 1142. 1 2 7 unter anderem mit der Verlässlichkeit der Rechtsprechung. Es bleibt also abzuwarten, wie die angerufenen Senate diesmal reagieren. Es spricht einiges dafür, dass die Rechtsprechung des BFH diesmal tatsächlich geändert wird und eine Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers nicht mehr zugelassen wird. Im Folgenden soll die Rechtsprechung und Literatur zu diesem Thema zusammenfassend dargestellt werden. I.Rechtsprechung Es soll hier sowohl auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als auch der Finanzgerichte eingegangen werden. 1.BFH Urt. v. 05.05.1999, XI R 1/976 Der XI. Senat des Bundesfinanzhofs war nach einem Zuständigkeitswechsel anstelle des VI. Senats für den Verlustabzug zuständig geworden.7 In dem Sachverhalt, welcher dem Urteil des Senats vom 05.05.1999 zugrunde lag, ging es darum, dass ein Erbe noch nicht verbrauchte Verlustvorträge des Erblassers geltend machen wollte, obwohl ein Dritter sich gegenüber dem Erblasser verpflichtet hatte, ihn von Ansprüchen sämtlicher Gläubiger freizuhalten. Der XI. Senat spricht bei seiner Entscheidung zwar die Frage der grundsätzlichen Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers an und lässt durch eine sehr umfangreiche Angabe von Literatur und Rechtsprechung zu diesem Themenkomplex auch eine ausführliche Befassung mit der Problematik erkennen, er entscheidet sie aber letztendlich nicht. Der Erbe könne die „ererbten“ Verluste jedenfalls deshalb nicht abziehen, weil er sie wirtschaftlich nicht getragen habe. Nur so lasse sich die Durchbrechung der das Einkommensteuerrecht beherrschenden Grundsätze der Individualbesteuerung und der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit rechtfertigen. Man bezieht sich dabei auf zwei BFH-Urteile8 aus den 60-er Jahren. Das Offenlassen der Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers trotz anscheinend ausführlicher Beschäftigung mit dem Thema BFH Urt. v. 05.05.1999, XI R 1/97, BStBl. II 1999, 653. Vgl. Kanzler, FR 2000, 875. 8 BFH Urt. v. 17.02.1961, VI 66/59, BStBl. III 1961, 230; BFH Urt. v. 22.06.1962, VI 49/61 S, BStBl. III 1962, 386. 6 7 8 wurde im Schrifttum zu Recht kritisiert.9 Wer, wenn nicht der Bundesfinanzhof und im speziellen der mittlerweile für diese Problematik zuständige XI. Senat soll die anstehende Frage entscheiden und für die erforderliche Rechts- und Planungssicherheit sorgen. Zudem ist das Urteil abzulehnen, da die aufgestellte Voraussetzung, dass der Erbe die Verluste des Erblassers wirtschaftlich tragen muss, zumindest so, wie sie vom XI. Senat in dem Urteil verstanden wird, verfehlt und im Übrigen zu unbestimmt ist. Grundsätzlich ist gegen das Erfordernis der wirtschaftlichen Belastung für die steuerliche Anerkennung von Verlusten nichts einzuwenden, nur wird dies hier an der falschen Stelle geprüft. Es hätte hier geprüft werden müssen, ob der Erblasser Verluste steuerlich geltend machen kann, obwohl ein Dritter ihm vertraglich zugesichert hat, ihn von allen Ansprüchen freizustellen. Die Vorgehensweise des XI. Senats stößt nämlich spätestens dann an ihre Grenzen, wenn der Erblasser die Verbindlichkeiten, die bei ihm zu einem Verlust geführt haben, bereits in voller Höhe beglichen hat. Soll dem Erben hier auch die steuerliche Geltendmachung dieser unzweifelhaft vom Erblasser wirtschaftlich getragenen Verluste verwehrt werden, weil der Erbe sie ja wegen Erfüllung durch den Erblasser nicht mehr wirtschaftlich trägt? In der Entscheidung des BFH vom 22.06.196210, die unter anderem vom XI. Senat als Begründung für das Erfordernis der wirtschaftlichen Belastung des Erben bemüht wird, lässt man aber eine steuerliche Geltendmachung der Verluste des Erblassers durch den Erben zu, obwohl dieser die zu den Verlusten führenden Verbindlichkeiten selbst nicht tragen musste. Geht man andererseits davon aus, dass eine wirtschaftliche Belastung des Erben schon darin zu sehen ist, dass durch die nicht mehr vom Erblasser vorgenommene steuerliche Geltendmachung von Verlusten und die damit verbundenen nicht erhaltenen „Steuererstattungen“ der Nachlass geschmälert ist, so liegt eine wirtschaftliche Belastung des Erben immer vor, wenn der Erblasser den Verlust hätte steuerlich geltend machen können.11 2.BFH Beschluss v. 29.03.2000, I R 76/9912 Mit dem Beschluss vom 29.03.2000 fragte der I. Senat beim IV., VIII. und XI. Senat an, ob Vgl. Wendt, FR 2000, 1068, 1069; Strand, FR 2000, 1070, 1072. BFH Urt. v. 22.06.1962, VI 49/61 S, BStBl. III 1962, 386. 11 Vgl. Marx, DB 2001, 2364, 2367; Paus, BB 1999, 2584, 2586. 12 BFH Beschl. v. 29.03.2000, I R 76/99, DB 2000, 1497. 9 10 9 sie an der Auffassung festhalten, dass der Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug gemäß § 10 d EStG bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen kann. Grund für die Divergenzanfrage war das Vorhaben des I. Senats, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. In dem zugrundeliegenden Sachverhalt wollte eine gemeinnützige Stiftung als Erbin einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug geltend machen. Zum Nachlass der Erblasserin gehörten Kommanditanteile an einer gewerblich tätigen GmbH & Co. KG. Im Rahmen des die KG betreffenden Feststellungsverfahrens war u. a. ein Bescheid des FA ergangen, in dem für die Erblasserin ein verbleibender Verlustabzug festgestellt worden war. a)Wirtschaftliche Belastung des Erben Zunächst nimmt der I. Senat zum Merkmal der wirtschaftlichen Belastung des Erben Stellung. An einer wirtschaftlichen Belastung fehle es nur dort, wo der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten entweder gar nicht oder nur beschränkt haftet.13 Im vorliegenden Fall ging man aber von einer wirtschaftlichen Belastung des Erben aus, so dass zumindest nach der Auffassung des I. Senats die auf die Kommanditeinlage beschränkte Haftung des Kommanditisten eine wirtschaftliche Belastung des Erben nicht ausschließt. b)Keine Rechtsgrundlage für Übergang des Verlustvortrags Die von der bisherigen Rechtsprechung konzedierte Verlustübertragung in Erbfällen lasse sich weder auf erbrechtliche noch auf steuerrechtliche Vorschriften stützen. Sie widerspreche dem Charakter des Verlustabzugs als die persönliche Leistungsfähigkeit berücksichtigende Regelung und könne auch nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen abgeleitet werden. Soweit im Einzelfall das Zusammenspiel von Buchwertfortführung und Versagung des Verlustabzugs zu einer effektiven Überbesteuerung des Erben führe, könne dem allenfalls durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung getragen werden. aa) § 1922 BGB § 1922 BGB, nach dem mit dem Tode einer Person deren Vermögen als Ganzes auf den BFH Beschl. v. 29.03.2000, I R 76/99, DB 2000, 1497 unter Bezugnahme auf BFH Urt. v. 17.02.1961, VI 66/59, BStBl. III 1961, 230 und BFH Urt. v. 05.05.1999, XI R 1/97, BStBl. II 1999, 653. 13 10 oder die Erben übergeht, scheide als Rechtsgrundlage für den Übergang des Verlustvortrags auf den Erben aus, da es sich bei dem Verlustvortrag nicht um einen Vermögenswert handele. Bei der Verlustausgleichsmöglichkeit des § 10 d EStG handele es sich lediglich um eine „besteuerungstechnische“ Regelung, die lediglich besage, welche Einkünfte einer bestimmten Person in deren Besteuerung eingehen und welche nicht. Derartige Regelungen seien nicht geeignet, eine vererbliche Rechtsposition zu vermitteln. Zudem hätte der Erblasser den Verlustvortrag nur dann steuermindernd nutzen können, wenn er in der Folgezeit positive steuerpflichtige Einkünfte erzielt hätte, was jedoch im Todeszeitpunkt ungewiss sei. Eine in diesem Sinne unwägbare Aussicht auf einen künftigen steuerlichen Vorteil könne nicht einem vererblichen Anwartschaftsrecht gleichgestellt werden.14 Die in dem Beschluss vom 29.03.2000 geäußerte Auffassung des I. Senats ist abzulehnen. Der in der Vergangenheit florierende Handel mit verlustausweisenden „GmbH-Mänteln“ hat gezeigt, dass Verlustvorträge sehr wohl einen Vermögenswert darstellen. Auch die aktive Steuerabgrenzung gemäß § 274 Abs. 2 HGB von in der Zukunft wirksamen Steuerminderungspotenzialen spricht für die Einordnung des Verlustvortrags als Vermögenswert.15 Die Ungewissheit darüber, ob der Erblasser den Verlustvortrag ohne den Todesfall tatsächlich steuermindernd hätte geltend machen können steht der Einordnung des Verlustvortrags als Vermögenswert nicht entgegen, denn auch noch werdende oder schwebende Rechtsbeziehungen sind vererblich.16 bb)§ 45 AO Bei dem Verlustvortrag handele es sich nach Ansicht des I. Senats auch nicht um eine Forderung aus dem Steuerschuldverhältnis, die gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 AO auf den Erben übergeht.17 cc)Eintritt in materiell- und verfahrensrechtliche Stellung des Erblassers Zwar entspreche es der gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass der BFH Beschl. v. 29.03.2000, I R 76/99, DB 2000, 1497, 1498; zustimmend: Kanzler, FR 2000, 875, 876. 15 Vgl. auch: Beiser, DStR 2000, 1505; Laule/Bott, DStR 2002, 1373, 1374. 16 Vgl. Edenhofer, in: Palandt, BGB, § 1922 Rn. 26; Marx, DB 2001, 2364, 2367; Rößler, DStZ 2000, 760, 761. 17 BFH Beschl. v. 29.03.2000, I R 76/99, DB 2000, 1497, 1498; zustimmend: Strand, FR 1998, 935. 14 11 Erbe nicht nur die Forderungen und Schulden des Erblassers erwirbt, sondern darüber hinaus in dessen gesamte materiell- und verfahrensrechtliche Stellung eintritt. Dieser Grundsatz gelte jedoch nur insoweit, als es nicht um Positionen gehe, die unlösbar mit der Person des Erblassers verbunden und in diesem Sinne höchstpersönlich seien. Das aber sei bei der Möglichkeit des Verlustabzugs der Fall.18 Auch diese Auffassung ist abzulehnen. Dem Steuerpflichtigen wird durch § 10 d EStG die Möglichkeit des Verlustvortrags über den Veranlagungszeitraum hinaus gewährt, da die Zerlegung in Zeitabschnitte immer etwas Willkürliches an sich hat. Es soll also die Möglichkeit gewährt werden, erlittene Verluste auf jeden Fall auch geltend machen zu können. Dabei handelt es sich nicht um etwas Höchstpersönliches, sondern um eine Methode zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen nach dem Totalitätsprinzip19. Kann durch den Tod des Steuerpflichtigen dieses Ziel durch einen Verlustvortrag nicht mehr erreicht werden, so muss man eben den noch verbleibenden Verlustvortrag als vererbbaren Vermögenswert des Nachlasses anerkennen oder aber einen Verlustrücktrag zulassen.20 c) Ausnahmsweise Vererbbarkeit als Billigkeitsmaßnahme Der Gefahr einer übermäßigen Gesamtbesteuerung könne allenfalls im Billigkeitswege Rechnung getragen werden. So soll eine abweichende Steuerfestsetzung (§ 163 AO) oder ein Steuererlass (§ 227 AO) in Betracht kommen, wenn sich im Einzelfall herausstelle, dass ein beim Erben angefallener steuerpflichtiger Gewinn unmittelbar mit dem vom Erblasser erlittenen und bei ihm nicht mehr ausgeglichenen Verlust korrespondiert. Auf diese Weise sei es insbesondere möglich, eine Begünstigung des Erben auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen dieser durch die beim Erblasser „verlorenen“ Verluste selbst in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist.21 Abgesehen davon, dass die vorgeschlagene Billigkeitsmaßnahme zu großer Rechtsunsicherheit führen würde, ist die Ausgangslage der Überlegung des I. Senats schon verfehlt. Es geht gar nicht darum, ob der Erbe in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist, sondern darum, beim Erblasser die Leistungsfähigkeit nach dem BFH Beschl. v. 29.03.2000, I R 76/99, DB 2000, 1497, 1498. Das Totalitätsprinzip entspringt dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Um willkürliche Ergebnisse bei der Bestimmung der Leistungsfähigkeit möglichst auszuschließen, wird als Bemessungsgrundlage nicht das Jahreseinkommen, sondern das Lebenseinkommen (sog. Totaleinkommen) genommen. Gleiche Totaleinkommen müssen gleich besteuert werden. 20 Vgl. auch: Laule/Bott, DStR 2002, 1373, 1375. 21 BFH Beschl. v. 29.03.2000, I R 76/99, DB 2000, 1497, 1499. 18 19 12 Totalitätsprinzip zu erfassen. d)Zustimmung der übrigen Senate Alle angerufenen Senate des Bundesfinanzhofs stimmten der beabsichtigten Rechtsprechungsänderung zu.22 3.BFH Urt. v. 16.05.2001, I R 76/9923 Mit dem Urteil vom 16.05.2001 entschied der I. Senat den Rechtsstreit, zu dem er auch den oben behandelten Divergenzbeschluss erlassen hatte. Obwohl er in dem Divergenzbeschluss keinen Zweifel an der beabsichtigten Rechtsprechungsänderung erkennen ließ und alle angerufenen Senate einer Rechtsprechungsänderung zustimmten, ließ der I. Senat weiterhin die Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers zu. Diese etwas überraschende Entscheidung wurde wie folgt begründet. a)Kontinuität der Rechtsprechung Die Rechtsprechung zum Verlustabzug des Erben bestehe seit nahezu 40 Jahren und werde von der Finanzverwaltung seit langem akzeptiert. Sie bestimme seit langer Zeit die Besteuerungspraxis, auch wenn sie im Schrifttum und einzelnen Finanzgerichten auf Kritik gestoßen sei. Es diene der Verlässlichkeit der Rechtsordnung, eine solcherart gefestigte Handhabung aufrechtzuerhalten, solange nicht weit überwiegende Gründe für ihre Aufgabe sprächen.24 Dieses Argument überzeugt, da gerade in Zeiten langer finanzgerichtlicher Verfahren eine kontinuierliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs für eine ausreichende Rechts- und Planungssicherheit der Steuerpflichtigen und ihrer Berater unverzichtbar ist.25 b)Vergleichbare Behandlung ähnlicher Sachverhalte Die Rechtsprechung zum Verlustabzug des Erben weise zwar gewisse Unstimmigkeiten und theoretische Schwächen auf. Dennoch sei es nicht gerechtfertigt, sie als mit der Gesetzeslage unvereinbar und in diesem Sinne verfehlt anzusehen. Der Übergang der Vgl. Heinicke, in: Schmidt, EStG, § 10 d Rn. 4. BFH Urt. v. 16.05.2001, I R 76/99, HFR 2001, 1142. 24 BFH Urt. v. 16.05.2001, I R 76/99, HFR 2001, 1142. 25 So auch FG Hamburg, Urt. v. 17.05.2002, II 263/01, EFG 2002, 1230, 1231; a.A. Strand, FR 2001, 1053. 22 23 13 Verlustabzugsmöglichkeit auf den Erben lasse sich zwar weder aus § 1922 BGB noch aus § 45 AO unmittelbar ableiten. Jedoch gelte Ähnliches auch für andere Sachverhalte, in denen der Eintritt des Erben in eine steuerrechtliche Position des Erblassers allgemein befürwortet wird. Der I. Senat nennt als Beispiele die Zurechnung von Besteuerungsmerkmalen des Erblassers beim Erben, wenn dieser noch vom Erblasser erwirtschaftete Einkünfte vereinnahmt, die Geltendmachung von durch den Erblasser gezahlter VSt oder KiSt als Sonderausgaben beim Erben und den Verbrauch von Freibeträgen oder die steuerschädliche Verwendung eines Wirtschaftsgutes durch den Erblasser.26 c)Übereinstimmung mit dem Nettoprinzip Auch wirke die Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers im wirtschaftlichen Ergebnis einer Überbesteuerung entgegen, denn der beim Erblasser entstandene nicht ausgeglichene Verlust sei letztlich Ausdruck des Umstandes, dass der Erblasser gemessen an seiner Leistungsfähigkeit - zu viel an Steuern gezahlt habe. Daher entspreche es dem Leistungsfähigkeitsprinzip, den Verlustabzug nach Beendigung der Steuerpflicht des Erblassers in der Person des Erben fortzuführen.27 Auch hier ist dem I. Senat voll zuzustimmen.28 d)Unbillige Ergebnisse durch Rechtsprechungsänderung Schließlich erkennt der I. Senat zu Recht, dass die von ihm noch in seinem Beschluss vom 29.03.2000 vorgeschlagene Vermeidung einer übermäßigen Gesamtbesteuerung durch Billigkeitserwägungen wenig hilfreich ist. Es spreche nicht für die Überlegenheit einer geänderten Betrachtungsweise, wenn diese ihrerseits sogleich zu Billigkeitserwägungen führe.29 4.FG Hamburg, Urt. v. 17.05.2002, II 263/0130 Das Finanzgericht Hamburg stimmte dem Urteil des I. Senats des Bundesfinanzhofs vom 16.05.2001 zu. Zur wirtschaftlichen Belastung wird ausgeführt, dass eine solche nach der BFH Urt. v. 16.05.2001, I R 76/99, HFR 2001, 1142, 1143. BFH Urt. v. 16.05.2001, I R 76/99, HFR 2001, 1142, 1143. 28 a.A. Strand, FR 2001, 1053. 29 BFH Urt. v. 16.05.2001, I R 76/99, HFR 2001, 1142, 1143. 30 FG Hamburg, Urt. v. 17.05.2002, II 263/01, EFG 2002, 1230. 26 27 14 Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur dort fehle, wo der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten entweder gar nicht oder nur beschränkt haftet. Diese Einschränkung betreffe aber nur besonders gelagerte Fälle, in denen etwa der Nachlasskonkurs eröffnet war oder eine Eintrittspflicht eines Dritten bestand.31 5.Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urt. v. 21. September 1999, III 23/9532 Das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht lehnt in seinem Urteil vom 21.09.1999 eine Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers grundsätzlich ab. Wenn man das Urteil liest, bekommt man den Eindruck, dass dieses Urteil dem I. Senat des Bundesfinanzhofs als Grundlage bei der Erstellung des Divergenzbeschlusses vom 29.03.2000 gedient haben könnte. Ihm sind daher die gleichen Argumente entgegenzuhalten. Es wird insoweit nach oben verwiesen. Gegen das Urteil ist dann auch unter dem Aktenzeichen XI R 54/99 Revision eingelegt worden. II.Literatur Die Stellungnahmen der Literatur zu dem Thema lassen sich im Wesentlichen in drei große Meinungsblöcke einteilen. 1.Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers grundsätzlich nicht zulässig Ein Teil der Literatur lehnt eine Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers grundsätzlich ab.33 Begründet wird die ablehnende Haltung mit den Grundsätzen der Individualbesteuerung und der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit sowie der Steuersubjektivität der einzelnen natürlichen Person.34 § 1922 BGB und § 45 AO werden als Rechtsgrundlage für eine Durchbrechung der vorgenannten Prinzipien nicht anerkannt. Ohne eine gesetzliche Grundlage will man eine Durchbrechung der FG Hamburg, Urt. v. 17.05.2002, II 263/01, EFG 2002, 1230, 1231. FG SchlH, Urt. v. 21.09.1999, III 23/95, EFG 1999, 1221. 33 Strand, FR 1999, 1070; ders., BB 2000, 595, 596; ders., FR 1998, 935; Kanzler, FR 2000, 875, 876; Trzaskalik, StuW 1979, 97, 112; Orth, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 10d Anm. 119; v. Groll, in: Kirchhof/Söhn, EStG, § 10d Rn. B 190 f.; grundsätzlich auch Paus, BB 1999, 2584, 2585 der unter Berücksichtigung der momentanen Fassung des § 10 d EStG aber doch eine Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers zulässt. 34 Statt aller: Strand, FR 1999, 1070. 31 32 15 angeblich das Steuerrecht tragenden Prinzipien aber nicht zulassen. Andererseits wird teilweise das Problem erkannt, dass diese Auffassung zu einer Vernichtung von Verlustvorträgen des Erblassers führt. Der Erblasser habe dadurch, bezogen auf seine Lebenszeit, eine überhöhte Steuerlast zu tragen, die nicht seinem tatsächlich erzielten Einkommen entspreche. Dieses Ergebnis lasse sich auch nicht mit dem Prinzip der Periodenbesteuerung rechtfertigen. Während dem Grundsatz der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit als Ausprägung des Gleichheitsgrundsatzes nämlich Verfassungsrang zukomme, sei die Besteuerung nach Kalenderjahren nur ein Notbehelf für die Praxis, der Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht rechtfertigen könne.35 Man schlägt daher für die Fälle, in denen ein Verlustvortrag des Erblassers nicht mehr genutzt werden kann, einen weitergehenden oder unbegrenzten gesetzlich zugelassenen Verlustrücktrag vor.36 Hier zeigt sich die Problematik einer grundsätzlichen Ablehnung der Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers bei der momentanen Gesetzeslage, die einen unbegrenzten Verlustrücktrag eben nicht zulässt. Dies war dann auch der Grund dafür, dass der I. Senat sich in seinem Urteil vom 16.05.200137 trotz seiner Zustimmung in seinem Beschluss vom 29.03.200038 gegen diese Auffassung entschieden hat und die Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers weiterhin zuließ. 2. 3.Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers grundsätzlich zulässig, aber wirtschaftliche Belastung des Erben erforderlich Ein anderer Teil der Literatur schließt sich der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der meisten Finanzgerichte und der Finanzverwaltung an und lässt eine Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers zwar grundsätzlich zu, fordert aber eine wirtschaftliche Belastung des Erben.39 Teilweise wird der Begriff der wirtschaftlichen Belastung aber nicht sehr eng gesehen. So liege eine wirtschaftliche Belastung des Erben aufgrund der bislang beim Erblasser unterbliebenen Verlustkompensation eigentlich immer vor. Bedingt durch die Paus, BB 1999, 2584, 2585; Strand, FR 1998, 935, 936. Paus, BB 1999, 2584, 2585; Strand, FR 1998, 935, 937. 37 BFH Urt. v. 16.05.2001, I R 76/99, HFR 2001, 1142. 38 BFH Beschl. v. 29.03.2000, I R 76/99, DB 2000, 1497, 1499. 39 Philipp, ZEV 2002, 355, 357; Marx, DB 2001, 2364, 2367; Rößler, DStZ 2000, 760, 761; Beiser, DStR 2000, 1505; Lang, in: Tipke/Lang, Einkommensteuerrecht, § 9 Rn. 63; Lambrecht, in: Kirchhof, EStG, § 10d Rn. 6; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 45 Rn. 33; 35 36 16 Verlustabzugsbeschränkungen des § 10 d EStG hätte keine Kompensation beim Erblasser erfolgen können, so dass der Erbe durch die in der Vergangenheit verhinderte Steuererstattung in jedem Fall wirtschaftlich belastet sei. Ob eine Beschränkung der Erbenhaftung vorliege, sei unerheblich.40 Die wirtschaftliche Belastung des Erben wird darin gesehen, dass der Nachlass durch die fehlende Steuererstattung geringer ausfällt. 4.Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers grundsätzlich zulässig, Erfordernis der wirtschaftlichen Belastung des Erben wird abgelehnt Schließlich gibt es noch eine Auffassung, die eine Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers grundsätzlich zulässt und das Merkmal der wirtschaftlichen Belastung des Erben für nicht erforderlich hält.41 Verluste des Erblassers beeinträchtigten den Erben nur insoweit, als der Nachlass deshalb geringer ausfalle. Der steuerliche Begriff des Verlustes beziehe sich auf einen abgelaufenen Zeitraum und auf die Person des damaligen Betriebsinhabers. Die Frage, ob der Erbe den Verlust des Erblassers getragen hat bzw. durch ihn belastet ist, erscheine deshalb schon vom Ansatz her verfehlt. Es sei daher nicht zulässig, den Verlustabzug beim Erben von der Feststellung abhängig zu machen, ob der Erbe den Verlust getragen hat. Eine solche Fragestellung sei nicht möglich, und zwar nicht wegen Schwierigkeiten der Sachverhaltsermittlung, sondern weil die Fragestellung verfehlt sei.42 Wenn es bei der Zulässigkeit der Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers darum gehe, gemäß dem Totalitätsprinzip die beim Erblasser eingetretene Überbesteuerung durch Übergang der Verlustberücksichtigung auf den Erben zu vermeiden, so sei es unerheblich, ob nicht nur ursprünglich der Erblasser den Verlust erlitten hatte, sondern im Zeitpunkt des Übergangs auch noch der Erbe durch den Verlust wirtschaftlich belastet ist.43 III.Finanzverwaltung Marx, DB 2001, 2364, 2367 f.; Philipp, ZEV 2002, 355, 357. Laule/Bott, DStR 2002, 1373, 1379; Horlemann, in: Blümich, EStG, § 10d Rn. 32; Paus, BB 1999, 2584, 2586 lehnt eine Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers zwar grundsätzlich ab, hält sie aber, solange kein unbegrenzter Verlustrücktrag beim Erblasser möglich ist, für unverzichtbar. 42 Paus, BB 1999, 2584, 2586. 43 Laule/Bott, DStR 2002, 1373, 1379. 40 41 17 Die Finanzverwaltung hat sich in dem Erlass vom 26.07.200244 der Rechtsprechung des I. Senats in dem Urteil vom 16.05.200145 angeschlossen. Eine Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers war also nach Ansicht der Finanzverwaltung nach wie vor möglich. Allerdings hielt auch die Finanzverwaltung eine wirtschaftliche Belastung des Erben für erforderlich. Eine wirtschaftliche Belastung des Erben liege insbesondere dann nicht vor, wenn er für Nachlassverbindlichkeiten entweder gar nicht oder nur beschränkt haftet.46 Momentan scheint die Finanzverwaltung mit Verweis auf das Urteil des Finanzgerichts Schleswig Holstein eine Vererbbarkeit von Verlusten des Erblassers nicht mehr zuzulassen. Es wird den betroffenen Steuerpflichtigen empfohlen, einen Antrag auf Ruhen des Verfahrens bis zur entgültigen Entscheidung des XI. Senats des BFH zu stellen. Ansgar Beckervordersandfort, LL.M. Erlass vom 26.07.2002, IV A 5, S 2225, 2/02, BStBl. I 2002, 667. BFH Urt. v. 16.05.2001, I R 76/99, HFR 2001, 1142. 46 Vgl. auch H 115, EStH 2002. 44 45