Haben Sie geträumt, letzte Nacht? Wohl schon. Jede Nacht träumen

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Haben Sie geträumt, letzte Nacht? Wohl schon. Jede Nacht träumen
Musik&Wort
Sonntag, 9.9.2012 in der Nydeggkirche
Wort: zu Genesis 40,5 „Aus der Deutung seines Traumes“ Markus Niederhäuser
Haben Sie geträumt, letzte Nacht? Wohl schon. Jede Nacht träumen wir,
sagen uns die Traumforscher, die Frage ist bloss, ob wir uns an unsere
Träume erinnern.
Träume sind eine Sprache der Seele. Und wie kreativ diese Sprache ist!
Ich staune, wie originell und präzise ein Traum ein unerwartetes Licht auf
mich, auf mein Leben werfen kann. Aber oftmals stehe ich vor einem
Rätsel. Was will der Traum sagen? Welches ist seine Deutung?
Träume und ihre Deutung beschäftigen die Menschen seit alters her.
Auch in der Bibel. In der Geschichte von Gott mit den Menschen, weisen
immer wieder Träume den Weg in besonderen Zeiten. Träume enthalten
wichtige Botschaften; und es kann lebensentscheidend sein, auf ihre
Botschaft zu hören.
Der wohl berühmteste Träumer und Traumdeuter der Bibel ist Josef,
einer der zwölf Söhne Jakobs. Bei ihm lohnt es sich in die Schule zu
gehen, vermochte er doch – mit Gottes Hilfe – die schwierigsten Träume
zu deuten. Als junger Mann hat Josef selber zwei Träume, in denen sich
seine aussergewöhnliche Zukunft ankündigt. (Gen 37,1-11). Später wird
er die Träume des Pharaos deuten und dadurch zu grossem Einfluss
aufsteigen. (Gen 41,1-32) Doch zuvor erlebt Josef schwere
Schicksalsschläge. Auf Grund einer Verleumdung landet er im Kerker.
Und dort, auf dem Tiefpunkt angelangt, deutet Josef zwei Mitgefangen
ihre Träume (Gen 39,22-40,23). Es sind der Obermundschenk und der
Oberbäcker, die beide beim Pharao in Ungnade gefallen sind.
Nun steht im hebräischen Text eine eigentümliche Wendung, die man
leicht überliest. Genau übersetzt lautet sie:
40,5 Da träumten beide in derselben Nacht einen Traum
und zwar ein jeder entsprechend der Deutung seines Traumes,
Meistens wird die Stelle in der Übersetzung geglättet, etwa:
40,5 Da hatten sie beide in derselben Nacht einen Traum,
jeder einen Traum von besonderer Bedeutung.
Doch der alte Text lässt keinen Zweifel:
beide träumten (…) und zwar ein jeder entsprechend der Deutung seines
Traumes1
Ist dies nicht bemerkenswert? Wirft dies nicht ein neues Licht auf das
Verhältnis zwischen dem Traum und seiner Deutung?
Ist also nicht erst der Traum und dann womöglich seine Deutung?
Sondern: Träumen wir einen Traum aus seiner Deutung?
1
Hebräisch: ächad isch ke pitron chalomo. Selbstverständlich hat auch Martin Buber präzise und
richtig übersetzt: Und sie träumten, beide, einen Traum, jeder seinen Traum, in einer einzigen Nacht,
jeder nach der Bedeutung seines Traumes.
Thomas Mann hat in seinem Josephsroman den biblischen Wortlaut aufs
Genauste wahrgenommen. Im Gespräch mit den beiden Beamten des
Pharaos lässt er Josef die bedeutungsschweren Worte sagen:
„Wer da träumt, der deutet auch,
und wer deuten will, der muss geträumt haben. (…)
Im Grunde (…) und von Natur ist jedermann seines Traumes Deuter
(…). Ich will euch das Geheimnis der Träumerei verraten:
die Deutung ist früher als der Traum,
und wir träumen schon aus der Deutung.“ 2 (Zitat Ende)
Und was hatten der Mundschenk und der Bäcker geträumt?
Der Obermundschenk träumte:
In meinem Traum, sieh, da war ein Weinstock vor mir.
40, 10 Am Weinstock waren drei Ranken. Und als er zu treiben begann, brachen
auch schon seine Blüten hervor, und seine Trauben trugen reife Beeren.
11 Ich hielt den Becher des Pharao in meiner Hand, und ich nahm die Beeren,
presste sie aus in den Becher des Pharao und gab dem Pharao den Becher in
die Hand.
Und in derselben Nacht träumte es dem Oberbäcker:
40, 16 Ich aber in meinem Traum, sieh, drei Körbe mit Feingebäck waren auf
meinem Kopf. 17 Im obersten Korb war allerlei Speise, Backwerk, für den
Pharao, aber die Vögel frassen es aus dem Korb auf meinem Kopf.
Die Träumenden selbst verstanden ihre Träume im Grunde sehr wohl,
aber sie wollten nicht wahrhaben, dass sie sie verstanden hatten.
Dennoch oder gerade darum verlangen sie nach einem professionellen
Deuter. Nicht zufällig ist es der Mundschenk, der als erster seinen Traum
berichtet. Der Mundschenk hat geträumt, dass er dem Pharao künftig
erneut den Becher reichen wird. Erst als der Bäcker die günstige
Deutung des Traumes hört, welche Josef dem Traum des Mundschenks
entnimmt, rückt er auch mit seinem Traum heraus. Der Bäcker hat
geträumt, dass es für ihn in Zukunft keinen Platz mehr hat am Hof des
Pharao. Die Bilder sprechen für sich. Josef wirkt (nur) als Geburtshelfer.
Im Moment, da er ihnen die Träume auslegt, geht ihnen die Deutung auf
und sie werden sich inne, dass sie zutrifft.
2
Thomas Mann: Joseph und seine Brüder, 1933, S. 1012. Das Zitat im Zusammenhang:
Im Gespräch mit Josef wenden Mundschenk und Bäcker ein:
„… Bei alledem ist es doch zweierlei, zu träumen und Träume zu deuten!“ „Sagt das nicht“,
erwiderte er (Joseph). „Sagt es nicht ohne weiteres! Mit der Träumerei möchte es wohl ein Rundes
und Ganzes sein, worin Traum und Deutung zusammengehören und der Träumer und Deuter nur
scheinbar zweie und unvertauschbar, in Wirklichkeit aber vertauschbar und geradezu ein und
derselbe sind, denn sie machen zusammen das Ganze aus. Wer da träumt, der deutet auch, und
wer deuten will, der muss geträumt haben. Ihr habt unter sehr üppigen Umständen überflüssiger
Geschäftsteilung gelebt, Herr Fürst des Brotes und Exzellenz Erzschenk, so dass ihr träumtet und die
Deutung eurer Hauspropheten Sache sein liesset. Im Grunde aber und von Natur ist jedermann
seines Traumes Deuter, und nur aus Eleganz lässt er sich mit der Deutung bedienen. Ich will
euch das Geheimnis der Träumerei verraten: die Deutung ist früher als der Traum, und wir
träumen schon aus der Deutung.“
So folgt der Traum in der Tat der Deutung:
Der Träumende bringt seine Wahrnehmung und Interpretation von
Sachverhalten, Situationen und Problemen im Traum zum Ausdruck.
Genau so, wie es die Heilige Schrift sagt:
40,5 ein jeder (träumte) entsprechend der Deutung seines Traumes,
Und unsere Träume, träumen wir sie auch aus der Deutung?
Auf dem Grund unserer Seele liegt die Deutung schon bereit.
Oft bleibt sie uns verborgen, doch, wenn wir achtsam sind, kann sie uns
aufgehen. Nur wir selber können erspüren und entscheiden, ob eine
Deutung, die uns von aussen gesagt wird, zutrifft oder nicht.
Träume sind eine Sprache der Seele. Ein Spiegel für uns selber.
Göttliche Weisung liegt in ihnen verborgen.
Doch: der Weg zu den Träumen ist oftmals verstellt.
Wir lassen es zu, dass uns Bilder aller Art überfluten.
Überall sind wir von audio-visuellen Reizen umgeben.
Die vielen äusseren Bilder machen uns oft blind
für die inneren Bilder unserer Träume,
in denen uns Gott zeigt,
worin der Sinn und die Aufgaben unseres Lebens bestehen.
Es lohnt sich, den Weg zu unseren Träumen frei zu machen,
die wuchernde Bilderflut zu roden, Bilder zu fasten,
so dass die inneren Bilder auftauchen können.
In einem Gedicht ruft uns Kurt Marti zu: 3
bürger und bürgerinnen:
schliesst frieden mit euren träumen
setzt eure namenszüge darunter
seid gut zu ihnen
so sind sie auch gut zu euch
und machen euch besser
Predigt inspiriert durch Kommentar von Jürgen Ebach zu Gen 37-50. HThKAT
Musik 4 Marain Marais (1656-1728): La Reveuse - L‘Arabesque
3
Kurt Marti: Geduld und Revolte. Die Gedichte am Rand. 1984. S. 29
Fürbittegebet
Wir beten. Zur Einstimmung singen wir: „Gib uns Weisheit..“
Gott, Du Quelle des Lebens,
wir kommen zu Dir mit unseren Hoffnungen und unseren Träumen.
Du stehst uns für den Sinn unseres Daseins.
Wir möchten Dich spüren: Deine Nähe und Deine Weite. Durch Dich sind
wir verbunden mit den anderen, die Dich suchen und lieben.
Zeig uns wie gross und weit Deine Familie ist.
Lass uns diese Verbundenheit spüren über alle menschengemachten
Grenzen hinweg, und geschwisterlich teilen, damit niemand Mangel
leidet. Wir bitten dich und singen: 2. Strophe. „Gib uns Weisheit...“
Gott, Du Quelle des Lebens,
Du lässt uns träumen von morgen, von einer besseren Zukunft.
Wir bitten Dich für die Frauen und Männer, die in Regierung und
Parlament Verantwortung für Staat und Gesellschaft tragen.
Schenk ihnen Weisheit und Mut, dass sie sich über die Parteigrenzen
hinaus stets für das Gemeinwohl einsetzen. Stärke ihnen den Rücken,
für die schwachen Glieder unserer Gesellschaft einzustehen:
Für Kranke, Fremde, Heimatlose und Gescheiterte.
Wir bitten dich und singen: 3.Strophe „Gib uns Weisheit...“
Gott, Du Quelle des Lebens,
Du stehst uns bei mit Deiner Barmherzigkeit.
Wir bitten Dich für die, die einen nahen Menschen verloren haben.
Wir bitten Dich für Hans Neeser und für Ernst Rufer, von denen wir
letzte Woche aus unserer Gemeinde Abschied genommen haben.
Mach uns Deiner Nähe gewiss im Leben und im Sterben. –
Und wir bitten Dich für die Frauen und Männer, die in den Spitälern und
Heimen arbeiten, stärke und trage sie jeden Tag.
Wir bitten dich und singen: 4.Strophe „Gib uns Weisheit...“
Wir erheben uns und singen gemeinsam das Gebet, das die Welt
umspannt:
Unser Vater (stehend gesungen) RG 286
Musik 5 Marain Marais: Les voix humaines