indo-asiatische zeitschrift 16 - Cluster of Excellence "Asia and

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indo-asiatische zeitschrift 16 - Cluster of Excellence "Asia and
INDO-ASIATISCHE
ZEITSCHRIFT
16
MITTEILUNGEN DER
GESELLSCHAFT FÜR INDO-ASIATISCHE KUNST
BERLIN
2012
Indo-Asiatische Zeitschrift
Mitteilungen der Gesellschaft für indo-asiatische Kunst
16 . 2012
Inhalt / Contents
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
Two Dated Nepali Bronzes and their Implications for the Art History of Nepal
Gautama V. Vajracharya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Iconography of Lak¹mï-Nåråya½a Images in Pakistani Collections
Ibrahim Shah . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Introducing a God and His Ideal Form: A.K. Coomaraswamy’s
‘Dance of ˜iva’, 1912/1918
Corinna Wessels-Mevissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin – eine
sammlungsgeschichtliche Anekdote, Teil I
Michael S. Falser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Transzendenz in transkultureller Perspektive – Die indo-portugiesischen
Elfenbeinfiguren des „Guten Hirten“, Teil I
Alberto Saviello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Die Weintraube aus Stein – ein Herrschaftsmotiv unter Schah Jahan
Bernd Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Autoren / Contributors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Ausstellungskalender / Upcoming Exhibitions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Auswahl wichtiger Sammlungen / Selected Important Collections . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Mitglieder der Gesellschaft für indo-asiatische Kunst 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
IMPRESSUM
Indo-Asiatische Zeitschrift. Mitteilungen der Gesellschaft für indo-asiatische Kunst. ISSN 1434-8829
© 2012 Gesellschaft für indo-asiatische Kunst Berlin e.V. (Herausgeber). Webseite: http://www.giak.org
Die Indo-Asiatische Zeitschrift erscheint jährlich. Mitglieder erhalten die Publikation kostenlos,
für Nichtmitglieder beträgt der Preis EUR 13,00, bei Doppelnummern EUR 22,00.
Redaktion:
Raffael Dedo Gadebusch, Dr. Dietrich Mahlo, Gerd J.R. Mevissen
Satz und Layout:
Gerd J.R. Mevissen
Umschlaggestaltung:
Juliane Stahr
Herstellung und Druck:
Druckhaus Schöneweide GmbH, Berlin
Bezugsadresse:
Museum für Asiatische Kunst, Kunstsammlung Süd-, Südost- und Zentralasien, Takustraße 40, D-14195 Berlin
Tel. (030) 8301-361, Fax (030) 8301-502, E-mail: [email protected]
Umschlagabbildung:
Titelseitenabbildung:
˜iva Na¶aråja, Tamil Nadu, ca. 11th century, Portland Art Museum (see p. 31). Photo: Portland Art Museum
Jina ¹abhanåtha, Gujarat, 8. Jh., Museum für Asiatische Kunst, I 10146. Photo: Iris Papadopoulos
Gipsabgüsse von Angkor Wat
für das Völkerkundemuseum in Berlin –
eine sammlungsgeschichtliche Anekdote, Teil I*
)
Michael S. Falser
„[...] und es wird uns Vergnügen machen, unseren lieben Freunden an der Seine zu beweisen, daß ein
deutsches Museum auch aufweisen kann, was ein französisches mit kindisch-kleinlicher Engherzigkeit versteckt.“
(Harry Thomann an FWK Müller und Albert Grünwedel, 8.12.1897)
0*)
Bis heute werden die bedeutendsten Sammlungen und
Präsentationen angkorianischer Baukultur auf dem europäischen Festland mit den Museen in Paris und den französischen Kolonial- und Weltausstellungen (1855-1937)
assoziiert. Wenn man den Begriff einer musealen Sammlung aber nicht nur auf Originalobjekte bezieht, sondern
auch auf Kopien in Form von Gipsabgüssen erweitert,
und noch dazu den zeitlich-örtlichen Rahmen auf das
europäische Fin de siècle festlegt, so erstaunt der folgende Befund: um 1900 – als jene heute auf kambodschanischen Territorium befindlichen Tempelanlagen von
Angkor (9.-13. Jahrhundert) noch nicht zum französischen Protektorat Cambodge gehörten (dies geschah erst
ab 1907), sondern unter siamesischer Verwaltung lagen –
befand sich die bedeutendste Sammlung zusammenhängender Architekurflächen von Angkor – im Wettlauf um
das höchste Museumsprestige unter den europäischen
Kulturnationen – gerade nicht in der französischen
Hauptstadt, sondern im Berliner Völkerkundemuseum.
*)
Die hier vorliegende Untersuchung entstand im Zusammenhang mit dem größer angelegten Forschungsprojekt “Heritage
as a Transcultural Concept QAngkor Wat from an Object of
Colonial Archaeology to a Contemporary Global Icon”, welches der Autor am Chair of Global Art History (Prof. Monica
Juneja) innerhalb des Exzellenzklusters “Asia and Europe in a
Global Context”/Karl Jaspers Centre for Advanced Transcultural Studies der Universität Heidelberg als Habilitationsvorhaben durchführt. Weiterführende Informationen dazu unter:
http://www.asia-europe.uni-heidelberg.de/en/research/dhistoricities-heritage/d12.html. Siehe weiters FALSER 2011.
Inhalt dieses Beitrags ist aber nicht eine in den Berliner
Kontext sammlungsgeschichtlich wie kulturpolitisch
eingebettete Analyse dieses Tatbestandes, sondern eine
anekdotisch gehaltene Zusammenfassung der kuriosen
Umstände und Vorgänge des Erwerbs jener mehr als 300
Gipsabgüsse aus Angkor, deren spektakuläres Kernstück
aus der mehr als 200 Meter langen und bis zu 3 Meter
hohen Abformung der berühmten Bas-Reliefs des Tempels von Angkor Wat aus dem 12. Jahrhundert bestand.
Beauftragt vom damaligen Direktor des Berliner Völkerkundemuseums Adolf Bastian (1826-1905) zusammen
mit dem Leiter der Indischen Abteilung Albert Grünwedel (1856-1935), wurden diese Abformungen 1898 am
originalen Tempel durch den dubiosen Minenbesitzer und
Abenteurer Harry Thomann unter dem Decknamen Gillis
angefertigt, zwischen 1889 und 1903 zusammen mit ethnographischen Originalstücken auf Raten zum Gesamtpreis von 120.000 Mark angekauft und ab 1904 tatsächlich in die Wandstrukturen des Berliner Völkerkundemuseums in der Königgrätzer Straße (später in Stresemannstraße umgetauft) eingebaut.
Exkurs zur kulturwissenschaftlichen Relevanz von architektonischen Gipsabgüssen mit Verweis auf Sammlungen und Ausstellungen in Frankreich (1867-1937)
Um in der Folge die sammlungsgeschichtliche Anekdote
der Berliner Angkor-Abgüsse in einen größeren Gesamtzusammenhang einordnen zu können, soll hier kurz auf
Indo-Asiatische Zeitschrift 16 % 2012: 43-58
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M.S. FALSER
Abb. 1 Das Gipsabguss-Atelier des Musée Sarraut (heute Kambodschanisches Nationalmuseum) in
Phnom Penh, datierbar nach 1920. Photo: Kambodschanisches Nationalmuseum Phnom Penh
die Bedeutung des Gipsabgusses im architektonischen
Sammlungszusammenhang eingegangen und mit dem
französischen Kontext – der Hauptreferenz zur Berliner
Angkor-Kampagne – zugespitzt werden.
Einen methodischen Zugang hierzu bieten jene kulturwissenschaftlichen Herangehensweisen, die neuerdings
unter dem sog. translational turn verhandelt werden
(allgemein: BACHMANN-MEDICK 2009: 238-283). Ausgehend vom linguistischen Zuschnitt der Übersetzung von
schriftlichen Texten von einer Sprache in eine andere,
wird hierbei das Phänomen bzw. der Prozess von Übersetzung wesentlich weiter gefasst und umschreibt entweder die Gesamtheit menschlicher Interaktionen innerhalb
von und zwischen Kulturen (Kultur als Übersetzung –
Kultur als Text) oder beschreibt – und das ist für unser
Thema relevanter – Machtrelationen in kulturellen Kontaktsituationen bzw. Austausch- und Transferprozessen
(Übersetzung als trans-kulturelle Praxis). Der gewählte
Übersetzungsmodus entscheidet also darüber, wie Wissen
in einem kulturellen Kontext generiert und in einen anderen transferiert bzw. dort interpretiert wird; er ist damit
eingeschrieben in jene Machtstrategien, die über die Re-
zeption und Repräsentation der fremden in der eigenen
Kultur entscheiden (CARBONELL 1996: 79; STURGE
2007). Mit unserem Fallbeispiel im zeitpolitischen Zuschnitt vor und um 1900 ist das Großprojekt transkultureller Übersetzung zwischen Asien und Europa einer gewaltvollen Machtkonstellation eingeschrieben: dem Kolonialismus. In diesem asymmetrischen Kräfteverhältnis
zwischen der rezipierten und der rezipierenden Kultur
läuft Übersetzung (und das passiert ja auch ganz generell
in klassisch-linguistischen Übersetzungsvorgängen) keinesfalls wertneutral ab, sondern unterliegt den KontrollProzessen der Selektion (was wird von wem (nicht) übersetzt?) und der (Neu)Interpretation (wie, warum, von
wem für wen wird übersetzt, was kommt dabei heraus,
welche Wirkung entsteht?) (generell HERMANS/KOLLER
und FRANK, in KITTEL 2004). Bezogen auf das kolonialzeitliche Spannungsfeld zwischen Asien und Europa interessiert uns hier weniger der direkte ethnographisch,
archäologisch und kunsthistorisch motivierte Transfervorgang von Originalobjekten der Alltagskultur, der Kunst
und Architektur aus asiatischen Dörfern und Städten,
Tempeln und Klöstern in europäische Sammlungen und
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil I
Museen. Wir fokussieren auf jene Übersetzungstechnik,
mit der auserwählte originale Skulpturen, Inschriften und
sogar großformatige Architekturoberflächen ohne ‚direkten Diebstahl oder forcierten Abkauf‘ am originalen Ort
verbleiben konnten (oder vielmehr aus transporttechnischen, logistischen oder politischen bzw. besitzrechtlichen Komplikationen heraus verbleiben mussten), aber
trotzdem angeeignet, da in einem leichteren, ggf. kleinteiligerem Ersatzmedium transportiert/überführt und für den
oftmals komplett dekontextualisierten, hier musealen
Zielzusammenhang fruchtbar gemacht, bei Bedarf gar
kreativ kombiniert und neuartig (fast immer originalverfälschend) kollagiert werden konnten: Es handelt sich um
jene materiale Übersetzungstechnik des Gipsabdrucks,
die in ähnlicher Herangehensweise der Technik der Abreibung oder Papierabklatsches nahekommt (Abb. 1-2).
Die kultur- und kunsthistorische Bedeutung von Gipsabgüssen ist in diesem Zusammenhang in den letzten 20
Jahren auch in Frankreich schrittweise wieder diskutiert
worden (z.B. LAVAGNE/QUEYREL 1997; BARTHE 2001;
GUILLEMARD 2002). Und während das Original unweigerlich in seiner Oberflächenbeschaffenheit altert, liegt
mit dem Gipsabdruck ein nach seinem Direktkontakt mit
dem Original mit Authentizität und Autorität ausgestatte-
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tes, alterungsresistentes Medium vor, das sich bei der
Rückübersetzung des Negativabdrucks in einen unter
Kontrolle seines Besitzers beliebig oft vervielfältig- und
ggf. an mehreren Orten zeitgleich zirkulierbaren Positivabguss mit dem Prozess der Münzprägung vergleichen
lässt (DIDI-HUBERMAN 1999).
Obwohl es sich wie in unserem Falle um Abgüsse von
Architekturoberflächen von bemerkenswerten Tempelstätten Asiens handelt, ist die Beobachtung bemerkenswert, dass diese im 19. Jahrhundert zu Beginn nicht über
das direkte Sammlungsinteresse der Kunstgeschichte und
Archäologie, sondern unter der Rubrik ,Ethnologie bzw.
Ethnographie‘ Einzug in europäische Museen hielten.
Während schon ab dem späten 18. Jahrhundert Gipsabguss-Sammlungen der griechisch-römischen Antike dazu
herangezogen wurden, die großen Entwicklungsphasen
bzw. wiederkehrenden Formationszyklen der Kunst (Ausbildung – Klassik – Dekadenz) abzubilden – epochemachend die Mengsche Abguss-Sammlung unter dem Einfluss des Werkes Geschichte der Kunst des Altertums
(1764) des Kunsthistorikers und Archäologen Johann
Joachim WINCKELMANN – so wurden Gipsabgüsse v.a.
im Kolonialkontext über die jungen Disziplinen der
Anthropologie und Ethnologie dazu herangezogen, das
Abb. 2 Das Bild der Papier-Abreibung einer kambodschanischen Inschrift (CAM16701, estampage
de l’inscription K.469 du Bayon), im übertragenen Sinne vergleichbar mit der Abformungstechnik
des Gipsabgusses. Photo: © photothèque École française d’Extrême-Orient, Paris
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M.S. FALSER
Abb. 3 Die Aufstellung der monumentalen Gipsabgüsse diverser Architekturelemente im Musée de sculpture
comparée im Pariser Palais de Trocadéro, um 1885 (Mitte hinten das Portal von St. Madeleine im französischen
Vézeley, links auf den Sockeln ägyptische, rechts griechische Plastik). Photo: Paul Robert/CAPa/archives (Paris)
große, eurozentristische Narrativ der ,Zivilisation‘ in
einer weltumspannenden Taxonomie lebensecht und
realistisch abzubilden: Unter dem Anspruch angeblich
objektiver Komparatistik und wissenschaftlicher Präzision entstanden Gipsabgüsse von ,primitiven Wilden‘
(man denke an den Ganzkörperabguss der sog. Hottentotten-Venus von 1815 durch den französischen Naturalisten und Zoologen George Cuvier für das Muséum
national d’histoire naturelle), die scheinbar ganz selbstverständlich neben echten ethnographischen Objekten
,primitiver Völker‘ und eben Gipsabgüssen und Originalteilen von Tempeln erloschener Hochzivilisationen (wie
in unserem Falle der untergegangenen Hochzivilisation
der Khmer) zu stehen kamen. Eine interessante Mischform kunsthistorisch-archäologischer mit zivilisationskomparatistischer Sammlungsgeschichte entstand in der
späten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im sog. Pariser Trocadero-Palast, der als Bau in modifizierter Form
bis heute weiter fortbesteht. Auf Anregung des Historikers, Architekten und Denkmalpflegers Eugène Viollet-le
Duc entstand 1878 im Folge-Kontext der dritten französischen Weltausstellung das Musée de sculpture comparée,
in dem im Durchwandern der Säle zum Winckelmannschen Narrativ von Früh-, Hoch- und Spätphasen (hier
der Architekturgeschichte) v.a. Objekte der griechischrömischen Klassik zusammen mit vereinzelten Skulpturen
der ägyptischen und assyrischen Hochkultur Gipsabformungen ganzer Architekturenteile der französischen
Hochgotik gegenübergestellt wurden (Abb. 3). Diese Europa, Ägypten und ,Nah-Ost‘-umspannende komparatistische Herangehensweise wurde kurz nach le-Ducs Tod jedoch zugunsten eines rein französischen Objekt-Parcours
entfernt, der heute in restaurierter Form und veränderter
Komposition am selben Ort als Musée des monuments
français wieder zugänglich ist (MINISTÈRE 1900; CITÉ DE
L’ARCHITECTURE 2007). Ungefähr zeitgleich zum Musée
de sculpture comparée im Nordflügel des TrocaderoPalastes eröffnete 1882 im äußersten Teil des Südflügels
(im sog. Passy -Flügel) das Musée Indochinois des antiquités Cambodgiennes, das originale und v.a. gipsabgegossene Repliken von Skulpturen und Architekturfragmenten der untergegangenen Hochkulturen Südost-Asiens ausstellte und bis ca. 1925 bestand, bevor es im Zuge
des Umbaus des Trocadero-Palastes für die letzte Pariser
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil I
Weltausstellung von 1937 endgültig aufgelöst wurde. Initiator und Direktor des Museums, das seinen Vorläufer in
einer temporären Aufstellung innerhalb des Schlosses von
Compiègne nördlich von Paris hatte (CROIZIER 1875), war
der Marinekapitän, Forschungsreisende und v.a. exzellente Zeichner Louis Delaporte (1842-1925). Er hatte an
der für unseren Kontext äußerst folgenreichen MekongExpedition unter Doudart de Lagrée und Francis Garnier
(1866-68) teilgenommen, in der es hauptsächlich um die
Erkundung der wirtschaftsrelevanten Navigabilität des
Mekong-Flusses von der französischen Kolonie Indochina
aus in die südchinesischen Provinzen ging. Während einer
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Nebenexkursion zu den Tempelstätten von Angkor fertigte Delaporte detailreiche und für die nachfolgend dreibändige Publikation zugleich phantasievoll kollagierte
Zeichnungen der Ruinen an (GARNIER 1873; DELAPORTE
1880). Nach dieser Initialerfahrung am originalen Ort und
sichtlich beeindruckt von den 1773 eröffneten Cast
Courts des Londoner South Kensington Museums (heute
Victoria & Albert Museum) mit seinerseits vollplastischen
Nachformungen von ,britisch-indischem Kulturerbe‘ wie
dem berühmten Sanchi-Tor (DELAPORTE 1880: 251, 350,
426-428; BARRINGER 1998; FLOUR 2008) (Abb. 4), organisierte Delaporte bis 1900 mehrere Expeditionen nach
Abb. 4 Ein Bild der Aufstellungsarbeiten des in Gips abgegossenen indischen Sanchi-Tores in den
Eastern Cast Courts im South Kensington Museum (heute Victoria & Albert Museum) in London, um
1872. Photo: © Victoria & Albert Museum, London
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M.S. FALSER
Abb. 5 Die Aufstellung von abgegossenen und originalen Skulpturen und Architekturfragmenten im Musée indochinois im Pariser
Trocadero-Palast, um 1885. Photo: École National Supérieure des Beaux-Arts, ENSBA Paris
Angkor, um v.a. Gipsabgüsse dekorativer Tempeloberflächen auszuführen, die er in seinem Pariser Museum
neben Architekturteilen und Skulpturen aus ganz Indochina und Java (heute Teil Indonesiens) entweder als isolierte Objekte vor einer schwarzen Wandverhängung in
photographischer Präsentationsästhetik zeigte, oder – und
das war der spektakuläre Ansatz, der sich fundamental
vom hier anschließend diskutierten Berliner Kontext unterschied – die per se ,authentisch‘ abgegossenen Einzelteile zu dreidimensionalen und z.T. völlig neuartig zusammengesetzten Architektur-Kollagen montierte (GUÉRINET
n.d.; DELAPORTE 1874, 1877; FILOZ 1889; FOURNEREAU
1889; LA NAVE 1903, 1904; COEDÈS 1909; ZÉPHIR 1996;
FALSER 2011; BAPTISTE 2012) (Abb. 5-6). Das Museum
von Delaporte präsentierte aber nicht nur erstmals die
Baukunst von Angkor in pittoresker Dreidimensionalität
auf europäischem Festland, sondern diente mit einer im-
mensen Kollektion an nahezu allen repräsentativen Bauschmuckelementen der angkorianischen Tempel, allen
voran den Tempeln von Angkor Wat und Bayon, als eine
Art Fundus und Bauteilarchiv für jene hybriden AngkorInterpretationen, die sich zwischen 1889 bis 1937 auf insgesamt 3 Weltausstellungen (Paris 1889, 1900, 1937) und
drei Kolonialausstellungen (Marseille 1906, 1922 und
Paris 1931) von phantasievollen Kleinkollagen bis zum
megalomanen 1:1-maßstäblichen Nachbau des zentralen
Heiligtums von Angkor Wat (1922, 1931) weiterentwickelten (FALSER 2011) (Abb. 7-8). Der Hauptgrund, weshalb die Franzosen sich nicht auf die nüchtern-wissenschaftliche Präsentation von Skulpturen und zweidimensionale Bas-Reliefs in Museen (z.B. wie bis heute im
Musée Guimet) beschränkten (auch vergleichbar mit
unserem folgenden Berliner Fallbeispiel), sondern sofort
auf den dreidimensional erlebbaren und damit weitaus
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil I
spektakuläreren Repräsentationsmodus angkorianischer Architektur während der Millionen-Events von Kolonial- und Weltausstellungen setzten, mag einfach zu erklären
sein: Obwohl das besagte Tempelareal innerhalb der Provinz Siem Reap erst 1907
vertraglich von Siam an Kambodscha ,zurückgegeben‘ wurde, war es seit der Etablierung des französischen Protektorats
Cambodge im Jahre 1863 sofort zentraler
Bestandteil der mission civilisatrice, in der
die koloniale Aneignung bzw. Überführung
Angkors in das französische patrimoine
(Kultur-,Erbe‘) – also seine (Neu)Entdeckung bzw. Rettung, Erforschung und
Restaurierung (eingeschrieben in das typische Kolonial-Narrativ der ,Befreiung der
angeblich komplett verlassenen Ruinen aus
dem dichten Dschungel‘) – nicht nur am
realen Ort stattfinden konnte, sondern auch
im französischen Mutterland (métropole)
kritischen Politikern und v.a. dem braven
Steuerzahler des kostenschweren Kolonialprojekts schmackhaft visualisiert, also spektakulär erlebbar gemacht werden musste.
Die angkorianischen Tempelnachbauten in
Frankreichs Museen und Welt- bzw. Kolonialausstellungen waren aus dieser Perspektive auf Kulturerbe gewissermaßen der materiale und zugleich populär-performative
Aspekt der französisch-kolonialen mission
civilisatrice.
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Abb. 6 Die neuartige Zusammensetzung von abgegossenen Architekturfragmenten nach dem Bayon-Tempel im Musée indochinois im Pariser TrocaderoPalast, um 1885. Photo nach GUÉRINET n.d.: pl. 36
Abb. 7 Der Pavillon du Cambodge der Architekten Vildieu und
Lagisquet mit neuartig zusammengesetzten Gipsabgüssen aus
Angkor auf der Nationalen Kolonialausstellung von Marseille
im Jahre 1906. Photo: Archives municipales de Marseille
Abb. 8 Das Palais de l’Indochine durch den Architekten Delaval mit dem Einbau abgegossener Dekorelemente von Angkor
Wat zur Nationalen Kolonialausstellung von Marseille im Jahre
1922. Photo: Archiv Michael Falser
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M.S. FALSER
Die Bas-Reliefs von Angkor Wat für das Berliner
Völkerkunde-Museum
„[...] indische Archäologie [...] Ein Zweig dieses Gebietes ist die Erforschung der Ruinen von Kambodscha,
die in ihrer Colossalität selbst die ägyptischen übertreffen. Bastian hat sich wiederholt bemüht, Dinge daher
zu erhalten, die Franzosen geben aber nichts heraus,
haben sie doch ihr ganzes Musée Khmer geradezu versteckt – in die Artillerieschule zu Compiègne! – Im
Moment liegt nun durch eine besonders glückliche
Combination die Möglichkeit vor, von diesen ungewöhnlich interessanten Dingen vielleicht Originale –
sicher Abklatsche und Photographien – welche auch
von den in Frankreich vorhandenen Dingen nicht erhältlich sind – zu erhalten und zwar von den noch auf
siamesischem Gebiet stehenden Ruinen der alten
Hauptstadt des Reiches von Kambodscha.“
(Grünwedel an Valentin Weißbach vom Hilfskomitée
für die Vermehrung der ethnologischen Sammlung der
königlichen Museen, 17.3.1898)
Im Folgenden wird es darum gehen, die Vorgänge des Erwerbs der Abformungen (in diesem Falle waren es sog.
Papiermulden) der großen Bas-Reliefs des Tempels von
Angkor Wat zu beleuchten. Dem Autor lag für diese Recherche lediglich ein großer Akt mit der Signatur Pars
I.B.31 – Museum für Völkerkunde, Acta betreffend die
Erwerbung ethnologischer Gegenstände durch H. Thomann im Archiv des Ethnologischen Museum in Berlin
vor, der auf mehr als 400 Seiten sowohl den Schriftverkehr zwischen den Hauptprotagonisten des Erwerbs der
„Patronen von Angkor“ abbildet, als auch die weniger
angenehme Nachgeschichte um den Fall Thomann.1)
DAS ZUSTANDEKOMMEN DER THOMANN-EXPEDITION, DIE
ARBEIT VOR ORT UND DAS ERGEBNIS
Friedrich Karl Müller, Orientalist und seit 1896 Direktorialassistent am Berliner Völkerkundemuseum (i.d.F.
VKM) berichtete im August 1897 von einem in Kao
Tree, Chantaboon/Siam ansässigen Harry Thomann, des1)
Alle in der Folge zitierten Unterlagen, die für diesen Beitrag in
chronologisch-inhaltliche Abschnitte gegliedert werden, stammen aus diesem Akt und werden nur mit ihren Autoren und
Daten ausgewiesen, während schwer lesbare Passagen der
Briefwechsel vom Autor sinngemäß ergänzt/interpretiert und
dementsprechend mit „[...]“ ausgewiesen werden. Weitere Informationen zum Fortleben dieser Abformungen konnte der
Autor im Museum für Asiatische Kunst und in der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin erhalten.
sen ethnographische Objekt-Sammlung aus Birma und
Siam in der Folge vom VKM tatsächlich angekauft und
inventarisiert wurde und den Auslöser der folgenden
Angkor-Kampagne darstellte: „Im Übrigen glaubt Herr
Thomann im Stande zu sein, in seinen vielen Excursionen
als Mineralog und Edelsteinsucher gelegentlich KhmerAltertümer für uns zu suchen (sichern). Mit Rücksicht auf
die jahrelang fortgesetzten [und] erfolglosen Versuche
Khmer-Altertümer für unser Museum zu erwerben, habe
ich ihn für die Frage zu interessieren versucht, ihn aber
betreffs weiterer Orientierung auf die Rückkehr des
Herrn Professor Grünwedel verwiesen“ (FWK Müller,
18.8.1897). Das Thema bisher erfolgloser Vorstöße, in
Frankreich bei Delaporte Gipsabgüsse aus Angkor zu bekommen (ohne dass sein Name jemals direkt ausgesprochen wurde; vgl. Einleitungszitat des Aufsatzes) war dabei also schon etabliert. Wenige Tage später wandte sich
Thomann unter der Berufsbezeichnung eines „Minen-Ingenieurs“ an den stellvertretenden Direktor des Museums,
Albert Grünwedel, um die „bis jetzt unerreichbaren Antiquitäten zu verschaffen“, wies aber sowohl auf die limitierten Transportkapazitäten auf dem Landweg (auf dem
Rücken von Elefanten!) und mit leichten Booten über den
Tonle Sap (Großen See) hin als auch auf die argwöhnischen französischen Zollbeamten im heiklen Verladeort
Saigon (Thomann an Grünwedel, 30.9.1897). Der am
Golf von Siam gelegene Hafen von Chanta Bun, der seit
dem Vertrag von 1893 ebenfalls unter französischer Kontrolle stand, schien nach Thomann nur unter gefälschten
Absenderinformationen denkbar: „Ich kenne aus Erfahrung wie wenig skrupellos die französischen Postbeamten
an kleinen Plätzen meistens Administrationsbeamte sind,
hauptsächlich aber wenn Absender oder Empfänger die
Ehre haben zu der race detester [sic] zu gehören [...] Deshalb darf die Adresse Professor Grünwedel Museum [sic]
weder für Briefe noch Frachtgüter gebraucht werden.
Muss Sie also um eine andere Adresse ersuchen. Vielleicht an Ihre Frau Gemahlin oder wie Sie am besten denken.“ (Thomann an Grünwedel 9.1.1898). Doch die Frage
der Abformungstechnik war bisher noch ungelöst, da
Thomann Versuche mit „Capellack und Spiritus“ als unbefriedigend einstufte. Grünwedel wandte sich im März
1898 bereits mit einer konkreten Finanzierungsanfrage
bezüglich der Raten-Zahlungen bis zu 5000 Mark für die
Thomannschen Angkor-Expedition erfolgreich an Valentin Weißbach, Direktor des eben erst gegründeten ,Hilfskomitée für Vermehrung der ethnologischen Sammlung
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil I
51
der königlichen Museen‘ (siehe Zitat zu
Anfang dieses Textabschnitts, Grünwedel an Weißbach, 17.3.1898). Sein
Verweis auf Delaportes Museum in
Compiègne schien dabei seltsam antiquiert, war dieses doch zu dieser Zeit
längst in den Pariser Trocadero-Palast
übergesiedelt. Am 5. April 1898 bestieg Thomann in Genua den Norddeutschen Lloyd-Dampfer Preußen
(Thomann an Grünwedel, 24.3. und
1.4.1898), um kurze Zeit später vom
Suez-Kanal aus an Grünwedel eine
Postkarte „aus dem Lande der Ägypter“
zu verschicken: zu diesem Zeitpunkt
hatte er seine Identität bereits auf
„A. Gillis“ umgetauft (Thomann an Abb. 9 Ein Ausschnitt des Eingangsprotokolls der Thomannschen Abformungen
Grünwedel, Postkarte aus Port Said aus Angkor aus dem Jahre 1898. Photo: Archiv des Ethnologischen Museums Berlin
vom 10.4.1898). Zwei Monate später
berichtete Thomann (jetzt Gillis) aus Phom Penh, der
nennt 304) sog. „Mouldings“ bzw. „Patronen“ umfassten
Hauptstadt Kambodschas, von seiner Abguss-Kampagne
alle Galerien von Angkor Vat [sic], darin alleine sieben
in Angkor: „Mit zwei Assistenten und 120 unzufriedenen
2,25 mal 1,8m große Abnahmen der berühmten „QuirNatifs“ habe er mehrere Wochen lang in Angkor gearlung des Meeres“ der rechten Ostgalerie, ganze 123 Stück
beitet, mit Krankheiten und Gerüsteinstürzen zu kämpfen
„Papierabklatsche“ der „Himmel und Hölle“-Darstellungehabt, mit zu bestechenden siamesischen Statthaltern
gen der Südgalerie und andere Szenen von „Riesen und
(eine Tatsache, mit der sich auch Delaporte hatte abAffenkampf“ (11 Stück), „Letztes Gericht“ (5 Stück),
finden müssen!) ebenso wie mit den arbeitsunwilligen
„Reiter und Chimären“ (14 Stück) und „Rama im Kampf
(in der Tat jedoch mit der anstehenden Reisernte vollmit Ravana“ (10 Stück). „70 Blätter“ kamen von „Abkommen ausgelasteten) Arbeitskräften vor Ort: „Annareibungen von Inschriften aus Angkor Vat“ und Bayon,
miten, Chinesen und Laotianer, das geht noch, aber die
„100 Blätter von 14 Original-Sutras“, darunter 26 Blätter
eingesessenen, die sich stolz die Nachkommen der früher
der „Poesie auf Angkor Vat“ (Inventarliste vom
so großen Nation auch heute noch Khmer nennen, Gott
10.11.1898) und letztlich 130 Photographien, die für diebewahre, welch trauriges faules Gesindel und dabei
se Publikation aber nicht ausfindig gemacht werden
hinterlistig wie eine Pantherkatze.“ Doch der Auftrag
konnten. Für den „ungeteilten Inhalt der 14 Kisten“ (was
schien ein Erfolg zu werden: „Mit dem jetzt erhaltenen
für das genannte Inventar allerdings etwas gering erGeld gedenke ich jetzt zwei Monate arbeiten zu können
scheint) beanspruchte Thomann den Preis von 110.000
und dürfte ich im Oktober Ihnen alles denkbar ErMark (Thomann an Grünwedel, Berlin 24.11.1898).
wünschte selbst vorlegen können, dann wollen wir [uns]
hüben wie drüben auch mal das Maul wässrig machen.
GRÜNWEDELS BERICHTE ÜBER DIE THOMANNSCHE
Sie sollen Ihre blauen Wunder sehen [...].“ (Gillis an
EXPEDITION UND SEINE ANSUCHEN ZUR FINANZIERUNG
Grünwedel, Phnom Penh 20.6.1898). Im Oktober mit
Im genannten Akt im Archiv des Ethnologischen Musedemselben Dampfer zurück in Southampton, kündigte
ums befinden sich an dieser Stelle drei längere AbfassunThomann-Gillis das Eintreffen seiner kostbaren Fracht
gen Grünwedels, deren zwei wohl unmittelbar vor, wähin Bremerhaven an. Unterschiedliche Empfangs- bzw.
rend oder nach der Thomannschen Expedition 1898 entInventarlisten Ende des Jahres 1898 bestätigen das Einstanden und eines mit 1.12.1899 datiert ist, aber alle keitreffen der Kisten und ihre Öffnung unter Aufsicht von
nen direkten Adressaten tragen. Am wahrscheinlichsten
Grünwedel (Abb. 9): Insgesamt 340 (eine andere Liste
52
waren damit aber der Direktor des VKM, Adolf Bastian,
als obligatorischer Abzeichner des Schreibens ebenso angesprochen wie potentielle zahlungskräftige Unterstützer
wie Valentin Weißbach vom „Hilfskomitée für die Vermehrung der ethnologischen Sammlung der könglichen
Museen“ und andere Museen für den Erwerb weiterer
Positiv-Nachgüsse der in Berlin eingegangenen NegativPatronen. Zusammengefasst geben diese Berichte einen
spannenden Einblick zu Fragen der Sammlungspolitik,
der finanziellen Lage, der personellen Situation und zu
jener Zeit als fortschrittlich eingestuften Abguss-Techniken am Berliner VKM. Im ersten Brief ist Grünwedels
Argumentation bemerkenswert, in der er die Abformungen von Thomann, tituliert als „Minerlog und Pächter
von Edelsteinminen in Hinterindien“, gegenüber den
französischen Abguss- und späteren Präsentationsmethoden abzugrenzen versuchte: „Da die Franzosen nur wenig
abgegossen haben und zwar von den ungereinigten Steinen mit Gips – wobei gewissen Darstellungen ganz ohne
wissenschaftliche Basis nur um den Momenteffect zu
haben – da und dort herausgewählt worden waren, so
sollte das viel bessere von Dr. Seler empfohlene Maudsley’sche Verfahren, welches alle Einzelheiten besser zeigt
als ein vom Stein genommener Gypsabguss, angewendet
werden und zwar so, daß möglichst große ganze Reliefs
das Resultat sein sollten.“ Wie Grünwedel weiter berichtete, hatte Thomann „mit den zwei tüchtigen Münchner
Gießern Kugelmaier und Gillitzer, (dessen Namen als
Gillis einen fingierten Amerikaner herstellen sollte, um
die französischen Behörden zu täuschen)“ zusammengearbeitet und selbst zur Vor-Finanzierung der Expedition
neben Ratenzahlungen des Hilfskomitées sogar eigene
Juwelen verpfändet. Neben einigen „Originalsteinfiguren“ betrachtete aber auch Grünwedel „die Patronen, welche alle zusammen ein complettes Arcadenglied mit Pfeilern, Decken und Füllungen und über 200 Meter Flachreliefs von Angkor Vat, eine Anzahl Giebel- und Friese
von Angkor Vat und Bayon“ enthielten, als wichtigstes
Ergebnis. Zum Ankauf der Original-Sammlung für
10.000 Mark und der Patronen um 100.000 Mark schlug
er eine Finanzierungsmethode vor, die ursächlich mit dem
Vorteil von Gipsabgüssen zu tun hatte, nämlich der kontrollierten Vervielfältigung (vgl. die theoretische Einleitung dieses Beitrags zum Begriff der ,Übersetzung‘): „Ich
schlage vor eine Subskription zu eröffnen, in welcher
englische und amerikanische Museen aufgefordert werden, sich größere oder kleinere Sätze zu bestellen, so dass
M.S. FALSER
wir daraus den geforderten Preis zusammenstellen können.“ Diesen Vorschlag führte er in einem zweiten Brief
(datierbar wohl Ende 1898) weiter aus, der wahrscheinlich als eine Art Entwurf für ein mögliche Anfrage an
andere Museen gedacht war; eine Randnotiz mit der Bitte
der Angabe weiterer Maßangaben der vorliegenden Abformungen bestätigt Bastians Sichtung des Dokuments,
der sich zeitglich selbst aktiv um eine Finanzierungsmöglichkeit bemühte. So Grünwedel:
„Der ungemeine Aufschwung, welche die indische
Archäologie innerhalb der letzten Jahre in Deutschland,
England, Russland und Frankreich genommen hat, hat
den Mangel brauchbarer Reproduktionen dieses großartigsten Denkmales der altinidischen Kultur sehr schwer
empfunden, um so mehr als die nach Paris gekommenen Originale und Gipsabgüsse seit Jahren nicht mehr
allgemein zugänglich sind. Um nun der Bedeutung der
Resultate allgemeinen Anteil zuzuwenden zugleich um
die ungewöhnlich hohen Unkosten zu verringern, hat
das Museum sich entschlossen an verschiedene ausländische Museen die Anfrage zu richten, ob dieselben
sich für Reproductionen grösserer oder kleinerer Sätze
dieser Abgüsse interessieren würden. Deshalb gestatten
wir uns auch an Sie die ergebenste Anfrage zu richten,
ob Ihr Museum entweder die ganze Serie oder einzelne
Gruppen daraus bei der Giesserei der Museen zu erwerben wünscht und welche Summe Sie dafür zur Verfügung stellen könnten. Ich muss noch erwähnen, daß die
Patronen von tadelloser Schönheit sind und alle zusammen etwa 200 Meter Flachreliefs (von etwa 1-3 Meter
Höhe) darstellen. Es ist hier die Gelegenheit geboten zu
einem verhältnissmässig niedrigen Preis (20.000 Mark
oder je nach Wunsch mehr oder weniger) jedem Museum eine ,Abteilung Museum Khmer‘ zu [ver]schaffen,
eine Gelegenheit, die so nie wiederkehren wird. Genauere Angaben stehen nach Wunsch zu Gebot. Ich schliesse nur die Notiz noch an, daß die Reliefs von allen
Galerien Angkor Wats stammen: Himmel und Hölle
sind so complett vorhanden [mit] 123 Meter langen
Tafeln: ein grossartiges Ensemble, welches für jedes
Museum eine Erwerbung ersten Ranges darstellen
würde.“
(Grünwedel, ohne Adressat und Datum, wohl Ende 1898)
Grünwedels weitaus längste Ausführung zum Thomannschen Projekt entstand (nur als Abschrift im Akt überliefert) jedoch im Jahre 1899 auf ganzen 10 Seiten. Zu
Beginn seines Schreibens steht eine überraschend deutliche Emphase zur patriotischen Pflicht einer AngkorSammlung in Berlin.
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil I
„Das Berliner Museum, auf anderen Gebieten unstrittig
das unübertroffen einzige Institut seiner Art, besitzt von
den einschlägigen Dingen nichts, nicht einmal eine
Photographie! Das einzige in Deutschland vorhandene
unversehrte Stück ist ein prunkvoll in Bronze gegossener Löwe im königlichen Museum in Dresden. Es ist
unsere unbedingte Pflicht diese unerträgliche Lücke
möglichst würdig zu ergänzen, um so mehr, als es unser
Patriotismus erfordert, in allen den äußersten Osten
betreffenden Dingen wissenschaftlich ebenso oben auf
zu sein, wie es das Berliner Museum dank des Einsatz
seiner Gönner und Förderer auf allen anderen Gebieten
zu sein sich rühmen kann.“
(Grünwedel ohne Adressat, Abschrift 1.12.1899)
Zum wiederholten Male waren die Vorgänge der Franzosen bezüglich Angkor ebenso Kritik wie ihre AbgussTechnik und angeblich unwissenschaftliche Arbeitsweise.
Neu in der Argumentation und angesichts des bereits bekannten Musée Indochinois und der Pariser Weltausstellung von 1889 mit dem ersten monumentalen ,Nachbau‘
Angkors mit original abgegossenen Einzelteilen, war die
abstruse Erklärung für den angeblichen Grund ihrer „Geheimhaltung“ aller nach Frankreich überführten Originale
und Abgüsse vor dem Erwerb der Tempel von Angkor
für das französische Protektorat im Jahre 1907, die letztlich die deutsche Initiative rechtfertigen sollte:
„Die französischen Expeditionen [...] haben eine Reihe
von [Architekturteilen,] darunter hauptsächlich Stücke
der großen Bauten, Reliefs der zugänglichsten [Partien]
in wandalischer Weise weggenommen, einige Gipsabgüsse hergestellt etc. All dies gelang, denn im Lande
selbst waren die Bauten vergessen. Als Mouhot im
Jahre 1861 die Tempel entdeckte, der erste Bericht wie
ein Märchen, wollte niemand diesem glauben, selbst in
Siam nicht. Dort hörte A. Bastian davon und erhielt
von König Mong Kut die Erlaubnis, die Ruinen zu
sehen; andere folgten, man erwartete Großartiges und
plötzlich war es – still. Die sehr wenig zahlreichen Abgüsse, welche die Franzosen hergestellt hatten, waren
an Ort und Stelle in Gips ausgeführt worden, ein Verfahren, welches bei der eigentümlichen Beschaffenheit
der Reliefs nur plumpe Resultate ergeben müßte. [...]
Wissenschaftlich aber ist das Verfahren zu bezeichnen
dadurch, daß die französischen Archäologen nirgends
geschlossenen Gruppen [ab]nahmen, sondern da und
dort einige Stücke [nach der] Abenteuerlichkeit des
Dargestellten oder nach [ihrem] Effekt [...] abgegossen
wurden [...] seit 1889 aber ist es vollkommen still geworden und nicht einmal die nach Europa gebrachten
53
Stücke sind zugänglich. Alle in unserem Museum gemachten Versuche, Reproduktionen zu erhalten, waren
vergebens. Die vielen Briefe wurden nicht einmal beantwortet. Die weggeschafften Originale, wie die dürftigen Abgüsse sind in Compiègne versteckt [...] Es ist
unsere Pflicht [...] sie der Wissenschaft wiederzugeben
und die deutsche Wissenschaft in Stand zu setzen, dies
zu leisten, was die Franzosen unterlassen haben. Angkor Wat liegt auf siamesischem Boden und der jetzige
König von Siam hat sogar eine Summe zum Instandhalten des Baues ausgesetzt. Aber dafür wird fast nichts
geleistet [...] Hier wäre es die Pflicht der Franzosen
gewesen, den notwendigen Druck auszuüben, den sie
im Interesse „der Kultur“ Siam gegenüber so oft ausübten und es durchzusetzen, daß die Bauten nicht [...]
verfielen und der Ausplünderung durch Globetrotter
preisgegeben wurden. Der Plan der Franzosen scheint
der folgende zu sein: nachdem es misslungen war, sich
der Monumente zu bemächtigen, sollten sie in Vergessenheit [geraten] und nur von Zeit zu Zeit zu Plünderungszügen benützt werden. Es kommt dabei eine Frage
in Betracht, welche für unser Unternehmen von Wichtigkeit ist und welche ich mir bei Beginn der Untersuchungen stellte. Es ist die Folgende: sollte es möglich
sein, daß die französische Regierung, wenn sie erfährt,
was durch deutsche Unternehmungen erreicht ist, ein
ähnliches Unternehmen ins Werk setzt und in derselben
Weise aber mit noch mehr Capital – da die nationale
Eifersucht nunmehr erregt ist – die Reliefs ebenso abgießen lassen wird? Wird es möglich sein, dass sie
durch Überbietung unserer Leistungen diese entwertet?“
(Grünwedel ohne Adressat, Abschrift 1.12.1899)
In der Folge pries Grünwedel die Qualität der von Thomann abgenommenen „308 Meter Relief von Angkor
Wat – entgegen 33 Stück Abgüsse in Compiègne“, wie er
dem 1875 erschienenen Katalog von CROIZIER entnommen, aber nicht mit dem bis 1900 rapide angestiegenen
Bestand im Trocadero-Palast abgeglichen hatte – die von
erfahrenen Fachleuten wie Sieke in der Gipserei der
königlichen Museen in Charlottenburg in Gipsabgüsse
rücküberführt werden könnten:
Diese Patronen sind nach den Maudsley’schen Verfahren hergestellt, ein Verfahren, das nur wenig bekannt ist. Herr Dr. Seler hatte die nötigen [Anweisungen] gegeben und Herrn Thomann Proben machen
lassen. Das Verfahren ist kurz beschrieben das folgende: große Bogen des [imprägnierten] Papiers – [geliefert von] einer Fabrik in Valenzia – werden auf das
Relief aufgelegt und mithilfe einer lang langstichigen
54
M.S. FALSER
Bürste, welche am besten mit einem beweglichen Glied
versehen ist, aufgehämmert. [Sobald] das Relief das
Papier durchschlägt, wird neues Papier aufgelegt, bis
die nötige Dicke und damit die nötige Festigkeit an den
spitzigen Stellen des Reliefs erreicht ist. Nach dem
Trocknen wird die Papierlage abgenommen, die Ränder
[...] mit Bindfaden [abgenäht] und die ganze Patrone
mit einer K[...]lösung getränkt, wodurch sie eine Härte
erhält, welche ermöglicht Ausgüsse in Gips herzustellen. [...] Eine Erwerbung der Thomannschen Sammlung
würde nicht nur alles, was die Franzosen besitzen in
den Schatten stellen, es würde dadurch Berlin mit einem „Musée Khmer“ ausgerüstet, wie es [nicht noch
einmal] geschaffen werden könnte. Denn Fergusson
(History of Eastern Architecture) hat Recht, wenn er
sagt: Seit der Entdeckung der untergegangenen Städte
Assyriens [...] ist die Entdeckung der alten Hauptstadt
Kambodschas das größte Ereignis für die Kunstgeschichte des Ostens.“
(Grünwedel ohne Adressat, Abschrift 1.12.1899)
Grünwedels Aufwand sollte sich lohnen: Ende des Jahres
1898 verzeichnete ein Inventar den Erhalt der Thomannschen Sammlung, die sich in dieser Zusammenstellung
auf 442 Stücke belief. Valentin Weißbach bestätigte
Bastian die auf Ratenzahlung zu jeweils ca. 22.-25.000
Mark bis 1903 zu erfolgende Finanzierung der 119.189
Mark (Weisbach 13.12.1898).2) Anfang 1899 drängte
Grünwedel bereits auf die in fünf Gruppen schrittweise
„Herstellung von Gipsabgüssen aus den Papierpatronen“:
„1. Himmel und Hölle, 2. Historische Reliefs, 3. Quirlung
des Ozeans, 4. Râmâya½a, 5. Dekorative Reliefs” (Grünwedel 20.4.1899). 1902 meldet Grünwedel weitere Gipsabgüsse, die Gipsformerei unter Sierke (oftmals Siecke
oder Sieke genannt) ein ganzes Jahr später die fast vollständige Abgießung und deren Übergabe an das VKM
(Sierke, 4.5.1903), auch wenn – neben den „zuletzt zusammengesetzten Turfan-Altertümer“ [jener Seidenstraßen-Expedition unter Grünwedel und Le Coq!] – eine geplante „Zusammensetzung des Portals in der Formerei
nicht möglich gewesen“ war (Sierke, 10.1.1904). Aus
dieser Randnotiz lässt sich vermuten, dass auch Berlin
2)
Im Archiv der Staatlichen Museen zu Berlin/Ethnologisches
Museum sind die Inventarnummern zur Erwerbung mit den
Ident.Nr. „E 1196/1899 und 1234/1898 bzw. I B Asien“ vermerkt und folgend betitelt: „I/141/1899: I C 30906, 3240732454, 32432-32458, 30692-30770, VII 7237-7341 (Ethnologische Papierabklatsche, Gipsabgüsse von Angkor, Bayon etc
(Kambodscha, Thomann-Gillis)“. Angaben von Frau Zenner
(19.11.2010).
Abb. 10 Der Grundriss-Plan auf dem Führer des ehem. Völkerkundemuseums in Berlin aus dem Jahre 1914, mit der
Ausweisung der Aufstellung der Abgüsse aus Angkor. Photo
nach Führer 1914, vordere Innenseite.
(allerdings erfolglos) wie das Pariser Musée Indochinois
(erfolgreich) versucht hatte, eine dreidimensional erfahrbare Fassung der Dekorabgüsse aus Angkor herzustellen.
Zu dieser Zeit „nahm die Aufstellung der Abgüsse die
Arbeitskraft der gesamten indischen Abteilung vollständig in Anspruch“ (Meldung 15.3.1904), am 21.4.1904
waren alle Abgüsse restlos hergestellt worden. Obwohl
Kambodscha kulturgeschichtlich schon im Museumsführer von 1898 in der Sektion zu „Hinterindien“ erwähnt
wurde (KÖNIGLICHE MUSEEN 1898: 171-172), wurden
die Einpassungen der Bas-Relief-„Abgüsse aus Angkor
Wat“ in die Wandflächen des „Rundgangs im zweiten
Stock“ des Museums in der Stresemannstraße erst im
Museumsführer von 1914 planlich und in jenem von
1929, dann allerdings im Erdgeschoss, planlich und mit
kurzer Beschreibung nachgewiesen (Führer 1914: Innentitel mit Grundriß (Abb. 10); STAATLICHE MUSEEN 1929:
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil I
Abb. 11
Abb. 11-14 Eine Bildserie zum Einbau der Gipsabgüsse von Angkor im Berliner Völkerkundemuseum in der Stresemannstraa¯e, 1926. Die Bilder weisen ihre spezifische räumichePositionierung aus: Abb. 11 „Raum XXVII, Blick
auf Steinwand“; Abb. 12 „Raum XXVII“; Abb. 13 „Raum XXVII Mittelwand“; Abb. 14 „Raum XXVII Mittelwand
mit Blick auf Rundwand“. Photos: Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin – Preua¯ischer Kulturbesitz
55
56
M.S. FALSER
Abb. 13
47-48, 52-54) als auch in Photographien aus der völkerkundlichen Studiensammlung von 1926, passend zur
Raumgliederung im Museumsführer des Jahres 1929
(Abb. 11-14), abgebildet. Eine Notiz der Deutschen Literaturzeitung von 1904 verkündete „die Aufstellung der
Abgüsse von den Kolossalreliefs des Tempels von Angkor in Alt-Kambodscha“ in 126 Platten, deren „vor Ort
und Stelle vorgenommene Abdrücke“ allerdings fälschlich in das Jahr 1896 datiert wurden (Notizen 1904).
Betrachtet man die Photographien genauer, so lässt sich
eine ähnlich durchmischte Aufstellung mit originalen
und abgegossenen Objekten aus ganz Südost-, Süd- und
Ostasien erkennen wie bei Delaportes Musée Indochinois. Zusammen mit der Schliemann- und Turfan-Sammlung sowie den Rundgängen zu Objekten aus Amerika,
Ozeanien und Afrika waren jetzt auch die Abgüsse Angkors Teil von Bastians komparatistischer Vision eines
„universalen Menschheitsarchivs“ (FISCHER/BOLZ/KAMEL 2007) geworden. Nach dem vermeintlichen Scheitern einer dreidimensionalen Zusammensetzung der abgegossenen Dekorplatten blieb die Architektur Angkors
in Berlin allerdings so eher wissenschaftlich, nüchtern
Abb. 14
und v.a. zweidimensional, wie jene „mit Kohlewachs auf
Papier abgeriebenen Verzierungen und Inschriften“, die
Adolf Bastian als erster deutscher Besucher 1863 von
Nakhon Vat (wie er Angkor Wat nannte) bei frühem
„Morgenlicht“ selbst gefertigt hatte (BASTIAN 1868: 81).
Ausblick auf Teil II in der IAZ 17 (2013)
Mit diesem Zeitschnitt endet der in dieser Ausgabe der
IAZ publizierte Artikel. Doch die Geschichte der Berliner
Angkor-Abgüsse hatte noch ein langes ,Nachleben‘: Der
Ankauf von den Abgüssen aus Angkor bereitete dem
Berliner Völkerkundemuseum in der Folge zahlreiche
Probleme, denn Thomann spezialisierte sich nach dieser
Gipsabguss-Kampagne in Angkor neben dem (Ein-)Sammeln von ethnographischen Objekten auch auf den gezielten Diebstahl originaler Bauschmuckfragmente südostasiatischer Tempelstätten, die er – fälschlich, allerdings relativ erfolglos – als vom Berliner Völkerkundemuseum gesandter Forschungsreisender an zahlreiche europäische und sogar amerikanische Museen zu verkaufen
versuchte. Die Reise der berlinischen Gipsabgüsse von
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil I
Angkor setzt sich aber auch bis heute fort: nach dem
Zweiten Weltkrieg für verloren gehalten – das Museum
in der Stresemannstraße wurde kriegsbeschädigt 1961
abgerissen, die Sammlung zog in das Westberliner Dahlem-Museum –, tauchten ihre Negativ-Formen (Papiermulden) in den späten 1970er Jahren in der westberlinischen Gipsformerei wieder auf und traten, rückgegossen
in ihre nur wenige Zentimeter dicke Positiv-Form, bis
heute für mehrfache, jedoch nur temporäre Ausstellungsprojekte in die Wirklichkeit zurück. Das Schicksal der
Berliner Gipssammlung von Angkor wird heute ganz
aktuell im Planungskontext des Berliner Humboldt-Forums neu verhandelt, doch ihr Entstehungszusammenhang war bisher mehrheitlich ungeklärt. Diese Lücke
möchte dieser Beitrag in zwei Teilen zumindest ansatzweise schließen.
* * *
Der Autor möchte sich herzlich für wertvolle Hinweise zum
Berliner Sammlungskontext bedanken bei: Martina Stoye,
Kuratorin für die Kunst Süd- und Südostasiens am Berliner
Museum für Asiatische Kunst; Beate Ebelt, Archivarin am
Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin/Preußischer
Kulturbesitz; Anja Zenner vom Archiv des Ethnologischen
Museums in Berlin; Bertold Just, Atelierleiter der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin; Wibke Lobo, ehemals Kuratorin am Museum für Indische Kunst und am
Ethnologischen Museum in Berlin.
57
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English Summary
This paper aims to shed light on the conditions of the production of plaster casts of the Cambodian temple
Angkor Wat which were executed by the German Harry Thomann in 1898. Until 1903, this series of more
than 300 casts was bought by and displayed at the Ethnographic Museum in Berlin. Contrary to the current
scientific opinion until today, surprisingly, the collection in Berlin was larger than the growing French
collections of plaster casts from Angkor which finally served to ‘reconstitute Angkor’ in the French
Universal and Colonial Exhibitions between 1867 and 1937. In a second part to be published in IAZ 17
(2013), the author will focus on the ‘afterlife’ of these casts from Angkor in Berlin and place them in the
context of the ongoing discussion about the future Humboldt Forum in Berlin.
Indo-Asiatische Zeitschrift
Mitteilungen der Gesellschaft für indo-asiatische Kunst
18 . 2014
Inhalt / Contents
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
Zur Abschaffung des Studiengangs „Kunstgeschichte Südasiens“ an der
Freien Universität Berlin (und damit in Deutschland überhaupt) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
An Inscribed Statue of a “Lustful” Woman from Mathura
Harry Falk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Fruits of Research on the History of Central Asian Art in Berlin (II):
The Buddha and the Tree God
Robert Arlt & Satomi Hiyama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
˜a¼karåditya – eine synkretistische Form ˜ivas und S÷ryas
Adalbert J. Gail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
The Second Buddha and Arhats? Two Paintings in the Asian Art Museum, Berlin
Hans-Werner Klohe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin – eine
sammlungsgeschichtliche Anekdote, Teil II
Michael S. Falser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Drei imperiale Juwelen. Ein Beitrag zur Schmuckkunst unter Jahangir und Schah Jahan
Bernd Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
Ram Kumar. Portrait des Künstlers als Landschaftsmaler
Ursula Bickelmann-Aldinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Anil Revri’s “Ram Darwaza No. 9”
Raffael Dedo Gadebusch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
The Dying Art of Painting Cinema Billboards in India
Andreas Weigelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Autoren / Contributors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Ausstellungskalender / Upcoming Exhibitions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
Mitglieder der Gesellschaft für indo-asiatische Kunst 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
Impressum / Imprint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
Gipsabgüsse von Angkor Wat
für das Völkerkundemuseum in Berlin –
eine sammlungsgeschichtliche Anekdote, Teil II*
)
Michael S. Falser
0*)
Von Pagan und Prambanan bis New York und Paris:
Das Nachspiel mit Harry Thomann3)
Thomann war mit seinem Geschäft mit den Angkor-Abgüssen für das Berliner Völkerkundemuseum auf den Geschmack von originalem Kulturerbe gekommen; seinen
Decknamen Gillis verwendete er ab 1898 auch für anderwärtige Korrespondenz, in der er auch je nach Bedarf
seine berufliche Zuordnung für seine zunehmend dubiosen Geschäfte wechselte. So avancierte Gillis im Dezember 1898 zum “Manager of the American Institute of
Ethnology”, dessen Glaubwürdigkeit das Exportmusterlager Stuttgart bei Grünwedel nachfragte (Exportmusterlager Stuttgart an Grünwedel, 15.12.1898). Wenige Monate später wandte sich das American Museum of Natural
History (New York) an Berlin mit derselben Frage, denn
Thomann hatte auch dort (letztlich allerdings vergeblich)
Abgüsse von Angkor zum Kauf angeboten. Das Völkerkundemuseum in Berlin (i.d.F. VKM) mit dessen Direktor Adolf Bastian und Albert Grünwedel als Leiter der Indischen Abteilung unterstützte auf jeden Fall Thomanns
geplante Expedition nach Birma und Südost-Indien mit
einer Anfrage für ein Empfehlungsschreiben an Legationsrat Freiherr von Richthofen vom Auswärtigen Amt
(VKM an Richthofen 4.2.1899, Bastian an Richthofen
1.3.1899). Zu diesem Zeitpunkt meldete das VKM Interesse an den „Wandgemälden“ der Haupttempel von
*)
Der erste Teil dieses Beitrags (mit Abb. 1-14) erschien in der
IAZ 16 (2012); siehe FALSER 2012.
3)
Alle in der Folge zitierten Korrespondenzen sind dem 400seitigen Akt Pars I.B.31 – Museum für Völkerkunde, Acta
betreffend die Erwerbung ethnologischer Gegenstände durch
H. Thomann aus dem Archiv des Ethnologischen Museum in
Berlin entnommen.
Pagan (Birma) ebenso an, wie für die „Abgüsse aus den
Sammlungen von Altertümern der indischen Museen, besonders von Kalkutta (zum größten Werthe wären Abgüsse der vorhandenen Skulpturen von Bharhut)“, Madras
(Medaillons von Amaravati), Lucknow und Lahore (undatiertes Schreiben, wohl von Bastian). Doch das Berliner Museum verlor zunehmend die Kontrolle über Thomann, der von der georderten Anfertigung von Gipsabgüssen jetzt im Alleingang auf den wandalischen Geschmack von lukrativeren Originalen gekommen war. Im
August 1899 war „Thomann-Gillis“ bereits mit einer fingierten „Deutschen Pagan-Expedition“ (Abb. 15) in
Amarapoora (südlich von Mandalay), von wo er Grünwedel davon berichtete – bezeichnender Weise mit dem
Abb. 15 Briefkopf der sog. Deutschen Pagan-Expedition unter
Thomann-Gillis (2.8.1899). Photo: Archiv des Ethnologischen
Museums Berlin
Kommentar „war hier Lord Elgins“ (auch dieser wechselte von legalen Gipsabgüssen zum Diebstahl von Originalen, wie er die Marmorskulpturen des Athener Parthenon letztlich erfolgreich 1815 an das British Museum in
London verkaufte) –, dass er „mit Picke und Brecheisen
durch dicke Backsteinmauern zu den alten Fresken“ vorgedrungen war (Thomann an Grünwedel, 2.8.1899). Über
das Imperial German Consulate in Rangoon forderte er
weitere Zentner Gips aus der Königlichen Museumsgipsformerei an, denn „in Rangoon und Mandalay habe [er]
Indo-Asiatische Zeitschrift 18 % 2014: 43-55
44
M.S. FALSER
Abb. 16 Ausschnitt aus der Rangoon Times (1900) über Thomanns Vorgehen in Pagan. Photo: Archiv des Ethnologischen
Museums Berlin
allen erhältlichen Gips in den Apotheken aufgekauft, da
Gips hier nur zu chirurgischen Zwecken gebraucht“ würde (Thomann nach Berlin, 23.8. und 10.10.1899). Doch
sein Glück dauerte nicht lange, denn das Geological Survey Office in Kalkutta ließ Grünwedel im Januar 1900
eine Zeitungsmeldung der Rangoon Times vom 3.1.1900
zukommen, die die frevelhaften Unternehmungen von
Thomann-Gillis publik gemacht hatte (Abb. 16): mit
einem Empfehlungsschreibens des VKM sei dieser “upcountry German gentleman with antiquarian tastes” mit
„seiner neuen Sammelmethode von Kuriositäten“, die in
der Tat „das Plündern der Pagoden mithilfe einer bewaffneten Bande“ darstellte, ertappt und des Landes verwiesen worden (Geological Survey Office/Calcutta an Grünwedel, 21.1.1900).4) Zwei Monate später meldete sich
Thomann tatsächlich bei Bastian mit einer „Liste der Resultate, der durch Ihre Anregung von mir, für das Völkerkundemuseum unternommenen Expedition“ in Pagan:
darunter 142 Papierpatronen von Steininschriften „teilweise in Ruinen, in restaurierten Pagoden [oder] auf freiem Feld gefunden“, „Papierpatronen von 193 Glasuren
4)
15 Photos bezüglich der “investigation into the removal of
works of art from the Pagan temples by a German archaeologist
[…] Thomann” sind im Archiv des British Museums London
ausgewiesen (shelfmark Photo 606), wie sie im Auftrag des
India Office entstanden sind. Gedankt für diese Information sei
Diethart Ande, Bangkok.
des Ananda Paya-Tempels, antike Originalskulpturen aus
Stein, Bronze und Holz, 46 Papierpatronen von Skulpturen, moderne Kunst, ein burmesisches MarionettenTheater, 224 Negativ-Aufnahmen der Pagoden von Pagan und Rangoon“ ebenso wie „Freskobilder und Pläne“.
Mit einem Verkaufsangebot von „300 Mille“, das Bastian
kurz darauf als „Phantasiepreis und Extravaganz“ kommentierte, kündigte Thomann gleichzeitig auch seinen
nächsten Coup mit einer „Expedition nach Tibet“ an
(Thomann an Bastian, 7.4.1900; Bastian an Thomann,
23.4.1900). Das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten unter Minister Hellwig bekam von der englischen Kolonialadministration kurze Zeit darauf ein „Memorandum“ zugesandt, in dem der Botschafter das VKM
zur Stellungnahme bezüglich der Entwendung von “certain original frescoes” aus buddhistischen Tempeln in Pagan bat (7.6.1900). Daraufhin richtete Bastian an die Generalverwaltung ein „Es eilt“-Anschreiben mit der Bitte,
der „groß-britannischen Botschaft“ mitzuteilen, dass das
VKM „über das Vorhandensein einer ethnologischen
Sammlung aus Burma unterrichtet ist, welche auch Fresken aus buddhistischen Tempeln zu Pagan einschließt,
dass jedoch mit dem Eigentümer Verhandlungen über
den Ankauf „noch nicht abgewickelt wären“ und sich von
Thomann distanzierte, der seine Reise als Privatmann auf
eigene Kosten und eigenes Risiko unternommen hätte
(Bastian an die Generalverwaltung, 25.6.1900). Während
1901 noch Einzelheiten zu den Nachguss-Prozeduren von
Angkor in besagtem Archiv-Akt aufzufinden sind, liest
sich ein zur selben Zeit vom Kaiserlich-Deutschen Generalkonsulat Calcutta an „Seine Exzellenz der Reichskanzler Herrn Grafen von Bülow“ gerichteter Brief bezüglich „der jüngsten Angelegenheit in Birma“ wie ein
Kulturerbe-Krimi. Thomann habe mit einem vom VKM
initiierten und vom kaiserlichen Generalkonsulat durch
Erlass vom 4.3.1899 ausgestellten Empfehlungsschreiben
die lokalen englischen Beamten in Pagan getäuscht, die
ansässigen Priester bestochen und versucht, „zwölf Ochsenkarren voll aus den Pagoden geraubten Kunstschätzen
fortzunehmen“, große Teile davon bei Eintreffen der englischen Behörden aber vergraben und so unwiderruflich
beschädigt. Der deutsche Generalkonsul von Waldhausen
habe mit seinem Reisebegleiter Sir Charles Rivaz, Mitglied des Rates des britisch-indischen Vice-Königs, die
zerstörten Pagoden und Raubstellen besichtigt (in einer
Pagode sollen über 100 Skulpturen entfernt worden sein)
und von dem (letztlich abgelehnten) Verkaufsangebot des
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil II
Diebstahls an das Berliner Völkerkundemuseum erfahren.
In Anbetracht des baldigen Besuchs des Vizekönigs Lord
Curzon in Birma, der an der Erhaltung der Kunstdenkmäler Indiens großen Anteil nehme, sei nach von Waldhausen die ggf. deutsche Identität von Thomann zu prüfen, vom „Geheimen Regierungsrath Prof. Dr. Bastian
gründliche Aufklärung“ des Falles bei gleichzeitiger Einstellung jedes Kontaktes zu Thomann einzufordern (von
Waldhausen an den Reichsgrafen von Bülow, Calcutta
18.1.1901). Bemerkenswert ist daraufhin die längere
Ausführung Bastians für die Generalverwaltung einige
Monate später, die beiliegend auch als englischer und in
dieser Fassung ein wenig detaillierterer Brief „für das Generalkonsulat in Calcutta und die englische Colonial-Regierung in Birma“ nachzulesen ist. Er verteidigte Thomann für seinen Einsatz für die Gipsabgüsse, bestätigte
seine „fachgerechten Fingerzeige“ an Thomann hinsichtlich der Tempel in Pagan ebenso wie seine Mithilfe an
einem Empfehlungsschreiben, hob aber den auf eigene
Initiative durchgeführten und mit eigenem Kapital (und
daher nicht vom Museum primär) finanzierten Charakter
der Expedition desselben hervor. Fast etwas verwegen als
eine Art ‚Flucht nach vorne‘ liest sich allerdings Bastians
Bemerkung, die Thomanns ironische Bemerkung zu den
„Elgin Marbles“ als trotzige Antwort auf ihrerseits in
Großbritannien höchstens halblegal erstandene Antiquitäten wieder aufnahm (dieser Kommentar blieb in der englischen Version diplomatisch ausgespart):
„Wenn Pagan als Staatseigenthum gilt – was vor der
jetzt darüber eingegangenen Mittheilung durchseits nicht
bekannt sein konnte – ist es immerhin ein schwach bewachtes, was bei der Ausdehnung des Ruinenfeldes entschuldbar genug wäre, denn im Besitz des Museums
findet sich eine beträchtliche Anzahl von dorther stammender Althertumsstücken, die vor einigen Jahren
schenkungsweise übermacht worden sind. Ob monumentale Denkmale an Ort und Stelle zu lassen sind,
wenn dort der Zerstörung ausgesetzt oder besser in museale Thesauren in Sicherheit bewacht, ist seit den ‚Elgin’s Marbles‘ eine noch offene Controverse geblieben,
obwohl allerdings ein vandalisches Hausen (wie hier
beschrieben) allzubeklagenswerth zu beeindrucken hat,
um einen Rechtfertigung zu versuchen. Sammlungseifer
und Althertumsliebhaberei weitet […] das Gewissen bekanntermaßen, aber auch bei den weitest erlaubbaren
Grenzen ist ein vernünftiges Maß einzuhalten, um unvernünftigen Exzessen vorzubeugen.“
(Bastian an die Generalverwaltung, Berlin 24.9.1901)
45
Auch Grünwedel äußerte sich kurz darauf noch einmal
zum Fall Thomann. Er selbst habe Thomann, der von
einer kurz vorher am Museum erschienenen Pagan-Publikation motiviert war, von einer Expedition dorthin abgeraten, höchstens nur ein Abmalen bzw. Abphotographieren der Fresken empfohlen und letztlich zu einer AbgussKampagne „der übrigen vier Tore von Sanchi“ (ein abgegossenes und dreidimensional präsentiertes Sanchi-Tor
lässt sich auf einem Photo von 1886 im Lichthof des Völkerkundemuseums nachweisen) und anderer Objekte in
indischen Museen und ethnographischen Sammlungsaktivitäten in Assam geraten. Von Thomanns „Aufführen als
offizielle Person“ habe er über seine erfundenen Briefbögen mit den Aufschrift „Deutsche Pagan-Expedition“ erfahren (Grünwedel, Schreiben vom 2.10.1901). Als trauriges Nachspiel zu den wandalischen Exzessen in Birma
sind noch einige Briefe Thomanns erhalten, in denen er
wiederholt Grünwedel um die Abnahme restlicher Patronen von Angkor bittet (u.a. 5.12.1901, 15.9.1904). Über
die weiteren Umtriebe von Thomann erfährt man anschließend nur über die jeweiligen um Klärung bittenden
Anfragen anderer Museen nach Berlin. Darunter die
Nachfrage des Leiters der anthropologisch-ethnologischen Abteilung am K.K. Naturhistorischen Museum in
Wien (F. Heger an Grünwedel, Wien 20.3.1902), des Direktors des Hamburger Museums für Völkerkunde bezüglich eines von „Dr. Warburg als günstig eingeschätztes“
Verkaufsangebotes einer Pagan- und KambodschaSammlung des gewissen Thomann-Ezanville (Prof. D.G.
Thilenius, Hamburg 26.11.1904 und 12.9.1906, ablehnende Antwort von Grünwedel 28.11.1904 bzw. Prof.
K.W. Müller 27.9.1906, Prof. Dr. K.J. Hagen aus Hamburg 16.12.1909) und einem Angebot an das Mährische
Museum in Brünn (24.7.1906), das Ethnographische Museum in Dresden und das Kölner Museum (7.6.1909).
Interessant ist Thomanns eigene, 1923 erschienene
Monografie Pagan: ein Jahrtausend buddhistischer Tempelkunst, in der er sich in einer Zeichnung selbstbewusst
vor einem „unserer Wohnung zunächst gelegenen Kloster“ portraitierte (THOMANN 1923: 107) als auch vor einer
imposanten St÷pa-Ruine photographieren ließ (Abb. 17).
Weniger heroisch wird Thomann retrospektiv allerdings
in Strachans Buch Pagan - Art and architecture of Old
Burma beschrieben, da er hier nicht nur als erster Buchautor über Pagan gewürdigt, sondern vielmehr als systematischer (und wenig später eingesperrter und des Landes verwiesener) Zerstörer von jenen Wandmalereien
46
M.S. FALSER
Indien (heute Indonesien) auf. Briefe
vom „Verweser des Kaiserlichen Konsulats, Rademacher“ (Soerabaja vom
27.11.1908) und des Kaiserlichen Generalkonsuls für Niederländisch-Indien (Batavia 2.12.1908) bestätigen
die dortigen Verunsicherungen, denn
Thomann gab „sich im Indischen Archipel als Leiter einer ‚Deutschen
Banda Expedition‘ aus“ und trug
Grünwedel allen Ernstes sowohl den
Kauf von „Gipsabgüssen der HinduTempel auf Bali“ (Thomann, Oktober
1908, Grünwedel an Thomann, 2.12.
1908) als auch von erworbenen „Ethnografica, Abbildungen und archäologischen Originalabgüssen […] u.a.
Abb. 17 Thomann in Pagan. Photos: Thomann 1923: Tafel VI (l.) und Abb. 50 (r.)
der Prambanan-Ebene“ (auf der indonesischen Insel Java) an (Thomann an
Grünwedel, 29.3.1909). Zu diesem
Zeitpunkt hatte Thomann schon längst
auch das mit Berlin konkurrierende
Lager der Angkor-Gipse kontaktiert.
Wie in einem wenige Seiten langen
Dokument im Archiv des Pariser Musée Guimet nachzulesen ist – dieses
Museum erbte das Archiv des Musée
Indochinois nach dessen Auflösung
1925/37 (FALSER 2013a) ebenso wie
wenige Gipsabgüsse aus Angkor, die
teilweise entsorgt, heute aber z.T.
wieder aufgetaucht sind (SEULLIET
1992) (Abb. 18) und 2013/14 erneut
im Musée Guimet ausgestellt wurden
(BAPTISTE/ZÉPHIR 2013, siehe dazu
weiter
unten) –, hatte Thomann-Gillis
Abb. 18 Ein wiederentdeckter Gipsabguss von Angkor Wat im Lager von St. Riquier,
Frankreich (2002). Photo: Pierre Baptiste 2002
schon 1904 und 1905 Louis Delaporte, dem Leiter der Musée Indobeschrieben wird, die er dann tatsächlich an das Völkerchinois im Trocadero-Palast, von der „Villa Graziella,
kundemuseum in Hamburg verkaufte (STRACHAN 1989:
Ezanville“ (daher sein erfundener Name Thomann-Ezan4, 101; vgl. WHITBREAD 1971).
ville) aus seine Angkor- und Pagan-Gipse angetragen.5)
Dieser hatte aber nicht zuletzt aufgrund unklarer AussaAls hier würdiger Abschluss der illustren Beispielgen Thomanns bezüglich der originalen Bezugsquellen
reihe des Thomann-Berlin-Spektakels kehren wir aber
(Delaporte selbst unternahm bis 1900 selbst mehrere
wieder nach Asien und abschließend nach Paris zurück.
1908 tauchte Thomann tatsächlich mit wiederum gefälschten Empfehlungsschreiben, die ihn „als Beauftrag5) Thomann an Delaporte 7.9.1904 und 23.10.1905, Archive Guiten des Berliner Museums ausgaben“, in Niederländischmet, corr. Delaporte 1886-1911.
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil II
47
Abb. 19 links: Karteikarte des Löwen-Abgusses für das Dresdner Völkerkundemuseum aus Delaportes Musée Khmer in Compiègne
bei Paris, um 1885; rechts: Blick in den Oberlichtsaal im Zwinger, Dresden, um 1936 (Ausstellungsraum des Königlich Zoologischen, Anthropologisch-Ethnographischen Museums Dresden, Photograph: A. Jacobi). Photos: Bildarchiv Museum für Völkerkunde Dresden (Staatliche Kunstsammlungen Dresden)
Abguss-Kampagnen nach Angkor, siehe FALSER 2011;
2013b) kein Interesse mehr an einem Einkauf von Angkor-Abgüssen aus Deutschland. In der Tat hatte Delaporte seinerseits auf deutsche Anfrage bereits 1885 eine
Löwen-Moulage gegen einen bronzenen Löwenkopf mit
dem Königlich Zoologischen und Anthropologisch-Ethnographischen Museum in Dresden (mit seinem Direktor
Meyer und Assistent Max-Uhle) getauscht und somit den
Transfer des vielleicht ersten Gipsabgusses von Angkor
über Paris nach Deutschland ermöglicht (Abb. 19)6) –
über 10 Jahre vor der Berliner Episode.
6)
Am 29.11.1883 wandte sich der Direktor des Dresdner Museums, Meyer, an Delaporte mit der Anfrage einer Expertise für
einen im Jahre 1883 auf der Weltausstellung in Brüssel erstandenen, aus Bronze gefertigten Löwen-Kopf aus Angkor. Delaporte
antwortete kurz darauf mit dem Hinweis auf eine ähnliche Hinweise in CROIZIER’s L’Art Khmer (1875, Katalog-Nr. XXVIII)
und seinem Buch Voyage au Cambodge (DELAPORTE 1880:
375). Interessant in Delaportes Buch ist auch, dass er schon in
dieser Publikation aus dem Jahre 1880 Gipsabgüsse aus seinem
Musée Khmer (FALSER 2014), zu diesem Zeitpunkt gerade noch
in Compiègne vor der Eröffnung des Museums im Pariser Trocadero Palast im Jahre 1882 nach der Weltausstellung 1878
(FALSER 2013c), zitierte, diese oftmals anstatt der „echten“ Objekte abbildete und deren Standort mit „Musée Khmer“ betitelte,
ohne aber den Unterschied zwischen Original und Gipsabguss
auszuweisen, z.B. auf den Seiten 220, 225, 343. Meyers Assistent Max-Uhle kontaktierte daraufhin 1884 mehrmals Delaporte
mit dem Vorschlag eines Gipsabguss-Austauschs des Dresdner
Die Berliner Bas-Reliefs von Angkor Wat während
der Nachkriegszeit bis 2007 0*******)
Das Berliner Völkerkundemuseum in der Stresemannstraße war nach dem Zweiten Weltkrieg stark beschädigt
und wurde letztlich 1961 abgerissen. Schon 1906 hatte
ein Schuppen auf dem Gelände der Domäne Dahlem im
Südwesten Berlins einen Teil der Sammlung aufgenommen, vier Neubauten sollten für die Sammlungen der vier
Erdteile entstehen, und 1914 begann der Architekt Bruno
Paul mit dem Bau des „Asiatischen Museums“ in der Arnimallee, der sich aufgrund der Knappheit finanzieller
Mittel nur mit einem Baukomplex 1921 realisieren ließ.
Löwenkopfes (Inv.-Nr. 5202) und einer Löwenskulptur aus Delaportes Musée Khmer. Mit dem Einverständnis von Stampfer, Directeur des Beaux-Arts vom 30.8.1884 und 10.1.1885, erreichte
der gipsene Löwe aus Paris das Dresdner Museum am 17.7.1885
(Inv.-Nr. 5109); der Gegentausch fand am 4.9. desselben Jahres
statt (Musée Guimet, Archive Musée Indochinois, corr. Delaporte
1886-1911, vgl. Delaportes Brief vom 18. August 1885 im
Dresdner Archiv, D1_0014_a). Vielmals gedankt sei hier Frau
Petra Martin, Kuratorin am Dresdner Museum, ebenso wie Frau
Irene Godenschweg als Kuratorin der dortigen Bildsammlung.
Nach ihren Informationen gelangte Delaportes Khmer-Löwe
1885/87 nach Dresden und wurde am damaligen Standort des
Museums im Dresdner Zwinger ausgestellt, der 1940 kriegsbedingt geräumt wurde. 1977 eröffnete das Museum im Japanischen Palais, jedoch ohne jenen Gipsabguss von Angkor.
48
Abb. 20 Programm zur Einladung der westdeutschen Kulturdelegation unter Herbert Härtel zu einer Tanzveranstaltung
in Phnom Penh, Kambodscha, 28. März 1963. Photo: Archiv
Museum für Asiatische Kunst, Berlin-Dahlem
Die 1957 gegründete Stiftung Preua¯ischer Kulturbesitz
baute den Dahlem-Komplex ab 1964 zu einem großen
Museumskomplex um. Die ethnologischen Bestände –
ohne die vermutlich im Krieg stark in Mitleidenschaft
gezogenen Abguss-Kopien der Angkor-Reliefs, die zusätzlich im veränderten ästhetischen Verständnis der
Nachkriegszeit gegenüber originalen Ausstellungsstücken
drastisch abgewertet wurden – zogen dort aus Platzgründen aber nur sehr beschränkt ein. Neben den beiden
Asien-Museen trat das „Ethnologische Museum“ unter
diesem Namen erst im Jahre 2000 ins Leben zurück
(KÖNIG 2003: 17-20) – ohne die Angkor-Reliefs, die
beim Museum für Indische Kunst verblieben.
HERBERT HÄRTEL IN ANGKOR 1963 UND DIE PRÄSENTATION DER ANGKOR-ABGÜSSE 1986
Das Interesse an Angkor blieb aber auch zur Zeit der
deutschen Teilung erhalten, wie sich mit dem Besuch des
M.S. FALSER
damaligen Direktors des am 1.1.1963 neu gegründeten
(und 1971 eröffneten) Museums für Indische Kunst in
Berlin-Dahlem (Berlin-West), Herbert Härtel, in Angkor
im Jahre 1963 nachweisen lässt.7) Zusammen mit Gesandten der deutschen Regierung und Prof. Ernst Waldtschmidt von der Universität Göttingen begab er sich als
Repräsentant des Berliner Museums auf eine ca. zweiwöchige Reise nach Ceylon, Indien, Thailand und Kambodscha. Nach Härtels Vorträgen über die Berliner IndienSammlungen in Colombo und Bangkok wurde die Delegation am 27.3.1963 in Phnom Penh von Son Sen, Privatsekretär des Staatschefs Norodom Sihanouk, für ein offizielles Programm empfangen. Zwischen dem 30.3. und
dem 2.4. war sie in Siem Reap und besuchte nachweislich
den archäologischen Park von Angkor, den Phnom Kulen, das Skulpturen-Depot der Conservation d’Angkor
unter der Führung von Bernard-Philippe Groslier, Directeur des recherches archéologiques de l’Ecole Française
d’Extrême-Orient et des monuments d’Angkor, und, wie
im Programme de Visite de la Délégation culturelle de la
République Fédérale d’Allemagne à Siem Reap du 30
Mars au 2 Avril 1963 nachzulesen ist, eine zu ihren
Ehren abgehaltene Tanz-Vorführung des Corps de Ballet
Royal (Abb. 20). Laut Schriftverkehr beantragte Härtel
noch weitere Tage berufliche Freistellung für private
„Studien in der Ruinenstadt von Angkor“. Härtels vor Ort
angefertigte Diasammlung sollte über 20 Jahre später
noch eine gewisse Relevanz haben, als die in den späten
1970er Jahren in der Gipsformerei wiederentdeckten Papiermulden nachgegossen, (angeblich) nach Härtels Farbdias von Angkor nachkoloriert bzw. patiniert und z.T.
zu zusammenhängenden Wandflächen zusammengefügt
1986 in der sog. Härtel-Galerie, der „Schausammlung
hinterindischer und indonesischer Bildwerke“ ausgestellt
wurden. Nach der neuen Museumspolitik der 1960er
Jahre, mit der eine Trennung der als kunsthistorisch bzw.
ethnologisch eingestuften Sammlungsinhalte einherging,
hatte sich Härtel selbst diese Installation in der Südostasien-Galerie gewünscht und zu seiner Pensionierung
1986 die nötigen Mittel zum Neuabguss bekommen. Wie
zwei historische Aufnahmen der damaligen Präsentation
zeigen, wurden zwei stark angestrahlte, ca. 10 Meter lange Abgussflächen der Bas-Reliefs von Angkor Wat (vgl.
7)
Eine Akte zur „Asien-Reise“ von Härtel 1963 ist heute im Museum für Asiatische Kunst erhalten geblieben und wird in der
Folge hier zitiert. Zu danken hierfür ist Martina Stoye, Kuratorin des Museums.
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil II
Abb. 21 Aufnahmen aus der „Härtel-Galerie“ im Museum für Indische Kunst mit den Gipsabgüssen der Bas-Reliefs
von Angkor Wat aus dem Jahre 1986. Photos: Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin - Preua¯ischer Kulturbesitz
49
50
M.S. FALSER
Abb. 22 Umschlag der Publikation „Erzählende Reliefs von
Angkor Våt“ aus dem Jahre 1986 von Wibke LOBO
die Abbildungen aus dem Völkerkundemuseum aus den
1920er Jahren im Teil I unseres Beitrags, Abb. 11-14) an
gegenüberliegenden Wänden des sonst stark abgedunkelten Raumes mit wenigen, freistehenden Originalen akzentuiert und somit ihre flache, bildhafte Wirkung noch hervorgehoben (Abb. 21). In einem kleinen Katalog, gestaltet von der damaligen Kuratorin, Wibke Lobo, wurden
die Bildinhalte der Reliefs vorgestellt, der Ausstellungskontext zu den wiedergefundenen Abformungen vor
1900 kurz in der Einleitung thematisiert und – sammlungsgeschichtlich hochrelevant – die gezeigten, z.T. ergänzten Abguss-Platten (66 m in drei Teilen und 17 m
lang!) in Relation zu den originalen Bas-Reliefs der in
realiter durchgängig 66 m langen und 2 m hohen östlichen Südgalerie von Angkor Wat verortet (LOBO 1986:
35) (Abb. 22).8) Die kultur- und museumsgeschichtlich
relevante Unterscheidung zwischen Original und Kopie
wurde damals jedoch nicht thematisiert.
8)
Nach Aussage des Archivs des ehem. Berliner Völkerkundemuseums wurden die Thomannschen Moulagen laut Inventarkarten als „Silikon-Kautschuk“-(Silopen)-Formen und „Gipsabgüsse von Papier-Abklatschen“ bezeichnet.
Abb. 23 Apsaras-Relief-Abguss von Angkor über dem
Nebeneingang zum Ethnologischen Museum in Dahlem,
2010. Photo: Michael Falser 2010
ANGKOR-ABGÜSSE IN BONN UND ZÜRICH: DIE AUSSTELLUNG ANGKOR - GÖTTLICHES ERBE KAMBODSCHAS 2006
Nachdem das Gebiet von Angkor nach 30 Jahren Turbulenzen während des Terrorregimes der Roten Khmer
(1975-79) und der vietnamesischen Besetzungszeit (197989) mit Hilfe der Vereinten Nationen zu Beginn der
1990er Jahren sowohl zum kulturidentifikatorischen Zentrum des wiedererstandenen Kambodschas re-avancierte
und der Archäologische Park von Angkor (eine Erfindung
der Franzosen aus den 1920er Jahren) 1992 sogar auf die
UNESCO-Welterbeliste nominiert wurde, nahmen sich
zwei westliche Großausstellungen des Themas von Angkor an. Den Anfang machte die Ausstellung Angkor et dix
siècles d’art Khmer, die 1997 im Pariser Grand Palais
und der National Gallery of Art in Washington gezeigt
wurde (JESSUP 1997). Deutschland sollte mit einer Ausstellung knapp 10 Jahre später nachziehen. Im Prozess der
Fusionierung der islamischen Sammlung auf der ehemals
in der DDR gelegenen Museumsinsel mit den ehemals
westberlinischen Asien-Beständen in Dahlem wurden
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil II
51
Abb. 24 Die Bonner Angkor-Ausstellung von 2006/07 mit Originalen im Vordergrund und der Photo-Gipsabguss-Collage der BasReliefs von Angkor Wat. Photo: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Photograph: Peter Oszvald
jedoch Abgüsse in den Sammlungsbeständen zugunsten
von Originalen weiterhin drastisch abgewertet. Zum weiteren Nachwende-Umbau des Dahlem-Museums wurden
dementsprechend die Nachformungen der Bas-Reliefs von
Angkor Wat aus der „Härtel-Galerie“ entfernt und nicht
mehr aufgestellt. Heute sind sie eingelagert und öffentlich
nicht zugänglich (siehe unten). Die einzigen Spuren der
damaligen Abgüsse aus Angkor haben sich in Dahlem
als dekorative Reliefplatten oberhalb eines Seiteneingangs
zum historischen Museumskomplex erhalten (Abb. 23).
2006 wurden das Museum für Ostasiatische Kunst und
das Museum für Indische Kunst unter dem neuen gemeinsamen Namen Museum für Asiatische Kunst vereinigt. Im
selben Jahr wurden einige der nachgegossenen Reliefplatten von Angkor Wat in der Ausstellung Angkor - Göttliches Erbe Kambodschas ausgestellt, die in der Bundeskunsthalle Bonn und im Museum Rietberg Zürich gezeigt
wurde. Wie schon für die Berliner Ausstellung von 198698 war Wibke Lobo – jetzt zusammen mit Helen Jessup,
Präsidentin der Friends of Khmer Culture Incorporated,
Norfolk CT, USA – wichtiger Teil der Konzeption und
des Katalogs. Aus der Sicht dieses Beitrags, der sich für
den herausragenden kunst-, kultur- und besonders
sammlungsgeschichtlichen Wert der Gipsabgüsse von
Angkor Wat einzusetzen versucht, ist es interessant zu
beobachten, dass jetzt einzelne Abguss-Platten der
Bas-Reliefs der Öffentlichkeit als visuell-materieller Ersatz zu den ‚echten‘ Reliefs am realen Ort gezeigt und
diesmal (vgl. Abb. 21 aus der „Härtel-Galerie“ 20 Jahre
früher) in eine ebenfalls originalmaßstäbliche photographische Abwicklung eingepasst wurden (Abb. 24).9) Als
Primärquelle einer deutschen Sammlungsgeschichte zu
Angkor per se wurden sie aber im Katalog selbst nicht mit
einem einzigen Bild oder Textbeitrag thematisiert:10) die
9)
Gedankt sei dem Photographen dieser Abwicklung der BasReliefs, Jaroslav Poncar als ehem. Teilnehmer des German
Apsara Conservation Project (GACP) am Angkor Wat unter
Leitung von Prof. Hans Leisen an der Fachhochschule Köln,
Herrn Peter Oszvald, dem ehem. Photographen der Kunsthalle
Bonn, und der Kunsthalle Bonn für die freundliche Hilfe in
der Recherche relevanter Bildaufnahmen.
10)
Der Kurator für Südost-Asien am Pariser Musée Guimet, Pierre
BAPTISTE, der sich für die Wiederentdeckung und Neupräsentation der Angkor-Gipsabgüsse einsetzt, nahm in seinem Katalogbeitrag „Angkor - Drei Jahrhunderte Entdeckungsgeschichte
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M.S. FALSER
Abb. 25 Gipsnachguss-Prozess des berühmten NofreteteKopfes aus dem Berliner Neuen Museum in der Berliner Gipsformerei, 2010. Photo: Michael Falser 2010
sammlungs- und kunsthistorische Relevanz jener Abgussplatten war und ist bis heute immer noch nicht etabliert.
Ausblick – Die Gipsabgüsse von Angkor als transkulturelles Erbe?
Gängige Arbeitsmethoden der Kunstgeschichte beziehen
sich heute immer noch auf den Kult von Originalen, die
sich entweder an ihrem originalen Ort (in unserem Falle
der Tempel von Angkor Wat in Kambodscha selbst) oder
in Einzelteile fragmentiert (in unserem Fall originale
Skulpturen oder Architekturfragmente) auch in Museen
des jeweiligen Landes (z.B. im Nationalmuseum in Phnom
Penh) oder in einem oftmals aus kolonialem bzw. kolonialzeitlichem Kontext heraus entstandenen Museum
außerhalb des originären Landesbezugs befinden können
(in unserem Fallbeispiel in den Museen von Paris und
Berlin). In diesen Fällen sind diese Originale anscheinend
völlig zwangsläufig und oftmals gar nicht erst hinterfragt
in ein Kulturerbe-Narrativ eingepasst, das sich innerhalb
einer kolonialzeitlichen mission civilisatrice im erweiterten patrimoine-Konzept Frankreichs (dieses scheint bis
heute sogar weiter gültig zu sein), im deutschen Selbstverständnis als ehemalige und heute wieder erstarkte Kulturnation, oder postkolonial in modernen Nationalstaaten
1585-1882“ kurz auf die „Abklatsche“ der Reliefs von Angkor
Wat während der De Lagrée-Garnier-Delaporte-Mission (186668) (vgl. FALSER 2014) und deren Präsentation im Pariser
Musée Indochinois ab 1882 Bezug (S. 19-23, hier 22), während
Thierry ZÉPHIRs Beitrag „Zur Komposition und Bedeutung der
erzählenden Reliefs“ (S. 101-103) ebenso wenig wie Pierre
BAPTISTE auf die zeitgleich in Bonn und Zürich gezeigten Abformungen derselben Bezug nahm (siehe JESSUP 1997).
an nationale Grenzziehungen zu halten hat(te). Aus einem
Paradigmenwechsel heraus, den die an der Universität
Heidelberg als erste im deutschsprachigen Raum neu eingeführte Disziplin der „Globalen Kunstgeschichte“ propagiert 11) (FALSER/JUNEJA 2013), gilt es, erstens vermehrt
auf die transkulturellen Formations- und v.a. Austauschprozesse und, darin eingeschrieben, ihre institutionellen
und individuellen Akteure zu blicken, die dieses anscheinend unhinterfragbare Kulturerbe-Konstrukt überhaupt
erst „hergestellt“ haben. Zweitens gilt es, jene „Produkte“
zu analysieren und zur forschungsrelevanten Inhalten zu
machen, die sich dem kolonial-territorialen bzw. nationalstaatlichen Rahmen aufgrund ihrer materiell, territorial,
zeitlich wie eigentumsrechtlich nur schlecht festzulegenden Identität entziehen. Gipsabgüsse von originalen Skulpturen und ganzen Architekturoberflächen gehören in diese
Kategorie, und die Analyse ihrer Entstehungs-, kulturpolitischen Transfer- und sammlungsgeschichtlichen Nachgeschichten können uns heute im zunehmend globalisierten Zeitalter helfen, unsere kulturellen, noch immer stark
nationalstaatlich geprägten Identitätskonstruktionen neu
zu hinterfragen:12) darin eingeschrieben der überfällige
Paradigmenwechsel der ästhetischen und v.a. methodischen Grundfesten der in Europa entstandenen und in der
Folge nach Nicht-Europa exportierten Disziplinen der
Archäologie, Ethnologie und Kunstgeschichte.
Wer heute durch die Lagerbestände der Gipsformerei
der Staatlichen Museen von Berlin schlendert, kann seinen Blick schweifen lassen über die Abformungen der
Giebelfiguren des Athener Parthenon, der ägyptischen
Nofretete, des Babylonischen Ischtar-Tores (es wurde
2010/11 sogar alterspurengerecht als Replik nachgeformt/
nachpatiniert für die Lobby der neuen irakischen Botschaft in Paris!) und der Standbilder und Büsten preußischer Herrscher. Wem und wohin „gehören“ diese Abgüsse, die uns auf diesem wahrhaft transkulturellen Parcours in der Mitte Berlins mit der gesamten Weltzivilisation verbinden? Welche Relevanz haben sie als materielle
11)
Zu den Inhalten und Forschungsansätzen am Heidelberger
“Chair of Global Art History” unter Prof. Monica Juneja siehe:
http://www.asia-europe.uni-heidelberg.de/en/research/clusterprofessorships/global-art-history.html (Zugriff 30.4.2012).
12)
Zu diesem Thema schloss der Verfasser dieses Beitrags 2014
seine Habilitation mit dem Titel Heritage as a Transcultural
Concept. From Plaster Casts to Exhibition Pavilions: Translating Angkor Wat for the French Colonial métropole (18661937) ab. Eine erweiterte Fassung dieser Arbeit soll 2015 erscheinen (FALSER 2015).
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil II
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Abb. 26 a-b: Historische Gipsabguss-Platten von Angkor in
der Berliner Gipsformerei; c: Silikon-Nachguss der historischen
Platten, beide 2010. Photos: Michael Falser 2010
Abb. 27 Neu abgeformte Bas-Reliefs von Angkor Wat im Aua¯endepot des Museums für Asiatische Kunst in Berlin-Friedrichshagen
(2013). Photos: Michael Falser 2013
Duplikate heute in einer Welt digitaler Bildarchive und
reproduzierter Kulturerbe-Ikonen für den globalen Kunstmarkt? (Abb. 25). Der interessierte Kulturerbe-Anhänger
kann heute auch online für sein Wohnzimmer Gipsabgüsse von Freiplastiken und Reliefs aus den Bestellkatalogen der Berliner Gipsformerei bestellen,13) reichend von
Ägypten, Vorderasien, der Ur- und Frühgeschichte Trojas, Griechenland und Rom, der christlichen Epoche zu
byzantinischem Elfenbein und deutscher und französischer Plastik des 18. bis 20. Jahrhundert (GAERTRINGEN
2012). Die Abgüsse von Angkor fehlen noch im Katalog
der Kataloge. Denn heute existieren in der Berliner Gipsformerei laut ihrem ehemaligen Leiter Bertold Just noch
insgesamt 44 Abguss-Platten zu Angkor (lebensgroße Apsaras-Tänzerinnen, Pilaster, Säulenbasen und Kriegerszenen bis zur Darstellung der berühmten Himmel-undHölle-Reliefs von Angkor Wat), deren genaue Entstehungsgeschichte mit großer Wahrscheinlichkeit auf Thomanns Abguss-Kampagne von 1896 zurückgeht, aber bis
heute ungeklärt geblieben ist (Abb. 26).14) Ein Besuch des
Außendepots des Berliner Asienmuseums in Friedrichshagen im Winter 2013 mit der Kuratorin Martina Stoye
und dem Restaurator Thoralf Gabsch (ihnen sei herzlich
gedankt) brachte schließlich ein unverhofftes Wiedersehen mit den nachgegossenen Oberflächen der ehemaligen
Thomannschen Abgüsse um 1900. Jetzt als neues Duplikat vom historischen Duplikat (die originalen Abformungen sind tatsächlich im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen) auf ihre lediglich bildgebende Oberfläche reduziert harren sie auf eine erneute Präsentation (Abb. 27).
Doch zusammen mit den Platten in der Berliner Gipsformerei, den eingelagerten Sammlungsbeständen der
ehemaligen „Härtel-Galerie“ (1986-98) und der AbgussInitiative zur Angkor-Ausstellung von 2006/07 ergibt sich
hier eine komplexe Gemengelage, deren detaillierte Untersuchung, Kartierung und Katalogisierung heute für die
14)
13)
Unter http://www.smb.museum/GF/
Gedankt sei dem ehemaligen Werkstatt-Leiter Berthold Just
ebenso wie dem aktuellen Leiter Thomas Schelper unter der Gesamtleitung von Herrn Migual Helfrich.
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M.S. FALSER
Abb. 28 Ausstellung der historischen Gipsabgüsse von Angkor aus dem ehemaligen Musée Indochinois
im Pariser Musée Guimet, 2013. Photo: Michael Falser 2013
Berliner Sammlungsgeschichte immer noch ein absolutes
Desideratum darstellt. Und das umso mehr, als seit den
letzten Jahren über die Aufstellungskonzepte des sog.
Humboldt-Forums diskutiert wird (u.a. STOYE 2009: 1114), das nach dem umstrittenen Abriss des ehemaligen
DDR-Palastes der Republik in einem neu entstehenden
Berliner Schloss (höchstwahrscheinlich leider hinter banal rekonstruierten Schlossfassaden!) als Baustein der
Museumsinsel-Konzeption irgendwann seinen Standort
auf der Berliner Spreeinsel beziehen soll. Geplant ist, die
Berliner Sammlungen außereuropäischer Kultur hier zu
einem elitistischen Weltkunst-Parcours zusammenzuführen. Ein transkulturell ausgerichtetes Ziel müsste es allerdings sein, für die Kontextualisierung der Entstehungsgeschichten der Berliner Sammlungen nach einem strikten Provenienz-Prinzip nicht nur auf archäologische,
ethnologische und kunsthistorische Originale oder deren
(selten kontextualisierte) Kopien zurückzugreifen, sondern auch vermeintliche Sekundärquellen wie Gipsabgüsse, Photographien, Modelle von Originalen didaktisch und wissenschaftlich als Primärquellen historischen
Sammlungsinteresses ins Zentrum des Diskurses zu
rücken. Nur mit dieser komplett offenen, sammlungs- und
damit v.a. ideologiekritischen Sicht auf Entstehungsgeschichten jener Exponate hätten auch die Abgüsse der
Bas-Reliefs von Angkor Wat ihren faszinierenden Neuauftritt in der neuen-alten Mitte Berlins. Als bloße ‚RePräsentations- und Schauflächen‘ angkorianischer Tempelkunst würden sie weit hinter ihrer tatsächlichen historischen Relevanz zurückbleiben.
2013/14 waren die französischen kolonialzeitlichen
Gipsabgüsse von Angkor des späten 19. Jahrhunderts das
erste Mal für die breite Öffentlichkeit wieder zugänglich
und wurden neben exquisiten Originalen im Musée
Guimet ausgestellt (Abb. 28). Obwohl hier jede kolonialzeitliche Kritik zugunsten einer nationalstaatlichen Meistererzählung von über 150 Jahren französischem Interesse
an Angkor komplett ausgespart wurde (siehe FALSER
2013b in BAPTISTE/ZÉPHIR 2013), könnte diese Kombination von Original und Kopie zumindest in ihrer Ausstellungswirkung richtungsweisend für die Berliner Diskussion sein.
Gipsabgüsse von Angkor Wat für das Völkerkundemuseum in Berlin, Teil II
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XVIII/I: 85-122.
English Summary
This paper in two parts aimed to shed light on the conditions of the production of plaster casts of the
Cambodian temple Angkor Wat, which were executed by the German Harry Thomann in 1898. Until
1903, this series of more than 300 casts was bought by and displayed at the Ethnographic Museum in
Berlin (Part I, IAZ 16/2012: 43-58). Contrary to the current scientific opinion until today, surprisingly, the
collection in Berlin was larger than the growing French collections of plaster casts from Angkor which
finally served to ‘reconstitute Angkor’ in the French Universal and Colonial Exhibitions between 1867 and
1937. In this present second part of the paper, the author focusses on the ‘afterlife’ of these casts from
Angkor from post-war West-Berlin to worldwide travelling exhibitions on Angkor, and places them in the
context of the ongoing discussion about the future Humboldt Forum in Berlin.