Das Kapitalmarktstrafrecht im Treibsand prinzipienorientierter

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Das Kapitalmarktstrafrecht im Treibsand prinzipienorientierter
Das Kapitalmarktstrafrecht im Treibsand prinzipienorientierter Regulierung
Die neuen Strafvorschriften in § 54a KWG und § 142 VAG
Von Wiss. Mitarbeiter Dr. Peter Kasiske, München
Der deutsche Bundestag hat am 17.5.2013 das Gesetz „zur
Abschirmung von Risiken und zur Planung und Sanierung
und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen“,
häufig abgekürzt als „Trennbankengesetz“, verabschiedet.1
Das Gesetz enthält neben Regelungen über die Trennung von
Geschäftsaktivitäten und die Vorbereitung von sogenannten
„Bankentestamenten“ auch neue Strafvorschriften, die es ermöglichen sollen, Geschäftsleiter von Banken und Versicherungen bei Verstößen gegen Risikomanagementvorschriften
strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, wenn durch diese
Verstöße eine Gefährdung der Existenz des Kreditinstituts
bzw. des Versicherungsunternehmens herbeigeführt wurde.
Der Gesetzgeber zieht damit Konsequenzen aus dem Umstand,
dass die strafrechtliche Aufarbeitung der letzten Bankenkrise
sich als ein außerordentlich schwieriges Unterfangen erwiesen hat.2 Die Tatbestände des geltenden Strafrechts, insbesondere der in den genannten Verfahren meist im Zentrum
stehende § 266 StGB, scheinen für die Erfassung des spezifischen Unrechts dieser Fallkonstellationen nur bedingt geeignet zu sein. Dieses Unrecht besteht in der Herbeiführung einer existenzgefährdenden Krise bei einem Kreditinstitut oder
einer Versicherung, die dann womöglich aufgrund der Systemrelevanz des betroffenen Unternehmens zu einer Gefährdung der Stabilität des Finanzsystems insgesamt führen kann.
Die neuen Strafvorschriften im Trennbankengesetz sollen die
in diesem Bereich vom Gesetzgeber vermutete Gesetzeslücke
schließen und so dazu dienen, präventiv künftige Bankenkrisen
infolge verfehlten Risikomanagements zu verhindern und
repressiv im Falle einer Krise eine strafrechtliche Verfolgung
der verantwortlichen Manager zu ermöglichen.3
I. Inhalt der neuen Vorschriften
Das Gesetz sieht Änderungen im Aufsichtsrecht für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen vor. An dieser Stelle
sollen dabei nur die geplanten Änderungen im Kreditwesengesetz und insbesondere der neu geschaffene Straftatbestand in
§ 54a KWG behandelt werden. Die Änderungen im Versicherungsaufsichtsgesetz sind ähnlich strukturiert und sehen in
§ 142 VAG ebenfalls einen neuen Straftatbestand vor, der
sich den im Folgenden gegen § 54a KWG geltend gemachten
Einwänden und Bedenken in entsprechen-der Weise ausgesetzt sieht.
Das Gesetz ergänzt zunächst den § 25c KWG um zwei
Absätze Abs. 4a und 4b. Darin werden die Geschäftsleiter
von Kreditinstituten dazu verpflichtet sicherzustellen, dass das
Risikomanagementsystem ihres Instituts über bestimmte Verfahren und Funktionen verfügt, die sodann in Abs. 4a Nrn. 15 benannt werden (Abs. 4b enthält inhaltlich dieselben Regelungen, allerdings bezogen nicht auf einzelne Kreditinstitute,
sondern auf Instituts- und Finanzholding-Gruppen). Diese
Regelungen entstammen weitestgehend den von der Bundesanstalt für die Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) herausgegebenen Mindestanforderungen für das Risikomanagement
(MaRisk), deren wichtigste Vorgaben somit Gesetzesrang
erhalten. In einigen Details werden diese Anforderungen
durch das neue Gesetz noch weiter verschärft, so sieht etwa
§ 25c Abs. 4a Nr. 3 lit. f KWG vor, dass Stresstests auch für
das Gesamtrisikoprofil des Kreditinstituts durchgeführt werden müssen.4 Im wesentlichen führt das Gesetz aber dazu,
dass die schon nach bisherigem Recht geltende Verpflichtung
der Geschäftsleiter von Kreditinstituten zur Sicherstellung
eines angemessenen Risikomanagementsystems (vgl. §§ 25a
Abs. 1, 25c Abs. 1 KWG) bereits im KWG selbst und nicht
erst in den MaRisk konkretisiert wird, die nach h.M. lediglich
eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift darstellen.5
An diese Pflichten zur Einrichtung und Ausgestaltung eines
Risikomanagementsystems knüpft nun die neue Strafvorschrift in § 54a KWG an. Danach soll mit Freiheitsstrafe bis
zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft werden, wer als Geschäftsleiter nicht sicherstellt, dass sein Institut über die in
§ 25c Abs. 4a oder Abs. 4b S. 2 KWG genannten Strategien,
Prozesse, Verfahren, Funktionen und Konzepte verfügt und
dadurch eine Bestandsgefährdung des Kreditinstituts herbeiführt. Eine fahrlässige Herbeiführung der Bestandsgefährdung
soll mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe
bestraft werden. Die Strafbarkeit tritt gemäß § 54a Abs. 3
KWG aber jeweils nur dann ein, wenn die BaFin dem Täter
zuvor im Wege einer Anordnung nach § 25c Abs. 4c KWG
die Beseitigung des Verstoßes aufgegeben und der Täter dieser vollziehbaren Anordnung zuwider gehandelt hat. Absatz 3
wurde erst nachträglich noch im Gesetzgebungsverfahren
hinzugefügt.6 Im ursprünglichen Entwurf war vorgesehen,
dass die Strafbarkeit unabhängig vom Verstoß gegen eine
konkrete Weisung der BaFin eintreten sollte.
Der Begriff der Bestandsgefährdung verweist auf § 48b
Abs. 1 KWG. Darin wird die Bestandsgefährdung definiert
als die Gefahr eines insolvenzbedingten Zusammenbruchs des
Kreditinstituts bei Unterbleiben korrigierender Maßnahmen,
wobei die Vorschrift auch Umstände benennt, bei deren Vorliegen eine Bestandsgefährdung zu vermuten ist. Der Eintritt
einer Bestandsgefährdung sowie einer damit womöglich verbundenen Systemgefährdung für das Finanzsystem als Ganzes
im Sinne von § 48b Abs. 2 KWG wird von der BaFin nach
Anhörung der Deutschen Bundesbank festgestellt (§ 48b Abs. 3
KWG).
Der neue § 54a KWG zielt ebenso wie § 142 VAG darauf
ab, die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems insgesamt zu
4
1
BT-Drs. 17/12601.
2
Überblick über die einschlägigen Verfahren bei Strate,
HRRS 2012, 416.
3
BT-Drs. 17/12601, S. 2 f.
BT-Drs. 17/13539, S. 17.
VGH Kassel WM 2007, 392 (393); Bürkle, VersR 2009, 866
(867); Langen, in: Schwennicke/Auerbach (Hrsg.), Kreditwesengesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2013, § 25a Rn. 8.
6
BT-Drs. 17/13539, S. 18.
5
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schützen, die bereits durch die Bestandsgefährdung eines
einzelnen Instituts gefährdet werden kann. Bezogen auf dieses
Rechtsgut handelt es sich daher dem Deliktstypus nach um
ein abstraktes Gefährdungsdelikt, auch wenn der Tatbestand
eine konkrete Bestandsgefährdung eines einzelnen Kreditinstituts voraussetzt.7 Normadressaten der geplanten neuen
Strafvorschrift sind die Geschäftsleiter von Kreditinstituten
im Sinne von § 1 Abs. 2 KWG und damit solche natürlichen
Personen, die nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag
zur Führung der Geschäfte und zur Vertretung des Instituts
berufen sind. Dies umfasst neben „geborenen“ Geschäftsleitern wie Vorständen und Geschäftsführern auch von der
BaFin „gekorene“ Geschäftsleiter wie Prokuristen,8 nicht
jedoch einfache Angestellte, auch wenn sie z.B. als Abteilungsleiter Führungsfunktionen mit Weisungskompetenz
übernommen haben. Da-bei haben alle Geschäftsleiter eines
Instituts für die ordnungs-gemäße Einrichtung des Risikomanagementsystems einzuste-hen, eine möglicherweise vorhandene interne Zuständigkeitsverteilung in der Geschäftsleitung
ändert daran nichts.9 § 54a KWG soll ebenso wie § 142 VAG
am 2.1.2014 in Kraft treten.
II. Prinzipienorientierte Normen des Aufsichtsrechts als
tauglicher Anknüpfungspunkt für Strafvorschriften?
Möglicherweise ohne sich dessen bewusst zu sein, hat der
Gesetzgeber mit § 54a KWG strafrechtsdogmatisches Neuland
betreten. Denn diese Norm verweist in ihrem Tatbestand auf
die Vorgaben für das Risikomanagement in § 25c Abs. 3a
und 3b KWG und damit auf Vorschriften der qualitativen
Bankenaufsicht. Dabei handelt es sich aber um Normen, die
anders als andere Vorschriften, auf die sonst in Straftatbeständen verwiesen wird, nicht nur einen Regel-, sondern vor
allem auch einen Prinzipiencharakter aufweisen.10
1. Prinzipienorientierte qualitative vs. regelgebundene quantitative Aufsicht
§ 25c Abs. 4a und 4b KWG statuieren zunächst das Gebot,
bestimmte Funktionen und Verfahren im Rahmen eines Risikomanagementsystems überhaupt einzurichten. So verpflichtet
etwa § 25c Abs. 4a Nr. 3 lit. c KWG die Geschäftsleiter von
7
BT-Drs. 17/12601, S. 44. Dazu auch Strafrechtsausschuss
DAV, Stellungnahme 29/2013, S. 12, im Internet unter
http://anwaltverein.de/interessenvertretung/stellungnahmen
(4.6.2013).
8
Schwennicke, in: Schwennicke/Auerbach (Fn. 5), § 1 Rn. 143.
9
Siehe auch MaRisk AT 3 i.d.F. des BaFin-Rundschreibens
10/2012. Krit. hierzu Strafrechtsausschuss DAV (Fn. 7), S. 13,
der darin eine „strafrechtliche Gefährdungshaftung“ und „Kollektivschuld“ arbeitsteiliger Geschäftsführungsgremien erkennt. Strafrechtlich wird die umfassende aufsichtsrechtliche
Verantwortungszuweisung aber durch das Erfordernis des
Nachweises individuellen Vorsatzes bzw. Fahrlässigkeit wieder zurückgenommen.
10
Zur Unterscheidung von Regeln und Prinzipien im hier
relevanten Sinn von Verhaltensnormen gegenüber Zielnormen vgl. Penski, JZ 1989, 105 (107 ff.).
Kreditinstituten, sicherzustellen, dass „das interne Kontrollsystem Risikosteuerungs- und Controllingprozesse zur Identifizierung, Beurteilung, Steuerung, Überwachung und Kommunikation der wesentlichen Risiken und damit verbundener
Risikokonzentrationen sowie eine Risiko-ControllingFunktion und eine Compliance-Funktion umfasst“. Insoweit
sie ein konkretes Verhaltensgebot statuiert, hat diese Vorschrift Regelcharakter. Sie schreibt indessen nicht vor, wie
die einzurichtenden Prozesse konkret auszugestalten sind.
Zudem sollen auch nicht alle, sondern nur die „wesentlichen“
Risiken erfasst werden. Die Normadressaten haben sich bei
der Umsetzung an den Vorgaben in §§ 25a und 25c KWG zu
orientieren, wonach Kreditinstitute über ein „angemessenes“
Risikomanagement verfügen müssen. Diese Angemessenheit
ist freilich ihrerseits präzisierungsbedürftig. Die Offenheit
und Unbestimmtheit dieser Vorgaben ist nun kein Ausdruck
schlechten gesetzgeberischen Handwerks, sondern durchaus
gewollt. Normen wie §§ 25a und 25c KWG liegt das Konzept
einer nicht mehr regelgebundenen („quantitativen“), sondern
prinzipienorientierten („qualitativen“) Bankenaufsicht zugrunde, die den Normadressaten nicht nur Regeln (etwa die
Unterlegung riskanter Geschäfte mit einer bestimmten Menge
Eigenkapital) vorschreibt, die ein ganz konkretes Handeln
ver- oder gebieten, sondern stattdessen auch Prinzipien formuliert, die Zielvorgaben und Erwartungen vermitteln, wobei
den Normadressaten auch ein Gestaltungsspielraum bei der
Umsetzung eingeräumt wird 11 Diese Prinzipien weisen im
Vergleich zu Regeln naturgemäß ein viel geringeres Maß an
Bestimmtheit auf. Dadurch sollen die Normvorgaben an die
Erfordernisse des Einzelfalls angepasst und den Normanwendern ein möglichst großer Gestaltungsspielraum bei der Erfüllung der aufsichtsrechtlichen Zielvorgaben eingeräumt
werden. Dabei gelten für die Normadressaten die Grundsätze
der Methodenfreiheit und der Eigenverantwortlichkeit.12 Auch
bei §§ 25a und 25c KWG soll die individuelle Situation der
Normadressaten Berücksichtigung finden. Gemäß dem aufsichtsrechtlichen Grundsatz der „doppelten Proportionalität“
bedeutet das, dass sich sowohl der Umfang der Pflichten beim
Risikomanagement als auch die Intensität der Überwachung
durch die Bankenaufsicht nach dem Risikoprofil und der
Geschäfts-tätigkeit des einzelnen Instituts richten, so dass
beispielsweise bei einem kleineren Kreditinstitut andere Anforderungen an das Risikomanagement gestellt werden als bei
einer Großbank.13
Typisches Merkmal der prinzipienorientierten Aufsicht ist
weiterhin, dass die Ausfüllung der durch die Regulierung mit11
Dazu Dreher, in: Kempff/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Ökonomie versus Recht im Finanzmarkt?, 2011, S. 225 (S. 234 f.);
Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht
über Bankengruppen, 2012, S. 37 ff.; Hellstern, in: Luz/Neus/
Schaber/Scharpf (Hrsg.), Kreditwesengesetz, Kommentar,
2. Aufl. 2011, § 25a Abs. 1 KWG Rn. 38 ff.
12
Siehe Luz/Maaß, in: Hofmann (Hrsg.), Basel III und MaRisk, 2011, S. 407 f.
13
Vgl. MaRisk AT 1 Vorb. Rn. 4; Hofer/Bothe, BaFinJournal
8/2012, 6; näher zur „doppelten Proportionalität“ Wundenberg
(Fn. 11), S. 85 ff.
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tels Prinzipien eröffneten Gestaltungsspielräume durch die
Normadressaten in Abstimmung mit den Aufsichtsbehörden
erfolgt. Das Verhältnis zwischen Aufsichtsbehörde und Kreditinstituten ist somit weniger eines von befehlendem Normsetzer
und gehorchendem Normadressaten, sondern es ist gerade auch
durch Kooperation und Dialog geprägt.14 So werden etwa die
§ 25a KWG interpretierenden und konkretisierenden Anweisungen der MaRisk von der BaFin in Zusammenarbeit mit
dem Fachgremium MaRisk ausgearbeitet, dem auch Vertreter
der Kreditwirtschaft und Wirtschaftsprüfer angehören. Weiterhin kontrolliert die BaFin im Einzelfall etwa im Wege der
Vorortprüfung die Erfüllung der Zielvorgaben und kann bei
dieser Gelegenheit gegebenenfalls auch einzelfallbezogene
Weisungen erteilen. Eine wichtige Rolle spielen in diesem
Zusammenhang auch Gespräche zwischen Aufsicht und Bankmanagement, in denen gemeinsam geklärt werden kann, welche Anforderungen im konkreten Fall an ein angemessenes
Risikomanagement zu stellen sind.15 Mithin steht der für ein
konkretes Institut verbindliche Inhalt der aufsichtsrechtlichen
Vorgaben in §§ 25a, 25c KWG nicht von vornherein fest,
sondern wird gegebenenfalls erst im Dialog zwischen Institut und Aufsicht präzisiert und ausgehandelt. Bei den Anforderungen an das Risikomanagement in den §§ 25a und 25c
KWG und ihre Konkretisierung in den MaRisk handelt es sich
um typische Erscheinungsformen eines reflexiven und prozeduralen Rechts,16 das weniger auf direkte staatliche Verhaltensanordnungen, als vielmehr auf die staatlich angeleitete
Selbststeuerung autonomer gesellschaftlicher Subsysteme,
wie etwa der Finanzwirtschaft, setzt.
Eine prinzipienorientierte Regulierung hat dabei den Vorteil, dass rasch und flexibel auf neue gesellschaftliche und
wirtschaftliche Entwicklungen reagiert werden kann, ohne dass
hierfür der Erlass neuer Vorschriften mit detaillierten Regeln
notwendig wäre.17 Stattdessen ermöglicht die Konkretisierung
der aufsichtsrechtlichen Zielvorgaben im Dialog und in Abstimmung mit den Behörden eine Feinsteuerung des Risikomanagements im Wege von „trial and error“.18 Es ist nämlich
im Rahmen der prinzipiengeleiteten Aufsicht nicht unbedingt
vorgesehen, dass die Normadressaten die Zielvorgaben auf
Anhieb vollständig erfüllen. Vielmehr ist es durchaus system14
Vgl. Wundenberg (Fn. 11), S. 63 f.; umfassend Black, Rules
and Regulators, 1997, S. 30 ff.
15
Vgl. Hannemann/Schneider, Mindestanforderungen an das
Risikomanagement, 3. Aufl. 2011, S. 25 f.; Luz/Maaß (Fn. 12);
Simler, in: Mika (Hrsg.), Die Fachhochschule der Deutschen
Bundesbank Hachenburg, Festschrift für den langjährigen
Rektor Dietrich Schönwitz, 2006, S. 537.
16
Dazu Callies, Prozedurales Recht, 1999, S. 248 ff.; Teubner,
Recht als autopoietisches System, 1989, S. 81 ff.; speziell für
das Strafrecht Hassemer, wistra 2009, 169 (173 f.); siehe auch
Lüderssen, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Fn. 11) S. 241 (S. 273
ff.); Eicker, Prozeduralisierung des Strafrechts, 2010, passim.
17
Vgl. Hannemann/Schneider (Fn. 15), S. 23 f.; Wundenberg
(Fn. 11), S. 49.
18
Vgl. Uwer, in: Kempf/Lüderssen/Volk, (Hrsg.), Die Handlungsfreiheit des Unternehmers – wirtschaftliche Perspektiven,
strafrechtliche und ethische Schranken, 2011, S. 127 (S. 143).
immanent, dass bei der Umsetzung die Zielvorgaben zunächst
noch teilweise verfehlt werden, was dann gegebenenfalls durch
eine aufsichtsrechtliche Nachjustierung mittels konkreter Weisungen korrigiert werden kann. Gerade im Bereich der Finanzmarktregulierung erscheint dabei angesichts der Komplexität
und Innovationsdynamik moderner Finanzmärkte ein prinzipienorientierter Regulierungsansatz grundsätzlich einleuchtend. Dies gilt auch für die Vorgaben zum Risikomanagement,
dessen Instrumente gegebenenfalls kurzfristig an neue Geschäftsmodelle und veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen angepasst werden müssen.
2. Unbestimmtheit aufsichtsrechtlicher Prinzipien als Problem
für das Strafrecht
Wie gesehen, haben die Vorgaben im Rahmen der qualitativen Bankenaufsicht den Charakter von Prinzipien und weisen
dadurch naturgemäß einen hohen Grad an Unbestimmtheit
auf, der sich vor allem in der häufigen Verwendung von Öffnungs- und Generalklauseln in Gestalt unbestimmter Rechtsbegriffe wie „wesentlich“ oder „angemessen“ manifestiert.
Nun ist die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe dem
Strafrecht keineswegs fremd. Auch der Tatbestand des § 142
StGB bestimmt in seinem Abs. 1 Nr. 2 die einzuhaltende
Wartezeit am Unfallort nur danach, dass sie „angemessen“
sein muss. Damit will das Gesetz dem Umstand gerecht werden, dass die vom Unfallbeteiligten einzuhaltende Wartezeit
jeweils von der konkreten Unfallsituation abhängt.
Allerdings geht die Unbestimmtheit in den genannten
Vorschriften des KWG noch deutlich über die Verwendung
unbestimmter Rechtsbegriffe in diesem Sinn hinaus. Während etwa § 142 StGB eine Regel statuiert, deren Inhalt dann
vermittelt über den unbestimmten Rechtsbegriff der „angemessenen Wartezeit“ anhand der Umstände des Einzelfalls
konkretisiert werden kann, so dass sich für den Normanwender
ein hinreichend präzises Verhaltensgebot ergibt, formulieren
§§ 25a und 25c KWG mit dem „angemessenen Risikomanagement“ auch ein Prinzip. Damit schreiben sie dem Normadressaten gerade nicht präzise vor, wie er sich zu verhalten
hat, sondern formulieren ihm gegenüber lediglich eine Zielvorgabe: Er muss ein angemessenes Risikomanagement einrichten und dazu die in § 25c Abs. 3a KWG genannten Prozesse implementieren. Wie dies erfolgt, bleibt zunächst seinem eigenen Ermessen überlassen, dessen pflichtgemäße
Ausübung dann freilich seitens der Aufsicht überwacht wird.
Die Einräumung eines solchen Gestaltungsspielraums an den
Normanwender ist strafrechtlichen Normen grundsätzlich
fremd.
Unbestimmt ist aber nicht nur die Art und Weise der Umsetzung der Zielvorgaben, sondern auch diese selbst. Denn
das, was im Einzelfall als angemessenes Risikomanagement
zu gelten hat, wird häufig erst im Dialog zwischen Kreditinstitut und Aufsichtsbehörde ausgehandelt, so dass sich das
im Einzelfall zu erreichende Ziel erst im Verlauf dieses Prozesses herauskristallisiert.
Kehrseite der mit der prinzipienorientierten qualitativen
Aufsicht erreichten Flexibilität und Offenheit ist somit ein
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Verlust an Rechtssicherheit,19 der für das Aufsichtsrecht durchaus tragbar, für das Strafrecht hingegen fatal ist. Denn das
Strafrecht basiert auf Verhaltensnormen und nicht auf Zielvorgaben.20 Strafrechtliche Sanktionen können nur die Folge
der Verletzung bestimmter Regeln, z.B. „Du sollst nicht töten“
oder „Du sollst nicht stehlen“ sein. Strafgesetze arbeiten nicht
mit Zielvorgaben wie „Gestalte Dein Leben möglichst sozialverträglich“, sondern sie ziehen dem Freiheitsspielraum der
Bürger klar definierte Grenzen. Dadurch ermöglichen sie
dem Bürger eine verlässliche Orientierung seines Handelns.21
Und nur so können Strafnormen ihre positiven und negativen
generalpräventiven Zwecke erfüllen. Dies ist auch der Kern
des Bestimmtheitsgebotes von Art. 103 Abs. 2 GG. Daher
müssen Strafnormen möglichst klar die Grenzen des Erlaubten definieren und nicht lediglich Zielvorgaben formulieren.
Zwar kann ein Strafgesetz auch dann hinreichend bestimmt
sein, wenn sein Tatbestand unbestimmte und wertausfüllungsbedürftige Begriffe aufweist. Dann muss aber eine zuverlässige Grundlage für deren Auslegung und Anwendung
in Gestalt eines anerkannten generellen Maßstabs gegeben
sein, der sich etwa aus dem Normzusammenhang, einer ständigen Rechtsprechung oder einer ständigen Übung der Praxis
(etwa den Regeln ärztlicher Kunst) ergeben kann. Daher ist
das Bestimmtheitsgebot beispielsweise noch gewahrt, wenn
§ 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Wirtschaft als Tatbestandsmerkmal enthält.22 Denn
für diesen Begriff existiert immerhin grundsätzlich ein Maßstab in Gestalt der allgemein üblichen Praxis wirtschaftlichen
Handelns.23 Wenn aber Vorschriften prinzipiengeleiteter Regulierung wie § 25a KWG oder die MaRisk Begriffe wie
„wesentlich“ oder „angemessen“ verwenden, so handelt es sich
dabei nicht einfach nur um unbestimmte Rechtsbegriffe. Die
Besonderheit dieser Normen besteht gerade darin, dass es hier
keinen allgemeinen objektiven Maßstab gibt, sondern dass
dieser Maßstab für den individuellen Einzelfall jeweils erst
entwickelt werden muss, gegebenenfalls im Dialog mit den
19
So auch für den Bereich qualitativer Versicherungsaufsicht
in § 64a VAG Dreher, VersR 2008, 998 (1002).
20
Vgl. dazu schon Binding, Die Normen und ihre Übertretung,
Bd. 1, 2. Aufl. 1890, S. 35 ff.; Eser, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 25
(S. 39 ff.); siehe auch Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge,
1999, S. 86 ff.
21
BVerfGE 25, 269 (285 f.); 37, 201 (207 ff.); 126, 170 (195);
näher dazu Gaede, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller (Hrsg.),
Anwaltkommentar StGB, 2010, § 1 Rn. 18 f.; Schünemann,
Nulla poena sine lege, 1978, S. 13 f.
22
Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Nomos
Kommentar, Strafgesetzbuch, Bd. 3, 4. Aufl. 2013, vor § 283
Rn. 72; a.A. Wegner, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2012, 7. Teil Rn. 181;
Püschel, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller (Fn. 21), § 283 Rn. 28.
23
Siehe Tiedemann, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, Bd. 9/2,
12. Aufl. 2011, vor § 283 Rn. 101 ff.; Bosch, in: Satzger/
Schmitt/Widmaier (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Kommentar,
2009, § 283 Rn. 32.
Aufsichtsbehörden. Damit ist aber ein Maß an Unbestimmtheit erreicht, dass dem Normadressaten eine verlässliche
Orientierung über die Grenzen strafbaren und nichtstrafbaren
Verhaltens allein anhand der Kenntnis der Norm von vornherein unmöglich macht. In der aufsichtsrechtlichen Literatur
wird zutreffend festgestellt, dass bei einer prinzipienorientierten Regulierung dem Normadressaten zwar die Art und Weise der Erfüllung der aufsichtsrechtlichen Zielvorgaben freigestellt wird, ihm aber im Gegenzug auch die Verantwortung
dafür übertragen wird, dass die von ihm ergriffenen Maßnahmen zur Zielerreichung ausreichend sind.24 Solange die Nichterfüllung der Zielvorgaben nur zu aufsichtsrechtlichen Reaktionen wie Ermahnungen und Weisungen führt, die dann eine
Konkretisierung der Verhaltensanforderungen mit sich bringen, ist eine solche Verantwortungsdelegation auch unproblematisch. Die Verhängung von ungleich gravierenderen strafrechtlichen Sanktionen ist auf der Grundlage einer derartigen
Verantwortungszuweisung hingegen ausgeschlossen. Strafen
können nur an Verstöße gegen Verhaltensnormen anknüpfen,
die bereits konkret und ex ante vom Gesetzgeber formuliert
wurden und nicht an solche, die erst noch im Zusammenspiel
mit dem Normadressaten konkretisiert werden müssen. Daraus folgt, dass aufsichtsrechtliche Normen, soweit sie nicht
Regel-, sondern Prinzipiencharakter aufweisen, nicht als
strafgesetzliche Tatbestandsmerkmale herangezogen werden
können.25
Das bedeutet nicht, dass eine prinzipienorientierte Regulierung gänzlich auf straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche
Sanktionen verzichten muss. Denn auch wenn die Aufsicht
sich kooperativer Mittel bedient, so ist doch klar, dass es letzten Endes die Aufsichtsbehörde sein muss, der die abschließende Beurteilung obliegt, ob eine Zielvorgabe erreicht wurde
oder nicht und die gegebenenfalls auch Mittel ergreifen kann,
um eine Umsetzung ihrer Vorgaben zu erzwingen. Solche
Mittel können Verwarnungen, insbesondere aber auch verbindliche Anweisungen im Einzelfall sein. Es spricht nichts dagegen, den Verstoß gegen derartige Weisungen als Ordnungswidrigkeit zu behandeln, wie dies etwa § 56 Abs. 3 Nr. 5
KWG für Verstöße gegen Weisungen nach § 25a Abs. 1 S. 8
KWG vorsieht. Als unmittelbarer Anknüpfungspunkt für Straftatbestände kommen Normen prinzipiengeleiteter Regulierung jedoch nur in Betracht, soweit sie einen eindeutigen
Regelcharakter aufweisen und nicht lediglich konkretisierungsbedürftige Zielvorgaben formulieren.
24
Wundenberg (Fn. 11), S. 57 f.; vgl. hierzu unter dem Aspekt
der Unterscheidung von Zweckprogrammen und Konditionalprogrammen bei Normen auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 244 f.
25
Ebenso dürfte es ausgeschlossen sein, derartige Vorschriften
mit Prinzipiencharakter zur Ausfüllung anderer Strafnormen,
insb. § 266 StGB, heranzuziehen, etwa indem dort die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht mit einem Verstoß
gegen § 25a KWG begründet wird.
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3. Genügt § 54a KWG dem Bestimmtheitsgrundsatz?
Schon bei Bekanntwerden des ersten Entwurfs zu § 54a KWG
wurde kritisiert, die Norm sei nicht hinreichend bestimmt.26
Unberechtigt erscheint diese Kritik, soweit sie sich gegen die
Anknüpfung an den Begriff der Bestandsgefährdung in § 48b
KWG richtet.27 Die dortige Definition als „Gefahr eines insolvenzbedingten Zusammenbruchs des Kreditinstituts für den
Fall des Unterbleibens korrigierender Maßnahmen“ ist hinreichend konturiert und ebenso handhabbar wie etwa das
Merkmal der „drohenden Zahlungsunfähigkeit“ in § 283
StGB. Hinzukommt, dass die Bestandsgefährdung gemäß
§ 48b Abs. 3 KWG durch die BaFin verbindlich festgestellt
wird, so dass die hierfür gegebenenfalls erforderlichen komplexen Berechnungen der Kapitalanforderungen nach § 10
KWG nicht von den Strafgerichten vorgenommen werden
müssen, die damit sicher überfordert wären.
Problematischer im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG erscheint allerdings, dass § 54a KWG auf einen Verstoß gegen
§ 25c Abs. 4a, 4b KWG abstellt, und damit auf Normen, die
nicht nur Regel-, sondern auch Prinzipiencharakter aufweisen.
Denn § 54a KWG dürfte so zu verstehen sein, dass ein strafbarer Verstoß nicht nur dann vorliegen soll, wenn ein in § 25c
Abs. 4a oder 4b KWG vorgesehenes Element des Risikomanagements überhaupt nicht eingerichtet und somit gegen
die in dieser Vorschrift aufgestellte Regel verstoßen wird.
Praktisch relevant dürfte viel eher der Fall werden, dass ein
solches Element zwar vorhanden ist, aber mangelhaft implementiert wurde. Etwa dann, wenn das Risikomanagementsystem die in § 25c Abs. 4a Nr. 3 lit. f KWG verlangten regelmäßigen Stresstests zwar enthält, aber diese nur in zu großzügig bemessenen Zeitabständen vorsieht. An dieser Stelle
sind nun Konflikte mit dem Bestimmtheitsgebot unvermeidlich. Denn für die Strafbarkeit kommt es in Fällen mangelhafter Implementierung von Risikomanagementvorgaben maßgeblich darauf an, ob das Risikomanagement beispielsweise
bestimmte „wesentliche“ Risiken erfasst oder bestimmte
Abläufe in „angemessenen“ Zeitabständen vorsieht. Damit
würde aber nicht auf Regeln, sondern auf Regulierungsprinzipien verwiesen, die aus den oben genannten Gründen nicht
die für ein Strafgesetz erforderliche Bestimmtheit aufweisen
können. Man könnte zwar daran denken, die Anwendung auf
solche Fälle zu beschränken, in denen die gewährten Umsetzungsspielräume „evident“ überschritten wurden, ähnlich wie
im Rahmen des § 266 StGB nur ein Handeln, das die in der
„Business Judgement Rule“ in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG umrissenen Grenzen zulässigen unternehmerischen Handels eindeutig überschreitet, einen untreuerelevanten Pflichtverstoß begründet.28 Doch auch eine solche Lösung würde voraussetzen,
dass sich eine halbwegs präzise Grenzziehung zwischen vertretbarer und unvertretbarer Umsetzung der regulierungsrechtlichen Vorgaben zum Risikomanagement vornehmen lässt.
26
Strafrechtsausschuss DAV (Fn. 7) S. 9 f.
Kritisch diesbezüglich aber Strafrechtsausschuss DAV
(Fn. 7) S. 10 f.
28
Dazu Schünemann in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, Bd. 9/1,
12. Aufl. 2012, § 266 Rn. 256 f.
27
Genau dies ist bei Normen prinzipiengeleiteter Regulierung
wie § 25a KWG aber zweifelhaft, da solche Vorschriften
nicht lediglich einen Ermessensspielraum innerhalb fest umrissener Grenzen einräumen, sondern diese Grenzen selbst
fließend sind und oft erst ex post in Abstimmung mit der
Aufsichtsbehörde gezogen werden können. Eine präzise
Grenzziehung leisten auch die konkretisierenden Vorgaben der
MaRisk nicht. Dort wird vielmehr ausdrücklich klargestellt,
dass ein angemessenes Risikomanagement im Einzelfall auch
heißen kann, dass über die in den MaRisk explizit formulierten Anforderungen hinaus seitens des Kreditinstituts noch
weiterkehrende Vorkehrungen getroffen werden müssen.29
Scheinbar entschärft wird diese Problematik dadurch, dass
nach § 54a Abs. 3 KWG der Verstoß gegen die Vorgaben zum
Risikomanagement nur dann bestraft wird, wenn zuvor durch
die BaFin eine vollziehbare Anordnung nach § 25c Abs. 4c
KWG erlassen wurde, die dem Täter die Beseitigung des Verstoßes aufgeben hat. Durch den Erlass der Anordnung werden
die Anforderungen an das Risikomanagement seitens der
BaFin zu einer konkreten Regel hin präzisiert, die dem
Adressaten eindeutig kommuniziert, welches Verhalten von
ihm erwartet wird. Damit bestehen unter dem Gesichtspunkt
der Erkennbarkeit des verbotenen bzw. gebotenen Verhaltens
für den Normadressaten keine Bestimmtheitsbedenken mehr
wegen der Anknüpfung an § 25c Abs. 4a oder 4b KWG.
Allerdings wirft § 54a Abs. 3 KWG Probleme im Zusammenhang mit einem anderen Aspekt des Art. 103 Abs. 2 GG
auf. Denn der Umstand, dass erst die vorhergehende Anordnung durch die BaFin eine Bestrafung möglich macht, führt
dazu, dass es letztlich die Aufsichtsbehörde in der Hand hat,
durch den Erlass eines Verwaltungsakts darüber zu entscheiden, ob ein Versäumnis im Risikomanagement die Schwelle
der Strafwürdigkeit erreicht oder nicht. Hinzu kommt, dass
der BaFin ohnehin bereits bei der Konkretisierung der Anforderungen an das Risikomanagement, die bei der Auslegung
des § 25c KWG zu beachten sind, eine entscheidende Rolle
zukommt und sie außerdem auch noch gemäß § 48b Abs. 3
KWG darüber zu befinden hat, ob eine Bestandsgefährdung
vorliegt. Die BaFin entscheidet somit maßgeblich sowohl
über den Inhalt der Strafnorm als auch über ihre Anwendung
im konkreten Einzelfall mit. Eine derartige Zuständigkeitskonzentration bei einer einzigen Behörde, die zugleich weitgehende Aufgaben im Bereich der Konkretisierung unbestimmter Prinzipien als auch im Bereich der Normdurchsetzung wahrnimmt, ist aber letztlich mit dem durch Art. 103
Abs. 2 GG garantierten Gesetzvorbehalt und dem dahinterstehenden Grundsatz der Gewaltenteilung nicht mehr vereinbar, der verlangt, dass grundsätzlich der Gesetzgeber selbst
festlegen muss, welches Verhalten mit Strafe bedroht wird.30
Letztlich wäre der Gesetzgeber daher wohl besser beraten
gewesen, wenn er es dabei belassen hätte, den Verstoß gegen
eine vollziehbare Weisung der BaFin im Bereich des Risikomanagements nach § 25a Abs. 1 S. 8 KWG als Ordnungswidrigkeit gemäß § 56 Abs. 3 Nr. 5 KWG zu ahnden.
29
30
Vgl. MaRisk AT 1 Vorb. Rn. 2.
BVerfGE 78, 374 (389).
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Peter Kasiske
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III. Beschränkung der Strafbarkeit auf Versäumnisse im
Risikomanagement
Der neue § 54a KWG erscheint aber nicht nur unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten problematisch. Es bestehen
auch Zweifel, ob diese Vorschrift geeignet ist, das mit ihr
vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zu erreichen, Geschäftsleiter
von Kreditinstituten strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, wenn das Institut aufgrund von Missmanagement in eine
Schieflage geraten ist.31
1. Nachweis der Kausalität
Problematisch ist zunächst, dass die Vorschrift außerordentlich hohe Anforderungen an den Nachweis eines strafbaren
Verhaltens stellt. Denn die Strafbarkeit nach § 54a KWG
setzt neben einem Versäumnis im Risikomanagement, durch
das den Anforderungen des § 25c Abs. 4a oder Abs. 4b S. 2
KWG nicht genüge getan wurde, und einer vollziehbaren Weisung durch die BaFin auch voraus, dass gerade durch diese
Pflichtverletzung eine Bestandsgefährdung des Kreditinstituts
herbeigeführt wurde. Der Nachweis einer solchen Kausalität
zwischen defizitärem Risikomanagement und Bestandsgefährdung dürfte sich in der Praxis äußerst schwierig gestalten. Für
eine Verurteilung müsste ja bewiesen werden, dass bei Vorhandensein eines ordnungsgemäßen Risikomanagementsystems bestimmte Risiken nicht eingegangen worden, deren
Realisierung folglich ausgeblieben und die Bestandsgefährdung somit nicht eingetreten wäre. Das verlangt vom Gericht, eine plausible Betrachtung darüber anzustellen, wie
sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditinstituts entwickelt hätten, wenn ein vorschriftsmäßiges Risikomanagementsystem vorhanden gewesen wäre. Angesichts dessen,
dass der Eintritt einer Bestandsgefährdung regelmäßig auf
das Zusammenwirken vielfältiger Faktoren zurückzuführen
ist, zu denen individuelle Fehlentscheidungen ebenso gehören
können wie veränderte makroökonomische Rahmenbedingungen, erscheint diese Aufgabe kaum lösbar.32 Denn selbst
wenn ein ordnungsgemäßes Risikomanagementsystem vorhanden ist, ist der Eintritt einer bestandsgefährdenden Situation trotzdem nicht von vornherein ausgeschlossen. Die Bestandsgefährdung kann auch das Ergebnis von Risiken sein,
die von den Warnmechanismen eines ordnungsgemäßen Risikomanagementsystems nicht erfasst werden konnten. Denkbar ist auch der Fall, dass zwar ein ordentliches Risikomanagementsystem existiert, dieses aber innerhalb des Kreditinstituts umgangen oder manipuliert wird.
2. Verbleibende Strafbarkeitslücken
An dieser Stelle offenbart sich denn auch ein grundlegender
Konzeptionsfehler des § 54a KWG: Der Tatbestand setzt
nämlich an der falschen Stelle an. Denn unmittelbar ursächlich für den Eintritt einer Bestandsgefährdung ist regelmäßig
nicht ein defizitäres Risikomanagementsystem, sondern der
direkte Auslöser der Gefährdung sind üblicherweise bestimmte
31
BT-Drs. 17/12601, S. 2.
Skepsis diesbezüglich auch bei Beukelmann, NJW-Spezial
2013, 120.
32
Geschäftsvorgänge, beispielsweise Spekulationsgeschäfte, aus
denen dann Risiken für den Bestand des Kreditinstituts resultieren. So entstand der US-Bank JPMorgan Chase im Jahr
2012 infolge von hochriskanten Spekulationsgeschäften mit
Derivaten ein Schaden in Höhe von ca. 6,2 Milliarden Dollar.33
Ein ausgefeiltes Risikomanagementsystem, das die Entstehung
solcher Risiken und den Abschluss riskanter Geschäfte in
einer nicht mehr vertretbaren Größenordnung verhindern sollte, existierte bei JPMorgan zwar. Es konnte aber keine Wirkung entfalten, weil die für diese Geschäfte verantwortlichen
Mitarbeiter sich bewusst über die Vorgaben des Risikomanagements hinwegsetzten.34 Von § 54a KWG können solche
Fälle nicht erfasst werden. Denn diese Vorschrift knüpft lediglich daran an, dass kein Risikomanagementsystem mit den
in § 25c Abs. 4a und 4b S. 2 KWG beschriebenen Funktionen
existiert, das dann Risiken in den Geschäftsprozessen erkennt
und an die verantwortlichen Stellen meldet. Nicht enthalten
sind in § 25c KWG Vorgaben für Maßnahmen zur Beseitigung
oder Reduzierung erkannter Risiken. Offenbar unterstellt der
Gesetzgeber, dass das Bankmanagement nach Erkennung und
Meldung der Risiken regelmäßig solche Maßnahmen in die
Wege leiten wird. Dieses Vertrauen kann in der Praxis aber
durchaus enttäuscht werden, wie der Fall JPMorgan zeigt.
§ 54a KWG wäre dann aber nicht einschlägig.
Dabei liegt genau an dieser Stelle, bei der Schaffung unvertretbarer Risiken, deren Realisierung dann den Bestand
des Kreditinstituts und darüber hinaus womöglich die Stabilität
des Finanzsystems im Ganzen gefährdet, das eigentliche
strafwürdige Unrecht. An diesem Punkt sollte daher auch ein
Straftatbestand ansetzen, etwa indem er die vorsätzliche Herbeiführung einer Bestandsgefährdung durch Vornahme derartiger Geschäfte unter Strafe stellt.35 Zieht man für Bestandsgefährdungen großer Finanzunternehmen das Bild von einem
Großbrand heran, so stellt § 54a KWG, der an die fehlende
Einrichtung eines adäquaten Risikomanagementsystems anknüpft, quasi darauf ab, das Nichtbereithalten einer Feuerwehr
unter Strafe zu stellen. Das ist aber nur dann ein sinnvoller
Ansatz, wenn man den Brand als solchen als ein Naturereignis
begreift, dessen Entstehung menschlichem Einfluss ohnehin
von vornherein entzogen ist. Tatsächlich wurden in ähnlicher
Weise Bankenkrisen als systemisch verursachte Ereignisse
beschrieben, die sich nicht auf ein Fehlverhalten einzelner
Personen zurückführen lassen.36 Sieht man bei Bankenkrisen
33
FAZ v. 15.3.2013; im Internet abrufbar unter
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/irregefueh
rt-und-gelogen-schwere-vorwuerfe-gegen-jp-morgan12115680.html (4.6.2013).
34
S. dazu US-Senat, Untersuchungsbericht zu den „Whaletrades“ bei JP Morgan, S. 3 ff., im Internet abrufbar unter
http://www.hsgac.senate.gov/subcommittees/investigations/re
ports (4.6.2013).
35
Für einen entsprechenden Vorschlag s. Kasiske, ZRP 2011,
137 (139).
36
In diese Richtung etwa Sinn, Kasino-Kapitalismus, 2009,
S. 99; Posner, A Failure of Capitalism, 2009, S. 284 f.; aus
der strafrechtlichen Literatur Lüderssen, in: Kempf/Lüderssen/
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Das Kapitalmarktstrafrecht im Treibsand prinzipienorientierter Regulierung
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hingegen zumindest auch individuell zurechenbares Fehlverhalten am Werk,37 so erscheint es sinnvoller, für die Strafbarkeit nicht – um im Bild zu bleiben – bei einer fehlenden Feuerwehr, sondern direkt bei der Brandstiftung anzusetzen, indem
bereits die pflichtwidrige Schaffung bestandsgefährdender
Risiken als solche unter Strafe gestellt wird.
Der Ansatz bei den regulierungsrechtlichen Vorgaben für
das Risikomanagementsystem greift deshalb zu kurz, weil
solche Systeme prinzipiell stets der Gefahr ausgesetzt sind,
umgangen oder ausgehebelt zu werden. Gerade die Finanzkrise der Jahre 2007-2009 ist ein Beleg dafür, dass die größten Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems häufig
weniger aus dem Fehlen als vielmehr aus der Umgehung von
Regulierungsvorschriften erwachsen. So hatten die Basel IIRichtlinien, unter anderem in Reaktion auf vorangegangene
Bankenkrisen wie den Zusammenbruch der britischen Barings-Bank, strengere Vorschriften zur Unterlegung von
Risikogeschäften mit Eigenkapital vorgesehen, um auf diese
Weise den Umfang der Risiken aus diesen Geschäften zu
begrenzen. Dies hatte zur Konsequenz, dass viele Institute
ihre riskanten Geschäfte auf externe Zweckgesellschaften
auslagerten, die nicht in der eigenen Bilanz konsolidiert werden mussten. Diese Praxis führte zu einem System von Schattenbanken, die weitgehend unbehelligt von bankaufsichtsrechtlicher Kontrolle in enormem Umfang hochriskante Geschäfte tätigen konnten, deren wirtschaftliches Risiko letztlich die hinter den Zweckgesellschaften stehenden Kreditinstitute zu tragen hatten.38 Es bedarf keiner hellseherischen
Fähigkeiten, um vorauszusagen, dass auch jetzt wieder von
findigen Bankmanagern und ihren Beratern Mittel und Wege
gefunden werden, die verschärften Auflagen zum Risikomanagement, wie sie in Reaktion auf die letzte Krise verabschiedet wurden, zu umgehen, um weiterhin risiko- und damit auch
gewinnträchtige Geschäfte tätigen zu können. An dieser Stelle zeigt sich ein grundsätzliches Dilemma jeden Versuchs, die
Dynamik der Finanzmärkte staatlicherseits durch Aufstellung
von Normen zu kontrollieren: Regulierungsvorschriften entstehen regelmäßig als Reaktion auf frühere Krisen. Entsprechend setzen sie den Hebel bei den spezifischen Ursachen
dieser vergangenen Krisen an. Da die hochdynamischen und
hochinnovativen Finanzmärkte – häufig nicht zuletzt auch
zum Zweck der Umgehung von Regulierungsvorschriften –
aber stetig neue Geschäftsmodelle und damit neue Risikoquellen hervorbringen, gleicht kaum eine Finanzkrise der vorherigen. Daraus resultiert die „regulatorische Dialektik“, dass die
Regulierung den Entwicklungen des Marktes hinterherhinkt
Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und
die Moral, 2011, S. 202 (S. 211 ff.); Jahn, JZ 2011, 340 (345).
37
Schünemann, in: Schünemann (Hrsg.), Die sogenannte
Finanzkrise – Systemversagen oder organisierte Kriminalität,
2010, S. 71 (S. 80 f.); Schröder, NJW 2010, 1169; ders., Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 1146 ff.;
Strate, HRRS 2012, 415; Bittmann, NStZ 2011, 361 (362);
Krey, in: Heinrich u.a. (Hrsg.), Strafrecht als Scientia Universalis, Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag, Bd. 2,
2011, S. 1073.
38
Dazu Schröder, Europa in der Finanzfalle, 2012, S. 34 ff.
und Regulierungsvorschriften womöglich bereits zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung schon wieder veraltet sein können.39 Anfang des Jahrtausends vermutete man nach dem
spektakulären Zusammenbruch des LTCM-Hedgefonds die
größten Gefahrenquellen für die Stabilität der Finanzmärkte
noch in der Tätigkeit solcher Fonds oder in Währungskrisen
bei Schwellenländern wie in Asien in den Jahren 1997 und
1998. Die Bankenkrise der Jahre 2007-2009 nahm ihren
Ausgangspunkt dann aber bei traditionellen Geschäftsbanken
in westlichen Industrienationen und hing maßgeblich mit
neuen Formen verbriefter Kredite und Kreditrisiken zusammen, die erst wenige Jahre zuvor entwickelt worden waren und
sich entsprechend weitgehend unterhalb des Radars der Aufsichtsbehörden und ihrer Regulierungsinstrumente bewegten.
IV. Fahrlässige Bestandsgefährdung
In Bezug auf das tatbestandsmäßige Unterlassen der mangelhaften Einrichtung des Risikomanagementsystems setzt § 54a
KWG stets Vorsatz voraus. Daher wäre z.B. derjenige Geschäftsleiter überhaupt nicht strafbar, der fahrlässig seine
Organisationspflichten vernachlässigt und dadurch ein unzureichendes Risikomanagement ermöglicht hat. § 54a Abs. 2
KWG lässt es für eine Strafbarkeit aber ausreichen, wenn bei
vorsätzlichen Versäumnissen im Risikomanagement hinsichtlich der dadurch verursachten Bestandsgefährdung nur einfache Fahrlässigkeit vorliegt. Da die vorsätzliche unzureichende Sicherstellung eines adäquaten Risikomanagementsystems
immer schon eine Sorgfaltspflichtwidrigkeit darstellt, hängt
die Strafbarkeit dann vor allem davon ab, ob der Eintritt der
Bestandsgefährdung objektiv vorhersehbar war. Da an diese
Vorhersehbarkeit jedenfalls in der Rechtsprechung aber nur
sehr geringe Anforderungen gestellt werden und sie erst dann
verneint wird, wenn der zum Erfolg führende Kausalverlauf
gänzlich außerhalb jeder Lebenserfahrung liegt,40 dürfte dieses
Erfordernis kaum strafbarkeitseinschränkend wirken. Dies vor
allem deshalb, weil die Vorschriften zum Risikomanagement
ihren Zweck gerade in der Verhinderung von Bestandsgefährdungen haben, weshalb eine durch ihre Missachtung verursachte Bestandsgefährdung kaum jemals völlig außerhalb
des Voraussehbaren liegen wird. Andererseits sind im Hinblick
darauf, dass das unzureichende Risikomanagement regelmäßig
nur einen von mehreren Faktoren in einem komplexen zur
Bestandsgefährdung führenden Kausalverlauf darstellen wird,
durchaus Abläufe vorstellbar, bei denen die Kausalität des
Pflichtverstoßes für eine Gefährdung des Kreditinstituts zwar
nicht gänzlich unvorhersehbar, aber doch eher fernliegend
war. In solchen Fällen dürfte ein Strafbedürfnis zu verneinen
sein, da sich der Eintritt der Bestandsgefährdung dann eher als
ein Zufallsereignis denn als typische Realisierung der Gefahr
unzureichenden Risikomanagements darstellt. Vor diesem
Hintergrund wäre es daher sinnvoller gewesen, nicht schon
einfache Fahrlässigkeit, sondern erst eine vorsatznahe Leicht-
39
Hannemann/Schneider (Fn. 15), S. 23 f.; Strulik/Kussin,
ZfRSoz 2005, 101 (108); umfassend dazu Kane, The Journal
of Finance 36 (1981) 355.
40
BGHSt 3, 62 (63 f.); 12, 75 (78 f.).
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fertigkeit im Sinne einer sich aufdrängenden Erkennbarkeit41
der durch den Pflichtverstoß drohenden Bestandsgefährdung
vorauszusetzen. Für eine solche Lösung spricht außerdem,
dass sich der Gesetzgeber auch im Rahmen des seiner Struktur nach ähnlichen Bankrotttatbestands in § 283 Abs. 4 Nr. 2
StGB dafür entschieden hat, nur die leichtfertige Herbeiführung der Unternehmenskrise unter Strafe zu stellen.
V. Unangemessener Strafrahmen
Auch im Hinblick auf den vorgesehenen Strafrahmen überzeugt § 54a KWG nicht. Er sieht eine Höchststrafe von fünf
Jahren Freiheitsstrafe bei vorsätzlicher und von maximal zwei
Jahren bei leichtfertiger Tatbegehung vor. Angesichts des
sozialen Schadens, der durch die Herbeiführung der Bestandsgefährdung bei einem Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen verursacht werden kann, erscheint die
Höchststrafandrohung von fünf Jahren für die vorsätzliche
Tatbegehung als zu niedrig angesetzt. Die Kosten für die
Rettung eines systemrelevanten Kreditinstituts bewegen sich
regelmäßig im Milliardenbereich. Und damit sind nur die
unmittelbaren Kosten für die Erhaltung des Bestands erfasst.
Der darüber hinausgehende volkswirtschaftliche Schaden,
insbesondere durch den teilweisen Verlust des Vertrauens in
die Funktionsfähigkeit und Stabilität des Finanzmarkts, bleibt
hierbei noch außen vor. Unter dem Gesichtspunkt der Sozialschädlichkeit ist die Verursachung einer Bestandsgefährdung
bei einem Kreditinstitut daher ohne weiteres mit der Verursachung eines Bankrotts in einem besonders schweren Fall,
§ 283a StGB, vergleichbar: In der Krise eines Kreditinstituts
laufen regelmäßig viele Personen Gefahr, diesem anvertraute
Vermögenswerte im Sinne von § 283a Nr. 2 StGB zu verlieren.42 Dies gilt zwar nicht notwendig für private Sparer, die
Spareinlagen bei dem Institut halten, da insoweit womöglich
die staatliche Einlagensicherung eingreift. Es betrifft aber
zumindest die regelmäßig ebenfalls große Zahl von Personen,
die dem Institut in anderer Weise, etwa durch den Erwerb
von Zertifikaten, Vermögen anvertraut haben. Im Übrigen
dürfte die Herbeiführung der Krise eines Kreditinstituts vom
Unrechtsgehalt her jedenfalls einem unbenannten besonders
schweren Fall entsprechen, wie er gerade im Bereich sogenannter Großinsolvenzen mit einer Vielzahl betroffener
Gläubiger und einem hohen wirtschaftlichen Schaden in
Form von Forderungsausfällen gesehen wird.43 § 283a StGB
sieht aber einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn
Jahren Freiheitsstrafe vor. Hieran sollte sich auch ein Straftatbestand der Bestandsgefährdung von Kreditinstituten und
41
Dazu Vogel, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann
(Hrsg.), Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, Bd. 1, 12.
Aufl. 2007, § 15 Rn. 297.
42
Weshalb der Zusammenbruch eines Kreditinstituts auch als
typischer Fall der Verwirklichung des Regelbeispiels des
§ 283a Nr. 2 StGB angesehen wird, vgl. Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar, 60. Aufl. 2013, § 283a
Rn. 3; Tiedemann (Fn. 2), § 283a Rn. 6; Stree/Heine, in:
Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 28. Aufl.
2010, § 283a Rn. 5.
43
Tiedemann (Fn. 23), § 283a Rn. 12.
Versicherungsunternehmen orientieren. Anderenfalls ist
kaum zu vermitteln, weshalb die vorsätzliche Verursachung
einer Bestandsgefährdung bei möglicherweise systemrelevanten Finanzunternehmen geringer bestraft wird als die vorsätzliche Herbeiführung des Bankrotts eines Großunternehmens
außerhalb des Finanzbereichs.
VI. Ergebnis
Insgesamt können die neuen Strafvorschriften in § 54a KWG
und § 142 VAG nur als legislativer Totalschaden gewertet
werden. Die Anknüpfung der Strafvorschriften an die hochgradig unbestimmten Vorgaben für das Risikomanagement
führt zum einen dazu, dass der BaFin eine mit dem Prinzip
der Gewaltenteilung nicht mehr vereinbare Doppelrolle sowohl
bei der inhaltlichen Konkretisierung als auch bei der Anwendung des § 54a KWG im Einzelfall zukommt. Zum anderen
hat die einseitige Fixierung auf die Risikomanagementvorschriften zur Folge, dass wichtige Fallgruppen der Verursachung bestandsgefährdender Risiken außerhalb von Versäumnissen im Risikomanagementsystem gar nicht erfasst werden.
Daher hat es durchaus seine Berechtigung, wenn erste Stimmen aus dem Schrifttum in der geplanten Strafvorschrift lediglich ein Beispiel symbolischer Gesetzgebung sehen.44 Dabei
ist der Ansatz, die vorsätzliche Bestandsgefährdung von Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen unter Strafe zu
stellen, durchaus vernünftig. Insoweit besteht derzeit nämlich
eine Regelungslücke, da die Vorschriften des Bankrottstrafrechts gerade bei systemrelevanten Kreditinstituten nicht zur
Anwendung kommen können, wenn durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen eine Insolvenz abgewendet wird. Denn
dadurch wird zugleich auch der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung nach § 283 Abs. 6 StGB vereitelt und
damit der Anwendung des ansonsten eigentlich einschlägigen
§ 283 Abs. 2 StGB der Boden entzogen.45 Es ist daher sinnvoll, diese Lücke zu schließen, zumal die Herbeiführung einer
Krise bei einem Kreditinstitut regelmäßig über den Kreis der
Gläubiger hinaus zu erheblichen volkswirtschaftlichen Schäden bis hin zu einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des
Finanz-systems insgesamt führen kann. Aufgrund dieser
Schutzrichtung erscheint es auch sinnvoll, einen entsprechenden Tatbestand nicht im StGB, sondern im KWG zu verorten.
Dabei geht es nicht darum, eine neue Kategorie der „politischen Wirtschaftsstraftat“46 zu etablieren, sondern lediglich
darum, den strafrechtlichen Schutz, den heute schon der Bestand jedes Unternehmens über § 283 Abs. 2 StGB gegenüber
vorsätzlichen ruinösen Geschäftspraktiken genießt, effektiv
auch auf Banken und Versicherungen auszudehnen und so
gleichzeitig den systemschützenden Kernbereich der Finanzmarktregulierung strafrechtlich zu flankieren.47 Ein entsprechender Straftatbestand darf sich dabei jedoch nicht darauf
44
So Beukelmann, NJW-Spezial 2013, 120.
Vgl. Schünemann (Fn. 37), S. 100 f.
46
Vgl. Naucke, Der Begriff der politischen Wirtschaftsstraftat
– Eine Annäherung, 2012, passim; kritisch dazu Kubiciel,
ZIS 2013, 53 (57 ff.).
47
Schröder (Fn. 37), S. 117; Hassemer, wistra 2009, 169
(173 f.).
45
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Das Kapitalmarktstrafrecht im Treibsand prinzipienorientierter Regulierung
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beschränken, lediglich als Blankett auf aufsichtsrechtliche
Vorschriften zu verweisen. Denn diese haben zunehmend
eher Prinzipien- als Regelcharakter und weisen daher keine
für das Strafrecht hinreichende Bestimmtheit auf. Um nicht im
Treibsand unbestimmter Prinzipien und Optimierungsgebote
unterzugehen, müssen Strafrechtsvorschriften in diesem Bereich daher die ihnen zugrundeliegende Verhaltensnormen
ausdrücklich formulieren. Angesichts eines zunehmend unübersichtlicher werdenden Verweisungsdschungels gerade im
Kapitalmarktstrafrecht läge darin auch ein wünschenswerter
Beitrag zur Rechtsklarheit.
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