Masterarbeit - Spiele-Autoren

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Masterarbeit - Spiele-Autoren
 UNIVERSITÄT LEIPZIG Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie Masterarbeit Spiele und ihre Regeln Vorgelegt von Kelvin Autenrieth Student im Masterstudiengang Logik Matrikelnummer 1741046 Erster Gutachter: Dr. Peter Steinacker Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Ingolf Max Zusammenfassung Diese Arbeit untersucht die Rolle von Regeln in Spielen. Im Fokus steht hierbei das klassische Spiel, das unter Bezugnahme von operationalen und strukturierenden Regeln analysiert wird. Dabei werden insbesondere zwei wesentliche Merkmale herausgearbeitet, die durch Regeln gewährleistet werden: Fairness und Spielspaß. Während Fairness ein größtenteils objektiv fassbares Kriterium darstellt, ist der Spielspaß hingegen subjektiv. Dieser kann als spielerische Qualität betrachtet werden, die nicht zwingend mit der Fairness in Einklang stehen muss. Spielspaß wird mit Hilfe zweier Konzepte präzisiert: Spannung und Flow. Es zeigt sich, dass deren Gewährleistung immer ein Problem der Ausbalancierung darstellt. Balance – wie in dieser Arbeit ausdifferenziert – ist damit das entscheidende Moment für die Qualität eines jeden Spiels. Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................................................................... 1 Teil Eins: Spiel und Regel .................................................................. 6 1 2 Schwierigkeiten des Spielbegriffs ............................................................... 6 Der Spielbegriff, eine historische Annäherung ........................................ 8 2.1 Huizinga .................................................................................................. 8 2.2 Caillois ................................................................................................... 11 2.3 Suits ........................................................................................................ 17 3 Conclusio bis dato ....................................................................................... 19 4 Eine systemische Sichtweise ...................................................................... 20 5 Transmedialität von Spielen ...................................................................... 21 6 Spielsimulationen und Regelexekution ................................................... 25 7 Das klassische Spiel .................................................................................... 27 7.1 Ludus ..................................................................................................... 28 7.2 Regelexplizitheit ................................................................................... 28 7.3 Rundenbasiertheit ................................................................................ 32 8 Der Regelbegriff, eine philosophische Annäherung .............................. 35 8.1 Regelanalyse .......................................................................................... 37 8.2 Ein syntaktischer Blick ......................................................................... 37 8.3 Ein semantischer Blick ......................................................................... 39 9 Regeln und Spiele ....................................................................................... 41 Teil Zwei: Spielregeln ...................................................................... 44 10 Operationale Regeln ................................................................................... 44 10.1 Regelausnahmen und Regelpräzisierungen ................................. 45 10.2 Die Notwendigkeit von Ausnahmen ............................................. 48 10.3 Aktionszwang, No‐Ops und Zugzwang ....................................... 50 11 Strukturregeln ............................................................................................. 53 12 Die Elemente des Spiels ............................................................................. 54 12.1 Spielraum ........................................................................................... 55 12.1.1 Raum als Abstraktum ................................................................... 56 12.1.2 Dimensionen des Raums ............................................................. 57 12.1.3 Raumreduktion ............................................................................. 58 12.1.4 Raum und Regelrelevanz ............................................................. 60 12.2 Objekte ............................................................................................... 62 12.2.1 Objekte als Spielraumkodierungen ............................................ 62 12.2.2 Information .................................................................................... 64 12.2.3 Direkte und indirekte Information ............................................. 66 12.3 Konfigurationen ................................................................................ 67 12.3.1 Anfangskonfiguration .................................................................. 68 12.3.2 Endkonfigurationen ...................................................................... 69 13 Gute Regel – schlechte Regel ..................................................................... 74 Teil Drei: Balance .............................................................................. 76 14 Balance in Spielen – Ein Überblick ........................................................... 77 15 Prinzip [1]: Fairness .................................................................................... 79 15.1 Balance durch Symmetrie ................................................................ 79 15.1.1 Lösungsansätze des Anzugsvorteils .......................................... 80 15.1.2 Perfekte Symmetrie – eine Illusion ............................................. 82 15.2 Balance und Asymmetrie ................................................................ 86 15.2.1 Balance durch Rotationssymmetrie ............................................ 89 15.2.2 Ein kultur‐historisches Beispiel .................................................. 94 16 Exkurs: Richtlinien des Spielens ............................................................... 96 16.1 Strategien ........................................................................................... 96 16.2 Heuristiken ........................................................................................ 97 16.3 dominante Strategien und Entscheidungen ................................. 99 17 Prinzip [2]: Ausgewogenheit ................................................................... 102 17.1 Schlechte Entscheidungssituationen ............................................ 102 17.2 Gute Entscheidungssituationen .................................................... 103 18 Prinzip [3]: Vielfalt .................................................................................... 107 19 Prinzip [4]: Spannung ............................................................................... 109 19.1 Endgültigkeit und Drama ............................................................. 110 19.2 Konflikt und Spannung ................................................................. 111 19.3 Bestandteile der dramatischen Spannung .................................. 113 19.3.1 Unsicherheit ................................................................................. 114 19.3.2 Unvermeidbarkeit ....................................................................... 116 20 Prinzip [5]: Herausforderung .................................................................. 118 20.1 Spieltiefe und Klarheit ................................................................... 118 20.2 Dominanz und Klarheit – Unterforderung ................................. 121 20.3 Unbedeutsamkeit und Spieltiefe – Überforderung .................. 122 20.4 Zwischen Angst und Langeweile – Der Flow‐Effekt ................ 122 21 Classics Revisited ...................................................................................... 126 22 Ist Balance alles? ........................................................................................ 130 Desiderata .......................................................................................................... 132 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 139 Abbildungsverzeichnis .................................................................................... 144 Einleitung If the only tool you have is a hammer, you tend to see every problem as a nail. – Abraham Maslow Spiele und Regeln bilden ein merkwürdiges Duo. Zwar treten sie oft im Gespann auf, doch mutet ihre Beziehung zunächst eigenartig an: So wohnt Spielen im Tiefsten ein rekreationales Moment inne: Ob man es Spaß, Spannung oder Freude nennt – es sind Konzepte, die dem Charakter von Regeln entgegen zustehen scheinen. Denn Regeln, so wohl die gängige Intuition, sind umvermeidbar notwendige Mittel zum gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Miteinander. Sie dienen zumeist einem höheren Zweck und sind den eigenen Wünschen entgegen gerichtet. Wann muss man schon lange schlafen, gut Essen oder viel trinken? Und wann hingegen darf man die Steuererklärung ausfüllen, die Schwiegereltern besuchen oder sich eine Spritze geben lassen? Was genau eine Spielregel ist, das kann nicht mit einem prägnanten Satz oder gar einer Definition eingefangen werden. In zu vielen Formen treten sie auf, zu viele Funktionen und Charakteristika besitzen sie. Denn einer Sache kann man sich sicher sein: Die Spielregel gibt es nicht. Vielmehr existiert eine ganze Armada verschiedener Regeln, welche eben in unterschiedlicher Form anzutreffen sind und mit allerlei Funktionen und Charakteristika aufwarten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen Spielregeln dahingehend untersucht werden. 1
Als konzeptueller Rahmen zur Untersuchung von Spielen dient dabei die von Salen und Zimmerman vorgeschlagene Differenzierung:1 Abbildung 1: Drei Ebenen der Analyse von Spielen
„RULES is a formal primacy schema, and focuses on the intrinsic mathematical structures of games. PLAY is an experiental primary schema, and emphasizes the player´s interaction with the game and other players. CULTURE is a contextual primary schema, and highlights the cultural contexts into which any game is embedded.” (Salen & Zimmerman 2004, 102) Diese Unterscheidung ist für die vorliegende Arbeit essentiell, da sie die Methodik vorgibt und damit auch die Grundannahmen und Theorien der nachfolgenden Überlegungen. Im Fokus der vorliegenden Betrachtung liegt der „innere Kern“ von Spielen, also ihr formaler Rahmen. Dennoch wird in einigen Abschnitten auf Argumente zurückgegriffen, die darüber hinausgehen. Dies ist jedoch 1 Der Tatsache geschuldet, dass gefühlte 99 Prozent der hier gebrauchten Literatur in englischer Sprache verfasst sind, gestaltet sich eine adäquate Übersetzung vieler Begriffe schwierig. Im Sinne des Gedankens „Funktion vor Form“ wird auf eine Übersetzung verzichtet, sollte sie die ursprüngliche Wortbedeutung nicht präzise transportieren können. Es obliegt daher dem Leser, die Begriffe durch den Kontext entsprechend zu interpretieren. 2
keine ungewollte Begleiterscheinung. Ganz im Gegenteil, denn es unterstreicht die enge Verwobenheit zwischen diesen drei Ebenen und stärkt die These, dass es einer umfassenden Untersuchung bedarf, möchte man das Phänomen Spiel verstehen. Analytische Trennungen sind möglich, aber nicht zwingend sinnvoll. In einer formalen Betrachtung etwa können strukturelle Muster sowie Strategien untersucht werden. Doch bleibt hier unklar, wie es um qualitative Merkmale beschaffen ist, also was ein schlechtes Spiel von einem guten Spiel unterscheidet. Empirische Analysen beschäftigen sich primär mit der Spielmotivation und damit auch indirekt mit der Frage, welche Spiele Spaß machen. Hier wird jedoch selten Wert auf die Erkenntnis gelegt, was die internen Strukturen der Spiele sind, also welche Formalia konkret ein gutes Spiel aufweist. Daher wird hier ein tendenziell multidisziplinärer Ansatz gewählt, um das Verhältnis von formalen und qualitativen Kriterien analysieren zu können. Spiele in all ihren Facetten lassen sich hervorragend formal analysieren, doch zur Begründung von Regeln und Regelprinzipien bedarf es einiger Argumente, welche den Spieler als agierendes Subjekt in die Untersuchung miteinbeziehen. Ziel dieser Arbeit ist es, Spielregeln durch Deskription fassbar zu machen und sie anschließend unter Bezugnahme auf das Subjekt, dem Spieler, auf ihr Wesen hin zu ergründen. Im Fokus dabei steht, was ein gutes Spiel von einem schlechten unterscheidet. Die Arbeit verzichtet dabei bewusst auf das Beantworten einer spezifischen Forschungsfrage. Da das hier behandelte Thema weitgehend unerforscht ist, scheint es sinnvoll sich auf explorativem Weg durch den Dschungel der Forschung zu bewegen. Dabei wird sich erst dem Untersuchungsgegenstand angenähert. Dann wird dieser genauer betrachtet. Die sich dabei herauskristallisierenden Merkmale werden anschließend genauer analysiert. 3
Die Arbeit besteht aus drei Teilen. Teil eins geht der Frage nach, was überhaupt Spiele und Regeln sind. Um die enorme Ambiguität des Spielbegriffes soweit einzugrenzen, dass er verwendbar ist, wird er zunächst mit Hilfe gängiger Literatur präzisiert. Hier gibt sich rasch der Nutzen von Regeln in Spielen zu erkennen. Eine zweite Eingrenzung geschieht durch eine weitere Kategorisierung mittels spezifischer Eigenschaften. Mit Hilfe dieser wird der Begriff des „klassischen Spiels“ gewonnen, der den konkreten Untersuchungsgegenstand darstellt. Denn im Fokus der vorliegenden Betrachtung liegen traditionelle Spiele wie Schach, Skat oder Backgammon, aber auch moderne wie die Siedler von Catan und Monopoly. Diese Spiele werden im Allgemeinen als Brett‐, Karten‐ oder Gesellschaftsspiele bezeichnet. Aus Sicht des Autors sind diese Bezeichnungen jedoch nicht adäquat, so dass es der Erarbeitung eines Kriterienkatalog zur präzisen Abgrenzung bedarf. Da der Regelbegriff ebenfalls inhaltlich sehr diffus ist, wird auch dieser kurz untersucht und zu Spielen in Bezug gesetzt. Als Ergebnis ergibt sich ein Regelverständnis, das auf den erarbeiteten Spielbegriff angewendet werden kann. Teil zwei geht der Frage nach, wie Spielregeln beschaffen sind. Dabei werden exemplarisch Spielregeln untersucht, die dem zuvor gewonnenen allgemeinen Regelbegriff entsprechen und auch mit dem gängigen Verständnis übereinstimmen. Diese werden hier als operationale Regeln bezeichnet. Unter Rückgriff auf Literatur unterschiedlichster Gattungen wird jedoch ersichtlich, dass der allgemeinen Auffassung nach eine zweite Regelsorte von großer Bedeutung ist: Strukturregeln haftet die fundamentale Eigenschaft an, dass sie zusammen mit den operationalen Regeln hinreichend sind, um ein Spiel abstrakt‐minimalistisch, aber dennoch ausreichend vollständig beschreiben zu können. Daher kann dieser Teil auch als Spielmodellierung gedeutet werden. Die Frage nach 4
dem Wesen der Regeln führt hierbei unweigerlich zu der Frage nach dem Wesen des Spiels. Teil drei geht der Frage nach, warum Spielregeln so beschaffen sind, wie sie es sind. Wie sollten einzelne Regeln oder auch ganze Regelwerke beschaffen sein? Im zweiten Teil werden viele Regeln damit begründet, dem Spielspaß oder der Fairness zuträglich zu sein. Die grundlegende Schwierigkeit dafür besteht dabei, dass Fairness (als formales Merkmal) und Spaß (als qualitatives Merkmal) immer zwischen Extremen verortet werden können. Daher ist es eine Balance, so die zentrale These, die aus irgendeinem Spiel erst ein gutes Spiel macht. Hier ergibt sich zu erkennen, dass Spiele nur unter sehr starken Voraussetzungen wirklich fair sein können. Diese stehen sogar im Widerspruch zum konkreten Untersuchungsgegenstand. Denn genau genommen können klassische Spiele nicht absolut fair sein, da Handlungen immer nur sequentiell ausgeführt werden und somit immer ein Spieler über den Vor‐ oder Nachteil des ersten Zuges verfügt. Spielspaß hängt dieser Untersuchung nach wesentlich von zwei Faktoren ab: Spannung und Flow. Beides sind Qualitäten, die sich ebenfalls in einem Balanceakt befinden. Mit Hilfe verschiedener Theorien lässt sich präzisieren, was genau unter diesen Merkmalen zu verstehen ist und welche formale Basis ein Spiel besitzen muss, damit es diese Qualitäten aufweisen kann. Zudem geben sich zwei weitere Qualitäten zu erkennen: strategische Vielfalt und sowie Ausgewogenheit. Abschließend wird mit den neu erarbeiteten Konzepten, Spannung und Flow, ein zweiter Blick auf das eingangs vorgestellte Verständnis des Spiels geworfen. 5
Teil Eins: Spiel und Regel 1
Schwierigkeiten des Spielbegriffs Wenige Begriffe sind semantisch derart diffus wie der des Spiels. Obgleich das Spiel als etwas vollkommen Natürliches und Selbstverständliches erscheint, so ist doch seine Wortbedeutung mannigfaltig. Im deutschen Sprachgebrauch finden sich Unmengen unterschiedlicher Verwendungen: Ein böses Spiel mit jemandem spielen, alles aufs Spiel setzen, die Finger im Spiel haben, ein abgekartetes Spiel spielen, gute Miene zum bösen Spiel machen, etwas ins Spiel bringen, mit dem Feuer spielen, mit offenen Karten spielen, ein falsches Spiel treiben. Eine präzise Bedeutung und eine genaue Verwendungsweise auszumachen ist damit alles andere als trivial: „Je vielfältiger der Gebrauch, desto schwieriger, eine Grundbedeutung auszumachen. Eindrucksvoll wird dies im Grimmschen Wörterbuch vorgeführt. Für das Substantiv „Spiel“ verzeichnet es unter 23 Bedeutungsvarianten insgesamt 132, für das Verb „spielen“ unter 22 Varianten insgesamt 215 verschiedene Verwendungsmöglichkeiten. Ergebnislos bleibt der Versuch, aus den jeweils gut zwanzig Definitionen etwas Konstantes zu abstrahieren. Als treibe der Wortgebrauch selbst mit dem Lexikographen sein Spiel, zwingt er ihn, die anfangs gewählte Definition (nicht zweckgerichtete, lebhafte Tätigkeit/Bewegung) immer wieder zu widerrufen und neu anzusetzen.“ (Matuschek 1998, 3f) Bei dieser semantischen Reichhaltigkeit ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass in wissenschaftlichen Kontexten alles andere als Einigkeit darüber herrscht, was genau ein Spiel ist: „The world of games is so varied and complex that there are numerous ways of studying it. Psychology, sociology, anecdotage, pedagogy, and 6
mathematics so divide its domain that the unity of the subject is no longer perceptible.“ (Caillois 2001, 161) Daraus resultiert ebenfalls die Schwierigkeit, von der Theorie des Spiels zu reden: „Wenn man von der „Theorie des Spiels“ spricht, so ist mit dem Singular eher eine Hoffnung als eine schon vorzufindende Wirklichkeit benannt.“ (Hans Scheuerl 1975, 12) Besonders deutlich wird dies beispielsweise, wird das Begriffsverständnis der Psychologie dem der Spieltheorie gegenüber gestellt. Erstere beschäftigt sich insbesondere mit den Entwicklungsmerkmalen im Kindesalter, vom wilden Herumtoben über Sozialisation im Spiel bis hin zum Regellernen. Letzte ist primär mathematisch orientiert und blendet gar sämtliche psychogenetischen Merkmale zugunsten einer rationalen Modellierung von Konfliktsituationen aus. Erwartungsgemäß sind Überschneidungen marginal, obgleich sie sich offenkundig auf eine gemeinsame latente Grundidee beziehen. Dazu gesellen sich Eigenheiten der verschiedenen natürlichen Sprachen, was die begrifflichen Distinktionen betrifft. Während es im Deutschen, Französischen oder auch Spanischen lediglich ein entsprechendes Wort gibt (Spiel, jeux, juego), stehen einem Sprecher im Englischen hingegen mit play und game schon zwei Begriffe zur Verfügung, die tendenziell Unterschiedliches bezeichnen. Die skandinavischen Sprachen besitzen gar vier Wörter: „Scandinavian languages have a stronger distinction with leg = play and spil = game with verbs for both‐you can play play („lege en leg”) and game game („spille en spil“), so to speak. When writing about games in Danish, it is therefore not self‐evident that games are a subset of play. Whereas while writing about Spiel in German, it is not obvious that one should distinguish between games and play from the outset.“ (Juul 2005, 39) 7
Was ist es also in dem hier gebrauchten Verständnis, was ein Spiel zum Spiel macht? 2
Der Spielbegriff, eine historische Annäherung Im Folgenden werden die Sichtweisen dreier Personen dargestellt, die zu den traditionellen Spieleforschern gezählt werden können und mit ihren Werken zu den wohl am Häufigsten zitierten Wissenschaftlern gehören: Johan Huizinga, Roger Caillois und Bernard Suits. 2.1 Huizinga Huizinga, seines Zeichens Kulturantrophologe und Historiker, wird zu den ersten Wissenschaftlern gezählt, die als Ludologen, Spielwissenschaftler, bezeichnet werden können. Im Kontrast zu seinen Zeitgenossen sah er neben der Problematik sprachlicher Unzulänglichkeiten auch die Notwendigkeit, das Spiel als Phänomen holistisch zu betrachten und nicht als Teilbereich einer bestimmten Disziplin. In seinem Werk Homo Ludens, ein Meilenstein der Ludologie, definiert er den Begriff in ganz allgemeiner Weise: „Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des Anderssein als das gewöhnliche Leben.“ (Huizinga 2006, 37) 8
Hier lassen sich einige wichtige Merkmale identifizieren: 
Freiwillig: Die Teilnehme an einem Spiel geschieht aus einer freien Entscheidung heraus. Erzwungenes Spiel ist kein Spiel mehr. Bereits hier wird die Subjektivität dieser Tätigkeit sichtbar, denn es ist objektiv nur schwer feststellbar, ob eine Person aus freien Stücken spielt oder dazu, in welcher Art und Weise auch immer, gezwungen wird. 
Zweckfrei: Das Gleiche gilt für die dem Spiel zu Grunde liegende Zweckfreiheit. Verfolgt man mit dieser Tätigkeit einen bestimmten Zweck, so wird sie funktional und ist damit nicht mehr selbstgerichtet und intrinsisch. 
Abgrenzung vom gewöhnlichen Leben: Das Anderssein bringt den simulativen Charakter des Spiels zum Ausdruck. So tun als ob oder was wäre, wenn. Dadurch wird das Spiel vom richtigen Leben abgegrenzt. Insbesondere ist zwar das Kinderspiel dadurch bestimmt, doch ist Fiktion keinesfalls darauf beschränkt. Man denke nur an die Schlacht der Könige im Schachspiel oder die Narration im Theaterspiel. Essenziell für die Abgrenzung zum realen Leben ist eine Grenzziehung, welche den magischen Kreis bildet, den man im Spiel betritt: „Jedes Spiel bewegt sich innerhalb seines Spielraums, seines Spielplatzes, der materiell oder nur ideell, absichtlich oder wie selbstverständlich im Voraus abgesteckt worden ist. Wie der Form nach kein Unterschied zwischen einem Spiel und einer geweihten Handlung besteht, d. h. wie die heilige Handlung sich in denselben Formen wie ein Spiel bewegt, so ist auch der geweihte Platz formell nicht von einem Spielplatz zu unterscheiden. Die Arena, der Spieltisch, der Zauberkreis, der Tempel, die Bühne, die Filmleinwand, der Gerichtshof, sie sind allesamt der Form und der Funktion nach Spielplätze, d. h. geweihter Boden, abgesondertes, umzäuntes, geheiligtes Gebiet, in dem besondere Regeln gelten. Sie sind 9
zeitweilige Welten innerhalb der gewöhnlichen Welt, die zur Ausführung einer in sich abgeschlossenen Handlung dienen.“ (Huizinga 2006, 18f) Huizinga sieht den Ursprung menschlicher Kultur in Mythus und Kult, welchen er ein zu tiefst spielerisches Wesen zuschreibt. Ob Wettkampf, Kartenspiel, Ritual, religiöse Handlung, Schauspiel, Spielfilm oder juristische Diskussion: Wer den magischen Kreis betritt, der hat sich nach besonderen Regeln zu richten. Innerhalb dieses Kreises gelten ganz bestimmte Regeln, welche in der realen Welt keinerlei Gültigkeit besitzen.2 Ein Spiel zu spielen heißt, sich seinen und nur seinen Regeln zu unterwerfen. Bei den hier betrachteten Spielen entsteht dadurch das konstitutive Merkmal der Gleichheit. Da Regeln bezüglich ihrer Adressaten universal ausgelegt sind, also nicht für bestimmte Individuen einer Gruppe gelten und für andere nicht, macht das Spiel die Menschen gleich. Diesem Egalitätsprinzip nach müssen Spiele also auch immer eine konstitutive Fairness besitzen, d. h. es darf zu Beginn des Spiels kein Teilnehmer bevorteilt sein, was zumeist durch identische Spielregeln gewährleistet wird. Mit Blick auf das hier gebrauchte Verständnis des Spiels erhalten weiterhin auch seine Elemente erst innerhalb dieser Grenzen ihre volle Bedeutung. Costikyan spricht hierbei von einem endogenen Prinzip: „A game’s structure creates its own meanings. The meaning grows out of the structure; it is caused by the structure; it is endogenous to the structure.“ (Costikyan 1994) So besitzt ein 100 Dollar Geldschein des Spiels Monopoly in der realen Welt keinerlei Bedeutung. Er unterliegt keinerlei 2 Anderseits besitzen auch viele lebensweltliche Regeln im Spiel keinerlei Geltungsanspruch. Da dies jedoch insbesondere auf moralische Kriterien abzielt, ist es nur schwer zu verallgemeinern welche Verbote im Spiel fallen. Schon die Frage, ob man Kindern gegenüber nachsichtig sein sollte, sie etwa einen schlechten Zug zurücknehmen lassen sollte, ist alles andere als trivial. 10
Wertumwandlungsregeln. Im Spiel hingegen besitzt der Schein eine Bedeutung, da er den Regeln des Spiels unterliegt: „In Monopoly, the gaily colored little bills that come with the game are the determinant of success or failure. Monopoly money has meaning endogenous to the game of Monopoly – meaning that is vitally important to its players, so much so that you have to watch your little sister like a hawk to make sure she doesn’t swipe bills from the bank when you aren’t looking.“ (ibid.) Dies gilt ebenso in umgekehrter Form. Denn auch der reale Geldschein besitzt nur in seiner spezifischen Domäne, der Warenwelt, seine Bedeutung. Zwar wäre kaum ein Spieler abgeneigt, als Zahlung im Spiel einen realen Geldschein anzunehmen, doch bedeutet dies ein Sakrileg, da die Grenze zwischen Welt und Spiel eingerissen wird. Dadurch droht die Ordnung des Spiels zerstört zu werden, welche eben aus der präzisen Abgrenzung zur Lebenswelt entsteht und bestehen bleibt. Und den Spielregeln kommt die Aufgabe zu, genau dafür Sorge zu tragen, dass die Ordnung des Spiels bestehen bleibt. Sie ziehen auch die Grenze zwischen Spiel und Leben. 2.2 Caillois Oft wird der Soziologe und Philosoph Caillois in einem Atemzug mit Huizinga genannt. Zum einen liegt dies darin begründet, dass er durch sein Werk Man, Play and Games (Les jeux et les hommes) direkt an Huizingas vorige Ausführungen anknüpft. Zum anderen gehört er ebenso zu den Urvätern der Spielwissenschaften und seine Überlegungen haben auch heute kaum etwas von ihrer Relevanz verloren. Neben seinem Entwurf 11
einer Definition ist insbesondere auch sein Versuch einer möglichst präzisen Klassifikation von Spielen wertvoll. Nach Caillois sind es sechs wesentliche Eigenschaften, die ein Spiel ausmachen: „Free: in which playing is not obligatory; if it were, it would at once lose its attractive and joyous quality at diversion; Separate: circumscribed within limits of space and time, defined and fixed in advance; Uncertain: the course of which cannot be determined, nor the result attained beforehand, and some latitude for innovations being left to the player’s initiative; Unproductive: creating neither goods, nor wealth, nor new elements of any kind; and, except for the exchange of property among the players, ending in a situation identical to that prevailing at the beginning of the game; Make‐believe: accompanied by a special awareness of a second reality or of a free unreality, as against real life; Governed by rules: under conventions that suspend ordinary laws, and for the moment establish new legislation, which alone counts;” (Caillois 2001, 9f) Freiheit bezieht sich wie schon bei Huizinga auf die Unmöglichkeit des er‐ und gezwungenen Spiels. Separiertheit deutet die Abgrenzung zum gewöhnlichen Leben an. Unsicherheit kommt als wichtiges neues Element hinzu. Vielmehr ist es eine Präzisierung dessen, was Huizinga als Spannung bezeichnet. Unsicherheit als Spieleigenschaft kann in vielerlei Form in Spielen auftreten. Vom gängigen Würfel über verdeckte Karten bis hin zur Unberechenbarkeit des Kontrahenten. Aus der Summe solcher 12
einzelner Ereignisse entsteht auch die Unsicherheit des Ausgangs einer Spielpartie. Zudem müssen dem Spieler bestimmte Freiheiten zur Verfügung stehen. Darunter sind im Wesentlichen Entscheidungsfreiräume zu verstehen, so dass der Spieler auch einen Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen kann. Als Abgrenzung zu Huizinga müssen Spiele unproduktiv sein. Zwar darf das Eigentum der Spieler wechseln, damit ist Gambling noch eine Form des Spiels, nicht jedoch neues entstehen. Damit fällt für Caillois die Kunst mit dem Erschaffen von Gemälden oder Skulpturen, für Huizinga besitzt sie noch Spielcharakter, nicht mehr in den Bereich der Spiele. 3 Das so tun als ob bringt die Andersartigkeit durch Fiktion zum Ausdruck. Schließlich wird auch die Wichtigkeit der Regeln genannt. Es sind keine groben Richtlinien, nach denen man sich richten kann oder auch nicht. Sie sind absolut verbindlich und dürfen nicht in Zweifel gezogen werden. Hier interessanter noch als seine Definition sind seine Klassifikationskriterien, nach denen Caillois Spiele voneinander unterscheidet. Dabei differenziert er zwischen vier verschiedenen Formen und zwei unterschiedlichen Typen: 3 Begreift man den Produktionsbegriff ebenfalls abstrakt, so sind auch Dichtung, Wissenschaft oder Philosophie produktiv, da sie abstrakte Güter produzieren. Insgesamt ist der Begriff jedoch schwer zu fassen. Denn genau genommen ist die Situation vor dem Spiel nie identisch mit der Situation nach dem Spiel, und wenn es nur die Erkenntnis einer guten oder schlechten Spielweise ist, die „produziert“ wurde. Es kann daher von einer „kognitiven Produktivität“ gesprochen werden. 13
Abbildung 2: Die Klassifikationskriterien der Spiele nach Caillois 
Agôn ist das kompetitive Spiel, das auch schon Huizinga als eine wichtige Form des Spiels hervorhob. Darunter fallen gleichermaßen gängige Wettbewerbssportarten als auch bestimmte Brettspiele. Unter den Spielern herrscht „Kampf“. Alle wollen gewinnen, doch nicht alle können gewinnen. Das Gewinnen ist hier abhängig von der Ausprägung einer spezifischen Qualität. Diese können physischer (Geschwindigkeit, Ausdauer, Stärke, Geschicklichkeit) oder auch psychisch‐kognitiver Natur sein (Erinnerungsvermögen, Einfallsreichtum, logisch‐mathematisches Verständnis). Der Gewinner eines Spiels ist damit der Bessere bezüglich spezifischer Fähigkeiten. 
Alea steht im Kontrast zu Agôn und bezeichnet Spiele, auf deren Ergebnis der Spieler keinerlei Einfluss besitzt. Über den Spielausgang entscheidet Fortuna. Der Gewinner ist damit der Glücklichere (oder der „bessere“ Würfler). 
Mimicry steht für die Simulation des Spiels. Hier imitiert der Spieler eine bestimmte Rolle, er verstellt sich, gibt sich anders. In prototypischer Weise ist Mimicry im Theater vorzufinden. 14
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Ilinx ist der Schwindel oder Rausch. Er kommt dort zu Stande, wo der Spieler an seine körperlichen Grenzen geht. Damit ist Ilinx eine physische Ausprägung. Selten sind Spiele jedoch eindeutig einer Form zuzuordnen. Schach ist zwar intuitiv Agôn in Reinkultur, besitzt jedoch auch Elemente von Alea (der Gegner kann Fehler begehen), Mimicry (es kann die Illusion bestehen, ein Feldherr zu sein) und Ilinx.4 Poker besitzt gleichermaßen Agôn und Alea. Thematisch besonders ausgestaltete Kinderspiele sind zumeist ein Duo bestehend aus Alea und Mimicry. Zu den vier Formen des Spiels gesellen sich nun die zwei Spieltypen, Paidia5 und Ludus: „[Games] can also be placed on a continuum between two opposite poles. At one extreme an almost indivisible principle, common to diversion, turbulence, free improvisation, and carefree gaiety is dominant. It manifests a kind of uncontrollable fantasy that can be designated by the term paidia. At the opposite extreme, this frolicsome and impulsive exuberance is almost entirely absorbed or disciplined by a complimentary, and in some respects inverse, tendency to its anarchic and capricious nature [...] I call this second component ludus.“ (Caillois 2001/1958, 13) Paidia ist das freie, ungebundene und improvisierte Spiel. Es unterliegt keinen festgelegten Regeln, welche bestimmen was getan werden darf und was nicht. Zwar können auch vereinzelt Verhaltensregeln festgesetzt werden, doch sind diese nicht in ihrer Geltung unantastbar. Sie haben 4 Der Begriff Rausch wird hier etwas weiter gebraucht als von Caillois angedacht. Er ist weniger als ein rein körperliches Schwindelgefühl zu verstehen, sondern mehr als ein Status absoluter Konzentration, durch den ein körperlicher Schwindel entstehen kann, aber nicht muss (vgl. Kap. 20.4). 5 Der altgriechische Begriff wurde zwar erst durch Caillois gewisser Maßen bekannt, diente jedoch auch schon Huizinga zur Abgrenzung vom agônalen Wettkampf, vgl. Huizinga 2006, 175. 15
einen eher arbiträren Charakter, dürfen hinterfragt und sogar während des Spiels für ungültig erklärt oder abgeändert werden. Da es kein klar vorgegebenes Ziel gibt, herrscht Anarchie im Spiel. Besonders klar ist Paidia im Kinderspiel ausgeprägt. Obwohl auch aus dem geordneten Spiel ein freies werden kann, so ist dies auch umgekehrt der Fall. Wo zu Beginn des Spiels Chaos und Anarchie herrscht, da wird zunehmend Struktur und Ordnung geschaffen. Es werden darüber Regeln eingeführt, was man nicht mehr darf und was man muss. Es werden klare Linien gezogen, um das Spiel von der Welt abzugrenzen. Um dem impulsiven und gedankenlosen Umher Einhalt zu gebieten werden feste Ziele vorgegeben, die es zu erreichen gilt; Ludus ist geboren. Wie Bateman pointiert, ist es vor allem die Wohldefiniertheit des Spiels, die Ludus im Wesen ausmacht: „Ludus can thus be seen as being a synonym for the explicit rules of a game, which include the rules by which play proceeds (or rather, the limits of what is allowed), the rules that define the goals of the game (or any scoring mechanism, which is merely a more complicated form of goal structure) and the rules which dictate the allowable properties of the components of play (the size and weight of a ball, or the dimensions of the playing field).“ (Bateman 2006a) Ludus ließe sich im Deutschen etwa übersetzen als Regelspiel. Doch hier ist wieder einmal die englische Sprache mächtiger, da sie mit play und game schon über zwei Begriffe verfügt, welche tendenziell auf Paidia und Ludus abbildbar sind: „A game is a bounded, specific way of problem solving. Play is more cosmic and open‐ended. Gods play, but man unfortunately is a gaming individual. A game has a predictable resolution, play may not. It allows for emergence, novelty, surprise.” (Visvanathan, zitiert nach Mammen 2007) 16
2.3 Suits Einer der wohl geistreichsten Beiträge zum Spielverständnis entstammt dem Philosophen Suits mit seinem Werk The Grasshopper: Games, Life and Utopia. In einem amüsanten – um hier nicht zu sagen: spielerischen – Stil, der als Dialog zwischen verschiedenen Fabelgestalten daherkommt, untersucht er das Wesen des Spiels. Neben einer Aufarbeitung des Begrifflichen argumentiert er dafür, dass das Spiel ein zentrales Merkmal im Ideal jeder menschlichen Existenz ist. Daher ist es das Herzstück einer jeden Utopie. Wie schon seine Vorgänger betrachtet Suits Spiele in ihrer Allgemeinheit: „To play a game is to engage in activity directed towards bringing about a specific state of affairs, using only means permitted by rules, where the rules prohibit more efficient in favor of less efficient means, an where such rules are accepted just because they make possible such activity.“ (Suits 2005, 48f) Oder pointiert: „I also offer the following simpler and, so to speak, more portable version of the above: playing a game is the voluntary effort to overcome unnecessary obstacles.“ (ibid. 55) Zwar ist die Definition durchaus abstrakt und steht in dezentem Kontrast zu den beiden vorigen, doch erfasst sie viele Intuitionen. Auf deren Basis identifiziert Suits einige neue Merkmale (vgl. ibid. 50‐54): 
Goal: Verfolgt wird ein ganz bestimmter Zustand. 
Lusory attitude: Suits bezeichnet damit eine Einstellung seitens sämtlicher Spieler. Es ist das Anerkennen aller Regeln, was notwendig ist, damit überhaupt ein Spiel stattfinden kann. Diese spielerische 17
Einstellung gewährleistet regeltreues Handeln und unterscheidet den Spieler vom Cheater und Spoiler. 
Unefficent means: Regeln sind nicht etwa als rein strukturelle Maßnahme Teil des Spiels, sondern durch Verbot der effizientesten Mittel entstehen die Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Eine besondere Stärke an Suits Sichtweise liegt nun darin, den Spielcharakter scheinbar vollkommen spielferner Situationen aufzuzeigen. Gegeben sei folgende Situation: Herr Retzl tigert durch sein Haus und durchstöbert sämtliche Schubladen vor sich hin murmelnd: „Ach verdammt, irgendwo muss das blöde Ding doch sein“. Frau Retzl bemerkt ihren Gatten und fragt ihn: „Was suchst du denn, vielleicht habe ich es gesehen.“ „Ach, schon gut“, antwortet dieser und begibt sich in die Garage. Diese merkwürdig anmutende Situation ist mit Huizinga und Caillois nur schwer zu analysieren. Mit den Kriterien Suits hingegen wird der spielerische Charakter sichtbar. Herr Retzl verfolgt ein ganz bestimmtes Ziel, und zwar das Auffinden eines spezifischen Gegenstandes in seinem Haus. Als seine Frau ihn fragt, ob sie ihm denn behilflich sein könne, hat er tendenziell zwei Optionen. Entweder er verrät ihr was sucht. Dies wäre die nahe liegende und rationale Entscheidung, denn die Chancen stehen nicht schlecht, damit das ewige Gesuche beenden zu können. Es wäre die effizienteste Möglichkeit. Stattdessen jedoch behält er den Namen des gesuchten Gegenstandes für sich und verzichtet auf die Hilfe seiner Frau. Nicht etwa, weil er sie für zu infantil hält zu wissen, wo sich der Gegenstand befindet, sondern weil er sich dafür entschieden hat ein Spiel zu spielen. Das Spiel entsteht dadurch, dass er eine Regel aufstellt, welche den effizientesten Weg zum Ziel verbietet: Finde den Gegenstand, aber ohne zusätzliche Informationen. 18
Oder anders: Es ist verboten auf seinem Weg zum Ziel zusätzliche Informationsquellen heranzuziehen. Suits untersucht eine Reihe ganz ähnlicher Situationen, die auf den ersten Blick wenig mit einem Spiel gemein haben. Regeln limitieren nicht nur wieder die Möglichkeiten, sondern sie machen hier erst das Spiel zum Spiel. Ohne diese Regel wäre es kein Spiel mehr, da damit nicht mehr auf die effizientesten Mittel zum Erreichen eines bestimmten Ziels verzichtet wird. Hier werden Regeln in einem negativen Verständnis verwendet. Das heißt, ihnen kommt nicht die Aufgabe zu Bestimmtes zu erlauben, sondern zu verbieten. 3
Conclusio bis dato Wie weit helfen nun die drei diskutierten Sichtweisen weiter zur konkreten Gegenstandsbestimmung? Lassen sich klassische Spiele eindeutig mit Hilfe der angesprochenen Kriterien klassifizieren? Das erste Problem besteht (erneut) in sprachlichen Unzulänglichkeiten. Huizinga, Caillois und Suits beziehen sich in erster Linie auf das Spiel als Tätigkeit eines Subjektes (to play) und nicht auf das Konstrukt als solches (a game). So können sie eine Reihe von Fragen beantworten: Was ist Schachspielen (Huizinga)? Was für ein Spiel ist Schach (Caillois)? Welche Rolle spielen Regeln im Schach (Suits)? Allerdings beantworten sie nicht, was Spiele in ihrer Rolle als Artefakt sind. Darin unterscheiden sich diese „klassischen“ Spielwissenschaftler von ihren modernen Vertretern. 19
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Eine systemische Sichtweise Für diesen Ansatz ist ein Extrakt von Juul (2005, 23‐54) fruchtbar: In seinem Classic Game Model erarbeitet er auf Basis der drei hier besprochenen sowie vier moderner 6 Beiträge (Avedon & Sutton‐Smith 1971, Crawford 1982, Kelley 1988, Salen & Zimmerman 2004) eine systematische Spieldefinition: „Rules: Games are rule‐based. Variable, quantifiable outcome: Games have variable, quantifiable outcomes. Valorization of outcome: The different potential outcomes of the game are assigned different values, some positive and some negative. Player effort: The player exerts effort in order to influence the outcome (Games are challenging). Player attached to outcome: The player is emotionally attached to the outcome of the game in the sense that a player will be the winner and „happy“ in the case of a positive outcome, but a loser and „unhappy“ in case of a negative outcome. Negotiable consequences: The same game [set of rules] can be played with or without real‐life consequences. In short form: A game is a rule‐based system with a variable and quantifiable outcome, where different outcomes are assigned different values, the player exerts effort in order to influence the outcome, the player feels emotionally attached to the outcome, and the consequences of the activity are negotiable.” (Juul 2005, 36; eigene Hervorhebung) 6 Modern ist hier nicht chronologisch zu verstehen sondern bezieht sich auf den „methodical turn“, dass das Spiel weniger als Tätigkeit betrachtet sondern mehr als ein konkretes Artefakt angesehen wird. 20
Die systemische Sichtweise ist ein Paradigma zeitgenössischer Forschung. Neben den hier erwähnten fünf modernen Ansätzen gibt es noch zahlreiche andere, welche ebenfalls auf dem Systemgedanken basieren.7 Doch wenn Spiele nun tendenziell Systeme, hier verstandenen als autonome, regelstrukturierte Einheiten, sind, wie lässt sich Skat von einem Videospiel, Schach von einem Sportspiel oder Backgammon von einem Kinderspiel abgrenzen? Ursprünglich schien man mit der Bezeichnung des Brett‐ und Kartenspiel über ein adäquates Abgrenzungskriterium zu verfügen. Dieses Kriterium ist jedoch nicht adäquat, da Spiele ihrer formalen Natur nach als transmedial zu kennzeichnen sind. 5
Transmedialität von Spielen Der Begriff der Transmedialität geht ebenfalls auf Juul (2005, 48ff) zurück und ist ein zentraler Bestandteil vieler formaler Analysen. Transmedialität bedeutet im Wesentlichen mediale Unabhängigkeit. So kann ein Spiel im Kern das gleiche sein, obwohl es durch unterschiedliche Medien repräsentiert wird. Das Diffundieren zwischen verschiedenen Medien ist dabei nicht ungewöhnlich. Kartenspiele werden zu Computerspielen, Sportspiele werden zu Computerspielen, Computerspiele werden zu Brettspielen. Schach kann theoretisch mit Karten gespielt werden oder, und damit stellt es eine Extremform dar, als Mind‐chess sogar komplett ohne Medium. Es muss daher unterschieden werden zwischen dem formalen abstrakten Spielsystem und seiner Repräsentation. Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass es nicht gute dafür Gründe gibt, dass ein Spiel 7 Dabei variieren die Systemgattungen enorm, bzw. können Spiele als unterschiedliche Systeme gedeutet werden, etwa als spieltheoretische, informationsverarbeitende, kybernetische, emergente oder Konflikt‐simulierende Systeme (vgl. Salen & Zimmerman 2004). 21
so manifestiert ist wie es ist. Deutlich wird dies unter Bezugnahme des eingangs betrachteten konzeptuellen Rahmens. Es macht einen Unterschied, ob die Spielanalyse unter formalen, subjektorientierten oder kulturellen Gesichtspunkten geschieht. Der formale innere Kern eines Spiels bleibt ungeachtet des Mediums derselbe, solange das Regelsystem identisch bleibt, denn das reine Gameplay bleibt identisch: „Gameplay is what doesn’t change when you change the surface: the rules. In board games this is clear: the sundry local editions of Monopoly all have identical gameplay despite the different names of the streets.“ (Mäyrä 2008, 16) Auf die interaktive Play‐Ebene hingegen mag dies nicht mehr zutreffen. Als entsprechender Anhänger kann es einem Spieler Vergnügen bereiten eine Partie StarWars‐Schach zu spielen, wohingegen ihn das „normale“ langweilt, obgleich sich die Figuren nur durch ihr Erscheinungsbild unterscheiden und das Spiel formal betrachtet nach wie vor das gleiche ist. Es gibt ebenso keinen Unterschied zwischen dem Hineinwerfen einer Kugel in eine sich drehende Roulette‐Schüssel und dem Werfen eines 37‐seitigen Würfels. Doch stelle man sich die Casino Kundschaft vor, wenn wie aus heiterem Himmel die Roulette‐Schüssel vom Tisch genommen und stattdessen durch einen kleinen Würfel ersetzt wird. Die Manifestation des Systems kann ebenso auf kultureller Ebene für Zwietracht sorgen. Gegeben sei folgendes bizarre Szenario: Statt Schach wird eine Partie Blitzkrieg gespielt. Als weiße Armee mit leichten inhärenten Gewinnvorteilen
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behaftet startet Nazi‐Deutschland den Feldzug gegen die kommunistische Sowjetunion. Die Konsequenzen solch 8 Aus empirischer Sicht gibt es gute Gründe die für die Annahme sprechen, dass der Beginnende einen eindeutigen Vorteil besitzt. Dazu siehe Kap. 15.1.2 22
eines Spieles, obwohl im inneren Kern nach wie vor identisch mit Schach, wären wohl unterschiedlicher Natur. Ob zwei Spiele wirklich strukturgleich, und damit isomorph sind, ist keinesfalls immer so einsichtig wie im Fall von Schach. Dies ist dann der Fall, wenn sich das Gameplay konstituierende formale System nicht besonders eindeutig gibt, was sich an Hand zweier kleiner Beispiele veranschaulichen lässt (vgl. Salen & Zimmerman 2004, 128f): Tic‐Tac‐Toe 
Gespielt wird auf einem Feld mit 3 mal 3 leeren Einzelfeldern. 
Zwei Spieler markieren abwechselnd ein leeres Feld, der erste Spieler mit einem X und der zweite Spieler mit einem O. 
Wenn ein Spieler es schafft drei seiner Markierungen in einer Reihe zu platzieren so hat er gewonnen. 
Ist das gesamte Spielfeld mit Markierungen gefüllt und kein Spieler ist der Gewinner, so endet die Partie mit einem Unentschieden. 3‐to‐15 
Zwei Spieler sind abwechselnd am Zug. 
Wer am Zug ist der wählt eine Zahl zwischen 1 und 9. 
Es darf keine Zahl gewählt werden welche schon einmal gewählt wurde. 
Wer es schafft, genau 3 Zahlen so zu wählen, dass sie in der Summe 15 ergeben, hat gewonnen. Auf den ersten Blick wirken beide Spiele unterschiedlich. Tatsächlich jedoch sind sie isomorph, da sie sich ineinander überführen lassen, bzw. sie lassen sich zu einem identischen Spiel abstrahieren: 23
Tic‐to‐15 
Zwei Spieler wählen abwechselnd ein Feld eines 3 mal 3 Spielfeldes. 
Der erste Spieler der 3 horizontal, vertikal oder diagonal aneinander liegende Felder besitzt ist der Gewinner. 
Wenn kein Spieler ein Feld wählen kann und es keinen Gewinner gibt, so endet das Spiel unentschieden. Überzeugt diese Spielbeschreibung noch nicht ganz, so sollte sich die Gleichheit beider Spiele mit dem entsprechend kodierten Spielfeld einstellen: 2
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3
6
1
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Abbildung 3: Der Spielverlauf einer Partie Tic‐to‐15. Drei Zahlen einer Reihe ergeben in der Summe 15. Wirklich beeindruckend ist hierbei der Gedanke des domain swapping (vgl. Juul 2005, 51). Tic‐Tac‐Toe korreliert mit einem Raumgedanken. Es ist ein Spiel, welches innerhalb eines vorgegebenen Raumes, dem Spielfeld, funktioniert. 3‐to‐15 hingegen ist ein Spiel, welches dem Anschein nach nur über eine mathematische Funktion verständlich wird. Schon hier wird deutlich, dass Raum, Feld und ihre begrifflichen Konsorten in tatsächlich nur auf Relationen zwischen einzelnen Elementen hinweisen, bzw. der Raum als solcher nur eine Möglichkeit ist diese zum Ausdruck zu bringen. Da beide Spiele unterschiedliche kognitive Kompetenzen voraussetzen, werden sie auch unterschiedlich wahrgenommen, wobei die meisten Spieler Tic‐Tac‐Toe als wesentlich einfacher empfinden (vgl. Juul 2005, 52). 24
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Spielsimulationen und Regelexekution Zwar sind damit klassische Spiele keineswegs an ein bestimmtes Medium gebunden, doch besteht ein wichtiger Unterschied, sollten klassische Spiele mit einem Computer simuliert werden. Zum Verständnis des Simulationsbegriffs trägt Frasca bei: „Simulation is act of modeling a system A by a less complex system B, which retains some of Aʹs original behavior.ʺ (Frasca 2001) Die wohl bekannteste Simulation eines klassischen Spiels stellt die seit über einem Jahrzehnt mit dem Betriebssystem Windows ausgelieferte Patience Solitär dar. Die Solitärsimulation verfügt über die gleichen Regeln wie das originale Spiel, ist jedoch auch weniger komplex, da z.B. die Spielkarten nur auf fest vorgegebenen Feldern liegen dürfen. Eine Regel der Simulation lautet: 
Wenn ein Spieler auf den verdeckten Kartenstapel klickt, so werden die obersten drei Karten aufgedeckt. Zunächst lässt sie sich nur schwer als operationale Regel verstehen, da hier kein eindeutiger Rückschluss über ihren deontischen Charakter gezogen werden kann: Es wird lediglich ein automatisierter Prozess beschrieben. An dieser Stelle ist die Überlegung hilfreich, wie eine entsprechende Regelformulierung lauten würde, wäre das Spiel nicht simuliert, sondern wäre in „echt“ vorhanden: 
Zieht der Spieler vom verdeckten Kartenstapel, so muss er die obersten drei Karten nacheinander auf das anliegende Feld legen. Möchte der Spieler also Karten des Stapels sehen, so steht ihm die Anzahl der zu ziehenden Karten nicht offen. Ebenso wenig darf er über die 25
Reihenfolge entscheiden. Er muss also eine bestimmte Handlung ausführen. In Simulationen ist es gängig, dass Aktionen, sollten sie geboten sein, automatisch ausgeführt werden. Dies dient unter anderem der Entlastung des Spielers und der Beschleunigung des Spiels. In einer Schachsimulation besteht keine Notwendigkeit, dass eine geschlagene Figur von einem Spieler von ihrem Platz auf dem Spielfeld zum Rand außerhalb des Bretts befördert wird (wie auch immer dies aussehen mag). Stattdessen genügt ein Klick, und wie von magischer Hand bewegt sich der schwarze Turm drei Felder nach vorne, der weiße Bauer verschwindet und taucht außerhalb des Spielfeldes wieder auf. Ein Klick auf „neue Runde“, und schon werden die 52 Karten des Spiels aufgesammelt, gemischt und neu verteilt. Eine notwendige Prozedur eines fast jeden Kartenspiels, welche allerlei Entwicklungen technischer Hilfsmittel („Kartenmischmaschinen“) nach sich gezogen hat. Und wer möchte schon zu Spielbeginn dutzende Einzelfiguren auf ihren vorgesehenen Feldern auf einem Spielfeld postieren? Die Rechenmaschine erledigt hier fehlerfrei und schnell zumeist unliebsame Aktionen innerhalb des Spielverlaufes. Weiterhin wird durch die Automatisierung notwendiger Prozeduren das nicht regelkonforme Agieren unterbunden. Dadurch wird das Schummeln der Spieler unterbunden. Denn was nicht erlaubt ist, das ist geboten zu unterlassen. Im Falle der Regel in der Kartenpatience ist es verboten, eine Anzahl von Karten vom Stapel zu nehmen, die ungleich drei ist. Es ist auch nicht erlaubt, diese Karten in einer anderen Reihenfolge auf das Ablagefeld zu legen, als in der, in der man sie zieht. Da aber genau diese verbotenen Handlungen unter Umständen enorm hilfreich im Spiel sein können, geraten weniger regeltreue Spieler durchaus in die Versuchung, es nicht so genau mit dem Regelwerk zu nehmen. In solch einer Situation kommt der Rechenmaschine die Rolle eines neutralen Vollstreckers zu, der bestimmte Regeln automatisch 26
ausführt und Regelverletzungen nicht sanktioniert, sondern von vornherein unterbindet: „One of the most significant differences between videogames and more traditional games is how the rules are enforced. In traditional games, rules are primarily enforced by the players themselves or by an impartial referee in high stakes games, such as sporting events. With computer games, it becomes possible (and sometimes necessary) for the computer to enforce the rules.“ (Schell 2008, 147) Die Notwendigkeit der Automatisierung von Regelausführungen bezieht sich auf die große Anzahl vieler Berechnungen, wie sie insbesondere in Videospielen vorzufinden sind. Dies ist jedoch keineswegs ein Phänomen moderner Computerspiele. Der hohe Aufwand des Rechnens in Pen&Paper‐Rollenspielen trägt durchaus zur mangelnden Popularität dieses Genres bei. Und wer schon einmal eine Partie traditionelles Mah‐
Jongg gespielt hat, der merkt spätestens bei der Endabrechnung schmerzhaft, worin der Reiz liegt, gewisse Prozeduren zu automatisieren. Schlussendlich ergibt sich für den Spieler folgendes Bild: Wenn eine Handlung verboten ist, ist es nicht möglich sie auszuführen. Wenn eine Handlung geboten ist, dann wird sie automatisiert. Wenn eine Handlung lediglich erlaubt ist, so obliegt es weiterhin dem Spieler, ober er diese ausführt oder nicht. 7
Das klassische Spiel Wenn nun Spiele allgemein Systeme sind, wie lassen sich Spiele im hier betrachteten Sinne (Sowas wie Schach, Skat und Monopoly) von anderen abgrenzen? Auf Grund des Transmedialitätsargumentes ist die Bezeichnung des Brett‐, Karten‐ und Gesellschaftsspieles als inädaquat zu 27
kennzeichnen. Sinnvoll scheint es daher, einen Katalog an abstrakten Eigenschaften zu definieren, die solche Spiele ausmachen: Ludus, Regelexplizitheit und Rundenbasiertheit. 7.1 Ludus Ludus bezeichnet die Wohldefiniertheit des Spiels. Es ist eindeutig, was Spiel ist und was kein Spiel ist. Damit sind Komponenten, Ziel und Regeln fest vorgegeben. Der Inhalt einer Spielesammlung alleine ist zunächst nicht mehr als ein Baukasten oder Spielzeug, mit dem man herumspielen kann. Hier befindet man sich noch im Bereich von Paidia. Das Spiel im Sinne von Ludus entsteht erst, wenn spezifiziert wird, was genau (Ziel) mit welchen Mitteln (Regeln) in welchem Rahmen (Spielraum) zu erreichen ist. 7.2 Regelexplizitheit Regelexplizitheit bedeutet hier nicht, dass die nur eindeutige Existenz spezifischer Regeln gegeben ist (was schon Ludus entspräche), sondern dass sämtliche Spieler über das komplette Regelwissen verfügen. Damit unterscheiden sich klassische Spiele von den meisten Computerspielen. In diesen können die Regeln dahingehend undurchsichtig sein, als sie im Programmcode für den Spieler nicht einsehbar sind. Hier erschließt sich der Spieler nach und nach die Regeln. Wenn der Spieler in einem Rennspiel die obere Pfeiltaste drückt und sein Wagen daraufhin beschleunigt, vermutet er eine Regel: Das Drücken der oberen Pfeiltaste lässt den Wagen beschleunigen. Durch wiederholte Versuche festigt er 28
dieses Wissen. Allerdings kann nun der Fall eintreten, dass plötzlich der Motor explodiert und in diesem Fall die Regel keinerlei Gültigkeit mehr besitzt. In diesem Fall präzisiert der Spieler seine Regel: Das Drücken der oberen Pfeiltaste lässt den Wagen beschleunigen außer der Motor ist explodiert. Weiterhin könnten als Ausnahmefälle geplatzte Reifen oder Ölspuren auftreten. Damit erschließt sich der Spieler den Regelapparat nach und nach, was geradezu paradigmatisch für Videospiele ist. Schädler bezeichnet solche Spiele als induktiv: „Es geht hierbei nicht in erster Linie darum, nach bekannten Regeln Spielzüge auszuführen, sondern anhand der Folgen der eigenen Entscheidungen nach und nach zu lernen, sich im Spiel zurechtzufinden.“ (Schädler 2005, 102) Schädlers Unterscheidung zwischen induktiven und deduktiven Spielen korrespondiert im Wesentlichen mit Juuls Differenzierung zwischen Games of Emergence und Games of Progression (vgl. Juul 2005, 67‐83). Klassische Spiele sind rein emergent, das heißt, die Anforderungen und der Reiz des Spiels bestehen nicht darin sich das System (im Sinne des Funktionsapparats) zu erschließen, sondern von vornherein über das Wissen zu verfügen und dieses geschickt einzusetzen. Während es am Computer tendenziell den Zufall (im Sinne von Beliebigkeit) gibt, Wahrscheinlichkeiten Zufallsereignisse so sind in anzutreffen.
unterscheiden klassischen 9
sich Spielen lediglich Wahrscheinlichkeits‐ bezüglich ihrer und möglichen eintretenden Ereignisse sowie ihren Erwartungswerten. Die möglichen Ereignisse eines Würfelwurfes sind die Ereignisse 1,2,3,4,5 und 6. Ihre Erwartungswerte betragen jeweils ein Sechstel. Bei einem Zufallsereignis sind dagegen sowohl die möglichen Ereignisse als auch ihre 9 Im weiteren Verlauf wird der Zufallsbegriff dennoch im Sinne der Wahrscheinlichkeit gebraucht. 29
Eintrittswahrscheinlichkeiten unklar. Man stelle sich einen digitalen Würfel vor. Wird auf einen kleinen Knopf gedrückt, so erscheint auf dem Display ein Zeichen. Nun weiß man vorher allerdings nicht, welche Ereignisse überhaupt eintreten können und mit welchen Erwartungswerten. Wenn fünfmal hintereinander eine drei angezeigt wird, so ließe sich vermuten dass in 100% der Fälle das Ereignis drei eintritt. Doch wenn nun auf dem Display blau oder nein angezeigt wird, was ist dann der mögliche Ereignisraum? Und was sind die Erwartungswerte? Als Konsequenz ergibt sich eine stark subjektive Komponente bei der Feststellung, ob ein Spiel wirklich Zufall impliziert oder lediglich Wahrscheinlichkeiten. Deutlich wird dies bei modernen Spielen, in denen die Spieler Aktionskarten von einem verdeckten Kartenstapel ziehen. Spielt jemand seine erste Partie Monopoly, so werden ihn die Ereignis‐ und Gemeinschaftskarten womöglich deswegen überraschen, da er nicht mit dem Auftreten dieser speziellen Ereignisse rechnete, bzw. überhaupt damit rechnen konnte. Ob ein Ereignis also berechenbar oder vorhersagbar ist, ist stark von dem Wissen des Spielers abhängig. Nach einigen Partien Monopoly wird der Spieler die meisten Karten kennen und bekommt ein Gefühl für die Art der eintretenden Ereignisse: Vorrücken, Zurückgehen, Geld bekommen, Geld abgeben. Auch wenn er die konkreten möglichen Ereignisse nicht kennt, so werden ihn neu auftretende nicht wirklich überraschen, da er sich bereits den Möglichkeitsraum der Ereignisse erschlossen hat. Dadurch wird auch die Balance10 des Spiels gewahrt. Zieht ein Spieler eine Karte „du hast das Spiel verloren“, so überrascht das Spiel den Spieler durch einen Deus ex machina. Denn womit man trotz aller Unvorhersagbarkeit rechnen kann, ist die Wahrung des Spielgleichgewichtes in Form einer gewissen 10 Der Balancebegriff wird ausführlich in Teil drei besprochen. 30
Sinnhaftigkeit. Ein Ereignis wie „Nimm einem Mitspieler 100 Dollar ab oder nimm einem Mitspieler 1000 Dollar ab“ ist solch ein sinnloses Ereignis, bzw. eine sinnlose Entscheidungssituation, da bei einer rationalen Spielweise zweifelsfrei feststeht, wofür sich der Spieler entscheiden wird. Ein Ereignis wie „Durch ein Erdbeben verlieren alle deine Mitspieler ihre Häuser und Hotels“ überrascht, da es ein überaus mächtiges Ereignis ist, welches ad hoc über den Spielausgang entscheiden kann. Tritt hingegen ein Wasserrohrbruch ein, der drei aneinander liegende Gebäude für eine Runde lang außer Betrieb setzt, wird dies wohl kaum überraschen, da sich dieses Ereignis in abstrakter Form mit seinem bisherigen Spielwissen korreliert. Zu unterscheiden sind auch hier die formale und die repräsentative Ebene eines Ereignisses. So kann die Beschreibung durchaus hochgradig merkwürdig anmuten. Statt eines Wasserrohrbruchs sind es hier Tick, Trick und Track, welche drei Häuser besetzt haben und mit dem Erschießen der Geiseln drohen. Das Sondereinsatzkommando benötigt die Spielzeit einer Runde, um die drei Terroristen zu beseitigen. Mit dieser Beschreibung eines Monopoly‐
Ereignisses wird wohl keiner Spieler rechnen, doch gleicht die Geiselnahme auf formaler Ebene dem Wasserrohrbruch. Klassische Spiele zeichnen sich also dadurch aus, dass die Spieler eher über das Wissen sämtlicher möglicher Ereignisse sowie ihren Erwartungswerten verfügen. Sie wissen, welche möglichen Konsequenzen ihr Handeln impliziert. Viele moderne Spiele lassen sich damit als Grenzfälle charakterisieren, sollten sie über besonders viele Aktions‐ und Ereigniskarten verfügen, deren gesamte Kenntnis nicht zwingend vorausgesetzt werden kann. Das Sammelkartenspiel11 Magic: The Gathering 11 Sammelkartenspiele (auch Trading Card Games, kurz TCGs) sind Kartenspiele zu üblicherweise fantastischen Themen. Im Gegensatz zu Kartenspielen wie Skat oder 31
besteht aus weit über 10.000 verschiedenen Spielkarten die zahlreiche verschiedene Eigenschaften aufweisen. Um hier erfolgreich spielen zu können wird ein hohes Maß an reinem und kombiniertem Wissen benötigt. Durch das Absolvieren des progression games, also dem Erschließen der Regelinterna, wird erst das emergente Spiel möglich. Nur weil man alle Karten sowie die tendenziellen Spielregeln kennt, bedeutet dies noch lange nicht, dass man auch gut spielen wird. Doch ist dies eine Grundvoraussetzung, um überhaupt Strategien entwickeln zu können. Weiterhin sind damit zwar nicht alle, aber die meisten Computer basierten Spiele keine klassischen Spiele, da unklar ist, wie es um den internen Regelapparat beschaffen ist. Dennoch wird erst mit Blick auf das eigentliche Regelsystem klar, um was für eine Art von Spiel es sich dabei handelt. Statt auf die traditionelle Unterscheidung (wie Gesellschaftsspiel vs. Computerspiel) zu bauen, scheint es fruchtbarer, hier auf die Unterscheidung von progressiven und emergenten Spielen zurückzugreifen, wobei der Emergenzbegriff mit der hier angedeuteten Regelexplizitheit korrespondiert. 7.3 Rundenbasiertheit Weiterhin sind klassische Spiele rundenbasiert: „The players take turns to make their actions to change the game state, and the progress of game time is not tied to the real time.” (Björk & Holopainen 2005, 347) Durch das Prinzip des turn‐takings stehen den Spielern nicht zu jeder Zeit sämtliche Aktionsoptionen offen, sondern es kommt darauf an Bridge existieren in einem Sammelkartenspiel meist mehrere hundert verschiedene Karten. Diese Karten werden in vorgefertigten Spieleinheiten (Starter genannt) und in Packungen mit (mehr oder weniger) zufälliger Kartenzusammenstellung (so genannte Booster zu ungefähr 10 Stück) verkauft, wobei einige Karten höheren Seltenheitswert haben als andere. 32
„wer am Zug ist“. Ob eine Aktion ausgeführt werden darf oder nicht, ist nur mit Blick auf den Rundenzähler ersichtlich, welcher selten in einem Spiel manifest vorhanden ist, sondern lediglich als Abstraktum. Er kann als Teil der Funktion verstanden werden, die darüber entscheidet, was ein Spieler tun darf oder muss. Welcher Spieler am Zug ist, muss oft durch den entsprechenden Hinweis des aktiven Spielers festgestellt werden. Wird abwechselnd immer nur ein Zug ausgeführt, so ist klar, dass nach dem Ziehen von Spieler eins automatisch Spieler zwei an der Reihe ist. In Spielen mit Spielphasen hingegen muss der aktive Spieler oft erst bekannt geben, dass er „fertig ist“, da er keine weiteren Aktionen mehr ausführen kann oder will. Zwar lassen sich zumeist in jeder Situation eine aktive und eine passive Rolle ausmachen, doch sind Spieler in der passiven Haltung nicht zwingend zum Nichtstun verdammt. Auch wer nicht am Zug ist, darf im Schach ein Remis anbieten, im Siedler Karten handeln oder im Monopoly Grundstücke verkaufen. Allerdings bedarf es dabei der Angebotsannahme oder –abgabe des aktiven Spielers, damit sich die Spielsituation ändert. Wenn ein Remis abgelehnt wird oder der aktive Spieler nicht tauschen möchte, so nimmt dies keinerlei Einfluss auf das Spielgeschehen. Desweiteren können den passiven Spieler betreffend Aktionen forciert werden, d. h., sein Handeln obliegt nicht seiner Wahl. So muss er mit einem Würfelwurf einen Angriff abwehren oder eine seiner Karten abgeben. Verhindern kann er dies zumeist nicht.12 In rundenbasierten Spielen sind die generellen Anforderungen an die Fähigkeiten der Spieler im Gegensatz zu Spielen in Echtzeit kognitiver Natur: 12 Moderne Kartenspiele sind hier recht variabel. Oft gibt es spezielle Karten, deren Ausspielen an gegnerische Runden gebunden ist oder bestimmte gegnerische Aktionen kontern. 33
„Combat and Capture in Turn‐Based Games compared to Real‐Time Games requires more of players cognitive skills, as they have more time to think, and the Timing of actions in Combat and Capture require more Puzzle Solving skills than skills in Dexterity‐Based Actions.” (Björk & Holopainen 2005, 348) Es kommt also weniger auf körperliches, sondern vielmehr auf geistiges Geschick an, möchte man das Spiel besonders gut beherrschen. Reaktionsfähigkeit und Sensomotorik spielen hier, wenn überhaupt, lediglich eine untergeordnete Rolle. Rundenbasierte Spiele lassen sich grundsätzlich über beliebige Zeiträume hinweg spielen, da die Spielregeln selten eine Spielpartie an einen fixen Zeitrahmen koppeln. Es gibt also kein Zeitmessinstrument, welches Beginn und Ende determiniert. Zwischen Echtzeit‐ und rundenbasierten Spielen stehen sogenannte Tick‐Based Games. Tick‐Based Games werden auch in Runden unterteilt, jedoch verfügen die Spieler zum Ausführen ihrer Aktionen über ein festes Zeitkontingent. Dies ist unter Umständen dem Spielfluss zuträglich, da so verhindert wird, dass sich ein Spieler übermäßig viel Zeit zum Nachdenken nimmt. Zwar korrespondieren rundenbasierte Spiele sehr stark mit Karten‐ und Brettspielen, doch bestätigen auch hier die Ausnahmen die Regel. Civilization, als Strategiespielen, bekanntester besitzt, Vertreter obgleich der rundenbasierten computermediatisiert, mehr Gemeinsamkeiten mit so manchem Brettspiel als mit den meisten seiner medialen Kollegen. Set hingegen ist eines der Kartenspiele, die in Echtzeit operieren. Hier müssen die Spieler in sich vor ihnen ausliegenden Karten möglichst schnell Muster erkennen. Wer als erstes ein Muster findet, dem werden Punkte gutgeschrieben. 34
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Der Regelbegriff, eine philosophische Annäherung Regeln werden üblicherweise in zwei Kategorien unterteilt. Zum einen ist der Regelcharakter deskriptiv ausgeprägt. In dieser beschreibenden Funktion sind sie überall dort anzutreffen, wo generell Aussagen über die Welt getroffen werden. Dies ist insbesondere in naturwissenschaftlichen Gefilden der Fall. So ist Gas leichter als Wasser, größere Körper ziehen kleinere Körper an und Lebewesen mit Herz besitzen auch eine Niere. Generell fallen alle Aussagen statistischer Natur, seien es Ursachenbeschreibungen oder auch nicht, in diese Klasse von Regeln: „In dieser Bedeutung ist der Terminus ,Regel‘ den Termini ,Gesetzmäßigkeit‘ und ,Regelmäßigkeit‘ nahe verwandt.“ (Buhr & Klaus 1975, 1034) Eine Eigenheit deskriptiver Regeln ist deren Widerlegbarkeit. Treten Instanzen in negierter Form solch einer Regel in einem signifikanten Ausmaß auf, so ist die Theorie (im Sinne einer behaupteten Gesetzmäßigkeit) widerlegt. Anders hingegen verhält es sich mit präskriptiven Regeln. Solche „Regeln kommen üblicherweise dann ins Spiel, wenn es um die im weitesten Sinne verstandene Gestaltung des Handelns zu tun ist. Sie ähneln hierin dem Tandem aus Zweck und Mittel, mit dem sie häufig im Verbund auftreten. Jedes grundsätzliche und umfassende Nachdenken über das Handeln, das Tun und Lassen in seiner ganzen weit verzweigten Vielfalt, erreicht daher eher früher als später das Regelthema.“ (Siegwart 2010a) Wie eingangs erwähnt sind Regeln zumeist nicht im Verbund mit zweckfreier Gestaltung anzutreffen, da durch deren Einhaltung ein spezifisches oder auch allgemeines Ziel erreicht werden soll. Ein Verhalten gemäß der StVO sorgt für Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr, der Knigge zielt auf einen gepflegten und elaborierten sozialen Umgang hin. Hier wird ersichtlich, dass Regeln nur selten isoliert vorkommen, sondern eher dazu tendieren, in Regelwerken ihr Dasein zu 35
fristen. Mit dem Rechtsfahrgebot alleine kann nur schwer das Ziel, der sichere Verkehr, realisiert werden. Im Gegensatz zu deskriptiven Regeln können präskriptive Regeln beziehungsweise Regelwerke nicht durch ein simples Gegenbeispiel widerlegt werden. Denn wenn ich Ehebruch begehe, so ist die Gültigkeit der Zehn Gebote in keiner Weise als fraglich einzustufen. Mit Fokus auf Spielregeln erscheint eine weitere Betrachtung solch präskriptiver Regeln sinnvoll. Erste Einwände, die tendenziell zweckfreie Gestaltung des Spiels und die Zielorientierung von Regeln passten nur schwer zusammen, lassen sich ausräumen: Spiele sind dahingehend „zweckfrei“, als dass sie im Sinne Caillois als unproduktiv zu kennzeichnen sind. Das regelgeleitete Spielen ist keine Handlung, die ausgeführt wird, damit nach Abschluss dieser ein bestimmter Zustand erreicht ist. Da Spiele von dem gewöhnlichen Raum und der gewöhnlichen Zeit abgegrenzt sind, wird ein Handeln innerhalb dieser Grenzen (ideal betrachtet) niemals Einflüsse auf das reale Leben haben. Als regeltreuer (und unfallfreier) Autofahrer sinken meine Versicherungsbeiträge, der Knigge soll ein reibungsloses soziales Miteinander gewährleisten. Da das Spiel allerdings nach dem Spiel zu Ende ist, besitzen Spielregeln in Bezug auf die reale Welt keinerlei Bedeutung mehr. Allerdings gibt es zahlreiche Gründe, warum Spielregeln so sind wie sie sind, und warum man sich nach ihnen zu richten hat. Spieleregeln verfolgen keinen höheren Zweck. Doch bestehen sie aus einem bestimmten Grund, denn sie sollen Spielspaß während des Spielens gewährleisten. Zweckfreiheit darf hier also nicht mit Grundlosigkeit verwechselt werden. 36
8.1 Regelanalyse Zwei wesentliche Fragen zur Regelanalyse zielen auf ihre Form sowie ihren Inhalt ab. Erstens, welche Struktur besitzen Regeln generell. Also wie lassen sich Regeln von anderen sprachlichen Gebilden abgrenzen. Zweitens, wie lassen sich Regeln inhaltlich ausdifferenzieren. Also welche weiteren Regeltypen lassen sich unterscheiden. Für diese Fragestellungen werden drei exemplarische Regeln herangezogen: [1] Kreuzen sich zwei Fahrzeuge, so darf das von rechts kommende zuerst fahren. [2] Es empfiehlt sich übermäßigem Alkoholkonsum mit dem Trinken von Wasser zu begegnen. [3] Eine rechtskräftige testamentarische Kopie muss von einem Notar beglaubigt werden. 8.2 Ein syntaktischer Blick Was ist diesen drei Regeln gemein? Regeln spezifizieren, „welchen Agenten es in welcher Situation erlaubt, geboten, verboten, empfohlen usf. ist, Handlungen welcher Art zu vollziehen.“ (Siegwart 2010b, 28) Agenten sind die Adressaten der Regeln. An [1] sollte sich halten, wer im Straßenverkehr unterwegs ist. [2] ist an all diejenigen gerichtet, die gerne größere Mengen Alkohol verzehren aber nur ungerne mit den Folgen der Dehydratation konfrontiert werden. [3] gilt für jedermann in Deutschland. Gehört man demnach nicht zu diesen Gruppen, so erübrigt sich ein Einhalten dieser Regeln. Es ist nicht immer eindeutig feststellbar, wer genau ein unter die Regel fallender Agent ist. Gilt [1] für sämtliche 37
Personen in öffentlichen Gebieten? Wohl Kaum. Sind es lediglich Führer von Kraftfahrzeugen, die sich an dieses Gebot halten müssen? Unwahrscheinlich. Zumeist ist eine weitere Spezifikation unumgänglich, was eine Recherche der entsprechenden Regelwerke nötig macht. Ob eine Regel zur Anwendung kommt, ist weiterhin davon abhängig, ob eine bestimmte Situation der Fall ist. Bei [1] kann darauf verwiesen werden, dass all diejenigen Situationen gemeint sind, in denen sich Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr kreuzen. Eine [2] implizierende Situation liegt vor, wenn übermäßiger Alkohol konsumiert wird. Offen bleibt hier zunächst, was genau ein messbares Kriterium dafür darstellt. Im Gegensatz zum Vorfahrtgebot wird es hier keinen der StVO ähnlichen Kriterienkatalog geben, der dies weiter ausführt. [3] zielt ab auf Situationen, in denen ein zukünftiges Erbe bereits vor dem eigenen Ableben bestimmt werden soll. Regeln verfügen über einen Deontor, welcher den Modus der Handlung bestimmt. Der Deontor gibt Aufschluss darüber, ob Handlungen geboten, empfohlen, verboten oder auch empfohlen werden. Oft, aber nicht immer, ist damit augenblicklich die Regelart klar. Schließlich muss eine Regel klären, welche Handlung im entsprechenden Modus auszuführen ist. In [1] ist es das Nehmen der Vorfahrt. Das bedeutet, sein Fahrzeug vor seinem Gegenüber zu kreuzen. [2] weist auf das Konsumieren von Wasser hin und [3] auf den Akt der notariellen Beglaubigung. Auffällig für alle drei Regeln sind fehlende Ausnahmen. So lassen sich recht einfach Beispiele konstruieren, in denen zwar der aus Agent und Situation bestehende Bedingungsteil erfüllt ist, aber die Regel dennoch keine Anwendung findet. [1] gilt nicht, sollten sich zwei kreuzende Autos an einem abgesenkten Bürgersteig befinden oder die Vorfahrt durch Schilder geregelt werden. [3] findet keine Anwendung, 38
sollte es sich um unzurechnungsfähige Personen handeln und für [2] sind zwar äußerst skurrile, aber dennoch vorstellbare Gegenbeispiele zu finden. Als genereller Regelcharakter bleibt hier festzuhalten, dass Regeln gelten, sofern nichts anderes bekannt ist. 8.3 Ein semantischer Blick Zwar lassen sich alle drei Beispiele grob in die Regelkategorie einsortieren, doch scheinen sie in ihrer Natur dennoch verschieden. Dies mag daran liegen, dass es sich bei [1] um eine deontische Regel handelt, bei [2] um eine präskriptive Regel und bei [3] um eine konstitutive Regel. 13 Deontische Regeln sind dahingehend „klassische“ Regeln, als sie Gebote, Verbote und Erlaubnisse aussprechen und damit am ehesten der Intuition entsprechen. Neben den durch die Judikative erlassenen Gesetzen sind es insbesondere nicht näher explizierte Moralnormen, nach denen sich Menschen richten. Präskriptive Regeln besitzen einen „entscheidungsunterstützenden“ Charakter, sind unverbindlich und lassen sich noch einmal in zwei Unterkategorien zu unterteilen. „Der erste Typ umfasst allgemeine Ratschläge bzw. Empfehlungen. ,Wer gesund bleiben will, sollte regelmäßig Sport treiben.‘ ,Eichen sollst du weichen, Buchen sollst du suchen.‘ oder ,es empfiehlt sich, Tomaten nach dem letzten Frost zu pflanzen‘ sind drei Beispiele derartiger Ratschläge […] Den zweiten Typ präskriptiver Regeln, die nicht unter das Konzept der deontischen Regel fallen, bilden die sogenannten Daumen‐ bzw. 13 Auf Grund mangelnder Alternativen wird der Begriff der präskriptiven Regel hier im engeren Sinne gebraucht. Besonders auffällig in der Literatur ist die Uneinigkeit der entsprechenden Termini, was durchaus für Verwirrung sorgen kann. Die hier gebrauchten Begriffe sind zwar keineswegs willkürlich gewählt, sind allerdings nicht äquivalent mit syntaktisch identischen. Die hier gebrauchte Terminologie stimmt im Wesentlichen mit der von Iorio (2010) überein. Lediglich die konstitutive Regel, die Iorio auch als Vorkehrungsregel bezeichnet, wird hier nicht zu der Gruppe der deontischen Regeln gezählt sondern gesondert ausgezeichnet. 39
Faustregeln. Regeln dieses Typs stellt man sich besten als Entscheidungshilfen vor. Sie dienen dem Akteur dazu, ohne großen kognitiven Aufwand und Zeitverlust eine Entscheidung zu treffen.“ (Iorio 2010, 49) Im Gegensatz zu vielen deontischen Regeln sind sie direkt sinnhaft, ihr Zweck ist also zumeist direkt ersichtlich. Denn befolgt man sie, so werden Gesundheit und Tomatenernte unterstützt sowie das Risiko von einem Blitz erschlagen zu werden und matschige Tomaten essen zu müssen minimiert.14 Die Daumen‐ und Faustregeln fallen in den Bereich der Heuristiken. Sie unterstützten ebenfalls Entscheidungssituationen, führen jedoch nicht zwingend zum Erfolg. Doch sind sie adäquate praktische Mittel, um ad hoc eine Wahl zu treffen, die wahrscheinlich die richtige ist. Dabei ist ein Irrtum nicht ausgeschlossen. Ein recht bekanntes Exemplar ist die Machen‐
was‐die‐Mehrheit‐macht‐Heuristik: Wenn du beobachtest, dass die Mehrheit deiner Altersgenossen ein bestimmtes Verhalten an den Tag legt, dann verhalte dich ebenso (vgl. Gigerenzer & Gaissmaier 2006, 344). Wenn ich nicht weiß, ob ich bei rot oder grün über die Straße gehen soll, dann werde ich mit dieser Heuristik bei grün über die Straße gehen. Experiment geglückt! Wenn ich hingegen Milch trinke, da alle Milch trinken, muss dies nicht zwingend bedeuten, dass dies meiner Gesundheit zuträglich ist, etwa wenn ich über eine Laktoseintoleranz verfüge. Experiment misslungen! Sich nach Heuristiken zu richten ist also nicht per se 14 Die Sinnhaftigkeit einzelner deontischer Regeln hingegen ist oftmals nicht offensichtlich und offenbart sich erst im größeren Bild. Warum darf man genau ab dem 18. Lebensjahr wählen und nicht ab dem 16. oder 19.? Warum muss man bei Rot halten und nicht bei Grün? Ob jegliche erlaubte Handlungen auch sinnvolle Handlungen sind, ist zunächst völlig offen. Nur weil ich all das was erlaubt ist ausführe, bedeutet dies keineswegs, dass ich dies auch tun sollte. Trivialerweise sollten daher sämtliche Empfehlungen in den Bereich der Erlaubnisse fallen, denn wie kann jemandem eine Handlung empfohlen werden, die er nicht ausführen darf? 40
erfolgversprechend, sondern nur in bestimmten Kontexten. Hier greift der Gedanke der Regelausnahme. Denn Milch zu trinken ist gesund, außer man leidet unter einer Laktoseintoleranz. Daher sollte man nur dann Milch trinken, wenn man über keine Laktoseintoleranz verfügt. Genau wegen dieser Unsicherheit muss eine Heuristik nicht zwingend die richtige Entscheidung unterstützen. Konstitutive Regeln oder auch Vorkehrungsregeln sind solche, die „notwendige Bedingungen festschreiben, die ein potentielles X erfüllen muss, um als genuines X zu gelten.“ (Iorio 2010, 48) So ist eine notarielle Beglaubigung notwendig, damit ein entsprechendes Schriftstück als rechtskräftiges Testament durchgehen kann. Eine DVD fasst mindestens 4,7 Gigabyte und zur Zubereitung eines Omelette benötigt man Eier, Salz und Pfeffer. Zwar sind solche Regeln keine direkten Verhaltensregeln, doch lassen sich aus ihnen Verhaltensregeln ableiten. Wer ein rechtskräftiges Testament besitzen will, der muss das Schriftstück notariell beglaubigen lassen, wer eine DVD produzieren will, der muss dafür Sorge tragen, dass sie mindestens 4,7 Gigabyte fassen kann und wer ein Omelette zubereiten will, der sollte das Vorhandensein der Ingredienzien gewährleisten können. 9
Regeln und Spiele Mit Hilfe der deontischen, konstitutiven und präskriptiven Regelkonzepte werden nun konkrete Spiele untersucht, da sie sich in der Sicht des Autors gut für eine Spielanalyse eignen. Deontische Regeln legitimieren die Aktionen oder Operationen der Spieler, sie werden hier als operationale Regeln bezeichnet. Konstitutive Regeln werden im Folgenden weitgehend 41
durch die Strukturregeln abgebildet. Diese legen die Struktur eines jeden Spiels fest. Die präskriptiven Regeln sind im Bereich der strategischen Regeln zu verorten. Sie sind zielführende Leitlinien in Entscheidungssituationen. Eindeutig lassen sich die Akteure der deontischen Regeln ausmachen. Es sind die Spieler. Wer den Magic Circle betritt, der hat sich nach den Regeln zu richten. Dass Spiele fair sind, liegt nicht zuletzt an der Universalität der Regeln. Regeln gelten für sämtliche Spieler, nicht einzelne Individuen. Zwar können im Laufe des Spiels bestimmte Regeln für spezifische Spieler gelten, doch sind die Spieler nur Instanzen der Regeladressaten. Wenn sich ein Spieler zu Spielbeginn dafür entscheidet die Rolle X zu spielen (oder der Zufall für ihn entscheidet), so ist klar, dass er nur das machen kann, was der Rolle X laut Regeln möglich ist. Das heißt jedoch nicht, dass er in der nächsten Partie nicht auch Y oder Z sein kann. Die Situationen des Spiels sind Beschreibungen innerhalb dieses: Ein Bauer steht auf A2, Spieler eins hat mehr Punkte als Spieler zwei, im Stock liegen zwei Buben. Oder: Der Würfel zeigt die Zahl 5, die Figuren der Spieler sind auf den Spielfeldern verteilt. Werden Spielsituationen komplett beschrieben, so ist eine Agentenspezifikation redundant, da der turn‐counter als Bestandteil des Spiels zu jedem Zeitpunkt eindeutig festlegt, welcher Spieler welche Aktion ausführen darf. Die gebietenden, verbietenden oder erlaubenden Deontoren determinieren die spielerischen Handlungen exhaustiv. Jede Handlung ist geboten, verboten oder erlaubt. Selten wird darauf so viel Wert gelegt wie im Spiel. Die auszuführenden Handlungen geben an, wie Spielsituationen verändert werden. Solche Handlungen sind beispielsweise das Ziehen der 42
Figur, das Ablegen der Karte, das Aufschreiben der Punkte oder das Werfen des Würfels. Die Strukturregeln des Spiels klären folgende Fragen: 
Spielraum: Wie muss der Raum beschaffen sein, in dem gespielt wird? 
Objekte: Mit welchen Objekten interagieren die Spieler innerhalb des Spielraums? 
Start: Wie müssen die Objekte zu Spielbeginn innerhalb des Spielraums verteilt sein? 
Ende: Welches sind die Bedingungen, damit ein Spiel zu Ende ist? So wie sich präskriptive Regeln in zwei weitere Kategorien einteilen lassen, so lassen sich auch Strategieregeln unterteilen. Es sind absolute und relative Strategien, die es für entsprechende Spiele respektive Spielsituationen geben kann. Allgemeine Ratschläge zeichnen sich dadurch aus, dass sie bedingungslos zielführend sind. Im Gegensatz dazu sind relative oder heuristische Strategien kontextabhängig. Es kann also nicht zu jeder Zeit die bestimmte Handlung empfohlen werden, sondern nur in Abhängigkeit von der Spielsituation. Dennoch sind sie in der Regel ein Mittel zum Erfolg. So fällt etwa die Strategieregel Wenn ein Spieler im Skat die Wahl hat Karo oder einen Grand zu spielen, so sollte er sich für den Grand entscheiden darunter. Ob dies auch wirklich eine zielführende Regel ist, kann jedoch nur in Abhängigkeit einer konkreten Spielsituation beantwortet werden. 43
Teil Zwei: Spielregeln Obgleich in den voran gegangenen Kapiteln der Regelbegriff weitgehend separat vom Spielbegriff diskutiert wurde, ist offensichtlich, dass sich die eingebrachten Regelkategorien problemlos auf Spiele übertragen lassen. Exemplarisch werden diese nun untersucht. Dies geschieht an Hand intuitiv erstellter Beispielkollektionen. Am Ende von Teil Zwei wird versucht die Frage nach einem Grundprinzip beantworten können, welches begründet, warum die analysierten Spielregeln so sind wie sie sind. Lässt sich eine Gemeinsamkeit der Spiele feststellen, die allgemein als gut aufgefasst werden? 10 Operationale Regeln „The most basic rules of a game are not a form of words but a set of operational procedures you apply to the gaming equipment in order to play the game. … [I] refer to these as the operational rules. Operational rules are what you apply to the hardware of gaming equipment to produce an instance of play.” (Parlett 2005) Operationale Regeln entsprechen auch hier weitgehend dem Verständnis der deontischen Regeln. Anwendung findet eine Regel dadurch, dass ihr Bedingungsteil erfüllt ist, also eine bestimmte Situation vorliegt. Das Spielen (play) entsteht durch die Handlungen, die entweder ausgeführt werden dürfen oder müssen. Alle während des Spielens ausgeführten Handlungen werden durch operationale Regeln legitimiert. 44
10.1 Regelausnahmen und Regelpräzisierungen Nirgends hat der Mensch mehr Scharfsinn an den Tag gelegt als in seinen Spielen. ‐ Leibnitz Operationale Regeln legen fest, wie die Parteien innerhalb des Spielsystems agieren dürfen und müssen. Ein Standardbeispiel stellt dabei die Turmregel dar:15 
Der Turm darf auf ein beliebiges anderes Feld entlang der Linie oder der Reihe ziehen, auf der er steht. Da der Turm jedoch nicht diagonal ziehen darf, muss dies in einer Präzisierung festgehalten werden: Abbildung 4: Der Turm darf auf ein beliebiges anderes Feld entlang der Linie oder der Reihe ziehen, auf der er steht. Der Turm zieht waagrecht oder senkrecht beliebig weit. Bei genauerem Hinsehen ist die Korrektheit dieser Regel jedoch in Zweifel zu ziehen, da sich recht einfach Spielsituationen konstruieren lassen, in welchen die Regel keine Gültigkeit besitzt. Dies ist der Fall, sollte zum 15 Die Regelpräzisierungen sind entnommen aus Kramer 2010, 347f. 45
Erreichen des Feldes eine andere Figur übersprungen werden müssen. Demnach muss die Regel erneut erweitert werden: Abbildung 5: Der Turm darf auf ein beliebiges anderes Feld entlang der Linie oder der Reihe ziehen, auf der er steht. Der Turm zieht waagrecht oder senkrecht beliebig weit. Er darf andere Figuren nicht überspringen. Diese Regel sagt wiederum nichts darüber aus, was denn nun konkret erlaubt bzw. geboten ist, sollte bei dem Zug des Turmes sein Weg durch eine Figur blockiert sein. Demnach muss die Regel erneut erweitert werden: Abbildung 6: Der Turm darf auf ein beliebiges anderes Feld entlang der Linie oder der Reihe ziehen, auf der er steht. Der Turm zieht waagrecht oder senkrecht beliebig weit. Er darf andere Figuren nicht überspringen. Er kann nicht auf das Feld einer eigenen Figur ziehen, wohl aber auf das Feld einer fremden Figur. Die fremde Figur wird dadurch geschlagen. 46
Die Turmregel ist nun durch Erweiterungen soweit korrekt. Regelerweiterungen können auf zwei verschiedene Weisen gedeutet werden. Entweder sind Regelerweiterungen Formulierungen zusätzlicher Ausnahmeregeln oder es sind Regelpräzisierungen. Der Bedingungsteil einer Ausnahmeregel impliziert die Situation der originalen Regel sowie eine weitere Situation. Der Deontor verbietet dabei nun das Ausführen der entsprechenden Aktion: 
Regel: Wenn eine Situation S1 vorliegt, dann ist es erlaubt Aktion A1 auszuführen . 
Ausnahmeregel: Wenn eine Situation S1 und eine Situation S2 vorliegen, dann ist es nicht erlaubt Aktion A1 auszuführen. Eine Alternative stellt das Modifizieren des Bedingungsteils der originalen Regel dar. Hier muss die Abwesenheit weiter Situationen gewährleistet sein, damit die Regel nachwievor Anwendung findet: 
Regelpräzisierung: Wenn eine Situation S1 vorliegt und S2 nicht vorliegt, dann ist es erlaubt Aktion A1 auszuführen. Der Vorteil von Regelpräzisierungen liegt darin, genau eine Regel zu besitzen, welchen einen Sachverhalt klärt und damit zum Ausdruck bringt, ob eine Aktion erlaubt ist oder nicht. Denn Ausnahmeregeln sind zusätzliche Regeln, was bedeutet, eine größere Menge von Regeln zu benötigen, um einen Sachverhalt zu klären. Je mehr Ausnahmen es gibt, desto mehr Regeln müssen formuliert werden. Und es ist nicht sonderlich praktikabel, für jede Aktion ein Regelwerk auf der Suche nach Ausnahmeregeln zu durchforsten. 47
Formuliert man Regelerweiterungen hingegen als Regelpräzisierung, so besitzt man zwar nur eine Regel, diese jedoch kann, abhängig von der Anzahl der implizierten Ausnahmen, recht umfangreich ausfallen. Hier besteht das Problem der Übersichtlichkeit. So muss während des Spielens im Extremfall permanent überprüft werden, ob das Antezedens sämtlicher Regeln erfüllt ist oder nicht. Weiß man allerdings, dass eine Regel erfüllt ist, so kann man sich sicher sein, dass diese auch bedingungslos gilt. Damit kann man Regelwerke, welche sich entweder auf Ausnahmeregeln oder auf Regelpräzisierungen stützen, in zwei formale Gruppen unterteilen: Monotone und nicht monotone. 10.2 Die Notwendigkeit von Ausnahmen Regelwerke in Spielen sind generell nicht monoton organisiert. Zum einen liegt dies in der Notwendigkeit begründet, eine gewisse Übersichtlichkeit für menschliche Spieler zu schaffen. Zum anderen gibt dies Aufschluss über deren konstruktiven Charakter während der Spielentwicklung. Denn nur selten ist schon vor der Regelformulierung sicher, dass keine weiteren Ausnahmen eingefangen werden müssen. Hier spielt die Komplexität möglicher Spielverläufe eine Rolle. So kann sich der Regelschöpfer eines Spiels nicht sicher sein, etwas „übersehen“ zu haben. Durch solche Schwachstellen lassen sich Spiele exploiten. Exploits sind Wege durch den Spielraum, deren Beschreitung der Regelschöpfer für nicht möglich oder gangbar hielt. Zudem sind diese Wege im Vergleich zu anderen noch äußerst dominant16 ausgeprägt. Im Extremfall verfügt der Spieler sogar über eine Gewinnstrategie, was ein Worst‐Case‐Szenario darstellt. Nicht 16 Unter einer besonders dominanten Spielweise ist hier eine besonders zielführende zu verstehen. Dominiert eine Spielweise eine andere, so gibt es rational betrachtet keinen Grund eine andere zu wählen. Siehe auch Kap. 16.3. 48
selten entfachen Regeldiskussionen bezüglich dieser Problematik unter den Mitspielern, sollten solche Lücken bekannt und von Spielern ausgenutzt werden. Während ein Spieler darauf beharrt, regelgedeckt zu agieren, wird sein Gegenspieler dafür argumentieren, dass diese Spielweise nicht working as intended sei. Sie störe in unangenehmen Maße die Balance des Spiels. Werden solche unausgeglichenen Stellen aufgedeckt, so muss das Regelwerk im Nachhinein modifiziert werden, was durch die Einbettung weiterer Regeln – Ausnahmeregeln – geschieht. 17 Da eine Menge von Ausnahmeregeln äquivalent mit einer präzisen Regel ist, werden zudem Konsistenzprobleme mit dem interdiktionalen Prinzip verhindert. 18 Regelwerke sind entweder als interdiktional oder als konzessional zu kennzeichnen (vgl. Siegwart 2010b, 38). Das interdiktionale Prinzip besagt, dass all jene Handlungen, die nicht explizit erlaubt sind, verboten sind. Dem konzessionalen Prinzip nach sind hingegen all jene Handlungen erlaubt, die nicht explizit verboten sind. Explizite Verbote auszusprechen, also dem konzessionalen Prinzip Folge zu leisten, ist bei klassischen Spielen selten anzutreffen. Es ist nicht der Fall, dass all das erlaubt ist, was nicht verboten ist, sondern es all das verboten, was nicht explizit erlaubt ist. Dies hat zur Folge, dass mögliche Spielverläufe von vornherein besser einzuschätzen sind, da sämtliche Handlungsoptionen feststehen. Würde dem konzessionalen Prinzip Folge geleistet werden, so wäre diese Einschätzung ungleich schwerer, da der 17 Durch diesen iterativen Prozess wird das Regelwerk in einem try&error‐Verfahren angepasst. In dem Testverfahren werden insbesondere Schwachstellen des Regelwerkes „gesucht“ und durch Regelmodifikationen weitgehend beseitigt. 18 Rein logisch besteht jedoch ein essentieller Unterschied zwischen diesen beiden Regeltypen. Reglements mit Ausnahmeregeln sind innerhalb einer klassischen Logik hochgradig inkonsistent .Nicht klassische Logiken wie in etwa die nicht monotonen sind dahingehend etwas flexibler. Hier können „Ausnahmen“ problemlos verarbeitet werden. 49
menschlichen Kreativität oft keinerlei Grenzen gesetzt sind.19 Dies gilt vor allem dann, wenn es um das Gewinnen eines Spiels geht. 10.3 Aktionszwang, No‐Ops und Zugzwang Die Spieler in klassischen Spielen unterliegen zumeist einem Aktionszwang, was sich an Hand der Aufspielregel im Skat veranschaulichen lässt: 
Wenn ein Spieler am Aufspiel ist, dann muss er eine beliebige Karte von seiner Hand legen. Entgegen der Turmregel handelt es sich hierbei um ein Gebot. Dem Spieler steht zwar offen, die zu spielende Karte zu wählen, doch steht er unter Aktionszwang. Aktionszwang ist, bis auf wenige Ausnahmen, eine wesentliche Eigenschaft von klassischen Spielen. Er besagt, dass ein Spieler der am Zug ist, aus einer Reihe ihm zur Verfügung stehender Aktionen wählen muss. Ein Schachspieler muss die Turmregel oder die Bauernregel oder die Königsregel etc. anwenden. Ein Skatspieler muss eine Fehlfarbe oder einen Trumpf aufspielen. Zwar unterscheiden sich beide Spiele durch ihre Freiheitsgrade, doch technisch gesehen unterliegen sie dem gleichen Prinzip. Spielern unter Aktionszwang steht es nicht frei, auf das Ausführen bestimmter Aktionen zu verzichten. Hier ergibt sich 19 Viele Spiele bauen jedoch auf Grund des kreativen Aspektes genau auf solch einem konzessionalen Prinzip auf und erhalten dadurch ihren Reiz. „Erreiche das Ziel, egal wie“. Diese Spiele sind eher im Bereich von Paidia zu verorten und lassen den Mitspielern ein großes Maß an Freiheit. Beispielsweise fällt das Quiz‐Spiel Tabu hierunter. Hier müssen Begriffe irgendwie erklärt und erraten werden. Einziges Verbot stellt dabei das Benutzen bestimmter Tabuwörter da. 50
die kuriose Situation des „dürfen müssens“, was als eine Metaregel verstanden werden kann: 
Wenn ein Spieler am Aufspiel ist/dran ist/am Zug ist etc., dann muss er entweder Regel1 oder Regel2 oder … Regeln Folge leisten. In Echtzeitspielen gibt es, formal betrachtet, keinen Aktionszwang.20 Den Spielern damit nicht vorzuschreiben, dass sie etwas zu machen haben, ist dahingehend auch nicht notwendig, sondern der Tatsache geschuldet, dass derjenige, der nichts macht, automatisch auch gegen einen stetig agierenden Gegenspieler verlieren wird. In Runden basierten Spielen ist dies nicht der Fall, denn dadurch, dass Aktionen abwechselnd ausgeführt werden, darf ein Spieler erst dann agieren, wenn ein Gegenspieler eine bestimmte Aktion ausgeführt hat. Somit käme bei einer Aktionsverweigerung der Spielfluss und damit auch das Spiel, komplett zum erliegen. Was im Schach noch vorstellbar wäre, würde bei anderen Spielen wie Skat das Spielprinzip komplett zunichte machen. Sollte kein Aktionszwang vorhanden sein, so impliziert das Spiel sog. No‐Op(eration)‐Aktionen, „Aktionen des nichts machen“ (vgl. Björk & Holopainen 2005b). No‐Ops auf freiwilliger Basis sind zumeist strategische Entscheidungen, z.B. wenn in einem Spiel eine ausreichende Menge an Ressourcen angehäuft oder „auf den richtigen Augenblick“ gewartet wird. Hier wird zumeist ein hohes Maß an kombinatorischer 20 Allerdings gehört es zu den Regeln des Spielens, keinen permanenten Gebrauch davon zu machen, da man sonst als Spielverweigerer und damit auch als Spielverderber gilt. Dies gilt ebenso für einige rundenbasierte Spiele. So kann ein Spieler zwar all das machen, was er machen muss, verzichtet jedoch auf das was er darf. Wer in Monopoly per se keine Grundstücke kauft und wer in die Siedler von Catan auf den Bau und das Handeln verzichtet, mit dem möchte man nicht spielen. Denn gibt man sich im Konflikt des Spiels von vornherein geschlagen, versucht also gar nicht erst zu gewinnen, so entwickelt sich kein Drama. Das Spiel ist langweilig. Siehe auch Kapitel 19. 51
Expertise benötigt, da in solchen Spielsituationen nur selten offensichtlich ist, was die beste Aktion darstellt. In Great Dalmuti kann beispielsweise ein Spieler während des gesamten Spiels darauf verzichten eine Karte zu spielen (Gewonnen hat derjenige Spieler der als erstes alle seine Karten ausspielen konnte), nur um in einem finalen Schlag plötzlich all seine Handkarten loszuwerden. Das „Aussitzen“ kann daher eine spielentscheidende Rolle darstellen. No‐Ops auf nicht freiwilliger Basis sind in der Regel Sanktionen innerhalb des Spiels. So müssen Spieler in einer Runde „aussetzen“, was eine forcierte No‐Op darstellt. Forcierte No‐Ops sind zumeist deswegen Sanktionen, weil es sich bei dem Aussetzen, etwa eines Würfelwurfes, um einen eindeutigen spielerischen Nachteil handelt.21 Zugzwang hingegen erlangt seine Bedeutung im Rahmen strategischer Manöver und kann verallgemeinert als eine bestimmte forcierte Aktion interpretiert werden, die durch die Kontrolle eines Spielers zustande kommen: ʺA player to move cannot do anything without making an important concession.ʺ (van Perlo 2006, 479) Zugzwang bildet das Gegenstück zu forcierten No‐Ops, da die dem Spieler zur Verfügung stehenden Aktionsoptionen ihn ausschließlich schlechter stellen. Ein Spieler unter forcierter No‐Op würde gerne eine Aktion ausführen, darf es aber nicht. Ein Spieler unter Zugzwang würde gerne auf das Ausführen einer Aktion verzichten, kann das jedoch nicht vermeiden. Er muss das geringere Übel wählen. Der Begriff entstammt zwar ursprünglich dem Schachspiel, das Prinzip findet sich hingegen in ähnlicher Form in vielen anderen Spielen. Im Skat werden Spieler durch das „Trümpfe Ziehen“ in die unangenehme 21 Solche No‐Ops können ebenfalls als negative Feedbackelemente innerhalb eines Spiels dienen. So kann ein Malus den „Spielführenden“ betreffen, was dafür sorgt, dass das Spielerfeld dicht beieinander bleibt. Dies erhöht tendenziell das Drama, siehe auch Kap. 19. 52
Situation gebracht, anschließend hochwertige Fehlfarben abwerfen zu müssen. Besitzt ein Spieler in Siedler ein Rohstoffmonopol, so kann er dies ausnutzen und die Handelspreise diktieren. Zwar können hierbei die Spieler auf das Handeln verzichten, doch ist es unter Umständen notwendig, um überhaupt noch handlungsfähig zu sein und eine gewisse Siegchance zu besitzen. Zugzwang ist demnach eng verbunden mit dem Konzept der Spielkontrolle und lässt Rückschlüsse auf die sich innerhalb des Spiels befindlichen Machtverhältnisse zu. 11 Strukturregeln Sind mit operationalen Regeln die spielinternen Regeln erschöpft? Müssen Spielregeln einen deontischen Charakter besitzen, dann sind die operationalen Regeln unabdingbar. Allerdings geht das intuitive Regelverständnis darüber hinaus. Dies lässt sich an der Frage „Was sind die Regeln von Schach?“ veranschaulichen. Die Antwort wird sich sicherlich nicht auf „Die Bauernfigur darf man so und so ziehen, die Dame so und so etc.“ beschränken. Vielmehr ist zu erwarten, dass man eine umfangreichere Antwort erhält, die sämtliche Informationen beinhaltet, die notwendig sind, um das Spiel spielen zu können – über die Zugregeln hinaus. Neben den operationalen Regeln werden noch eine Reihe verschiedener Strukturregeln benötigt. Zusammen mit den operationalen Regeln ergibt sich dann das Spiel als solches: „Das Spiel ist […] die Gesamtheit aller Regeln, die es beschreiben.“ (von Neumann & Morgenstern 1961, 48) Diese Sicht auf das Verhältnis von Spiel und Regeln entstammt der mathematischen Spieltheorie, ist aber durchaus auch darüber hinaus gültig. Im Bereich des General Game Playing, einem Unterzweig der Informatik, der sich als eine Art „universale Spieltheorie“ 53
versteht, sind Spiele durch eine Menge verschiedener Regeln definiert (vgl. Quenault und Cazenave 2007, 3‐4). Auch in Disziplinen in denen der Fokus auf Computerspielen liegt, sind solche Ansichten gängig (vgl. Järvinen 2003, 77). Prägnant drückt es der Spielhistoriker Parlett, der sich mit Huizingas Standpunkt, jedes Spiel habe seine eigenen Regeln (vgl. Huizinga 2006, 20), nicht zufrieden gibt: „ʹEvery game is its rulesʹ, for they are what define it.“ (Parlett 1999, 3) Die Strukturregeln stimmen ebenso im Wesentlichen mit den konstitutiven Regeln, wie sie beispielsweise bei Iorio vorzufinden sind, überein. Dabei wird die ursprüngliche Frage nach „notwendige[n] Bedingungen […], die ein potentielles X erfüllen muss, um als genuines X zu gelten“ (Iorio 2010, 48) die Frage: Welche Bedingungen muss ein System erfüllen, damit es als Spiel bezeichnet werden kann? Gilt es nun weitere Regeln zu erkunden, so muss man folglich nach der Ontologie des Spieles fragen. Was sind also die maßgeblichen Elemente eines Spiels? Hierbei gesellen sich zu den operationalen Regeln nun noch eine Reihe verschiedener sog. Strukturregeln. Zusammengenommen können diese als die Regeln des Spiels bezeichnet werden. 12 Die Elemente des Spiels Youʹll never guess what your ancestors did over the card table. – David Parlett Im Gegensatz zu den operationalen Regeln besitzen Strukturregeln keinen deontischen, sondern einen deskriptiven Charakter. Sie beschreiben oder definieren das Spielsystem, in dem agiert wird. Das Regelverständnis verändert sich von der Frage „was darf man und was darf man nicht?“ zu 54
der Frage „Wie spielt man denn das Spiel?“. Eine Antwort auf diese Frage für Tic‐Tac‐Toe: [1] Gespielt wird auf einem 3x3 Raster mit 9 leeren Feldern. [2] Zwei Spieler markieren abwechselnd ein leeres Feld, ein Spieler mit X und ein Spieler mit O. [3] Wenn ein Spieler drei gleiche Markierungen in einer Reihe platziert hat, so hat er gewonnen. [4] Sind alle Felder ausgefüllt und kein Spieler hat gewonnen, so endet das Spiel mit einem Unentschieden. Aus Punkt 2 lässt sich recht einfach die einzige operationale Regel extrahieren: Wenn ein Spieler am Zug und ein Feld noch nicht ausgefüllt ist, so darf es dieser mit seinem Symbol markieren. Punkt 1 gibt das Spielfeld sowie die Startbedingung an. Die Punkte 3 und 4 geben an, wann ein Spiel beendet ist. Zu den operationalen Regeln gesellen sich drei weitere: Spielfeld‐ bzw. Spielraumfestlegung, Anfangsbedingung und Endbedingung respektive Endbedingungen. 12.1 Spielraum Jedes Spiel findet innerhalb eines festen Raums statt. Dieser bildet den „magischen Kreis“ im Sinne Huizingas, der das Spiel vom „Ernst des Lebens“ abgrenzt. 55
12.1.1 Raum als Abstraktum Der Spielraum eines Brett‐ oder Gesellschaftsspiels ist ohne weiteres festzumachen. Doch wie sieht es mit Kartenspielen aus? „[E]s gibt zwar Spiele, bei denen eine dem Hexenkreis vergleichbare Grenzziehung erfolgt, wie insbesondere Sport‐und Brettspiele, die eine Spielfeldbegrenzung aufweisen; jedoch gibt es auch Spiele, die eine solche Grenze nicht besitzen und bei denen es kaum möglich ist, anzugeben, wo der physische Bereich des Spiels beginnt und wo er endet: Bei einem Kartenspiel etwa könnte man auf den ersten Blick annehmen, der Tisch sei das Spielfeld und der Rand die Grenze des Spielraums. Doch was ist mit etwaigen Getränken, welche die Spieler auf dem Tisch stehen haben? Gehören diese dann zum Spiel? Unterliegt das Bierglas den Regeln des jeweiligen Kartenspiels?“ (Günzel 2010, 195) Raum ist also nicht physikalisch zu deuten, sondern muss als abstraktes Konzept verstanden werden. Er ist ein mathematisches Modell, ein logischer Raum, welcher entsteht, wenn das Spiel sämtlicher visueller und ästhetischer Inhalte beraubt wird. Was sich innerhalb des Spielraums befindet, muss eine spezifische Bedeutung für das formale Spiel besitzen. Würden die leeren auf dem Tisch stehenden Biergläser etwa die gewonnenen Partien der Spieler indizieren, so hätten diese eine spezifische Funktion im Spiel und dienten nicht nur dem Wohlbefinden der Spieler. Daraus resultiert, dass auch bei Brettspielen nicht nur das eigentliche Spielbrett dem Spielraum angehört, sondern auch der etwaige Rundenzähler oder in tick‐based games ein entsprechendes Zeitmessinstrument. 56
12.1.2 Dimensionen des Raums Nach Schell (2008, 131) können Spielräume grob nach drei Kriterien unterteilt werden: [1] Game spaces are either discrete or continuous. [2] Game spaces have some number of dimensions. [3] Game spaces have bounded areas which may or may not be connected. Klassische Spiele besitzen auf Grund ihrer Eigenschaft rundenbasiert zu sein diskrete Räume. Das heißt, dass spezifische Raumeigenschaften, wie etwa dass einzelne Felder von einer Figur oder einem Stein besetzt sind, entweder zutreffen oder nicht zutreffen. Die Raumeigenschaften sind lediglich quantitativ ausgeprägt, nicht qualitativ. Eine Figur kann dabei nicht ein bisschen auf dem einen Feld stehen und ein bisschen auf einem anderen. Die Objekte des Spielraums sind eindeutig in diesem verteilt. Klassische Spiele sind entweder ein‐ oder zweidimensional ausgeprägt. Tendenziell besitzen Würfelspiele einen linearen, und damit eindimensionalen, Spielraum: „The board represents a linear race track with one or more starting and finishing points, and the aim is to be the first to get one’s piece or pieces from Start to Home.” (Parlett 1990, 10; eigene Hervorhebung)22 Reine Strategiespiele hingegen finden zumeist in zweidimensionalen Räumen statt. Dies ist allerdings keine konzeptuelle Notwendigkeit, sondern der Praktikabilität geschuldet. Auch hier bildet beispielsweise die 22 Parlett gebraucht den Begriff des race games für lineare Brettspiele, in denen die Spieler mit Hilfe von Würfeln ihre Figuren bewegen, sich die Interaktionen auf das Hinauswerfen (oust) beschränken und deren Ziel das Erreichen von spezifischen Feldern ist. Dabei unterscheidet er noch zwischen vier verschiedene Unterkategorien an Hand ihrer Komplexität, vgl. Parlett 1999,11. 57
Variante des 3D‐ oder Raumschach eine Ausnahme, da hier in einem dreidimensionalen Raum gespielt wird. Punkt drei unterstreicht implizit wieder die mathematische Bedeutung des Begriffs. Unter dem Raumbegriff wird eine mit einer Struktur versehene Menge verstanden. Die Elemente der Menge sind, als kleinste Einheit, einzelne Spielfelder. Diese sind mit einer bestimmten Struktur versehen, sind also miteinander verbunden oder auch nicht. 12.1.3 Raumreduktion Oft können die Dimensionen des Raums reduziert werden, wie sich an Hand des Spielraums im Damespiel veranschaulichen lässt: 
Es wird auf einem quadratischen Brett mit 8x8 abwechselnd weißen und schwarzen Feldern gespielt. Diese Spielraumfestlegung gestaltet sich eindeutig. Da man Dame zu den Brettspielen zählt, entspricht der Spielraum des Spiels dem Brett, auf welchem gespielt wird. Die Spieler dürfen beliebig Zugregeln anwenden, solange sie die Grenzen nicht überschreiten. Im Schach besteht der Spielraum aus einer Menge von 64 einzelnen Spielfeldern, die durch ihre Anordnung zu einem Grid‐Array mit einer bestimmten Struktur versehen sind. Die Struktur muss dabei nicht zwingend materiell manifestiert sein, was ein Blick die Spielfeldkodierungen zeigt. So wird der Bauer von A1 auf A3 gezogen oder der Läufer von F1 auf B5. Entsprechend wird eine Spielraumdarstellung in Form der 8x8‐Felder nicht benötigt, sofern die einzelnen Felder bestimmte Eigenschaften (wie eben die Kodierung) besitzen und die Regeln dies erfassen. Denn theoretisch kann Schach auch 58
auf 64 nebeneinander liegenden Einzelfeldern gespielt werden, sofern die formale Struktur bestehen bleibt, sprich die scheinbar unterschiedlichen Spiele weiterhin isomorph zueinander sind. Dass Spielräume also zweidimensional ausgeprägt sind ist weniger eine formale Notwendigkeit. Es ist neben Aspekten der Praktikabilität vielmehr dem Spielerleben 23 geschuldet und liegt in der historisch‐kulturellen Entstehungsgeschichte solcher Spiele begründet, wie anhand von Backgammon ersichtlich wird: Abbildung 7: Das im Backgammon gebräuchliche Tric‐Trac‐Brett mit Startaufstellungen und Zugrichtungen. 
Backgammon: Die Spielsteine werden vom Home‐Board des Gegners aus über das Outer‐Board zum eigenen Home‐Board hin gezogen. Der hier beschriebene Spielraum versucht auf ähnliche Weise die interne Struktur des Spiels zu erfassen. Der Spielraum besteht aus vier verschiedenen Boards, die zu einer größeren Struktur, dem Spielfeld, zusammengefasst werden. Zwar wirkt der Raum zunächst mehrdimensional, tatsächlich jedoch handelt es sich nur um eine Dimension: 23 Denn hierbei „verlieren“ die Figuren ihre augenscheinlichen speziellen Zugeigenschaften. So werden diese nicht mehr innerhalb eines Raums gezogen, sondern scheinen sich von Feld zu Feld zu „teleportieren“. 59
„It may be folded in upon itself so as to look like a two‐dimensional field […], through it remains essentially linear in the sense that a piece can move only forwards or backwards, but not sideways except at a few points specifically marked as short‐cuts.” (Parlett 1990, 10) 12.1.4 Raum und Regelrelevanz Bei reinen Brettspielen lässt sich der Raum noch gut bestimmen, da er sich, wie im Falle von Schach, als Brett manifestiert. Bei Kartenspielen hingegen wird das schwieriger. Was ist das Spielfeld von Skat? Es ist zwar nicht in Form eines Artefaktes wie dem Schachbrett vorgegeben, doch lassen sich auch hier einzelne Spielfelder bestimmen. So gibt es beispielsweise, je nach Spielsituation, ein Ablagefeld sowie ein Feld mit Stichen für die Parteien. Nur sind diese nicht in materialisierter Form vorhanden, sondern abstrakt und durch Konvention entstanden. Denn niemand wird seine Karten neben den Tisch oder seine Stiche auf die Stichfelder der anderen Partei werfen. Innerhalb der Spielgrenze sind noch weitere relevante Elemente zu finden. So sind sowohl die Karten der Spieler von Belang, wie auch deren Punktekonten (Punkte der aktuellen Runde und Punkte insgesamt). Im Schach wird lediglich mit den auf dem Spielbrett stehenden Figuren gespielt, bei Kartenspielen hingegen mit den Karten auf der Hand. Intuitiv erscheint es zunächst nicht plausibel, ein Punktekonto so wie ein Schachfeld oder einen Ablagestapel als Teil des Spielraums anzusehen. Hier ist eine Ausdifferenzierung des Spielraums nützlich. Kücklich stellt dem eigentlichen Spielraum noch ein sogenannten „otherspace“ gegenüber: „In Backgammon, for example, the bar can be considered as separate from the actual gamespace, while at the same time performing an important function within the game.“ (Kücklich 2010, 49‐
50) Was hierbei als wichtige Funktion bezeichnet wird, fällt mit Günzels 60
Regelrelevanz zusammen: Objekte, welche sich innerhalb des Spielraums befinden, können durch die Anwendung diverser Regeln bewegt werden. Betrachtet man Spielsysteme als Informationssysteme, so sind es genau diese Objekte, welche im Spiel die Information transportieren. „Rules are the formal foundation of a game that allows players to manipulate information.“ (Salen & Zimmerman 2004, 205) Spielen bedeutet in diesem Kontext nichts anderes, als ein Informationssystem regelgeleitet zu manipulieren. Mäyrä spricht in diesem Zusammenhang von einer semiotischen Hülle, die den Gameplay transportierenden Kern umgibt: „While the core or gameplay layer concerns everything a player can do while playing the game, and also game rules that govern these actions, the shell includes all the semiotic richness modifying, containing and adding significance to that basic interaction.” (Mäyrä 2008, 17) Erst durch eine Repräsentation bzw. „real‐life‐instance“ entstehen die eigentlichen Spielfiguren mit ihren Eigenschaften: „Attributes: These are the characteristics the rules give these objects, such as […] the specific ways each piece can move and capture.” (Salen & Zimmerman 2004, 51) Regeln bilden aus zunächst indifferenten Objekten konkrete Gegenstände, die durch ihre unterschiedlichen Eigenschaften voneinander abgrenzbar sind. Erst dadurch wird die Königsfigur zum König, das Ass zum Ass, eine Stadt zur Stadt (Siedler) und ein Hotel zum Hotel (Monopoly). All diese Objekte besitzen deswegen Eigenschaften, weil sie durch Transformation, also eine Anwendung von operationalen Regeln, innerhalb des Spielraums manipuliert werden können. 61
12.2 Objekte Ein Spielraum ohne Objekte ist ein leerer Spielraum. Zwar kann man unter Umständen auch mit einem leeren Schachbrett Spaß haben, doch wohnt Spielen die wesentliche Eigenschaft inne, dass innerhalb des Spielraums mit etwas gespielt wird. Und genau dieses Etwas sind zahlreiche Objekte: „Charakters, props, tokens, scoreboards, anything that can be seen or manipulated [...].“ (Schell 2008, 136) Objekte sind die Gegenstände der operationalen Regeln. 12.2.1 Objekte als Spielraumkodierungen Betrachtet man diese Gegenstände ebenfalls abstrakt, so lassen sie sich als Kodierungen und spezifische Informationen innerhalb des Spielraums verstehen. Für das formale System als solches ist es irrelevant, ob ein Turm auf einem bestimmten Feld steht oder nicht. Wichtig ist nur, dass ein Spielfeld derart kodiert ist, dass es eine Regel gibt, welche adäquat zur Turmregel die Spielfelder umkodiert. Aus der ursprünglichen Turmregel: 
Der Turm darf auf ein beliebiges anderes Feld entlang der Linie oder der Reihe ziehen, auf dem er steht. wird in einem abstrakten Informationssystem: 
Wenn ein Spielfeld mit „sechs“ kodiert ist, dann kodiere dieses mit einer Null und weise einem ersten orthogonal liegenden Feld, das nicht mit einer Null kodiert ist, den Wert sechs zu. 62
Die Werte null und sechs sind dabei arbiträr gewählt. Es können genau so gut zwei beliebige Buchstaben, Wörter oder sonstige syntaktisch voneinander unterscheidbare Ausdrücke sein. Für das Schachspiel ist nur wichtig, dass es insgesamt 13 sind: Jeweils sechs für die verschiedenen Figurentypen sowie einen Ausdruck für das leere Feld. Das traditionelle Solitär (oft auch als Schwedenhalma bezeichnet) begnügt sich mit zwei Kodierungen. Für das Skatspiel hingegen werden 33 verschiedene Ausdrücke für die unterschiedlichen Karten (plus leeres Feld) benötigt, die sich jeweils auf die Hände der Spieler, den Stock sowie den Ablagestapel verteilen. Darüber hinaus ist für das Spiel bedeutsam, welche Runde gespielt wird (drei Kodierungen), wie es um die Anzahl der Punkte der eigenen Stiche beschaffen ist (120 Kodierungen), 24 über wie viele Gesamtpunkte die Spieler verfügen (tendenziell beliebig viele), ob Standard‐ oder Sonderrunden gespielt werden (drei Ausprägungen) etc. Abbildung 8: Schachspiel mit Startaufstellung – abstrakt kodiert Abbildung 9: Illustrative Situation im Skatspiel – abstrakt kodiert 24 Nicht mit einberechnet sind die Multiplikatoren. In einer Runde (Grand, Hand, Schneider, Schwarz, ouvert, mit vier spiel fünf, angesagt, Bock, Contra und Re) kann ein Vielfaches an Punkten erspielt werden, abhängig vom herangezogenen Reglement. 63
12.2.2 Information Unter rein formalen Gesichtspunkten können Objektzuschreibungen innerhalb des Spielraums als Information gedeutet werden. Beide Diagramme stellen dabei adäquate Modelle der Spiele in Beispielsituationen dar,25 doch wird man im Falle des Skatspiels die Stirn runzeln: Denn anders als im hier abgebildeten Modell sind die Kodierungen nicht für alle sichtbar. Zwar verfügen in der Regel sämtliche Spieler über ein genaues Wissen bezüglich des Spielraums, nicht jedoch bezüglich der darin befindlichen Objekte. Je nach Spiel ist Wissen privat, geteilt, öffentlich oder nicht vorhanden. Die Relation zwischen unterschiedlichen Wissenszuständen
26
kann dabei unterschiedlich ausgeprägt sein. Schell stellt dieses Phänomens grafisch dar. Dabei repräsentiert jeder Kreis einen „Wissenden“: Abbildung 10: Darstellung möglicher Wissenszustände in Spielen 25 Allerdings ohne die operationalen Regeln, deren Modellierung ist nicht sonderlich komplex, allerdings recht aufwendig. 26 Worunter hier lediglich „einsehbare Information“ verstanden wird. 64

A ist öffentliches Wissen. Über dieses verfügen alle Beteiligten. Figuren auf einem Spielbrett und aufgedeckte Karten fallen hierunter. 
B wird von zwei Spielern geteilt. Dies kann der Fall sein, sollten sie untereinander Karten tauschen können oder beide unter eine verdeckte Karte geschaut haben. 
C ist privates Wissen. Darunter fallen die eigenen Karten, in die man nur selber Einsicht hat. 
D ist das Wissen des Spiels, also „vorhandenes“ Wissen, über dies jedoch kein Spieler verfügt, jedoch bereits determiniert ist. Dies sind beispielsweise verdeckte Spielkarten, über deren Kenntnis noch kein Spieler verfügt. 
E ist zufällig generierte Information. Über dieses Wissen verfügen nur die Götter oder das Schicksal. Diese Klassifikation lässt sich mit Begriffen der mathematischen Spieltheorie präzisieren: Spiele, in denen A, aber nicht B und C der Fall ist, sind Spiele mit vollständiger Information (Backgammon, Mensch‐ärgere‐
Dich‐nicht). Ist zudem noch E nicht gegeben, handelt es sich um Spiele mit perfekter Information (Schach, Go). Liegen A oder B vor, ist es als Spiel mit imperfekter Information klassifizierbar (Skat, Poker). D und E können zusammenfallen. Denn, so das Argument, technisch gesehen macht es zunächst keinen Unterschied, ob man eine Runde Roulette spielt oder eine Karte aus 37 verdeckten zieht. Zwar mag das eine Ereignis bereits determiniert sein und das andere noch nicht, doch die Chancen scheinen gleich zu sein, da die möglichen Ereignisse den gleichen Wahrscheinlichkeiten unterliegen. Nichtsdestotrotz lassen sich anhand dieser Unterscheidung ein direkter und ein indirekter Informationsbegriff festmachen. 65
12.2.3 Direkte und indirekte Information Im Falle imperfekter Information unterscheidet Parlett zwischen zwei verschiedenen Varianten. Im Falle des Gebrauchs eines Würfels27 handelt es sich um future imperfect information, da zum vorliegenden Zeitpunkt zwar die gesamte Information vorliegt, jedoch nicht in Bezug auf zukünftige Situationen. Imperfekte Information durch Karten oder Spielsteine hingegen fallen in den Bereich der past imperfect information, da die imperfekte Information ihren Ursprung in der Vergangenheit durch das vergangene Mischen besitzt: „In race games, you travel from the known to the unknown, so to speak, whereas in card games you travel from the unknown to the known. In card games, any plans you may be able to make for the future are based on deduction and inference from what has gone before. In race games, what has gone before is irrelevant […], and any plans you may be able to make can only be based on your knowledge of probabilities.“ (Parlett 1999, 20; eigene Hervorhebung) Der direkte Informationsbegriff bezieht sich lediglich auf das Wissen zur jeweils vorliegenden Konfiguration. Allerdings ist der Erfolg in vielen Kartenspielen in nicht geringem Ausmaß davon abhängig, dieses im Rahmen voran gegangener Züge zu deuten. „[...] information is not absent in strategic card games: rather, it is released gradually as cards are played or announcements made, and much of the 27 Dieser muss nicht zwingend einem sechsseitigen kubischen Würfel entsprechen. Gerade mit Blick in die Geschichte sind sechs Seiten eher die Ausnahme: „The dice, with minor exceptions, have two faces, distinguished by colors or markings, and are of a great variety of materials‐split canes, wooden staves or blocks, bone staves, beaver and woodchuck teeth, walnut shells, peach and plum stones, grains of corn, and bone, shell, brass, and pottery disks.“ (Culin 1975, 45) Ein Würfel ist mehr ein Konzept und weniger ein spezifischer Gegenstand. In abstrakter Weise kann er als „Wahrscheinlichkeits‐Ereignis‐Generator“ gedeutet werden. Im Falle des Standardwürfels generiert dieser sechs unterschiedliche Ereignisse mit jeweils gleicher Wahrscheinlichkeit. 66
information that has not yet been revealed is to be deduced or inferred‐or even ’intuited‘‐from that which has. The acquisition of information is as much the goal of strategy in strategic card games as the positional moves made as a result of the knowledge acquired.“ (Parlett 1990, 19) Im Skat ist das Mitzählen von Punkten und Trümpfen essentiell. Gute Pokerspieler können die gegnerische Spielweise im Rahmen der bereits veröffentlichten Information derart gut interpretieren, dass es möglich ist die gegnerischen Karten relativ genau bestimmen zu können. Im Backgammon ist es enorm wichtig, Entscheidungen auf Basis von Wahrscheinlichkeiten zu treffen. Hier liegt bei Weitem kein Glücksspiel vor: „[...] Backgammon [erhält] über das Zufallsmoment hinaus einen ausgeprägt kombinatorischen Charakter, zumal die Interaktion zwischen den Spielern aufgrund der relativ wenigen Felder und der gegenläufigen Zugrichtung sehr stark ist.“ (Bewersdorff 2010, 224) All diesen Beobachtungen ist gemein, dass sie nicht mit einem direkten Blick auf das Spiel auskommen, sondern dass Vorangegangenes memoriert und Zukünftiges antizipiert wird. 12.3 Konfigurationen Spielkonfigurationen, oftmals auch als Spielzustände oder Spielsituationen bezeichnet, sind Spielraumbeschreibungen zu einem festen Zeitpunkt. In rundenbasierten Spielen ist eine Abgrenzung verschiedener Konfigurationen zumeist ohne weiteres möglich, was dem diskreten Spielraum geschuldet ist: Eine Konfiguration ist eine Zuordnung von Objekten zu jedem Teil des Raums, sprich zu seinen Einzelfeldern. 67
Zu Unterscheiden sind denkbare, spielmechanische und mögliche Konfigurationen. Denkbare Konfigurationen sind sämtliche Kombinationen der Objekte im Spielraum. So ist es denkbar, dass ein Schachbrett mit 64 schwarzen Bauern versehen ist. Einer der zahlreichen Einwände wird nun lauten, dass diese Konfiguration nicht erreicht werden kann. Es gibt keine Regel, welche es erlaubt diesen Zustand zu erreichen. Ebenso wenig gibt es eine Regel, mit Hilfe derer man von dieser Konfiguration eine Folgekonfiguration erreicht. Sie ist isoliert. Damit kann kein Spielen stattfinden. In spielmechanischen Konfigurationen kann ein Spieler dagegen mit Hilfe der Regeln agieren. Befinden sich beispielsweise 2 Bauern, 1 Läufer sowie eine Dame jeder Farbe auf dem Spielfeld, so können einige Regeln angewandt werden. In einem Trainingsszenario zumindest. Nicht jedoch in einem tatsächlich möglichen Spiel. Denn, so die simple Feststellung, eine Schachpartie ohne Könige kann nicht existieren. An dieser Stelle kommen Anfangs‐ und Endbedingung eines Spiels zum Tragen. Unter anderem determinieren diese, welche Konfigurationen in einem Spiel tatsächlich erreicht werden können und welche nicht. 12.3.1 Anfangskonfiguration Anfangsbedingungen sind entweder konstant oder variabel. Spiele ohne verdeckte Elemente, also Spiele mit perfekter Information wie Schach oder Mühle, aber auch Spiele mit lediglich vollständiger Information wie Backgammon oder Mensch‐ärgere‐Dich‐nicht besitzen stets konstante Startbedingungen. Darunter verbirgt sich der der Balance geschuldete Grundgedanke der Startsymmetrie, der wesentliches Merkmal eines fairen Spiels ist. 68
Spiele mit unterschiedlichen möglichen Startkonfigurationen sind daher asymmetrische Spiele. Dies ist dann der Fall, wenn zu Spielbeginn eine zufällige Objektverteilung vorliegt, wie in nahezu allen Kartenspielen. Doch auch wenn der Beginner einer Partie zufällig ermittelt wird, so erhält das Spiel eine asymmetrische Komponente. Durch Handicaps kann ein Spiel an unterschiedliche Spielstärken angepasst werden, was ebenfalls einen variablen Beginn zur Folge hat. Dieses Konzept findet sich zwar fast ausschließlich in elektronischen Spielen oder Sportspielen wieder, lässt sich jedoch auch auf klassische Spiele sinnvoll übertragen. 12.3.2 Endkonfigurationen Endkonfigurationen hingegen gibt es zumeist mehrere. Schon im Falle von Tic‐Tac‐Toe ist die Anzahl recht groß, da es 255.168 verschiedene Spielverläufe (Drehung oder Spiegelung ausgenommen) gibt. Wann genau ein Spiel terminiert, also zu Ende ist, ist nur schwer verallgemeinerbar. Eine Partie Schach ist unter anderem zu Ende, sobald es zu jeder Folgekonfiguration des schachgesetzten Spielers eine Folgekonfiguration gibt, in welcher die Königsfigur nicht mehr im Spiel ist. Ebenso gilt eine Partie als beendet, falls die Figuren der letzten 49 Konfigurationen mit denen der aktuellen identisch sind. Dies sind spielinterne Abbruchbedingungen, die sich, wie im Falle von Tic‐Tac‐Toe, auf spezifische Spielsituationen beziehen. Zudem ist ihnen gemeinsam, dass es einen Gewinner (und damit auch einen Verlierer) oder keinen Gewinner geben kann. Ohne die eingebrachte Remis‐Regel würde Schach nicht zwingend terminieren. Das Spiel könnte, theoretisch, unendlich lange andauern. Bei 69
Tic‐Tac‐Toe ist dies nicht der Fall, da nach insgesamt neun Zügen keine weitere Regel mehr angewendet werden kann. Spiele mit Zufallselementen und einem Rundparcours wie Mensch‐ärgere‐Dich‐nicht oder Monopoly könnten theoretisch ebenfalls unbestimmte Zeit fortlaufen. Theoretisch deswegen, da die Würfel so fallen könnten, dass die Terminierungsbedingung nicht eintritt. Früher oder später jedoch wird die geeignete Augenzahl die Partie beenden. Auch diesen beiden Spielen ist gemein: Ihre Endkonfigurationen sind dadurch charakterisiert, dass bestimmte Regeln nicht mehr anwendbar sind. Hat ein Spieler bei Mensch‐ärgere‐Dich‐nicht alle seine Figuren erfolgreich zu den entsprechenden Feldern bewegt, so kann er auch keine Bewegung mehr ausführen. Bei Monopoly hingegen ist der Gewinner indirekt definiert. Gewinner ist derjenige Spieler, der kein Verlierer ist. Und Verlierer sind all diejenigen, die „Pleite“ sind. Pleite ist man genau dann, wenn man eine finanzielle Forderung nicht mehr begleichen kann, die ebenfalls mit einer spielinternen Regel festgelegt ist. Tendieren Spiele dazu sich „festfahren“ zu können, das heißt in absehbarer Zukunft scheint sich kein potentieller Sieger ausmachen zu lassen, kann durch die Einbettung zusätzlicher Regeln eine Terminierung erzwungen werden. Neben der Remis‐Regel besteht beispielsweise beim Pokerspiel die Gefahr, dass man „sich die Chips hin‐ und herschiebt“, die Spieldynamik also weitgehend zum Erliegen kommt. Insbesondere bei risikoaversen Spielern ist das zu erwarten. An dieser Stelle greift die Blindverdopplung, was eine zeitsensitive Modifikation des Regelwerks bedeutet. Innerhalb fester Zeitabstände werden die Mindesteinsätze, die Blinds, verdoppelt. Da hierfür keine Grenzen gesetzt sind, kann dieser Verdopplungsprozess sich beliebig oft wiederholen. Somit wird es früher (oder später) eine Situation geben, in denen die Spieler ihre Einsätze nicht mehr bezahlen können und damit automatisch verloren haben. Anders gestaltet sich das Spielende, 70
wenn Punkte im Vordergrund stehen. Diese bestimmen mit einer sogenannten Evaluierungsfunktion den Gewinner. „Evaluation function determines the outcome of an event. A typical evaluation function is the one used to determine the winner of a game at the end of a game session. A similar evaluation function, also known as the winning condition, is the condition which determines the winner and causes the end of the game session. Thus, closures can cause evaluation functions to be determined which can in turn cause new closures. Scoring mechanisms in games are also examples of the use of evaluation functions.” (Björk & Holopainen 2003, 8f) Die Gewinnkondition bezieht sich auf Spiele, in denen ein spezifisches fixes Ziel erreicht werden muss. Es handelt sich dabei um eine absolute Siegbedingung. Gewinner ist dabei derjenige, der dieses Ziel als erster erreicht. Bei relationalen Siegbedingungen hingegen wird der Gewinner über eine vergleichende Funktion ermittelt. In einfachen Kartenspielen genügt dabei ein Blick auf die Punktekonten, in einigen anderen wie dem traditionellen Mah‐Jongg müssen hierfür durchaus komplizierte Berechnungen durchgeführt werden. Im Falle der Siedler von Catan ist das Spiel zu Ende, sobald ein Spieler 10 Siegpunkte erreicht hat. Hierbei handelt es sich um eine absolute Siegbedingung. Man könnte jedoch die Partie weiterspielen und die notwendige Punktzahl auf 12 erhöhen. Daher scheint die Grenze von 10 Punkten zunächst willkürlich gesetzt. Designtechnisch jedoch sind die 10 Punkte wohlüberlegt. Das zum Erlangen der Siegpunkte notwendige Spielmaterial ist limitiert, so dass es eine theoretische Grenze gibt, wie viel Punkte überhaupt erreicht werden könnten. Sollten es hingegen zu wenige Punkte sein, so kann sich keine Dynamik entwickeln. Das benötigt insbesondere dann Zeit, wenn es sich um Spiele mit reichlich Spielmaterialien handelt, die erst nach und nach ins Spiel eingeführt 71
werden und zur Entwicklung der Spielwelt beitragen. Monopoly besitzt Hotels, Siedler Städte. Solch hochwertige Spielelemente sind dadurch charakterisiert, dass sie eben nicht direkt zu Spielbeginn einsetzbar sind. Es wird erst eine Reihe anderer Spielressourcen benötigt, Geld respektive Rohstoffe, um diese recht mächtigen Spielfiguren ins Spiel zu integrieren. Würden, im Falle von Siedler, bereits sechs Siegpunkte ausreichen um das Spiel abzuschließen, so wäre es nahezu unmöglich diese Figurentypen ins Spiel zu bringen. Eine geringere Spieldynamik wäre die Folge. Demnach ist die Wahl der Siegpunkteanzahl keinesfalls willkürlich disponiert. Die Festsetzung ist keine leichte Entscheidung und erfordert eine enorme Kenntnis der Systemdynamik. In dieser Hinsicht wesentlich flexibler lassen sich stark repetitive Spiele wie Skat oder Doppelkopf gestalten. Zwar wird der Gewinner auch über das vollste Punktekonto ermittelt, doch muss nicht zwingend ein bestimmter Wert über das Spielende entscheiden. So kann dieser zu Beginn von den Beteiligten festgesetzt werden. Gängig ist jedoch die Anzahl der gespielten Runden von vornherein festzulegen. Sie sollte nicht zu gering ausfallen. Da Kartenspiele zumeist asymmetrische Startbedingungen aufweisen, kann gerade zu Beginn durch besonders gute Karten ein solider Punktevorsprung heraus gespielt werden. Erst durch fortwährende Spielwiederholungen können Glücks‐ und Pechsträhnen durch die ständige Neuverteilung der Karten ausgeglichen werden. Besitzen die Sitzpositionen der Spieler Spielrelevanz, so sollten Runden zudem zu Ende gespielt werden: „The simplest method is to keep playing until at least one player has had enough and wishes to close the account. Such an ad hoc structure typically obtains at Skat, whose length is only constrained by the agreement that everyone should have dealt the same number of times.“ (Parlett 1990, 24) 72
Dies ist hier deswegen wichtig, weil das „Geben‐Hören‐Sagen‐
Weitersagen“‐Prinzip die Spielrunde beeinflusst. Denn wollen z.B. zwei Spieler ein Spiel mit dem gleichen Wert alleine spielen, so erhält die Vorhand gegenüber der Mittelhand den Zuschlag. Daher sollte der Fairness halber das Spiel erst dann enden, wenn alle drei Spieler die gleiche Anzahl an Spielpositionen absolviert haben. Als Runde kann hier der Durchlauf eines kompletten Rollenwechsels verstanden werden. Hier entscheidet ein abstrakter Zähler über das Eintreten des Endzustandes, nicht jedoch darüber, wer denn nun gewonnen hat. Dies wird erst mit Blick auf die Evaluierungsfunktion ersichtlich. Ob das Spiel also zu Ende ist, wird nun durch ein scheinbar außerhalb des Spiels stehendes Konstrukt bestimmt. Dieses Zeitmessgerät befindet sich jedoch abstrakt betrachtet trotzdem innerhalb des Spielraums. Der Zähler dieses Konstrukts ist also, ebenso wie der Turn‐Counter oder die Evaluationsfunktion, von Bedeutung für das Spiel. Es sind wichtige Elemente des Spiels, die sich innerhalb des Spielraums befinden.28 Alternativ kann das Spielende auch an einen sozialen Kontext gekoppelt werden. Wird beispielsweise so lange gespielt, bis die Kneipe schließt oder die Biervorräte aufgebraucht sind, so sind diese lebensweltlichen Umstände wieder relevant für das Spiel und daher Teil dessen. 28 Allerdings ergeben sich Konflikte mit dem naiven Verständnis des Zeitbegriffs. Rundenbasierten Spielen zeichnen sich dadurch aus, dass sich die verschiedenen Zustände eindeutig voneinander trennen lassen – die Zustandsübergänge sind diskret. „Zeit“ ist schwierig im Sinne diskreter Übergänge konzeptualisierbar, da sie übergangslos „fließt“. Eine Modellierung davon müsste daher mit kontinuierlichen Übergängen arbeiten. 73
13 Gute Regel – schlechte Regel Lassen aus den vorliegenden Betrachtungen Prinzipien extrahieren, die erklären was gute Spiele ausmacht? Gibt es Gemeinsamkeiten, denen Spielregeln unterliegen sollten? Nach Sicht des Autors lassen sich fünf wesentliche Merkmale destillieren, wird nach dem Sinn einzelner Regelfestsetzungen oder auch dem Gesamtregelwerk gefragt. Zum einen zeichnen sich sämtliche untersuchten Spiele dadurch aus, dass sie, auf unterschiedliche Art und Weise, fair sind: Kein Spieler darf einen inhärenten Vorteil besitzen. Doch was sind genaue Bedingungen dafür? Die Handlungen der Spieler werden durch die operationalen Regeln bestimmt: Sie müssen oder dürfen Aktionen ausführen. Ein Gebot stellt keinerlei Anforderungen an ihn, denn ihm obliegt keinerlei Entscheidungsfreiheit. Daher wird es für den Spieler immer nur dann interessant, wenn er sich in einer Entscheidungssituation befindet. Hier ist zu fragen, was genau die Ansprüche an eine interessante Entscheidungssituation darstellen. In der Diskussion zur Notwendigkeit von Regelausnahmen wurde die Problematik von Exploits angesprochen. Dadurch erhält das Spiel unter anderem eine ungewollte Linearität. Doch sollten Spiele eine gewisse spielerische Vielfalt zulassen. Sämtliche Spiele besitzen ein Maß an Ungewissheit, sie sind spannend. Siedler besitzt nicht aus arbiträren Gründen genau 10 Siegpunkte. Schach bei gleich guten Spielern wird eine Weile andauern. Auch bei Mäusefalle weiß man nicht so recht wer gewinnen wird. Wie kann das Konzept der Spannung präzisiert werden? Die meisten Menschen werden Tic‐Tac‐Toe oder Mäusefalle als ein langweiliges Spiel empfinden, da sie unterfordert sind. Andere 74
wiederrum werden Schach oder Go dahingehend uninteressant finden, als dass es sie überfordert. Daher ist es ein bestimmter Grad der erreicht werden muss, damit ein Spiel eine Herausforderung bietet. 75
Teil Drei: Balance Gelegentlich sind Regelwerke wie Kochrezepte. Es wurden die besten Zutaten verwendet und dennoch ist das Ergebnis irgendwie langweilig. Weder im Spiel noch auf dem Gaumen möchte eine rechte Aufregung aufkommen. Zu viel von dem Einen, zu wenig von dem Anderen und etwas Drittes fehlt ganz und gar. Irgendwie befindet sich das Hergestellte nicht in Balance. Und genau diese Balance, so die im Folgenden vertretene These, ist eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die Eigenschaft, die ein formales Spiel zu einem guten, spielenswerten Spiel macht. Etwas zu kreieren, das nach rein formalen Gesichtspunkten als Spiel gelten kann, ist keine Kunst. Allerdings ist es eine Kunst ein gutes Spiel zu kreieren. Ganz allgemein besteht die Schwierigkeit der Implementierung von vielen Spielmerkmalen darin, dass diese oft auf zwei gegensätzlichen Basismerkmalen beruhen. Fünf Merkmale werden im folgenden Teil untersucht: Merkmal Wahrung der Balance zwischen…
Bezug
Prinzip Fairness Chancengleichheit Spieler Eins Chancengleichheit Spieler Zwei Formale Spielstruktur Ausgewogenheit Simplen Entscheidungen Komplexen Entscheidungen Menge singulärer Spielsituationen Vielfalt Anzahl verschiedener Spielweisen Nutzen verschiedener Spielweisen Menge der möglichen Handlungsfol‐
gen Spannung Unsicherheit Endgültigkeit Formale Spielstruktur und Spielerexpertise Herausforderung Unterforderung/ Klarheit Überforderung/ Spieltiefe Formale Spielstruktur und Spielerexpertise Kein Spieler sollte einen inhärenten Vorteil besitzen Das Spiel sollte bezüglich der Entscheidungsarten eine Reichhaltigkeit aufweisen Den Spielern sollten mehrere sinnvolle Wege durch das Spiel zur Verfügung stehen Bis zu einem bestimmten Punkt sollte der Gewinner einer Partie unklar sein Der Schwierigkeitsgrad des Spiels und die Expertise des Spielers sollten zueinander passen Abbildung 11: Fünf Merkmale eines guten Spiels 76
14 Balance in Spielen – Ein Überblick Balance kann auf zwei Ebenen analysiert werden. Zum Einen kann sie sich auf den inneren, formalen Kern des Spiels beziehen. Hier ist formale Balance notwendig, die die Chancengleichheit der Spieler wahrt. Sie garantiert, dass ein Spiel fair [1] ist: „In Multiplayer games, it [Balance; eigene Anmerkung] means that the starting positions and play are fair (i.e., no player has an inherent advantage), and no single strategy dominates all others.” (Fullerton 2008, 286) Das ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn Agôn, also der Wettkampf, im spielerischen Mittelpunkt steht. Denn der Bessere ist nicht derjenige, der irgendwie gewinnt, sondern der Bessere ist derjenige, der unter Einhaltung bestimmter Regeln spielt, die eine Chancengleichheit aller Teilnehmer garantieren, und dabei gewinnt. In diesem ersten Sinn befindet sich ein Spiel in Balance, wenn kein Spieler zu Beginn größere Gewinnchancen besitzt als ein anderer. Hier kann von einem formalen Gleichgewicht gesprochen werden, da die Balance mathematisch berechenbar ist. Der einfachste Weg das zu erreichen: Den Spielern werden gleiche Mittel in die Hand gegeben, das Spiel also weitgehend symmetrisch gestaltet. Weitgehend deshalb, weil in nahezu allen klassischen Spielen ein Spieler den Vorteil des ersten Zugs (Anzugsvorteil) besitzt. Besitzt auf Grund dessen ein Spieler eine gegenüber seinem Gegenspieler dominante Strategie, so befindet sich das Spiel nicht im Gleichgewicht. Spiele, die ungleich sind und dies von vorneherein in die Konzeption einbeziehen, müssen nicht zwingend auch unfair sein. Hier kann theoretisch durch Konzepte wie Rotationssymmetrie die Chancengleichheit zwischen allen Teilnehmern gewahrt bleiben. Mit Hilfe 77
von empirischen Konzepten wie einer iterativen Anpassung hingegen kann der Grad der Fairness auf einer rein praktischen Ebene angepasst werden. Die qualitative Balance geht darüber hinaus. Denn auch ein Spiel, das Chancengleichheit garantiert, kann gähnend langweilig sein. Hier stoßen formale Betrachtungen an ihre Grenze, denn es scheint absurd, Spielspaß berechnen zu wollen. Trotzdem besitzen auch formale Gesichtspunkte elementare Bedeutung für die Qualität eines jeden Spiels. Ziel ist es hier auch, diese aufzuzeigen und theoriegeleitet solide Kriterien zu erarbeiten, mit Hilfe derer erklärbar wird, was ein gutes Spiel ausmacht. Die qualitative Balance ist spielerzentriert. Singuläre Entscheidungssituationen müssen gewisse Eigenschaften besitzen, damit sie auch interessante Entscheidungen implizieren. So mag ein Münzwurf formal perfekt ausbalanciert – und damit fair – sein, doch wirklich interessant ist die Frage nach der Seitenwahl nicht, denn die Entscheidung ist unbedeutsam. Auf der anderen Seite kann in einer Entscheidungssituation der Fall eintreten, dass eine Option deutlich besser ist als ihre Alternativen, etwa wenn ein Spieler die Wahl hat nach einem Pasch erneut zu würfeln. Hier fehlt es an Unsicherheit. Nicht jede Entscheidungssituation muss spezifischen Ansprüchen genügen, sondern insgesamt sollte ein Spiel ein gewisses Spektrum unterschiedlicher Entscheidungssituationen beinhalten. Dadurch wird es ausgewogen [2]. Weiterhin müssen sich die möglichen Strategien – hier verstanden als generelle Spielweisen durch den Spielraum – in Balance befinden. Konkret bedeutet dies, dass es nicht den einen richtigen Weg, sondern möglichst viele sinnvolle – zielführende – Wege durch den Spielraum gibt. Dies ermöglicht eine strategische, oder spielerische, Vielfalt [3]. Als Qualität eines gesamten Spiels lässt sich Spannung [4] ausdifferenzieren. Diese basiert auf einem Gleichgewicht von Drama (bzw. 78
Unsicherheit) und Endgültigkeit. Hier wird untersucht, welche Strukturen Spiele besitzen müssen damit ein Spieler eine Partie als spannend empfinden kann. Schlussendlich wird das Qualitätsmerkmal der Herausforderung [5] genauer untersucht. Neben zwei sich diametral verhaltenden Eigenschaften, Spieltiefe und Klarheit, ist hier insbesondere die spielerische Expertise von großer Bedeutung. Ein Gleichgewicht dieser Merkmale ist notwendig, damit der Flow‐Effekt eintreten kann. 15 Prinzip [1]: Fairness Er bezeichnet das Kartenspiel als Glücksspiel. Kann er nicht richtig mischen? ‐ Werner Mitsch 15.1 Balance durch Symmetrie Ein wesentliches Merkmal der Balance eines Spiels ist die Chancengleichheit aller Spieler. Zumeist wird dies durch nahezu identische Startbedingungen gewährleistet. In Spielen mit perfekter oder vollständiger Information ist dies in der Regel der Fall. So ist das Startlayout im Schach, Backgammon oder auch im Mensch‐ärgere‐Dich‐
nicht aus Sicht der beteiligten Spieler fast identisch. Sämtliche Spieler starten mit denselben Ressourcen und das Spielfeld ist symmetrisch. Unter Bezugnahme auf die voran diskutierten Spielelemente lassen sich symmetrische Spiele durch Folgendes kennzeichnen: [1] Der Spielraum ist symmetrisch. [2] Die Ressourcen der Spieler identisch sind. D.h., die Spieler besitzen die 79
gleiche Anzahl derselben Figuren. [3] Die Startaufstellung symmetrisch ist. D.h., aus Sicht der Spieler ist diese identisch. [4] Die Spieler versuchen das gleiche Ziel zu erreichen. [5] Die Spieler agieren mit Hilfe der gleichen Regeln. 15.1.1 Lösungsansätze des Anzugsvorteils Um keinen Spieler zu begünstigen, sind fast alle Brettspiele annähernd symmetrisch. Annähernd symmetrisch sind sie deswegen, da ein Spieler den Vorteil des ersten Zuges besitzt. Denn genau genommen ist auch der turn‐counter oder Rundenzähler als ein Teil des Spiels vorhanden. Und da die Spieler ihre Züge immer nur sequenziell und niemals parallel ausführen, ist das Spiel zu Beginn immer asymmetrisch, wenn auch nur in einem geringen Maß. Doch gilt „Wer beginnt, der ist bevorteilt“ unabdingbar? Zwar besitzt der Anziehende auch im Backgammon einen theoretischen Vorteil, doch wird dieser durch die hohe Anzahl von Zufallsereignissen relativiert. Interessanter ist die Betrachtung von reinen Strategiespielen, also symmetrischen Nullsummenspielen für zwei Spieler mit perfekter Information. Bereits 1913 bewies Zermelo (Zermelo 1913, 501–504), dass bei diesen einer der drei Fälle zutreffen muss: [1] Der Anziehende besitzt eine Strategie, die den Sieg garantiert. [2] Der Anziehende besitzt eine Strategie, die mindestens ein Remis garantiert, aber keine Strategie wie in A. [3] Der Nachziehende besitzt eine Strategie, die den Sieg garantiert. 80
Der Anzugsvorteil ist also keiner Allgemeingültigkeit unterworfen. Es muss von Spiel zu Spiel geprüft werden, ob Fall [1], [2] oder [3] zutrifft. Doch finden sich in der Literatur eine Reihe von Vorschlägen, wie Chancengleichheit nahezu wiederhergestellt werden kann. So schreibt Adams: „One way is to set the game up in such a way that the initial move provides very little strategic advantage. In chess, for example, the rules of the game are such that you can only move a pawn or a knight on the first turn. These are the two weakest pieces in the game, not counting the king. Thus, the advantage conferred is not significant. In addition, the pieces are four rows apart at the beginning, so no single piece can take or even significantly threaten an enemy piece on the first move. Another way to reduce the effect of going first is to make the game a fairly long one, so that going first makes very little difference over the course of the whole game.” (Adams 1998) Hier findet sich eine spielimmanente Möglichkeit zur Wahrung der Balance, die allerdings nur schwer generalisierbar ist. Zwar sind viele Spiele nicht schon nach wenigen Zügen zu Ende, doch unklar bleiben die allgemeinen Prinzipien, nach denen eine Startkonstellation im Anfangsmanöver starke Figuren isoliert. Weiterhin kann der Beginner einer Partie zufällig ermittelt werden: „Der erste Zug wird ausgelost. Die Spielchancen sind dann gerecht verteilt, aber nur um den Preis, es mit einem Glücksspiel zu tun zu haben. Auch wenn der Zufall auf den Spielanfang beschränkt bleibt, so ist sein Einfluss doch sehr erheblich. Bei a priori nicht ausgeglichenen Spielen ist er theoretisch sogar allein entscheidend!“ (Bewersdorff 2010, 103) Dieses Prinzip ist zwar praktikabel, allerdings kann der Glücksfaktor unerwünscht sein. Insbesondere bei reinen Strategiespielen ist das der Fall. Hier soll es nur auf spielerische Expertise ankommen. Elemente der Alea degradieren das Spiel aus agônaler Perspektive. 81
„Man spielt zwei Partien, wobei das Recht des ersten Zuges wechselt. Gegebenenfalls bestehende Vor‐ und Nachteile bei der ersten Partie werden dann durch die zweite entsprechend kompensiert. Wer das Anzugsrecht in der zuerst gespielten Partie besitzt und wer in der zweiten Partie, ist ohne Belang.“ (Bewersdorff 2010, 103) Dieses Prinzip scheint zunächst sowohl aus praktischer als auch aus theoretischer Sicht geeignet, um dem Anzugsvorteil entgegen zu wirken. Allerdings besteht hierbei das Problem, dass bei einem Gleichstand kein Gewinner ermittelt werden kann. Hier muss unter Umständen eine ungerade Anzahl an Runden gespielt werden. 15.1.2 Perfekte Symmetrie – eine Illusion Stellt man Tic‐Tac‐Toe, Mühle und Schach mit einigen ihrer Eigenschaften nebeneinander, ergibt sich folgendes Bild: Tic‐Tac‐Toe
Mühle
Schach Theoretisch lösbar durch MiniMax‐
Algorithmus29 Gelöst30 Ausgang Spielsituationen
Spielverläufe Ja Ja Ja Ja, schwach Remis Ca. 1,8 ∙ 1010 Keine Angabe Nein Remis? Ca. 2,28 ∙ 1046 10115 bis 10120 (nach 40 Zügen) Ja, stark Remis 5.478 255.168 Abbildung 12: Eigenschaften dreier unterschiedlich komplexer Spiele Bei allen drei Spielen handelt es sich um Nullsummenspiele 31 mit 29 Mit Hilfe dieses Verfahrens lässt sich eine optimale Strategie ermitteln, also diejenige Spielweise mit der eindeutig höchsten Gewinnaussicht. 30 In schwach gelösten Spielen lässt sich zu Spielbeginn eine optimale Spielweise bestimmen. In stark gelösten Spielen hingegen zu jedem Zeitpunkt, auch nach dem Begehen eines spielerischen Fehlers. 31 In diesen verfolgen die Spieler konträre Ziele. Des einen Gewinn ist immer des 82
perfekter Information. Nach Zermelo sind sie daher durch den Fall [1], [2] oder [3] charakterisiert. Auf Tic‐Tac‐Toe trifft [2] zu. Hier gestaltet sich das Herbeiführen eines Remis für menschliche Spieler noch recht einfach (vgl. Do 2006). Mit ein wenig Erfahrung enden daher die Partien fast immer mit einem Remis. Ein Anzugsvorteil liegt nur gegen äußerst unversierte Spieler vor. Bei Mühle hingegen gestaltet sich das perfekte Spielen schon derart kompliziert, dass nur von Hochleistungs‐Computern ein Remis garantiert werden kann (vgl. Lincke 2004). Doch gewinnt auch unter menschlichen Spielern der mit dem ersten Zug in einem geringen aber dennoch signifikanten Ausmaß häufiger als der Nachziehende. Insgesamt jedoch weist das Spiel eine verhältnismäßig hohe Remisdichte auf. Undurchsichtig und gar mystisch hingegen mutet es im Schachspiel an. Ob hier der Anziehende ebenfalls im Vorteil ist, kann auf Grund der enorm hohen Komplexität lediglich statistisch festgestellt werden: „Wegen der über‐astronomisch hohen Zahl möglicher Zugfolgen ist es offen, ob Aussage A oder B oder C [[1], [2] oder [3]; eigene Anmerkung] auf das Schach zutrifft. G.H. Hardy hat geschätzt, dass es 10^10^50 (also 10 hoch 10 hoch 50) verschiedene Spielverläufe gibt. Eine unfassbare Zahl, selbst noch im Vergleich mit den geschätzten ‚nur’ 10^80 für die Anzahl der Teilchen im Universum. Zermelos Resultat ist ein reines Existenzresultat. Es beweist die Existenz einer Strategie, die entweder A oder B oder C zu einer wahren Aussage macht, gibt aber nicht an, wie diese Strategie konkret aussieht und welche der drei konkurrierenden Aussagen richtig ist.“ (Hesse 2009, 156) Aber obwohl der praktische Nutzen dieses Resultats gering ist, beschäftigt dieses Problem zahlreiche Spieler und Theoretiker seit über einem Jahrhundert und war Grundlage einer Vielzahl verschiedenster Theorien.32 anderen Verlust. Siehe auch Diekmann 2009, 234. 32 Siehe den Eintrag „First‐move advantage in chess“ in der englischen Wikipedia. 83
Neben den gängigen mathematisch‐logischen Herangehensweisen finden sich hier auch psychologische Argumente: „In my opinion, the only obvious advantage for White is that if he or she plays for a draw, and does so well, then Black can hardly avoid this without taking obvious risks [...] The tale of Whiteʹs advantage is a delusion, belief in it is based on mass psychosis.” (Adorján 1988, 1‐5) Damit stieß Adorján zum Teil auf wenig Gegenliebe, doch lässt sich festhalten, dass auch spielerisches Denken am theoretischen Limit wie im vorliegenden Fall nicht losgelöst von der Psyche des Menschen betrachtet werden kann. Vorausgesetzt, es gibt für den Anziehenden eine Gewinnstrategie, wie soll sich der Nachziehende verhalten? Wäre es in solch einem Fall nicht rational gleich aufzugeben und wertvolle Lebenszeit zu sparen? Denn theoretisch kann gegen eine Gewinnstrategie nicht bestanden werden. Praktisch jedoch gestaltet sich das tatsächliche Spielen weitaus mannigfaltiger, denn Menschen handeln nicht nur nach rationalen, sondern auch nach emotionalen, normativen und sozialen Gesichtspunkten: „Game theory demands a sacred character for rules of behavior which may not be observed in reality. The real world, with all its emotional, ethical, and social suasions, is a far more muddled skein than the Hobbesian universe of the game theorist.“ (Epstein 1967, 37) Damit basieren spieltheoretische Betrachtungen auf einigen übersimplifizierenden Grundannahmen: „Game theory is about perfectly logical players interested only in winning.“ (Poundstone 2006, 389) Zwar kann man davon ausgehen, dass ein Sieg das Ziel der Spieler darstellt, doch gibt es viele „ways of playing games“ (vgl. Fullerton 2008, 92f). Da Menschen aus völlig unterschiedlichen Gründen spielen resultieren aus 84
ihren unterschiedlichen Motivationen auch verschiedene Spielweisen, nicht nur die rein rationale. Ebenso wird von streng logisch denkenden Spielern ausgegangen, was eine Idealisierung darstellt: Perfekt rationale Spieler verfügen über ein perfektes Regelverständnis, ein perfektes Gedächtnis bezüglich der vergangenen Züge und würden niemals Fehler begehen. Damit gleichen diese in ihrer Manifestation mehr Computern als Menschen. Wenn Menschen jedoch gegen Menschen spielen, gibt es praktische Auswege aus einer spieltheoretisch aussichtslosen Niederlage: „In a losing game, the player should, ideally, play in such a way that its opponent has the greatest possible chance of making a mistake and losing his advantage. That would involve inferring the other player’s strategy, and setting up a situation where it would lead the other player astray. Alternatively, and more simply, the losing player could choose the move that delays loss for the longest time, on the assumption that this would tend to give the other player many chances to make a mistake.“ (Thompson, zitiert nach Neto 2002; eigene Hervorhebung) Hier kommen psychologische und kognitive Aspekte des Spielens zum Vorschein, denn Menschen machen Fehler. Das Ausnutzen von „kognitiven Fallstricken“ ist sogar Kernelement vieler Spiele und kann auch in reinen Strategiespielen das Blatt noch wenden. Zentrales Ziel dabei ist, seinen Kontrahenten aus dem Konzept zu bringen: Zieht ein Spieler das Spiel in die Länge, besteht die Option sein Gegenüber auf Grund mangelnder Konzentration Flüchtigkeitsfehler begehen zu lassen. Wird unkonventionell oder gar chaotisch gespielt, so kann der Gegner verwirrt werden. Durch einen geschickt platzierten Bluff wird der Gegner in die Irre geführt. Nimmt man es zudem mit den sozialen Spielregeln nicht allzu genau, können Ablenkungen außerhalb des Spiels zum Erfolg führen. Floskeln wie „Achtung, hinter dir ist ein dreiköpfiger Affe“ etwa sind beliebt, wenn auch nicht sonderlich erfolgversprechend. 85
Angenommen, es gibt für den Anziehenden in einem Spiel theoretisch eine Gewinnstrategie und er verfügt auch praktisch über diese, so muss das nicht zwingend zu einer Niederlage des Nachziehenden führen. Gleiches gilt für Remistrategien und Gewinnstrategien für den Nachziehenden. In diesem Zusammenhang ist Komplexität
33
eine essenzielle spielimmanente Eigenschaft: Sie sorgt nicht nur für spielerischen Anspruch, sondern lässt auch erst kognitive Kapazitäten, persönliche Fähigkeiten und psychische Belastbarkeit zu den spielentscheidenden Merkmalen in einem nicht perfekt symmetrischen Spiel werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings auch, dass selbst bei perfekter Balance dem Spielen immer ein gewisses Maß an Asymmetrie voraus geht. Zwar kann das Spiel als solches symmetrisch sein, in diesem Zusammenhang Gleichheit der Spieler zu fordern ist aber absurd. Denn im Agôn geht es gerade darum festzustellen, welcher Spieler der bessere ist. 15.2 Balance und Asymmetrie In Spielen mit imperfekter Information sind die Ausgangssituationen nicht identisch. Doch kann durch das Mischen der Karten zu Rundenbeginn auf lange Sicht eine Ausgeglichenheit (Glücks‐ und Pechsträhnen ausgenommen) gewährleistet werden: Das Gesetz der großen Zahlen wird auf lange Sicht dafür Sorge tragen, dass sich die facto auftretende relative Häufigkeit der theoretischen Wahrscheinlichkeit annähert. So macht es keinen Sinn, nur eine Runde Skat zu spielen, denn mit ein wenig Glück erhält einer der Spieler ein unschlagbares Blatt: 33 Hier verstanden im Sinne von Spieltiefe, siehe Kap. 20.1. 86
„It is true that card‐players often have runs of good or bad hands, but this is a mathematically natural as the fact that a surprisingly long sequence of heads or tails may turn up in a sufficiently prolonged bout of coin‐
tosing.“ (Parlett 1990, 16) Daher können solch traditionelle Kartenspiele als näherungssymmetrisch bezeichnet werden. Wird nur lange genug gespielt, so werden sich die Ausgangssituationen in der Summe der Symmetrie annähern. Der Begriff der Asymmetrie kann jedoch auch auf einen anderen Zusammenhang angewendet werden. So bezeichnet er das Phänomen, dass den Spielern die Spielelemente unterschiedlich zugeordnet werden, ohne dass Chancenungleichheit vorliegt. Das wohl bekannteste asymmetrische Brettspiel ist das englische Fox & Geese. Unter den modernen thematisch sehr ausgefeilten Spielen ist das 1983 zum Spiel des Jahres gekürte Scotland Yard der berühmteste Vertreter. Abbildung 13: Der Fuchs muss die 17 Gänse erlegen, die wiederum den Fuchs einkreisen müssen Abbildung 14: Bis zu fünf Detektive jagen in London Mr. X, einen flüchtigen Verbrecher Analog zur Symmetrie lässt sich auch Asymmetrie verallgemeinern: Asymmetrische Spiele zeichnen sich dadurch aus, dass mindestens einer der folgenden Fälle gegeben ist: [1] Der Spielraum ist asymmetrisch. [2] Die Ressourcen der Spieler sind nicht identisch. D.h., die Spieler besitzen nicht die gleiche Anzahl derselben Figuren. Dies kann die 87
quantitative als auch die qualitative Ausprägung betreffen. [3] Die Startaufstellung ist asymmetrisch. D.h., die Figuren sind zu Beginn ungleich im Raum verteilt. [4] Die Spieler versuchen unterschiedliche Ziele zu erreichen. [5] Die Spieler agieren nach unterschiedlichen Spielregeln. Sind lediglich 1,3 oder 4 der Fall, kann dies generell als Handicap gedeutet werden. So besitzt das Spiel Hazienda zwei Spielpläne, einen symmetrischen und einen asymmetrischen. Auf letzterem ist ein Spieler im Nachteil, ein Handicap besteht. Dieses kann bei ungleich starken Spielern genutzt werden, um den Spielausgang unklar und den Spielverlauf spannend zu gestalten. Björk und Holopainen bezeichnen dies als Spieler‐Balance: „Players have equal chances of succeeding with actions in a game or winning a game.” (Björk und Holopainen 2005b) Fair ist das Spiel im engeren Sinne jedoch nicht mehr. Ähnliches gilt für 2 und 4. Hier ist zumeist eindeutig feststellbar, welche Seite über einen inhärenten Vorteil verfügt. Das Gameplay bleibt jedoch weitgehend gleich. Schwieriger hingegen, weil undurchsichtiger, gestaltet sich die Analyse bei einem Verändern bezüglich der Ressourcen: „Pitting asymmetrical forces against each other can often be interesting and thought provoking for the players, since it is not always obvious what the right strategies will be to win a game.“ (Schell 2008, 174) Hier gestaltet es sich schon komplizierter zu analysieren, ob sich ein solches Spiel in Balance befindet oder nicht. 88
Abbildung 15: Horden‐Schach, eine asymmetrische Variante des klassischen Schachspiels Abbildung 16: Hnefatafl, das älteste bekannte asymmetrische Brettspiel, um 400 B.C. 15.2.1 Eine Balance durch Rotationssymmetrie elegante Möglichkeit, asymmetrische Spiele strukturell auszubalancieren, bietet das Konzept der Rotationssymmetrie. Die Hintergrundidee dabei ist, dass in einer Hinsicht dominierende Objekte (beispielsweise Figuren, die gegenüber anderen einen eindeutigen Vorteil besitzen) gleichzeitig auch dominiert werden, also in einer Hinsicht auch einen Nachteil inne haben. Eine Dame dominiert Läufer, Turm und König in Bezug auf ihre Zugeigenschaften, denn sie verfügt über alle ihre Fähigkeiten. Das Trio hingegen verfügt nur partiell über die Fähigkeiten der Dame. Als Verallgemeinerung kann festgehalten werden: Ein Objekt X dominiert ein Objekt Y, wenn es keine Spielsituation gibt, in der es einen spielerischen Vorteil mit sich bringt, wird X durch ein unterschiedliches Y substituiert. Das heißt, dass X kontextunabhängig stärker ist. Wenn, wie im Falle des Beispiels, die Eigenschaften einer Figur lediglich eine Teilmenge der Eigenschaften einer anderen Figur sind, ist das problemlos 89
diagnostizierbar. Der Bauer hingegen ist zwar eine äußerst schwache Figur, wird jedoch nicht von der Dame dominiert, da sie nicht wie dieser en passent schlagen kann. Am häufigsten ist die Idee der Rotationssymmetrie in Bezug auf Kosten und Nutzen eines Objektes anzutreffen. Bei Monopoly sind Hotels „stärker“ als Häuser, kosten allerdings auch mehr (vielmehr müssen bereits 4 Häuser bestehen, damit ein Hotel gebaut werden kann). Bei Siedler sind die benötigten Ressourcen zum Städtebau umfangreicher als diejenigen zum Errichten eines Dorfes. Sind Häuser nun genauso „stark“ wie Hotels (wie auch immer dies genau feststellbar sein mag), so befinden sie sich in einer rotationssymmetrischen Balance. Anders hingegen verhält es sich bei Figuren, die in Konflikten zum Einsatz kommen. Ein dahingehend perfekt ausbalanciertes Spiel ist Stein‐
Schere‐Papier (SSP), was sich anhand einer Matrix veranschaulichen lässt: Stein Schere Papier Stein 0 ‐1 +1 Schere +1 0 ‐1 Papier ‐1 +1 0 Abbildung 17: Stein‐Schere‐Papier; das Paradebeispiel der Rotationssymmetrie. Kartenspiele, die auf dem Stich‐Prinzip basieren, sind oft strikt transitiv geordnet. Das heißt, wenn Karte A Karte B schlägt und Karte B Karte C schlägt, so schlägt auch Karte A Karte C. SSP hingegen wohnt eine Intransitivität inne, was die „Spielstärke“ der Objekte betrifft. Papier schlägt Stein, Stein schlägt Schere und Schere schlägt Papier. Eine Modifikation der Spielregeln bestand darin, das Spiel um ein Objekt zu erweitern: den Brunnen. Sowohl Stein als auch Schere fallen in diesen hinunter, das Papierblatt hingegen verdeckt ihn. Das Prinzip der 90
Rotationssymmetrie scheint dadurch verletzt, dass es eine deutlich dominierende Figur gibt. In der Praxis jedoch war dies kein Problem. Eine Besonderheit von SSP liegt darin, dass kein Spieler die Strategie (also die Figurenwahl) des anderen kennt. Wäre die Wahl rein zufällig, so würde zweifelsohne auf lange Sicht der Brunnen die beste Entscheidung sein. Dem allerdings kann man dadurch begegnen, Papier zu wählen. Und gegen einen sehr naiven SSPB Spieler scheint dies auch die beste Wahl. Schätzt man sein Gegenüber etwas kompetenter ein, so traut man ihm auch diesen Gedankengang zu. In diesem Fall hingegen wäre Schere eine gute Alternative. Schere ist aber nun wieder anfällig gegen Stein und Brunnen. Ad infinitum. Durch dieses spieltheoretische Dilemma entsteht ein neues Spiel, was als Meta‐Game bezeichnet wird. Hier schließen die Spieler in gewisser Art Wetten auf den Spielausgang ab und passen ihre Spielweise entsprechend an (vgl. Björk & Holopainen 2003b). Eng verbunden mit diesem Konzept ist der Begriff Bluff.34 Der Grundgedanke der Rotationssymmetrie 35 findet sich auch in anderen Spielen als Kernelement in wieder. Zum einen in modernen symmetrischen Strategiespielen wie Stratego und dessen asiatischem Pendant des Dschungel‐Spiels. Hierbei besitzen die Figuren, ähnlich dem Schach, spezielle Zugfähigkeiten. Darüber hinaus verfügen sie jedoch noch über eine weitere Eigenschaft, die Schlageigenschaft. Die meisten Armeefiguren sind dabei dem mächtigen Marschall unterlegen, die meisten Tiere dem massigen Elefant. Doch gibt es den Spion beziehungsweise die Ratte, die allen anderen Figuren außer Marschall oder Elefant unterlegen sind. Damit erhalten die beiden schwächsten Figuren eine besonders starke Zusatzeigenschaft, wodurch das Spiel seinen eigentlichen Reiz erhält. Denn durch die Abwesenheit dominierender 34 Für eine ausführliche Diskussion dazu, siehe Bewersdorff 2010, Kapitel drei. 35 Hier im weiten Sinne verstanden, dass es optimalerweise keine dominanten Objekte gibt, die also bedingungslos spielstärker sind. 91
Figuren respektive durch intransitive Fähigkeiten sind Manöver bzw. Strategien konterbar. Abbildung 18: In Stratego stehen sich zwei Armeen gegenüber, deren Soldaten über verschiedene rotationssymmetrische Fähigkeiten verfügen Abbildung 19: Das altchinesische Dschungelspiel, auch als Dschungel‐Schach bezeichnet. Nur die kleine Ratte kann über den Elefanten triumphieren Das Prinzip der Rotationssymmetrie ist dabei keineswegs Brettspielen vorbehalten und findet sich ebenfalls in näherungssymmetrischen Spielen. Karnöffel etwa, eines der ältesten deutschen Kartenspiele, besitzt ein an die Rotationssymmetrie angelehntes Stichprinzip: Stichkarte Bezeichnung Sticht ... Trumpf Bube Karnöffel Alle Trumpf Sieben Teufel Alle außer Karnöffel, aber nur wenn die erste Karte des Stichs Trumpf Sechs Papst Alle außer Karnöffel und Teufel Trumpf Zwei Kaiser Alle außer Karnöffel, Teufel und Papst Trumpf Drei Oberstecher Alle außer Karnöffel, Teufel Papst, Kaiser und König Trumpf Vier Unter‐stecher Alle außer Karnöffel, Teufel Papst, Kaiser, Papst, Kaiser, Oberstecher, König und Dame Trumpf Fünf Farben‐stecher Alle außer Karnöffel, Teufel Oberstecher, Unterstecher, König, Dame und Bube Abbildung 20: Stichkarten im Karnöffel 92
Das Stichprinzip ist partiell transitiv, da die Sticheigenschaften bezüglich der Stichkarten weiterhin ordinal geordnet sind. D.h. der Karnöffel schlägt alle anderen Trümpfe, der Teufel alle anderen außer dem Karnöffel etc. Bezüglich der Fehlfarben jedoch ergibt sich ein anderes Bild, wie an den Ausnahmen ersichtlich wird. Eine Konsequenz solch einer rotationssymmetrischen Annäherung ist hier ebenfalls die Eingrenzung von dominanten Figuren 36 . Dadurch kann nicht mehr ohne Weiteres festgestellt werden, welche Karte nun einen höheren Nutzen besitzt, da dieser von Spielsituation zu Spielsituation variiert. Optimalerweise befinden sich alle Figuren dahingehend in Balance, womit eine echte Rotationssymmetrie vorliegt. Damit kann ein Spiel ein wesentlich höheres Variietätenreichtum erlangen, da nicht strikt dominante Figuren die Basis für nicht dominante Strategien bilden. Ob man also im Falle von Karnöffel mit dem Teufel oder dem Kaiser stechen sollte, kann nicht per se beantwortet werden, sondern nur im Kontext der konkret stattfindenden Spielpartie. So schön sich die Theorie anhört, so schwer ist die praktische Umsetzung. Die grundsätzliche Problematik rotationssymmetrischer Spiele liegt in der Schwierigkeit, die Chancen(un)gleichheit feststellen zu können. Sind Spiele bis auf den Vor‐ oder Nachteil des Anzugs symmetrisch, so ist dies noch verhältnismäßig einfach einzusehen. Zwar ist auch die Ausgeglichenheit im Fall von SSP sofort ersichtlich, doch hat das Spiel keinerlei Komplexität zu bieten. Sind Spiele von Grund auf asymmetrisch angelegt, etwa wenn sich zu Spielbeginn die grobschlächtigen Orks und die filigranen Elfen mit riesigen unterschiedlichen Armeen entgegenstehen, müssen sich diese ebenso wie SSP im Gleichgewicht befinden. Sind spezielle Spielelemente rotationssymmetrisch, so besitzen sie also immer eine Reihe verschiedener 36 Hier verstanden als Objekte. 93
„Stärken“ und „Schwächen“. Es muss gewährleistet werden, dass auch sie ihren strategischen Sinn besitzen, also auch in einigen Situationen favorisierbar sind und nicht immer nur zweite Wahl. Hier kann womöglich berechnet werden, welche Seite einen Vorteil gegenüber der anderen besitzt, doch ergibt sich auf Grund der rotationsymmetrischen Komplexität das Problem nicht zu wissen, worin genau die Ungleichheit ihren Ursprung hat. Gängiger, da praktikabler, ist daher Balancing oft a posteriori. D.h., die Regeln werden auf Basis von Spielerfahrungen so lange modifiziert, bis sie weitgehend ausgeglichen sind. 15.2.2 Ein kultur‐historisches Beispiel Die meisten der historisch gewachsenen asymmetrischen Spiele dieser Klasse adaptieren dabei ungleiche lebensweltliche Konfliktsituationen, 37 wie es etwa bei Fox & Geese der Fall ist. Wären nur die Startbedingungen unterschiedlich, so würde lediglich einem Spieler ein Handicap auferlegt werden. Allerdings zeichnen sich asymmetrische Spiele auch dadurch aus, dass die Spieler unterschiedliche Ziele verfolgen und diese mit unterschiedlichen Mitteln zu erreichen versuchen. Im Falle von Fox & Geese gewinnt der Fuchs, wenn er alle Gänse gerissen hat. Die Gänse hingegen gewinnen, sollten sie den Fuchs eingekreist und damit bewegungsunfähig gemacht haben. In der Regel sind die unterzahligen Figuren auch spielstärker, verfügen also 37 Parlett untersuchte diese Klasse von Spielen (die er als „chase‐games“ bezeichnet). Der Interpretation der beiden ungleichen Mächte liegen dabei oft historische und nationale Eigenheiten zu Grunde und reflektieren daher auch in gewisser Weise das Zeitgeschehen. Während es in England Füchse und Hunde sind, ist das Thema in Zentraleuropa militärisch geprägt. In Süd‐Ost Asien sind es Jäger und Tiger, in Indien Löwen und Ziegen, in China und Japan hingegen loyale Generäle und Rebellen (vgl. Parlett 1999, 185ff). 94
über mehr Aktionsmittel und dominieren damit die vielzahligen: Während die Gänse lediglich orthogonal ziehen dürfen, kann sich der Fuchs auch diagonal bewegen. Wie kann man nun feststellen, ob ein asymmetrisches Spiel noch faire Siegeschancen bietet? Der wohl einfachste Weg das herauszufinden ist, die Spieler ihre Seiten tauschen zu lassen. Bleibt das Verhältnis von Siegen und Niederlagen zwischen den Spielern gleich, so kann davon ausgegangen werden, dass sich das Spiel in Balance befindet. Andernfalls bedarf es weiterer Anpassungen. Eine Besonderheit bei Fox & Geese war nun, dass dieser Anpassungsprozess nicht etwa von einer kleinen Gruppe eingefleischter Fans vollzogen wurde, sondern im Verlauf mehrerer Jahrhunderte in unterschiedlichen Nationen statt fand: „From 1600 on it has been subject to many variations, all designed in some way to counter the fact that, with proper play, the geese should win.“ (Parlett 1999, 189) Das eigentliche Problem war, dass der Spieler der Gänse über eine Gewinnstrategie verfügte. Gegen einen guten Gänsespieler konnte also kein noch so guter Fuchsspieler gewinnen. Zuerst wurden die Gänse dadurch abgeschwächt, dass sie sich nicht mehr, wie ursprünglich möglich, diagonal und rückwärts bewegen konnten. Nun stellte sich jedoch heraus, dass dadurch der Fuchs bevorteilt war. Dem wiederum versuchte man durch eine Erhöhung der Anzahl von Gänsen zu begegnen. Alternative Spielvarianten schränkten die Bewegungsmöglichkeiten des Fuchses etwas ein, verfügten über ein größeres Spielbrett oder versuchten mit Zusatzregeln die Balance wiederherzustellen. Fox & Geese zeigt auf recht eindrucksvolle Weise, wie schwer sich schon die Wahrung der Balance bei solch simplen Spielen gestaltet. Die 95
Kernproblematik waren also nicht die unterschiedlichen Initialkonfigurationen, sondern die daraus resultierenden Gewinn‐ und Dominanzstrategien. Daher wird nun ein Blick auf den Strategie‐ und Dominanzbegriff geworfen. 16 Exkurs: Richtlinien des Spielens 16.1 Strategien Der Strategiebegriff wird oft sehr unterschiedlich verwendet. Meistens wird er lediglich als präskriptive Regel verwendet: Wenn dieses oder jenes der Fall ist, dann sollte man jenes und dieses tun. Doch muss zunächst zwischen einem spieltheoretischen und einem umgangssprachlichen Strategiebegriff unterschieden werden. In der Spieltheorie liegt ein klares Verständnis des Begriffs vor. Obwohl zunächst lediglich von „allgemeinen Prinzipien“ die Rede ist, nach denen die Spieler ihre Entscheidungen treffen (vgl. von Neumann & Morgenstern 1961, 49), wird der Begriff präzisiert: Eine Strategie ist ein Plan „der angibt, welche Wahl er [der Spieler, eigene Anmerkung] zu treffen hat in allen nur möglichen Situationen, für jede nur mögliche wirkliche Information, die er in diesem Augenblick im Einklang mit dem Informationsschema, das die Spielregeln für diesen Fall vorsehen, besitzen kann.“ (ibid. 79) In den Termini dieser Arbeit heißt das: Eine Strategie ist eine Menge geordneter Paare sämtlicher möglicher Konfigurationen und der operationalen Erlaubnis‐Regeln. Jeder erreichbaren Konfiguration wird 96
also eine ausführbare Regel zugewiesen. Diese Definition ist deswegen besonders stark, weil sie zu keinem Zeitpunkt offen lässt, wie sich ein Spieler entscheiden wird. Das Spielerverhalten ist somit, was die Wahl der operationalen Spielregeln anbelangt, komplett determiniert. Damit handelt es sich um eine Algorithmik, also einen kompletten Spielablaufplan. Weiterhin ist charakteristisch, dass es keinesfalls nur für reine Strategiespiele (zusammengefasst unter dem Oberbegriff der Spiele mit perfekter Information) wie Schach solche Strategien gibt, sondern auch für Spiele mit zufälligen und verdeckten Elementen.38 Der Unterschied dabei ist, dass es in Spielen mit Zufallsereignissen oder imperfekter Information39 so gut wie keine sicheren Gewinnstrategien gibt. Denn wo Zufall vorliegt, sind auch Glück oder Pech vorhanden. So kann man zwar perfekt Spielen, aber dennoch verlieren. Gewinnstrategien beschränken sich daher (praktisch, nicht theoretisch) auf Spiele mit perfekter Information. 16.2 Heuristiken Im umgangssprachlichen Sinne wird der Begriff in anderer Art und Weise gebraucht. „A strategy in this casual sense is a set of general heuristics or rules of thumb that will help guide you as you play.“ (Salen & Zimmerman 2004, 236) Heuristiken kommen unter anderem dann zum Einsatz, wenn die eindeutige Lösung eines Problems (in Spielen also die 38 Was auch nicht weiter verwunderlich ist, da von Neumanns ursprüngliche Ideen dem Pokerspiel entsprang: „The nominal inspiration for game theory was poker, a game von Neumann played occasionally and not especially well.“ (Poundstone 2006, 385) 39 In Beiden Fällen ist es dem Spieler nicht zur Verfügung stehende Information, die es schwierig macht „richtig“ zu spielen. Ob in einer Entscheidungssituation ein Ereignis bereits determiniert ist (bei verdeckt liegenden Karten) oder noch nicht (vor dem Wurf eines Würfels) macht formal keinen Unterschied. 97
Frage, ob und wie ein Ziel erreicht werden kann) auf Grund von Komplexität nicht bekannt ist.40 Dazu gesellt sich ein praktischer Aspekt: Komplette Strategien, also komplette Entscheidungspläne innerhalb aller möglichen Spielpartien, sind schon bei simplen Spielen wie Tic‐Tac‐Toe alles andere als trivial. Strategien heuristisch im Sinne von Faustregeln aufzufassen ist demnach nicht nur dem kognitiven Unvermögen geschuldet, sondern unter Umständen auch das einzig probate Mittel um gewinnorientiert zu spielen. Charakteristisch für solche Faustregeln ist die Tatsache, dass sie zumeist weder hinreichend noch notwendig zum Gewinnen einer Partie sind. Das ist auch bei dieser Strategieregel der Fall: 
Der Verlust eines Bauern ist besser als der Verlust einer Dame. Hält man sich an diese Regel, so hat man noch lange nicht gewonnen. Hält man sich nicht an sie, so hat man auch nicht zwingend verloren. Das Agieren unter solch einer Regel ist damit nicht wie bei den operationalen Regeln erlaubt oder geboten. Bei solchen Strategien handelt es sich um Empfehlungen. Auf Strategien hinweisende Redeteile sind daher entsprechend gekennzeichnet: man sollte A tun; es wird empfohlen A zu tun; es ist sinnvoll, A zu tun; Es ist besser A zu tun als B zu tun; Ein Einhalten solcher Empfehlungen führt nicht zwingend, also in allen möglichen Spielsituationen, zum Ziel. Der Verlust eines Bauern mag in den meisten Fällen sinnvoller sein als der ludische Tod der Dame. Doch sind durchaus Situationen konstruierbar, in denen der Bauer wertvoller 40 Eine erste Vermutung, dies sei lediglich auf den verhältnismäßig begrenzten menschlichen Kognitionsapparat zurückzuführen, kann schnell widerlegt werden. „Das Aufkommen der Computerprogrammierung verlieh heuristischen Methoden neue Bedeutung. Es wurde klar, dass Computer die Antworten auf die meisten halbwegs wichtigen Fragen nicht berechnen können. Weder kennen wir die optimale Lösung noch eine Methode, sie zu ermitteln. Dies gilt selbst für so klar definierte Probleme wie Schach, das klassische Computerspiel Tetris oder das Traveling Salesman Problem.“ (Gigerenzer & Gaissmaier 2006, 1) 98
im Spiel ist als die Dame. Wegen dieser Unsicherheit sind solche Strategien auch heuristischer und nicht algorithmischer Natur. Damit stellen diese Regeln Faustregeln dar, wie sie bei Iorio in Bezug auf den präskriptiven Regelcharakter beschrieben werden. Neben heuristischen Regeln gehören dazu aber auch allgemeinere Empfehlungen für dominante, das heißt eindeutige Entscheidungssituationen. Wird der umgangssprachliche Strategiebegriff als Spielweise interpretiert, so fallen auch Richtlinien darunter, die sich nicht, wie im Falle des Schachbeispiels, auf konkrete Spielsituationen beziehen. Eine Spielweise kann dabei vielerlei sein: Aggressiv oder defensiv, risikobehaftet oder sicher, konservativ oder modern. All dies sind generelle Konzepte, die in vielen unterschiedlichen und konkreten Spielsituationen die Handlungen der Spieler weitgehend bestimmen. 16.3 dominante Strategien und Entscheidungen Hier gilt es zunächst den Dominanzbegriff zu präzisieren. Ein spieltheoretisches Verständnis dahingehend lautet: Eine Strategie dominiert eine andere Strategie, wenn die dominierende nie schlechter, aber manchmal besser als die dominierte Strategie ist (vgl. Rieck 2010, 24). Da hier unter einer Strategie ein kompletter Ablaufplan zu verstehen ist, der nicht mit der gewöhnlichen Bedeutung übereinstimmt, erscheint ein Übertrag sinnvoll. Versteht man als Strategie lediglich eine Richtlinie in einer Entscheidungssituation, so ergibt sich ein gebräuchlicheres Bild: „When choices are offered to a player, but one of them is clearly better than the rest, this is called a dominant strategy.“ (Schell 2008, 180) 99
Dass die dominante Strategie besser zu sein hat als die Alternativen steht außer Frage. Allerdings bleibt hierbei völlig offen, was die genauen Bedingungen sein müssen, damit von eindeutig (clearly) geredet werden kann.41 Um den Dominanzbegriff für das weitere Vorgehen brauchbar zu machen, wird zwischen einfacher Dominanz und strikter Dominanz unterschieden. Liegt strikte Dominanz in einer Entscheidungsoption vor, dann ist unabhängig einer speziellen Situation die Wahl einer Option A besser als Option B. Das ist etwa der Fall bei der Entscheidung, ob man noch einmal würfeln sollte oder noch einmal einen Kartenstapel nach besseren Karten durchsuchen – die Situation sich dadurch nicht verschlechtern. Es gibt keinen Grund darauf zu verzichten. Wie schon bei strikt dominanten Objekten (Objekt A dominiert Objekt B strikt) dominiert auch Entscheidungsoption A Entscheidungsoption B strikt, wenn in keiner Situation B besser sein kann als A, also A jederzeit einen mindestens gleichwertigen Ersatz für B darstellt. Der spielerische Wert der Wahl von B beträgt damit Null. Hier kann es kontextunabhängige, allgemeingültige Ratschläge geben: Wenn man die Wahl hat, einen Läufer durch eine Dame zu ersetzen, dann sollte man dies tun; wenn man die Wahl hat, nach einem Würfelwurf noch einmal zu würfeln, dann sollte man dies tun. Eine einfache Dominanz liegt vor, wenn der spielerische Nutzen von A lediglich höher ist als von allen anderen Alternativen. Das heißt, auch wenn A nur in den meisten Fällen die bessere Wahl darstellt als B, so dominiert A auch B. Hier kann A‐dominiert‐B auch gelesen werden als A‐
ist‐besser‐als‐B. Im Zweifelsfall sollte der Bauer statt der Dame geopfert werden. Im Zweifelsfall deswegen, da sich die Wahl im weiteren 41 Hierzu wird in Kapitel 20.2 ein Lösungsansatz angeboten, indem ein subjektiver Dominanzbegriff herausgearbeitet wird. 100
Spielverlauf als die falsche raustellen kann, der Spieler hat sich also geirrt. Dies wäre bei einer strikten Dominanz nicht möglich. Dominanz lässt sich besser mit Hilfe der Evaluationsfunktion fassen: „A good scoring function produces a larger number the greater the winning player`s lead, and produces the number zero when the game is tied.“ (LeBlanc 2008, 447) Diese bestimmt, welcher Spieler führt, also dem Sieg näher ist. Nun sind Entscheidungen dadurch gekennzeichnet, dass sie auf diese Funktion Einfluss haben. Der Spieler muss also entscheiden, welche seiner ihm zur Verfügung stehenden Optionen diese Funktion zu seinem Vorteil manipuliert. Genau in dieser Entscheidungsfähigkeit spiegelt sich der Spieler‐Skill wider. Einfach gesagt ist ein guter Spieler derjenige, der erkennt, welche Entscheidung die Evaluationsfunktion am stärksten zu seinen Gunsten beeinflusst. Ein guter Spieler muss erfolgreicher als sein Gegenüber feststellen können, welche die dominante, also die beste Entscheidung in einer spezifischen Entscheidungssituation darstellt. Wenn in einer Situation der Wert zweier Optionen verglichen wird, dann bedeutet das darüber zu entscheiden, welche Wahl die größte positive Differenz zwischen dem derzeitigen und dem resultierenden Wert der Evaluationsfunktion darstellt. Mit Hilfe dieses Konzeptes können auch schlechte Entscheidungen präzisiert werden. Trifft ein Spieler eine schlechte Entscheidung, so verringert sich mit Ausführen einer Aktion sein Punktestand. Situationen, in dem alle dem Spieler zur Verfügung stehenden Entscheidungsoptionen seinen Punktestand verringern, erfassen den voran diskutierten Begriff des Zugzwangs präziser. Dass ein 101
Spieler das geringste Übel wählen muss heißt, dass er die Aktion bestimmen muss, die seinen Punktestand nur minimal negativ beeinflusst. Nun stellt sich eine entscheidende Frage: Warum hat der Spieldesigner eigentlich ein Interesse daran, besonders dominante Strategien zu unterbinden? Schon intuitiv scheint die Antwort plausibel: Dominanz verringert das Maß der Unsicherheit, was eine wesentliche Qualität des Spiels ausmacht. 17 Prinzip [2]: Ausgewogenheit Unter dem Begriff wird hier verstanden, dass ein Spielsystem nicht nur eine ganz spezifische Art von Entscheidungssituationen beinhaltet sondern über eine gewisse Reichhaltigkeit verfügen sollte. Dabei lassen sich verschiedene Arten in „gute“ und „schlechte“ einteilen. 17.1 Schlechte Entscheidungssituationen Fullerton unterscheidet zwischen drei Arten „schlechter“ Entscheidungssituationen: offensichtliche, hohle und unwissende. Nach einem Pasch noch einmal zu würfeln ist eine offensichtliche Entscheidung (Obvious Decision, vgl. Fullerton 2008, 320). Es liegt keine Ungewissheit über die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung vor: Erneutes Würfeln kann sich im Nachhinein nicht als Fehler herausstellen. Allerdings ergeben sich ähnliche Bedenken wie schon bei Schell, denn dem Begriff offensichtlich haftet etwas Subjektives an. Fraglich sind hier 102
hinreichende und notwendige Bedingungen, die erfüllt sein müssen, denn zweifelsfrei spielt die Expertise der Spieler hier eine tragende Rolle.42 Eine hohle Entscheidungssituation liegt vor, wenn sich die Konsequenzen dieser kaum oder gar nicht unterscheiden (Hollow decision). In einem perfekt symmetrischen Spiel wäre dies eine Seitenwahl zu Spielbeginn. In einem Würfelspiel die Wahl der Spielfigur. Soll man sechs Felder nach vorne gehen oder drei, wenn man anschließend über einen „Teleporter“ noch einmal drei Felder nach vorne gehen muss? Es macht eben keinen Unterschied welche Wahl man trifft, da die Konsequenzen identisch sind. In unwissenden Entscheidungssituationen hat die Wahl des Spielers keinen Einfluss auf das Spielgeschehen, da sie einen Randomizer aktivieren (Uninformed decision). Ist man nicht abergläubisch, so ist die Wahl von „Kopf“ oder „Zahl“ bei einem Münzwurf irrelevant, denn unabhängig von seiner Wahl entscheidet der Zufall über das Ergebnis. 17.2 Gute Entscheidungssituationen Gute Entscheidungssituationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie bedeutsam und ungewiss sind. Bedeutsam sind Situationen, in denen die Handlungen der Spieler (also hier das Entscheiden) einen Einfluss auf den Spielverlauf besitzen. Salen und Zimmerman beschreiben dies als meaningful play: „Meaningful play in a game emerges from the relationship between player action and system outcome; it is the process by which a player takes action within the designed system of a game and the system 42 Dies wird im Beispiel des Würfelwurfes bei Prinzip [3] besonders sichtbar. 103
responds to the action. The meaning of an action in a game resides in the relationship between action and outcome.ʺ (Salen & Zimmerman 2004, 34) Dies fehlt hohlen und unwissenden Entscheidungen, denn die möglichen Aktionen des Spielers besitzen keinerlei Einfluss auf den weiteren Spielverlauf. Zwar muten die eingebrachten Beispiele noch unproblematisch an, doch wird durch das Konzept ebenfalls ein Deus ex machina ausgeschlossen, das ein sinnvolles Spielprinzip komplett zunichte macht. Weiterhin sollte Entscheidungen ein gewisses Maß an Unsicherheit anhaften, was sich an Hand des Triangularitätsprinzips verdeutlichen lässt:43 Abbildung 21: Balance in Entscheidungssituationen durch das diametrale Verhältnis von Gewinn und Risiko Beide Optionen befinden sich hierbei in Balance. Zwar ist bei Option A Unsicherheit nur gering ausgeprägt, doch ist ihr spielerischer Wert auch geringer als in Option B. Im Würfelbeispiel Pasch versprechen die möglichen Entscheidungen zwar auch einen geringen oder einen hohen 43 Zwar wird ein risikoaffiner Spieler häufiger das riskante Manöver wählen und der risikoaverse eher den sicheren Weg einschlagen, doch liegt diese Entscheidung nur in persönlichen Vorlieben begründet: Eine richtige Spielweise gibt es in dem Sinne nicht. 104
Gewinn, aber es haftet ihnen keinerlei Risiko an. Damit fehlt offensichtlichen Entscheidungen dieses Merkmal. Costikyan beschreibt interessante Entscheidungssituationen, die ebenfalls Ungewissheit und Bedeutsamkeit aufweisen: „If the game has more than one ʹresource,ʹ decisions suddenly become more complex. If I do this, I get money and experience, but will Lisa still love me? If I steal the food, I get to eat, but I might get caught and have my hand cut off. If I declare war against the Valois, Edward Plantagenet will grant me the Duchy of Gascony, but the Pope may excommunicate me, imperilling my immortal soul. These are not just complex decisions; these are interesting ones. Interesting decisions make for interesting games.“ (Costikyan 1994) Costikyans Beispiele beschreiben Unsicherheit und Bedeutsamkeit. Bedeutsam sind sie, da ihre Konsequenzen eindeutig sind. Arm oder reich, hungrig oder satt, Herzog oder nicht Herzog. Ebenso charakteristisch ist die enorme Ungewissheit bezüglich möglicher Konsequenzen. Dies liegt zum einen daran, dass, wie schon bei Schell gesehen, allen Entscheidungen ein nicht näher quantifizierbares Risiko anhaftet. Zudem lassen sich die Optionen nicht mehr schlicht in gut und schlecht unterteilen. Das Konzept des klassischen Spiels stößt hier an seine Grenzen, da solch hochgradig unsichere Entscheidungen nur noch sehr schwer mit dem Prinzip der Regelexplizitheit zu vereinbaren sind. Es scheint absurd hier eine Evaluationsfunktion zu fordern zu, die den Wert der Optionen berechnet. Dennoch ist Unsicherheit ein wichtiges generelles Merkmal von Entscheidungen, wie Krieg die Sichtweise des Cybernetikers von Foerster darstellt: „Entscheiden können wir nur solche Fragen […], die eigentlich nicht entscheidbar sind. Alle anderen sind im Prinzip nämlich bereits durch die 105
Regeln oder die Referenzsysteme, innerhalb derer sie auftauchen, entschieden. Nur die unentscheidbaren Fragen sind danach legitime Fragen, denn nur sie bedürfen einer echten Entscheidung.“ (Krieg 2005, 51) Die geschilderten Überlegungen sind auf Spiele übertragbar. Unsicherheit kommt an der Stelle zum Tragen, an der die Spieler nicht mehr in der Lage sind ihre möglichen Entscheidungen in gut und schlecht zu unterteilen. Dies steht im Kontrast zum spieltheoretischen Strategieverständnis, denn dort ist auf Grund der spielerischen Determiniertheit ganz genau festgelegt, welche Wahl in jeder möglichen Situation zu treffen ist. Entschieden wird in diesem Sinne nicht. Natürlich sind viele Spielsituationen damit keine echten Entscheidungssituationen. Betrachtet man als Referenzsystem das formale Regelsystem gekoppelt an einen rationalen Spieler, so wird auch hier nicht entschieden, sondern lediglich eine Wahl getroffen. Und zwar die richtige. Ob dem Statistik, Stochastik, Spieltheorie oder Kombinatorik zu Grunde liegt ist dabei unerheblich. Das ist nicht automatisch problematisch, denn wer möchte schon permanent mit solch schwerwiegenden, unabwägbaren Entscheidungsszenarien wie im Beispiel von Costikyan konfrontiert werden? Damit ist es auch hier eine nicht näher spezifizierbare Balance, die zwischen den unterschiedlichen Entscheidungsarten vorhanden sein muss, damit von einer Ausgewogenheit geredet werden kann: „Not all decisions in a game need to be […] complex. … Simple decisions are fine, as long as they are not hollow, obvious, or uninformed. … [A] balance between the types of decisions that players find interesting and engaging throughout the flow of … [the] game is more important than relying on one type of decision making.“ (Fullerton 2008, 320) Doch gibt es viele Entscheidungssituationen, in denen es keine (zumindest 106
für den Menschen wahrnehmbare) eindeutig richtige Handlung gibt. Man muss abwägen, sich für das riskante Manöver entscheiden, einfach auf gut Glück spielen oder schlicht seiner Intuition vertrauen. Man kann sein Gegenüber ärgern oder ihm gut zuspielen, bluffen oder sicher spielen, eine Münze werfen oder seinen Mitspieler entscheiden lassen. Und genau diese Situationen sind es, in denen der Homo Rationalis dem Homo Ludens weicht. Mit Goethe gesprochen: „Hier bin ich Mensch, hier darf ichʹs sein.“ 18 Prinzip [3]: Vielfalt Für den Schöpfer eines Regelwerkes ist es zur Wahrung der Fairness essentiell, dominante Strategien zwischen den Spielern zu unterbinden. Darüber hinaus ist es wichtig, dass sich die dem Spieler zur Verfügung stehenden Spielweisen ebenfalls in Balance befinden. Ist dies nicht der Fall, so wird dadurch die Vielfalt eines Spielverlaufes enorm eingeschränkt, da sich die Anzahl sinnvoller Wege verringert. Ist in einem Spiel eine dominante Strategie vorhanden und weiß ein Spieler um diese Strategie, gibt es für ihn (rein rational gesehen) keinen Grund von ihr abzuweichen. Unabhängig davon, ob man sich auf den engen spieltheoretischen Strategiebegriff bezieht oder darunter keinen vollständigen Ablaufplan versteht – der Spieler wird immer gleich spielen. Nicht, weil er in seiner Spielweise nicht variieren könnte, sondern weil ihm kein Anreiz gegeben wird, sich in einer anderen Spielweise zu versuchen. Denn warum sollte er unter zwei Spielweisen genau die weniger erfolgversprechende wählen? Dass dieser Effekt aber nicht im Sinne des Erfinders ist, ist offensichtlich. Doch was kann dieser tun, um solch eine dominante Strategie zu unterbinden? Er führt zusätzliche Regeln ein. 107
Zusatzregeln in Form von Ausnahmeregeln sind oftmals ein notwendiges Übel, um eine strategische Vielfalt zu ermöglichen. Natürlich wird es kaum Situationen (vor allem im fortgeschrittenen Spielverlauf) geben, in denen dem Spieler sämtliche zur Verfügung stehende Regeln den gleichen Nutzen versprechen. Doch analog zu der Tatsache, dass jede, noch so schwache Figur in bestimmten Situationen einen einzigartigen Vorzug haben sollte, gilt auch hier: Sämtliche durch Regeln gedeckte Aktionen sollten an irgendeiner Stelle sinnvoll einsetzbar sein. „Games often contain design flaws that allow players to exploit loopholes in the rules to win the game by repeated use of a single tactic.” (Adams 1998) Man stelle sich ein Spiel vor, in dem man von 10 möglichen Spielzügen immer nur den gleichen durchführt, weil er immer der erfolgversprechendste ist: „When players focus on only a limited set of options in pursuit of a win, games often become dull.“ (Fullerton 2008, 290) Dies bedeutet, dass es möglichst viele sinnvolle Spielweisen geben muss und nicht nur die dominante Strategie oder gar Gewinnstrategie. Das zu gewährleisten ist kein einfaches Unterfangen und erfordert je nach Spiel überaus komplexe Analysen: „And the rigor of game theory analysis reminds us that designing and balancing games often comes down to math.“ (Salen & Zimmerman 2006, 54) Die einfachste Möglichkeit ist hierbei die Implementierung eines Randomizers. Dadurch lassen sich dominante Strategien durch Zufall eindämmen, was anhand des Triangularitätsprinzips sichtbar wird. Sind Entscheidungsoptionen besonders dominant, können sie durch einen Risikofaktor in ihrem Nutzen eingeschränkt werden: 108

Wenn man eine sechs würfelt und gerade schon einmal eine sechs gewürfelt hat, so darf (!) man noch einmal würfeln. Würfelt man dann jedoch eine 1 oder 2, so muss man 10 Felder zurückgehen. Hier wird die Balance zwischen Risiko und Gewinnaussicht (balanced asymmetric risk; vgl. Schell 2008, 181) wiederhergestellt. Möglicherweise existiert dann potentiell immer noch eine dominante Entscheidungsoption, falls sich die richtige Entscheidung mittels Wahrscheinlichkeitsberechnungen feststellen lässt. Aber diese Entscheidung ist erst einmal nicht offensichtlich. Eine Besonderheit stellt sich allerdings ein. Während es für den Mathematiker nachwievor eindeutig ist, wie er sich entscheiden sollte, so ist die richtige Entscheidung für das stochastisch unbedarfte Kind keinesfalls einfach ersichtlich – und die Situation bleibt für das Kind interessant. Balance ist somit oftmals auch eine qualitative Frage, die aus der Perspektive des spielenden Subjekts zu beurteilen ist. 19 Prinzip [4]: Spannung Schach ist kristallklare Mathematik in Dramenform. – Ludvig Oskar Svenonius Thompson (Thompson 1999) diskutiert im Rahmen abstrakter Strategiespiele (ein Begriff, welchen er für perfekt informative Nullsummenspiele ohne thematische Ausgestaltung gebraucht) wie Schach und Go einige Qualitäten: Drama und Endgültigkeit. Da sich Drama und Endgültigkeit entgegengesetzt verhalten, müssen sich diese Merkmale ebenfalls in einem Gleichgewicht befinden. Dies ist notwendig, damit ein Spiel Spannung bietet. 109
19.1 Endgültigkeit und Drama Drama (Drama) bedeutet, dass es einem Spieler möglich sein muss, sich aus einer unvorteilhaften Spielsituation zurückzukämpfen und das Spiel im weiteren Verlauf doch noch gewinnen zu können. Das Gewinnen sollte also nicht „auf einen Schlag“ möglich sein. Dadurch wird über einen gewissen Zeitraum anhaltend Spannung erzeugt und gehalten. Durch diese währende Unsicherheit entsteht ein Spannungsbogen, der in einer Klimax gipfelt und die im optimalen Falle weder zu schnell ansteigt noch zu schnell abfällt. In Spielen ohne Glücksfaktor ist dies wesentlich von der Spielstärke der Kontrahenten abhängig. Während sich ein Neuling womöglich in zwei Zügen Matt setzen lässt (als Narrenmatt bezeichnet), wird ein Spiel unter gleichstarken Spielern länger andauern und sich erst ein Drama entwickeln können. Je erfahrener die Spieler werden, desto eher kann das Drama auch wieder zurückgehen: Bei besonders routinierten Spielern wird eine Partie selten bis zum Schachmatt andauern. Der Verlust eines Bauern kann schon hinreichend für eine Aufgabe sein. Gute Spieler erkennen schneller, ob sie das Blatt noch wenden können oder nicht. In imperfekt informativen Spielen entsteht Drama durch die Unvorhersehbarkeit zukünftiger Ereignisse. In einer Partie Skat kann durch ein riskantes Spiel in der letzten Runde das Blatt noch gewendet werden. Durch einen „geschickten“ Würfelwurf besteht die Möglichkeit an seinen Kontrahenten in der Endphase vorbeizuziehen. Mit einem Bluff lässt sich der Führende in die Irre führen. Für das Drama ist also ebenfalls nicht wichtig, ob es sich um ein Strategie‐ oder Glückspiel handelt. Essentiell ist hierbei die Funktionsweise des internen Regelapparates sowie der Spielweise. 110
Endgültigkeit (decisiveness) bedeutet, dass es einem Spieler möglich sein muss, einen spielerischen Vorteil erlangen zu können, von dem sich sein Gegenüber nicht mehr erholen kann. Hat ein Spieler diesen finishing blow gelandet, so ist ihm der Sieg nicht mehr zu nehmen ist. Aus einem „so gut wie gewonnen“ wird ein „gewonnen“. Als Negativbeispiel im Bereich der Strategiespiele ist hier Abalone zu nennen, da es eine „Blockierstrategie“ gibt. Mit Hilfe dieser kann ein schwacher Spieler mauern, so dass sein Kontrahent nicht gewinnen kann. Durch zusätzliche Bestimmungen wie die KO‐Regel in Go oder die 50‐Züge‐Regel im Schach kann ein Ende forciert werden, erzwingt damit allerdings auch ein Remis. Das heißt, dass der Führende nicht zum Gewinner wird. Endgültigkeit ist demnach immer dann ein Problem, sollte ein Spiel nicht zwingend terminieren. Partien in Monopoly oder Mensch‐ärgere‐Dich‐nicht können sich ewig hinziehen, was dem Rundparcours geschuldet ist. Hier haben die Spieler zwar weniger Einfluss darauf, doch wird das Spiel auf Grund der Wahrscheinlichkeitsverteilungen früher oder später zu einem Ende kommen. Das Spannungsverhältnis ist augenscheinlich: Kann sich ein Spieler in verschiedenen Situationen oftmals von einer Schwächung erholen, so besteht zwar Drama, aber nur wenig Endgültigkeit. Kann hingegen ein Spieler in einer starken Position zu einfach gewinnen, so besteht zwar Endgültigkeit, jedoch kein Drama. 19.2 Konflikt und Spannung Endgültigkeit und Drama lassen sich besser fassen, werden Spielpartien unter Einbeziehung eines temporalen Spannungsbogens, wie er insbesondere in narrativen Strukturen vorzufinden ist, betrachtet: 111
Abbildung 22: Ein klassischer dramatischer Bogen „This arc is the backbone of all dramatic media, including games.“ (Fullerton 2008, 104) Die Basis des Dramas stellt der Konflikt dar, der in Spielen per se vorhanden ist: „Conflict arises naturally from the interaction in a game. The player is actively pursuing some goal. Obstacles prevent him from easily achieving this goal. Conflict is an intrinsic element of all games. It can be direct or indirect, violent or nonviolent, but it is always present in every game.” (Crawford 1982, 12) In kompetitiven Spielen besteht der Konflikt darin, dass nur ein Spieler (oder ein Team) gewinnen kann. Zu Beginn des Spiels sind beide Seiten ausgeglichen, der Ausgang offen. Die Exposition gleicht dabei dem early‐
game, in dem die Kontrahenten sich auf Basis ihrer Strategien das Spiel zurecht legen. Spannung entsteht erst durch den sich dynamisch entwickelnden Konflikt im mid‐game. Das Drama ist dafür elementar. Würde ein Spieler bereits nach kurzer Zeit einen kaum noch einzuholenden Vorsprung heraus gespielt haben, so würde der Spannungsbogen äußerst flach verlaufen. Erlaubt das Spiel jedoch Wendungen (ob durch Glück oder Können), so bleibt die Auflösung des Konfliktes weiterhin ungewiss. Das end‐game, dessen Abschluss die Klimax darstellt, löst den Konflikt schließlich auf. Hier ist die 112
Endgültigkeit von besonderem Interesse, damit ein Spieler seinen Vorsprung in einen Sieg wandeln kann. Dabei ist Zeitpunkt der Auflösung wichtig, woran einige Spiele scheitern. Das ist dann zu erkennen, wenn sich das Spielgeschehen förmlich „zieht“. Wenn ein Spieler zwar kaum noch die Chance eines Gewinns hat, jedoch sein Gegenüber noch blockieren kann oder das Ende weit hinauszögert wird, so ist die Klimax schlecht implementiert. 19.3 Bestandteile der dramatischen Spannung Dramatische Spannung quantifizieren, also messen zu können, ist ein geradezu abwegiger Gedanke: „It’s absurd to think that we could construct some kind of dramatic‐
tension‐o‐meter, a device that we could wave over the audience as a story is told, reading out the dramatical value as a numerical value ‐ no doubt measured in units called ’millishakespeares‘.”(LeBlanc 2008, 443) Dramatische Spannung ist mehr eine Qualität, die wesentlich durch zwei Komponenten bestimmt ist: 
„Uncertainly: the sense that the outcome of the contest is still unknown. Any player could win or lose. 
Inevitably: the sense that the contest is moving forward toward resolution. The outcome is imminent.“(ibid. 445) Unsicherheit entspricht damit dem von Thompson gebrauchten Begriff des Dramas. Unvermeidbarkeit und Endgültigkeit fallen bezüglich ihrer Bedeutung dahingehend zusammen, als dass sie einen Punkt in einer Partie fordern, an dem der Konflikt aufgelöst wird. 113
Weder Unsicherheit noch Unvermeidbarkeit sind alleine hinreichend für die Spannung. Unsicherheit schließt keine Beliebigkeit im Sinne eines Deus es machina aus. Ohne Unsicherheit hingegen steht das Ergebnis bereits fest, die Spieler werden zu Beobachtern des Geschehens degradiert. Die alleinige Anwesenheit von Unvermeidbarkeit bedeutet, dass sich das Spiel zwar dem Ende zuneigt, doch in keiner Weise feststellbar ist, wer Gewinner der Partie sein wird. Ohne Unvermeidbarkeit scheinen der Konflikt sowie dessen Auflösung in weiter Ferne. Zu Spielbeginn ist das Maß der Unsicherheit besonders hoch ausgeprägt und verringert sich im Verlauf des Spiels. Bei Unvermeidbarkeit hingegen verhält es sich vice versa. Die Klimax markiert die Stelle des Spiels, in der sich Unsicherheit komplett auflöst. Ob dieser Punkt zudem auch das Ende der Partie markiert oder der Führende sein Spiel noch „nach Hause bringen“ muss ist dabei von der internen Spielstruktur abhängig. 19.3.1 Unsicherheit Ist nicht prognostizierbar, wer als Sieger aus der Partie hervorgeht, so ist die Unsicherheit besonders hoch ausgeprägt. Symmetrische Spiele besitzen demnach zu Beginn einer Partie ein besonders hohes Maß, näherungssymmetrische hingegen ein geringeres, was auf die Wahrscheinlichkeitsverteilungen zurückzuführen ist. Denn hierbei können Gewinnchancen berechnet werden. In asymmetrischen Spielen ist dies abhängig vom formalen Balancegrad. So ist die Unsicherheit zu Beginn einer Schachpartie besonders hoch ausgeprägt, während sie nach dem Verteilen der Karten im Skat in Abhängigkeit der verteilten Blätter 114
geringer ausfällt. In Fox & Geese ist, ja nach Variante, ein Spieler leicht bevorteilt, woraus ebenfalls eine nicht perfekte Unsicherheit resultiert. Zwar lässt sich im Idealfall der Gewinner einer Partie kurz nach Beginn nicht ermitteln, jedoch der Führende. Diesen bestimmt die Evaluationsfunktion. Meistens ist diese Funktion trivialer Natur, etwa in simplen Würfelspielen. Verfügen Spieler jedoch über mehr unterschiedliche Ressourcen, etwa Geld auf der einen Seite und Investitionen auf der anderen, ist es nicht zwingend offensichtlich wer das Feld anführt. Auch kann diese Funktion durch Formationsvorteile, wie man sie im Schach, Siedler oder auch in Risiko findet, recht umfangreiche Formen annehmen. Je größer die strategische Vielfalt, desto undurchsichtiger zumeist auch die Bewertungsfunktion. Generell kann Unsicherheit durch ein negatives Feedbacksystem konstant gehalten werden. Dadurch wird es dem Führenden erschwert, seinen Punktestand weiter auszubauen. Ein solch dynamisches Handicap eignet sich besonders dann, wenn Spielfortschritt auch zusätzliche Macht für die Spieler bedeutet, etwa durch spezielle Regeln, die die Einführung neuer Spielelemente in die Partie beschränken: Wer bisher schon dieses getan hat, der darf nicht mehr jenes tun. Das wird oft durch eine Begrenzung des Spielmaterials realisiert. Dadurch wird unter Umständen verhindert, dass sich eine Führung zu schnell in einen Sieg verwandelt. Negatives Feedback erhöht damit das Drama, da es den Führenden davor bewahrt zu schnell zu gewinnen. Auf der anderen Seite kann durch ein positives Feedbacksystem die Unsicherheit verringert werden, indem es das Spiel beschleunigt: „This process […] dispels the dramatic uncertainty and creates a sense of closure. It is an end‐of‐game ritual prepares the winner to win and the loser to lose.“ (ibid. 449) 115
Kann der Führende durch solch ein System seinen Vorsprung immer weiter ausbauen, etwa durch ein konsequentes Bedrängen des Gegners, so beschleunigt es den vernichtenden Schlag. Gibt dieses System hingegen allen Spielern gegen Ende des Spiels besonders mächtige Werkzeuge in die Hand, so löst man den finalen Clash aus, der die Klimax und den Abschluss des Spiels darstellt. Durch positives Feedback wird somit die Endgültigkeit erhöht. 19.3.2 Unvermeidbarkeit Unvermeidbarkeit wohnt die Frage „Wann werden wir den Gewinner kennen?“ inne und ist in erster Linie mit Blick auf die Abbruchbedingungen zu erkennen. Die tickende Uhr, der sich leerende Kartenstapel, die abnehmenden Lebenspunkte, die schrumpfenden Armeen. All diese Elemente besitzen die Eigenschaft, dass sie den Spielfortschritt anzeigen. An ihnen kann also das Maß der Unvermeidbarkeit abgelesen werden, sofern es sich nicht um erneuerbare Ressourcen handelt. Ihre Werte sind auch Teil der Größe, mit denen die Evaluationsfunktion arbeitet und den führenden Spieler ermittelt. Bei absoluten Siegbedingungen gibt das Maß der Unvermeidbarkeit gleichzeitig auch Aufschluss über den Führenden. Dies ist dann der Fall, wenn der das Spiel beendende Spieler gleichzeitig auch der Gewinner ist, etwa in Race‐Games oder Spielen wie Siedler, in denen eine bestimmte Anzahl von Punkten erreicht werden muss. Verfügt ein Spieler über keinerlei Armeen, Lebenspunkte oder auch sonstige Ressourcen, ist nicht nur das Spiel beendet, sondern es steht auch gleichzeitig der Gewinner fest. 116
Bei relationalen Siegbedingungen hingegen ist mit isoliertem Blick auf das Maß der Unvermeidbarkeit nicht zu erkennen, wie es um den Führenden steht. Sobald die Uhr eine bestimmte Zeit geschlagen hat oder der Kartenstapel verbraucht ist, wird auch das Spiel beendet. Wer allerdings das Spiel gewonnen hat, wird anderweitig ermittelt. Beendet ein Spieler eine Partie Mah‐Jongg, so ist dieser keineswegs auch zwingend der Gewinner. Dramatischer Spannung wohnt ein intermediärer Charakter inne. Es ist zweifellos eine essenzielle Qualität von Spielen, doch hat sie ihren Ursprung in allgemein narrativen Kontexten wie in Theater, Literatur und Film. Es ist damit eine Qualität, die unabhängig von der aktiven Rolle des Spielers besteht. Damit ist sie auch von Außenstehenden beobachtbar. Eine recht simple Antwort auf die Frage, welchen klassischen Spielen denn nun eine dramaturgische Qualität unterstellt werden kann: Die, bei denen gerne zugesehen wird: „Ich kenne kein Schauspiel auf der Welt, das 3000 Personen fünf Stunden lang in Atem halten kann. Unbewegt und in Gedanken versunken, wie die hieratischen Schauspieler einer japanischen Kabuki‐Aufführung, sitzen sich die Spieler gegenüber.“ (Arrabal, zitiert nach Finkenzeller & Ziehr & Bührer 2000, 33) Wie in allen Spielen ist es hier natürlich eine subjektive Frage, welche Spiele als spannend wahrgenommen werden. Kenntnisse über das Spielsystem und Interesse sind unvermeidbar verknüpft mit der Frage, ob eine Partie als spannend empfunden wird oder nicht. Während das Publikum über eine Schachpartie staunt und sie gar als „Millennium‐
Match“ feiern wird, da schüttelt der Laie nur verständnislos den Kopf. Was reine Popularität jedoch anbelangt, steht die moderne Poker Variante Texas Hold‘em dem Schachspiel diesbezüglich in nichts nach. Es ist sogar das einzige klassische Spiel, das global im TV übertragen wird. 117
Es ist auch hier ein hohes Maß an Spannung, das Poker auch für den passiven Beobachter attraktiv macht. Interessant ist aus dieser Perspektive die ähnliche Entwicklung bei bestimmten Computerspielen: Es werden Spielpartien im Internet (und sogar im koreanischen Fernsehen) übertragen, deren Aufbereitung an Fußballübertragungen erinnert. Auch hier ist es die dramatische Spannung, die den Zuschauer an den Bildschirm fesselt. 20 Prinzip [5]: Herausforderung Welche Macht ist das, die uns dazu bringen kann, Grundbedürfnisse um des Spiels willen hinten an zu stellen? – Mihaly Csikszentmihalyi Thompson (Thompson 1999) diskutiert neben drama und decisiveness noch zwei weitere Spielmerkmale: Spieltiefe und Klarheit. Diese sind eng verwandt mit den voran diskutierten Begriffen der Dominanz und Bedeutsamkeit und befinden sich ebenfalls in einem Spannungsverhältnis. Eine Balance ist notwendig, damit ein Spiel herausfordernd ist, was durch die Flow‐Theorie expliziert werden kann. 20.1 Spieltiefe und Klarheit Spieltiefe (Depth) bedeutet, dass Spieler in der Lage sind, das Spiel auf unterschiedlichen Ebenen von Expertise spielen zu können. Tiefe verleiht einem Spiel eine besondere Qualität, da die Akteure ihre spezifischen Fähigkeiten über einen (langen) Zeitraum zunehmend verbessern können. Spieler der Fähigkeitsstufe eins werden dabei untereinander in etwa ein ausgeglichenes Verhältnis von Siegen zu Niederlagen aufweisen, 118
allerdings gegen einen Spieler der Stufe zwei in der Regel verlieren. Spieler der Stufe drei wiederum werden untereinander das gleiche Verhältnis aufweisen, allerdings gegen Spieler der Stufe drei verlieren etc. bis zu einer Stufe n, die maßgeblich für die Spieltiefe ist. Schwierig wird es allerdings, sollten Spiele hochgradig asymmetrisch sein. Denn wenn ein Spieler eine Seite besonders gut beherrscht, so muss er nicht zwingend auch in der anderen Rolle auf dem gleichen Niveau spielen können, da sich das Gameplay sichtlich voneinander unterscheidet. Hier hilft das Konzept des Rollentauschs. Dieses erfordert einen Seitenwechsel, wodurch eine gemittelte Expertisestufe festgestellt werden kann. Auch bezüglich des Anzugsvorteils schlecht ausbalancierte Spiele mit symmetrischen Startbedingungen weisen dieses Merkmal auf. Wird der Nachziehende in die Rolle des defensiven, reagierenden Spielers gedrängt, weil der Anziehende weitegehend über die Spielkontrolle verfügt, so wird sein Ziel nicht das Gewinnen sein, sondern das Erreichen eines Remis. Obwohl beide Spieler nahezu das gleiche Spiel spielen, so verfolgen sie doch zwei unterschiedliche Ziele. Damit unterscheiden sich auch ihre Spielweisen voneinander. Spieltiefe ist nicht nur in Strategiespielen vorzufinden. Reinen Glücksspielen haftet keinerlei Spieltiefe an. Doch bedeutet das nicht, dass das Vorliegen von imperfekter Information inkompatibel ist mit Spieltiefe: Ein Amateur mag Poker für ein reines Glücksspiel halten, doch offenbaren sich bei genauerem Hinsehen zahlreiche strategische Elemente.
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Backgammon ist trotz der Würfel hoch strategisch und lässt damit Spieltiefe und daraus resultierende unterschiedliche Expertisestufen 45 44 Nicht zuletzt befinden sich bei großen Pokerturnieren oft dieselben „Profis“ in den Endrunden. Der Spielerfolg ist also nicht in erster Linie vom Glück abhängig. 45 Eine völlig eindeutige Zuordnung eines menschlichen Spielers zu einer Stufe ist dabei jedoch nicht möglich, da auch in reinen Strategiespielen ein, wenn auch recht kleiner, 119
erkennen. Auf der anderen Seite impliziert auch ein reines Strategiespiel nicht automatisch Spieltiefe. In diese Gruppe fällt beispielsweise das simple Tic‐Tac‐Toe. Notwendig ist vielmehr, dass keine dominanten Strategien vorliegen beziehungsweise diese nicht bekannt sind. Spieltiefe ist damit wesentlich mit Komplexität gleichzusetzen. Klarheit (Clarity) bedeutet, dass ein gewöhnlicher menschlicher Spieler ohne einen übermäßigen Zeitaufwand 46 dazu in der Lage sein muss, in einer Spielsituation zu entscheiden, welcher Zug die beste Alternative darstellt. Steht dem Spieler beispielsweise ein Zug zur Verfügung, der ihn sofort gewinnen lässt, so sollte er diesen problemlos finden. Viele Schachprobleme bauen auf dieser Problematik auf, da sie versuchen die Intuition des Spielers in die Irre zu führen. Anders als in Bezug auf die Spieltiefe besitzen dominante Entscheidungsoptionen hier einen positiven Einfluss. Denn je dominanter eine Entscheidungsoption ist, desto klarer ist sie auch. Bezeichnet man im Allgemeinen ein Spiel als einfach, so ist das der hohen Klarheit zu verdanken – es ist also nicht schwer, die richtige Entscheidung zu treffen. Die Schwierigkeit beruht hier darüber zu entscheiden, ob ein Spiel wirklich undurchsichtig ist, oder ob es lediglich an der Expertise der Spielers mangelt. Auch hier ist das Spannungsverhältnis offensichtlich: Ist in jeder möglichen Spielsituation eindeutig entscheidbar was der beste Zug ist, so besitzt das Spiel ein hohes Maß an Klarheit, allerdings nur ein geringes an Spieltiefe. Besitzt ein Spiel im Gegenzug überaus viel Spieltiefe, so kann nur schwer in einer Situation über den besten Zug entschieden werden. Glücksfaktor vorhanden ist, da ein Vorkommen von Fehlern und Irrtümern nicht ausgeschlossen werden kann. 46 Das heißt auch, er darf seine Wahl nicht mithilfe eines Taschenrechners treffen. 120
20.2 Dominanz und Klarheit – Unterforderung Eine dominante Entscheidungsoption liegt vor, wenn der Wert einer Entscheidung den seiner Alternativen übertrifft. Das ist ein objektives Kriterium. Eine eindeutig (und damit subjektiv) dominante Entscheidungssituation liegt vor, wenn der Spieler dies auch erkennt. Hierbei handelt es sich um ein subjektives Kriterium. Ob dominante Optionen auch eindeutig sind, ist abhängig von der Expertisestufe des Spielers. Befindet sich ein Spieler auf der höchsten Stufe, so korrelieren für ihn Klarheit und Dominanz dauerhaft. Dadurch lässt sich der (subjektive) Dominanzbegriff (wie von Schell (dominant strategy) und Fuller (obvious decision) angedeutet) präzisieren: Eine subjektiv dominante Entscheidungssituation liegt vor, wenn bei der Expertisestufe des Spielers für ihn absolute Klarheit vorliegt. Dies bedeutet, dass er in einer Situation in der Lage ist, sämtliche Entscheidungsoptionen hierarchisch zu ordnen oder er zumindest die werthöchste bestimmen kann. Bei einer Erhöhung der Spieltiefe ist dies nichtmehr der Fall, solange er sich auf der gleichen Expertisestufe befindet. Das Problem ist damit nicht das Vorhandensein dominanter Entscheidungsoptionen. Problematisch wird es nur, wenn dies auf Grund mangelnder Spieltiefe zu einfach erkennbar ist respektive die Expertisestufe des Spielers entsprechend ausgeprägt ist. Je bewanderter ein Spieler, desto eher erkennt er auch dominante Entscheidungsoptionen. Wo der Laie nicht bestimmen kann, welche Aktion die zielführendste ist, ist dies für den Experten offensichtlich. Liegen nur eindeutige Entscheidungssituationen vor, so sind die Entscheidungen nicht mehr interessant, da keinerlei Ungewissheit bezüglich der Konsequenzen des Verhaltens mehr vorhanden ist. Die Folge ist Langeweile, der Spieler ist unterfordert. 121
20.3 Unbedeutsamkeit und Spieltiefe – Überforderung Unbedeutsam sind Entscheidungssituationen, sollte der Wert sämtlicher Optionen nahezu gleich sein. Allerdings können auch Situationen auftreten, in denen der Spieler die Werte in keiner Weise bestimmen kann, sie also nicht zu hierarchisieren sind. Das ist bei einem besonders hohen Maß an Spieltiefe der Fall. Besitzt ein Spiel wenig Tiefe, so sind Entscheidungssituationen dadurch gekennzeichnet, dass sich die richtige Entscheidung einfach treffen lässt: Es ist sofort augenscheinlich, welche Option den höchsten Wert besitzt. Je mehr Tiefe einem Spiel dagegen innewohnt, desto näher scheinen die Werte aller Entscheidungsoptionen bei einander zu liegen. Hier bedarf es einem überaus hohen Maß an Expertise, um eine Option von ihren schlechteren Alternativen abgrenzen zu können. Besitzt ein Spieler diese Expertise nicht, desto weniger sind die Entscheidungsoptionen für ihn hierarchisierbar. Die Wahl wird letztendlich für ihn zu einer Glücksfrage, da er überfordert ist. 20.4 Zwischen Angst und Langeweile – Der Flow‐Effekt Die Wahrung der Balance zwischen Über‐ und Unterforderung ist der Kern des Flow‐Effektes. Der Psychologe Csikszentmihalyi entwickelte die Flow‐Theorie ursprünglich mit Blick auf die Motivation der Ausübung von Risikosportarten wie etwa dem Klettern. In weiteren Untersuchungen verallgemeinerte er diese Theorie und übertrug diese auf zahlreiche andere Aktivitäten, die keinerlei extrinsisches Belohnungsprinzip aufwiesen (das heißt, weder materielle Güter wie Geld noch idealistische wie Anerkennung). Sprich: Warum sollte ein Mensch einer Tätigkeit 122
nachgehen, für die es zunächst keinen rationalen Grund zu geben scheint? Die simple Antwort: Weil es Freude bereitet. Genau das beschreibt der Flow‐Effekt: „In der Schwebe zwischen Langeweile und Angst ist das autotelische Erleben eines des völligen Aufgehens des Handelnden in seiner Aktivität. Die Aktivität bietet laufend Herausforderungen. Es bleibt keine Zeit für Langeweile oder für Sorgen darüber, was möglicherweise eintreffen wird. In einer solchen Situation kann eine Person die jeweils nötigen Fähigkeiten voll ausschöpfen und sie erhält dabei klare Rückmeldungen auf ihre Handlungen.“ (Csikszentmihalyi 2008, 58) Was hier als Schwebe zwischen Angst und Langeweile beschrieben wird, ist nichts anderes als eine Konsequenz der stetigen Balance zwischen Unter‐ und Überforderung. Damit muss ein Spiel zwangsläufig ein hohes Maß an Spieltiefe besitzen oder den Herausforderungsgrad der Spielerexpertise anpassen. Doch nicht nur das Spiel muss diese Qualität besitzen. Auch der Spieler muss sich auf der richtigen Ebene dieses Spiels befinden, d.h., sein Gegenüber muss sich auf einer ähnlichen Expertisestufe befinden wie er. Verfügt ein Spieler über eine dominante Strategie, so wird auf Grund der mangelnden Herausforderung der Flow‐
Effekt unterbunden. Der wichtigste Unterschied zur Spannung als Qualität besteht in der Involviertheit des Spielers. Während man Drama als reiner Betrachter wahrnehmen kann, ist Flow zwangsläufig an die aktive Spielteilnahme gekoppelt. Die Herausforderung kann sowohl physischer als auch psychischer Natur sein und ist somit nicht an klassische Spiele gebunden. Wesentlich ist jedoch die Kontrollfähigkeit über eine spezifische Situation. Flow ist damit subjektiv und dynamisch. Subjektiv deswegen, da das Vorhandensein von Interessen und spezifischen Fähigkeiten von Mensch zu Mensch 123
unterschiedlich ist. Dynamisch ist es, da die Ausbildung von Fähigkeiten einer positiven Rückkopplung unterworfen ist: Durch das Trainieren einer Tätigkeit steigert sich die Expertise, woraufhin wieder Tätigkeiten des gleichen Typs auf einem höheren Level ausgeführt werden können. Befindet man sich dauerhaft in diesem dynamischen Zustand, so ist der Flow‐Effekt potentiell gewährleistet. Abbildung 23: Die Stadien des Flow‐Zustandes Zu Beginn passt die Herausforderung zu den eigenen Fähigkeiten[1], die jedoch mit der kontinuierlichen Ausübung wachsen. Langeweile stellt sich ein [2], bis der Grad der Herausforderung wieder angehoben wird. Ist die Herausforderung jedoch zu groß, also der Anstieg zu rapide, kommt es zur Überforderung oder gar Angst vor der Tätigkeit [3]. Durch weiteres Training oder Anpassung des Schwierigkeitsgrades kann der Flow‐
Zustand jedoch wieder hergestellt werden [4]. Im Untersuchungsbereich Csikszentmihalyis befand sich auch ein klassisches Spiel: Schach. Es stellte sich heraus, dass Schachspielen in vielen Situationen prototypisch für das Flow‐Erleben ist: 124
„Der Zeitraum ist wie aufgehoben: ‚Gewöhnlich fragt jemand: »Wollen Sie spielen?«, und als nächstes merke ich dann, dass seither wieder viele Stunden vergangen sind.‘“ (ibid. 94) Dieses Phänomen ist charakteristisch für das Flow‐Erlebnis. Durch die ausgeprägte Involviertheit verändert sich das Zeitgefühl – oder wird völlig aufgehoben. Gleichzeitig betont Csikszentmihalyi die Notwendigkeit einer adäquaten Herausforderung. Das macht eine hohe Spieltiefe unabdingbar: „Während ich einen viel schwächeren Spieler auf dem Spielbrett festnagle, denke ich vielleicht an die Ereignisse des Tages. Bei einem guten Spieler überlege ich alternative Spielmöglichkeiten – nichts anderes.“ (ibid. 95) Flow kann nur aufrechterhalten werden, wenn die Fähigkeiten des Gegners den eigenen entsprechen und damit eine Herausforderung besteht. Die Herausforderung erzwingt ein hohes Maß an Konzentration, um das Spiel bewältigen zu können. Durch die fortwährende Konzentration verschmelzen Handeln und Bewusstsein regelrecht und widmen sich ganz einer bestimmten Aufgabe, die Aufmerksamkeit zentriert sich ganz und gar auf einen bestimmten Stimulus: „Im Falle von Spielen definieren die Regeln die relevanten Stimuli und schließen alles andere als irrelevant aus.“ (ibid. 65) Damit erfasst man interessanter Weise wieder das Konzept des Spielraumes beziehungsweise des Magic Circles auf eine besondere Weise: Demnach ist nur das relevant für das Flow‐
Erleben, was sich innerhalb des Magic Circle befindet. Eine abschließende Frage ist nun, wie mit Hilfe der modernen Theorien von Flow und Spannung die Eingangs diskutierten Konzepte von Huizinga, Caillois und Suits gelesen werden können. 125
21 Classics Revisited Das Flow‐Konzept ist integraler Bestandteil vieler moderner, gerade auch auf Videospiele bezogener Ansätze. Konzeptionen von Spannung sind ebenfalls Bestandteil zahlreicher neuzeitlicher Ansätze. Doch wie lassen sich mit Hilfe der Flow‐ und Spannungskonzeption Huizinga, Caillois und Suits lesen? Lässt sich Huizingas Spielverständnis nun anders deuten? Hilfreich ist hierfür ein erneuter Blick auf seine Definition: „Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des Anderssein als das gewöhnliche Leben.“ (Huizinga 2006, 37; eigene Hervorhebungen) Huizinga deutet Spannung primär als Ungewissheit. Ungewissheit alleine schließt jedoch noch keine Beliebigkeit der Narration im Sinne eines Deus ex machina aus. Dies erfolgt erst durch die hier beschriebene Endgültigkeit der dramatischen Spannung. Diese kann daher als eine qualitativ hoch ausgeprägte Unsicherheit angesehen werden. Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob ich mein Vermögen auf die richtige Zahl gesetzt habe oder ob ich innerhalb eines Spielverlaufes die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Nach Huizinga ist beides spannend, doch nur für letzteres ist tendenziell Drama vorhanden. Weitaus komplexer gestaltet sich die Analyse von Freude. Freude ist eng verknüpft mit der Spielmotivation einzelner Spielteilnehmer und überaus heterogen ausgeprägt. Schon Caillois‘ vier Spieltypen sprechen hier eine deutliche Sprache: Den Grund zu spielen gibt es nicht.47 Freude 47 Für einen umfassenden Überblick zur Spielmotivation, siehe Järvinen 2008, Kapitel 126
kann daher als ein Sammelsurium verschiedener Spielmotivationen verstanden werden. Das Flow‐Konzept pointiert das vielen Spielmotivationen Gemeinsame: „Als die am ehesten vergleichbaren Aktivitäten wurden Wettbewerbssportarten, künstlerische Tätigkeiten wie Malen und Musizieren, das Erforschen neuer Probleme, Bridge, und ‚Armee oder Politik’ genannt.“ (Csikszentmihalyi 2008, 96) Zunächst mutet es merkwürdig an, Malerei oder Wissenschaft dem Schachspielen gleichsetzen zu wollen. Aus einer huizanga‘schen Warte betrachtet sind all das jedoch kulturelle Bereiche ludischen Ursprungs. Aus seiner kulturtheoretischen Sicht haften Wissenschaft, Politik, Kunst und Krieg damit ebenfalls spielerische Züge an: „In Mythus und Kult aber haben die großen Triebkräfte des Kulturlebens ihren Ursprung: Recht und Ordnung, Verkehr, Erwerb, Handwerk, und Kunst, Dichtung, Gelehrsamkeit und Wissenschaft. Auch diese wurzeln somit sämtlich im Boden des spielerischen Handelns.“ (Huizinga 2006, 13) Csikszentmihalyis Flow‐Konzept besitzt damit eine sehr starke Erklärungskraft bezüglich der Spielmotivation. Oft wird diese nur mit „intrinsisch“ oder „zweckfrei“ umschrieben, zwei überaus unscharfen Begriffen. Flow hingegen kann durch Rückgriff auf psychologische Konzepte präzisiert und sogar mit biologischen messbar gemacht werden.48 Flow ist weder hinreichend noch notwendig, um die Faszination des Spielens in all seinen Facetten zu erklären, doch handelt es sich zweifelsohne um ein Qualitätsmerkmal erster Güte, dessen formale Basis (im Sinne der Spieltiefe und Dominanz sowie Klarheit und drei. 48 „Das günstigenfalls in ‚Flow’ gipfelnde ‚Prinzip optimaler Anpassung’ lässt sich mit Hilfe von HRV‐Messungen quantitativ erfassen und beschreiben. HRV‐Messungen liefern eine biologische (und zugleich messbare!) Bezugsgröße für ‚Stresstoleranz’ bzw. Funktionstüchtigkeit.“ (Mück & Mück‐Weymann 2007) 127
Unbedeutsamkeit) erst im Verbund mit psychologischen und biologischen Aspekten seine volle Bedeutung erhält. Das Verhältnis des caillois’schen Konzeptes von agôn und dem Flow‐Konzept diskutiert Bateman (2006b). Mit Blick auf den Flow‐
Channel unterteilt er agôn in easy agôn, true agôn und hard agôn und trägt damit ebenfalls den unterschiedlichen Anforderungen seitens der Spieler Rechnung: „The fact that different players desire to be in a different place with respect to the degree of challenge connects notably with the model of Flow. The flow channel […], where abilities and challenge are equal, is an area, not a line.” (ibid.) Hard agôn verlangt dem Spieler alles ab, bereits ein kleiner Fehler kann spielentscheidend sein. Hier befindet sich der Spieler am oberen Rand des Kanals. Dies wird auch als Cutting Edge bezeichnet, da sich der Spieler hier am Rand des theoretisch machbaren Limits befindet. Aus einer weiteren Erhöhung des Schwierigkeitsgrades resultiert eine Unerreichbarkeit des Spielziels. Easy agôn hingegen verzeiht den einen oder anderen Fehler. Der Spieler befindet sich am unteren Rand. Wenn in einem Multiplayer Game Spieler unterschiedlicher Expertisestufen gegeneinander antreten, so ist es für einen Spieler hard agôn während es für den anderen easy agôn darstellt. Wird das Spiel mittels Handicap angeglichen, ist das Spiel für beide hingegen wieder true agôn. Ebenso liegt es nahe, das caillois’sche Verständnis von Ilinx mit Hilfe der Flow‐Konzeption zu präzisieren. Zwar ist unter Schwindel noch mehr zu verstehen als Flow, beispielsweise wie im paidiaischen Kinderspiel, doch kann Schwindel 49 im Sinne von Flow auch durch 49 Hier gibt es erneut sprachliche Schwierigkeiten was die Übersetzung anbelangt. Während Caillois selber von Ilinx redet und im Französischen schrieb, wird im Englischen der Begriff Vertigo gebraucht. Dieser wiederrum ist zumeist als Schwindel 128
kognitive Tätigkeiten entstehen, wie Csikszentmihalyi recht eindeutig aufgezeigt hat. Ob Caillois jedoch schon intuitiv den Kerngedanken des Flow‐Konzeptes im Hinterkopf hatte, darüber kann maximal spekuliert werden. Weiterhin erklären Flow und Spannung die Verschiebung von Paidia zu Ludus. Spannung setzt zum einen voraus, dass eine Art Evaluationsfunktion existiert, die den aktuellen Spielstand ermittelt. Es muss feststellbar sein, welcher Spieler dem Ziel am nähesten ist. Gibt es allerdings kein klar definiertes Ziel und keine klar definierten Regeln, so ist das nicht möglich. Es ist nicht sonderlich spannend sich wahllos einen Ball hin und her zu werfen. Spannung kann erst dann entstehen, wenn sich die Spieler auf ein zu erreichendes Ziel und die erlaubten Mittel einigen: Ein Spiel im engeren Sinne wird konstituiert. Ähnliches gilt für den Flow. Denn wo, um im Sinne Suits zu sprechen, keinerlei Hindernisse oder Hürden vorhanden sind, dort besteht auch keinerlei Schwierigkeit ein spezifisches Ziel zu erreichen. Auch nach ihm ist der passende Grad der Herausforderung eine essentielle Qualität eines jeden Spiels: „It seems to be the case that the lines drawn in games are not really arbitrary at all. For both that the lines are drawn und also where they are drawn have important consequences not only for the type, but also for the quality of the game to be played. It might be said that drawing such lines skillfully (and therefore not arbitrarily) is the very essence of the gamewright’s craft. The gamewright must avoid two extremes. If he draws his lines too loosely, the game will be dull because winning will be too easy. As looseness is increased to the point of utter laxity the game simply falls apart, since there are then no rules proscribing available means […] On the other hand, rules are lines that can be drawn too tightly, so that the game becomes too difficult. And if a line is drawn very tightly indeed the game is squeezed out of existence.” (Suits 2005, 44f) ins Deutsche übersetzt worden, doch liegt es nahe diesem im vorliegenden Kontext ebenfalls als Rausch zu deuten. 129
Die für den Flow‐Effekt notwendige Herausforderung entsteht erst das Aufstellen von Regeln für Hindernisse und Zielsetzung. Der suits’sche Bergsteiger
50
erhält seine Herausforderung, und damit sein Flow‐
Potential, durch das Aufstellen der Regel: Erreiche die Spitze des Berges, aber allein und ohne jegliche technische Hilfsgeräte. 22 Ist Balance alles? Rein technisch betrachtet bilden die diskutierten Balanceprinzipien das Fundament guter Spiele. Dies liegt zum einen an der enormen Ambiguität des Begriffs – es kann nicht von dem Balanceprinzip gesprochen werden. Alleine schon die Ausdifferenzierung in formale und qualitative Balance zeigt, dass sich hinter dem Begriff zwei völlig unterschiedliche Bedeutungen verbergen. So ist bei einem fairen Spiel noch lange nicht von einem guten Spiel die Rede. Ein Münzwurf oder Stein‐Schere‐Papier unterliegen einer perfekten formalen Balance, verzeichnen jedoch weder Spannungs‐ noch Flow‐Potential. Zumindest nicht für einen erwachsenen Spieler. Ein gutes Spiel muss ebenso wenig ein faires Spiel sein. Erinnert sei hier nur an das Handicap, das gerade zu Gunsten der Spannung dem Spiel seine inhärente Fairness nimmt.51 Das gilt ebenso für den Flow‐Effekt, der in einem fairen Spiel zwischen Spielern unterschiedlicher Expertisestufen nicht auftreten kann. Das Gleiche gilt für Alea, die Agôn trotzen kann um ein Spiel spannend gestalten zu können. 50 Es mag ein amüsanter Zufall sein, doch illustriert Suits seine Konzeption des Spiels primär anhand eines Bergsteigers, gleichzeitig entwarf Csikszentmihalyi sein ursprüngliches Flow‐Konzept ebenfalls anhand dieses Beispiels. 51 Hier wird Fairness in einem anderen Verständnis wiederhergestellt. Vielmehr wird hier versucht eine Partie Expertise sensitiv fair zu gestalten, wodurch sich wieder potentiell Drama entwickeln kann, da sich Spiel und Spieler in der Summe wieder in Balance befinden. Damit befindet sich ein Spiel in Spieler‐Balance. 130
Letzten Endes bedeutet Balance auch nicht mehr und nicht weniger, als dass alles in gutem Maße vorhanden sein sollte. So wie Mesotes als eine vorbildliche Lebensform beschrieben werden kann, so entspringt auch ein gutes Spiel einer mittleren Spielform. Doch ist es nicht gerade auch das Gegensätzliche, was Spiel und Leben ihren Reiz verleiht? 131
Desiderata A game may be as integral to a culture, as true an object of aesthetic appreciation, as admirable a product of human creativity as a folk art or a style of music; and, as such, it is quite as worthy of study – Michael Dummet Die vorliegende Arbeit kann in vielerlei Hinsicht als ein Gewaltmarsch beschrieben werden. Das liegt nicht zuletzt an der diffusen Forschungsfrage, was denn eigentlich Spielregeln seien und wofür sie genau gut sind. Es wurde bewusst darauf verzichtet, sich einem Forschungsfeld (im Sinne einer Disziplin) sowie einer präzisen Forschungsfrage von vornherein zu verschreiben. Daraus resultierten gleichermaßen Probleme und Chancen. Das Fehlen eines Fokus bringt Vor‐ und Nachteile mit sich. Die Besonderheiten machen sich in der verwendeten Literatur bemerkbar. So wurde hier auf viel zurückgegriffen, was in den Bereich der klassischen Spielforschung (Huizinga, Caillois, Suits) fällt. Gleichzeitig wurde mit zeitgenössischer Literatur im Bereich des Gamedesign gearbeitet (Salen & Zimmerman, Schell, Spieltheoretiker (Juul, Björk & Järvinen, Holopainen) Costikyan, und postmoderne LeBlanc) wurden herangezogen. Es gab philosophisch Motivierte (Siegwart, Iorio), Psychologen (Csíkszentmihályi) und Mathematiker (von Neumann, Bewersdorff) sowie Historiker (Parlett), die mit ihren Ergebnissen maßgeblich zu dieser Arbeit beitrugen. Dazu waren es oft die kleinen und unschillernden Beiträge wie etwa der von Thompson, mit deren Hilfe scheinbar unüberwindbare Probleme auf einmal bearbeitet werden konnten. Es mag ein Sammelsurium scheinbar unvereinbarer Theorien 132
darstellen, doch tatsächlich wurde deutlich, dass hier ein Hammer alleine noch kein Haus baut. Dass hier zudem auf eine präzise Forschungsfrage verzichtet wurde und die Arbeit eher dazu tendiert als explorativ ausgelegte systematische Abhandlung zu gelten ist damit zu begründen, dass es erst einmal zu ergründen gilt, welche, um in der Metapher zu sprechen, Werkzeuge überhaupt benötigt werden um ein gutes Haus zu bauen. Dass ein anfänglicher mangelnder Fokus durchaus fruchtbar sein kann, zeigte sich in dieser Arbeit insbesondere daran, dass sich die substantiellen Balance‐
Prinzipien erst im Laufe des ersten und zweiten Teils herauskristallisierten. Mit einer von Anfang an klaren Forschungsfrage wäre deren Wichtigkeit höchstwahrscheinlich verborgen geblieben. Als negative Randerscheinung, das muss der Autor offen zugeben, wurden insbesondere in der Mitte der Arbeit mehr Themen behandelt, als am Schluss tatsächlich benötigt wurden. In dieser Arbeit ist sichtbar geworden, dass noch etliche interdisziplinäre Brücken zwischen den einzelnen Bereichen zu schlagen sind. Verwiesen sei hier nur auf die Kluft zwischen philosophischer Begriffsexplikation und schöpferischem Gamedesign. Bisher rar sind Untersuchungen, die sich aus einer philosophischen Perspektive dem Spielbegriff annehmen. Bei Siegwart und Iorio wirkt das Spiel lediglich als eine Randerscheinung, die man „mal eben mitnimmt“, aber der man keinen eigenen Stellenwert einräumt. Dafür mag es gute Gründe geben, doch haben die vorliegenden Untersuchungen gezeigt, dass auch aus regelzentrierter Sicht die Spielanalyse fruchtbar sein kann. Der Bereich des Gamedesigns gebraucht den Regelbegriff ebenso inflationär wie der Philosophiebereich den Spielbegriff benutzt. Dies soll bei Weitem nicht bedeuten, dass man sich hierbei nicht um den Wesenskern des Spielkonzeptes schert, doch ein Blick auf die Game‐
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Design‐Bibel Rules of Play (Salen & Zimmerman 2004) zeigt, dass der Regelbegriff enorm überdehnt wird. Begriffsklärung ist bis auf wenige Ausnahmen (Björk & Holopainen 2005), wenn überhaupt, nur am Rande betrieben worden. Insgesamt muss großen Teilen der Forschung leider attestiert werden, dass Begriffe zu oft induktiv über Beispiele aufgebaut werden und damit weniger systematisch. Als Beispiel sei hier der Begriff der dominanten Strategie genannt. Auf der einen Seite wird höchstens auf intuitiver Basis geklärt, was unter dem Term zu verstehen ist. Auf der anderen Seite wird der Begriff wie bei von Neumann hochgradig formal und weniger fassbar gebraucht. Ähnliche Bedenken ergeben sich bei der Differenzierung zwischen dem Strategie‐ und dem Taktikbegriff (der hier nicht erwähnt wurde aber dem Autor häufig aufgefallen ist). Beide Begriffe werden synonym gebraucht (vgl. Kampmeyer‐Käding 2005) oder werden unterschiedlich verwendet, aber ohne sie im Ansatz auszudifferenzieren (vgl. Kramer 2010, 373). Sie sind nur vage voneinander abzugrenzen (häufig wird eine Taktik als kurzfristig angelegter und eine Strategie als langfristiger Plan angesehen) oder sind nur technisch, aber in keinster Weise intuitiv, voneinander unterscheidbar (vgl. Neto 2010). Dies ist ein Paradebeispiel dafür, dass Begriffsexplikation entweder auf einer rein intuitiven Basis geschieht (und damit unpräzise ist) oder auf einer rein formalen Ebene stattfindet (und dann intuitiv nur schwer fassbar ist). Hier gilt es intuitive und formale Konzepte insgesamt näher zusammen zu rücken. Die deutsche Forschung ist dahingehend trostlos, als dass sie ihre eigenen Qualitäten nicht erkennt. Gerade in Bezug auf die hier untersuchten klassischen Spiele ist Deutschland international anerkannt. So stellt der deutsche Spielepreis weltweit die höchste Anerkennung dar, die ein Spiel erhalten kann. Im angelsächsischen Raum ist der Begriff des german board 134
game fest verankert und spricht für eine weltweit anerkannte Qualität. In vielen der hier gebrauchten State‐of‐the‐art‐Büchern des Gamedesigns finden diese Spiele Erwähnung. Die Spiele von deutschen Autoren wie Knizia, Teuber oder Kramer sind international hoch angesehen und verkaufen sich millionenfach, doch kann bisweilen lediglich mit wirtschaftlichen Daten deren Qualität bestätigt werden. Es fehlen qualitative Analysen. Während sich im nicht weit entfernten Kopenhagen einer der wenigen globalen Think‐Tanks der Spieleforschung befindet, das Center for Computer Games Research, ist die deutsche Forschung dahingehend nachwievor äußerst reserviert. Nicht zuletzt liegt dies auch am medial vermittelten Dogma, (Computer‐)Spiele lediglich auf ihr Gewalt‐ und Abhängigkeitspotential zu reduzieren. Dadurch kann auch erklärt sich auch, dass kaum deutschsprachige Literatur, weder verfasst noch übersetzt, in diesem Bereich existiert. Es herrscht ein eindeutiger Mangel an offenem und aufgeschlossenem Interesse. Weiterhin können aus Sicht des Autors einige weitere Wünsche für folgende Untersuchungen abgeleitet werden. Zum einen betrifft das die weiteren Regeltypen beziehungsweise deren Kategorisierung. Es gibt eine Vielzahl von Spielregeln. Doch wurde deren Varietät hier nicht annähernd erfasst. Exemplarisch seien hier Sanktionsregeln, Verwendungsregeln und Interpretationsregeln genannt, die keinen Weg in diese Arbeit fanden. Bezüglich der hier diskutierten Balanceprinzipien sollten einige Konzepte noch genauer untersucht werden. Eine große Schwierigkeit bestand darin, dass hier Literatur behandelt wurde, die zum einen weitgehend distinkt voneinander argumentiert, und dies zum anderen nicht sonderlich ausführlich tut. Daraus resultierte eine uneinheitliche Terminologie, die nur zum Teil vereinheitlicht werden konnte. Hier gilt es die zentralen Begriffe wie beispielsweise Dominanz, Unsicherheit, 135
Spieltiefe, Expertise, Herausforderung oder Spannung weiter zu präzisieren und auf Relationen untereinander hin zu analysieren. Offen bleibt die Frage nach weiteren Meta‐Regeln, beispielsweise: Wie sollten Regelwerke beschaffen sein? Mit Herausforderung und Spannung konnten grob Konzepte umrissen werden, die als solche Meta‐
Regeln verstanden werden können. Dass damit nicht die Gesamtheit der Faszination des Spiels Rechnung getragen wurde ist klar. An dieser Stelle gilt es mehr Konzeptionen herauszuarbeiten, die die Faszination des Spiels erklären. Hier wird man sich unweigerlich von der formalen Ebene lösen müssen, denn Menschen spielen Spiele aus völlig unterschiedlichen Gründen, was primär an Hand deren Zieldefinition und regeltreuem Verhalten sichtbar wird. Als Spielertypen lassen sich beispielsweise Spoiler, Cheater, Socialiser, Achiever oder auch Explorer ausmachen (vgl. Parlett 2005). Interessant bei dieser Ausdifferenzierung ist die Tatsache, dass deren Motivationen bezüglich der Spielteilnahme zum Teil nicht mehr mit den Konzepten von Spannung und Flow zu erklären sind. Sowohl Caillois, Suits und Parlett deuteten die Unterscheidung schon an, doch bedarf es zur weiteren Ausarbeitung neuere Untersuchungen wie sie etwa bei Järvinen (2008) zu finden sind. Ebenso als Meta‐Regeln können solche verstanden werden, die syntaktische Anforderungen an Regelwerke stellen. Spielregeln sollten, ebenso wie andere Regeln, Konsistenz und Eindeutigkeit aufweisen. Beides ist leider nicht immer der Fall. Das lässt sich insbesondere bei Spielen beobachten, die sich mit Regelheften zu beschreiben versuchen. Es wird immer unterstellt, dass Regelformulierungen eindeutig und konsistent sind, doch ist das keineswegs so selbstverständlich.52 Wie verfährt man also mit inkonsistenten oder uneindeutigen Regelwerken? 52 Gerade deshalb existiert sogar ein deutscher Preis für das verständlichste Regelheft – die Essener Feder. 136
Hier ist es lohnend, Disziplinen zu Rate zu ziehen, die sich traditionell mit Regeln befassen – etwa die Jurisprudenz oder auch die Ethik. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass Regelwidersprüche und ‐unklarheiten in Spielen nach den gleichen Prinzipien behandelt werden wie auch in der Rechts‐ oder der Sittenlehre. Solche Anforderungen wurden bereits von Salen (Salen & Zimmerman 2004, 122) formuliert, allerdings nicht weiter ausgearbeitet. Auch hier gibt es von analytischer Seite viel zu tun, möchte man Regelwerke besser verstehen – und in einem zweiten Schritt bessere Regelwerke schaffen. An vielen Stellen der Arbeit dominierte dieses Spiel, wenn es darum ging, verschiedene Konzepte zu diskutieren. Liegt es daran, dass es einfach das einzige Spiel ist, das derartige Qualitäten mit sich bringt? Die Antwort ist ein klares Nein! Nichtsdestotrotz gibt es Gründe, warum an Schach als Illustration kaum ein Weg vorbeiführt: Kaum ein anderes Spiel ist wissenschaftlich derartig gut untersucht. Allerdings weist ein spielanalytischer Ansatz über Schach und sogar klassische Spiele hinaus: So blieb die Flow‐Theorie lange Zeit unbeachtet und wurde erst in Bezug auf Videospiele „berühmt“. Denn gerade in Bezug auf solche Spiele ist sie äußerst wertvoll. Kaum eine Untersuchung, die sich der Faszination der Computerspiele verschrieben hat, kommt ohne Rekurs auf den Flow‐Effekt aus. Mit dem Fokus auf klassische Spiele wurde bewusst auf eine Untersuchung von Videospielen verzichtet. Einige brauchen sich jedoch in keiner Beziehung vor dem Spiel der Könige zu verstecken. Rein kompetitive Videospiele verkaufen sich inzwischen millionenfach, kosten in der Entwicklung dreistellige Millionenbeträge und durchlaufen einen jahrelangen hochgradig komplexen Balancingprozess. Der Begriff 137
„Schach“ ist in Bezug auf den dritten Teil nahezu komplett durch „Starcraft“ substituierbar. 53 Die von Thompson eingeführten Balance‐
Prinzipien und die darauf aufbauenden Drama‐ und Flow‐Theorien sind geradezu universell gültig. Denn die Gründe, warum zwei Spiele, die unterschiedlicher nicht sein könnten, derart populär (für Spieler wie Zuschauer) sind, bleiben dieselben. Hier kommen allerdings immense Unterschiede in der kulturellen Aufladung zum Tragen: Während Schach als weltweit allgemein anerkannt gilt, fristen Videospiele hierzulande immer noch ein Schattendasein, was deren Akzeptanz anbelangt. In den asiatischen Ländern hingegen übertragen Fernsehsender Partien, professionelle Spieler können von ihren Spielen leben und die Protagonisten gleichen Filmstars. Nicht ganz ernsthaft aber dennoch treffend beschreibt Hamann dieses Videospiel: „[E]in strategisches Computerspiel ‐ sozusagen wie Schach, nur schneller und mit Explosionen.“ (Hamann 2010) Mit dem Blick auf die diskutierten Balance‐Prinzipien muss Schach eine annähernde Perfektion attestiert werden. Würde Schach heute erfunden werden – man müsste davon ausgehen, dass sich globale Think‐
Tanks jahrelang mit der Frage nach dem perfekten Spiel auseinander gesetzt haben, um schlussendlich eben dieses Spiel zum Leben zu erwecken. Daher ist es schon fast etwas Mystisches, was dieses Spiel umgibt: „There must have been a time when men were demigods or they could not have invented chess. Could it indeed have been invented? I am almost tempted to believe that chess is a discovered fragment of inexhaustible, ever‐creative nature.“ (Schenk, zitiert nach Reider 1971, 441) 53 Der Autor muss sogar zugeben, dass er den dritten Teil der Arbeit eigentlich mit Blick auf Starcraft verfasst hat und letzten Endes nur glücklich darüber war, dass auch zahlreiche klassische Spiele existieren, die über die diskutierten Eigenschaften verfügen und zur Illustration herangezogen werden konnten. 138
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Abbildungsverzeichnis [1] Salen & Zimmerman 2004, 102. [2] Caillois 2001, 36. [3] Eigene Erstellung. [4]‐[6] Kramer 2010, 347f. [7] http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/91/Backgammon.jpg. [8]‐[9] Eigene Erstellung. [10] Schell 2008, 139. [11]‐[12] Eigene Erstellung. [13] http://www.mastersgames.com/images/board/fox‐geese.jpg. [14] http://images.ravensburger.de/images/produktseiten/normal_q/26117_2.jpg. [15] http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/d/d7/Chess_pdl44.png/26px‐
Chess_pdl44.png. [16] http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/7c/ZHNEFA.jpg. [17] Eigene Erstellung. [18] http://cf.geekdo‐images.com/images/pic555932_md.jpg. [19] http://ancientchess.com/graphics‐rules/dou_shou_qi_jungle_game‐board.jpg. [20] Parlett 1990, 167. [21] Schell 2008, 181. [22] http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/a/af/Freytags_pyramid.svg/800
px‐Freytags_pyramid.svg.png. [23] Salen & Zimmerman 2004, 351. 144
Selbständigkeitserklärung Hiermit erkläre ich, die vorliegende Arbeit selbständig und nur unter Verwendung der angegebenen Literatur und Hilfsmittel angefertigt zu haben. Von anderen Personen bereitgestellte Materialien oder erbrachte Dienstleistungen sind als solche gekennzeichnet. Leipzig, 4. Januar 2010 Kelvin Autenrieth Kontakt zum Autor: [email protected]
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