Schnittstelle Lehrer bildung und Schule im

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Schnittstelle Lehrer bildung und Schule im
journal für
lehrerInnenbildung
Schnittstelle Lehrer­
bildung und Schule im
internationalen Kontext
3/2008
8. Jahrgang
StudienVerlag
Innsbruck
Wien
Bozen
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21.07.2008 12:17:41 Uhr
Impressum
journal für lehrerinnen- und lehrerbildung
8. Jahrgang 2008
© 2008 by Studienverlag Innsbruck-Wien-Bozen
Layout: StudienVerlag
Druck: Theiss
Verlag: StudienVerlag, Erlerstraße 10, A-6020 ­Innsbruck;
Tel.: 0043/512/395045, Fax: 0043/512/395045-15;
e-mail: [email protected];
internet: www.studienverlag.at
Redaktion: Dr. Paul Resinger, Institut für Leh­rerInnen­bildung
und Schulforschung, Universität Innsbruck, Innrain 52,
A-6020 Innsbruck; e-mail: [email protected]
Rezensionen: Dr. Kerstin Rabenstein, Institut für Erziehungswissenschaft, TU Berlin, Franklinstraße 28/29,
D-10587 Berlin; e-mail: [email protected]
Bezugsbedingungen: journal für lehrerinnen- und lehrerbildung erscheint viermal jährlich.
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HerausgeberInnen:
Prof. Dr. Herbert Altrichter, Johannes-Kepler-Universität
Linz
Prof. Dr. Sigrid Blömeke, Humboldt Universität zu Berlin
Prof. Dr. Tina Hascher, Paris-Lodron-Universität Salzburg
Dr. Bernhard Hauser, Pädagogische Hochschule des Kantons St. Gallen
Dr. Monika Justus, Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, Abteilung Ausbildung, Hamburg
Prof. Dr. Johannes Mayr, Alpen-Adria-Universität Klagen­
furt
Prof. Dr. Michael Schratz, Leopold-Franzens-Universität
Innsbruck
Prof. Dr. Sibylle Rahm, Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Prof. Dr. Ursula Streckeisen, Pädagogische Hochschule Bern
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journal für lehrerinnen- und lehrerbildung
Die Themen 2006/2007/2008
Wissenschaftlicher und fachlicher Beirat:
• Standards hinterfragen 1/06
• Fachdidaktik! 2/06
• Schreiben: Kunst und Arbeitstechnik 3/06
• Vi(v)a Bologna 4/06
• Umgang mit Heterogenität lernen 1/07
• Auswahlverfahren in der Lehrerbildung 2/07
• Forschung fördern 3/07
• Gesundheit und Studium 4/07
• Bewerten und Prüfen 1/08
• Spiel und LB, Psychodrama, Rollenspiel 2/08
• Schnittstelle LB und Schule im intern. Kontext 3/08
• Aufgaben – Steueraufgaben 4/08
Prof. Dr. Erwin Beck, Pädagogische Hochschule Rorschach
Dipl. Päd. Dietlind Fischer, Comenius-Institut Münster
Prof. Dr. Ingrid Gogolin, Universität Hamburg
Prof. Dr. Marianne Horstkemper, Universität Potsdam
Prof. Dr. Barbara Koch-Priewe, Universität Dortmund
Prof. Dr. Regula Kyburz-Graber, Universität Zürich
Prof. Dr. Hilbert Meyer, Universität Oldenburg
Prof. Dr. Fritz Oser, Universität Fribourg
Prof. Dr. Ewald Terhart, Universität Münster
Prof. Dr. Josef Thonhauser, Universität Salzburg
Prof. Dr. Ilsedore Wieser, Universität Innsbruck
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Inhaltsverzeichnis
Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule
im internationalen Kontext
Michael Schratz/Ilse Schrittesser
Editorial
Stefan T. Hopmann
Lehrer/innenbildung in internationaler Perspektive
Anders Jakobsson
Gedankenschmieden –
Ein Dialog zwischen Klassenzimmer und Schulforschung
Marco Snoek
Lehrerausbildung:
Gemeinsame Verantwortung von Lehrerbildungsinstituten und Schulen
Marguerite Altet
Universitäre Lehrerausbildung in Frankreich: Kompetenzentwicklung in den IUFM
Binyan Xu
Hospitieren – Erläutern – Begutachten:
Förderung von Lehrer/innenprofession in China
Stichwort
Anne Sliwka
Professionalisierung durch Selbstregulierung:
Teaching Councils in Irland, Kanada und Australien
Methodenatelier
Ilse Schrittesser
Kooperationsschulen der Universität Wien
Rezensionen
Pinnwand
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THEMA
Schnittstelle Lehrer­
bildung und Schule im
internationalen Kontext
Redaktion:
Michael Schratz und
Ilse Schrittesser
Michael Schratz, Prof. Dr.,
Dekan der Fakultät für Bildungswissenschaften der
Universität Innsbruck, Institut für LehrerInnenbildung
und Schulforschung
Ilse Schrittesser, Ao. Univ.Prof. Dr., Vorständin des
Instituts für Bildungswissenschaft an der Universität
Wien. Arbeitsschwerpunkte:
Professionalisierungsforschung und Lehrerbildung,
Entwicklung der Hochschullehre, Lehr- und Lerntheorien
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Die Lehrer/innenbildung ist europaweit ins
Gerede gekommen. Im Kontext der Rede von
der Wissensgesellschaft wird mehr denn je
der Vermittlung von Wissen und Können an
die nachfolgenden Generationen ein zentraler
Stellenwert für gelingenden gesellschaftlichen
Fortbestand zugerechnet. Unumstritten in dieser Debatte ist, dass die Qualität der Lehrer/innenaus- und -weiterbildung ein wesentliches
Moment für Erfolg solcher Vermittlungsprozesse darstellt. Erfolgsfaktoren von Professionalisierung und Professionalisierungskontinuum
im Lehrerberuf stehen auf dem Prüfstand, und
zwar nicht mehr nur in nationalen, sondern
auch und vor allem in internationalen Kontexten. Insbesondere wird in vielen Ländern Europas überlegt, wie der Übergang von Ausbildung
zur Schulpraxis möglichst ohne Reibungsverluste gestaltet werden kann bzw. dieser Übergang
selbst zu einem fruchtbaren Faktor im Rahmen
der Aus- und Weiterbildung von Lehrer/innen
gemacht werden kann.
Der Thementeil des vorliegenden Heftes
wirft – vor diesem Hintergrund – ein Schlag-
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Schratz/Schrittesser: Editorial
licht auf internationale Tendenzen der Lehrer/innenbildung und dabei insbesondere auf
erfolgreiche Ansätze einer gewinnbringenden
Einbeziehung der Schulpraxis in die Aus- und
Weiterbildung von Lehrer/innen. Einleitend
spannt Stefan Hopmann den gedanklichen
Rahmen des Themas, indem er internationale Entwicklungen, Ausbildungsmodelle sowie
sich daraus ergebende Perspektiven und Problemfelder der Lehrer/innenbildung skizziert.
Anschließend werden erfolgreiche Ansätze der
Verschränkung von Ausbildung und Schulpraxis vorgestellt. So beschreibt Anders Jakobsson
die Einrichtung von so genannten Gedankenschmieden in Schweden, deren Ziel es ist,
lösungsorientierte Kooperationen von Lehrer/
innen, Forscher/innen und Expert/innen aus
unterschiedlichen beruflichen Feldern zu aktuellen, für die teilnehmenden Schulen virulenten
Fragen einzugehen. Marco Snoek zeichnet ein
Vorhaben in den Niederlanden nach, das sich
„Ausbilden an Schulen“ nennt und Schulen
in die Verantwortung als Ausbildungsstätten
für ihr zukünftiges Personal nimmt. Beschrieben werden Kooperationsbündnisse zwischen
Lehrerbildungsinstitutionen und Schulen, die
in professionalisierender Absicht auf das sich
abzeichnende Problem eines Lehrer/innenmangels reagieren.
Marguerite Altet gibt einen ausführlichen
Einblick in die Entwicklung von Lehrerbildungsinstituten – der Instituts Universitaires de
Formation de Maîtres (IUFM) –, deren Ziel es
ist, als (seit kurzem) inneruniversitäre Einrichtung Lehrer/innenbildung für alle Schulstufen
durch eine elaboriert gestaltete Theorie-Praxisverschränkung zu professionalisieren.
Abschließend stellt Binyan Xu ein in China
seit 20 Jahren erfolgreiches Modell der Lehrer/
innenbildung vor, das sich „Hospitieren, Erläutern, Begutachten“ nennt und eine Art regelmäßig eingesetzte Reflexionsrunde darstellt, in
deren Verlauf Lehrer/innen ihren Unterricht
präsentieren, die vorgenommene Gestaltung
unter Heranziehen theoretischer Grundlagen
argumentieren und gemeinsam mit Bildungsforscher/innen analysieren.
In der Rubrik „Stichwort“ beschreibt Anne
Sliwka die so genannten „Teaching Councils“,
die in mehreren Ländern (Kanada, Australien,
Irland) als Foren der Berufsorganisation fungieren und die Aufgabe der Qualitätssicherung in
Aus- und Weiterbildung, der Karriereentwicklung sowie der Einflussnahme in die Bildungspolitik durch die Standesorganisation übernommen haben. Im „Methodenatelier“ wird
am Beispiel des Projekts „Kooperationsschulen
der Universität Wien“ skizziert, wie Schule und
Universität gemeinsam an Forschungsfragen
mit dem Ziel der Weiterentwicklung professioneller Schulpraxis arbeiten können.
Die hier versammelten Beiträge zeigen allesamt auf, dass das Bemühen um eine Neuorganisation der Schnittstelle von Lehrerbildung und Schulpraxis ein Zeichen dafür ist,
dass Bildungssysteme im Aufbruch sind. Die
Reiseroute, die sie nehmen, wird wesentlich die
Bildungslandschaft der Zukunft mitbestimmen.
Ein relevanter Aspekt wird dabei sein, wie eine
Balance zwischen hohen Qualitätsansprüchen
einerseits und dem notwendigen Umgang mit
gesellschaftlichen Veränderungszumutungen
andererseits dauerhaft und erfolgreich hergestellt werden kann. Eine Zusammenarbeit von
Ausbildung und Berufsfeld ist für die genannten
Erfordernisse unerlässlich. Einige Möglichkeiten, wie eine solche Zusammenarbeit vor dem
Hintergrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Voraussetzungen gestaltet werden kann,
werden in diesem Heft nachgezeichnet, um
Impulse zu weiteren Überlegungen in dieser
Fragestellung zu geben.
Kontaktadressen:
[email protected]
[email protected]
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Stefan T. Hopmann
Lehrer/innenbildung in
internationaler Perspektive
Stefan T. Hopmann, Dr.,
Prof. am Institut für Bildungswissenschaft an der
Universität Wien. Arbeitsschwerpunkte: Historische
und vergleichende Forschung
über Bildungssysteme, Schulund Lehrplanentwicklung,
Lehrerbildung
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Die Lehrer/innenbildung ist wieder ins Gerede
gekommen. OECD und EU haben sich wiederholt mit der Veränderung der Lehrer/innenbildung in Europa befasst und drastische Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung gefordert
(z.B. OECD, 2006). Besonders hart trifft das
natürlich die Länder, die ihre Lehrkräfte noch
nicht ganz oder überwiegend an Universitäten
ausbilden. Sie sehen sich erheblichem Druck
ausgesetzt: Kaum wurden beispielsweise im
letzten Jahr die Pädagogischen Akademien bzw.
Lehrerbildungsseminare in Österreich und Dänemark in Pädagogische Hochschulen umgewandelt, ist schon eine Diskussion entbrannt,
ob damit schon genug getan sei, oder
• ob die gesamte LehrerInnenbildung integriert oder wenigstens einheitlich gegliedert werden soll,
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Hopmann: Lehrer/innenbildung in internationaler Perspektive
• ob es Aufnahmeprüfungen oder andere
Zugangsbeschränkungen zur LehrerInnenbildung geben soll,
• ob die vor-, außer- und nachschulisch
tätigen pädagogischen Fachkräfte (insbesondere im Kindergartenbereich, aber
auch etwa in der Weiterbildung) ebenfalls
auf Hochschulniveau oder gar universitär
ausgebildet werden sollen.
Je nach Wunsch und Zielrichtung wird dabei
auf das eine oder andere Land verwiesen, in
dem die entsprechende Maßnahme schon
lange „erfolgreich“ durchgeführt worden sei.
Richtig ist daran, dass keines dieser Themen –
aus internationaler Perspektive betrachtet –
sonderlich neu ist, sondern die österreichische
und die dänische Debatte reichlich verspätet
einher kommen. Fraglich ist aber, ob nicht zuletzt aufgrund dieser „Verspätung“ die künftige Entwicklung tatsächlich noch die gleichen Wege gehen kann, die anderswo schon
probiert wurden, oder ob sich nicht hier wie
andernorts ganz andere Modelle der Lehrer/
innenbildung und -beschäftigung geltend machen werden.
Die institutionalisierte Lehrer/innenbildung
ist – so wie wir sie heute kennen – etwas mehr
als 200 Jahre alt. In den meisten europäischen
Ländern (und ihnen folgend auch im Rest
der Welt) hat sich im Laufe dieser Geschichte
regelmäßig ein zweigleisiges Modell herausgebildet, bei dem zwischen der Lehrer/innenbildung für Elementar- bzw. Pflichtschulen (je
nach Land die ersten vier bis zehn Jahre) und
einer für die so genannten höheren Schulen
(je nach Land die letzten drei bis neun Jahre) unterschieden wird (Moon, Vlasceanu &
Barrows, 2003; Eurydice, 2004, 2006). Letztere
war schon immer und fast überall akade­misch,
während die Pflichtschullehrer/innenbildung
erst in den letzten fünfzig Jahren in den meis-
ten Ländern auf Hochschulniveau, zum Teil
auch an Universitäten verlagert wurde. Neben
diesem Grundmodell gab es und gibt es in den
meisten Ländern „Kurzformen“ der pädagogischen Ausbildung (in der Regel dreijährig)
für den vorschulischen Bereich und einzelne
Formen der außer- und nachschulischen Bildungsarbeit, sowie gesonderte Zugänge für
das Lehramt in berufsbezogenen Teilen der
beruflichen Bildung. Die anfangs weit verbreiteten Speziallehrer/innenausbildungen (etwa
für Handarbeit, Werken, Sport oder Religion)
sind fast überall nach und nach in die zweigleisige Grundform integriert worden.
Bis zur letzten Jahrtausendwende ließ sich
die weitere Entwicklung der Lehrer/innenbildung quer durch Europa mit einem relativ einheitlichen Programm beschreiben (Hopmann,
1998; Moon, Vlasceanu & Barrows, 2003):
1. Expansion: Im Grundsatz sind mit
Ausnahme der „gymnasialen“ Lehrer/innenbildung alle übrigen pädagogischen Ausbildungen immer länger und differenzierter
geworden und haben sich im Zeitbudget den
übrigen akademischen Professionsausbildungen immer mehr angenähert. Gleichzeitig ist
die Vielfalt der Lehrberufe – nicht zuletzt im
außerschulischen Bereich – erheblich gewachsen.
2. Akademisierung: Die Expansion ging in
unterschiedlichem Tempo einher mit einer
Akademisierung der Lehrer/innenbildung.
Dänemark, Frankreich und Österreich gehören zu den letzten europäischen Ländern, die
die Pflichtschullehrerausbildung erst in den
letzten Jahren entsprechend aufgewertet haben. Höchst unterschiedlich ist dagegen noch
die Ausbildung im vor- und außerschulischen
Bereich, die bislang nur in wenigen Ländern
(insbesondere in Nordeuropa) durchgängig
auf Hochschulniveau angesiedelt ist.
3. Angleichung: Während anfangs die
Pflichtschulvorbildung viel (Fach-)Didaktik
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und Pädagogik enthielt, aber kaum fachwissenschaftliche Elemente, und die „höhere“
Lehrer/innenbildung fast nur Fachwissenschaften bei äußerst geringen didaktischen
und/oder allgemein-pädagogischen Anteilen,
haben sich beide mehr und mehr aufeinander zu bewegt und jeweils Teile vom anderen Modell übernommen. Zusätzlich haben
in den letzten Jahren immer mehr Länder
postgraduale Übergangsphasen in Form von
Referendariaten (wie seit langem in Deutschland) oder durch Mentoren angeleitete Einstiegsphasen für alle Typen der pädagogischen
Ausbildung etabliert.
4. Spezialisierung: Eine nicht unerhebliche
Rolle hat dabei oft der Übergang von den
beiden Extremmodellen („alle Fächer“ im
Pflichtschulbereich, nur „ein Fach“ in der höheren Bildung) zum Normalfall der meist zwei
bis drei Schulfächer unterrichtenden Lehrkraft
gespielt. Gleichzeitig hat eine Ausdifferenzierung von Zusatzausbildungen (etwa im Bereich der Heil- und Sonderschulpädagogik)
stattgefunden, die in den meisten Ländern
nicht zu neuen grundständigen Formen der
Ausbildung wie in Deutschland geführt haben,
sondern überwiegend als Spezialisierungen
innerhalb des zweigleisigen Systems oder als
postgraduale Zusatzqualifikationen angeboten
werden.
5. Didaktisierung: Gemeinsam ist allen
Ausbildungen, dass der Anteil der (Fach-)Didaktiken kräftig gewachsen ist, wobei auch die
akademische Institutionalisierung der Fachdidaktiken als selbstständige Subdisziplinen eine
erhebliche Rolle gespielt hat (in Deutschland
begonnen in den fünfziger Jahren, beispielsweise in Österreich, der Schweiz, Frankreich
oder den skandinavischen Ländern zwei bis
drei Jahrzehnte später).
Wäre es ungebrochen bei diesen Trends geblieben, hätte man innerhalb weniger Jahrzehnte
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mit einem europäischen Einheitsmodell einer
etwa fünfjährigen, akademisch integrierten
Lehrer/innenausbildung mit anschließendem
Referendariat rechnen können. Allerdings
wurden zunehmend ganz andere Triebkräfte
bemerkbar, die Einfluss auf die Ausgestaltung
der Lehrer/innenbildung gewinnen konnten
und die wenig mit dem hauptsächlich von innen, von den Betroffenen selber betriebenen
Zug zur „akademisch gebildeten Profession“
zu tun haben (Criblez, Huber & Lehmann,
2006; Skågen, 2006; Hopmann, Brinek &
Retzl, 2007). Die neuen Herausforderungen
lassen sich für den europäischen Raum mit
zwei italienischen Ortsnamen auf den Punkt
bringen:
• PISA: Mit PISA und ähnlichen Studien,
vor allem aber mit der Durchsetzung von Bildungsstandards und nationalen Leistungsmessungen ist die Frage nach der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Schulsysteme und damit
auch nach der der jeweiligen Lehrer/innenbildung auf die Tagesordnung gekommen. Es
entspricht einem allgemeinen Trend in der
Transformation öffentlicher Leistungserbringung, die Beteiligten zunehmend „verantwortlich“ für die Ergebnisse ihrer Interventionen
zu machen und deren Überprüfung an extern
festgelegte Indikatoren zu binden (Hopmann,
2007). Es ist also nicht mehr das kollegiale
Urteil, das über die Qualität des Unterrichts
oder der medizinischen Behandlung befindet, sondern der Grad, mit dem jeweils vorgegebene Erwartungen an die professionelle
Leistung erfüllt werden. Gerade für den pädagogischen Bereich ist das Problematische an
dieser Umstellung, dass die jeweiligen Professionellen nur sehr begrenzten Einfluss auf die
erwünschten Ergebnisse haben (Hopmann,
Brinek & Retzl, 2007). Beispielsweise erklärt
der Faktor „Lehrqualität“ bei Schülerleistungsmessungen erfahrungsgemäß allenfalls
drei bis fünfzehn Prozent der gemessenen Va-
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Hopmann: Lehrer/innenbildung in internationaler Perspektive
rianz (bei lehrplannahen Testungen maximal
bis zu einem Viertel), d.h. ob die erwarteten
Testergebnisse erzielt werden, liegt nur sehr
bedingt in Lehrerhand. Gleichzeitig setzt sich
mit diesem Prozess die Vorstellung durch, dass
guter Unterricht „evidenzbasiert“ sein muss,
d.h. seine Leistungsfähigkeit an den vordefinierten Erwartungen gemessen werden kann
und muss.
• BOLOGNA: Mit dem Prozess der europäischen Einigung ist auch die Idee eines
gemeinsamen europäischen Bildungsraumes
entstanden, in dem sich die Beteiligten freizügig bewegen und vergleichbare Abschlüsse erwerben können. Im Bologna-Prozess soll dazu
eine einheitliche Studienarchitektur (Bachelor/
Master/Doktorat) mit durchgängiger „Modularisierung“ der zu erbringenden Teilleistungen beitragen (Terhart, 2005; Schratz, 2006).
Für die Lehrer/innenbildung werden dadurch
wenigstens zwei Fragen virulent. Zum einen:
Sollen alle pädagogischen Berufe im Grundsatz auf gleichem Niveau angesiedelt sein
(etwa Mastergrad) oder stufenweise gradiert
werden (z.B. Vor- und Primarschule mit Bachelor-Abschluss, Sekundarstufe mit Master)?
Nur wenige Länder haben sich für eine Lösung
„Master für alle“ entschieden (etwa Finnland,
Türkei), wesentlich mehr für Stufenlösungen
(etwa Belgien, Dänemark, Norwegen, die
meisten deutschen Bundesländer), manche sogar eine Herabstufung zuvor längerer Ausbildungen auf Bachelorniveau durchgeführt (z.B.
Island). In den meisten Ländern ist jedoch
die endgültige Ausformung noch umstritten
oder es existieren wie etwa in der Schweiz und
Deutschland gleich mehrere Varianten nebeneinander (CHEPS, 2006; SKPH, 2006; HRK,
2007). Zum andern: Soll diese Ausbildung
dann grundständig integriert erfolgen (also
Fach, Didaktik, Pädagogik und Praxis gleichzeitig) oder konsekutiv (z.B. erst Fach, dann
das Übrige)? Die meisten Länder bevorzugen
noch die erste Variante (etwa Deutschland,
Dänemark), wenige durchgängig die zweite (etwa Irland) und mancherorts existieren
beide Möglichkeiten nebeneinander (z.B.
in England; Eurydice, 2004; CHEPS, 2006).
Durch die angestrebte Modularisierung wird
letztere Frage etwas obsolet, weil es prinzipiell
möglich sein soll, innerhalb der gemeinsamen
Studienarchitektur Module an verschiedenen
Orten und zu verschiedenen Zeitpunkten zu
erwerben, was die klassische Konzeption einer Lehrer/innenausbildung „aus einem Guss“
ausschließt. Mehr noch, diese Deregulierung
schließt prinzipiell die Möglichkeit ein, die
einschlägige Ausbildung ganz oder teilweise
bei anderen als staatlichen Anbietern zu absolvieren, so diese nur bestimmten, für alle
geltenden Mindestansprüche genügen.
Zu diesen beiden nicht für die Lehrer/innenbildung spezifischen Prozessen kommt
noch ein dritter hinzu, der sich vergleichsweise
ungeplant durchsetzt, aber nicht weniger Wirkung für die Zukunft der Lehrer/innenbildung
haben wird: Während Lehrer/innenbildung
früher eine enge Verzahnung von Ausbildungsgang und Berufszulassung kannte und diese
im Wesentlichen den gesamten Arbeitsmarkt
für Pädagog/innen regulierte, hat sich heute
eine Markterweiterung im doppelten Sinne ergeben (Hennecka & Lipowsky, 2002; Loeb &
Reiniger, 2004; OECD, 2006). Zum einen haben sich der private und der nicht-schulische
Bildungssektor explosionsartig vervielfacht.
In fortgeschrittenen Industriegesellschaften
arbeiten schon heute fast genauso viel, wenn
nicht sogar mehr Lehrkräfte (mit höchst unterschiedlichen Vorbildungen) außerhalb des
öffentlichen Regelschulsektors als innerhalb.
Zum andern sorgt die Internationalisierung
des Bildungs- und Beschäftigungsmarktes dafür, dass Qualifikationen nicht nur im nationalen Standardmodell erworben oder eingesetzt
werden können. Beides zusammen eröffnet ei-
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nen wachsenden Markt von Optionen, der das
hergebrachte Modell der nur für diesen einen
Zweck ausgebildeten „Lebenszeit-Lehrkraft“
zu einer Variante unter vielen und auf Sicht
zu einem Auslaufmodell werden lässt.
Mit PISA, BOLOGNA und dem Ende des
Ausbildungsmonopols verändern sich die
Entwicklungsmöglichkeiten künftiger Lehrer/innenbildung grundlegend, wie man in
den Ländern sehen kann, wo dieser Prozess
schon weiter fortgeschritten ist (OECD, 2006;
Skågen, 2006). Um mit dem letzteren zu beginnen: Schon jetzt gibt es in England, Kanada
und in den USA verbreitet, in Ländern wie
Deutschland, den Niederlanden oder Schweden in Ansätzen andere Zugänge zum Berufsfeld als die hergebrachte, mehr oder weniger
integrierte Ausbildung (Moon, Vlasceanu &
Barrows, 2003; Sorensen, Young & Mandzuk,
2005; Brouwer, 2007; Walsh & Jacobs, 2007).
Unterstützt von der Modularisierung ist es
beispielsweise möglich, die didaktischen und
pädagogischen Ausbildungsteile in postgraduale Angebote für zuvor Fachausgebildete
zu verlegen. In schwedischen Privatschulen
oder in kalifornischen öffentlichen Schulen
sind schon jetzt bis zu vierzig Prozent der
Beschäftigten nicht aus einer traditionellen
Lehrer/innenausbildung hervorgegangen.
Sektoraler Lehrer/innenmangel (etwa in Mathematik und den Naturwissenschaften) wird
diesen Prozess noch verstärken, zumal dann,
wenn durch die Modularisierung wesentliche
Ausbildungsteile auch für andere Berufsziele
genutzt werden können, sich zudem im Verlauf der Berufskarriere zunehmend andere
Optionen außerhalb des öffentlichen Schulwesens anbieten.
Der Ausweg, der sich auch aus Gründen
internationaler Vereinheitlichung aufdrängt,
heißt Zertifizierung (Angus, 2001; OECD,
2006). D.h. künftig wird die Zulassung zum
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Lehrberuf in der Regel nicht mehr vom Besuch eines bestimmten Bildungsganges abhängen, sondern davon, dass Bewerber/innen dokumentieren können, auf irgendeinem Wege
ein zureichendes Portofolio einschlägiger
Vorbildungen erarbeitet zu haben. Wer eine
zertifizierte Vorbildung hat und sich den Erwartungen entsprechend bewährt, darf dann
auch unterrichten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Zertifikate (wie jetzt schon in
einigen US-Bundesstaaten) zeitlich begrenzt
gültig sein werden, und deren Erneuerung an
Leistungs- und Weiterbildungsnachweise geknüpft wird. Die auch im deutschsprachigen
Raum sehr intensive Diskussion über „Standards in der Lehrerbildung“ (Terhart, 2002) ist
vor diesem Hintergrund zu sehen: Standards
ermöglichen die Bewertung modularisierter Portofolios (CHEPS, 2006; Glazerman &
Tuttle, 2006). Die Kehrseite dieser Entwicklung könnte freilich das Ende einheitlicher
Ausbildungsgänge und der endgültige Fall
des hergebrachten staatlichen Ausbildungsmonopols sein (wie jetzt schon in Teilen der
USA: Robelen, 2007; Walsh & Jacobs, 2007).
Beides macht in einer modularisierten und
international mobilen Lehrer/innenbildung
wenig Sinn.
Gleichzeitig wächst der Druck auf Schulen
und Lehrkräfte, die Wirksamkeit ihres Unterrichts erwartungsgemäß belegen zu können.
Welche Folgen dies für die Lehrer/innenbildung haben könnte, wird freilich je nach gegenwärtigem Ausbildungssystem und Arbeitsmarkt unterschiedlich diskutiert (wie in den
„langen Wellen“ des Ausbildungszyklus auch
nicht anders zu erwarten ist; Dartenne, 2006).
In Ländern ohne nennenswerten Mangel an
Lehramtskandidat/innen (wie zur Zeit in Norwegen, Finnland oder Österreich) soll Qualitätssteigerung durch Zugangskontrollen zur
Ausbildung und mehr Auslese angestrebt werden, während Länder mit aktuellem Mangel
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Hopmann: Lehrer/innenbildung in internationaler Perspektive
an Lehrkräften sich eher Gedanken darüber
machen, wie man Quer- und Seiteneinsteiger
dazu motivieren könnte, vielleicht doch noch
zeitweise Lehrer/Lehrerin zu werden (wie in
einigen deutschen Bundesländern, England,
den Niederlanden oder den USA).
In Ländern mit etablierter akademischer
Lehrer/innenausbildung (wie Deutschland,
Schweden oder Norwegen) wird der Mangel vor allem im fehlenden Praxisbezug der
gegenwärtigen Ausbildungen gesehen und
eine verstärkte Orientierung an der jeweiligen Schulentwicklung gefordert. In Ländern
mit stärker ausgeprägten seminaristischen
Traditionen (wie Österreich und Dänemark)
wird dagegen die mangelnde wissenschaftliche
Grundlage der derzeitigen Ausbildungsformate für ausbleibende Erfolge haftbar gemacht.
Ebenso unterschiedlich wird die Forderung
nach Evidenz ausgelegt, ob sie primär durch
eine bessere Forschungsgrundlage für die Ausbildung zu erreichen wäre (wie man in Dänemark, Deutschland und Österreich meint)
oder hauptsächlich durch Lernen an gelungener Praxis im Schulbetrieb zu gewährleisten
wäre (wie zur Zeit in England oder Schweden
diskutiert wird), und ob im letzteren Fall diese
Evidenz primär durch gemessene Schülerleistungen zum Ausdruck kommt (wie man das
im angelsächsischen Raum glaubt) oder durch
die Einbettung der Schule in ihren lokalen
Kontext (wie es in den nordischen Ländern
gesehen wird). In vielen Ländern erweitert
sich diese Diskussion schon jetzt etwa mithilfe nationaler Evaluationen in Richtung auf die
Frage, welche Evidenz denn Lehrer/innenbildung selbst für ihre eigene Wirksamkeit beizubringen vermag (Hopmann, 2006).
Aus alldem ergibt sich schließlich die Frage nach einer ausreichenden Versorgung mit
Lehrkräften (OECD, 2006). Unstreitig scheint
europaweit nur zu sein, dass es erheblich vermehrter Fort- und Weiterbildungsmöglich-
keiten sowie Aufstiegschancen bedarf, um
mehr Lehrerinnen und Lehrer langfristig
an den Beruf zu binden. Wie aber mit dem
Zugang zum Lehrberuf verfahren? Soll man
den Zugang erschweren, um dadurch qualifizierte Bewerbungen zu bekommen? Was
aber, wenn es dann weniger Nachwuchs gibt,
als der Schulbetrieb braucht? Werbeaktionen
und schöne Versprechungen helfen – wie man
aus fast allen europäischen Ländern berichten
könnte – wenig. Eine verbesserte, etwa vollakademische Ausbildung könnte vielleicht den
Status und die Qualität erhöhen, würde aber
gleichzeitig die Zahl der Optionen vermehren,
andere Berufschancen als das Lehramt an öffentlichen Schulen zu ergreifen. Eine mit dem
privatwirtschaftlichen Sektor konkurrenzfähige Besoldung (wie sie es etwa in der Schweiz
oder Norwegen teilweise gibt) im gesamten
Bildungsbereich durchzusetzen, ist allenfalls
für wenige, reiche Staaten und auch dort nur
zeitlich begrenzt leistbar. Überall sind den öffentlichen Bildungsausgaben da enge Grenzen
gesetzt (zumal die Personalkosten wenigstens
75% der Betriebskosten ausmachen).
Wie eine künftige Lösung aussehen wird,
kann man vielleicht in den Ländern sehen,
in denen die Vorschulpädagogik und die
Pflegeausbildung akademisiert worden sind.
In einem norwegischen Kindergarten oder
einem schwedischen Krankenhaus sind diese vollakademisch ausgebildeten Fachkräfte
eine kleine Minderheit. Der Aufstieg der einen Teilgruppe hat eine Fragmentierung des
gesamten Berufsfeldes mit sich gebracht, wo
nun Frühförderungsexperten oder hoch spezialisierte Fachkrankenschwestern ein wachsendes Heer wesentlich kürzer ausgebildeter
und deutlich schlechter bezahlter Hilfskräfte
zur Seite steht. Die OECD (2006) empfiehlt
denselben Weg für die Schulen: Lieber weniger, dafür hochqualifizierte Lehrkräfte, die
dann entsprechende Unterstützung von pä-
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
dagogischen Assistenten, Aufsichtskräften,
Übungsleitern etc. erhalten könnten. Dem Fall
des Ausbildungsmonopols würde so der Fall
des Beschäftigungsmonopols folgen.
Welche Optionen hat unter diesen Bedingungen die Lehrer/innenbildung? Sie könnte den
Weg der akademischen Aufwertung unbeirrt
weitergehen und nach und nach eine einheitliche Ausbildung oder wenigstens einen
einheitlichen Bezugsrahmen (etwa in Form
einer schulstufenbezogenen Differenzierung)
anstreben, freilich mit dem Risiko damit allein
auf Dauer dem Druck in Richtung auf Modularisierung, Zertifizierung und Fragmentierung
nicht Stand halten zu können. Eine andere
Möglichkeit wäre, der Lehrer/innenausbildung und allen nur denkmöglichen Anbietern freien Lauf zu lassen und die staatlichen
Qualitätsansprüche nur noch durch Zertifizierung „standardisierter“ Anforderungen an
die Berufsausbildung geltend zu machen. Das,
was voraussichtlich der europäische Weg sein
wird, ist freilich mit der unvermeidlichen Folge verbunden, dass eine integrierte und monoinstitutionell verbürgte Lehrer/innenausbildung, wie wir sie heute kennen, auf Dauer
nicht mehr der Regelfall sein wird. Aber ganz
gleich, für welche Option sich die Bildungspolitik entscheiden wird, wird sie sich der Frage danach nicht mehr entziehen können, auf
welche Evidenz sich ihre Erwartungen stützen
und woran ihr Erfolg gemessen werden soll.
Für eine Fortsetzung der Debatte über Lehrer/
innenbildung ist also in jedem Fall gesorgt.
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Anders Jakobsson
Gedankenschmieden –
Ein Dialog zwischen Klassen­
zimmer und Schulforschung
Der Mythos von der unveränderlichen Schule
Anders Jakobsson, Dr.,
Head Coordinator for the
organisation of Think Tanks
(collaboration between Malmö University, Kristianstad
University and 25 local school
governments of the region
Skåne) at Malmö University,
Sweden
14
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Es gibt eine Geschichte, die sich über die Unveränderlichkeit der schwedischen Schule und
des Ausbildungssektors lustig macht. Diese
Geschichte beschreibt einige Menschen, die
mithilfe einer Zeitmaschine vom 19. Jahrhundert in die moderne Welt geschickt werden.
Sie werden in unserer heutigen Gesellschaft
herumgeführt und sind unglaublich fasziniert von den fantastischen technischen Entwicklungen, von der Infrastruktur und allen
anderen Innovationen, die die Menschheit
in den letzten 200 Jahren entwickelt hat. Es
gibt nur eine Ausnahme, einen Ort, den alle
wiedererkennen, nämlich die Schule. Die Botschaft dieser Geschichte ist ironisch wie auch
erheblich übertrieben, da es natürlich extrem
auffällige Unterschiede zwischen der jetzigen
Schule und der vor 200 Jahren gibt. Gleich-
journal für lehrerinnen- und lehrerbildung 3/2008
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Jakobsson: Gedankenschmieden – Ein Dialog zwischen Klassenzimmer und Schulforschung
zeitig ist es möglich, zu behaupten, dass diese
Geschichte ein paar Wahrheiten enthält, denn
auf den ersten Blick, gibt es wirklich große Gemeinsamkeiten zwischen der heutigen Schule
und der vor 200 Jahren. Dies zeigt sich besonders, wenn man den Wandel anderer Gesellschaftsinstitutionen im gleichen Zeitraum
berücksichtigt.
In anderen Geschichten wird die Schule oft
mit einem Öltanker verglichen. Versucht man,
mit dem Ruder die Richtung zu ändern, dauert es ein paar Seemeilen, bevor die Änderung
spürbar wird. Ein solcher Tanker ist natürlich
schwer zu manövrieren. Der Öltanker ist eine
Metapher für eine Zeit in Schweden, in der
die Initiative zur örtlichen Schulentwicklung
vom Schulobervorstand in Stockholm gesteuert wurde. Das bedeutete, dass Lehrer/innen
und Schulleiter/innen an den örtlichen Schulen sich nicht mit der Frage auseinander setzten mussten, wie die Schule sich entwickeln
und verändern müsste, um auf die Zukunft
vorbereitet zu sein. Diese Überlegungen übernahm man von Stockholm aus. Man könnte
sich ja fragen, wie die Angestellten in Stockholm jemals Informationen darüber bekamen,
was die Lehrer an den örtlichen Schulen benötigten, um besser auf die Zukunft vorbereitet
zu sein. Wie dem auch sei, ich stelle unterdessen fest, dass Jahrhunderte schwedischer
Geschichte mit einer zentralen Steuerung von
Schulentwicklung einem zunehmend dezentralisierten System gewichen sind. Die Art und
Weise, mit der heutzutage die Schule gesteuert wird, heißt Ziel- und Resultatsteuerung
und ersetzt ein eher regelgesteuertes Modell
(Skolverket, 1996). Der Übergang von der Regel- zur Ziel- und Resultatsteuerung bedeutete
ein Delegieren der Verantwortung für die Zielerreichung von einer zentralen auf eine lokale Ebene. Durch diese Veränderung bekamen
Schulleiter/innen und Lehrer/innen größere
Befugnis, aber auch eine größere Verantwor-
tung für die Zielerreichung (Löfqvist, 1999).
Der Gedanke heute ist, dass von professionellen Lehrer/innen und der örtlichen
Schulorganisation erwartet wird, dass sie ihr
Auslegungsprivileg anwenden, wenn es darum
geht, die Ziele des Lehrplans zu interpretieren
und wann der Kursplan erreicht werden soll.
Um mit dieser Arbeit in einer immer komplizierteren und schnell veränderlichen Welt
erfolgreich zu sein, werden hohe Forderungen
an die Lehrer/innen und die örtliche Schulentwicklung gestellt. Genau die Situation kann
dazu führen, dass sogar die professionellsten
Schulen in Schweden riskieren, in einem „Vakuum“ oder in einem Leerraum zu landen
(Skolverket, 2000).
Zeit für Reflexion
und Gedanken
Viele praktizierende Lehrer/innen beschreiben
diesen Leerraum oft, indem sie von fehlender
Zeit oder Möglichkeit zur Reflexion, Gedankenfindung und Vertiefung reden, wenn Forderungen und Probleme des Alltags sich im
Klassenzimmer bemerkbar machen. Andere
meinen, dass, wenn es endlich Zeit gibt, sich
mit Schulforschung und Schulentwicklungsprojekten zu beschäftigen, die örtliche Schule
oft keine Möglichkeit hat, diese Forschungsergebnisse und Entwicklungsideen umzusetzen (Utbildningsdepartementet, 2001). Nach
Aussage vieler Lehrer/innen werden oft Forscher/innen oder Expert/innen an eine Schule
eingeladen. Nach einer inspirierenden Großvorlesung und einer lebhaften Diskussion gehen die Lehrer/innen am nächsten Tag zurück
zu ihrem gewöhnlichen Unterricht. Nichts
oder nur wenig hat sich verändert.
Man kann natürlich anzweifeln, ob es sich
wirklich so verhält, aber hier geht es darum,
nach der Botschaft dieser Aussagen zu suchen.
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
Es scheint, als ob die Lehrer/innen Ausbildungen oder Inspirationen zur Schulentwicklung
dieser Art als ungenügend ansehen, oder
dass man etwas vermisst. Dies wurde auch in
Diskussionen zwischen Repräsentanten der
Lehrer/innenausbildung in Malmö und den
Kommunen in Skåne deutlich. Ausgangspunkt für Diskussionen war die Frage, wie
die Hochschule in Zukunft die Kommunen
in der Arbeit mit der örtlichen Schulentwicklung unterstützen kann. In diesen Gesprächen
ist klar geworden, dass die örtlichen Schulen
einen Dialogpartner vermissen, der Zeit und
Lust hat, den Lehrer/innen zuzuhören und
der in Gesprächsform Inspiration, Ideen und
Vertiefung geben kann, ausgehend von den
spezifizierten Fragen, die die örtliche Schule
formuliert. Aus Sicht der Hochschule wäre ein
solcher Dialog mit den Schulen ein wichtiger
Indikator und ein Werkzeug, um zu verstehen,
auf welche aktuellen Schulprobleme man sich
in der Kommune konzentrieren soll. Außerdem würde ein solcher Dialog ein wertvolles
Kontaktnetz für die Hochschullehrer/innen
und Forscher/innen schaffen. Die so genannten Gedankenschmieden hatten Formen angenommen.
Was ist eine Gedanken­
schmiede?
Die Organisation der Gedankenschmieden ist
die Zusammenarbeit zwischen 27 Kommunen
in Südschweden, dem Kommunverband, der
Hochschule Malmö und der Hochschule in
Kristianstad. Zuerst wird ein schulbezogenes
Problemgebiet durch Beratung mit interessierten Kommunen und Hochschulen identifiziert. Allen betroffenen Kommunen wird
dann angeboten, in der Gedankenschmiede
mitzuarbeiten und die, die sich dafür entscheiden, gehen einen Vertrag mit den Hoch-
16
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schulen ein, in welchem Ziel und Zweck, Arbeitsformen und Finanzierung festgehalten
werden. Dies bedeutet, dass die Kommunen
den Großteil der Finanzierung der Gedankenschmiede übernehmen. Nach Abschluss
des Vertrags wird eine Gedankenschmiede
gebildet, die das Problem bearbeitet, Strategien vorschlägt und durch weitere Forschung
Lösungsvorschläge findet, die in der örtlichen
Schule anwendbar sind.
Eine Gedankenschmiede besteht aus Forscher/innen und Lehrer/innen der Hochschulen, praktizierenden Lehrer/innen der Schulen
mit viel Erfahrung mit dem jeweiligen Problem, sowie anderen schulfernen Personen,
wie beispielsweise Expert/innen aus der
Wirtschaft (ca. 20 Personen). Die Gedankenschmiede arbeitet ungefähr ein Jahr, in einem
Umfang, der etwa 1/10 der totalen Arbeitszeit der teilnehmenden Personen entspricht.
Jede Gedankenschmiede hat zwei öffentliche
Seminare, zu denen alle Interessierten sowie
Hochschullehrer/innen und Lehrer/innen der
örtlichen Schulen eingeladen werden. Außerdem werden die Seminare live im örtlichen
Fernsehen übertragen, sodass die Lehrer/innen der örtlichen Schulen und Studierenden
der Hochschulen die Möglichkeit haben,
teilzunehmen, unabhängig davon, wo das
Seminar stattfindet. Die Arbeit in einer Gedankenschmiede wird mit einem publizierten
Bericht, der allen Interessierten zur Verfügung
steht, beendet. Gedankenschmieden werden
nun schon seit zwei Jahren organisiert. Gedankenschmieden, die bisher begonnen wurden,
sind folgende:
• IUP (Individuelle Entwicklungspläne)1,
Bewertung und Zensurenvergabe
• Gesundheit und Lernen im Zusammenspiel
• Wissensauffassung und Qualifikationsbedarf in der zukünftigen Gesellschaft
• Mathematik – ein demokratisches Recht.
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Jakobsson: Gedankenschmieden – Ein Dialog zwischen Klassenzimmer und Schulforschung
Ein Treffen mit gleichen
Voraussetzungen?
Das Ziel einer Gedankenschmiede ist es, Zeit
und Raum für teilnehmende Lehrer/innen und
Forscher/innen zu schaffen, damit sie problematisieren, vertiefen, hin- und herüberlegen
können, um verschiedene Möglichkeiten im
Rahmen der aktuellen Fragestellung zu erkennen. Eine weitere Zielstellung der Organisation und Arbeit der Gedankenschmiede ist die
Schaffung eines gleichberechtigten Treffens
zwischen praktizierenden Lehrer/innen der
örtlichen Schule in der Region und den aktiven Schulforscher/innen. Mit anderen Worten
handelt es sich hierbei nicht um traditionelle
Forschungsinformation, sondern mehr darum,
die täglichen Erfahrungen und das Wissen der
Lehrer/innen aus den Klassenzimmern sowie
die aktuellen Forschungsergebnisse in die
Arbeit einzuflechten. Die Hoffnungen gehen
dahin, dass diese Treffen zu vertiefenden Dialogen zwischen unterschiedlichen Wissenstraditionen und Wissensformen innerhalb des
Schulbereiches führen. Die Gedankenschmiede verfolgt außerdem das Ziel, die öffentlichen
Seminare und den schriftlichen Bericht zu einem Anreiz und zu einer Inspiration für die
Kommunen zu machen, die Schulen weiterzuentwickeln und eventuell eine Forschungsarbeit mit den Hochschulen zu starten.
Möglichkeiten und Probleme
Die ersten Gedankenschmieden sind zu unterschiedlichen Zeiten entstanden und ihre
Arbeit daher auch unterschiedlich weit fortgeschritten. Die erste Gedankenschmiede
„IUP-Bewertung und Zensurenvergabe“ hat
ihre Arbeit abgeschlossen und einen Schlussbericht veröffentlicht (Jakobsson & Lund-
ström, 2007). Die zweite Gedankenschmiede
„Gesundheit und Lernen im Zusammenspiel“
hat ihr Endseminar im Herbst 2007 durchgeführt und der Schlussbericht ist im Druck.
Die dritte Gedankenschmiede „Wissensauffassung und Qualifikationsbedarf in der zukünftigen Gesellschaft“ ist auf halbem Weg und
die vierte Gedankenschmiede „Mathematik –
ein demokratisches Recht“ hat gerade kürzlich
ihre Arbeit begonnen.
Dies bedeutet, dass eine umfangreichere
Auswertung der Arbeit der Gedankenschmieden sowie Evaluation bisher nicht erfolgt ist.
Dafür haben allerdings Auswertungstreffen
mit den Teilnehmer/innen der Gedankenschmieden und mit Kontaktpersonen der
Kommunen stattgefunden. In diesen Treffen
ging es darum, wie Gedankenschmieden als
Anreiz für die Schulentwicklung eingesetzt
werden können und wie die örtlichen Schulen
die Produkte der Gedankenschmieden als Teil
dieser Entwicklung nutzen können. Auf diesen
Treffen wurden auch die unterschiedlichen
Probleme diskutiert, die in den verschiedenen
Phasen der Arbeit aufgetreten sind, sowie die
organisatorischen Schwierigkeiten. Bei diesen
Treffen ist unter anderem klar geworden, dass
die teilnehmenden Lehrer/innen eine sehr positive Einstellung zur Arbeit der Gedankenschmieden haben. Mehrere Teilnehmer/innen
haben bekräftigt, dass ihnen durch diese Arbeit die Augen geöffnet wurden für die große
Anzahl internationaler Schulforschung, die es
z.B. im Beurteilungsbereich gibt. Einige Lehrer/innen haben auch Interesse daran gezeigt,
sich weiter in einen bestimmten Forschungsbereich zu vertiefen. Andere wiesen darauf
hin, dass zu alten Problemen neue Perspektiven aufgetaucht sind, die die Diskussionen
stimuliert haben. Ein Lehrer meinte:
„Unsere eigenen, oft sehr tief verwurzelten
Auffassungen über zentrale Begriffe in der
Schuldebatte sind herausgefordert worden.
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
Wir sind gezwungen worden, umzudenken,
neu zu denken und unsere eigene Praxis mit
neuen Augen zu sehen. Unsere gemeinsame
Arbeit hat nicht nur in neuen Ideen über die
Schulentwicklung resultiert. Ein mindestens
genauso wichtiges Ergebnis ist das Band, das
zwischen den Teilnehmer/innen geknüpft
wurde, professionell wie auch persönlich.”
(Lehrer aus der ersten Gedankenschmiede)
Bewertung und Zensuren­
vergabe in Schweden
Die erste Gedankenschmiede behandelte
unter anderem das Thema „Bewertung und
Zensurenvergabe“. Im Vorfeld führten die
schwedischen Behörden (Skolverket, 2000)
eine umfassende Qualitätsuntersuchung von
20 Kommunen in Schweden durch. Der Fokus bei der Untersuchung lag auf der Zensurenvergabe in der Grundschule und im
Gymnasium. Das Resultat zeigte, dass deutliche Mängel im Bezug auf eine gerechte und
gleichwertige Zensurenvergabe auftauchten.
Die Untersuchungsgruppe zog den Schluss
daraus „dass reelle Voraussetzungen für die
Lehrer/innen fehlen, um sich eingehend mit
dem System auseinander zu setzen und ein
Verständnis aufzubauen, sowie Zeit und Möglichkeiten für eine langfristig kontinuierliche
Arbeit mit den Bewertungs- und Zensurenvergabefragen fehlen, die an den Lehr- und
Kursplan knüpfen.” (S. 171) Ein Jahr später
gab das Schulwerk (Skolverket, 2001) ein Dokument heraus, das die Lehrer/innen bei der
Bewertung und Zensurenvergabe unterstützen
sollte und das sich auf Fragen bezog, die das
Schulwerk von Schulen aus dem ganzen Land
erhalten hatte. Drei Jahre später präsentierte
das Schulwerk (Skolverket, 2004) einen Handlungsplan für eine gerechte und gleichwertige
Zensurenvergabe. Im gleichen Jahr stellte die
18
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Reichsrevision (2004) in einem Bericht fest,
dass Gerechtigkeit und Gleichwertigkeit bei
der Zensurenvergabe in Frage gestellt werden
konnten. Seitdem haben Berichte, aber auch
Forschung in dem Gebiet gezeigt, dass Schwierigkeiten vorliegen, wenn es darum geht, eine
gerechte und gleichwertige Bewertung und
Zensurenvergabe zu erzielen.
Viele Forscher/innen (Tholin, 2003; Selghed,
2004; Tholin, 2006) haben in den letzten Jahren
aus unterschiedlicher Perspektive die Schwierigkeiten gezeigt, mit denen die Lehrer/innen
kämpfen, wenn es gilt, gerecht und gleichwertig zu bewerten und Zensuren zu vergeben.
Bewertung und Zensurenvergabe in der Schule ist, unabhängig vom Zensurensystem, eine
komplizierte und schwierige Aufgabe für die
Lehrer/innen. Eine Bewertung erfolgt in der
Regel im Zusammenspiel zweier Aspekte: Einerseits geht es um die Leistung des Schülers/
der Schülerin, andererseits spielt es auch eine
Rolle, wie die Lehrer/innen die Intentionen
des Bewertungssystems verstanden haben.
Steuerdokumente in Form von Lehrplänen,
nationale und örtliche Kurspläne mit dazugehörenden Zielen und Bewertungskriterien,
Ergebnisse von nationalen Tests zusammen
mit den eigenen Bewertungserfahrungen –
das ist die gesammelte Unterstützung, an die
sich Lehrer/innen bei der Bewertung und
Zensurenvergabe anlehnen können (Selghed,
2004).
Das Einführen des ziel- und wissensbezogenen Bewertungssystems kann, zusammen mit
Veränderungen im Steuersystem, als Anlass
gesehen werden, warum die erste Gedankenschmiede gestartet wurde. Bei einer Inventur
von schulischen Qualifikationsentwicklungsgebieten in den Kommunen in Skåne zeigte
sich, dass Fragen der Bewertung und Zensurenvergabe in mehreren Kommunen hohe
Priorität erhielten. Bei einer genauen Untersuchung präzisierten sich einige Fragestellun-
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Jakobsson: Gedankenschmieden – Ein Dialog zwischen Klassenzimmer und Schulforschung
gen um die Gebiete „Bewertung, individuelle
Entwicklungspläne und Zensurenvergabe”.
Einige Beispiele von Fragestellungen waren:
• Wie beziehen wir den Schüler/die Schülerin mit in den Beurteilungsprozess ein?
• Wie erzielen wir eine gleichwertige Bewertung?
• Wie gehören Wissensauffassung und Bewertung zusammen?
• Wie ist die Entwicklung des Lernens in
den jüngeren Altersgruppen zu bewerten,
zu denen es keine fertigen Ziele/Teilziele
gibt?
• Was bedeutet Bewertung als pädagogisches Werkzeug für die Entwicklung?
Empfehlungen an die
Lehrer/innen
An dieser Stelle kann nicht im Detail auf alle
Empfehlungen der ersten Gedankenschmiede
eingegangen werden, doch wenn es um Prinzipien (Wiske, 1998; Lindström, 2005) für
die Beziehung zwischen Unterricht und Bewertung geht, hat die Gruppe einige wichtige
Punkte herausgehoben:
1) Generative topics: Arbeiten mit Themengebieten in der Schule, die relevant sind für
das jeweilige Fach, aber auch gleichzeitig von
Schüler/innen und Lehrer/innen als wichtig
und bedeutungsvoll angesehen werden. Im
Idealfall soll dieses Themengebiet mit früheren Erfahrungen innerhalb sowie außerhalb
der Schule in Beziehung stehen. „Generative”
bezieht sich darauf, dass das Thema zu neuen Fragen und Themengebieten weiterführen
soll.
2) Understanding goals: Formulierung von
Zielen für den Unterricht davon ausgehend,
was die Schüler/innen verstehen sollen. Die
Ziele sollen deutlich und zentral für das Fach
sein.
3) Performances of understanding: Ein ungemein zentraler Teil des Projektes ist die etwas andere Sichtweise auf das Verstehen, von
der man ausgeht. Das Verstehen wird nicht
nur als eine mentale Eigenschaft gesehen (die
man daher auch nur indirekt beurteilen kann),
sondern es geht darum, wie man sein Wissen
anwenden kann. Verstanden zu haben, bedeutet, dass man mit seinem Wissen flexibel agieren kann. Verstehenshandlungen sind solche
Handlungen, die man nur ausführen kann,
wenn man sie verstanden hat. Als Lehrer/in
muss man daher den Unterricht so planen,
dasss die Schüler/innen ihr Wissen anwenden
können. Beispiele für Verstehenshandlungen
sind, dass man erklären, argumentieren und
präsentieren kann und Ähnliches.
4) Ongoing assessment: Bewertungen sollten von expliziten Kriterien ausgehen, in regelmäßigen Abschnitten innerhalb des Unterrichtsjahres erfolgen – also nicht nur am Ende –
und sie sollten umfassend sein (d.h. dass man
mehrere verschiedene Bewertungsformen
nutzt) sowie ständig während des Lernprozesses erfolgen (formative assessment).
Implikationen
Die meisten teilnehmenden Lehrer/innen
meinen, dass die Arbeit zu Versuchen geführt
hat, die Bewertungsarbeit an den Schulen auf
die kontinuierliche Auswertung und Bewertung auszurichten, und dies in viel größerem
Ausmaß als früher. Die Teilnehmer/innen in
der Gedankenschmiede haben auch hervorgehoben, mit der Einstellung der Schüler/
innen zum Wissen zu arbeiten und diese zu
entwickeln. In den Empfehlungen der Gedankenschmiede an die Kommunen wurde von
den Teilnehmer/innen die Meinung vertreten,
dass Lehrer/innen Aus- bzw Fortbildung im
Bereich „Bewertungsforschung“ benötigen
würden, und dass sie die Schüler/innen in der
Selbstbewertung trainieren müssen. Mehrere
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
Schulleiter/innen und Lehrer/innen der Gedankenschmiede haben außerdem hervorgehoben, dass die örtlichen Schulen reflektierende Gespräche im Lehrer/innenkollegium
einführen sollten, um den eigenen Unterricht
weiterzuentwickeln und dass sie auch entsprechend Zeit benötigen würden, um über
die eigene Lehrer/innenrolle nachdenken zu
können. Dies sollte – wenn es richtig gemacht
wird – den Beruf stärken. Zwei Stunden an einem Nachmittag im Monat oder zweimal pro
Halbjahr für reflektierende Gespräche bereitzustellen, würde langfristig ein vertieftes Verständnis dafür erzeugen, wie das Arbeitsteam
räsoniert und agiert.
Die meisten der teilnehmenden Lehrer/innen in der Gedankenschmiede drücken sich
sehr positiv über die Arbeit aus. Gleichzeitig
ist auch Kritik geäußert worden darüber, dass
gewisse Forschungstexte zu theoretisch und
abstrakt waren und dass gewissen Texten eine
Klassenzimmerperspektive fehlte. Es wurden
auch unterschiedliche Auffassungen und intensive Diskussionen über den Wert der Zensuren und deren Anwendung geführt. Von der
Seite der Kommunen wird die Problematik angesprochen, wie die Lehrer/innen, die nicht
an den Gedankenschmieden teilnehmen,
informiert werden. In einigen Kommunen
haben sämtliche Angestellte die Berichte an
Fortbildungstagen gelesen. In anderen Kommunen hat man örtliche Gedankenschmieden
geschaffen, wobei die Repräsentanten der
Kommunen, die an den ursprünglichen Gedankenschmieden teilgenommen haben, jetzt
Entwicklungsleiter in der neuen Arbeit wurden. Einige Kommunen haben auch ein deutliches Interesse daran gezeigt, in der Zukunft
bei der Finanzierung von Berufsforschung und
der Einrichtung von Forschungsstellen in den
Kommunen mit dabei zu sein. Eine gemeinsame Auffassung, die oft angesprochen wird,
ist, dass die teilnehmenden Lehrer/innen und
20
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Forscher/innen einen deutlichen Entwicklungsprozess durchlebt haben. Andererseits ist
es für Lehrer/innen, die nicht an der Gedankenschmiede teilgenommen haben, schwieriger diesen Prozess nachzuvollziehen. Dies
ist eine der Herausforderungen, vor denen die
Gedankenschmiede in der Zukunft steht.
Anmerkung
1 Diese individuellen Entwicklungspläne werden
für jede/n Schüler/in einzeln in Kooperation
mit dem betreffenden Schüler bzw. der betref­
fenden Schülerin, den Lehrer/innen und Eltern
erstellt.
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Marco Snoek
Lehrerausbildung:
Gemeinsame Verantwortung
von Lehrerbildungsinstituten
und Schulen
Marco Snoek, Associate
Professor at the Amsterdam
Institute of Education, The
Netherlands. His research
focuses on teacher education
policies and on professional
quality and professional development of teachers in the
context of school innovation
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Die Europäische Kommission und zahlreiche
Mitgliedsstaaten der Union betrachten die Zusammenarbeit zwischen Lehrerbildungsinstituten und Schulen bei der Lehrer/innenbildung als wichtige Bedingung, um den Bedarf
an ausreichend und gut qualifizierten Lehrer/
innen zu stillen. Die Zusammenarbeit bei der
Lehrer/innenbildung ist in einem breiteren
Kontext zu betrachten, in dem Partnerschaften zwischen Lehrerbildungsinstituten und
Schulen auch zu Lehrplaninnovation, Schulund Kompetenzentwicklung beitragen.
In den vergangenen Jahren haben die entsprechenden Stellen in den Niederlanden unter dem Titel „Ausbilden in der Schule“ umfassende Erfahrungen mit einer intensiveren
Zusammenarbeit zwischen Lehrerbildungsinstituten und Schulen erworben.
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Snoek: Lehrerausbildung: Gemeinsame Verantwortung von Lehrerbildungsinstituten und Schulen
Alle Beteiligten betrachten „Ausbilden in
der Schule“ als Bereicherung und einen Beitrag zur Qualitätssteigerung. Es bestehen zwar
noch mehrere Dilemmata, die gelöst werden
müssen, aber die Bereitschaft, sich von den
überholten Rollenverteilungen zu lösen, hat
zu „exciting partnerships“ mit Schulen, zu
neuen Rollen und Verantwortungsbereichen,
zu faszinierenden Experimenten mit neuen
Modellen für die Lehrer/innenbildung und
zu einem Mehr an Vertrauen der Schulen in
die Beiträge und die Qualität der Lehrerbildungsinstitute geführt.
Beteiligung von Schulen an
der Lehrer/innenbildung
Im Laufe des zurückliegenden Jahrzehnts
wurden die Schulen in stärkerem Maße an
der Lehrer/innenbildung beteiligt. Diese Beteiligung wurde durch zwei Entwicklungen
begünstigt. Als erster Faktor ist die gesteigerte Autonomie der Schulen zu nennen. In
zahlreichen europäischen Ländern hat man
erkannt, dass Schulen auf die Bedürfnisse
der Schüler professionell reagieren und die
Anforderungen der lokalen Bevölkerung berücksichtigen müssen. Forschungsarbeiten ergaben, dass die Qualität der Lehrer/innen in
signifikantem Maße und positiv mit der Leistung von Schülern korreliert. Daraus ergibt
sich auch der wichtigste schulinterne Aspekt
der Schülerleistung (European Commission,
2007; Hattie, 2007; Barber & Mourshed, 2007).
Entsprechend müssen Schulen eine aktive Rolle bei der professionellen Entwicklung ihrer
Mitarbeiter/innen aufbauen.
Bei der zweiten Entwicklung handelt es
sich um den Lehrer/innenmangel. In mehreren Ländern Europas besteht ein drastischer
Lehrer/innenmangel oder wird in naher Zukunft ein derartiger Mangel bestehen, da eine
umfangreiche Gruppe von Lehrer/innen über
50 in den Ruhestand tritt (European Commission, 2007). Schulen werden sich zur Bewältigung des erwarteten Lehrer/innenmangels
zunehmend der qualitativen und quantitativen
Anforderungen an die schulischen Mitarbeiter
bewusst. In zahlreichen Schulen hat das Erkennen dieser Anforderungen zu einer aktiven
Personalbeschaffungs-, Entwicklungs- und
Lehrerbindungspolitik geführt.
Partnerschaften zwischen
Schulen und Lehrerbildungs­
instituten
Die Beteiligung der Schulen an der Lehrer/
innenbildung hat in zahlreichen Ländern die
Entwicklung enger Partnerschaften zwischen
Schulen und Lehrerbildungsinstituten nach
sich gezogen.
Motivation zu einer derartigen Partnerschaft besteht nicht nur auf Seite der Schulen,
sondern auch bei den Lehrerbildungsinstituten. Die Notwendigkeit, die Lücke zwischen
Theorie und Praxis zu überwinden, stellt für
Lehrerbildungsinstitute, die eine enge Kooperation mit Schulen anstreben, einen wichtigen
Beweggrund dar. Diese Kooperation wurde
von Auffassungen zur Lehrer/innenbildung
angeregt, die die Bedeutung einer Einbindung
der Studierendenausbilder in eine authentische und realistische Lernumgebung betonen (Korthagen, 2001). Entsprechend liegt
die Betonung auf der schulischen Praxis der
Lehre, auf kompetenzgestützter Lehrer/innenbildung und auch auf Lehrer/innenbildung in
der Schule, wobei der überwiegende Teil des
Ausbildungsprogramms in der Schule stattfindet.
Im Rahmen dieser Partnerschaften werden
neue Rollen und Verantwortungsbereiche
entwickelt. Das Gleichgewicht bei den Rollen
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
und Verantwortungsbereichen hängt stark von
den Entscheidungen ab, die innerhalb einer
Partnerschaft getroffen werden. Es bestehen
zahlreiche Partnerschaften, etwa mit Lehrerbildungsinstituten, die vollständig für die
Ausbildung neuer Lehrer verantwortlich sind,
oder mit Schulen, die vollständig für die Lehrer/innenbildung zuständig sind (wie einige
der Initiativen in Großbritannien vor einigen
Jahren, an denen keine Institute auf höherer
Bildungsebene beteiligt waren).
Auch im Schwerpunkt der Partnerschaften
bestehen Unterschiede. In zahlreichen Partnerschaften zwischen Schulen und Lehrerbildungsinstituten liegt die Betonung auf Vorteilen, Rollen und Verantwortungsbereichen
hinsichtlich der Anfangsausbildung von Studierenden. Partnerschaften haben jedoch ein
weitaus höheres Potenzial, einschließlich Prozessen zu Schulentwicklung, Lehrplaninnovation, professioneller Entwicklung von Lehrer/innen in der Schule und der Entwicklung
von Kompetenzen zu Lehre und Lernen. Lehrerausbilder können ihre Kompetenzen nutzen, um zur Lehrplaninnovation beizutragen,
und Lehrer/innen in der Ausbildung kommen
als Zusatzkapazität in der Verbesserung schulischer Verhältnisse und Forschungsarbeiten
in Frage. Der Beitrag von Studierenden kann
besonders in Situationen, in denen sie viel Zeit
in der Schule verbringen, wertvoll sein.
Partnerschaften in den
Niederlanden
Am Ende des 20. Jahrhunderts war die Zusammenarbeit zwischen Lehrerbildungsinstituten und Schulen in den Niederlanden von
wechselnden Verhältnissen gekennzeichnet.
Es bestand eine fruchtbare Zusammenarbeit
im Bereich der Praktika, in deren Rahmen
Studierende mit Aufträgen der Lehrerbil-
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dungsinstitute an Praktika in der Schule teilnahmen und dabei von Praktikumsbetreuern
der Schulen begleitet wurden. Die Ausbilder/
innen des Lehrerbildungsinstituts besuchten
die Praktikanten während des Praktikums ein
oder zwei Mal. Die Bereitschaft, Praktikanten
anzunehmen, hing vor allem von der Bereitschaft einzelner Lehrer/innen an den Schulen
ab. Den Betreuer/innen stand nur eine sehr
geringe finanzielle Vergütung zur Verfügung,
sodass ein Mangel an Praktikumsplätzen entstand und die Bereitschaft der Betreuer/innen,
sich in Betreuungskompetenzen zu schulen,
eher gering war.
Auch hatte der Umfang des Praktikums in
den 90er Jahren infolge der Einführung eines
selbstständigen Endpraktikums am Ende des
vierten Jahres des Bachelor-Studienganges
deutlich zugenommen. Während dieses selbstständigen Endpraktikums arbeiteten Studierende ein halbes Jahr lang selbstständig in der
Schule (wobei der Betreuer/die Betreuerin
nicht während jeder Unterrichtsstunde anwesend war, sondern die Betreuung auf Abstand
übernahm). Als Ziel dieses selbstständigen
Endpraktikums galt es, den beim Wechsel
von der Ausbildung zur beruflichen Praxis
vorkommenden Schock zu verringern.
Ab dem Jahr 2000 strebte die niederländische Bildungspolitik eine zentrale Rolle der
Schulen in der unterstützenden Bildungsinfrastruktur an. Schulen sollten bei der Formulierung ihrer Anforderungen und Bedürfnisse
vorangehen und die unterstützenden Institutionen (für die Lehrplanentwicklung, Schulung während des Dienstes) sollten auf diese
Anforderungen eingehen. Eine Änderung, die
durch die Übertragung von Budgets (mit Ausnahmen) von unterstützenden Institutionen
an die Schulen gefördert wurde (z.B. die Finanzmittel für die Schulung von Lehrer/innen
im Dienst und die Innovationsbudgets). Zur
gleichen Zeit regte die Regierung die Lehrer-
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Snoek: Lehrerausbildung: Gemeinsame Verantwortung von Lehrerbildungsinstituten und Schulen
bildungsinstitute dazu an, ihre Empfänglichkeit gegenüber Schulanforderungen zu erhöhen, Innovationsmittel bereitzustellen und
regionale Partnerschaften zwischen Schulen
und Lehrerbildungsinstituten zu fördern.
Parallel zu diesem Prozess haben die Lehrerbildungsinstitute ab 2000 ihre Zusammenarbeit mit Schulen intensiviert. Ziel der Lehrerbildungsinstitute war es, die Lücke zwischen
Theorie und Praxis zu schließen und den Studierenden eine authentische Lehrumgebung
zu bieten. Dazu gingen die Bildungsinstitute
auf regionaler Ebene ein Kooperationsbündnis
mit Schulen der Region ein. Bei diesen Bündnissen wurden Vereinbarungen zwischen den
Lehrerbildungsinstituten und Schulen getroffen, die unter anderem den Einsatz von Studierenden an Schulen betrafen. Für die Aktivitäten der Studierenden waren die Anforderungen und Projekte der Schulen maßgeblich,
nicht die Aufträge der Lehrerbildungsinstitute.
Studierende entwickeln sich auf diese Weise zu
einer Bereicherung (als zusätzlicher Bestand
in der Klasse und in Projekten) und nicht zu
einer Belastung der Schule. Einige Schulen
waren sogar bereit, Studierenden ein Gehalt
zu zahlen.
Auswirkungen von
„Ausbilden in der Schule“
Die Kooperationsbündnisse und die gemeinsame Gestaltung von „Ausbilden in der
Schule“ haben sich in signifikantem Maße auf
Schulen und Lehrer/innenbildungsinstitute
ausgewirkt.
In erster Linie hat sich „Ausbilden in der
Schule“ zu einem Bestandteil der innerschulischen Politik entwickelt. Die Bereitschaft,
Praktikant/innen eine Stelle in der Schule zu
geben, hängt nicht mehr vom Wohlwollen der
einzelnen Praktikumsbetreuer ab, sondern ist
eine bewusste Entscheidung der Schule. Eines
der Ziele hierbei ist es zwar, eine höhere Kapazität in der Klasse und in Innovationsprojekten zu erreichen, auf der anderen Seite aber
versuchen Schulen aufgrund des derzeitigen
Lehrermangels in den Niederlanden, Studierende bereits während der Ausbildungszeit an
sich zu binden.
Lehrerbildungsinstitute schließen Kooperationsbündnisse mit der Leitung von Schulen, wobei die Schulen stets höhere Anforderungen an die Anzahl der Studierenden, die
Qualität der Ausbildung und die Betreuung
durch das Lehrerbildungsinstitut, die Kapazität für schulspezifische Aufträge usw. stellen.
In zahlreichen Fällen schaffen Schulen eine
deutliche Verbindung zwischen ihrem Programm für „Ausbilden in der Schule“ und der
Professionalisierung der eigenen Lehrkräfte.
Ausbilder an der Schule werden als vollwertige Kolleg/innen der Lehrerausbilder an
Pädagogischen Hochschulen und Universitäten betrachtet. Eine wachsende Gruppe von
Ausbildern in der Schule gehört der „Nederlandse vereniging van lerarenopleiders“ (Niederländischer Verband der Lehrerausbilder)
an. Dieser Verband veranstaltet derzeit ein
Projekt, in dessen Rahmen untersucht wird,
ob der spezifische Kontext von Ausbildern
in der Schule eine Anpassung des Registrierungsverfahrens für das Berufsregister der
Lehrerausbilder nach sich ziehen muss. Einige
Ausbilder in der Schule wurden bereits in das
Register aufgenommen.
Auch der Modus, bei dem Praktikumsstellen vom Lehrerbildungsinstitut an Studierende zugewiesen werden, hat sich geändert. In
einigen Instituten wird ein Markt eingeführt,
auf dem Schulen sich selbst sowie die Möglichkeiten präsentieren, die sie Studierenden
bieten können, und auf dem die Student/innen
anschließend wählen, bei welcher Schule sie
sich bewerben möchten.
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
Die neue Rolle der Student/innen innerhalb
der Schule führte zu einer stärkeren Bindung
an die Praktikumsschule. An vielen Schulen
werden Studierende (vor allem im vierten
Jahr) als gleichwertige Kolleg/innen betrachtet. Sie erhalten ein deutlicheres Bild von der
komplexen Wirklichkeit der Schule und eine
höhere Motivation, den Beruf des Lehrers/der
Lehrerin auszuüben.
Auch die Änderungen, die sich für die
Lehrer/innenbildung ergeben haben, haben
ein beträchtliches Ausmaß. Häufiger als früher haben Studierende nach der Rückkehr
aus dem Praktikum konkrete Fragen, die sich
auf Erfahrungen an der Ausbildungsschule
beziehen. Lehrerausbilder müssen sich daran
ausrichten und ihre Ausbildung stärker an der
Praxis orientieren.
Um die Zusammenarbeit mit Schulen ausreichend zu pflegen, wurden innerhalb der
Lehrerbildungsinstitute „Beziehungsmanager“
eingesetzt, die für die Pflege der Beziehungen
zu der spezifischen Schule verantwortlich sind.
Sie besuchen diese Schulen regelmäßig und
sind für die Schulen auch in anderen Aspekten
der Lehrer/innenbildung ein Ansprechpartner.
Aufgrund ihrer Kenntnisse zur spezifischen
Situation an der Schule können sie bei der
Betreuung der Studierenden auf den konkreten Kontext innerhalb der Schule eingehen.
Einige Schulen möchten außer den Praktika
auch andere Komponenten des Lehrplans
gemeinsam gestalten. Eine Schule möchte
beispielsweise, dass im Modul „Schülerbegleitung“ dem spezifischen Schülerbegleitungssystem dieser Schule besondere Aufmerksamkeit gilt.
Nicht alle Schulen haben sich dazu entschieden, eine aktive Rolle in „Ausbilden
in der Schule“ einzunehmen. Besonders die
Schulen mit einer aktiven Personalpolitik
entscheiden sich für ein intensives Verhältnis
zur Lehrer/innenbildung. Zudem ist es den
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Lehrerbildungsinstituten nicht möglich, mit
allen Schulen einer Region ein gleichermaßen
intensives Verhältnis zu pflegen.
Aktive Schulen haben in den vergangenen
Jahren staatliche Hilfe erhalten. Sie konnten
Subventionen beantragen, um gemeinsam mit
den Lehrerbildungsinstituten das Programm
„Ausbilden in der Schule“ zu entwickeln. Die
entsprechenden Initiativen mussten von den
Schulen selbst kommen. Die Initiativen der
Lehrerbildungsinstitute passen nicht zur Auffassung der zentralen Behörden, dass Schulen
das Zentrum der Bildungsinfrastruktur seien
und Lehrerbildungsinstitute sich an deren
Nachfrage ausrichten müssten.
Die nächsten Schritte
Derzeit werden zwei Elemente weiter ausgearbeitet:
1. Die Qualitätssicherung der Lehrumgebung an der Schule.
Wenn ein zentraler Bestandteil der Lehrer/innenbildung an der Schule stattfindet,
ist die Überwachung der Qualität der Lehrumgebung von wesentlicher Bedeutung. Zu
diesem Zweck werden derzeit gemeinsame
Qualitätsstandards für Lehrerbildungsinstitute
erstellt und wurden die Qualitätsaspekte von
„Ausbilden in der Schule“ in die Akkreditierungsstandards aufgenommen.
2. Die Verbindung zwischen Ausbildung,
Innovation und Kompetenzentwicklung.
2006 begann an 40 Schulen das Pilotprojekt
„Akademische Ausbildungsschule“. In diesen
Pilotprojekten wird eine Verbindung zwischen
„Ausbilden in der Schule“ (das vor allem die
Anfangsausbildung von Lehrer/innen betrifft),
Innovationsprojekten innerhalb der Schule
und praxisbezogenen Forschungsarbeiten von
Lehrer/innen, Studierenden und Forscher/
innen für die Kompetenzentwicklung in der
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Snoek: Lehrerausbildung: Gemeinsame Verantwortung von Lehrerbildungsinstituten und Schulen
Schule hergestellt. In den Pilotprojekten wird
eine Kultur angestrebt, die in stärkerem Maße
forschungsgerichtet ist.
Problempunkte in
„Ausbilden in der Schule“
Hat sich „Ausbilden in der Schule“ damit als
Erfolg erwiesen? Der Ton, in dem die Entwicklung hier oben beschrieben wird, legt diese Aussage nahe. Aber es bestehen weiterhin
zahlreiche Problempunkte, die in der nahen
Zukunft die Aufmerksamkeit von Schulen,
Lehrerbildungsinstituten und zentralen Behörden erfordern.
1. Das Interesse der Studierenden
Beim Gestalten der Partnerschaft müssen
die Anforderungen an die studentischen Lehrkräfte ausdrücklich berücksichtigt werden:
Ihre Aktivitäten an der Schule müssen ausdrücklich zum Erwerb der angezielten Lehrkompetenzen beitragen. Studierende können
nicht ohne weiteres als Assistent/innen an der
Schule eingesetzt werden. Um ihre Lehrprozesse zu fördern, muss studentischen Lehrer/
innen ermöglicht werden, ihre Tätigkeit in einer Vielzahl von Situationen und Kontexten
auszuüben. Die Bewertung der studentischen
Lehrer/innen muss transparent und unabhängig erfolgen.
Schulen neigen gelegentlich dazu, ihre eigene Organisation und ihren Ansatz in den Mittelpunkt zu stellen. Hierbei besteht das Risiko,
dass die Studierenden eine nur eingeschränkte
Perspektive entwickeln und damit die Möglichkeit zum Einsatz der Absolvent/innen in
einem breiten Betätigungsfeld bedroht ist. Es
muss ein Gleichgewicht zwischen landesweiten Standards, die die Mobilität und die Vermittlungsfähigkeit der neuen Schüler/innen in
allen Schulen gewährleisten und der an Schulen bestehenden Tendenz, die Ausbildung der
neuen Lehrer/innen auf die spezifische Lage
an dieser Schule auszurichten, schaffen.
2. Partnerschaften und Konjunktur
Das Interesse der Schulen für „Ausbilden
in der Schule“ kann im Wesentlichen mit dem
drohenden Lehrer/innenmangel erklärt werden. Damit besteht das Risiko, dass die Kooperationsbündnisse zusammenbrechen, wenn
der Lehrer/innenmangel behoben ist. In mehreren Fällen werden Kooperationsbündnisse
an die Personalpolitik der Schule gekoppelt.
Damit wird eine strukturiertere Verbindung
zwischen dem Lehrerbildungsinstitut und der
Schule geschaffen.
3. Flexibilität der Ausbildungsgänge
Aus der Flexibilität der Ausbildungsgänge
ergibt sich eine signifikante Spannung. Von
den Lehrerbildungsinstituten wird erwartet,
dass sie nachfrageorientiert arbeiten und auf
die Anforderungen der Schulen eingehen. Ein
Umstand, der von den Lehrerbildungsinstituten ein hohes Maß an Flexibilität erfordert,
vor allem wenn sie Kooperationsbündnisse
mit mehreren Schulen geschlossen haben,
die unterschiedliche Wünsche und Erwartungen haben. Lehrerbildungsinstitute sind
nicht immer in der Lage, die an sie gerichtete Nachfrage ausreichend zu erfüllen. In der
Folge beschweren sich die Schulen über eine
mangelnde Nachfrageorientierung der Lehrerbildungsinstitute.
4. Spannung zwischen Nachfrage von Schulen und gesetzlichen Vorgaben
Der Umfang, in dem Schulen sich auf ihre
eigenen Anforderungen und Bedürfnisse einrichten können, wird auch in wesentlichem
Maße durch die gesetzlichen Vorgaben beschränkt. So gaben Schulen an, dass ein Bedarf an Lehrer/innen bestehe, die für eine
Fächerkombination ausgebildet sind, während die gesetzlichen Vorgaben für die Lehrerbildungsinstitute für die weiterführenden
Schulen von Lehrer/innen ausgehen, die auf
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
nur ein Fach spezialisiert sind. In derartigen
Situationen geraten Lehrerbildungsinstitute
in eine Problemsituation zwischen den Anforderungen der Schulen und den staatlichen
Vorgaben.
5. Geld und Macht
„Ausbilden in der Schule“ erfordert Leistungen seitens der Schulen und damit Investitionen, z.B. beim Einsatz von „Ausbildern
in der Schule“. Zahlreiche Schulen denken,
dass bei ihrer stärkeren Einbindung in die
Ausbildung die Lehrerbildungsinstitute weniger Leistung erbringen müssen. In diesem
Rahmen fordern einige Schulen einen Teil
ihres Budgets von den Lehrerbildungsinstituten. Die Kosten für Lehrerbildungsinstitute
sinken jedoch nicht, da sie höhere Beträge in
das Beziehungsmanagement investieren müssen. Die zentralen Behörden haben in das allgemeine Budget von Schulen einen separaten
Posten für Weiterbildung und Professionalisierung aufgenommen und gehen davon aus,
dass Schulen damit ausreichend ausgestattet
sind. Die Kosten für „Ausbilden in der Schule“
stellen allerdings weiterhin einen Diskussionspunkt dar, der den Gedanken gemeinsamer
Verantwortung und die wirksame Nutzung
aller Kompetenzen und der verfügbaren Kapazitäten beeinträchtigen könnte.
Der Ausgangspunkt, dass Lehrerbildungsinstitute sich nachfrageorientiert geben
müssen, führt in einigen Fällen zu einem
Machtstreit zwischen Schulen und Lehrerbildungsinstituten. Initiativen und neue Ideen
der Lehrerbildungsinstitute werden schnell
als „angebotsorientiert“ abgelehnt. Mehrere
Schulen haben auch bereits angegeben, den
Ehrgeiz zu haben, ihre eigenen Lehrer/innen
auszubilden. Bisher hat der Minister noch
keine entsprechende Genehmigung erteilt:
Bachelor- und Master-Studiengänge sind Pädagogischen Hochschulen und Universitäten
vorbehalten.
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Schulen erbringen jedoch bessere Ergebnisse beim Organisieren in landesweiten Dachverbänden. Diese Dachverbände werden in
Zukunft höhere Anforderungen an die Lehrer/innenbildung stellen, die sich auch auf die
Qualität ihrer in den Lehrerbildungsinstituten
ausgebildeten Mitarbeiter/innen beziehen.
Eine vorläufige Bilanz
Die Erfahrungen in den Niederlanden haben
gezeigt, dass eine stärkere strukturelle Partnerschaft zwischen Schulen und Lehrerbildungsinstituten die Ausbildung während des
Einsatzes in der Schule stimuliert und Innovationen des Lehrplans sowie Forschung an
Schulen als auch an Lehrerbildungsinstitute
belebt (van der Sanden et al., 2005). Die Vorteile für Schulen bestehen in den neuen Ideen
und der Energie, die studentische Lehrer/innen einbringen. Damit wird die professionelle
Entwicklung der Lehrer/innen an der Schule
gefördert, werden älteren Lehrer/innen neue
Herausforderungen geboten (z.B. als Mentor
für studentische und beginnende Lehrer/innen) und wird die Kapazität für Innovation
und Forschung gesteigert.
Lehrerbildungsinstitute steigern ihre Sensibilität und Empfänglichkeit gegenüber den
Anforderungen der Schulen. Dieser Vorgang
zieht eine Innovation des Ausbildungsprogramms für studentische Lehrer/innen nach
sich. Gegenseitiges Verständnis und Vertrauen
haben sehr stark zugenommen und resultierten in einer stärkeren Anerkennung der Kompetenzen der anderen Seite.
Gegenseitiges Verständnis und Vertrauen
können sich nur entwickeln, wenn die Beteiligten das gleiche Verantwortungsgefühl kennen und bereit sind, entsprechend dieser Verantwortung zu handeln. Diese Verantwortung
setzt die Bereitschaft voraus, neue Positionen
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Snoek: Lehrerausbildung: Gemeinsame Verantwortung von Lehrerbildungsinstituten und Schulen
einzunehmen und Traditionen und Routinen
zu überdenken.
In diesem Prozess werden traditionelle
Grenzziehungen herausgefordert. In den Niederlanden wurden „exciting partnerships“ zwischen Lehrerbildungsinstituten und Schulen
entwickelt, die neue Rollen und Verantwortungsbereiche, faszinierende Experimente mit
neuen Modellen für die Lehrer/innenbildung
und ein erneuertes Vertrauen der Schulen in
den Beitrag und die Qualität der Lehrerbildungsinstitute brachten.
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Marguerite Altet
Universitäre Lehrerausbildung
in Frankreich: Kompetenz­
entwicklung in den IUFM1
Marguerite Altet, Prof. für
Erziehungswissenschaften an
der Universität von Nantes
– CREN – und Direktorin des
IUFM der Länder der Loire.
Aktueller Arbeitsschwerpunkt:
Lehrerbildung und Professionalisierung
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Seit 1992 wird die Grundausbildung aller
französischen Lehrkräfte – ob sie dem öffentlichen oder dem privaten, unter Vertrag
mit dem Staat stehenden Bereich angehören –
durch Einrichtungen der Höheren Schulbildung sichergestellt: den Universitätsinstituten
für Lehrerausbildung (IUFM). Diese Institute
haben die ehemaligen unterschiedlichen Ausbildungsstätten (genannt: „Ecoles professionelles“) abgelöst, die einzeln unter der Verantwortung des Arbeitgebers die verschiedenen
Kategorien von Lehrern ausgebildet hatten,
jeweils mit unterschiedlicher Dauer und nach
unterschiedlichen Methoden und Programmen: Volksschullehrer in den pädagogischen
Akademien der Bundesländer (orig. Zit.: Ecoles Normales départementales), Lehrer der
Ausbildungsschulen (orig. Zit.: Lycées pro-
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Altet: Universitäre Lehrerausbildung in Frankreich: Kompetenzentwicklung in den IUFM
fessionnels) in den nationalen pädagogischen
Akademien (orig. Zit.: Ecoles Normales Nationales), Professoren der Gymnasien, Ober- und
Unterstufe (orig. Zit.: Lycées et Collèges) in
den regionalen pädagogischen Zentren (orig.
Zit.: Centres Pédagogiques Régionaux). Heute
ist das System vereinheitlicht.
Seit 2006 sind die IUFM durch ein neues
Orientierungsgesetz als interne Institute in die
Universität integriert.
Die IUFM hatten anfangs gegen Widerstand von Gruppen anzukämpfen, die die
widersprüchlichen Strömungen der französischen Debatte über die Schule bestimmen.
Ihre kurze Geschichte war – durch politische
Veränderungen bedingt – gekennzeichnet
von Vorstößen, Rückschlägen und Anfechtungen.
Ich werde mich bemühen, zu zeigen, dass,
trotz der Widersprüche und des Infragestellens, die IUFM allmählich ein neues Paradigma entwickelt haben, um professionelle Lehrkräfte auszubilden und dabei die folgenden
zwei alten Modelle hinter sich zu lassen:
• jenes des Handwerkers, der ohne Einbezug eines universitären Studiums ausschließlich berufsbezogen ausgebildet
wurde und
• jenes des akademisch gebildeten „maître“,
dessen Ausbildung jedoch ohne Bezug zur
tatsächlichen Vielfalt des Berufes vonstatten ging.
Der Artikel besteht aus zwei Teilen:
• Zunächst werden die pädagogischen Überlegungen des französischen Gesetzgebers
aufgezeigt, die die Basis für die Schaffung
und anschließende Integration der IUFM
in die Universität bildeten.
• Im zweiten Teil wird zu zeigen versucht,
dass die IUFM durch die Umsetzung der
Empfehlungen des Gesetzgebers allmählich einen neuen Referenzrahmen für
die Ausbildung der Lehrkräfte schaffen,
der folgende Kernkomponenten umfasst:
„professionelle Lehrer/innen“, dazu: die
professionalisierende Ausbildung rund
um das Bezugssystem von 10 Kompetenzen, die Praxisanalyse und die so genannte
Alternanz als duale Form der Professionalisierung.
Die IUFM und ihre Leitsätze
1. Prinzip: Ausbildung aller Lehrkräfte in
derselben – in einer Universität integrierten –
universitären Einrichtung
Die IUFM sollen tatsächlich alle Lehrkräfte in derselben universitären Einrichtung und
teilweise auch gemeinsam ausbilden. Diese
Absicht vollendet den zweifachen Entwicklungsprozess der Rationalisierung und Demokratisierung des französischen Erziehungssystems. Nachdem die Unterrichtniveaus in
einer ineinander greifenden Struktur und in
einem Kontext der Demokratisierung vereinheitlicht wurden und sich das Schulsystem
als eine Folge von Etappen einer allen offen
stehenden Ausbildung präsentiert, schien es
nicht länger zweckdienlich, Personen, die dazu
bestimmt waren, in dem gleichen Ganzen zu
arbeiten, getrennt auszubilden. Dem Willen,
alle Lehrkräfte gemeinsam auszubilden, entsprechen zwei Ziele:
1. Ziel: Der Gesamtschule, die in Frankreich in den 60er Jahren entwickelt wurde,
soll heute ein Lehrkörper entsprechen, dessen
Mitglieder aus dem gleichen Studienniveau
rekrutiert werden, das gleiche Gehalt beziehen und eine berufsbezogene Ausbildung von
gleicher Dauer (2 Jahre) und gleicher Form
(duale Struktur, Alternanz) erhalten, gleichgültig ob sie im Kindergarten oder im Gymnasium (Lycée) unterrichten. Diese Ausbildung
sieht gemeinsame und je nach Einsatzgebiet
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
spezifische Phasen vor, die jedoch nicht mehr
durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten
Schultyp bestimmt werden.
2. Ziel: Eine „Schule für alle“ erfordert die
Entwicklung einer gemeinsamen Kultur aller
Lehrerinnen und Lehrer. Ob man in der Volksschule unterrichtet oder am Gymnasium – man
ist angehalten, seine Tätigkeit als Lehrender
an einer gemeinsamen Basis professioneller
Praktiken, Verantwortlichkeiten und Werte
auszurichten, die während der Ausbildung aufgebaut werden sollte und die Bezug nimmt auf
die Lernprozesse von Schüler/innen, die Lehrtechniken der Lehrer/innen und insgesamt die
Verantwortung der Handelnden im Zentrum
eines Erziehungssystems. Egal ob man an der
Volksschule oder am Gymnasium unterrichtet, es soll eine Kultur der kollegialen Zusammenarbeit entstehen, deren Grundlage in der
Ausbildung geschaffen werden muss: etwa kollegiale Zusammenarbeit von Lehrer/innen, die
für dieselben Schülergruppen oder für Schüler/innen desselben Jahrgangs oder Schultyps
verantwortlich sind, gemeinsam umgesetzte
Projekte an einer Einrichtung, Koordination
innerhalb und zwischen den einzelnen Ausbildungszyklen, sowie schließlich zwischen den
verschiedenen Bildungsinstitutionen.
Diese schwierig umzusetzende Entscheidung, alle Lehrer/innen am selben Institut
auszubilden, ist nicht unbedeutend, da sie erlaubt, über die speziellen zu unterrichtenden
Wissensgebiete hinaus, einen gemeinsamen
Grundstock zu entwerfen, in dem diese Ausbildung beheimatet ist und der zweifellos den
essentiellen, gemeinsamen, fachübergreifenden Teil des Berufes ausmacht.
2. Prinzip: Orientierung der Ausbildung nach
einem Referenzsystem von 10 Kompetenzen,
ausgehend von der Unterrichtspraxis
Die Texte der Richtlinien, der Pflichtenkatalog, der vom Gesetzgeber für die IUFM
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ausgearbeitet wurde, sind auf einem Referenzsystem von 10 zu erreichenden Kompetenzen
und einer Analyse von Aufgaben aufgebaut,
die eine Lehrkraft von heute konkret zu übernehmen hat (Juni 2007).
Die Prämisse ist, dass Lehrkräfte Kenntnisse vermitteln und daher ihr wissenschaftliches
Niveau bei der Anstellung dem akademischen
Wissen entsprechen soll, welches während der
3 Jahre des Bachelorstudiums (Licence) an der
Universität aufgebaut wurde. Gleichzeitig ist
der gesamte Wissensbereich des Unterrichtens
selbst von Bedeutung, welchen es gilt, während
der Ausbildung aufzubauen (pädagogisches
Wissen über interaktives Leiten der Klasse,
didaktisches Wissen in den einzelnen Disziplinen, Wissen um die Lehrkultur); parallel dazu
besteht der praktische Wissensbereich, der aus
den täglichen Erfahrungen des Berufes hervorgeht, sowie das kontextbezogene Wissen,
das in der Arbeitssituation erworben wird.
Diese Wissensbereiche stellen die Hauptziele
der Ausbildung dar. Darüber hinaus erfordert
der Beruf des Lehrers – in enger Verbindung
mit dem Erwerb von Fachwissen – auch Fähigkeiten und Verhaltensweisen, von denen
einige die Frage der Wissensvermittlung weit
überschreiten.
Die Richtlinien beschreiben die zehn zu
entwickelnden Kompetenzen, welche zum
Ausdruck bringen, dass Lehrer/innen ihre
Rolle nicht nur in der Klasse wahrzunehmen
haben, sondern in der schulischen Einrichtung
und im gesamten Erziehungssystem, zu dessen
Existenz und Entwicklung sie beitragen:
Die Ziele erfordern
• Kenntnisse, welche die Basis für interdisziplinäre Praktiken und Teamarbeit schaffen;
• Kompetenzen zur Teamarbeit, zur Umsetzung interdisziplinärer Strukturen, zur
Einrichtung und Aufrechterhaltung von
Partnerschaften.
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Altet: Universitäre Lehrerausbildung in Frankreich: Kompetenzentwicklung in den IUFM
Dieses Bezugssystem von 10 Kompetenzen
macht es möglich, die Kernbereiche zu identifizieren, die in der Ausbildung zu berücksichtigen sind, und eine Basis für die Entfaltung
einer im Entstehen begriffenen Professionalität vor globalem Hintergrund zu schaffen. Die
Grundausbildung ist konzipiert als Eintritt in
eine lebenslange Ausbildung. Sie ist gedacht
als (Professionalisierungs-)Kontinuum, welches Grundausbildung und Weiterbildung
ineinander fügt. Dies setzt voraus, dass die
Gliederung der Grundausbildung Bedingungen schafft, damit jeder angehende Professor
fähig ist,
• seine Praxis klar zu konzipieren und zu
analysieren
• seine eigene Kompetenzbilanz zu erstellen
• ein gemeinsames Ausbildungsprojekt mit
Kollegen zu verhandeln
• in Partnerschaft mit Vertretern anderer
Sozialeinrichtungen (Gemeinschaften, diverser Vereine, etc.) zusammenzuarbeiten.
Der neue Pflichtenkatalog 2007 beschreibt
eine gemeinsame nationale Richtlinie für die
Lehrerausbildung, welche auf den Aufbau der
zehn professionellen Kompetenzen durch die
Einrichtung einer dualen, Theorie und Praxis
eng verschränkenden Ausbildung (Alternanz)
ausgerichtet ist. Es handelt sich also hierbei
um eine Logik des Ineinandergreifens der
praktischen Erfahrung und einer fundierten,
tief gehenden Analyse dieser Praxis, welche
bei der Umsetzung dieses Ausbildungsplanes
als Ziel hat, Lehrer/innen auszubilden, die
fähig sind, ihre praktischen Erfahrungen zu
reflektieren und berufliche Probleme eigenständig zu lösen.
Die nationale Richtlinie des Pflichtenkatalogs verschreibt sich einem Ausbildungskontinuum. Die Ausbildung beginnt ab dem
Studium zur „Licence“ und geht weiter mit
dem Jahr der Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen (orig. Zit.: Concours). Danach
folgt ein Jahr Praxiseinführung, an das sich
die ersten beiden einführenden Berufsjahre
anschließen.
Dieses Kontinuum schließt unterschiedliche universitäre und berufliche Laufbahnen
der praktizierenden Lehrer nicht aus. Der
angebotene Ausbildungsweg besteht sowohl
aus einem gemeinsamen Teil, der auf integrative Aspekte der Ausbildung eingeht, als
auch einem individualisierten Teil, der auf
die notwendigen Differenzierungen für jede
Praktikantin bzw. jeden Praktikanten Rücksicht nimmt.
Dennoch: die unerlässliche Spezifizierung
des Ausbildungsangebotes, welches von der
Herkunft, der vorangehenden Laufbahn und
den unterschiedlichen Profilen der zukünftigen Lehrer abhängig ist, darf nicht den integrierenden Charakter einer Ausbildung in
Frage stellen, die für die Schaffung einer gemeinsamen Identität förderlich ist.
Ein Pflichtenkatalog in Form eines Portfolios begleitet die Praktikant/innen während
ihres gesamten Ausbildungsweges und spielt
eine wichtige Rolle bei der Evaluation der
gesamten Laufbahn. „Die Berufsqualifikationsjury urteilt auf Basis des Portfolios des
Praktikanten und nach einem Gespräch mit
jedem Einzelnen“ (Auszug aus dem Anhang
des Pflichtenkatalogs der Lehrerausbildung).
Es wird nicht beabsichtigt, eine tief gehende
Beherrschung jeder einzelnen der im Pflichtenkatalog erwähnten Kompetenzen zu verlangen, die Berufsqualifikationsprüfung hat
jedoch sicherzustellen, dass die genannten
Kompetenzen in ausreichendem Ausmaß beherrscht werden.
Im Rahmen der „Licence professionalisation“ – Voraussetzung und Vorbereitung für die
Auswahlprüfung (orig. Zit.: Concours) – erhält
die Praktikantin/der Praktikant ECTS-Punkte.
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
Damit wird ihm die Aussicht zur Erlangung
eines Masters an der Universität eröffnet. Auf
diese Weise bezieht der neue Ausbildungsplan
die Forderungen nach universitärer Anerkennung aller absolvierten Lehreinheiten (orig.
Zit.: Unités d’Enseignement, UE) ein.
Darüber hinaus wurde eine gemeinsame
Basis von Kenntnissen und Kompetenzen
für Schülerinnen und Schüler formuliert, die
festlegt „was jeder am Ende der Pflichtschule
zu wissen hat.“ In der Lehrerausbildung wird
nun darauf geachtet, dass die Praktikant/innen
die von den Schüler/innen zu erwerbenden
Kompetenzen in ausreichender Form erkennen und vermitteln können.
3. Prinzip: Eingliederung der Lehrerausbildung
in die Universität; die Lehrerausbildung als
Zentrum eines Systems von Interaktionen
Im Unterschied zu anderen Ländern hat
man sich in Frankreich nicht dazu entschlossen, die Professionalisierung der Lehrer/innen
(herkömmlichen) Universitätsinstituten oder
einer Erziehungswissenschaftlichen Fakultät
anzuvertrauen. Dafür gibt es historische, kulturelle und andere Gründe. Die Wahl einer
universitären Einrichtung (Fachinstitut), einer
universitätsinternen Schule – des IUFM – das
seit dem Gesetz von 2005 der Universität angehört, in Verbindung mit zahlreichen Partnern, erlaubt es jedenfalls, die Professionalisierung ins Zentrum zu rücken. Gemäß den
Erfindern des IUFM muss eine vernünftige,
ideenreiche und kritische Lehrerausbildung,
die den konkreten Anforderungen des Berufs
entspricht, in einer universitären Einrichtung
stattfinden, welche die wissenschaftlichen Anforderungen, für die die Universität Garant ist,
die institutionellen Erfordernisse, für die der
Staat Rechnung trägt, und die praktischen
Erfordernisse, deren Träger die Ausbildungseinrichtung ist, miteinander verbinden und
Synergien schaffen. Diese interessante, wenn
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auch oft unbequeme Situation fördert die
Entwicklung von zahlreichen Partnerschaften und Kooperationen. Der andere Vorteil
eines solchen Systems ist, dass die Ausbilder allen möglichen Kategorien von Lehrer/innen angehören: Universitätslehrer und
-forscher, pädagogische Berater, Ausbilder
in Didaktik, in Philosophie und Erziehungswissenschaften – Ausbilder, die einen jeweils
unterschiedlichen Status und unterschiedliche institutionelle Zugehörigkeiten haben
und die sich kooperierend zu pädagogischen
Gruppen konstituieren und auf diese Art und
Weise eine gemeinsame Auffassung über die
Ziele und Erfordernisse der Ausbildung schaffen. Es handelt sich hierbei um eine günstige
Möglichkeit, Standpunkte auszudrücken,
Wissensbereiche und Können verschiedenen
Ursprungs zu integrieren und ein Ineinandergreifen von Praxis und Theorie zu schaffen.
4. Prinzip: Verbinden von Ausbildung und
Forschung im Rahmen eines Universitätsinstituts, welches Ausbilder aller Kategorien
umfasst
Seit 2006 sind die IUFM in die Universität
integriert und sind eine universitätsinterne
Schule geworden, eine Universitätseinrichtung, in der das Ineinandergreifen von Ausbildung und Forschung ein Hauptziel darstellt.
Wenn durch die Forschung die Ausbildung angereichert und potentiell verbessert wird, indem sie den zukünftigen Lehrer/innen sowohl
aus der Analyse der Unterrichtsarbeit hervorgegangene Erkenntnisse, als auch theoretische
Handlungsrahmen liefert, so ist es umgekehrt
notwendig, dass diese Kenntnisse nicht zu weit
von der konkreten Praxis entfernt sind und
dass sie unter zweckdienlichen Voraussetzungen vermittelt werden. Die IUFM bringen zwei
Ansätze zur Beantwortung dieser Herausforderung ein. Seitens der Ausbilder erlaubt die
Schaffung der genannten unterschiedlichen
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Altet: Universitäre Lehrerausbildung in Frankreich: Kompetenzentwicklung in den IUFM
Gruppen die institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Forscher/innen und Lehrer/
innen bzw. Praktiker/innen aus dem Beruf. Die
von den Forscher/innen und Ausbildern eingenommene Position erlaubt, die Forschung in
der beruflichen Realität zu verankern. Seitens
der angehenden Lehrer/innen, schließlich, besteht die Verpflichtung, eine Reflexionsarbeit
(orig. Zit.: mémoire) zu verfassen, die sich
auf die während der Ausbildung gemachten
Praxiserfahrungen bezieht, und dabei professionsbezogene Forschungsansätze anzuwenden. Dies eröffnet die Möglichkeit, jene Forschungsverfahren zum Einsatz zu bringen, die
sich als essentielle Komponenten eines Berufes
anbieten, der von Unsicherheit, Veränderung
und Innovation gekennzeichnet ist.
Lehrerausbildung: Schlüsselbe­
griffe für ein neues Paradigma
Der eigentliche Grundgedanke der Eröffnung und Entwicklung der IUFM ist es, auf
die Herausforderung der Demokratisierung,
der Antizipation von Entwicklungen und der
Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen, welche das französische Erziehungssystem zu bewältigen hat, zu antworten. Die
frühere Ausbildung, die sich an den oben
angeführten Modellen des Handwerks bzw.
des Fachstudiums orientierte, ist überholt. Im
Zusammenspiel von Erfolgen und Rückschlägen entstand schließlich ein neues Paradigma,
welches anhand einiger Schlüsselbegriffe, die
die Ausbildungspläne der IUFM strukturieren
und ihre Umsetzung gestalten, beschrieben
werden kann:
• der Begriff der professionellen Lehrerin/
des professionellen Lehrers, durch den die
Prinzipien, die Ziele und Ausbildungsmethoden rund um die Kompetenzen des
Berufes definiert werden können,
• der Begriff der professionalisierenden
Universitätsausbildung, durch deren Verpflichtungen, Erfordernisse und Voraussetzungen zur Verwirklichung die Ausbildungstätigkeiten durchgeführt und
geregelt werden können,
• der Begriff der Praxisanalyse, der eines der
adäquatesten Systeme zur Ausbildung von
„professionellen Lehrer/innen“ darstellt,
• der Begriff der Alternanz, die eine notwendige Voraussetzung für die Praxisanalyse ist.
Ad 1) Das Modell der „professionellen Lehrerin“/des „professionellen Lehrers“ als Ziel der
Ausbildung
Die in den IUFM seit ihrer Gründung begonnene Arbeit hat es ermöglicht, schrittweise
ein Modell der auszubildenden Lehrer/innen
zu gestalten, das in etwa dem entspricht, was
in der pädagogischen Literatur als professioneller Lehrer diskutiert wird. Man kann die
prinzipiellen Charakteristika folgendermaßen
definieren (vgl. dazu u.a. Altet, 1994/2002):
• eine Basis von Kenntnissen verbunden mit
dem professionellen Tun;
• Eignung, in komplexen Situationen zu
handeln, sich anzupassen, zu interagieren;
• Fähigkeit, über seine Wissensinhalte, sein
Können und seine Handlungen Rechenschaft abzulegen;
• Autonomie und persönliche Verantwortung in der Ausübung seiner Kompetenzen zu entfalten;
• Identifikation mit den grundlegenden kollektiven Vorstellungen und Normen der
beruflichen Identität;
• Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die eigenständig Strategien der Karrieregestaltung
und der Abgeltung definiert.
Dieser Typ von Lehrer/innen ist es, den die
IUFM zu schaffen beabsichtigen. Zur Errei-
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
chung dieses Ziels werden folgende Akzente
in der Ausbildung gesetzt: Praxisanalysesitzungen mit Kolleg/innen, Abfassen einer
wissenschaftlichen Arbeit, didaktische und
fächerübergreifende Ausbildungen.
Diese Maßnahmen tragen zur Umsetzung
einer professionalisierenden Ausbildung bei.
Ad 2) „Die professionalisierende universitäre Ausbildung“ als Referenzrahmen für die
IUFM
Als professionalisierende Ausbildung kann
man eine Ausbildung definieren, die berufliche Expertise anstrebt und folgende Charakteristika aufweist:
• eine Ausbildung, die ein praktisches Endziel hat (aufbauen, entwickeln von beruflichen, für die Ausübung des Lehrberufes notwendigen Kompetenzen) und
die gleichzeitige Aneignung vieler verschiedener beruflicher Wissensgebiete
übernimmt, ebenso wie den Aufbau von
Wahrnehmungs-, Gedanken- und Handlungsschemata, die die Mobilisierung dieses Wissens, dieses Könnens und dieser
Haltungen zur sinnvollen Ausübung des
Berufes möglich machen,
• eine Ausbildung, die „die besondere Eigenschaft der Fähigkeit zu unterrichten“
entwickelt und die auf die Bedeutung dieser „Fähigkeit zu unterrichten“ neben der
Beherrschung des „zu unterrichtenden
Wissens“ besteht.
Diese Ausbildung erkennt die besondere Eigenschaft des professionellen Unterrichtens
als „interaktive Arbeit“ in einer pädagogischen, kontext- und zweckbezogenen Situation an. Unterrichten ist ein komplexer Beruf,
der nicht durch a priori geplante Aufgaben,
Methoden oder Techniken definiert werden
kann. Die Anwendung der Lehrkompetenzen
geschieht in interaktiven, kontextabhängigen
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und speziellen Situationen. Das Modell des
perfekten, rationalen Lehrers, des „Entscheidungsträgers“, der seine Handlungen durch
die Algorithmen der Strategie im Vorhinein
plant und anschließend ausführt, funktioniert
in diesen beruflichen Situationen nicht. Es gibt
immer, wie u.a. P. Perrenoud (1999) bewiesen
hat, etwas Unscharfes, Ungewisses und Unbestimmtes. Deshalb gibt die professionalisierende Ausbildung die Utopie der technisch-rationalen Situationsbeherrschung zugunsten der
Idee einer Anpassungsfähigkeit an neuartige
Situationen auf. Man geht hier also von einem
Lehrer, welcher Techniken ausführt zu einem
Fachmann des „Unterrichtskönnens“, einem
Experten der interaktiven Prozesse des Lehren
und Lernens, einem Spezialisten der Gestaltung von Lernvoraussetzungen über.
Ad 3) „Praxisanalyse“: ein bevorzugtes Verfahren für die Ausbildung von professionellen
Lehrern
Nachdem der professionelle Lehrer derjenige ist, der die komplexen Probleme, denen
er begegnet „begrenzen und neu begrenzen“
kann und fähig ist, auf stets neue Situationen
antworten zu können, muss die Ausbildung
von praktischen Erfahrungen ausgehen und
diese so nah als möglich an den Gegebenheiten des beruflichen Ausübungsfeldes analysieren: Es handelt sich darum, über das, was man
in der tatsächlichen Situation macht, zu lernen
und nachzudenken, um das Funktionieren
des beruflichen Handelns zu verstehen sowie
aus der Routine auszubrechen, die Handlung
zu verändern. Die Lehrerin bzw. der Lehrer
wird in der Ausbildung lernen, durch Analyse
dessen, was er getan hat, zu rekonstruieren,
in Worte zu fassen, zu beschreiben, was sich
in der Situation abspielt und das Wissen und
Können, welches er in der Handlung mobilisiert hat, zu identifizieren. Es geht demnach
darum, gelebte Situationen zu analysieren,
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Altet: Universitäre Lehrerausbildung in Frankreich: Kompetenzentwicklung in den IUFM
um die Lehrer/innen darauf vorzubereiten,
„eigenständig zu denken“ mithilfe jener Mittel,
welche den Prozess des Lehrens und Lernens
beschreiben, wie sie aus den Untersuchungen
in Didaktik oder Pädagogik, beziehungsweise
aus der Praxis gewonnen wurden.
In zahlreichen IUFM findet man Einrichtungen zur Praxisanalyse. Dies ist der Fall in
den IUFM der Loire-Länder, wo Praktikant/
innen an 15 im Voraus geplanten Tagen pro
Studienjahr in einer Gruppe mit Kollegen –
„Referenzgruppe“ genannt – zusammenkommen. In diesen Sitzungen wird jede praktische
Erfahrung von demjenigen präsentiert und
analysiert, der sie durchgeführt hat. Die Gruppe der Kolleg/innen ergreift anschließend das
Wort um nachzufragen, um abzuklären was
präsentiert wurde, um ähnliche erlebte praktische Erfahrungen gegenüberzustellen, die
Situation zu analysieren, und verschiedene
Faktoren mit dem Ziel in Beziehung zu bringen, den Sinn der durchgeführten Handlung
zu verstehen. Der Ausbilder greift nur auf
Verlangen der Gruppe ein und liefert die begrifflichen Werkzeuge für die Analyse, sowie
zusätzliche theoretische Referenzen, um das
Verstehen der analysierten Prozesse und der
Problemstellung zu erleichtern. Seine Beiträge
sind Leseraster für beruflich erlebte Situationen, Referenzen, argumentierte Überlegungen,
auszuschöpfende Wege. Dabei geht es jedoch
weder um Anleitungen noch um Ratschläge.
Der Ausbilder passt seine Beiträge und Strategien den Anforderungen, die aus der Gruppe
kommen, an.
Über dieses Beispiel hinaus kann die besondere Eigenschaft der Praxisanalyseeinrichtungen, ausgehend von einigen charakteristischen
Erfordernissen, definiert werden:
• im Hinblick auf den Beruf, zielorientierte
Vorgehensweise
• Arbeit in Gruppen (Arbeit unter Kollegen)
• begleitetes Verfahren
• fachspezifische, durch Analysetechniken
unterstützte Vorgehensweise
• Verbindungsknoten von Theorie und Praxis.
Ad 4) Die „Alternanz“ als notwendige Voraussetzung für die Praxisanalyse
In der Grundausbildung ist die Alternanz
eine unerlässliche Voraussetzung für die
Praxisanalyse und daher auch für die professionalisierende Ausbildung. Der Begriff
der Alternanz bezeichnet das Pendeln des
zukünftigen Fachmannes zwischen Stunden
der Ausbildung in einem Ausbildungsinstitut
und Stunden des beruflichen Einsatzes in einer schulischen Einrichtung. Dieses Pendeln
wirkt nicht bildend, wenn es durch den Auszubildenden lediglich als Aneinanderreihung
wahrgenommen wird. Es schafft hingegen eine
äußerst günstige Situation, wenn einige Voraussetzungen erfüllt sind:
• Die in einer schulischen Einrichtung verbrachte Zeit muss einer richtigen beruflichen Ausübung gleich kommen, bei voller Verantwortung und dem normalen
Berufsalltag einer Lehrerin/eines Lehrers
entsprechend.
• Die Tätigkeit in der schulischen Einrichtung muss von genügend langer Dauer
sein (generell ein ganzes Schuljahr); sie
muss regelmäßig sein (generell wöchentlich), ein ausreichendes Stundenausmaß
umfassen (ein Drittel bis eine halbe Lehrverpflichtung) und die Praktikant/innen
komplexen beruflichen Situationen aussetzen, inklusive der darin erfahrenen Unsicherheit und beruflichen Dilemmata.
• Die in der Einrichtung verbrachte Zeit
soll von den Praktikant/innen einerseits
als eine Zeit tatsächlicher beruflicher
Ausübung wahrgenommen werden, aber
gleichzeitig als eine Zeit der Ausbildung,
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
während der sie angehalten werden, metakognitive Kompetenzen aufzubauen und
diese zu mobilisieren.
• Die in der schulischen Einrichtung erlebten Erfahrungen sollen den Stoff für die
häufigen und in regelmäßigem Abstand
durchgeführten Praxisanalysesitzungen
bilden, die unter Kolleg/innen abgehalten
und von Expert/innen begleitet werden.
• Ein entscheidender Teil der Ausbildung
(didaktische, pädagogische und humanwissenschaftliche Ausbildung sowie fächerübergreifende Anteile) soll sich auf
die in der Klasse und der schulischen
Einrichtung angetroffenen beruflichen Situationen stützen und in den schon oben
beschriebenen interdisziplinären Gruppen mit Ausbildern von unterschiedlichem Status (ausübende Lehrkraft, wissenschaftliche Lehrkräfte, etc.) bearbeitet
werden. Diese Voraussetzungen sind notwendig, damit ein starkes Ineinandergreifen von Theorie und Praxis aufgebaut
werden kann und damit es möglich wird,
die Illusion der Meisterhaftigkeit des erfahrenen Praktikers als erfahrenen „Mann
der Wissenschaft“ aufzugeben.
Unlösbar mit der Praxisanalyse verbunden,
setzt die Alternanz den Bruch mit dem Applikationsmodell voraus, welches die Ausbildung in der Vergangenheit so stark prägte. Es
handelt sich nicht mehr darum, im Vorhinein
ein Modell für den Unterricht in der Klasse zu
schaffen, sondern im Nachhinein die komplexen, unsicheren und unvorhersehbaren erlebten Situationen zu analysieren, um sie zu verstehen, Instrumentarien für die Analyse und
Handlung zu erschaffen, anzupassen und neue
Wege zu entwickeln.
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Schlussfolgerung
Seit ihrer Schaffung und ihrer Integration in
die Universität spiegeln die IUFM eine sehr
wichtige Entwicklung in der Konzeption und
Umsetzung der Lehrerausbildung wider. Sie
reihen sich in die großen europäischen und
amerikanischen Zielsetzungen ein, die gekennzeichnet sind vom Wunsch, Berufs- und
Universitätswelt parallel zu führen und einander näher zu bringen. Sie tragen dazu bei,
eine neue Definition der Lehrerin/des Lehrers
festzulegen und haben an der Schaffung einer
neuen Identität teil. In Frankreich jedenfalls,
wie auch woanders, zieht die Debatte, welche
die Frage des professionellen Wissens von
Lehrer/innen und ihrer Ausbildung aufgeworfen hat, zahlreiche Reaktionen nach sich. Mit
der jüngst stattgefundenen Integration von 31
IUFM in die Universität werden die IUFM
auf den Prüfstand gestellt. Ihre Position am
Schnittpunkt der verschiedenen Institutionen
macht sie fragil. Sie sind noch längst nicht gefestigt, aber sie sind von jetzt an engagiert am
Weg zu einer professionalisierenden Ausbildung mit dem Ziel, die Kompetenzen professioneller Lehrer/innen zu entwickeln.
Anmerkung
1 Institut Universitaire de Formation de Maîtres
Literatur
Altet, M. (1994/2002). La formation professionnelle
des enseignants. Paris: PUF.
Perrenoud, Ph. (1999). Gestion de l’imprévu, ana­
lyse de l’action et construction des compé­
tences. Éducation permanente.
Kontaktadresse: [email protected]
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Binyan Xu
Hospitieren – Erläutern –
Begutachten: Förderung von
Lehrer/innenprofession
in China
Hintergrund
Binyan Xu, Dr., Prof. für
Mathematikdidaktik an der
East China Normal University,
Shanghai, China. Arbeitsschwerpunkte: Lerntheorie
basierte Mathematikdidaktik,
Unterrichtsentwicklung und
Lehrerprofessionsentwicklung, Grundlagen der Fachdidaktik
Seit mehr als zwanzig Jahren ist Lehrer/innenfortbildung (in-service-training) in China
ein wichtiger Baustein in der Lehrer/innenbildung. Dazu gibt es fachliche Institutionen
die für Fortbildungsprogramme zuständig
sind. Zusätzlich gibt es an vielen chinesischen
Schulen eigene Abteilungen für Lehren und
Forschen, die ebenfalls für Lehrer/innenfortbildung zuständig sind. Die Aufgabe dieser
Abteilung besteht darin, die Entwicklung der
Lehrer/innenprofession durch die Zusammenarbeit von Lehrer/innen zu fördern. Die
Aufgaben einer solchen Abteilung bestehen
aus Schulbuchanalyse, Unterrichtsgestaltung
und anderen auf Unterricht basierenden Forschungsthemen. Auch gegenseitige Unter-
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
richtsbesuche spielen dabei eine große Rolle.
Chinesische Lehrer/innen zeigen einander
sehr gerne ihren Unterricht und erhalten dann
Feedback von ihren Kollegen und Kolleginnen. Allerdings kennen Lehrer/innen wenig
neue Theorien über Lehren und Lernen. Daher beruht das kollegiale Feedback mehr auf
gemachten Erfahrungen und hilft dementsprechend wenig zur Weiterentwicklung der
Professionalisierung.
Seit 2000 findet in China eine neue Bildungsreform statt. Seither wird eine effektive
Lehrer/innenbildung gefordert, damit Lehrer/
innen sich gut und schnell auf die Anforderungen der neuen Bildungsreform einstellen
können. Während verschiedene Wege für Lehrer/innenbildung untersucht werden, wird das
aus dem Unterrichtsbesuch stammende Modell „Hospitieren-Erläutern-Begutachten“ von
Bildungsforscher/innen und Lehrer/innen als
ein effektiver, für China typischer Weg entwickelt. In diesem Artikel möchte ich über das
Modell berichten.
Theoretische Grundlage
Das Modell „Hospitieren-Erläutern-Begutachten“ (HEB) ist ein wichtiger, schulbasierter
Weg, der zur Entwicklung von Lehrer/innenprofession führen soll. Unter Entwicklung von
Lehrer/innenprofession wird professionelles
Lernen von Lehrer/innen verstanden. Dabei
handelt es sich um das Lernen von Erwachsenen, zu dem z.B. Goodlad (1990) einige Vorschlägen aufgestellt hat, die uns beim Organisieren von Aktivitäten zum Entwickeln von
Lehrer/innenprofession helfen können:
• Lehrer/innen orientieren sich an Praxis
und konkreten Problemen. Daher müssen
für Lehrer/innenbildung authentische Geschichten und Beispiele aus Schulen zur
Verfügung stehen. So können Lehrer/in-
40
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nen durch Fallbeispiele an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis arbeiten
und sich weiterentwickeln.
• Lehrer/innen möchten ihre Selbstachtung
aufrechterhalten. Daher sollen Lehrer/innen in Fortbildungsprozessen so wenig
wie möglich Negatives erleben. Den Lehrer/innen soll bei Fortbildungsangeboten
Gelegenheit geboten werden, konstruktive Erfahrungen zu sammeln. Dadurch
werden Lehrer/innen gefördert und ihr
Selbstbewusstsein erhöht.
• Lehrer/innen neigen dazu, neue Erkenntnisse mit alten Erkenntnissen zu verbinden.
So ist es wichtig, Fortbildungsprogramme
auf der Basis von Lehrer/innenwissen und
-kenntnissen zu organisieren. Dadurch
wird an bereits gemachte Unterrichtserfahrungen angeknüpft und gleichzeitig
die Möglichkeit geboten, neue Zusammenhänge mit aktuellen Ideen zu generieren.
Die Berücksichtigung dieser wichtigen
Grundlagen von Erwachsenenlernen hilft uns,
darüber nachzudenken, wie effektive Lehrer/
innenfortbilung umgesetzt werden kann, um
Lehrer/innenprofession zu entwickeln. Guskey Thomas R. (2000) hat einige grundlegende Prinzipien der effektiven Entwicklung von
Lehrer/innenprofession zusammengefasst:
• Schulische Praxis als Basis: Das heißt,
wirksame Ansätze zur Entwicklung und
Förderung von Lehrer/innenprofession
legen ihr Augenmerk auf die praktischen
Erfahrungen von Lehrer/innen. Denn
wenn das Fortbildungsangebot nichts mit
der alltäglichen Arbeit von Lehrer/innen
zu tun hat, wird Lehrer/innenentwicklung
nicht wirksam.
• Langfristigkeit: Damit Lehrer/innenentwicklung wirklich greift, ist ein langfristiges Programm notwendig. Einmalige oder
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Xu: Hospitieren – Erläutern – Begutachten: Förderung von Lehrer/innenprofession in China
isolierte und unverbindliche Angebote
wirken nicht nachhaltig.
• Transparenz: Das Ziel der Professionalisierung ist, konkrete Handlungen oder
Strategien, die die Lehrpersonen im Unterricht anwenden, zu verbessern oder
zu verändern. Die Lehrer/innen müssen
daher darüber informiert und bereit sein,
über bestimmte – auch schwierige – Themen zu sprechen und sich auf notwendige
Veränderung auch einzulassen.
• Strategie der „breiten Ausblicke und kleinen Schritte“: Effektive Entwicklung von
Lehrer/innenprofession benötigt sowohl
die breiteren Ausblicke, gleichzeitig wird
an Fallbeispielen der ganz alltäglichen
Schulpraxis gearbeitet.
• Partizipation und Kooperation: Professionalisierung beginnt dann, wenn Lehrer/innen Gelegenheit haben eigenständig und
aktiv an ihren Problemstellungen zu arbeiten, selbstreflexiv über ihre Praxis nachzudenken und neue Ideen zu generieren.
Alltagspraxis
s
Auf obigen theoretischen Überlegungen basiert unser Modell „Hospitieren-ErläuternBegutachten“ seit mehr als 20 Jahren. Im
Folgenden möchte ich ausführlich erläutern,
warum das Modell HEB ein effektiver Weg zur
Entwicklung von Lehrer/innenprofession ist.
Prinzip von „HospitierenErläutern-Begutachten“
Grundriss
Das Modell HEB ist eine wichtige Aktivität
der Abteilung für Lehren und Forschen in chinesischen Schulen. Bei diesem Modell treffen
Lehrer/innen, Lehrerfortbildner/innen, Seminarleiter/innen und Bildungsforscher/innen
zusammen. In der ersten Phase des Modells
werden Seminarleiter/innen, Bildungsforscher/innen und Lehrer/innen aus anderen
Schulen eingeladen, Unterrichtsstunden einer
bestimmten Lehrerin/eines bestimmten Lehrers zu beobachten und mitzuerleben (Hos-
Lehrer/innen
führen Praxis
durch
Neue Praxis von
Lehrer/innen
Begutachten
Theorie
Unterrichten
Verstehen,
Reflektieren,
Begutachten und
Kommentieren von
Hospitierenden
Erläutern
Verstehen und
Selbsterläutern
von Lehrer/innen
Neues Verstehen
von Lehrer/innen
Hospitieren
Abb. 1: Grundriss von „Hospitieren–Erläutern– Begutachten“ (Wang, 2005, S.118)
Abb. 1: Grundriss von „Hospitieren-Erläutern-Begutachten“ (Wang, 2005, S. 118)
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
pitieren). In der zweiten Phase des Modells
erläutert die Lehrerin/der Lehrer zuerst von
sich aus, welches Unterrichtsziel erreicht werden sollte, wie der Unterrichtsablauf geplant
war und welche didaktischen Überlegungen
die Unterrichtsvorbereitung geleitet haben.
Danach reflektiert die Lehrerin/der Lehrer
die durchgeführte Stunde (Erläutern). In der
abschließenden dritten Phase des Modells
analysieren, begutachten und reflektieren die
„hospitierenden“ Beobachter/innen die durchgeführte Stunde und die ihr zugrunde liegende Didaktik gemeinsam mit der beobachteten
Lehrerin/dem beobachteten Lehrer. (Begutachten). Im Folgenden soll das Modell grafisch
dargestellt werden (siehe Abb.1):
Aufgrund der im Folgenden erläuterten Prinzipien des Modells wird deutlich, dass HEB
zur Entwicklung von Lehrer/innenprofession
beiträgt.
Prinzip der Professionalisierung von Lehrer/innen
HEB ist in der alltäglichen Unterrichtspraxis
verankert, denn die zu dem Modell gehörende, von Lehrer/innen durchgeführte Unterrichtspraxis ist Teil von schulbasiertem professionellem Handeln und spiegelt anschaulich
die Realität von pädagogischer Alltagspraxis
wider. Die in HEB geführte Diskussion über
Praxis ist eine gute Basis für die Entwicklung
von Lehrer/innenprofession und die dadurch
gewonnenen Erkenntnisse führen zu einer
neuen und veränderten Praxis.
In diesem Modell demonstrieren Lehrer/
innen einerseits eigene Unterrichtsstunden,
andererseits erläutern die Lehrer/innen die
didaktischen Ideen, die sie bei der Unterrichtvorbereitung geleitet haben. Sie können somit
sowohl ihr praktisches Handeln als auch ihre
theoretische Überlegung argumentieren. Die
hospitierenden Expert/innen bekommen so
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ein relativ vollständiges Bild von den jeweiligen Lehrpersonen und ihrem Verständnis von
Praxis. Die reflexive Auseinandersetzung mit
dieser Praxis in der abschließenden Phase des
„Begutachtens“ zielt darauf ab, wie und warum
Lehrer/innen ihre praktische Handlung variieren sollen bzw. wie und warum Lehrer/innen
entsprechende theoretische Überlegungen
verbessern können. Dabei werden Lehrer/innen gefördert, didaktische Überlegung neu zu
überdenken und praktische Handlungen zu
hinterfragen und zu verändern.
Zu den konstruktiven Komponenten
von HEB gehört das Begutachten des Unterrichts. Die Phase des „Begutachtens“ legt
den Schwerpunkt auf bestimmte didaktische
Theorien oder aktuelle curriculare Standards.
Das Modell geht von der Annahme aus, dass
Lehrer/innen sich nur dann professionell
entwickeln können, wenn ihr didaktisches
Handeln und ihre Vorstellungen in Bezug zu
Theorien oder Standards kommentiert und
begutachtet werden. Weil das Begutachten
auf konkrete Handlungen von Lehrer/innen
abzielt, können Lehrer/innen ihre eigene Praxis sinnvoll in Bezug zu diesen Theorien oder
Standards reflektieren. Auch die hospitierenden Lehrer/innen, Lehrerfortbildner/innen,
Seminarleiter/innen, Bildungsforscher/innen
werden dadurch ebenso motiviert über Theorie und Praxis nachzudenken und den Zusammenhang zu verstehen.
Das Modell HEB ist ein wichtiger Teil von
planmäßigen schulbasierten Aktivitäten zum
Fördern von Lehrer/innenprofession. Daher wird HEB kontinuierlich und langfristig
durchgeführt. Viele Lehrer/innen haben eigene didaktische Ideen und praktische Handlungsweisen ausgebildet, die vielleicht nicht
immer oder nicht mehr effektiv sind. Um
Lehrer/innen zu fördern, wirksam über ihre
eigene Praxis nachzudenken und diese auch
entsprechend nachhaltig zu verändern, ist es
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Xu: Hospitieren – Erläutern – Begutachten: Förderung von Lehrer/innenprofession in China
notwendig, solche professionelle Aktivitäten
regelmäßig durchzuführen. Somit gewährleistet das Modell durch seine Kontinuität, dass
Entwicklung von Lehrer/innenprofession gelingt.
Veranschaulichung
des Modells
Um zu erläutern, wie das Modell im chinesischen Schulalltag funktioniert und wie weit
es beim Entwickeln von Lehrer/innenprofession wirkt, möchte ich ein konkretes Beispiel
vorstellen:
In dem Beispiel geht es um eine Schule in
Shanghai, die den Fortbildungsschwerpunkt
darin hat, dass Lehrer/innen mit Hilfe des
Modells HEB Theorien von effektivem Unterrichten kennen lernen und diese Theorien in
ihre eigene Unterrichtspraxis einführen. Das
Fallbeispiel beschreibt, wie durch konstruktive
Anwendung des Schulbuches effektiver Unterricht gestaltet werden kann.
Phase 1: Hospitieren
Einige Lehrer/innen, Seminarleiter/innen, Bildungsforscher/innen wurden eingeladen, den
Mathematikunterricht mit dem Thema „Vergleichen von Bruchzahlen mit gleichem Zähler“ in einer vierten Klasse zu hospitieren.
Die Lehrerin führt den Unterricht nach
folgendem Ablauf durch:
Wiederholung von gelerntem Wissen, Erforschen durch Schüler/innen: Die Lehrerin zeigt
ein Video, in dem ein Schwein eine Wassermelone verteilt. Sie gibt den Schüler/innen
auch Papier, damit diese durch Falten dieses
Papiers selbst entdecken können wie man die
Bruchzahlen mit gleichem Zähler vergleicht.
Diese Phase wird in kleinen Schritten durchgeführt, z.B. sollen die Schüler/innen zuerst
entdecken, wie man Bruchzahlen mit Zähler
1 vergleicht. Die Schüler/innen arbeiten gruppenweise und tauschen die Ideen dann aus. Sie
haben folgende Aufgaben gelöst: Vergleich der
Größe folgender Bruchzahlen: 1/5 mit 1/7, 1/3
mit 1/6 usw.
Die Lehrerin fasst dann die gesammelten
Ideen zusammen: z.B. Je größer ein Nenner der Bruchzahl ist, desto kleiner ist diese
Bruchzahl.
Danach gibt sie den Schüler/innen wieder
Aufgaben, um diese Ideen zu vertiefen.
Vertiefung und Entwicklung von neu gelerntem Wissen: Die Lehrerin variiert einige
Aufgaben die nicht im Schulbuch auftauchen.
Die Schüler/innen sollen die Aufgaben lösen
und erklären, wie sie die Aufgabe gelöst haben,
z.B. durch Anordnen der Bruchzahlen nach
der Reihenfolge von kleiner bis größer: 7/29,
7/13, 7/10
Zusammenfassung: Abschließend stellte
die Lehrerin die Frage: Was hast du von dieser Stunde gelernt? Worauf soll man aufpassen
wenn man Bruchzahlen vergleicht? Die meisten
Schüler/innen äußeren ihre Meinungen und
die Lehrerin lobt alle Schüler/innen ohne weitere Kommentare.
Phase 2: Erläutern
Gleich nach dieser Unterrichtsstunde treffen
sich die Lehrerin und alle, die ihre Unterrichtsstunde hospitiert haben. Die Lehrerin
erläutert ihre didaktische Idee wie folgt:
„Diese Stunde bezieht sich darauf, wie ich
das Schulbuch aktiv verwenden soll, damit der
Effekt des Unterrichts erhöht wird. Ich habe mir
Folgendes in der Vorbereitung überlegt: Das
Vorwissen spielt eine wichtige Rolle beim Lernen von neuem Wissen. Wir müssen das Vorwissen von Schüler/innen berücksichtigen. So
habe ich mit einer Wiederholung angefangen.
(…) Ich weiß, dass Schüler/innen mit großer
Motivation effektiv lernen können. So habe ich
ein Video für Schüler/innen entwickelt, damit
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Thema: Schnittstelle Lehrerbildung und Schule im internationalen Kontext
sie durch dieses Video motiviert werden. Durch
meine Erfahrungen weiß ich, dass die Schüler/
innen in meiner Klasse relativ begabt sind. So
habe ich einige der leichten Aufgaben im Schulbuch nicht verwendet. Ich habe aber ein paar
anspruchsvolle Aufgaben vorbereitet, damit das
mathematische Denken der Schüler/innen gefördert werden kann …“
Phase 3: Begutachten
Nach dem Hospitieren und den Erläuterungen
der Lehrerin fangen die Beobachter/innen an
zu diskutieren, um den Unterricht und die
didaktischen Ideen zu kommentieren und
zu begutachten. Die meisten Kolleg/innen
aus anderen Schulen kommentierten den
Unterricht aus ihren eigenen praktischen Erfahrungen heraus. Die Bildungsforscher/innen hingegen kommentierten mehr auf Basis
theoretischer Sichtweisen und erklären, was
man unter „Vorwissen“, „Lernmotivation“ und
„Lerndifferenzierungen“ verstehen sollte und
wie man diese in der Praxis sinnvoll anwenden
kann. So wird in dieser Phase der hospitierte
Unterricht aus praktischen und theoretischen
Sichtweisen heraus reflektiert, diskutiert und
begutachtet.
Diese Phase hat darüber hinaus noch eine
weitere Dimension: Während der Diskussion
werden den Bildungsforscher/innen viele Fragen zu Lern- und Lehrtheorie in der Unterrichtspraxis gestellt. Diese antworten oftmals
mit wissenschaftlichen Begriffen und Konzepten. Um diese Konzepte besser zu verstehen,
werden sie von den Lehrer/innen aufgefordert,
anhand von konkreten Beispielen zu erklären
und deutlich zu machen, wie diese Ansätze
in der Praxis realisiert werden können. Das
macht deutlich, dass die regelmäßige Durchführung des Modells HEB zur Förderung
der Entwicklung von Lehrer/innenprofession beitragen kann: Einerseits reflektieren
Lehrer/innen über ihren eigenen Unterricht,
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andererseits erfahren Lehrer/innen durch die
Teilnahme von Bildungsforscher/innen neue
Ideen und können deren Anwendbarkeit für
die Praxis gleich diskutieren.
Ausblick
Das Modell HEB wird nun in den meisten
chinesischen Schulen verwendet. Theoretisch
fördert das Modell die Entwicklung von Lehrer/innenprofession. Aber viele Schulen haben
keinen direkten Kontakt zu Bildungsforscher/
innen, weshalb das Modell oft nur von Lehrer/
innen durchgeführt wird. Beim Begutachten
werden dann nicht so sehr die didaktischen
Ideen analysiert und diskutiert, stattdessen
tauschen die Lehrer/innen Erfahrungen aus.
Manchmal verwendet ein Schulleiter das
Modell auch, um Lehrer/innen zu evaluieren,
dann werden beim Begutachten nur Unterrichtsstärken erwähnt, nicht Unterrichtsschwächen. Damit dieses Modell beim Fördern
von Lehrer/innenentwicklung eine richtige
und wichtige Rolle spielen kann, versuchen
chinesische Lehrerfortbildner/innen, Seminarleiter/innen oder Bildungsforscher/innen
auch entsprechende theoretische Kategorien
zu erarbeiten, z.B. analytische Kategorien für
das Hospitieren oder das Begutachten.
Literatur
Goodlad, J.I. (1990). Teachers for our nation’s
schools. San Franciso & Oxford: Jossey – Bass
Publishers.
Guskey, T.R. (2000). Evaluating professional develop­
ment. Thousand Oaks, California: Corwin Press,
Inc.
Kontaktadresse: [email protected]
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21.07.2008 12:17:59 Uhr
Professionalisierung
durch Selbstregulierung:
STICHWORT
Anne Sliwka
Teaching Councils in Irland, Kanada und Australien
Anne Sliwka, Dr., Professorin für Bildungswissenschaften an der Universität
Trier. Arbeitsschwerpunkte:
Schulentwicklung, Schulkultur, Lehrerprofessionalität,
Demokratiepädagogik
Der Lehrerberuf hat keine Berufsorganisation,
die Qualitätssicherung in die eigenen Hände
nimmt – im Gegensatz zu Ärzten, Ingenieuren, Juristen und Architekten. Glücklicherweise
gibt es in mehreren Staaten positive Anzeichen
dafür, dass bestimmte politische Maßnahmen
Außenbild und Arbeitsbedingungen des Lehrerberufs positiv beeinflussen können. Interessant erscheinen in diesem Zusammenhang
vor allem so genannte „Teaching Councils“, die
Lehrkräften sowohl ein Forum für die Einflussnahme auf Bildungspolitik als auch einen Mechanismus für eine vom Berufsstand der Lehrer/innen selbst ausgehende Normensetzung
und Qualitätssicherung in den Bereichen der
Lehrerausbildung, der Vorbereitungszeit und
der Professionalisierung und Karriereentwicklung über die Lebenszeit bieten.
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Stichwort
„Teaching Councils“ schaffen für den Lehrerberuf jene Kombination aus professioneller
Autonomie, beruflicher Selbstregulation und
öffentlicher Rechenschaftspflicht, die andere
etablierte Professionen seit langem auszeichnet. Sie ermöglichen, dass die im Beruf stehenden Lehrer/innen bei der Festlegung der
Kriterien für den Berufszugang, der Standards
für den beruflichen Aufstieg sowie der maßgeblichen Regeln für den Entzug der Erlaubnis
zur Berufsausübung ein deutliches Mitspracherecht erhalten.
An Beispielen aus Kanada, Irland und Australien werden im Folgenden Institutionen
und Prozesse der selbstregulierenden Stärkung der Lehrerprofession vorgestellt und
vor dem Hintergrund von Erfahrungen im
deutschsprachigen Raum diskutiert.
Ontario College of Teachers/
Kanada
Die erste professionelle Standesorganisation
von Lehrkräften war das Ontario College of
Teachers, die Organisation der Lehrer/innen
in der kanadischen Provinz Ontario. Das
College of Teachers wurde 1997 von Regierungsseite gegründet, um Lehrerinnen und
Lehrer in Ontario in die Lage zu versetzen,
ihre eigene Profession im Interesse der Öffentlichkeit auf der Grundlage von professionellen Standards selbst zu steuern. Jede
Lehrkraft, die an einer staatlichen Schule in
Ontario unterrichten möchte, muss Mitglied
des College of Teachers werden und eine Zertifizierung durchlaufen.
Geleitet wird das College von einem Gremium, das sich aus 23 von allen Lehrkräften
in Ontario gewählten Lehrerinnen und Lehrern sowie 14 von der jeweiligen Regierung
ernannten öffentlichen Persönlichkeiten zusammensetzt. Begründet wird dies mit der be-
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sonderen Verantwortung des Lehrerberufs gegenüber der Gesellschaft, der hohe Standards
und Transparenz nach außen erfor­dere.
Victoria Institute of Teaching/
Australien
In den letzten zehn Jahren sind auch in allen
australischen Bundesstaaten vergleichbare,
per Gesetz geschaffene Standesorganisationen für Lehrer/innen entstanden. Das im
Bundesstaat Victoria in Australien im Jahr
2001 gegründete Victorian Institute of Teaching arbeitet nach denselben Prinzipien wie
andere selbstregulierende Körperschaften in
Victoria, zum Beispiel die deutlich älteren
Standesorganisationen der Ärzte, das Medical Practitioners Board of Victoria oder der
Rechtsanwälte, das Legal Services Board. Alle
75.000 Lehrkräfte und Schulleiter/innen, die
an staatlichen oder privaten Schulen im Bundesstaat Victoria unterrichten, gehören dem
Victoria Institute nach ihrer Zertifizierung als
Mitglieder an. Ähnlich wie in Ontario werden
die Belange des Instituts von einem zwanzigköpfigen Leitungsgremium gesteuert, dem
überwiegend praktizierende Lehrer/innen aus
unterschiedlichen Schulen des Bundesstaates
angehören. Zehn Personen werden aus dem
Kreis der Mitglieder gewählt, zudem gehört
der jeweilige Minister dem Gremium an, sowie neun vom Minister ernannte Personen,
darunter mindestens drei Lehrer/innen.
Als unabhängige staatliche Einrichtung
sichert das Institut die berufliche Autonomie
und Selbstregulierung der Lehrkräfte sowie ihr
Mitspracherecht bei der weiteren Entwicklung
ihres Berufs. Finanziert wird dies durch eine
jährliche von den Lehrkräften zu zahlende
Einschreibgebühr, die dem Institut eine operative Unabhängigkeit ermöglicht. Die Zieldimensionen decken sich mit denen des Ontario
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21.07.2008 12:18:00 Uhr
Sliwka: Professionalisierung durch Selbstregulierung: Teaching Councils in Irland, Kanada und Australien
College of Teachers: Neben der Zertifizierung
aller Lehrer/innen auf der Grundlage von
Qualitätsstandards und der Akkreditierung
aller Aus- und Fortbildungsangebote für Lehrkräfte, organisiert das VIT eine professionelle
Berufseingangsphase für neue Lehrer/innen
und führt öffentliche Kampagnen durch, um
möglichst qualifizierte und geeignete Personen
für den Lehrerberuf zu gewinnen.
Teaching Council for Ireland
Auch in Europa, wo professionelle Standesorganisationen aller Lehrkräfte eines Schulsystems bislang keine Tradition haben, und
Lehrer/innen durch fragmentierte Gewerkschaften und Berufsverbände politisch vertreten werden, ist mit dem Teaching Council for
Ireland (TCI) im Jahr 2006 eine erste, selbstregulierende Standesorganisation ins Leben
gerufen worden. Das TCI orientiert sich an
den genannten Vorbildern aus Übersee. Es soll
gute Praxis und hohe Standards im Lehrerberuf sowie im Bereich der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften gewährleisten. Dies geschieht durch die Festlegung und regelmäßige
Überarbeitung berufsständischer Regeln und
die Qualitätsüberprüfung von Programmen
der Lehreraus- und Fortbildung. Auf diese
Weise soll das TCI der irischen Lehrerschaft
zu einer größeren beruflichen Autonomie verhelfen und berufliches Ansehen und Motivation von Lehrkräften in Irland erhöhen. Seine
Aufgaben im Einzelnen sind:
• Festlegung, Veröffentlichung und Sicherung der Einhaltung eines Verhaltenskodexes für den Lehrerberuf;
• Einrichtung und Führung eines Lehrerregisters;
• Festlegung der Aus- und Weiterbildungsanforderungen für die Eintragung ins Lehrerregister;
• Prüfung und Zulassung der Ausbildungsprogramme für Lehrkräfte;
• Regulierung der Berufseinstiegsprogramme und der Probezeit der Junglehrer/innen;
• Förderung der Weiterbildung und der beruflichen Entwicklung der Lehrkräfte;
• Vertretung der Interessen der Lehrerschaft
in Bildungsfragen;
• Festlegung von Verfahren für den Informationsaustausch zwischen den Lehrkräften, den im Bildungsbereich tätigen
Organisationen und der Öffentlichkeit;
• Beratung des Bildungsministers hinsichtlich der Mindestqualifikationsanforderungen für die Zulassung zu Lehrerausbildungsprogrammen und für die
Weiterbildung von Lehrkräften;
• Überprüfung der beruflichen Eignung der
Lehrer und gegebenenfalls Verhängung
von Sanktionen für Lehrer/innen, die den
Leistungsstandards nicht gerecht werden.
Das Teaching Council for Ireland setzt sich aus
37 Vertreter/innen verschiedener im Bildungswesen aktiver Gruppen zusammen, darunter
22 eingetragene Lehrkräfte und 15 Vertreter/
innen pädagogischer Fakultäten, von Schulleiterverbänden, Elternverbänden, Unternehmerverbänden und des Bildungsministeriums.
Professionelle Standards:
Grund­lage der Selbstregulation
Als selbstregulative Standesorganisationen
stellen alle drei Organisationen sicher, dass
Kinder und Jugendliche ausschließlich von
Lehrkräften unterrichtet werden, die ihr berufliches Handeln und Verhalten an transparenten professionellen und ethischen Standards
ausrichten. In Ontario, Victoria und Irland
verständigten sich dazu Lehrkräfte in mehr-
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Stichwort
stufigen Kommunikationsprozessen – zu denen alle registrierten Lehrerinnen und Lehrer
eingeladen waren sich zu beteiligen – auf diejenigen professionellen und ethischen Kernstandards, die qualitätsvolles Lehrerhandeln
ausmachen. Das Ontario College of Teachers
beispielsweise entwickelte zwei zentrale Dokumente, die so genannten „Standards of Practice“, übersetzbar vielleicht mit „Standards der
Lehrerpraxis“ und die „Ethical Standards of
the Teaching Profession“, also einen ethischen
Verhaltenskodex für Lehrkräfte. Die Standards
werden in einem Turnus von fünf bis sechs
Jahren erneut zur Diskussion gestellt und
überarbeitet, sodass sie gesellschaftliche Veränderungen in der Lehrerrolle reflektieren.
Die ethischen Standards sollen zugleich
in die Profession hineinwirken als auch die
Sicht der Gesellschaft auf die Lehrprofession
beeinflussen: In Ontario sollen Lehrkräfte mithilfe der ethischen Standards unter den vier
Überschriften care, respect, trust und integrity
die ethische Verantwortung von Lehrkräften
klar erkennen und Orientierung in ethischen
Dilemmasituationen finden können. Die Standards of Practice beschreiben einen Kanon
aus Wissen, Fertigkeiten und Werten, den
alle Lehrkräfte in Ontario miteinander teilen.
Ziel der Standards of Practice ist die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses und
einer gemeinsamen Sprache aller Lehrkräfte
darüber, was Professionalität im Lehrerberuf
ausmacht. In den Standards of Practice verpflichten sich die Lehrkräfte in Ontario,
• auf der Grundlage von wissenschaftlich
fundierten Erkenntnissen zu handeln
(professionelles Wissen),
• Lernende jeweils als Individuen beim Lernen zu unterstützen (professionelle Praxis),
• in Schulen als professionellen Lerngemeinschaften Führungsverantwortung zu übernehmen (Leadership in professionellen
Lerngemeinschaften),
48
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• sich fortlaufend durch Wissenserwerb,
professionellen Austausch und Reflexion
und Erforschung eigener Praxis weiterzuentwickeln (Fortlaufende Professionalisierung).
Auch im australischen Victoria haben sich die
Lehrkräfte „in Anerkennung des besonderen
Machtverhältnisses im Lehrerberuf “ unter
den Oberbegriffen integrity, respect und responsibility ethische Verhaltensstandards für
die Interaktion mit Schüler/innen, Eltern und
Lehrerkolleg/innen gegeben. Zudem hat das
Victoria Institute of Teaching auf der Grundlage von empirischen Forschungsarbeiten zur
Lehrerqualität, die in einem weit reichenden
Konsultationsprozess diskutiert wurden, Standards in acht Bereichen des Lehrerhandelns
entwickelt:
Berufliche Kenntnisse
1. Die Lehrkraft weiß, wie Schüler/innen
lernen und wie sie in effektiver Weise zu
unterrichten sind.
2. Die Lehrkraft beherrscht ihren Unterrichtsstoff.
3. Die Lehrkraft kennt ihre Schüler.
Berufliche Praxis
4. Die Lehrkraft plant und evaluiert Lernaktivitäten im Hinblick auf ihre Effektivität.
5. Die Lehrkraft schafft und wahrt ein gesundes und stimulierendes Lernumfeld.
6. Die Lehrkraft setzt eine Reihe von Lehrmethoden und Ressourcen für einen effektiven Lernprozess der Schüler ein.
Berufliches Engagement
7. Die Lehrkraft reflektiert, evaluiert und
verbessert ihr berufliches Wissen und ihre
Berufspraxis.
8. Die Lehrkraft ist aktive Vertreterin ihres
Berufsstands.
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Sliwka: Professionalisierung durch Selbstregulierung: Teaching Councils in Irland, Kanada und Australien
Die Standards haben eine umfassende
Steuerungsfunktion. Von angehenden Lehrkräften in Victoria wird im Rahmen der Zertifizierung erwartet, dass sie in allen genannten Bereichen konkrete Leistungsnachweise
vorlegen können. Die Standards werden auch
für die Akkreditierung von Lehrerausbildungsprogrammen und die Entwicklung von
Berufseinstiegs- und Weiterbildungsprogrammen verwendet. Sie bilden die Grundlage für
Beförderungsentscheidungen und zur Identifizierung ineffizienter Lehrkräfte.
In allen drei vorgestellten Systemen geben
die Standards Schüler/innen und Eltern die
Legitimation dazu, Qualität aktiv einzufordern
und über geregelte und transparente Verfahren einen formellen Prozess gegen jene Lehrer/innen einzuleiten, die den Standards nicht
gerecht werden. So schaffen ethische und professionelle Standards Vertrauen und bilden die
normative Grundlage für ein anspruchsvolles
Qualitätsmanagement in allen Bereichen der
Professionalität von Lehrkräften.
Qualitätskontrollen an unter­
schiedlichen Systemschnitt­
stellen
Akkreditierung von Programmen der Lehreraus- und -fortbildung
Alle drei vorgestellten Teaching Councils
sind von staatlicher Seite aus mit der Akkreditierung und Re-Akkreditierung sämtlicher
Programme der Lehreraus- und -fortbildung
betraut. So wird gewährleistet, dass Ausbildungsprogramme der ersten Phase, Programme zur Berufseinführung und Programme der
Lehrerfortbildung systematisch aufeinander
Bezug nehmen und aufeinander aufbauen.
Die professionellen Standards bieten dabei
einen gemeinsamen Referenzrahmen über
die Phasen der Professionalisierung hinweg.
Grundprinzip bei der Akkreditierung und ReAkkreditierung von Aus- und Fortbildungsangeboten ist größtmögliche Transparenz.
Alle drei Institutionen veröffentlichen Akkreditierungsberichte auf ihrer Webseite, um
angehenden und im Beruf stehenden Lehrer/
innen Informationen zu Inhalt und Qualität
der Programme zur Verfügung zu stellen.
Zertifizierung von Lehrkräften
In Systemen mit professionellen Lehrerstandards erfolgt die Zertifizierung von Lehrkräften durch die Teaching Councils auf der
Grundlage der Standards. Die Zertifizierung,
die immer die Anerkennung erbrachter Ausbildungsleistungen sowie eine polizeiliche
Überprüfung einschließt, ist die Vorbedingung für die Aufnahme einer Lehrertätigkeit. Die Zertifizierungskriterien dienen
der Aufstellung von Zugangskriterien zum
Lehrerberuf. Lehrerausbildungsprogramme
orientieren sich an professionellen Standards
und Zertifizierungskriterien. So kann die
Lehrerzertifizierung ungeeignete Kandidaten
vom Eintritt in den Lehrerberuf abhalten, da
sie eine zusätzliche Hürde bedeutet, die es zu
überwinden gilt.
Sobald ein Lehrer/eine Lehrerin zertifiziert
und registriert ist, werden zum Beispiel vom
Ontario College of Teachers Informationen zu
seiner Ausbildung, zur Zertifizierung und – in
ganz wenigen Fällen – zu Disziplinarverstößen
über eine Datenbank öffentlich zugänglich gemacht. Das entspricht dem Prinzip der Transparenz (accountability): Eltern und Schüler/innen sollen sich über den professionellen Status
von Lehrkräften informieren können.
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Stichwort
Evaluation von Lehrkräften
Bei Verstößen gegen die von der Profession
selbstgesetzten Standards haben die Standesorganisationen das gesetzlich legitimierte Recht, einer Lehrkraft die Zertifizierung
für den Lehrerberuf zu entziehen und damit
Lehrkräfte vom Dienst zu suspendieren. Dazu
sind alle drei Institutionen in unterschiedlichem Maße per Gesetz befugt. Das Ontario
College of Teachers beispielsweise leitet eine
Untersuchung ein, wenn von Eltern, volljährigen Schüler/innen oder anderen Lehrkräften
konkrete Beschwerden gegen eine Lehrkraft
oder ein Schulleitungsmitglied vorliegen.
Dazu wird der betroffenen Person zunächst
in einem schriftlichen Dokument die Beschwerde gegen ihn bzw. sie vorgelegt. Eine
bestimmte Frist wird gewährt, in der derjenige, gegen den sich die Beschwerde richtet,
sich zu den Vorwürfen äußern kann. In vielen
Fällen bietet das College dann eine professionelle Konfliktmoderation an, die zu konkreten Vereinbarungen führt. Falls die Lehrkraft,
gegen die sich die Beschwerde richtet, sich
nicht an diese Vereinbarungen hält, oder der
Vorwurf so massiv ist, dass eine Konfliktmoderation das Problem nicht löst, kommt es zu
einer Investigation und einem Disziplinarverfahren. Alle abgeschlossenen Fälle, in denen
die betroffene Lehr- oder Führungsperson in
einem mehrstufigen Verfahren für schuldig
befunden wurden, werden auf den Webseiten
des Ontario College of Teachers veröffentlicht. Ein Verstoß gegen die Standards, zum
Beispiel durch die Ausübung physischer oder
seelischer Gewalt gegen Schüler/innen, kann
je nach Schwere der Vorfälle von verpflichtenden Fortbildungs- oder Therapiemaßnahmen
bis zum Entzug der Lehrlizenz führen.
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Professionelle
Außendarstellung
Um den Lehrerberuf nach innen und außen
zu stärken, verstehen sich das Ontario College
of Teachers, das Victoria Institute of Teaching
und das Teaching Council for Ireland auch als
professionelle Wissensmanager. Alle drei Institutionen führen im Kreis ihrer Mitglieder
regelmäßig Konsultationen zu unterschiedlichen Fragen der professionellen Praxis von
Lehrer/innen durch. Bei Bedarf werden wissenschaftliche Studien in Auftrag gegeben,
um gezielt empirische Erkenntnisse über den
Lehrerberuf zu gewinnen. Zeitschriften, wie
zum Beispiel Professionally Speaking des Ontario College of Teachers dienen Lehrkräften
und Schulleitungen als öffentliche Plattform
zum Austausch von professioneller Praxiserfahrung und zur Diskussion kontroverser
Fragen.
Werbung und PR für den
Lehrerberuf
Last but not least haben es sich die Standesorganisationen der Lehrkräfte in allen drei
Systemen auch zum Auftrag gemacht, aktiv
für den Lehrerberuf zu werben, mit dem Ziel
geeignete junge Menschen und Quereinsteiger
anzusprechen, die Interesse, Motivation und
ein entsprechendes Ethos mitbringen. Überdies besteht die Notwendigkeit, die Vorteile
des Lehrerberufs Gruppen nahe zu bringen,
die unter den Lehrer/innen vielfach unterrepräsentiert sind, was z.B. auf Männer, Angehörige kultureller Minderheiten sowie besonders
begabte Frauen und Männer zutrifft. Dazu halten sie Vorträge an Schulen und Hochschulen,
stellen den potentiellen Interessenten auf ihren
Internetseiten umfangreiche Informationen
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Sliwka: Professionalisierung durch Selbstregulierung: Teaching Councils in Irland, Kanada und Australien
zur Karriereentwicklung im Lehrerberuf zur
Verfügung und klären Fragen in persönlichen
Beratungsgesprächen.
Fazit
Die Herausforderungen, auf die die vorgestellten Bildungssysteme mit der Gründung von
Teaching Councils reagiert haben, existieren
auch in den Staaten des deutschsprachigen
Kulturraums. Der Lehrerberuf könnte auch
hier in vielfacher Hinsicht durch die Schaffung einer vergleichbaren Institution seine
Fragmentierungen überwinden und an Profil und öffentlicher Anerkennung gewinnen:
Teaching Councils stärken die Lehrerprofession nach innen und tragen zur Überwindung
von Fragmentierungen bei. Nach außen, in die
Gesellschaft, signalisieren sie, dass Lehrkräfte
sich als Schlüsselprofession für die Entwicklung moderner Gesellschaften verstehen und
diesem Selbstbild entsprechend Qualitätsstandards setzen und sichern.
Weiterführende Literatur
Coolahan, J. (2002). Teacher Education and the
Teaching Career in an Era of Lifelong Learning
(OECD Education Working Paper, No. 2). Paris:
OECD. Online unter www.oecd.org/edu/wor­
kingpapers (17-06-2008).
OECD (2006). Stärkere Professionalisierung des Leh­
rerberufs. Wie gute Lehrer gewonnen, gefördert
und gehalten werden können. Paris: OECD.
Ontario College of Teachers: www.oct.ca (17-062008).
Teaching Council for Ireland: www.teachingcoun­
cil.ie (17-06-2008).
Victoria Institute of Teaching: www.vit.vic.edu.au
(17-06-2008).
Kontaktadresse: [email protected]
journal für lehrerinnen- und lehrerbildung 3/2008
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21.07.2008 12:18:02 Uhr
METHODENATELIER
Ilse Schrittesser
Kooperationsschulen
der Universität Wien
Ilse Schrittesser, Ao. Univ.Prof. Dr., Vorständin des
Instituts für Bildungswissenschaft an der Universität
Wien. Arbeitsschwerpunkte:
Professionalisierungsforschung und Lehrerbildung,
Entwicklung der Hochschullehre, Lehr- und Lerntheorien
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Wenn davon auszugehen ist, dass Erfahrungswissen und praktisches Können nur bedingt in
der Ausbildungszeit vorweg angeeignet werden können, sind die Berührungen mit der
Schulpraxis in der Ausbildungszeit vor allem
als Einführung in einen bewussten Umgang
mit Praxis aus einer handlungsentlasteten
Position heraus zu betrachten. Ein Ziel dabei wäre, die aus der eigenen Schulzeit mitgebrachten Bilder, Vorurteile und Muster außer Kraft zu setzen und methodisch geleitete,
„fremde“ Einblicke in das Berufsfeld Schule
zu ermöglichen, um damit neue Analyse- und
Handlungsperspektiven zu eröffnen (vgl. dazu
Schrittesser, 2008).
In der universitären Lehrer/innenbildung
an der Universität Wien wird mit dem Programm „Kooperationsschulen der Universität“
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Schrittesser: Kooperationsschulen der Universität Wien
versucht, eine solche methodisch überformte
Schnittstelle von Ausbildung und Schulpraxis
zu gestalten. Im Rahmen dieses Programms
geben Schulen Begleitforschungsprojekte in
Auftrag, die sich mit einem für die jeweilige
Schule brisanten Thema befassen und die an
der Universität unter Anleitung einer bzw.
eines Lehrenden gemeinsam mit Studierenden im Rahmen eines Forschungsseminars
bearbeitet werden. Die Schule nominiert
dazu konkrete Ansprechpartner, die das Projektteam an der Schule darstellen und die mit
dem Direktor bzw. der Direktorin der Schule und mit dem Projektteam der Universität
(Lehrende und Studierende) den Auftrag
konkretisieren. Nach Durchführung des Vorhabens werden die Ergebnisse an die Schule
zurückgespielt.
An der Universität Wien wurde das Programm zunächst als Pilotvorhaben 2002 gestartet und kann nun eine sechsjährige Erfolgsgeschichte verzeichnen. Bei erfolgreich
abgeschlossenem Projekt erhält die Schule das
rechtlich geschützte Zertifikat „Kooperationsschule der Universität Wien“.
Folgende sieben konkrete Etappen der
Abwicklung eines Kooperationsschulprojekts
lassen sich beschreiben, die sich auf ähnliche
Situationen im Schnittstellenmanagement
zwischen Schule und Universität anwenden
lassen:
1. Eine Schule wendet sich an das Institut
für Bildungswissenschaft der Universität Wien
mit einer spezifischen Anfrage, z.B. sollen im
Vorfeld einer Schulprofilbeschreibung die aktuell an der Schule verfolgten Schwerpunkte
empirisch erhoben werden. Die Anfrage erfolgt meist informell durch die Direktion
oder durch eine Proponent/innengruppe der
Schule. Am Institut für Bildungswissenschaft
wird zunächst durch den Koordinator der
Kooperationsschulprojekte überprüft, ob eine
Lehrveranstaltungsleiterin/ein Lehrveranstal-
tungsleiter zur Verfügung steht, die bzw. der
ein solches Projekt übernehmen kann. Verläuft die Überprüfung positiv, so bekommt die
Schule eine Zusage durch das Institut sowie
die Angabe des Zeitrahmens, in welchem der
Auftrag bearbeitet werden kann.
2. Die/Der verantwortliche Lehrveranstaltungsleiterin/Lehrveranstaltungsleiter vereinbart nun einen Termin mit der Direktion
und den von der Schule zu nominierenden
Ansprechpartner/innen für das Projekt. Bei
diesem Termin formiert sich das Projektteam,
bestehend aus Direktion, Ansprechperson(en)
an der Schule, der Lehrveranstaltungsleiterin/dem Lehrveranstaltungsleiter sowie dem
Koordinator und der Leiterin des Kooperationsschulprogramms am Institut für Bildungswissenschaft. Der Auftrag wird präzisiert und
eine verbindliche Vereinbarung über die vom
Institut und von der Schule jeweils im Projekt
zu erbringenden Leistungen wird abgeschlossen.
3. Der Projektauftrag wird im Rahmen
eines Forschungsseminars von Studierenden
der Lehrer/innenbildung unter Anleitung der
Lehrveranstaltungsleiterin bzw. des Lehrveranstaltungsleiters in Arbeitspakete differenziert. Im Seminar übernehmen Teams von
Studierenden jeweils ein solches Arbeitspaket.
Zwei in jedem Kooperationsschulprojekt befindliche Arbeitspakete bestehen im Verfassen
und in der Layoutierung des Projektberichts
sowie in der Präsentation der Ergebnisse des
Projektberichts an der Schule.
4. In der Phase der Durchführung arbeiten
die Studierendenteams relativ eigenständig.
Von der Lehrveranstaltungsleiterin/dem Lehrveranstaltungsleiter wird besonders in dieser
Phase relativ viel Fingerspitzengefühl verlangt,
da einerseits Studierenden eigenständige Forschungserfahrungen in Hinblick auf die Ziele
der Lehrveranstaltung ermöglicht werden sollen
und andererseits die Güte der Projektdurchfüh-
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Methodenatelier
rung nicht aufs Spiel gesetzt werden darf. Auch
zeigen sich in dieser Phase häufig auf Grund
der jeweiligen Projektrealität entstehende und
im Vorfeld kaum einkalkulierbare Eigendynamiken, die eine nicht zu unterschätzende Herausforderung darstellen – Beispiele für solche
Unwegsamkeiten wären etwa die Erreichbarkeit
von Lehrer/innen an der Schule, Kommunikationsprobleme zwischen Projektteam und Studierendenteams, sich verändernde Facetten im
Projektauftrag als „work in progress“ usf. Eine
kluge Moderation dieser immer wieder auftretenden Momente wird deren Lernpotential
nutzen bei gleichzeitigem Festhalten an der
Erreichung der Projektziele.
5. In der Abschlussphase wird der Projektbericht formuliert, von einer Gruppe von Studierenden gemeinsam mit der Lehrveranstaltungsleiterin/dem Lehrveranstaltungsleiter
an der Schule präsentiert und diskutiert. Die
Präsentation erfolgt in der Regel nicht vor dem
gesamten Kollegium, sondern nur im Beisein
der Direktion und der das Thema an der Schule initiativ verfolgenden Lehrer/innen. Wenn
sich auf der Basis der Projektergebnisse weiterer Handlungsbedarf für die Schule zeigt,
werden häufig im Anschluss an das Projekt
Schulentwicklungsvorhaben oder schulinterne
Lehrerfortbildung in Angriff genommen.
6. Im Forschungsseminar wird das Vorhaben abschließend theoriegestützt analysiert
und sowohl der inhaltliche als auch der aus der
Prozessteilhabe entstandene potentielle Wissenstransfer für die zukünftige Berufspraxis
definiert.
7. Das Vorhaben schließt mit der (meist
feierlichen) Überreichung des von der Universität beglaubigten und durch den zuständigen
Vizerektor unterfertigen Zertifikats „Kooperationsschule der Universität Wien“ ab.
rien in den Fachgruppen“, „Evaluation von
Schulschwerpunkten“ (Gender, Schwerpunkt
„Naturwissenschaften“, Sprachenschwerpunkt,
Offenes Lernen etc.) aber auch Problembereiche wie etwa steigende Absenzen von Schüler/innen untersucht. Das Kooperationsschulnetzwerk wächst beständig zu beiderseitigem
Gewinn: Schulen erhalten die Möglichkeit,
für sie relevante Themen zu bearbeiten, die
im Schulalltag ohne Unterstützung von außen keine vertiefte Aufmerksamkeit erhalten könnten; für die Universität eröffnet sich
die Chance, eine tragfähige Verbindung zur
Praxis zu entwickeln, in deren Kontext Studierende die Schulwirklichkeit mit dem Blick
der Forscherin bzw. des Forschers betrachten
und damit jene methodische Distanz entfalten
können, die sie für eine reflexiv abgesicherte
Tätigkeit als Lehrerin bzw. als Lehrer brauchen
werden.
Literatur
Schrittesser, I. (Hrsg.). (2008). Professionalität und
Professionalisierung. Einige aktuelle Fragen und
Ansätze der universitären Lehrerbildung. Frank­
furt/Wien: Peter Lang Verlag.
Kontaktadresse: [email protected]
In den letzten Jahren wurden Themen wie
„Erhebung der Leistungsbeurteilungskrite-
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Óhidy, A., Terhart, E. & Zsolnai, J. (Hrsg.).
(2007). Lehrerbild und Lehrerbildung. Praxis und Perspektiven der Lehrerausbildung
in Deutschland und Ungarn. Wiesbaden: VS
Verlag für Sozialwissenschaften; 344 S.; ISBN
3-531-15308-7; 39,90 EUR.
Vor dem Hintergrund umfassender Strukturveränderungen in der europäischen Lehrer(aus)bildung, die eng mit der BolognaErklärung verbunden sind, thematisiert der
vorliegende Sammelband das Lehrerbild
und die Lehrerbildung in einer international
vergleichenden Perspektive. Das Buch dokumentiert die Tagung Lehrerbild und Lehrer(aus)bildung – Praxis und Perspektiven in
Deutschland und Ungarn, die am 31. März
2006 an der Universität Bielefeld im Sinne der
am 21. Februar 2005 verabschiedeten Gemeinsamen Erklärung zwischen dem Ministerium
für Bildung der Republik Ungarn und dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung des
Landes Nordrhein-Westfalen zur Intensivierung
der Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft und Forschung stattgefunden hat. Mit
Hilfe von deutschen und ungarischen Experten zielt der Sammelband darauf, „Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Alt- und
Neu-EU-Ländern transparent zu machen […],
um zwischen den ausgewählten Ländern eine
Brücke zu schlagen, die ungarischen Debatten
über das Thema Lehrer(aus)bildung für die
deutsche Diskussion zugänglich zu machen
und um dadurch das Einander-Verstehen und
das Miteinander-Leben innerhalb der Europäischen Union zu erleichtern.“
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Das Buch gliedert sich in vier Großkapitel.
Das erste Kapitel widmet sich in fünf Beiträgen
der Lehrerbildung in Deutschland und Ungarn.
Andrea Óhidy vermittelt in zwei strukturellanalogen Aufsätzen grundlegende Informationen zum föderalistischen deutschen und zum
nach der demokratischen Wende 1989/90 dezentralisierten ungarischen Bildungswesen, die
als prägnante Hintergrundinformationen für
die folgenden Beiträge fungieren. Nach einem
kurzen historischen Abriss der Entwicklung in
der Nachkriegszeit wendet sich die Verfasserin
zentralen Merkmalen des jeweiligen Bildungswesens zu: Aspekte der Steuerung, Verwaltung
und Kontrolle auf Bundes-, Landes- und regionaler und institutioneller Ebene, die Struktur
und den Aufbau sowie die Finanzierung der
Bildungssysteme. Es wird dabei evident, dass
die Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland sowie der Zusammenbruch des
sozialistischen Systems in Ungarn zu Beginn
der 90er Jahre die beiden Bildungssysteme in
unterschiedlicher Weise geprägt haben. Während in den ehemaligen Ländern der DDR
lediglich die föderale Struktur des Bildungswesens (wieder) eingeführt wurde, ist das gegenwärtige ungarische Bildungssystem durch
eine eigentümliche Koinzidenz zu charakterisieren: „Die Schulen werden nicht vom Staat,
sondern von den verschiedenen privaten und
Rechtspersonen sowie vor allem von Selbstverwaltungen gegründet. Dadurch wird eine
neoliberale Bildungspolitik verhindert, denn
die Schulen bleiben öffentliche Institutionen
und die Lehrer öffentliche Angestellte. Aber
auch eine zentrale Bildungspolitik wird dadurch verhindert, denn die Schulen unterstehen dem jeweiligen Träger; dieser – und nicht
der Staat – trägt die Verantwortung.“
Ewald Terhart stellt nachfolgend Strukturprobleme der Lehrerausbildung in Deutschland vor. Einleitend beschreibt er die zwischen
den sechzehn Bundesländern mehr oder we-
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niger stark variierende Grundstruktur der
Lehrerausbildung und expliziert die zentralen
Funktionen der Ersten, Zweiten und Dritten
Phase sowie daraus resultierende Strukturprobleme. Neben der starken Zersplitterung
der drei Phasen verweist er auf die von der
Bildungspolitik zu verantwortende Paradoxie,
Professionalität von Lehrern bei gleichzeitiger
Polyvalenz der Abschlüsse gewährleisten zu
sollen, sowie auf die unzureichende empirische
Basis zur Wirksamkeit von Lehrerbildung, um
abschließend aktuelle bundeslandspezifische
Entwicklungen und Lösungsansätze zu umreißen.
Die offenen Fragen um die zentral regulierte ungarische Lehrerbildung werden von
József Zsolnai thematisiert. Nach einem kurzen Exkurs in die dreiphasige Historie der ungarischen Lehrerausbildung beschreibt er die
Entfaltung eines neuen Lehrerbildes durch das
von ihm selbst initiierte Programm der „Pädagogik der Wertevermittlung und Fähigkeitsförderung“ (ÉKP) – ein Schulprogramm, das
bereits vor der demokratischen Wende von
zahlreichen staatlichen Schulen als Grundlage ihres pädagogischen Handelns gewählt
und am 22. Februar 2006 als Rahmenlehrplan
anerkannt wurde – sowie die Auswirkungen
des Bologna-Prozesses auf die ungarische Pädagogenausbildung. Kritisch hebt er hervor,
dass bislang „mit der Adaptation der Bologna-Konzeption nur die Vereinheitlichung der
Lehrerbildung [für Fachmittelschullehrer und
Gymnasiallehrer], nicht aber die Schaffung einer einheitlichen Pädagogenausbildung“ bewirkt wurde und somit der Bologna-Prozess
nur eine „halbe Lösung gebracht hat, da die
Ausbildung für Grundschullehrer im Rahmen der ‚alten’ Pädagogischen Hochschulen
geblieben ist.“
Das Kapitel schließt mit einem Vergleich
beider Lehrerausbildungssysteme durch Gabriella Bikics. Sowohl die deutsche als auch die
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ungarische Lehrerbildung bestehen aus den
Komponenten Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Erziehungswissenschaften und dem Schulpraktikum. Der Bologna-Prozess stellt jedoch
für das ungarische System eine weit größere
Herausforderung dar, da hier die Lehrerbildung im Gegensatz zum zweiphasigen deutschen Modell einphasig ist und nun auf das
europäisch einheitliche Zweiphasenmodell
umgestellt werden muss. Eine weitere Differenz konstatiert Bikics in der schulpraktischen
Ausbildung. Während sich diese in Deutschland durch starke Reflexivität auszeichnet,
dominiert in Ungarn ein vorbildorientiertes
Lernen in Ausbildungsschulen, um „den Referendaren Rezepte erprobter und bewährter
Verfahren anzubieten.“ Als gemeinsames
Problem in der schulpraktischen Ausbildung
identifiziert die Verfasserin die Frage nach der
systematischen Qualifizierung der Praxisausbilder, da diese meist entweder Dozenten mit
wenig eigener Schulerfahrung oder aber Ausbildungslehrer ohne wissenschaftliche Qualifikation sind.
Der zweite Teil des Sammelbandes thematisiert den Wandel des Lehrerbildes. Einleitend
versuchen Hermann Giesecke und Zoltan
Poór in zwei Beiträgen das Bild eines guten
bzw. schlechten Lehrers aus deutscher und
ungarischer Perspektive zu skizzieren. Trotz
zweifelsfrei divergierender Auffassungen der
Lehrerrolle von Lehrer zu Lehrer, Schule zu
Schule und nicht zuletzt von Schulform zu
Schulform in beiden Ländern lassen sich
aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive folgende gemeinsame Attribute für das ex
negativo unterstellte Normalbild des Lehrers
ausmachen: dominant, stoffzentriert und unflexibel.
Kontrastierend werden in vier Beiträgen
exemplarisch das Lehrerbild der Laborschule
Bielefeld sowie das Lehrerbild des ungarischen
ÉKP-Programms („Pädagogik der Wertever-
mittlung und Fähigkeitsförderung“) vorgestellt
und in einem abschließenden Vergleich durch
Dietrich Lemke zusammengeführt. Gemeinsam ist beiden Ansätzen die „Umdefinition des
wünschenswerten Lehrerverhaltens im Unterricht, die Hinwendung zu induktiven, das
heißt lerninitiierenden und lernbegleitenden
Unterrichtsmethoden verbunden mit einer
unterstützenden Grundeinstellung.“ Während
jedoch das Konzept des ÉKP-Programms in
der Tradition der US-amerikanischen Großcurricula der 70er Jahre für alle Schulfächer
und Schulstufen Inhalte und Lernziele festlegte
sowie passende neue Lehrbücher und Unterrichtsmaterialien zum entdeckenden Lernen
im Sinne Jerome Bruners konzipierte, ist das
Konzept der Laborschule Bielefeld durch eine
hohe Affinität zum schülerorientierten Unterricht nach Rogers gekennzeichnet. Lemke
sieht hierbei den Vorteil, dass die ÉKP-Lehrer
„aus dem Vorrat der bereitgestellten detailliert
ausgearbeiteten Lehrpläne schöpfen können,
während die Laborschullehrer jedes Mal von
Neuem interessante Unterrichtsarrangements
ausdenken müssen.“ Zu bemerken ist ferner,
dass das Zsolnai-Konzept inzwischen das
gesamte ungarische Bildungswesen von der
Vorschule bis zur Lehrerbildung umfasst,
während das Konzept der Laborschule eine innovative Ausnahmeerscheinung im deutschen
Bildungssystem darstellt. Um ein realistischeres Bild der Lehrerschaft in Deutschland zu
präsentieren, wäre sicherlich auch ein Blick in
die Breite notwendig gewesen.
Der dritte Teil des Sammelbandes fokussiert
die Praxis der Lehrer(aus)bildung im Kontext
des Bologna-Prozesses. Im ersten Beitrag erörtert Andreas Bergheim die Praxisphasen in der
Ersten Phase der nordrheinwestfälischen Lehrerbildung. Er konstatiert „eine vielfach nicht
an Wissenschaft und Forschung ausgerichtete Orientierung der Praxisstudienkonzepte in
der Lehrerbildung.“ Ergänzend hierzu stellen
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Franz-Josef Bölting und Stephan Thomas das
Referendariat als Ausbildungsphase der Berufseinführung ebenfalls am Beispiel Nordrhein-Westfalens vor. Neben strukturellen
und inhaltlichen Merkmalen erörtern sie insbesondere die verbesserte Zusammenarbeit an
den Schnittstellen Schule und Studienseminar
sowie Hochschule und Studienseminar. Exemplarisch sei an dieser Stelle einerseits auf die
durch die Kultusministerkonferenz im Jahr
2004 erlassenen phasenübergreifenden Standards für die Lehrerbildung sowie das institutionalisierte Planungs- und Entwicklungsgespräch nach der Hälfte des Referendariats
hingewiesen. Kontrastierend vermitteln Lenke Kocsis Fábiánné sowie Márta Lóczi einen
allgemeinen Einblick in das ungarische Pädagogik-Studium bzw. in die Gestaltung der
Praxisphasen an der Universität Szent István,
die einerseits an Übungsschulen und andererseits an hochschulunabhängigen Schulen zu
absolvieren sind. Der kompetenzorientierten
Zielsetzung des Bologna-Prozesses folgend,
werden im Pädagogik-Studium subjekt- und
handlungsorientierte Lernformen nicht nur in
Vorlesungen theoretisch vorgestellt, sondern
zunehmend in die praktische Seminararbeit
integriert; verbunden ist damit die Hoffnung,
dass das persönliche Erleben der „neuen“ Methodikkultur einen nachhaltigen Einsatz in der
eigenen Lehrertätigkeit nach sich zieht. Volker
Möhle resümiert vor diesem Hintergrund:
„Zwar findet in Ungarn wie in Deutschland
eine Ausbildung für verschiedene Unterrichtsfächer statt, aber in Ungarn ist die Erziehungswissenschaft ganz klar organisatorische und
inhaltliche Leitdisziplin.“
Abschließend werden im vierten Kapitel
des Sammelbandes in sechs Beiträgen Chancen und Perspektiven der Neugestaltung der
Lehrer(aus)bildung gemäß der Erklärung von
Bologna aufgezeigt. Zunächst stellt Kerstin
Wedekämper die wichtigsten Zielsetzungen
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des Bologna-Prozesses vor. Nach einer knappen chronologischen Aufarbeitung des Reformprozesses skizziert sie die Umsetzung der
Reform in Deutschland bzw. Ungarn und gibt
einen Einblick in den Stand der Umsetzung.
Für beide Länder konstatiert sie derzeit noch
die Parallelität von alten und neuen Studiengängen und -abschlüssen, die bis zum Jahr
2010 aufgehoben sein soll. Hervorzuheben ist,
dass in Deutschland schon im Jahr 2000 BA/
MA-Studiengänge systematisch implementiert
wurden, wohingegen in Ungarn konsekutive
Studiengänge erst im Herbst 2004 etabliert
wurden. Im zweiten Beitrag dieses Kapitels
veranschaulicht Dagmar Hänsel am Beispiel
des „Bielefelder Modells“ den Umgang mit der
Erklärung, bevor Dietrich Lemke im dritten
Beitrag die zentralen Kritikpunkte der Bologna-Gegner aus deutscher Sicht zusammenfasst. Seine Ausführungen münden in der
polemischen Feststellung: „Bologna konnte
einmal stolz darauf sein, die erste Universität
in Europa gegründet zu haben. Das war im
Jahr 1088. Schade, dass der Name Bologna
nun auch zum Symbol für das Begräbnis der
Europäischen Universität geworden ist.“ Die
Auswirkungen des Bologna-Prozesses in Ungarn werden nachfolgend von Endre Barkó
sowie Mária Mátyási analysiert, wobei an vielen Hochschulen die Einführung der neuen
Studiengänge lediglich durch die Umbenennung der einzelnen Fächer und nicht durch
tatsächliche Umkonstruierung gekennzeichnet ist; ein auch in Deutschland vertrautes
Phänomen. Zum Schluss diskutiert Cecilia
Tusi die beschriebenen Reformen vergleichend. Dabei problematisiert sie vorrangig die
beruflichen Perspektiven für BA-Absolventen
sowie die Eignungsfeststellungsverfahren für
die Aufnahme in den Master-Studiengang in
beiden Ländern.
Die Publikation endet mit den Grußworten
zur Tagung und einem ausführlichen Auto-
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renverzeichnis. Leider verzichtet sie auf ein
Sachregister sowie Abstracts in englischer und
deutscher Sprache, die den einzelnen Aufsätzen hätten voran gestellt werden können. Zu
bemängeln sind zudem einige orthographische
Fehler, die vermutlich durch die Übersetzung
zahlreicher Aufsätze zu begründen sind. Inhaltlich wäre zusätzlich ein Großkapitel zum
Stand der Lehrerbildungsforschung in beiden
Ländern wünschenswert gewesen.
In der Zusammenschau zeigt sich ein hochinformativer und lesenswerter Sammelband,
der hervorragend strukturiert ist und durch
den Vergleich exemplarischer Aspekte von
Lehrerbild und Lehrerbildung seinem im
Vorwort formulierten Anspruch, „die deutsche und ungarische Diskussion um die Lehrer(aus)bildung zu beleben“, vollends gerecht
wird.
Christian Reintjes, Dr., Ruhr-Universität Bochum, AG Schulforschung & Schulpädagogik.
Arbeitsschwerpunkte: Lehrerberuf, Struktur
und Reform der Lehrerbildung, Schul- und
Unterrichtsentwicklung
Kontaktadresse:
[email protected]
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PINNWAND
Pinnwand
17. bis 19. November 2008
International Conference of
Education, Research and
Innovation (ICERI 2008)
Veranstalter: International Association of Technology, Education and
Development (ICERI)
Ort: Convention Centre – MELIA
CASTILLA MADRID, Spain
Weitere Informationen unter:
http://www.iated.org/iceri2008/
19. bis 21. November 2008
International Conference on the
efficiency and equity of education
Veranstalter: L´AECSE, Le CREAD, L´Université de Rennes 2 et
l´IUFM DE BRETAGNE
Ort: Université Rennes 2, Campus
Villejean, Rennes
Weitere Informationen unter: http://ent.bretagne.iufm.fr/efficacite_et_equite_en_education/index.jsp
26. bis 28. November 2008
3rd European Conference on Practice-based
and Practitioner Research on Learning
and Instruction
Thema: Knowledge Creation & Optimal
Teaching and Learning Environments: What
Works?
Veranstalter: European Association for Research on Learning and Instruction (Earli)
und University of Bergen
Ort: Bergen, Norwegen
Weitere Informationen unter: http://www.
earli-pbpr.org
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21. bis 22. Januar 2009
Studientage PHBern
Thema: Lernen und Lehren mit Neuen Medien
Veranstalter: Pädagogische Hochschule
PHBern
Ort: Universität Bern
Weitere Informationen unter:
http://studientage.phbern.ch
Kontaktadresse: [email protected]
25. bis 27. März 2009
Tagung der DGfE Kommissionen
„Schulforschung und Didaktik“ und
„Professionsforschung und Lehrerbildung“
Thema: Bildungsstandards und Kompetenzmodelle – eine Verbesserung der Qualität von
Schule, Unterricht und Lehrerbildung?
Veranstalter: DGfE und Pädagogische Hochschule Heidelberg
Ort: Pädagogische Hochschule Heidelberg
Weitere Informationen unter: http://www.
dgfe-sektion5.de/kom2/veranstaltungen.htm
Kontaktadresse: [email protected]
journal für lehrerinnen- und lehrerbildung 3/2008
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