Wo Puppen Menschen die Augen offnen

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Wo Puppen Menschen die Augen offnen
puppentheater
Es passiert wohl nicht alle Tage, dass man nach einer
Vorstellung im Puppentheater erst einmal eine Verschnaufpause braucht, um zurück in die Realität zu
finden. Bei Richard dem III. nach William Shakespeare
im Puppentheater Magdeburg war das der Fall.
M
oritz Sostmann, der für die Regie verantwortlich
zeichnete, ist hier eine Inszenierung gelungen, die
einen von der ersten Sekunde an in den Bann
schlägt, nicht ein einziges Mal loslässt und auch nach dem
Ende des Stückes gefangen hält. Das liegt nur bedingt an dem
Stoff, denn dass bei Shakespeare gemetzelt und gemeuchelt,
intrigiert und geheuchelt wird, bis nach Möglichkeit alle tot
sind, das ist nicht neu. Es ist die Art und Weise, wie der Stoff
aufgegriffen wird, wie, ohne ein einziges Mal vordergründig
zu wirken, das Macciavellistische in dem offenbar zeitlosen
Ringen um Macht, Geld und Ansehen unser Leben bis
heute durchdringt. Der Geist Richard des III. ist allgegenwärtig, kann täglich in den Nachrichten
beobachtet werden. Aber das ist sicher nur
ein Teil der Faszination, die von den
teils von mehreren Puppenspielern geführten insgesamt
20 charakteristischen
Puppen ausgeht.
Der Wechsel
zwischen
Schauspielern und Puppenspielern, zwischen
Menschen und Puppen macht übermächtig deutlich, dass es zwischen marionettenhaften Menschen und menschlichen Marionetten wirklich
keinen Unterschied gibt. Die einen funktionieren direkt geführt, die anderen wie an unsichtbaren Fäden. Vermutlich entsteht gerade
dadurch diese packende Wirkung, weil dem
Zuschauer das nicht nur erzählt, sondern er
sich selbst vorgeführt fühlt. Das dringt
tief in die Seele und schmerzt.
Foto: dpa
Wo Puppen Menschen
die Augen offnen
Hinzu kommt eine Puppengestaltung von
Atif Hussein, die vom ersten Augenblick an
Vergessen macht, dass es sich um Kunstfiguren handelt. Jeder Mord bereitet dem
Zuschauer beinahe körperlichen Schmerz,
jede Reaktion, jeder Gedanke, jede
Intrige wird erlebt. Der Unterschied
zwischen Schauspielern, Puppenspielern und Puppen verschwimmt, und man hat das
Gefühl, dass hier weit
mehr als 20 Puppen
und acht Puppenschauspieler
agieren.
Jesko Döring vom Puppentheater in Magdeburg hält ein
Fahrrad, Bestandteil der Kulisse des bevorstehenden Figurentheaterfestivals. Beim Internationalen Figurentheaterfestival „Blickwechsel“ treten in diesem Jahr 45 Puppen- und
Figurentheater aus zwölf Ländern in Magdeburg auf. Das
Treffen vom 18. bis 24. Juni steht unter dem Titel „...zu neuen Ufern“. Den Auftakt bildet die Inszenierung „La Notte 5“
im Wissenschaftshafen.
Das Töten von Freund und Feind ist bei Richard dem III. an
der Tagesordnung. Wir Zeitgenossen sind das Töten überall
auf der Welt, im Fernsehen und in der nahen Umgebung
ebenfalls gewohnt. Und trotzdem wird gerade durch die
mechanistische Art, wie einer Puppe das Genick oder das
Rückgrat gebrochen wird, eine höhere Empfindsamkeit erzielt,
als durch unzählige elektronische Bilder.
Richard der III. im Puppentheater Magdeburg öffnet
mit Puppen Menschen
die Augen, die vor lauter
Bildern Lebensrealität
verdrängt haben.
Das muss man
gesehen
haben! RDS
Foto: Puppentheater