Ungleicher Wettbewerb zwischen Motodrom Hockenheim

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Ungleicher Wettbewerb zwischen Motodrom Hockenheim
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 12 /
12. Wahlperiode
08. 07. 97
1722
Antrag
der Abg. Karl-Peter Wettstein u. a. SPD
und
Stellungnahme
des Wirtschaftsministeriums
Ungleicher Wettbewerb zwischen Motodrom Hockenheim,
Nürburgring und Lausitzring
A n tr a g
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. welchen Stellenwert die Landesregierung dem Motodrom in Hockenheim für
den Rhein-Neckar-Raum und für Baden-Württemberg in wirtschaftlicher Hinsicht beimißt;
2. wie die Landesregierung die Tatsache beurteilt, daß der Nürburgring in den letzten 30 Jahren mit über 100 Millionen DM vom Bund und vom Land RheinlandPfalz gefördert wurde, während die Hockenheim-Ring GmbH als Betreiberin
des Motodroms auf solche Subventionen verzichten mußte;
3. wie die Landesregierung die Wettbewerbssituation des Motodroms mit dem
Lausitzring einschätzt, für den nun staatliche Subventionen in der Höhe von
241 Millionen DM gegeben werden;
4. wie die Landesregierung die Ungleichbehandlung von Nürburgring und Motodrom bezüglich der Zigarettenwerbung einschätzt;
5. was die Landesregierung zu tun gedenkt, um die Wettbewerbsgleichheit zwischen Motodrom, Nürburgring und Lausitzring sicherzustellen.
03. 07. 97
Wettstein, Göschel, Junginger,
Nagel, Seltenreich SPD
Eingegangen: 08. 07. 97 / Ausgegeben: 26. 09. 97
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Landtag von Baden-Württemberg – 12. Wahlperiode
Drucksache 12 / 1722
St e l l ungna hm e*)
Mit Schreiben vom 11. September 1997 Nr. 3–4295.1/11 nimmt das Wirtschaftsministerium im Einvernehmen mit dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport
zu dem Antrag wie folgt Stellung:
Zu 1.:
Die Landesregierung mißt dem Motodrom in Hockenheim für die Region RheinNeckar-Dreieck und für Baden-Württemberg eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung bei.
Internationale Großveranstaltungen wie der Formel-1-Grand-Prix haben den
Hockenheimring zu einem Begriff in der Welt des Motorsports werden lassen. Was
1932 mit dem ersten Motorradrennen begann, präsentiert sich heute als eine der bedeutendsten Renn- und Versuchsstrecken für Kraftfahrzeuge. Denn der Hockenheimring ist mehr als nur eine Rennstrecke. Neben den internationalen Großveranstaltungen (Grand-Prix, Super-Tourenwagen-Cup, Superbike-Weltmeisterschaft,
Dragster-Rennen) finden auch Open-Air-Konzerte, so vor kurzem das Open-AirFestival von Michael Jackson statt. Hinzu kommen zahlreiche kleinere Veranstaltungen, Produkt-Präsentationen, Versuchsfahrten der Automobil- und Reifenindustrie, Verkehrssicherheitstraining sowie Touristenfahrten.
Neben den Renn- und Versuchsstrecken betreibt die Hockenheim-Ring GmbH
noch das unter der Haupttribüne befindliche Tagungshotel (Hotel „Motodrom“)
mit ca. 25 Beschäftigten und über eine Tochtergesellschaft die Raststätte „Am
Hockenheimring-Ost“ an der Autobahn A 6 mit ca. 30 Beschäftigten.
Ein attraktives Motor-Sport-Museum mit jährlich ca. 30.000 Besuchern, ein Verkehrsübungspatz sowie eine Kart-Bahn runden das Angebot des Hockenheimrings
ab.
Insgesamt bietet das Unternehmen Hockenheim-Ring GmbH nicht nur 70 Dauerarbeitsplätze, sondern bei Großveranstaltungen bis zu 1.500 Teilzeitarbeitsmöglichkeiten.
Beachtlich sind auch die bisherigen Investitionen der Hockenheim-Ring GmbH,
deren Stammkapital zu 51% von der Stadt Hockenheim und zu 49% vom Badischen Motorsport-Club e. V. gehalten wird. Seit der Fertigstellung des Motodroms
Mitte der 60er Jahre investierte die GmbH ca. 50 Millionen DM ohne nennenswerte Hilfe von Bund und Land.
Insbesondere von den Großveranstaltungen gehen erhebliche wirtschaftliche Impulse auf das Hotel- und Gaststättengewerbe, den Handel, das Handwerk und
Dienstleistungsunternehmen in der gesamten Region aus. Die Stadt Hockenheim
schätzt entsprechend den Ergebnissen einer Marktforschungsanalyse über die „Regionalwirtschaftlichen Effekte der Motorsport-Großveranstaltungen 1996 auf dem
Nürburgring“, daß allein der deutsche Formel-1-Grand-Prix in Hockenheim der
Region weit über 50 Millionen DM an Umsätzen pro Jahr bringt. Bei Großveranstaltungen sind oft sämtliche Hotels im Umkreis von ca. 50 km belegt. Dies sorgt
nicht nur für eine zusätzliche Auslastung der Hotels an Wochenenden, sondern
trägt auch zur Arbeitsplatzsicherung bei.
Der Hockenheimring stellt damit für die Stadt Hockenheim und den gesamten
Rhein-Neckar-Raum einen wichtigen Tourismusfaktor dar. Aufgrund der zunehmenden Trends zu Event-(Erlebnis-)Reisen, darf die Bedeutung des Events
Hockenheimring mit seinen Formel-1-Rennen und sonstigen Großveranstaltungen
nicht unterschätzt werden.
*) Der Überschreitung der Drei-Wochen-Frist wurde zugestimmt.
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Kaum quantifizierbar, aber doch von großer Bedeutung, sind die Auswirkungen
großer Rennveranstaltungen auf Image und Bekanntheitsgrad Hockenheims, der
Region Rhein-Neckar-Dreieck und ganz Baden-Württembergs.
Dieser positive Imagetransfer ist ein wichtiger Faktor für den Wirtschafts- und
Automobilstandort Baden-Württemberg. Mit dem Motorsport-Engagement wollen
die Automobilunternehmen vor allem neue Kunden auf ihre Produkte aufmerksam
machen. Die dabei transferierten Imagewerte wie Qualität, Zuverlässigkeit, hohes
technisches Niveau, Effizienz, Dynamik und Internationalität führen zur Bildung
und Festigung einer entsprechenden „Marken-Persönlichkeit“ und „Marken-Identifikation“.
Außerdem kann die Wettbewerbsfähigkeit der Fahrzeuge und der eingesetzten
Technologien dargestellt werden. Der Motorsport hat im Fahrzeugbau in vielen
Bereichen die Funktion eines Technologieschrittmachers und übernahm in der Vergangenheit oft eine Art Vorreiterrolle, beispielsweise auf dem Gebiet der Aerodynamik, der Fahrwerkskonstruktion, neuer Werkstoffe und Materialien oder im Bereich der Sicherheitseinrichtungen.
Das Motodrom in Hockenheim ist einmalig in Baden-Württemberg. Es ist ein echter Kristallisationspunkt zur Stärkung der regionalen Eigenkräfte. Neben der Bedeutung nach innen (Identifikation in der Region), hat es vor allem eine ganz erhebliche Bedeutung nach außen und ist damit ein besonders guter Werbeträger für
das Land Baden-Württemberg.
Aus allen den genannten Gründen ist das Motodrom in Hockenheim regional- und
landespolitisch von hohem Rang und verdient die Unterstützung der Landesregierung.
Zu 2. und 3.:
Das Projekt Lausitzring wird mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) im Rahmen der Förderung der wirtschaftsnahen Infrastruktur gefördert. Diese Mittel stehen für die regionale Strukturförderung in Ostdeutschland und in den strukturschwachen Regionen der alten
Bundesländer zur Verfügung.
Der Bund und diejenigen Länder, in denen die Investitionsvorhaben vorgenommen
werden, tragen die Fördermittel je zur Hälfte. Die Bundesmittel werden den Ländern nach einer Quote zugewiesen und stellen rechtlich Haushaltsmittel der Länder
dar.
Das Land Brandenburg hat der Zuwendungsempfängerin, dem Förderverein Lausitzring e. V. eine zweckgebundene Zuwendung in Höhe von 241,46 Millionen DM
aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe zugesagt.
Zuständig für die Durchführung des Bewilligungsverfahrens, den Erlaß oder die
Ablehnung des Bewilligungsbescheides sowie für die regionalpolitische Beurteilung des Projekts sind nach Artikel 91 a GG ausschließlich die Länder. Der Bund
prüft im Rahmen der Förderung mit GA-Mitteln die Rechtsmäßigkeit des Bewilligungsbescheides. Diese Prüfung hat ergeben, daß der Bewilligungsbescheid Brandenburgs den Förderregelungen des Rahmenplans der GA entspricht.
Auch für den Bau der Grand-Prix-Strecke am Nürburgring haben das Land Rheinland-Pfalz und der Bund in den 80er Jahren erhebliche Mittel bereitgestellt.
Sowohl beim Nürburgring als auch beim Lausitzring handelt es sich um Maßnahmen zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur.
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Diese Fördervoraussetzung trifft für den Raum Hockenheim nicht zu. Denn die
grenzüberschreitende Region Rhein-Neckar-Dreieck zählt zu den wirtschaftsstarken Verdichtungsräumen in Deutschland.
Für den Hockenheimring konnte deshalb für den Boxenneubau anfangs der 90er
Jahre von der Landesregierung lediglich ein LAKRA-Darlehen vermittelt werden.
Aus der Sicht der Hockenheim-Ring GmbH führt die staatliche finanzielle Förderung des Lausitzrings und auch des Nürburgrings zu einer ungleichen Wettbewerbssituation.
Darüber hinaus ist zu bedenken, daß weitere Rennstrecken in den neuen Bundesländern nach vorliegenden Presseinformationen zum Teil ebenfalls mit staatlicher
Förderung entstanden sind, so der Motopark bei Oschersleben (Sachsen-Anhalt)
und der Sachsenring bei Hohenstein-Ernstthal (Sachsen).
Die Verantwortlichen des Hockenheim-Rings haben bewiesen, daß sie das Motodrom durch ihre innovative Betriebsführung auch ohne eine vergleichbare staatliche Förderung zum wirtschaftlichen Erfolg führen konnten. Folgende Veranstaltungen und Einrichtungen belegen die Attraktivität des Hockenheimrings:
– Formel-1-Grand-Prix,
– insgesamt sechs internationale Motorsport-Großveranstaltungen,
– ca. siebzig kleinere Veranstaltungen,
– Veranstaltungen im Bereich der Musik und des Trendsports,
– Testfahrten der Industrie,
– Tagungshotel „Motodrom“,
– Motor-Sport-Museum,
– Verkehrsübungsplatz sowie
– eine Kart-Bahn.
Die Wettbewerbsfähigkeit des Hockenheimrings kommt insbesondere dadurch
zum Ausdruck, daß es der Hockenheim-Ring GmbH bei den jüngsten Verhandlungen mit dem Formel-1-Chef Bernie Ecclestone gelungen ist, den Formel-1-Vertrag
bis zum Jahr 2006 zu verlängern.
Allerdings hat Herr Ecclestone der Hockenheim-Ring GmbH laut Stellungnahme
der Stadt Hockenheim auferlegt, am Hockenheimring in bezug auf die Zigarettenwerbung für die gleichen Wettbewerbsbedingungen wie am Nürburgring zu sorgen.
Zu 4.:
Die Werbung für Zigaretten und Tabak an den eingesetzten Rennwagen und an der
Kleidung der Fahrer bei Formel-1-Rennen auf dem Nürburgring war am 29. Januar 1997 Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage im Deutschen Bundestag.
Als Vertreterin der Bundesregierung hat die Parlamentarische Staatssekretärin
beim Bundesminister für Gesundheit, Frau Dr. Sabine Bergmann-Pohl, die Frage
u. a. wie folgt beantwortet:
„... der Verband der Cigarettenindustrie hat zu den hinsichtlich der Werbung für Zigaretten bestehenden Selbstbeschränkungsvereinbarungen eine Ausnahme von
den Verboten vorgesehen, die die Werbung für Zigaretten bei Sportveranstaltungen
verbieten. Die vorgesehene Ausnahme von den Selbstbeschränkungsregeln bezieht
sich vorerst auf das Formel-1-Rennen auf dem Nürburgring im September 1997.
Für andere Sportveranstaltungen bleibt es bei den geltenden Verboten.
Bundesminister Bohl, der zu Formel-1-Rennen auf dem Nürburgring auch von
Dienststellen des Landes Rheinland-Pfalz angesprochen worden ist, hat diese Angelegenheit gemeinsam mit Bundesminister Seehofer aufgegriffen und zum Ge-
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genstand von Gesprächen mit dem VdC gemacht. Dabei ist darauf hingewiesen
worden, daß die bisher im Ausland bei Formel-1-Rennen übliche, keiner Beschränkung unterworfene Tabakwerbung bei einem Verbot dieser Werbung am
Nürburgring dazu führen würde, daß das Rennen dort nicht durchgeführt werden
könnte.
Ergebnis dieser – zum Teil auch schriftlichen – Erörterung war, daß der Verband
der Cigarettenindustrie eine Modifizierung der Selbstbeschränkungsvereinbarung
für Formel-1-Rennen auf dem Nürburgring bis zum Jahre 2001 zugesagt hat. Damit ist zunächst einmal die Voraussetzung dafür geschaffen, daß der Nürburgring
seine Funktion als Rennstrecke für Formel-1-Rennen wahrnehmen kann, ...“.
Die Antwort der Bundesregierung zeigt, daß die Ungleichbehandlung von Nürburgring und Motodrom Hockenheim bezüglich der Zigarettenwerbung nicht auf
staatliche Regelungen zurückzuführen ist, sondern auf die Selbstbeschränkungsvereinbarung der Zigarettenindustrie.
Die Hockenheim-Ring GmbH strebt eine Gleichbehandlung von Hockenheimring
und Nürburgring hinsichtlich der Zigarettenwerbung an. Die Landesregierung unterstützt dieses Anliegen und führt hierzu entsprechende Gespräche.
Zu 5.:
Die Landesregierung hat großes Interesse an der weiteren positiven Entwicklung
des Hockenheimrings.
Deshalb hat der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium in einem Gespräch mit
dem Bürgermeister der Stadt Hockenheim und dem Präsidenten des Badischen
Motorsport-Clubs die künftigen Entwicklungschancen des Hockenheimrings erörtert. Hierbei haben die Verantwortlichen der Hockenheim-Ring GmbH mehrere Investitionsvorhaben benannt, um die künftige Attraktivität des Motodroms zu stärken. Eine wünschenswerte Investitionsmaßnahme wäre u. a. die Errichtung einer
zweiten Querspange. Mit dieser Investition könnte der Grand-Prix-Kurs mit einer
Länge von ca. 6,8 Kilometer und der kleine Kurs mit ca. 2,6 km unabhängig voneinander benutzt werden. Dies würde zu einer Steigerung der Auslastung der gesamten Anlage beitragen.
Aus förderrechtlichen Gründen (kein strukturschwaches Gebiet) und aufgrund der
schwierigen Haushaltssituation sieht die Landesregierung derzeit keine Möglichkeit, diese Investitionsmaßnahme in einer der Förderung anderer Rennstrecken
vergleichbaren Größenordnung finanziell zu fördern.
Dr. Mehrländer
Staatssekretär
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