ich sage gerne peinliche sachen über mich«

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ich sage gerne peinliche sachen über mich«
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05. FEB 05 MAGAZIN
FRANKFURTER RUNDSCHAU
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IMMERGUT
Da ist sie wieder, die feministische Westerngitarre zwischen
allen Stilen: Jedes Jahr eine CD,
das ist Gesetz bei Ani DiFranco.
Eigentlich ein Wunder, dass sie
bei diesem Tempo nicht schlechter wird. Höllenschnelle, doch
Ani DiFranco:
dabei fragile Gitarrenpickings,
„Knuckle
bei denen einem schwindelig
Down“,
werden kann, dann, ganz vorsichRighteous Babe, tig, ein einzelner Ton: Die New
etwa 17 Euro.
Yorkerin ist eine Frau mit vielen
Gesichtern: Punkteufel, Feministin, Pazifistin, Folksängerin, Label-Besitzerin – doch
vor allem ist Ani DiFranco eine hervorragende Gitarristin. Eigentlich kann man über Ani DiFranco nichts
Neues mehr schreiben. Immer nur das: Kaum eine Musikerin holt aus den sechs Saiten einer Westerngitarre
so viel Soul, so viel Jazz, so viel Funk, so viel spröden,
leisen Folk heraus. Musik, die es sich immer wieder
herausnimmt, zwischen allen Stilen zu tänzeln.
Gesungenes und Gesprochenes, Improvisation
und Wohlklang, Flüstern und Seufzen. Ihr System
kennt keine Grenzen.
MARC PESCHKE
LETZTE KOMMUNION
Schmeichelnde, aber unbanale
Melodien mit einem Hauch Popästhetik: Das ist, mal so ganz
grob, das Rezept von Schwedenjazzern wie Nils Landgren, Rigmar Gustaffson, Bugge Wesseltoft und eben auch Esbjörn
Esbjörn
Svensson. Dessen seit zehn JahSvensson Trio:
ren gemeinsam musizierendes
„Viaticum“,
Klaviertrio hat mit „Seven Days
ACT, etwa 15
of Falling“ (2003) alles eingeEuro.
heimst, was es an Jazzpreisen
so gibt. Auf dem neuen Album bürsten die nach eigenen Angaben tief in Rock und Pop wurzelnden Jungs
von e.s.t. die Melodien stärker aus den sauber verfertigten Edelstahlarrangements, Brubeck oder Bach
(ist ja irgendwie dasselbe) glänzen durch den Lack,
und eher behutsam zerkratzt mal ein Verzerrer den gestrichenen Kontrabass oder verplinkert ein Stück in
solistischem Glasperlenspiel des Schlagzeugs. Und
ein Faible für schräge Songtitel haben die drei. „Viaticum“ etwa ist laut Duden die letzte Kommunion für
Sterbende – Svensson will den Titel lieber als „Wegzehrung“ verstanden wissen. Na dann: gute Reise.
VOLKER SCHMIDT
KLISCHEEFREI
Es gibt noch Märchen in der
herzlosen Musikindustrie. Das
vom feinnervigen Songpoeten
etwa, der sein eigenes Label
gründet, um ein paar Jahre
später mit gleich zwei Songs
die Plätze eins und zwei der
Bright Eyes: „I’m US-Charts zu belegen. So gewide awake, it’s
schah es kürzlich Conor Oberst
morning“,
alias Bright Eyes. Dabei macht
Saddle Creek,
der 24-Jährige, dessen bebenetwa 17 Euro.
der Jünglingsstimme man die
Zerbrechlichkeit ihres Besitzers
anhört, wenig anders als früher: Seine neuerdings
massenkompatiblen Songs verströmen in ihrer FolkInstrumentierung und beiläufigen Melodik nach wie
vor fast private Atmosphäre. Auf dem neuen Album
„I‘m wide awake, it‘s morning“, das zeitgleich mit
dem elektronisch experimentierenden „Digital ash in
a digital urn“ erscheint, hält Oberst seine Arrangements und Melodien einfacher als zuvor. Das lenkt
die Aufmerksamkeit auf seine größte Stärke: die klischeefreien Texte, die die gesellschaftliche Krisenstimmung in persönlichen Erlebnissen und Szenarien widerspiegelt. Dazu liegt mildsüße Country-Stimmung in der Luft – gekrönt durch den Harmoniegesang von Country-Ikone Emmylou Harris.
ULRIKE RECHEL
JENSEITS VON GUT UND BÖSE
„Apres Ski Hüttenkracher 2005“: Mit „Hau wech die Scheiße“ die Alpenhänge kaputt kratzen, in der Skihütte zum
„Pferd auf‘m Flur“ sich volllaufen lassen, um zurück auf
der Piste unschuldige Abstinenzler (wie den hessischen
Ministerpräsidenten) über den Haufen zu fahren. Musik für
alle, die glauben: „Es ist geil, ein Arschloch zu sein.“
»ich sage gerne peinliche
sachen über mich«
Punkveteran Rocko Schamoni über die Hassliebe zu seiner Heimat,
erfrischende Identitätswechsel und Gemüsebombardements auf der Bühne.
Rocko Schamoni, Sie bezeichnen sich als „romantischen Dissidenten mit Sex-Appeal“. Was müssen
wir uns darunter vorstellen?
Es ist ein bewährtes Prinzip von mir, eine Behauptung aufzustellen, in der so viel Wahrheit steckt,
dass man denken könnte, die Beschreibung
stimmt. Und dann etwas dazu zu packen, wofür
sich andere schämen. Ich sage gerne peinliche Sachen über mich.
Sie nannten sich auch schon Monsieur 70 Volt, Dr.
Love oder Discotier. Allesamt Erfolgstypen, auf der
Bühne und bei den Frauen. Wie machen Sie das?
Wenn man permanent behauptet, super zu sein,
wird das irgendwann auch so angenommen – man
muss es nur mit positiver Energie füllen. Einer der
Erfinder davon ist Adriano Celentano. Die Superkeit steckt natürlich in vielen Details, aber am
stärksten in der Behauptung.
Welche Identität ist Ihnen die liebste?
Ich habe keine liebste Identität, das Erfinden ist
das eigentliche Ziel. Die Rolle hält einen Tag, einen Monat oder manchmal ein Jahr. Discotier war
ich über zwei Platten, ich wollte es eigentlich noch
viele Jahre sein, aber jetzt ist mir dieses Wesen
nicht mehr so wichtig.
Heißt das, Sie gehen nicht mehr in die Disco?
Doch, ich bin ja Mitbesitzer des Golden Pudel
Clubs in Hamburg und da läuft schon Tanzmusik.
Allerdings ist dieser Laden eng und klein und größere Menschenansammlungen machen mich nervös.
Deshalb stehe ich im Pudelclub immer draußen,
ich bin quasi die Discotür, nicht das Discotier.
Man hörte mal, Sie hätten Ihren Anteil am Pudelclub versoffen.
Die Information ist nicht ganz falsch. Vor Jahren
sind Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen und ich ausgestiegen, weil unser Kompagnon
Norbert einen, sagen wir mal, eigenwilligen Führungsstil hatte. Wir haben dann gesagt, wir wollen
ausgezahlt werden, und Norbert hat das mit Freigetränken gemacht – was aber nie ganz beglichen
wurde, weil wir so viel nun auch nicht trinken
konnten. Vor einem halben Jahr ist Norbert leider
gestorben. Wir haben den Laden wieder übernommen – und müssen deswegen weiter trinken.
Sie kommen aus der Kleinstadt Lütjenburg in
Schleswig-Holstein und waren dort Mitte der 80er
Jahre einer der ersten Punks. Wie kam es dazu?
Über Legendenbildung. Ich hatte gehört, das wäre
das Coolste und das Härteste, härter als AC/DC so-
gar. Und auch am modischsten, aber nicht im
schnöseligen, sondern avantgardistischen Sinne.
Damit bist du weit weg von den Hässlichkeiten einer Gesellschaft, die du nicht magst, so habe ich
das damals verstanden. Als ich vierzehn war, habe
ich mir die Haare mit der Nagelschere geschnitten. Mein Kopf sah aus wie ein räudiger Fellball und ich war Punk.
Stimmt es, dass Sie einen Punk-Verein gründeten?
Es gab den „Klub der Gemeinen“, ich habe den
Mitgliedsausweis letztens wieder gefunden. Es war
einer von vielen Versuchen, „anti“ zu sein, nicht
gut zu sein, sondern „bad“ im Sinne von Michael
Jackson. Meine Mutter hat damals sehr gerne die
Worte „lieb“, „nett“ und „süß“ gebraucht, um zu
sagen, dass sie etwas gut fand. Alles, was ich versucht habe zu der Zeit, war, das Gegenteil zu sein.
Welches war Ihre gemeinste Tat?
Das ist mir ein bisschen peinlich, das ist so lausbübischer Kram gewesen. Mit dem Ausweis durfte
man hinpinkeln, wo man wollte, saufen auch und
man durfte Sachen kaputt machen, staatlich und
polizeilich anerkannt. Wir haben sogar versucht,
mit dem Punkausweis in die DDR einzureisen.
Das war das Beste. Wir haben uns vorgedrängelt,
so wie Diplomaten. Motto: Vorne erst mal die Bürger mit Punkausweis! Der wurde natürlich von
den Grenzern immer weggehauen, was das solle.
Die hatten keinen Humor. Aber wir fanden es
großartig, das einfach mal zu versuchen.
Es war aber wohl nicht nur lustig in Ihrer Jugend. In
„Dorfpunks“, Ihrer Jugend-Autobiografie, beschreiben Sie den Hass gegenüber dem Landleben als Ihren Antrieb.
Der Hass auf den Kleinstadtmuff, auf die reaktionären Leute, die dich verfolgen oder die dich verletzen wollen, hat eine entscheidende Rolle gespielt.
Aber ich möchte den auch als positive Energie verstanden wissen, um mich zu definieren. Das Widersprüchliche daran ist, dass wir diesen TristesseKompressor brauchten. Wir brauchten das Dorf,
um zu üben, die eigenen Grenzen zu sprengen.
Das gelingt einem auf dem Land wahrscheinlich
besser als in der Großstadt, wo alles geboten ist, Kino, Konzerte und so. Auf dem Land musst du alles
selbst erfinden, dein Unterhaltungsprogramm, deine Bildung.
Musik war Ihre Flucht. Anfangs spielten Sie in
Bands wie „Die Götter“ und den „Blockflöten des
Todes“.
Wir hießen erst „Warhead“, dann „Public Enemy
No 7“, später „Die Götter“. Zu dem Zeitpunkt haben wir gemerkt, dass wir keinen knallharten Politpunk machen müssen, um dagegen zu sein. Kurz
das gespräch
05.02.05
ROCKO SCHAMONI,
Musiker und Ex-Discotier,
Hamburg
Es regnet und stürmt in Frankfurt, Rocko
Schamoni zieht die Kapuze ins Gesicht.
„Ich lebe immer unter solchen Bedingungen.“ Der Musiker, der von Kollegen als
König der deutschen Untergrund-Szene
bezeichnet wird, wohnt mit Freundin und
Tochter in Hamburg. An diesem Abend flüchtet er in ein Café, erzählt dann aus seinem
Leben, kritisiert Kulturbetrieb und Gesellschaft. Ernst zuweilen, aber nie verbissen
und immer wieder ironisch gebrochen. „Ich
glaube, Deutschland sollte in kleine Fürstentümer zerschlagen werden, und da müssten
wir dann die einzelnen Gruppen je nach Meinungen und Stimmungen hinein sortieren“,
sagt er trocken – um dann doch breit zu grinsen. In den 80er Jahren legte Schamoni, Jahrgang 1966, seinen bürgerlichen Namen (den
er verheimlicht) ab, nannte sich Roddy Dangerblood und machte fortan Musik. Im Laufe
der Jahre wechselte er Identitäten und Musikstile von Punk bis Disco, schrieb Lieder über
Politik („Du wählst CDU, darum mach´ ich
Schluss“) und die Gestirne („Und die Sonne
geht auf und die Erde geht unter“). Seit einigen Jahren macht Rocko Schamoni als
Mitglied von „Studio Braun“ absurde Telefonstreiche. Mittlerweile hat er sehr selbstironisch die Geschichte seiner Jugend aufgeschrieben: Mit „Dorfpunks - Entschuldigung, es ging nicht anders“ (Rowohlt Verlag)
ist er ab Mitte Februar auf Lesereise. Im Moment arbeitet Rocko Schamoni am Wiener
Burgtheater an der Musik zum neuen Stück
von Elfriede Jelinek – „Ernst ist das Leben“,
einer Fassung von Oscar Wildes Bunbury.
(Premiere am 18. Februar). Darin geht es um
ein undurchschaubares Geflecht aus echten
und falschen Identitäten. Zur Zeit nennt
Rocko Schamoni sich übrigens „14 Euro“.
bevor ich mit meinem Kumpel Partyschaum „Die
Amigos“ gründete, gab es die „Blockflöten des Todes". Mit einem Nasenloch bedienten wir die
Blockflöte, und dazu haben wir gesungen.
Aber schon bald sind Sie wieder auf die Gitarre umgestiegen – und haben mit den Toten Hosen gespielt.
Ich habe die Hosen auf ihrer ersten Tournee 1984
kennen gelernt, Campino war auch Mitglied im
„Klub der Gemeinen“. Nach einem Konzert in Berlin sagte er zu uns: „Wenn ihr Bock habt, schnappt
euch die Instrumente und spielt.“ Natürlich hatten
wir Lust. Aber dann hat mein Kumpel Partyschaum
aufgrund von Trunkenheit die Gitarre total verstimmt. Das hat eine Viertelstunde gedauert. Als
wir anfingen zu spielen, war die Halle leer. Das war
sehr frustrierend. Ich war nicht so betrunken und
hatte die große Chance für uns Dörfler gesehen.
Später waren Sie dann aber doch im regulären Vorprogramm von den Toten Hosen zu sehen.
Ja, das war dann so 1988, als das mit den Hosen
richtig los ging. Ich war Solobarde, angeblich aus
Las Vegas, mit Glam Show und so. Die Leute haben rabiat mit Gemüse, Maiskolben und so, geschmissen. Das habe ich nie länger als eine Viertelstunde durchgehalten.
Ihr Publikum und das der Toten Hosen ist ja auch
sehr verschieden, zumindest heute.
Damals gab es noch eine gewisse Schnittmenge.
Aber das ging dann bald auseinander, weil die Hosen schnell in großen Hallen spielten. Bei mir gab
es dann eine ganz willentliche Abkehr. Was die Hosen machten, war Mainstream, und ich wollte Underground sein. Das waren inhaltliche Probleme,
aber das ist alles längst vom Tisch.
Sie sollten Ende der 80er das Erbe der Ärzte antreten, die sich damals gerade aufgelöst hatten.
Ja, das war so eine Idee der Polydor, meiner damaligen Plattenfirma. Ich war sogar auf dem „Bravo“
-Cover, habe oben aus dem „O“ herausgeguckt.
Und drin war ein halbseitiger Bericht, ich mit Bela
B. von den Ärzten in Österreich beim Wandern.
Aus der großen Karriere wurde dann aber nichts.
Die erste Platte hat sich damals 13 000-mal verkauft, was ganz gut war. Aber die Plattenfirma hat
großen Verlust gemacht, wegen der hohen Produktionskosten und der Werbekampagne. Ich war in
allen Großstädten in doppelter DIN A0-Größe
plakatiert. Ich habe mich wirklich geschämt, bin
nur noch mit Spiegelbrille rausgegangen.
Fortsetzung auf Seite 5