Die Bilanzierung von Leasingverhältnissen in der internationalen

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Die Bilanzierung von Leasingverhältnissen in der internationalen
Rolf Uwe Fülbier und Jane Fehr*
Die Bilanzierung von Leasingverhältnissen in der internationalen
Rechnungslegung – Aktueller Diskussions- und Forschungsstand
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Einleitung ................................................................................................................ 583
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Neuregulierung der internationalen Leasingbilanzierung ....................................... 584
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2.1
Bisheriger Projektverlauf .............................................................................. 584
2.2
Vorschläge des aktuellen Diskussionspapiers ............................................... 585
2.2.1 Modell zur Leasingbilanzierung aus Leasingnehmersicht ................ 585
2.2.2 Erstbewertung von Leasingverhältnissen ......................................... 587
2.2.3 Folgebewertung von Leasingverhältnissen ....................................... 587
2.2.4 Leasingverhältnisse mit Optionen, bedingte Leasingzahlungen
und Restwertgarantien ...................................................................... 588
2.3
Würdigung .................................................................................................... 589
Wesentliche Forschungsergebnisse zur Leasingbilanzierung ................................. 591
3.1
Simulationsstudien zur Bilanzierung operativer Leasingverhältnisse........... 591
3.2
Auswirkungen des operativen Leasings auf Kapitalmarktteilnehmer ........... 593
3.3
Einfluss der bilanzwirksamen Leasingbilanzierung auf
Unternehmenskennzahlen deutscher Unternehmen ...................................... 596
Zusammenfassung ................................................................................................... 604
Literaturverzeichnis ......................................................................................................... 606
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StB Prof. Dr. Rolf Uwe Fülbier ist Inhaber des Lehrstuhls BWL X – Internationale Rechnungslegung an
der Universität Bayreuth. Dipl.-Kffr. Jane Fehr MBA ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an diesem Lehrstuhl.
Die Bilanzierung von Leasingverhältnissen in der internationalen Rechnungslegung
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Einleitung
Es ist erstaunlich, dass die weltweite Leasingbilanzierung seit Jahrzehnten über viele Rechnungslegungssysteme hinweg einem einheitlichen Prinzip folgt, obwohl die diesbezügliche fundamentale Kritik mindestens genauso alt ist. Teilnehmer der AAA/FASB Financial Reporting
Issues Conference 1996 wählten z.B. den heute noch gültigen SFAS 13 „Accounting for Leases”
zum schlechtesten aller US-GAAP-Standards („overall loser“, „conceptually and operationally an
accounting nightmare“1). Diese Kritik trifft letztlich alle Rechnungslegungssysteme, die in der
Leasingbilanzierung dem sog. all-or-nothing approach folgen. Hiernach werden Leasingverträge
vergleichsweise willkürlich in eine Dichotomie von operativen Leasing- und Finanzierungsleasingverhältnissen gepresst, die für den Leasingnehmer nur im letzteren Falle bilanzwirksam wird.
Das operative Leasingverhältnis wird indes nicht in der Bilanz des Leasingnehmers abgebildet
(off-balance sheet financing)2 mit entsprechend fehlendem Informationsgehalt für Jahresabschlussadressaten.
Vor dem Hintergrund dieser schwerwiegenden Kritik3, die insofern auch IAS 17 „Leasingverhältnisse“, ja sogar die deutschen BMF-Leasingerlasse trifft, streben IASB und das USamerikanische FASB seit Jahren eine grundlegende Reform ihrer Leasingbilanzierung an. Nach
Diskussionen und Vorarbeiten der G4+1-Gruppe in den 90er Jahren, steht die Leasingbilanzierung bei IASB und FASB seit 2006 als Konvergenzprojekt auf der aktiven Agenda.4 Das Projekt
hat das Ziel, einen völlig neu konzipierten Standard zur einheitlichen Bilanzierung von Leasingverhältnissen zu entwickeln. Dieser soll sicherstellen, dass sämtliche Leasingverhältnisse und die
mit ihnen einhergehenden Vermögenswerte und Schulden bilanzwirksam werden (on-balance
sheet accounting), um die Transparenz und Vergleichbarkeit in der Leasingbilanzierung zu erhöhen.
Diese Aussicht auf eine konzeptionell völlig neu gestaltete Leasingbilanzierung hat den Jubilar
schon sehr früh auf den Plan gerufen. Jochen Sigloch hat die Tragweite dieser internationalen
Überlegungen sofort erkannt und hierzu Stellung genommen.5 Schließlich gehen die Überlegungen der Standardsetzer sehr weit: Unabhängig von der Frage des wirtschaftlichen Eigentums hat
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Reither, Cheri L.: Worst accounting standards, Acc. Horizons 1998, S. 288.
Vgl. kritisch hierzu z.B. Vater, Hendrik: Bilanzpolitik, DStR 2002, S. 2094ff.
Vgl. hierzu insb. SEC: Off-Balance Sheet Implications 2005; AICPA: Business Reporting 1994, Chapter 6.
Vgl. zur Projekthistorie bis hin zur G4+1-Gruppe Abschn. 2; dazu auch Fülbier, Rolf Uwe/Pferdehirt,
Henrik: Überlegungen, KoR 2005, S. 275ff.; Fülbier, Rolf Uwe/Fehr, Jane: Diskussionsstand, PiR 2008,
S. 181ff.; Sigloch, Jochen: FS Rückle 2006, S. 409ff.
Sigloch, Jochen: FS Rückle 2005, S. 409ff.
Rolf Uwe Fülbier und Jane Fehr
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der Leasingnehmer künftig immer Nutzungsrechte und korrespondierende Verbindlichkeiten
anzusetzen. Dies treibt nicht nur die Verschuldungsgrade mancher Unternehmen nach oben,
sondern markiert einen Paradigmenwechsel, der sich möglicherweise auf andere Bereiche der
IFRS- und US-GAAP-Rechnungslegung, ja sogar auf andere Rechnungslegungssysteme – bis hin
zur steuerlichen Gewinnermittlung in Deutschland – auswirken könnte.
In dieser Festschrift wollen wir diese wichtige Diskussion aus gegebenem Anlass fortführen: Am
19. März 2009 veröffentlichte das IASB zusammen mit dem FASB das Discussion Paper (DP)
„Leases – Preliminary Views“.6 Es markiert das vorläufige Ergebnis der bisherigen Diskussionen
zur Reform der Leasingbilanzierung und soll an dieser Stelle gebührend beschrieben und gewürdigt werden (Abschn. 2). Anschließend präsentieren wir die bisherige Forschung zur Leasingbilanzierung, die insbesondere versucht, die künftigen Regeln in ihren bilanziellen und auch ökonomischen Auswirkungen abschätzen zu können (Abschn. 3). Im letzten Abschnitt werden die
wesentlichen Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst.
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Neuregulierung der internationalen Leasingbilanzierung
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Bisheriger Projektverlauf
Das Konvergenzprojekt von IASB und FASB basiert auf Vorarbeiten der G4+1-Gruppe7, die
Ende der neunziger Jahre vorschlug, sämtliche Leasingverhältnisse wie das gegenwärtige Finanzierungsleasing zu bilanzieren.8 Angesichts der grundlegenden Neujustierung der Leasingbilanzierung und der Wechselwirkungen mit anderen Projekten wurde das Leasingprojekt auf Seiten
des IASB 2003 zunächst als langfristiges Forschungsprojekt aufgelegt – damals in Kooperation
mit dem UK ASB. Auch das FASB hat früh die Reformnotwendigkeit der Leasingbilanzierung
erkannt, zumal die SEC 2005 in ihrem sog. Off-Balance Sheet Report diesbezügliche Veränderungen sogar einforderte.9 Im Juli 2006 ist deshalb das Leasingthema in Gestalt eines Joint Pro-
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Vgl. hierzu und zum Folgenden Fülbier, Rolf Uwe/Fehr, Jane: Discussion Paper, WPg 2009, S. 629ff.
Die G4+1-Gruppe bestand aus fünf nationalen Standardsettern (Australien, Großbritannien, Kanada,
Neuseeland und USA) und dem IASC als Beobachter. Im Jahr 2001 wurde sie im Rahmen der Umstrukturierung des IASB aufgelöst.
Vgl. McGregor, Warren: New Approach 1996; Nailor, Hans/Lennard, Andrew: Implementation 2000;
kommentierend hierzu z.B. Ryan, Stephen G./Herz, Robert H./Iannaconi, Teresa E./Maines, Lauren A.:
Commentary, Acc. Horizons 2001, S. 289ff.
Vgl. SEC: Off-Balance Sheet Implications 2005.