Lösungsvorschlag

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Lösungsvorschlag
Prof. Dr. Rainer Schröder
Klausur Erbrecht WS 2006/2007
Lösungsvorschlag
Ausgangsfall:
A. Erbeinsetzung des Franz und seiner Frau Nadja (F und N)
I. Wirksame Errichtung des Testaments vom 28.8.2005 ?
Wirksamkeit einer eigenhändig verfassten einseitigen
Verfügung richtet sich nach §§ 2231, 2247 BGB
letztwilligen
1. Testierfähigkeit
2. Formwirksamkeit
Testament müsste gem. § 2247 Abs. 1 BGB eigenhändig geschrieben
und unterschrieben sein
a) Eigenhändigkeit
Eigenhändig geschrieben = gesamter Inhalt des Testaments vom
Erblasser persönlich niedergeschrieben und in der ihm eigenen Schrift
verfasst
• soll Feststellung der Identität von Verfasser und Erblasser
ermöglichen
• hier Testament von M handschriftlich abgefasst, Verfasserin und
Erblasserin sind identisch
• Eigenhändigkeit des Testaments gemäß § 2247 Abs. 1 BGB (+)
b) Unterschrift
Unterschrift ist jede Namensunterschrift, die nach der Stellung im
Rahmen der Urkunde bestimmt und geeignet ist, die schriftlich
niedergelegte Erklärung als einen endgültigen und selbständigen Willen
des Erblassers zu verstehen
Unterschrift muss Urkundentext räumlich abschließen um der
Abschlussfunktion gerecht zu werden und vor Fälschungen durch
spätere Zusätze zu schützen
aa) Selbstbezeichnung „Ich, Maria Maier“ ausreichend? (-)
bb) Unterschrift mit „Eure Mutter“ ausreichend?
Grundsatz: § 2247 Abs. 3 S. 1 BGB: Vor- und Familiennamen des
Erblassers à hier (-)
beachte aber § 2247 Abs. 3 S. 2 BGB: Reicht die Unterzeichnung mit
„Eure Mutter“ hierfür?
bei Unterzeichnung mit dem Verwandtschaftsgrad
Urheberschaft noch feststellen à Unterschrift (+)
lässt
sich
die
cc) Sofern die Unterzeichnung mit „Eure Mutter“ als nicht formgültig
erachtet wurde wäre zu fragen, ob eine Aufschrift auf dem
verschlossenen Briefumschlag für §§ 2247 Abs. 1, Abs. 3 BGB ausreicht
hM: gültiges Testament, wenn der Unterschrift auf dem Umschlag keine
selbständige Bedeutung zukommt und wenn sie mit dem Text auf den
einliegenden Blättern in einem so engen inneren Zusammenhang steht,
dass sie sich nach dem Willen des Erblassers und der
Verkehrsauffassung als äußere Fortsetzung und Abschluss der
einliegenden Erklärung darstellt.
hier: Unterschrift dient dazu, den Inhalt des verschlossenen Umschlags
räumlich abzuschließen, nachträgliche Änderung des Testaments ist
dadurch ausgeschlossen, dass der Umschlag verschlossen wurde.
à Umschlag mit der eigenhändigen Unterschrift ist Teil des Testaments
der M à Unterschriftserfordernis ist erfüllt
c) Zeit- und Ortsangabe gemäß § 2247 Abs. 2 BGB sind keine
notwendigen Angaben, hier aber enthalten
d) Zwischenergebnis: Testament vom 28.8.2005 ist formgültig und
somit wirksam errichtet
II. Kein Widerruf des Testaments vom 28.8.2005
1. Widerruf durch späteres Testament vom 7.5.2006 gem. §§ 2253,
2254
nicht ausdrücklich, aber mglw. Aufhebung durch Errichtung eines mit
dem ersten Testament im Widerspruch stehenden neuen Testaments
(§ 2258 I Abs. 1 BGB)
2
Wortlaut des Testaments vom 7.5.2006: M wollte ihren Sohn Karl (K)
als alleinigen Erben einsetzen und die Erbfolge abschließend festlegen
à eindeutiger Widerspruch zum ersten Testament und somit gem.
§§ 2254, 2258 Abs. 1 BGB Widerruf des ersten Testaments möglich
Wirksamkeit des neuen Testaments?
allein
fraglich,
ob
das
Testament
vom
7.5.2006
Unterschriftserfordernis nach §§ 2247 Abs. 1, Abs. 3 BGB erfüllt
das
• keine Unterschrift auf dem Schriftstück selbst
• Aufschrift auf dem unverschlossenen Umschlag = Unterschrift?
Bedenken:
• eigenständige Bedeutung, indem die Aufschrift lediglich auf den
Inhalt des Briefumschlags hinweist
• jedenfalls Umschlag nicht verschlossen à es hätten
Änderungen oder Zusätze ohne vorgenommen werden können
à keine Abschlussfunktion
Unterschrift (-) à Das Testament vom 7.5.2006 ist formungültig und
damit gem. § 2247 Abs. 1 i.V.m. § 125 Satz 1 BGB nichtig
2. Zwischenergebnis: kein Widerruf des Testaments vom 28.8.2005
III. Ergebnis zur Erbeinsetzung
daher: F und N Alleinerben der M
à F und N sollen jeweils zu der gleichen Quote Erbe werden, d.h. je zu
1/2.
B. Aufteilung des Nachlasses
I. Pflichtteilsanspruch des K, § 2303 BGB
1. Pflichtteilsberechtigung, § 2303 BGB
• K ist als Sohn der M pflichtteilsberechtigt
• Ausschluss von der Erbfolge durch Verfügung von Todes wegen?
(+)
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2. Kein Ausschluss des Pflichtteilsrechts
Pflichtteilsunwürdigkeit aufgrund der Tötung der M?
• Pflichtteilsrecht ist in den Fällen ausgeschlossen, in denen auch ein
Erbrecht ausgeschlossen ist, vgl. §§ 2345 Abs. 2, 2339 BGB, hier
Tötung, vgl. § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB
(P) Pflichtteilsunwürdigkeit tritt nicht ipso iure ein (vgl. § 2345 Abs. 2
i.V.m. Abs. 1 BGB iVm §§ 2341, 2343 BGB)
à Pflichtteilsunwürdigkeit muss geltend gemacht werden, also d. N
à hier bisher nicht erfolgt (vgl. Sachverhalt)
3. Pflichtteilsquote
Pflichtteilsanspruch des K geht auf die Hälfte
gesetzlichen Erbteils, § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB.
des
Wertes
des
Fiktive Quote des K?
à K und sein Bruder F wären zu gleichen Teilen Erben der M geworden,
vgl. § 1924 Abs. 1 iVm Abs. 4 BGB, also zu 1/2
à Pflichtteilsquote des K beträgt laut § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB hiervon
die Hälfte = 1/4
4. Zwischenergebnis
Die Pflichtteilsquote 1/4 ist als Nachlassverbindlichkeit vor einer
weiteren Aufteilung des Nachlasses abzuziehen à der weiter zwischen N
und F aufzuteilende Nachlass beträgt folglich 3/4.
II. Erbteilsquote
Testament
der
N
aufgrund
der
N hat ausweislich des Sachverhalts die
angenommen, vgl. §§ 1943 1. HS, 1946 BGB
Erbeinsetzung
Erbschaft
im
ausdrücklich
à sie erhält daher die Hälfte der verbliebenen 3/4 des Nachlasses =
3/8.
III. (P) Schicksal des Erbteils des F
• zunächst wie N, also 3/8
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(P) F ist am 31.5.2006 verstorben à sein Vermögen ist gemäß
§ 1922 Abs. 1 BGB auf seine Erben übergegangen
à 3/8 an dem Nachlass der M sind unter den Erben des F aufzuteilen
1. Erbenstellung der Anna (A)
Gem. § 1923 Abs. 2 BGB kann auch derjenige Erbe werden, der zurzeit
des Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits gezeugt war
à A ist gesetzliche Erbin des F geworden
2. Erbenstellung und Erbquote der N
• N ist als Ehefrau gemäß § 1931 Abs. 1 S. 1 1. HS BGB zu einem
Viertel zur Erbin des F berufen
• Zugewinnausgleich pauschal nach § 1931 Abs. 3 i.V.m. § 1371
Abs. 1 BGB à Erbteil des überlebenden Ehegatten erhöht sich um
ein Viertel
à Insgesamt erbt N damit die Hälfte des Vermögens des F. Die andere
Hälfte erbt die Tochter A.
3. Aufteilung des Erbteils des F
Von dem Erbteil des F am Nachlass der M, der nach obigen
Feststellungen 3/8 beträgt, erhalten N und A als seine gesetzlichen
Erben jeweils 1/2, also jeweils 3/16.
IV. Ergebnis: quotenmäßige Aufteilung des Nachlasses
Von dem Nachlass der M erhalten somit insgesamt:
• K als Pflichtteilsberechtigter: 1/4 (vgl. oben B.I.4.)
• N als testamentarisch eingesetzte Erbin der M und als Erbin des
F:
3/8 + 3/16 = 9/16 (vgl. oben B.II. und B.III.3)
• A als Erbin des F, der seinerseits testamentarisch eingesetzter
Erbe der M geworden war: 3/16 (vgl. B.III.3)
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Variante:
I. Antragsrecht im Erbscheinserteilungsverfahren
• Gem. § 2353 BGB zunächst der oder die Erben
• (P) Testamentsvollstreckerin hat den Erschein beantragt
à argumentieren mit den in § 2203 BGB formulierten Aufgaben
II. Inhalt des Erbscheins
Gesetzliche Erbfolge wird ausgewiesen, wenn K nicht Erbe geworden ist
1. K als alleiniger Erbe
à K ist testamentarisch als Erbe eingesetzt
2. Annahme der Erbschaft
Zunächst Übergang der Erbschaft mit dem Erbfall, es verbleibt aber
gemäß § 1942 Abs. 1 BGB die Möglichkeit, die Erbschaft auszuschlagen
dann (-), wenn K die Erbschaft bereits angenommen hat (§ 1943 HS 1,
1. Alt. BGB) oder wenn die für die Ausschlagung vorgeschriebene Frist
verstrichen ist (§ 1943 HS 1, 2. Alt i.V.m. HS 2 BGB).
a. Annahme nach § 1943 HS 1, 1. Alt. BGB
• ausdrückliche Annahmeerklärung des K (-)
• Annahme durch schlüssiges Verhalten?
o mit Schreiben des K vom 21. August 2006? (-) er lässt offen,
welche Konsequenzen er aus den ihm nachteiligen
Anordnungen im Testament seines Vaters ziehen möchte
o in der Aufforderung, eine Inventarliste iSd § 2215 BGB zu
erstellen? auch (-)
b. Annahmefiktion durch Zeitablauf gemäß § 1943 HS 2 BGB
aa. Frist des § 1944 BGB
• Erbschaft gilt gem. § 1943 HS 1, 2. Alt., HS 2 BGB nach
Firstverstreichung als angenommen
• Frist des § 1944 Abs. 1 BGB: 6 Wochen
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• Fristbeginn (§ 1944 Abs. 2 S. 1 BGB): mit Kenntniserlangung von
Anfall und Grunde der Berufung - hier durch das Schreiben des
Nachlassgerichts, das am 29. Juli 2006 zuging.
• Berechnung richtet sich nach §§ 187, 188 BGB
o Fristbeginn ist daher gemäß § 187 Abs. 1 BGB der 30. Juli
2006
o Fristende gemäß § 188 Abs. 2 BGB zunächst am Sonnabend,
dem 9. September 2006 – beachte aber § 193 BGB - es tritt
an die Stelle des 9. September 2006 der nächste Werktag,
hier Montag, der 11. September 2006.
o Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB
endete also am 11. September 2006
bb. Besondere Frist des § 2306 Abs. 1 S. 2 HS 2 BGB
Norm gibt demjenigen, dessen Erbteil zwar zunächst größer als die
Hälfte des gesetzlichen Erbteils ist, aber Beschränkungen und
Erschwerungen unterliegt (hier: zahlreichen Vermächtnissen) ein
Wahlrecht, ob er die Erbschaft annehmen oder ausschlagen und damit
den Pflichtteil erhalten will.
à Frist beginnt zu laufen, wenn der Pflichtteilsberechtigte von den
Vermächtnissen Kenntnis erlangt hat, setzt also Kenntnis vom von der
Größe des Erbteils (Quote) voraus
• hier bereits aus dem notariellen Testament
à Fristbeginn des § 2306 Abs. 1 S. 2 HS 2 BGB und der des § 1944
Abs. 2 S. 1 BGB fallen zusammen
c. Zwischenergebnis: Erbschaft gilt gemäß § 1943 HS 2 BGB als
angenommen
3. Anfechtung der Erbschaftsannahme (möglich nach § 1956)
a. Anfechtungserklärung
Es gelten nach § 1955 S. 2 BGB die für die Ausschlagungserklärung
geltenden Regelungen des § 1945 BGB:
• Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht zur Niederschrift (-)
• oder in öffentlich beglaubigter Form (§ 1945 Abs. 1 BGB) (+)
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b. Anfechtungsgrund, §§ 119 ff. BGB
à Inhaltsirrtum gem. § 119 I 1. Alt. BGB?
K irrte sich darüber, dass es einer Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1
S. 2 BGB bedurft hätte, um den Pflichtteil zu erhalten, also über die
Rechtsfolgen seiner Erklärung
(P) Irrtum über eine Rechtsfolge soll nur dann zur Anfechtung
berechtigen, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft außer der mit
seiner Vornahme erstrebten noch eine wesentlich andere
Rechtswirkung hervorbringt (also nicht bei reinen Nebenfolgen bzw.
mittelbaren Rechtsfolgen).
(1) eine Ansicht: Verlust des Ausschlagungsrechts nach § 2306 Abs. 1
S. 2 BGB, mit dem auch der Verlust (bzw. die Verminderung) des
Pflichtteilsrechts einhergeht ist eine mittelbare Rechtsfolge des
Einrückens in die Erbenstellung à keine Anfechtung
(2) andere Ansicht: hier sind gerade wesentlich verschiedene
Rechtsfolgen in Form des nicht beabsichtigten Verlusts des Pflichtteils
hervorgebracht worden
(3) Argumente:
• Einrücken in die Rechtsstellung des Erben ist zwar primär eine
Folge des Verstreichenlassens der Ausschlagungsfrist woraus sich
auch das Einrücken in die Erbenstellung ergibt à Erbe verliert
aber zugleich die Möglichkeit, sich für das dem Wert nach
günstigere Pflichtteilsrecht zu entscheiden
• man kann die unmittelbaren und wesentlichen Rechtsfolgen einer
ausdrücklich erklärten Annahme der Erbschaft nicht generell
darauf beschränken, dass der Erklärende die sich aus der
letztwilligen Verfügung ergebende Rechtsstellung des Erben
einnehmen will
[Hinweis: Die Kenntnis dieses Streits war nicht gefordert. Wichtig war
es zu erkennen, dass es sich hier um einen Rechtsfolgenirrtum handelt,
der nur dann zur Anfechtung berechtigen soll, wenn es sich nicht nur
um eine mittelbare Rechtsfolge handelt. Sodann war eigene
Argumentation gefordert.]
à Irrtum (+)
c. Anfechtungsfrist
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Anfechtungsfrist beträgt gem. § 1954 Abs. 1 BGB sechs Wochen
• Fristbeginn gem. § 1954 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB mit
Kenntniserlangung vom Anfechtungsgrund
• Kenntnis von der Ausschlagungsmöglichkeit nach § 2306 Abs. 1 S.
2 BGB erst nach Ablauf der Ausschlagungsfrist am 12. September
2006 à genauer Zeitpunkt offen à Anfechtungserklärung vom 08.
Oktober 2006 liegt innerhalb der Sechs-Wochen-Frist
4. Ergebnis
Anfechtung als Ausschlagung gemäß § 1956 iVm § 1957 Abs. 1 BGB à
Anfall der Erbschaft gilt als nicht erfolgt, § 1953 Abs. 1 BGB à K ist
nicht Erbe geworden
Es gilt die gesetzliche Erbfolge gem. §§ 1924 ff. BGB à Das
Nachlassgericht wird daher gemäß § 2353 BGB einen die gesetzliche
Erbfolge ausweisenden Erbschein ausstellen.
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