Matthias Blazek, Hexenprozesse, Galgenberge, Hinrichtungen

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Matthias Blazek, Hexenprozesse, Galgenberge, Hinrichtungen
Matthias Blazek, Hexenprozesse, Galgenberge, Hinrichtungen, Kriminaljustiz im
Fürstentum Lüneburg und im Königreich Hannover, ibidem Verlag Stuttgart, 2006, 320
Seiten, ISBN 3-89821-587-3, kart., Euro 29,90.
Rückblicke auf die verschiedensten Arten der Verbrechensbekämpfung früherer Zeiten dienen
nicht nur der Aufklärung, sondern können zugleich dokumentarische Einblicke in die geistige
und reale Welt unserer Vorfahren gewähren. Das ist mit dem neuen Werk des 1966 in der
historischen Juristenstadt Celle geborenen und dort wirkenden Heimatkundlers und
Chronisten Matthias Blazek in besonderer Weise gelungen. Bereits wiederholt berichtete der
Familienvater von drei Kindern im „Sachsenspiegel“ der Celleschen Zeitung über das
Verbrennen verurteilter „Hexen“ im 16. Jahrhundert und weitere spektakuläre
Strafverfolgungen mit Hinrichtungen.
Nach seinen umfangreichen Ortschroniken von Wiedenrode, Nienhof und Ahnsbeck bei
Celle (1024 Seiten) und der Geschichte der Landdrostei und Bezirksregierung in Hannover
von 2004 greift Blazek ein düsteres Kapitel unserer Rechts- und Kulturgeschichte auf, an dem
nicht nur Anwälte, Richter und Scharfrichter, sondern auch Regierende, Geistliche, Ärzte,
Lehrer, singende Schulkinder, Handwerker und viele andere Menschen im Lande beteiligt
waren: Öffentliche Hinrichtungen waren rituelle Veranstaltungen eigener Art mit Scharen von
Zuschauern wie bei Volksfesten, wenn auch ohne Ausschank im Freien.
Das neue Buch ist das Ergebnis umfangreicher Archivforschungen und arbeitet bisherige
Materialien und Versuche zu diesem Thema systematisch auf. Es umfasst die Zeit von 1495
bis 1866 in der niedersächsischen Region zwischen Hamburg und Hannover. Es nennt
Vorgänge, Orte und Personen beim Namen und ist dadurch auch für Familienforscher
attraktiv.
Neben einem Blick in die Rechtsordnungen des Sachsenspiegels von 1222 und der Carolina
von 1532 folgt einleitend ein Bericht des Celler Richters Nöldeke von 1895 über dortige
Kriminalfälle des 16. und 17. Jahrhunderts (S. 13-39). Das Kapitel über Aberglaube und
Hexenverfolgung (S. 49-65) enthüllt Folterungen und Vernichtungen unschuldiger junger
Frauen aus Ahnsbeck und Langlingen wegen angeblicher Zauberei. Versuche des Bleckeder
Amtshauptmanns Fritz von dem Berge (1560-1623) um 1611, die Herzogin Dorothea in
Winsen/Luhe vom Hexenwahn abzubringen, blieben völlig erfolglos (S. 66). Sie ließ in den
vier Jahren ihrer Regentschaft unbeirrt 30 „Zaubersche“ quälen und öffentlich verbrennen.
Gegen ein im Raum Verden geltendes schwedisches Verbots von Hexenverfolgungen von
1649 wurde bis 1683 noch weiterhin wiederholt amtlich verstoßen (S. 69-71).
Die insbesondere für überführte Mörder, Brandstifter, Räuber, Einbrecher und (Pferde-)
Diebe vorgesehenen Galgenberge in und um Celle bis nach Burgdorf und Meinersen werden
im Einzelnen nachgewiesen (S. 77-98). Zahlreiche Fälle von Exekutionen sind nach
überlieferten Aufzeichnungen auch von Pfarrern geschildert. Den Kirchenräubern der
berühmten goldenen Altartafel von St. Michaelis Lüneburg und ihrem Anführer, dem
Raubmörder Nickel List, ist ein eigener Abschnitt mit den Celler Vernehmungen und
Entleibungen von 1699 gewidmet (S. 137-152).
Die Celler Auswirkungen der Kopenhagener Hinrichtung des Ministers Struensee von 1772
wegen Hochverrats finden sich hier ebenso wie die geahndeten Gattenmorde des Celler
Landchirurgus Holstein von 1790 und des Delinquenten Hamelmann von 1802. Weitere Fälle
mit Hinrichtungen bis 1865, auch die letzten aus Bleckede (1843) und Bodenteich (1847),
werden mit wörtlichen Aktenauszügen vor Augen geführt. Hinzu kommen seltene königliche
Begnadigungen zum Tode Verurteilter, etwa unter der Bedingung des Auswanderns nach
Amerika nach jahrelanger Kettenstrafe am Kalkberg in Lüneburg.
Erhebungen über die Stellung und Familien von Scharfrichtern beschließen die mit
Literaturangaben und Ortsregister versehene, ernüchternde Sammlung zum einst blutrünstigen
Strafvollzug.
Hans-Cord Sarnighausen