Marshall JVM-1H
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Marshall JVM-1H
GRAND AMPLIFIERS Marshall JVM-1H Aus Anlass des 50-jährigen Firmenjubiläums hat man bei Marshall unter dem Motto „Celebrating 50 Years Of Loud“ eine limitierte Kleinserie von 1 Watt Röhrenamps aufgelegt. Je Jahrzehnt gibt es ein Modell, welches in seinen Klang- und Spieleigenschaften die Essenz der jeweiligen Marshall-Epoche repräsentieren soll. Heute führen wir uns das jüngste Modell zu Gemüte, den durch die 2000er Jahre inspirierten JVM-1H. Von Chris Adam Eins kann man gleich festhalten: Der JVM-1 sorgt vom ersten Moment an für gute Laune. Das geht schon beim Postboten los, der mir das gute Stück ins Haus trägt. Normalerweise schaut er eher gequält, wenn er ein Produkt aus dem Hause Marshall zwei Treppen hoch schleppen darf, diesmal jedoch herrscht eitel Sonnenschein. Schnell verstehe ich, warum. Der JVM-1 sieht aus wie ein Marshall, fühlt sich an wie ein Marshall, riecht wie ein Marshall – aber wiegt nicht wie einer. 5,5 kg sind äußerst tragbar, andere Lunchbox-Amps bringen da deutlich mehr auf die Waage. 142 grand gtrs Kleines Ausstattungswunder Gute Laune verbreiten auch die übrigen Features, denn es wurde bei dem in England gefertigten Gerät augenscheinlich an nichts gespart. Immerhin fünf Röhren werkeln unter der Haube, die Endstufe wird dabei mit den eigentlich eher als Vorstufenröhren bekannten ECC82 betrieben und leistet maximal 1 Watt, das sich per Schalter sogar noch auf 0,1 Watt drosseln lässt. Der JVM-1 ist ein echter Zweikanaler mit Gain und Volume für den Overdrive-Kanal und einem Volume-Regler für die Clean-Sektion. Die Klangregelung bietet neben Bass, Mitten und Höhen einen Presence-Regler. Der Resonance-Schalter sorgt auf Wunsch für mehr Wumms in den Bässen. Nicht selbstverständlich für einen Amp dieser Größenordnung, aber mir sehr willkommen, sind der serielle Effekteinschleifweg sowie ein frequenzkorrigierter LineAusgang. Unter dem Namen JVM-1C gibt es den Verstärker übrigens auch als Comboversion mit 8“ Speaker. Das Testobjekt ist jedoch die Topteil-Variante, anschließbar sind Boxen mit 8 oder 16 Ohm. Also schnappe ich mir zunächst eine offene 1x12er Box mit Celestion Greenback aus meinem Fundus, um zu hören, ob sich die Gute-Laune-Offensive auch klanglich fortsetzt. Kein Leisetreter Nach dem Einschalten fällt mir sofort der Sound des Clean-Kanals auf. Er kommt zunächst eher straff und direkt daher, lässt sich aber dank der Klangregelung auch auf warm und rund „bürsten“. Im unteren Bereich des Lautstärkereglers bleibt das Signal mit Single Coils tatsächlich clean, erst ab der Hälfte des Regelweges setzt eine harmonische Zerrung ein, die sich per Anschlag steuern lässt und diesen typischen glasigen Biss in den oberen Mitten aufweist, den ich mit Marshall assoziiere. Von Zimmerlautstärke ist man dann aber schon weit, weit entfernt. Ich bin ehrlich verblüfft, eigentlich dachte ich, mit den gängigen 15 Watt Amps wäre in Sachen bandtauglicher Lautstärke das Ende der Fahnenstange erreicht. Aber wenn man es nicht clean braucht und nicht grade Hulk Hogan hinter dem Doublebass Drumkit sitzt, könnte sogar diese kleine 1 W Kiste ausreichen, um sich Gehör zu verschaffen. Also flugs den 0,1 W Modus aktiviert – und endlich kann ich mal einen Marshall auf „10“ drehen. Das macht richtig Spaß, die Endstufenverzerrung sorgt für einen wunderbar spielbaren fetten Sound mit genau dem richtigen Maß an Kompression. Erstaunlicherweise muss man immer noch deutlich die Stimme erheben, um da drüber zu kommen, eine normal laute Unterhaltung kann man auch bei einem Zehntelwatt vergessen. nehmendem Gain unten herum immer bröseliger werden, Hetfield statt Hendrix sozusagen. Selbst bei Gain auf „10“ wird der JVM-1 nicht matschig, und auch komplexe Akkorde werden immer schön aufgelöst. Eisenharte Metal-Heads werden immer noch einen Tubescreamer vor den Amp schnallen, um das Maximum an „Tightness“ herauszukitzeln, was hervorragend funktioniert, wie ich im Test erfahren konnte. Aber für alle anderen Rock-Spielarten funktioniert die Grundabstimmung nach meinem Dafürhalten ganz hervorragend. Und aus Gain-Gründen wird man schon gar keinen Booster brauchen. Der kleine Marshall hat selbst für einen zertifizierten Gainfreak wie mich genug Verzerrung am Start. Griffbrettakrobatik aller Art, Legato, Tapping oder künstliche Harmonics gehen wunderbar von der Hand. Insgesamt wurden hier die besten Eigenschaften der „großen“ JVM Highgainer ganz vorzüglich auf das kleine Format heruntertransformiert. Natürlich profitiert auch der OD-Kanal von der möglichen Endstufenverzerrung. Mit verschiedenen Kombinationen aus Vorstufen-Gain und Endstufenkompression lassen sich viele schöne Klangnuancen und Spieldynamiken erzielen. Auch mit einer typischen Marshall 1960 4x12 Box mit den weniger mittigen Celestion G12T-75 Speakern, wie sie in vielen Proberäumen herumsteht, harmonierte das Top im Testbetrieb ganz hervorragend. Interessanterweise fand ich persönlich übrigens den Resonance Boost, der mir bei den Clean Sounds noch so gut gefallen hatte, im ODKanal grundsätzlich zu viel des Guten. Über die 4x12er sowieso, aber sogar schon bei der kleinen offenen Box. Der Line-Out gibt ein frequenzkorrigiertes Signal von sich, welches sich zum direkten Anschluss an PA oder Aufnahmegerät eignet. Für meinen Geschmack ein bisschen zu höhenarm, lässt sich der Sound jedoch mittels des Pult-Equalizers sehr gutmütig in verschiedene Richtungen verbiegen und natürlich auch obenrum auffrischen. Gainfreak Fazit Nachdem die Endstufe wieder auf 1 W geschaltet wurde, kommt durch einen beherzten Tritt auf den mitgelieferten Fußschalter der Overdrive-Kanal an den Start. Augenblicklich wird klar, dass „Overdrive“ ein ziemliches Understatement ist, hier zeigt der JVM-1 deutlich seine moderne Abstimmung und fletscht die Zähne. Zarten Crunch wie im Clean-Kanal kann man vergessen, es geht sofort mit einer satten Midgain-Kelle zur Sache. Dabei finden sich auch hier die gesunden Marshall-Mitten mit dem typisch rauen Biss obenherum, der sich im Bandzusammenhang so gut durchsetzt. Im Bassbereich bleibt der Sound des JVM immer relativ straff, ganz anders als bei den klassischen Plexi-Marshalls, die mit zu- Über den kleinen Marshall gibt es eigentlich nur Positives zu sagen. Kompromisslose Ausstattung, tolle Sounds und ein interessantes Endstufenkonzept, das den Amp selbst im 0,1 W Betrieb nie magersüchtig, sondern immer ausgewachsen klingen lässt, wecken sicher bei vielen Gitarristen Begehrlichkeiten. Der Preis ist kein Sonderangebot, aber wir haben es hier schließlich auch mit „Made in England“ und keinem Gerät aus asiatischer Produktion zu tun. Zu guter Letzt wäre da noch der Sammler-Faktor: Wer einen JVM-1 ergattern möchte, muss sich vermutlich ranhalten, denn insgesamt sind weltweit nur 1094 Tops und 1231 Combos ■ erhältlich. DETAILS Modell: JVM-1H Hersteller: Marshall Herkunftsland: England Röhren: 2 x ECC82, 3 x ECC83 Regler: Clean Volume, OD Gain, OD Volume, Treble, Middle, Bass, Presence Schalter: Channel, Resonance, Netzschalter, Power High/Low (auf der Rückseite) Anschlüsse: Input, Send, Return, Footswitch, Line Out, Speaker Out Abmessungen (B x H x T): 380 x 180 x 195 mm Gewicht: 5,5 kg Lieferumfang: Netzkabel, Fußschalter, Lautsprecherkabel Preis: 699 Euro Getestet mit: Fender Highway One HSS Strat, Fender Roadworn 60s Strat, Les Paul Standard, Maxon OD 808 Vertrieb: Musik Meyer www.marshallamps.de www.musicstore.de grand gtrs 143