Buch der Einsamkeit Leseprobe

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Buch der Einsamkeit Leseprobe
MIAMI SHAN
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Buch der Einsamkeit
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…
Nach dem Aufwachen emotionale Regung bei der Erinnerung an die gestrige
Abschiedsszene. Danach der Gang unter die Dusche um die Genitalien mit KokosmilchLotion einzureiben. Greta trinkt ihren Tee zum Frühstück nur mit Milch. Sie sei too lazy
to make it with milk and sugar. Und erst recht zum Umrühren. Und außerdem not
mature enough for green tea. Man reibt sich Peperoni in die Augen und hält sich aufrecht
am Frühstückstisch.
Ich lese kurz danach meine Mails und finde im Browser noch den gespeicherten link der
youporn-Seite mit den Couples. Schon esk, denke ich mir, aber das Buch der Einsamkeit
will gespeist werden. Wir gehen in die Sonne, vorbei am ehemaligen Nationaltheater
zum Rosenplatz. Man lässt sich auf Vorschlag des Herrn Schan in der Kirche nieder.
Der Meßdiener mit dem Klingelbeutel geht beim Anblick meiner Badelatschen erst an
mir vorbei, ich rufe ihn zurück und werfe die 2 Euro Wechselgeld aus dem
Bordrestaurant ein. "C'mon, im Nationaltheater hätten wir wahrscheinlich auch Eintritt
bezahlt."
Ich jedenfalls zeige mich einmal mehr begeistert von der eindrucksvoll zelebrierten
Heuchelei einer solchen Veranstaltung. Körper Jesu und das Blut Christi. A mess. In
jeder Hinsicht.
Greta erzählt leicht angewiedert, sie hätte in ihrer Kindheit jede Woche zur Kirche
gemusst. Und immer noch verkünde man die Ankunft des Heiland. Das Vieh muss raus,
wenn die Scheune abbrennt. Zu guter Letzt wird die ungarische Nationalhymne gespielt.
Brr.
Ich sage Greta, dass ich das Ghetto sehen will. Sie ruft ihre Freundin an um nach dem
Weg zu fragen. Wir wandern in esk anmutende Gegenden. Protect Ya Neck. Ich spüre
meinen Sonnenbrand vom Vortag und stelle den Kragen hoch um weiteren Schaden zu
verhindern. Greta schlüpft in einen Kiosk und kauft Turo, eine Spezialität, die ich
kennenlernen müsse. Ich esse meinen Quarkriegel. Vor dem Geschäft hängt ein
besoffener Vietnamese und verfolgt gebannt den Fluß seiner eigenen Kotze.
Greta kauft Blumentöpfe, nächster Park, Pinkelpause. Amputierte Opas, fettleibige
Zigeuner, fluchende Kinder. Und die Crackbitchez brauchen sich vor denen auf dem
Steindamm nicht verstecken. Wir gehen in ein Gebäude, das von außen wie ein
Naturmuseum und von innen wie ein Biologieraum aussieht. In der Insektenausstellung
gesteht Greta mir ihre Phobie gegen fast alles, was krabbelt und insektoid aussieht.
Die Korallenausstellung besteht aus zwei großgewachsenen Aquarien. Wir laufen auf der
Suche erst mehrere Male an ihr vorbei. Im Flur mit Landschaftsfotos erzählt Greta von
ihrer Reise nach Herzegowina und der realistisch abgebildeten Schönheit der dortigen
Natur. Wir laufen noch durch ein Steinzeitdorf auf der Suche nach Interessantem und
Greta versucht Tierlaute zu identifizieren. Beides vergeblich.
Im Museumsrestaurant genießen wir Kuchen, der so schmeckt wie der Pappteller, auf
dem er daherkommt. Der anschließende Parkbesuch unscheinbar. Greta zeigt mir eine
Tankstelle, an der kleine Jungs und Mädels das Tanken lernen können und bedient einen
kleinen Radfahrer auf seiner Safari durch die heiße Parkgegend.
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Walk on the moon
Der unendliche Spaziergang. Wir schleichen bis an den Stadtrand und catchen dort den
Trollybus. Back in der Izabella Street läuft Greta erst an ihrer Haustür vorbei. Ich zeige
ihr ihre korrekte Hausnummer und sie bereitet uns ein Abendmahl. Nudeln mit
Blumenkohl. Ich sage ihr, dass ich es liebe, wenn für mich gekocht wird und bewerte das
Ganze mit 5 Punkten, der regelmäßig erzielten Höchstwertung in Gretas Kochmeetings.
Man spielt den psychadelic funk shit aus dem mp3-player aus der Westentasche und übt
sich im kollektiven Chillen. Greta einen halben Meter über mir, während ich in Pecs
nach Couchsurfern für Plan B suche. Greta kocht einen zweiten Gang für die Nacht und
sagt, wir wollen jetzt raus und uns mit Freunden von ihr treffen.
…
Man findet sich im Club der letzten Nacht wieder. Betrene Miene meines Spiegelbildes.
Die sich auch nicht aufhellt, als ich die bitches an der Bar gelangweilt die Eiswürfel aus
dem Cocktailglas fischen sehe. Dies ist nicht Berlin Prenzelberg, das ist immer noch die
Kacinsky utca in Budapest.
Es folgt ein gezwungener talk mit einem auf Mittelmaß gepressten dude und einer
Schnepfe, die Greta mir als ihre Freunde vorstellt. Ich erinnere mich an die Schilderung
ihrer Geburtstagsparty und beginne zu verstehen. Gespräche über Autos, Kameras und
anderen crap. People stealing my time, ich kündige einen Spaziergang an und entziehe
mich der Haare knabbernden Scheinheiligkeit.
Draußen Klumpen von Italienern und parfümierten Engländern. Es scheint, als hätte die
Nacht ihren Darminhalt auf die Straße gekehrt. Ich drehe ein paar Runden über den
Boulevard, die Fußgängerzone und die Black Panther Kozmetica. Zurück im Club,
zurück in der Hood. Man erhebt und verabschiedet sich nach meinem Eintreffen. Das
Leben in einem Aschenbecher. Greta und ich wandern die Straße zurück Richtung
Wohnung. Unterwegs gebe ich entgegen meinen Prinzipien eine Hosentasche voll
Münzen an einen Bettler, der mich auf Englisch angesprochen hatte.
Greta erzählt unbefangen vom beauty shop in der Stadt ihrer Eltern, in dem sie sich ihren
Damenbart und die Augenbrauen machen lasse. Außerdem habe sie Mitesser, die sie
dort behandeln lasse. Zu guter letzt höre ich noch Geschichten über ihre schwarzen
Zähne, dann biegt sie in einen Nachtshop, um dort Leberwurst zu kaufen.
Zu Hause wartet der 2. Gang des Nachtmahls. Wahnsinnig viel Ei findet sich im
Auflauf, man zeigt sich leicht mitgenommen von einer solchen Tortur zu später Stunde.
Greta nutzt die Gelegenheit und erzählt mir von ihrer Kindheit. Sie sei mit ihren Eltern
regelmäßig zu ihren Nachbarn gegangen, die über die Rarität eine
Schwarzweißfernsehers verfügten und habe dort in lustiger Gesellschaft alle Folgen von
Nightmare on Elm Street auf Video gesehen.
Ein besseres Gute-Nacht-Gedicht kann es nicht geben und so bettet man sich mit einem
Magen voller Eier. Die einem im Schlaf zu Kopfe steigen. Im Traum in einem
Plattenladen, in dem beim Vinyl wechseln Haarbüschel hinterm Ohr ausfallen und
entsetzt betrachtet werden. Ein panisches Rennen von Spiegel zu Spiegel und heitere
Sorge um das Erscheinungsbild.
…