Fokussierung versus Diversifikation

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Fokussierung versus Diversifikation
Fokussierung versus Diversifikation
Überlegungen zur Zukunft der "Multibusiness Firm"
03-02
Prof. Dr. Harald Hungenberg
Herausgeber:
Prof. Dr. Dr. h.c. Dr.-Ing. E.h. Dietger Hahn
Prof. Dr. Harald Hungenberg
Fokussierung versus Diversifikation
Überlegungen zur Zukunft der "Multibusiness Firm"
03-02
Prof. Dr. Harald Hungenberg
Autoren
Prof. Dr. Harald Hungenberg
Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensführung an der Friedrich-Alexander Universität
Erlangen-Nürnberg und Gastprofessor an der ENPC in Paris. Wissenschaftlicher Leiter des
Instituts für Unternehmungsplanung.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung ............................................................................................ 2
1.
Einleitung........................................................................................................ 3
2.
Entwicklung der Auseinandersetzung mit "Multibusiness firms"...................... 4
3.
Aktuelle Anforderungen an das Management von "Multibusiness Firms"........ 8
4.
Konsequenzen für das Management von "Multibusiness Firms" ....................... 12
5.
Fazit ............................................................................................................... 18
Literaturverzeichnis.......................................................................................... 19
Zusammenfassung
Das Diversifikationsstreben, das in den 60er und 70er Jahren unter anderem als Mittel der
Risikostreuung propagiert worden ist, führte zum Entstehen einer zunehmenden Zahl von
"Multibusiness Firms" mit vielen, teils heterogenen Einzelgeschäften. Diese Unternehmen
sind spätestens seit Mitte der 80er Jahre immer stärker in die Kritik geraten: Bis heute werden "Multibusiness Firms" gerne mit dem Verweis auf fehlende Konzentration als Wertvernichter dargestellt. Auch wenn es durchaus Beispiele dafür gibt, dass die Restrukturierung diversifizierter Unternehmen tatsächlich zu einer Wertsteigerung führen kann, so deuten jüngste
Erkenntnisse darauf hin, dass eine "Multibusiness Firm" auch unter heutigen Marktbedingungen durchaus erfolgreich sein kann. Der vorliegende Beitrag baut auf diesen Erkenntnissen auf und leitet daraus Konsequenzen und Prinzipien zur erfolgreichen Führung eines diversifizierten Unternehmens ab.
Summary
The diversification process which especially in the sixties and seventies has been proclaimed as
a way to reduce risk, led to growing number of large, diversified firms. Beginning in the eighties, these corporations have increasingly received criticism: Until today "multibusiness firms"
are often portrayed as value destructors due to their lack of concentration. Although a number
of cases supports the idea that restructuring "multibusiness firms" can be a value enhancing
move newer insights suggest that even under today's market conditions "multibusiness firms"
can be successful. The following article is based on these insights and derives consequences and
principles for successful management of diversified companies.
Fokussierung versus Diversifikation
1.
3
Einleitung
Es gibt nicht viele Themen, die Wissenschaft und Unternehmenspraxis
über die Jahre hin so stark beschäftigt haben, wie die "Multibusiness Firm" das Unternehmen, das in mehreren, meist heterogenen Einzelgeschäften aktiv
ist, die von einer gemeinsamen Unternehmenszentrale geführt werden. Dass
dieses Thema so breite Aufmerksamkeit gefunden hat, lässt sich leicht erklären,
denn sowohl in den USA und Japan, als auch in Europa ist es dieser Typ von
Unternehmen, der die Unternehmenslandschaft in den letzten 50 Jahren dominiert hat.
Allerdings konnte man in den letzten Jahren beobachten, dass die "Multibusiness Firm" aus zwei Richtungen verstärkt in die Kritik geraten ist: Aus
Sicht der Wissenschaft haben beispielsweise die Vertreter der Principal-AgentTheorie eine solche Kritik formuliert, indem sie argumentieren, dass die "Multibusiness Firm" in erster Linie ein Instrument der Manager sei, welches diese
nutzen, um ihre individuellen Ziele auf Kosten der Eigentümer zu verwirklichen. So wird beispielsweise angeführt, dass das Ziel der Risikoreduktion eines der klassischen Motive, eine "Multibusiness Firm" zu schaffen - vor dem
Hintergrund des Shareholder Value-Ziels nicht dem Interesse der Eigentümer
entspringe, sondern dem des Managements.1 Und auch aus Sicht der Unternehmenspraxis gerät die "Multibusiness Firm" in die Kritik, indem ihrem logischen Gegenstück - dem fokussierten Unternehmen - eine größere Beweglichkeit und Flexibilität bescheinigt wird, die solchen Unternehmen in einem immer
dynamischer werdenden Wettbewerb zu größerem Erfolg verhelfen sollen. Dies
wird ergänzt von den vielstimmigen Forderungen der Kapitalmärkte nach mehr
Transparenz - was für eine "Multibusiness Firm" nichts anderes bedeutete, als
eine Rückführung der Diversifikation und eine Fokussierung auf ein homogenes Tätigkeitsfeld.2
Was bedeutet diese Diskussion für die "Multibusiness Firm"? Gehört die
Zukunft dem fokussierten Unternehmen oder gibt es doch Wege und Möglichkeiten, auch einen diversifizierten Verbund erfolgreich zu führen? Diesen Fragen soll in dem vorliegenden Beitrag nachgegangen werden. Dabei wird - dem
Thema angemessen - die Perspektive des strategischen Managements eingenommen, so dass Fragen der Strategie, der Organisation und der Führung von
Unternehmen im Mittelpunkt stehen. Bevor diese im Detail behandelt werden,
soll aber zunächst ein kurzer Überblick über die Entwicklung der "Multibusiness Firms" und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Unternehmenstyp gegeben werden. Wie so oft, so bestimmt auch hier die Vergangenheit das Denken in der Gegenwart und damit auch das Handeln für die
1
2
Vgl. Amihud/Lev (1982), S. 605 ff.; Jensen (1986), S. 323 ff.
Vgl. Markides (1992), S. 398 ff.
Fokussierung versus Diversifikation
4
Zukunft. Wer sich Gedanken über die Zukunft der "Multibusiness Firm"
macht, tut daher gut daran, diese Erkenntnisse zu berücksichtigen.
2.
Entwicklung der Auseinandersetzung mit "Multibusiness Firms"
In der ersten Hälfte des vergangen Jahrhunderts prägten zunächst fokussierte Unternehmen die Unternehmenslandschaft. Sie entwickelten sich aus
einem homogenen Tätigkeitsfeld, in dem sie den überwiegenden Teil ihrer Umsätze erzielten. Aber bereits in den 20er und 30er Jahren entstanden erste Unternehmen, die sich auf mehren Tätigkeitsfeldern bewegten. Ihre Bedeutung
stieg in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg deutlich an - so weist beispielsweise
eine Untersuchung von Rumelt auf eine starke Zunahme der Zahl der "Multibusiness Firms" in den Jahren von 1949 bis 1969 hin.3 Parallel zu dieser Entwicklung setzte auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem
Unternehmenstyp ein, die bis in die heutige Zeit angehalten hat.
Die Entwicklung der "Multibusiness Firm" - und dementsprechend auch
die Entwicklung der Auseinandersetzung mit diesem Phänomen - kann für die
Jahre nach dem 2. Weltkrieg in mehreren charakteristischen Phasen beschrieben werden (Abbildung 1).4 Am Anfang dieser Entwicklung stand das dynamische Wirtschaftswachstum der 50er Jahre. Etablierte Unternehmen nutzten ihre
Finanzkraft, um an diesem Wachstum teilzuhaben, indem sie sich in neue Geschäfte einkauften - sich die Wachstumspotenziale neuer Geschäfte erschlossen. Problemen kartellrechtlicher Art konnten sie dabei am leichtesten aus dem
Weg gehen, wenn diese Geschäfte nichts oder nur wenig mit den bisherigen
Tätigkeitsfeldern ihres Unternehmens zu tun hatten. So entstanden immer
mehr Unternehmen, die eine größere Zahl unterschiedlicher Geschäfte unter
einem Dach vereinigten. Ihr gemeinsames Kernproblem war, wie diese heterogenen Einheiten von der Unternehmensspitze her geführt werden können,
denn die klassischen Führungs- und Organisationsformen schienen dazu immer
weniger geeignet. Eine zunehmende Dezentralisation und die Einführung neuer, divisionaler Formen der Organisation war die vorherrschende Antwort auf
dieses Problem.5
Aufbauend auf dieser Entwicklung wurde externes Wachstum, vorrangig
in nichtverwandte Geschäfte, zu dem strategischen Schlüsselthema der 60er
Jahre. Dieses Streben nach Diversifikation wurde vor allem mit dem Argument
begründet, dass ein Unternehmen durch die Investition in Geschäfte, die sich in
3
4
5
Vgl. Rumelt (1974).
Vgl. auch Goold/Luchs (1993), S. 7 ff.; Goold/Campbell/Alexander (1994), S. 50
ff.; Friedrich/Hinterhuber (2000), S. 8 ff.
Vgl. Chandler (1962).
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5
wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlich entwickeln, eine Streuung seines Risikos erreichen kann. Damit wurde es leichter, das Unternehmen als Ganzes zu
erhalten und erfolgreich zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund wurde vor
allem diskutiert, unter welchen Bedingungen diese Risikostreuung erzielt werden kann und was die Hintergründe einer erfolgreichen Diversifikationsstrategie sind. So traten die Übertragung von Managementfähigkeiten
und die Nutzung von Synergien als zentrale Ansatzpunkte einer erfolgreichen
Diversifikation in den Mittelpunkt.
1950
Wachstum
Perspektive
Einzelgeschäft
1960
Risiko
1970
Portfolio
Auseinandersetzung mit
"Multibusiness
Firms"
1980
Restrukturierung
Perspektive
Gesamtunternehmen
1990
Konzentration
2000
"Parenting"
Abbildung 1:
Entwicklung der Auseinandersetzung mit "Multibusiness
Firms"
Auf diesem Wege entstanden die Konglomerate, die in den 70er Jahren
mit großer Zustimmung betrachtet wurden. Sie setzten sich aus vielen unterschiedlichen Geschäften zusammen, die kaum Berührungspunkte oder gar
Gemeinsamkeiten aufwiesen. Das Hauptproblem ihrer Führung bestand darin,
einen systematischen Ansatz für die Priorisierung der unterschiedlichen Geschäfte und die Ressourcenallokation zu finden. Die Portfolio-Methode und
das darauf aufbauende Portfolio-Management waren Konzepte, die zur Lösung
dieses Führungsproblems entwickelt worden sind und bis heute genutzt werden.6 Ziel des Portfolio-Managements war es, ein ausgeglichenes Portfolio von
Geschäftsfeldern zu schaffen, in dem ein ausgewogenes Verhältnis von wach-
6
Vgl. Hedley (1977), S. 9 ff.
Fokussierung versus Diversifikation
6
senden und reifen Geschäften besteht und so das Gesamtrisiko des Unternehmens kontrolliert werden kann.
Im Zuge der ausgeprägten Diversifikationsbestrebungen der 60er und 70er
Jahre entstanden große, heterogene Gebilde, die immer schwieriger zu führen
waren. Die Probleme dieser Unternehmen wurden in den 80er Jahren sichtbar,
als es vor allem in den USA zu einer Welle der Restrukturierung von "Multibusiness Firms" kam. Diese Restrukturierungen wurden ausgelöst von so genannten "Corporate Raider" - Personen, die durch den Aufkauf eines großen, diversifizierten Unternehmens, seine anschließende Zerschlagung und den Verkauf
seiner einzelnen Geschäfte enorme Gewinne erzielen konnten. Dass dies möglich war, bedeutet nichts anderes, als dass offensichtlich die eigenständige Führung dieser Geschäfte als effizienter eingeschätzt wurde und folglich durch die
Restrukturierung eines diversifizierten Unternehmens beachtliche Werte für
seine Eigentümer geschaffen werden konnten. Im Zuge dieser Entwicklung
erfuhr die Orientierung am Shareholder Value - dem Wert des Unternehmens
für seine Eigentümer - immer größere Bedeutung, und auch die Unternehmen,
die nicht Ziel eines "Corporate Raiders" wurden, begannen, sich selber aus
einer wertorientierten Perspektive heraus zu restrukturieren. Die Wertorientierung als übergeordneter Leitgedanke des Managements setzte sich durch7.
Ergebnis der Restrukturierungsmaßnahmen war in vielen Fällen ein deutlicher Rückgang des Diversifikationsgrads der "Multibusiness Firms".8 Die Unternehmen beschränkten ihr Tätigkeitsfeld auf wenige Aktivitäten - eine Konzentration auf Kerngeschäfte wurde als Schlüssel für die Optimierung des Unternehmenswerts gesehen. In der Regel waren damit jene Geschäfte gemeint,
die die ursprüngliche Basis des Unternehmens waren, aus denen heraus es also
gewachsen ist. In diesem Zusammenhang wurde aber auch eine Konzentration
auf so genannte Kernkompetenzen empfohlen. 9 Bei dieser Interpretation steht
das Ziel im Vordergrund, vorhandene Kompetenzen bestmöglich zu nutzen,
indem sie in bestehenden, aber auch in neuen Geschäften zum Einsatz kommen. Im Grunde wäre damit aber auch eine andere Definition des Begriffs
Diversifikation verbunden: dieser würde dann nicht mehr durch die Unterschiedlichkeit der Märkte definiert, auf denen ein Unternehmen tätig ist, sondern durch die Art der Kompetenzen, die es dort zum Einsatz bringt. Konzentration hieße dann, sich auf die Entwicklung und die Nutzung einiger weniger
Kernkompetenzen zu beschränken, unabhängig davon, wie unterschiedlich die
Märkte sind, in denen diese zur Anwendung kommen.
7
8
9
Vgl. Bergsma (1989), S. 57 ff.; Bowman/Singh (1990), S. 8 ff.; Gressle (1990);
Hahn/Hintze (1999), S. 324 ff.
Vgl. Lichtenberg (o.J.).
Vgl. Prahalad/Hamel (1990), S. 79 ff.
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7
Der Kernkompetenz-Ansatz hat darauf aufmerksam gemacht, dass nicht
allein die vordergründige Homogenität oder Heterogenität der Produkte bzw.
der Märkte eines Unternehmens über strategischen Erfolg entscheidet. Daher
erschien eine differenziertere Argumentation geboten, ob im Einzelfall das
Geschäftsportfolio einer "Multibusiness Firm" sinnvoll ist oder nicht. Genau
diese Frage steht in der aktuellen Auseinandersetzung mit "Multibusiness
Firms" im Mittelpunkt, für die der Begriff des "Parenting" charakteristisch ist.
Er soll zum Ausdruck bringen, dass die Zentrale einer "Multibusiness Firm" als
"Parent" ihrer Einzelgeschäfte einen optimalen Beitrag zu deren geschäftlicher
Entwicklung leisten muss, um die Einbindung eines Geschäfts in das Unternehmen zu rechtfertigen.10 Dieser Beitrag, der sich wiederum am Wert des
Unternehmens ablesen lässt, kann letztlich nur durch zwei Ansatzpunkte begründet werden: die Gestaltung des Unternehmensportfolios sowie die Beeinflussung der Einzelgeschäfte durch die Unternehmenszentrale. Vor diesem
Hintergrund rücken Fragen nach der Organisation und der Führung des Gesamtsverbunds in einen noch engeren Zusammenhang mit der Unternehmensstrategie.
Betrachtet man diese Entwicklung insgesamt, so fällt auf, dass sich die
einzelnen Phasen zu zwei grundsätzlich unterschiedlichen Betrachtungsweisen
der "Multibusiness Firm" zusammenfassen lassen. In den ersten drei Phasen
war es stets das einzelne Geschäft, das aus Sicht des Gesamtunternehmens
betrachtet wurde. Die entscheidende Frage war: "Was kann das Einzelgeschäft
zum Erfolg des Ganzen beitragen?" So wurde der Beitrag des einzelnen Geschäfts zum Wachstum, zur Risikostreuung bzw. zur Ausbalancierung des Unternehmensportfolios untersucht, und die Rechtfertigung einer "Multibusiness
Firm" bestand immer darin, dass ihre Einzelgeschäfte genau diese Art von Beitrag für das Gesamtunternehmen leisten können.
In den letzten drei Phasen hat sich die vorherrschende Perspektive gewandelt. Jetzt steht nicht mehr das Einzelgeschäft im Mittelpunkt, sondern das
Ganze. "Was kann das Ganze zum Erfolg der Einzelgeschäfte beitragen?" ist
die interessierende Frage. Nur wenn diese Frage durchgängig positiv beantwortet wird, bietet weder die Restrukturierung, noch die Konzentration oder einer
anderen Form der Portfoliogestaltung einen sinnvollen Ansatzpunkt. Letztlich
ist diese veränderte Sichtweise Ausdruck einer zunehmenden Wertorientierung
und einer kritischer werdenden Einschätzung der "Multibusiness Firm" in veränderten Umfeldern. Heute müssen diese Unternehmen ihre Existenzberechtigung erst nachweisen, indem sie einen Beitrag zum Erfolg ihrer Einzelgeschäfte
erbringen, der möglichst optimal ist. Es ist offensichtlich, dass sich aus diesen
Überlegungen veränderte Anforderungen an das Management von "Multibusiness Firms" ableiten. Diese sollen im Folgenden näher betrachtet werden.
10
Vgl. Goold/Campbell/Alexander (1994), S. 12 ff.
Fokussierung versus Diversifikation
3.
8
Aktuelle Anforderungen an das Management von "Multibusiness
Firms"
Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen ist also die Forderung, dass
Einzelgeschäfte von ihrer Zugehörigkeit zu einer "Multibusiness Firm" profitieren müssen, um die Existenz des Unternehmens in seiner gegenwärtigen Form
zu rechtfertigen. Dieser Beitrag, den das Ganze für das einzelne Geschäft leistet, muss sich messbar im Shareholder Value der "Multibusiness Firm" niederschlagen - denn dass der Erfolg eines Unternehmens anhand des Werts beurteilt wird, den es für seine Eigentümer besitzt, ist heute der übergeordnete Leitgedanke für das Management dieser Unternehmen. Welche Anforderungen
muss ein Unternehmen erfüllen, um diesem Leitgedanken Rechnung zu tragen?
In einer "Multibusiness Firm", die definitionsgemäß in mehreren Einzelgeschäften tätig ist, setzt sich der Unternehmenswert konzeptionell aus zwei Teilen zusammen: den Werten der einzelnen Geschäfte (so genannte "stand alone
values") und dem Wertbeitrag der Unternehmenszentrale - also der obersten
Unternehmensführung und ihrer Unterstützungseinheiten.11 In genau diesem
Wertbeitrag der Unternehmenszentrale drückt sich aus, ob "das Ganze mehr ist
als die Summe seiner Teile". Dementsprechend betrachtet man den Wertbeitrag
der Unternehmenszentrale als Ausdruck der Unternehmensstrategie, die sich in
der Gestaltung des Geschäftsportfolios und der Einflussnahme der Unternehmenszentrale auf die Einzelgeschäfte zeigt, während die Werte der Einzelgeschäfte durch ihre Wettbewerbsstrategien und das konkrete wirtschaftlichen
Handelns der entsprechenden Einheiten bestimmt werden (Abbildung 2).
Mit der Gestaltung des Geschäftsportfolios wird festgelegt, welche Wertbeiträge in einem Unternehmen überhaupt möglich sind; die Einflussnahme auf
die verschiedenen Geschäfte soll diese Möglichkeiten ausschöpfen. Allerdings
kann nicht jede Art der Einflussnahme tatsächlich einen Wertbeitrag erzeugen,
denn mit jeder Einflussnahme sind positive und negative Effekte verbunden.
Positive Effekte können zum Beispiel darin bestehen, dass Synergiepotenziale
zwischen Einzelgeschäften genutzt werden, dass neue Geschäfte durch das
Zusammenführen bestehender Geschäfte entwickelt werden (Stichwort "business migration") oder dass einzelne Geschäftsverantwortliche durch den Einfluss der Unternehmenszentrale zu besonderen Leistungen "angespornt" werden. Negative Effekte können demgegenüber darin bestehen, dass die Flexibilität und Marktausrichtung einzelner Geschäfte beeinträchtigt wird, wenn sie sich
mit anderen Geschäften abstimmen müssen, dass die Motivation der Geschäftsverantwortlichen leiden kann, wenn sie zentralen Einflüssen ausgesetzt
sind, und dass natürlich die Leistungen der Unternehmenszentrale selbst auch
nicht kostenlos erbracht werden können. Um einen Wertbeitrag zu leisten,
11
Vgl. Hungenberg (2001), S. 331 ff.
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muss die Zentrale also ihre Einflussnahme so ausrichten und dosieren, dass die
positiven Effekte in Summe die negativen Effekte überwiegen.
Gestaltung
des
Portfolios
Unternehmensstrategie
Wertbeitrag
des "Parent"
maximieren!
Führung
von
Geschäften
Unternehmenswert
steigern
Einzelwert
der Geschäfte
maximieren!
Abbildung 2:
Wettbewerbsstrategie
Komponenten und Beeinflussungsmöglichkeiten des Unternehmenswerts
Vor diesem Hintergrund lassen sich insgesamt drei Anforderungen formulieren, die erfüllt sein müssen, damit eine "Multibusiness Firm" Wert für ihre
Eigentümer schafft (Abbildung 3). So müssen zunächst alle Einzelgeschäfte
einen positiven, möglichst maximalen Wert erzielen. Diese Anforderungen, die
im Rahmen des strategischen Managements auf Geschäftsfeldebene umzusetzen ist, gilt natürlich unabhängig von der Frage nach der Zugehörigkeit zu einer
"Multibusiness Firm" als Voraussetzung nachhaltigen Erfolgs. Daneben muss
aber auch die Unternehmenszentrale einen positiven Wertbeitrag leisten, der
sich darin ausdrückt, dass der durch sie gestiftete Nutzen in der speziellen Situation eines bestimmten Unternehmens größer ist, als die negativen Effekte, die
ihre Einflussnahme erzeugt. Diese Anforderung ist im Rahmen des strategischen Managements auf Unternehmensebene umzusetzen.
Mit diesem positiven Beitrag der Zentrale zum Unternehmenswert wird
der Anforderung entsprochen, dass "das Gesamtunternehmen zum Erfolg der
Einzelgeschäfte beitragen muss". Natürlich ist es in der Praxis nicht ganz einfach, diesen Wertbeitrag der Unternehmenszentrale zu ermitteln, da dafür nicht
nur die "stand alone values" der Geschäfte, sondern vor allem Nutzen und
Kosten der zentralen Einflussnahme quantifiziert werden müssen. 12 Insofern
12
Vgl. Copeland/Koller/Murrin (1994), S. 318 ff.
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10
beschreibt diese Anforderung weniger ein rechnerisches Kalkül als eine allgemeine Richtlinie, an der sich die einzelnen Aktivitäten der Unternehmenszentrale messen lassen müssen. Zumindest bei börsennotierten Unternehmen kann das Management diesen Wertbeitrag aber auch rechnerisch relativ
einfach ermitteln: durch den Abzug der summierten Einzelwerte der Geschäfte
vom Marktwert des Unternehmens.
1
3
2
Alle Geschäftsfelder müssen Das Ganze muss mehr sein
einen positiven Einzelwert
als die Summe seiner Teile
besitzen
Wert A
Wert B
Wert C
Kosten
der
Zentrale
Der Wertbeitrag des
"Parent" muss den Wertbeitrag alternativer
"Parents" übersteigen
Nutzen Unterder
nehmensZentrale wert
Wert
Parenting
alter- Advantage
nativer
Parent
Abbildung 3: Wertorientierte Anforderungen an "Multibusiness Firms"
Damit aber nicht genug. Denn ein positiver Wertbeitrag alleine kann das
Geschäftsportfolio einer "Multibusiness Firm" und das Handeln ihrer Unternehmenszentrale noch nicht rechtfertigen. Ein positiver Wertbeitrag besagt
zunächst nur, dass es überhaupt einen Vorteil aus der Zusammenfassung der
Einzelgeschäfte gibt. Er gibt aber keinen Anhaltspunkt dafür, ob dieser nicht
noch zu steigern wäre. So wäre es ja denkbar, dass ein anderes Unternehmen an
einem bestimmten Geschäft interessiert ist, welches gegenwärtig in das Portfolio einer "Multibusiness Firm" eingebunden ist, weil es für dieses Einzelgeschäft
einen wesentlichen größeren Wertbeitrag leisten könnte als der bisherige Eigentümer. In einem solchen Fall könnte dieser seinen eigenen Wert steigern, indem
er das Geschäft an den anderen potenziellen Eigentümer abgibt - denn wenn
dieser bezogen auf das betrachtete Einzelgeschäft einen größeren Wertbeitrag
leisten könnte, wäre er grundsätzlich auch bereit, dafür einen Kaufpreis dafür
zu zahlen, der den gegenwärtigen (Integrations-)Wert des Geschäfts übersteigt.
Andere potenzielle Eigentümer - also alternative "parents" - können zum
Beispiel unter den Wettbewerbern eines Geschäftsfelds gefunden werden, wenn
Fokussierung versus Diversifikation
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die Zusammenfassung vormals konkurrierender Einheiten etwa zu wertsteigernden Größenvorteilen oder Synergieeffekten führt. Sie können aber auch im
Bereich der Lieferanten oder Kunden gesucht werden, bei denen unter Umständen durch die Integration einer nach- oder vorgelagerten Wertschöpfungsstufe größere Wertbeiträge möglich sind. Schließlich können auch finanzielle
Investoren und das Management des betroffenen Einzelgeschäft als potenzielle
Eigentümer in Frage kommen, weil sie in bestimmten Situationen die betroffenen Aktivitäten anders bewerten können.
Wettbewerbsstrategie
Einzelwert/Attraktivität
von Geschäften
Größer
Unternehmensstrategie
Potenzieller Wertbeitrag für einzelne
Geschäfte (relativ
zum Wertbeitrag
des alternativ
besten "Parent")
Gleich
Kleiner
Niedrig
Abbildung 4:
Hoch
Portfoliodarstellung zur Beurteilung des "parenting advantage"
Erst wenn für alle Einzelgeschäfte verneint werden kann, dass ein besser
geeigneter alternativer "parent" vorhanden ist, wird den Ansprüchen der Eigentümer einer "Multibusiness Firm" vollständig entsprochen. Insofern muss sich
eine Unternehmenszentrale stets daran messen lassen, ob der Wertbeitrag, den
sie für ihre Einzelgeschäfte leisten kann, größer ist, als der Beitrag, den andere
Eigentümer leisten könnten, wenn einzelne Geschäfte nicht Bestandteil des
eigenen Portfolios wären, sondern einem anderen Unternehmen zugehörten
(Abbildung 4). Diese Forderung, die auch als so genannter "parenting advantage" bezeichnet wird,13 betont, dass es nur dann sinnvoll ist, ein Geschäft in eine
bestimmte "Multibusiness Firm" zu integrieren, wenn es durch diese Integration einen Vorteil hat - zum Beispiel in Form von Synergieeffek-ten -, der in
keiner anderen Unternehmenskonstellation (in dieser Höhe) erzielbar wäre. Das
13
Vgl. Goold/Campbell/Alexander (1994), S. 12 ff.
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12
Konzept des "parenting advantage" beschreibt somit eine Art Wettbewerbsvorteil der Unternehmenszentrale als Eigentümer einzelner Geschäfte.14
4.
Konsequenzen für das Management von "Multibusiness Firms"
Was bedeuten nun diese Überlegungen und die Anforderungen, die vor ihrem Hintergrund formuliert worden sind, für das Management von "Multibusiness Firms" - und speziell für die Frage, ob diese Unternehmen eine Zukunft
haben? Kann eine "Multibusiness Firm" unter den heutigen Bedingungen erfolgreich geführt werden oder zwingt die Forderung nach einem optimalen
Wertbeitrag der Zentrale zur Fokussierung?
Betrachtet man zunächst die Diskussion, die in Literatur und Wirtschaftspraxis in den letzten Jahren geführt worden ist, so scheint genau dies der Fall zu
sein. Immer wieder stößt man auf die Aussage, dass "Multibusiness Firms"
Wertvernichter seien - umso stärker, je vielfältiger und unterschiedlicher ihre
Einzelgeschäfte sind. Zum Beleg wird auf den so genannten "conglomerate
discount" verwiesen, der darin bestehen soll, dass diversifizierte Unternehmen
als Ganzes an den Kapitalmärkten mit Abschlägen von 20 - 30% gegenüber
den summierten Einzelwerten ihrer Geschäfte bewertet werden. 15 Dies wird
zum einen mit den Präferenzen der Kapitalanleger begründet, die eine Anlage
in fokussierte Unternehmen mit transparenten Strategien und Ergebnissen
bevorzugen sollen.16 Zum anderen wird argumentiert, dass das Management
einer "Multibusiness Firm" Gefahr läuft, den Überblick über seine heterogenen
Geschäftsaktivitäten zu verlieren - sich gewissermaßen zu verzetteln - und in
der Konsequenz den unterschiedlichen Anforderungen der Einzelgeschäfte
nicht mehr gerecht werden kann. 17 Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass in
"Multibusiness Firms" die negativen Effekte der zentralen Einflussnahme regelmäßig die positiven Effekte übersteigen, so dass die Forderung, das Ganze
solle mehr sein als die Summe seiner Teile, nicht erfüllt werden könnte. In diesem Fall wäre die Aufspaltung einer "Multibusiness Firm" in der Tat eine Wert
steigernde Maßnahme.
Aber: so plausibel diese Argumentation auf den ersten Blick erscheint, so
offensichtlich auch die Beispiele sind, die in diesem Zusammenhang immer
wieder angeführt werden - der empirische Beleg für die Behauptung, dass "Multibusiness Firms" Wertvernichter sind, ist bis heute nicht erbracht worden.
14
15
16
17
Vgl. Collis/Montgomery (1998), S. 71 ff.
Vgl. so z.B. Bhide (1990), S. 70 ff.; Lewis (1994), S. 32 ff.; Sadtler/Campbell/Koch (1997), S. 63 ff.; Mirow (2000), S. 327 ff.
Vgl. z.B. Markides (1992), S. 398 ff.; Bergmann/Butzlaff (1998), S. 203 ff.
Vgl. Heuskel (2000), S. 348.
Fokussierung versus Diversifikation
13
Wenn dies so wäre, müssten große, diversifizierte Unternehmen nämlich eine
durchgängig ungünstigere Wertentwicklung vorweisen als der Durchschnitt vergleichbarer Unternehmen - ein Zusammenhang, der sich in der Praxis zumindest nicht offenkundig beobachten lässt. Und auch wenn man die vielen wissenschaftlichen Studien betrachtet, die auf der Suche nach dem Erfolg von
unterschiedlichen Diversifikationsstrategien genau diese Frage zu beantworten
suchten, zeigt sich das gleiche Bild: es gibt keinen eindeutigen Befund, ob eine
bestimmte Form der Gestaltung des Geschäftsportfolios allen anderen Formen
überlegen ist.18
Diese Indizien dafür, dass es nicht den Wertvernichter "Multibusiness
Firm" per se geben kann, sind in jüngster Vergangenheit durch eine Studie der
Boston Consulting Group um interessante, zusätzliche Einsichten bereichert
worden.19 In dieser Studie wurden 500 große, am Kapitalmarkt gehandelte Unternehmen über einen Zeitraum von zehn Jahren hinsichtlich ihrer Wertentwicklung untersucht. Auch hier zeigte sich kein systematischer Zusammenhang
zwischen dem Diversifikationsgrad und der Wertentwicklung der Unternehmen. "Multibusiness Firms" erzielten eine durchschnittliche Wertentwicklung,
die in etwa dem Durchschnitt der Unternehmensgesamtheit entsprach. Unter
diesen Unternehmen gab es jedoch eine Gruppe von etwa 50 stark diversifizierten Unternehmen, die sich bei weitem besser entwickelten als der Vergleichsindex - so genannte "premium conglomerates", die beachtlichen Wert für ihre
Eigentümer schufen. Der besonders interessante Beitrag der angesprochenen
Studie besteht darin, dass bei dieser Gruppe von "Multibusiness Firms" gewisse
Gemeinsamkeiten erkannt wurden, die möglicherweise erklären, warum diese
Unternehmen Werte schufen, während andere, ähnlich stark diversifizierte
Unternehmen nur eine durchschnittliche Wertentwicklung erzielten oder sogar
Werte vernichteten.
Diesen Anhaltspunkten ist der Verfasser des vorliegenden Beitrags in weiter führenden, explorativen Interviews mit den Vertretern von insgesamt 12
Unternehmen dieser Art nachgegangen, wodurch ein zwar noch hypothetisches, aber dennoch relativ konsistentes Bild über den Zusammenhang von
Strategien, Organisation und Führungsprinzipien erfolgreicher "Multibusiness
Firms" entstand. Dieses Bild lässt sich in den folgenden drei Schlussfolgerungen zusammenfassen:
18
19
Vgl. im Überblick Ramanujam/Varadarajan (1989), S. 523 ff.; Hutzschenreuter
(2000), S. 74 ff.
Vgl. Shulman (1999).
Fokussierung versus Diversifikation
●
14
Komplexität auf der Ebene der Managementanforderungen beschränken
Ein Hauptproblem der "Multibusiness Firm" wird darin gesehen, dass ihr
Management sich in der Komplexität der unterschiedlichen Geschäfte "verzettelt", weil ihr die notwendigen Kompetenzen fehlen, um die vielfältigen geschäftlichen Anforderungen zu erfüllen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass
- wie der Kernkompetenzansatz verdeutlicht hat - auch in Geschäften, die auf
der Ebene der Produkte und Prozesse unterschiedlich aussehen, durchaus die
gleichen Ressourcen und Fähigkeiten von Bedeutung sein können. Somit wird
eine Übertragung von Kompetenzen möglich, die meist sogar als ein konstitutives Merkmal des Begriffs Kernkompetenzen angesehen wird20. Insofern können sich auch in einem nach gängigen Maßstäben breit diversifizierten Portfolio
beachtliche Gemeinsamkeiten zeigen - auf der Ebene der Ressourcen und Fähigkeiten nämlich, die in den einzelnen Geschäften eingesetzt werden.
Genau dies scheint bei erfolgreichen "Multibusiness Firms" der Fall zu
sein. Dabei sind es vor allem Gemeinsamkeiten auf der Ebene der benötigten
Managementfähigkeiten, die offensichtlich gesucht werden. Obwohl die Einzelgeschäfte aus der Marktperspektive sehr unterschiedlich sind, scheinen die Unternehmen für den überwiegenden Teil ihrer Geschäfte nach einer gemeinsamen strategischen Logik zu suchen, um die Komplexität des Managements
dieser Geschäfte zu beschränken.21 Eine solche strategische Logik kann etwa
darin bestehen, dass ein Unternehmen sich auf kapitalintensive, technologiegetriebene, globale Geschäfte mit oligopolistischer Marktstruktur konzentriert,
wofür General Electric das geradezu klassische Beispiel wäre. Demgegenüber
würden Geschäfte gemieden, die konsumnah, kurzlebig und hochgradig dynamisch sind. In einem solchen Fall kann auch ein Geschäftsportfolio, das aus
Sicht der bearbeiteten Märkte heterogen erscheint, bemerkenswerte Gemeinsamkeiten auf der Ebene der strategischen und operativen Managementanforderungen aufweisen.
Durch diese Art der Konzentration auf Geschäfte mit ähnlichen Anforderungen an das Management wird die Gefahr des "Verzettelns" verringert, und
eine wertsteigernde Führung durch die Unternehmenszentrale wird ermöglicht.
Erfolgsvoraussetzung wäre also, sich auf eine bestimmte strategische Logik zu
fokussieren - und nicht notwendigerweise auf ein einzelnes Geschäft.22 Um
diese Anforderung umzusetzen, müssten sich die betroffenen Unternehmen
zunächst darüber Klarheit verschaffen, welche strategische Logiken ihre aktuellen Geschäftsfelder prägen. Diese sind den dominierenden Managementfähig-
20
21
22
Vgl. Prahalad/Hamel (1990), S. 79 ff.; Markides/Williamson (1996), S. 340 ff.
Vgl. Grant (1988), S. 639 ff.; Bettis/Prahalad (1995), S. 5 ff.
Vgl. auch Rajan/Servaes/Zingales (2000), S. 35 ff.
Fokussierung versus Diversifikation
15
keiten und -erfahrungen gegenüber zu stellen, um die Stoßrichtung für eine
"Konzentration der Kräfte" identifizieren zu können. Man würde so - etwa bei
einem Unternehmen wie der Siemens AG - erkennen, dass auch ein Portfolio
mit Geschäften aus dem Bereich Telekommunikationsinfrastruktur, Energieanlagen, Medizin- oder Verkehrstechnik angesichts ähnlicher Investitionszyklen,
Innovationsanforderungen, Kunden- und Wettbewerberstrukturen vergleichbare Managementanforderungen erkennen lässt, was Potenziale für eine wertsteigernde Zusammenfassung schafft.
●
Führungsrolle der Unternehmenszentrale auf das begrenzte Synergiepotenzial des Portfolios ausrichten
Neben der Gestaltung des Geschäftsfeldportfolios unterscheidet sich auch
die Führung der Geschäftseinheiten bei den erfolgreichen "Multibusiness
Firms" deutlich von den weniger erfolgreichen Unternehmen. Wichtig scheint
hier vor allem zu sein, welchen Führungsanspruch die Unternehmenszentrale
gegenüber den Einzelgeschäften besitzt - wie intensiv sie diese führt bzw. beeinflusst. Damit ist die Frage nach der Führungsrolle der Zentrale im Gesamtverbund angesprochen 23.
In vielen "Multibusiness Firms" beobachtet man, dass trotz eines heterogenen Portfolios große Anstrengungen unternommen werden, Synergien zwischen den Geschäftsfeldern des Unternehmens zu erschließen - etwa, indem
Geschäftsfelder organisatorisch zu Bereichen zusammengefasst werden, die in
sich immer noch relativ heterogen sind, oder indem über Strategiedurchsprachen und Regelungen der operativen Zusammenarbeit aus der Zentrale heraus
Einfluss auf die Geschäfte genommen wird. Dahinter steht das Bedürfnis, eine
Rechtfertigung für die Existenz der "Multibusiness Firm" und die Arbeit der
Unternehmenszentrale zu bieten, die angesichts der heterogenen Portfoliostruktur in der Regel jedoch in den meisten Fällen nicht gegeben werden kann.
Erfolgreiche "Multibusiness Firms" scheinen einen anderen Weg zu gehen.
Ihre einfache Überlegung ist, dass in einem heterogenen Portfolio keine Synergien existieren, deren Erschließung den dafür notwendigen Aufwand rechtfertigt. Sie "verabschieden" sich gewissermaßen vom Synergieargument als Rechtfertigung für die Existenz der "Multibusiness Firm" und suchen damit auch den
Wertbeitrag der Zentrale auf einer anderen Ebene: der Ebene der Leistungsanreize und des Managementtransfers. Dahinter verbirgt sich eigentlich eine seit
langen bekannte Überlegung: Organisation und Führung müssen zur gewählten
23
Vgl. Goold/Campbell/Luchs (1993), S. 49 ff.; Goold/Campbell/Luchs (1993), S.
54 ff.; Hungenberg (1993), 62 ff.
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Unternehmensstrategie passen.24 Wenn also angesichts der gewählten Diversifikationsstrategie kaum Potenzial für eine wertsteigernde Beeinflussung der Geschäftseinheiten besteht, dann sollten entsprechende Aktivitäten der Unternehmenszentrale auch (organisatorisch) auf das notwendige Minimum beschränkt werden. Somit drängt sich die Führungsrolle einer Finanz-Holding als
die angemessene Alternative auf. Hier überlässt die Unternehmenszentrale den
Geschäftseinheiten die gesamte operative und strategische Führung ihres jeweiligen Geschäfts und beeinflusst diese nur mittelbar - nicht aber inhaltlich durch die Vorgabe von finanziellen Zielgrößen sowie durch die Besetzung der
obersten Führungspositionen der Einheiten.
Eine Unternehmenszentrale, die diese Führungsrolle übernimmt, konzentriert sich auf die Kernaufgaben des Managements auf Gesamtunternehmensebene ("Corporate Level") und kann diese kompetent, mit einer sehr geringen
Personalausstattung - und damit geringen Kosten - erfüllen. Für den eigentlichen geschäftlichen Erfolg ist das Management der jeweiligen Geschäftseinheiten ("Business Level") verantwortlich. Hiermit wird ein Prinzip der ungeteilten
Verantwortlichkeit geschaffen, welches in vielen Fällen noch dadurch verstärkt
wird, dass die Führungspositionen der Geschäftseinheiten soweit wie möglich
langfristig besetzt werden, während ein kurzfristiges "Rotieren" von Managern
eher die Ausnahme bleibt. Erforderlich ist hierfür aber auch ein Umdenken in
die Richtung, dass Synergieerschließung nicht die einzige Form ist, mittels derer
eine Unternehmenszentrale Wert beitragen kann.
●
Wertorientierung konsequent in den Führungsprinzipien verankern
Alle aktuellen Überlegungen zur Ausrichtung von "Multibusiness Firms"
gehen letztlich von dem Leitgedanken aus, dass sich der Erfolg eines solchen
Unternehmens danach bemisst, ob es bestmöglich Wert für seine Eigentümer
schafft. Eine im Grundsatz nicht überraschende, im Konkreten aber wichtige
Erkenntnis ist, dass erfolgreiche "Multibusiness Firms" diesen Leitgedanken
sehr viel ernster nehmen und das Prinzip der Wertorientierung sehr viel konsequenter als andere Unternehmen in ihren Führungsprinzipien verankern.
Die Konsequenz in der Wertorientierung zeigt sich zunächst bei der Portfoliogestaltung und Kapitalallokation. Hier verfolgen die erfolgreichen "Multibusiness Firms" in dem Sinne eine konsequentere Investitionspolitik, als sie
regelmäßig den größten Teil ihrer finanziellen Mittel in Geschäftseinheiten
investieren, die eine Kapitalverzinsung über den (bereichsspezifischen) Kapitalkosten erzielen. Im Gegenzug wird das Kapital konsequent aus solchen Einhei-
24
Vgl. Chandler (1962); Hill (1994), S. 297 ff.
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17
ten abgezogen, die eine unzureichende Kapitalverzinsung erwirtschaften. Geschäfte mit negativem Wertbeitrag werden nicht weiter "mitgeschleppt", sondern es erfolgt ein konsequenter Ausstieg, wenn nicht ein eindeutiges Verbesserungspotenzial gesehen wird, das in einem überschaubaren Zeitraum erschlossen werden kann. Insgesamt erscheint also die Umschichtung der finanziellen
Ressourcen sehr viel aggressiver und konsequenter zu erfolgen als in den weniger erfolgreichen Unternehmen, die ihr Kapital eher gleichmäßig verteilen und
die Investitionspolitik nur langfristig verändern.25
Konsequenz zeigt sich darüber hinaus im Bereich der Zielsetzung, der Leistungsbeurteilung und der Anreizgestaltung. Erfolgreichen "Multibusiness
Firms" scheint es besser zu gelingen, eine klare Leistungsorientierung im Unternehmen durchzusetzen. So wird das Anspruchsniveau der Ziele durchgängig
als hoch eingeschätzt, und auch wenn sich die Umwelt- und Marktbedingungen
verändern, bleiben die langfristigen finanziellen Ziele bestehen - angepasst werden müssen die Mittel, um diese zu erreichen. So lässt sich auch die Außenwahrnehmung des Unternehmens verstetigen, was für seine Beurteilung durch
die Kapitalmärkte bekanntermaßen wichtig ist.
Ob Ziele erreicht werden, wird auf allen Ebenen rigoros nachgehalten,
und die Toleranz für schwächere Leistungen scheint deutlich geringer zu sein
als im Durchschnitt der vergleichbaren Unternehmen. Dies drückt sich auch in
der Anreizgestaltung für das Management aus, die in einem überdurchschnittlichen Maße variabel ist, gebunden an die gezeigte Leistung - und das heißt vor
allem an den Wertbeitrag der eigenen Geschäftseinheit. Das gesamte Führungsinstrumentarium muss konsistent auf das Ziel Wertorientierung ausgerichtet
sein. So reicht es beispielsweise nicht aus, ein wertorientiertes Konzept der
Leistungsbeurteilung - etwa auf Basis des EVA - zu implementieren, wenn dieses sich nicht mit dem entsprechenden Gewicht in den Anreizregelungen der
Führungskräfte wiederfindet, weil zusätzlich mit hohem Gewicht persönliche,
qualitative Ziele vereinbart werden. Letztlich zeichnet sich eine erfolgreiche
"Multibusiness Firm" damit auch durch eine besondere Unternehmensphilosophie und -kultur aus, welche die geforderten Verhaltensweisen im gesamten
Unternehmen verankert.
5.
Fazit
Gibt es Wege und Möglichkeiten, auch einen diversifizierten Verbund erfolgreich zu führen? - so lautete die Ausgangsfrage dieses Beitrags. In der Tat,
vor dem Hintergrund der hier geschilderten Erfahrungen und Überlegungen
25
Vgl. Shulman (1999), S. 6 f.
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deutet vieles darauf hin, dass eine "Multibusiness Firm" auch unter den heutigen Markt- und Umfeldbedingungen erfolgreich sein kann - und das heißt,
ihren Eigentümern eine zufriedenstellende Wertentwicklung bieten kann. Die
zentrale Voraussetzung dafür scheint zu sein, dass sie ihre Strategie der Diversifizierung intern in einer adäquaten Weise umsetzt. Diese Überlegung ist nicht
neu, denn auch in anderem Zusammenhang haben Studien immer wieder gezeigt, dass die Umsetzung der Strategie wichtiger ist als die Art der Strategie.
Dennoch ist dies gerade in der heutigen Zeit - und bezogen auf die Situation
der "Multibusiness Firms" - eine wichtige, weil gerne verdrängte Erkenntnis.
Nur wenn Unternehmensstrategie, Organisation und Führung auf gleichartigen Prinzipien aufbauen, wird die Komplexität eines diversifizierten Unternehmens handhabbar, und ein positiver Beitrag des Ganzen zum Einzelgeschäft wird möglich. Nur so lässt sich auch ein stimmiges Bild des Unternehmens nach außen vermitteln. Was diese Prinzipien im einzelnen sind, konnte in
dem vorliegenden Beitrag nur angedeutet werden - hier gibt es ein weites Feld
für zukünftige Untersuchungen. Klar ist aber, dass die wichtigsten Ansatzpunkte auf der Ebene des Managements zu suchen sind, denn nur durch die Leistung des Managements lassen sich die positiven Effekte erklären, die der Kapitalmarkt alleine nicht hervorbringen kann.
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