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Fotopraxis | Motivworkshop 58 ColorFoto 8/2010 Alle Fotos von Siegfried Layda www.colorfoto.de STADT LUFT Städte erfahren: Wer Städte im vollen Wortsinn „erfahren“ will, sollte sich auf eine Fülle unterschiedlichster Eindrücke einstellen. Wir zeigen Bildbeispiele und stimmen Sie auf Ihr Stadtabenteuer ein. Spannung durch Diagonale Hier wählte ich eine relativ kurze Belichtungszeit, um die Spiegelung der untergehenden Sonne auf dem Wasser des East River dem Augeneindruck entsprechend (und nicht durch längere Belichtungszeiten verwischt) wiederzugeben. Die diagonale Perspektive schafft Spannung gegenüber dem gerade verlaufenden Horizont (Kodak DCS Pro SLR/n, 40 mm, ISO 160, Bl. 5,6, 1/180 s). ColorFoto 8/2010 59 Fotopraxis | Motivworkshop Belichtungskompromiss Kompromisse bestimmen häufig den Fotografenalltag – auch bei dieser Aufnahme: Die Belichtungszeit sollte nicht zu lang sein, der Kamerastandort geriet durch vorbei fahrende Züge immer wieder in Schwingungen. Da das Bild keinen dominanten Vordergrund hat, konnte ich auf stärkeres Abblenden verzichten (EOS 1 Ds Mk II, 60 mm, ISO 100, Bl. 6,3, 6 s). Verwischter Nachtzug Hier bestimmte die (langsame) Geschwindigkeit des Zugs auf der Brücke die Belichtungseinstellung. Die Verschlusszeit sollte lang genug sein, um den Zug als Lichtstreifen oben auf der Brücke abzubilden. Ich musste etliche Züge abwarten, bis die Aufnahme meiner Vorstellung entsprach. Ein Shift-Objektiv verhinderte stürzende Linien (EOS 1Ds Mk III, 24 mm TS, Bl. 9, ISO 125, 30 s). www.colorfoto.de Lichtspiele 1 In Shanghai werden viele Abschnitte der Stadtautobahnen an den Wochenenden farbig beleuchtet – Stromverschwendung pur. Bis auch hier die Klimaziele in den Vordergrund treten, kann man an diesen Plätzen nachts noch effektvolle Architekturaufnahmen machen (EOS 1Ds MkI I, 16 mm, ISO 100, Bl. 14, 5 s). Lichtspiele 2 Diese Aufnahme entstand im gleichen Umfeld der Stadtautobahnen wie die Aufnahme darüber, allerdings war die farbige Beleuchtung noch nicht eingeschaltet. Dafür kontrastieren die Lichtstreifen der Autos umso schöner mit dem noch blauen Abendhimmel (EOS 1Ds Mk II, 16 mm, ISO 100, Bl. 13, 6 s). Shift & Tilt Hier verwendete ich das TiltShift-Objektiv, um stürzende Linien zu vermeiden (nur die zentral angeordnete Säule hätte ein Kippen der Kamera verkraftet). Aufnahmezeit ist die „Blaue Stunde“ nach Sonnenuntergang, die bei optimaler Abstimmung zwischen Kunstund Tageslicht aber meist nur 10 bis 15 min. dauert (EOS 5D MkII, 24 mm TS, ISO 100, Bl. 10, 2 s). ColorFoto 8/2010 61 Fotopraxis | Motivworkshop Blick nach oben Rahmenhandlung Der Blick nach oben am New Yorker Times Square wirkt mit kurzer Brennweite dramatischer – so werden aus den Hochhäusern erst wirkliche Wolkenkratzer. Auch hier ist wieder die „Blaue Stunde“ meine Wahl – nur wenig später wäre die Belichtung für die Häuser deutlich länger mit dem Ergebnis, dass die Lichter ausfressen würden (Kodak DCS Pro SLR/n, 12 mm, ISO 160, Bl. 11, 0,3 s). Dach, Säule und Tische rahmen das Hauptmotiv, den Tafelberg in Kapstadt, ein und lenken den Blick darauf. Gleichzeitig vermitteln diese Bildelemente das Gefühl des „Dabeiseins“. Da im Vordergrund sehr wenig Licht vorhanden war, wählte ich einen Aufhellblitz mit Warmtonfolie – so entspricht das Blitzlicht dem Licht der Abendsonne und zerstört nicht die Stimmung (EOS 1Ds Mk II, 24 mm, ISO 100, Bl. 9, 1/25 s). Vordergrund Spiegelung Das Licht der späten Nachmittagssonne lässt die Backsteinfassaden des Roten Rathauses in Berlin intensiv leuchten. Um stürzende Linien zu vermeiden und einen interessanten Vordergrund ins Bild zu bringen, wählte ich das 17-mm-Shift-Tilt-Objektiv. Durch den knappen Bildausschnitt werden parkende Autos aus dem Bild verbannt (EOS 1Ds Mk III, 17 mm TS, ISO 100, Bl. 13, 1/40 s). Diese farbig beleuchtete Schaufensterpuppe in Manhattan faszinierte mich auf den ersten Blick. Die reflektierte, graue Fassade des gegenüber liegenden Hauses sollte Teil des Bilds sein, und so blendete ich stark ab, um auch sie in den Schärfebereich einzubeziehen (ich konnte mit dem Stativ arbeiten). Um die gewünschte Perspektive zu erzielen, setzte ich ein Shiftobjektiv ein (EOS 5D Mk II, 45 mm TS, ISO 100, Bl. 18, 1 s). 62 ColorFoto 8/2010 www.colorfoto.de „Schmuddelwetter können Sie zur Vorbereitung nutzen“ D as Thema „Städte erfahren“ ist in gewisser Weise doppelsinnig, auch wenn man „fah ren“ hier wohl besser mit „laufen“ übersetzen sollte – denn dabei lässt sich das Abenteuer „Stadt“ am besten erfahren. Für uns Fotogra fen bietet die Stadt eine Fülle an fotografischen Möglichkeiten und Motiven. Auch wenn man sich ab und an mal einfach treiben lassen und dem Zufall eine Chance geben kann, ist es meist produktiver, mit etwas Planung an das Stadtabenteuer heran zu gehen. Tipp: Legen Sie Ihre Prioritäten fest, z. B. Architektur oder Schnappschüsse, Nachtaufnahmen oder expe rimentelle Bilder. Nicht zuletzt bestimmt auch die eigene Bereitschaft, wieviel Fotogepäck man durch die Straßen tragen will, den Rahmen der Möglichkeiten. So empfinde ich das Stativ den ganzen Tag über als Belastung – würde es jedoch schmerzlich vermissen, wenn die Däm merung einsetzt und ich keins dabei hätte. Objektive und Zubehör Da das Fotogepäck den ganzen langen Tag be wegt werden muss, gilt für mich als Maxime: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Der Brennweitenbereich der Objektive sollte in persönlich bevorzugter Staffelung vom Weit winkel bis zum Tele alles abdecken. Bei mir sind es meist drei Zoomobjektive, wobei nor malerweise das mittlere „Universalzoom“ (24–70 oder 24–105 mm) auf der fotobereiten Kamera angesetzt ist. Zusätzlich sind ein Tilt/Shift-Objektiv kurzer Brennweite und ein Telekonverter/Extender (1,4x) immer dabei. Blitzgerät, Pol- und Grau verlauf-Filter sowie Ersatzakku für die Kamera vervollständigen die Ausrüstung. Bei Fernrei sen bleiben dann ein zweiter Kamerabody und eventuell weiteres Zubehör im Hotel (Safe oder abgeschlossener Koffer). Optimale Verkehrsanbindung Ich bevorzuge immer Hotels in zentraler Lage mit guter Verkehrsanbindung. Denn gerade für Aufnahmen in der Morgendämmerung oder spätabends ist es wichtig, dass die An fahrtswege möglichst kurz sind und man kei ne Transportprobleme hat. Die gute Orientie rung in der fremden Umgebung ist äußerst wichtig – egal, ob mit Karte und Kompass oder mit Navi und GPS. Gerade mit Blick auf Architekturaufnahmen ist es ideal, wenn man bei einer ersten Besich tigung Zeitpunkt und Position für spätere Aufnahmen festlegen kann. Hierfür sind die meist unvermeidlichen „Schlechtwetter“-Ta ge angebracht. Besser dann die Pläne für Auf nahmen machen und deren Realisierbarkeit prüfen, als bei bestem Fotowetter oder in der blauen Stunde feststellen zu müssen, dass das Wunschobjekt gerade eingerüstet ist und res tauriert wird. Retusche und Authentizität Stadtfotografie hat eine dokumentarische Komponente, was die Frage aufwirft: Wieviel Retusche ist erlaubt, ohne dass die Authentizi tät der Bilder leidet? Meine Auffassung: Ich unterscheide zwischen störenden temporären Objekten wie weggeworfenen Zigarettenkip pen im Vordergrund oder einem Passanten im Bild und stationären Störfaktoren wie Satelli tenschüsseln oder Fabrikschornsteinen. Bei temporären Objekten halte ich Retusche für zulässig oder angebracht. Im zweiten Fall ten diere ich zur Zurückhaltung. Siegfried Layda/ks Kommentar Karl Stechl Ressortleiter Fotopraxis Städte sind ein Mikrokosmos an Motiven. Deshalb ist es so gut wie unmöglich, mit nur einem Stadtbesuch alle denkbaren Motivbereiche von Architektur bis Detail, von Straßenszene bis Nachtaufnahme abzudecken. Setzen Sie Ihre Prioritäten vor allem nach Tageszeit und Lichtsituation. Beispiel: Für ein Architekturmotiv ist das Licht entscheidend, für einen witzigen Schnappschuss oder ein skurriles Detail nicht unbedingt. Tipps ■ Ausrüstung Die Maxime lautet: So wenig wie möglich, so viel wie nötig. Wer beispielsweise kein stabiles Stativ mitschleppen will, sollte wenigstens alternative Lösungen (Mini- bzw. Klemmstativ, Bohnenbeutel etc.) dabei haben. ■ Regenschutz Schützen Sie Ihre Ausrüstung. Neben einem (nicht zu großen) Regenschirm bewähren sich spezielle Regencapes für die Kameras z. B. von Kata. Wenn nicht vorhanden, helfen auch Badekappe mit Gummizug oder Plastiktüte. ■ Objektive Optimal ist eine Kombination aus Zoomobjektiven, mit denen man Einschränkungen bei der Standortwahl besser ausgleichen kann als mit Festbrennweiten, und einem Shift-/Tilt-Objektiv für die Perspektivkorrektur. ■ Spiegelungen Spiegelungen in Schaufenstern bieten interessante Möglichkeiten, verschiedene Bildebenen zu überlagern. Die dabei meist auftretenden Beleuchtungskontraste (kalt-warm etc.) verstärken den Effekt. ■ Planung Zwar ist es wichtig, auf unerwartete Ereignisse spontan reagieren zu können. Dennoch sollte man einen Plan als roten Faden im Kopf haben. Dies betrifft den Tagesablauf ebenso wie die Motiv-Prioritäten. ■ Orientierung Wenn Sie nicht fit im Kartenlesen sind, sollten Sie über ein fußgängertaugliches Navi oder ein Handy mit Navifunktion nachdenken. Verschwenden Sie keine Zeit damit, sich permanent zu verlaufen. ColorFoto 8/2010 63