weltkarte feuilleton
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Feuilleton Front 10.12.14 11.06.12//Nr. Nr.287 133//Seite Seite47 1 / Teil 01 # ! NZZ AG Die Welt stört beim Leben BÖRSEN UND MÄRKTE Investoren wetten auf Lockerungen Investoren den USA sich «Ich lügein nicht, ichbringen verschweige nur, manchmal» – Slawomir Mrozeks Tagezurzeit in Position, um von einer weibücher aus den sechziger Jahren teren quantitativen geldpolitischen Lockerung zu profitieren. Seite 21keinen rich- Angeberei bezeichnet: «Ich weiss, dass ich vor Ulrich M. Schmid " Die Polen mögen tigen Roman in ihrer Nationalliteratur haben, da- einem Blatt Papier sitze und mich so lange auffür sind sie die Könige des Tagebuchs. Witold blase, bis mir schlecht wird.» Wenn er endlich einen Gombrowicz und Gustaw Herling-Grudzinski ha- Text schreibt, dann hat er oft das Gefühl, er habe ben dem persönlichen Journal die Würde eines an- ihn aus sich «herausgepresst». spruchsvollen literarischen Genres verliehen. BeiBisweilen beschleicht ihn sogar der grässliche den Schriftstellern ging es nicht um die Dokumen- Verdacht, dass er als polnischer Schriftsteller nur tation dessen, was in ihrem Leben zufällig vorfiel, für eines empfänglich sei: das gute Leben. Allersondern um eine Reflexion ihrer Biografie in der dings darf man diese Aussage wie so vieles bei Weltgeschichte. Auch die literarische Selbstbeob- Mrozek nicht für bare Münze nehmen. Seine achtung des eminenten Satirikers und Theater- Selbstironie verwandelt auch noch die banalsten autors Slawomir Mrozek (1930–2013) erhebt sich Erscheinungen des Lebens in ein existenzialistiweit über eine einfache «Teilnahme am Alltag». sches Problem. Eine Weltkarte in einem Reisebüro Der erste Eintrag am 26. Oktober 1962 beginnt mit etwa bestürzt ihn durch die absolute Zufälligkeit einem Geständnis: Drei Jahre zuvor habe er die der Kontinente, Bergketten, Halbinseln, die ja zwanzig Bände seiner Jugendtagebücher ver- auch ganz anders oder gar nicht da sein könnten: brannt, weil er nicht mehr derjenige habe sein wol- «Ich dachte über die Notwendigkeiten nach, die len, der er einmal gewesen sei. Mehr noch: Er sich aus dieser Zufälligkeit ergeben. Über die Welt, mochte nicht einmal mehr an sein früheres Ich er- wie sie ist. Später erweitertes Grübeln über die innert werden. Immerhin bedauert er sein Auto- Notwendigkeit meiner eigenen Person.» dafé schalkhaft im April 1967: Er hätte gerne noch das eine oder andere gefälscht, um von sich selbst Der Tod der grossen Liebe ein besseres Bild zu gewinnen. Seine Vergangenheit sei wie die Geschichte der Sowjetunion – ohne Über Privates verliert Mrozek kaum ein Wort. Am Dokumente. Das Thema taucht schliesslich im ehesten noch thematisiert er seine Situation als Dezember 1969 noch einmal auf. Mit entwaffnen- polnischer Exilschriftsteller, die zunächst alles der Offenheit schreibt Mrozek: «Erstens: Ich lüge andere als geklärt war. Am 3. Juni 1963 war er nach nicht, ich verschweige nur, manchmal. Zweitens – Italien ausgereist und liess sich zunächst an der ich weiss nicht, was ich sagen wollte.» ligurischen Küste nieder. Von Aussteigertum konnte keine Rede sein. Vor seinem Ennui war auch die Beschreibung des südlichen Lebens nicht Luzider Selbstbeobachter gefeit: «Der Lungomare von Camogli faszinierend Slawomir Mrozek ist keiner, der sich schnell zufrie- friedhöflich, fischfaulig, mit Kindern in unnatürlich dengibt, weder mit der Welt noch mit der Literatur bunten Hemden, die den Strand entlanglaufen wie noch mit sich selbst. Ständig ist er auf der Suche Bakterien.» Eine Rückkehr nach Polen war zunach seinem Ich, das ihm zwischen den Fingern nächst nicht ausgeschlossen, wurde aber immer unzerrinnt. Mrozek ist ein äusserst luzider Beobach- wahrscheinlicher. Erst nach seinem öffentlichen ter des eigenen Lebens: Meistens langweilt er sich Protest gegen die Niederschlagung des Prager mit sich selbst, manchmal widerfahren ihm aber Frühlings beschlossen die polnischen Behörden, auch Momente von existenzieller Bedeutsamkeit. ihn an eine kürzere Leine zu nehmen, und riefen So berichtet er am 7. Juni 1969 von einer Offenba- ihn zurück. Darauf notiert Mrozek störrisch: «Die rung Gottes – ausgerechnet in einem Zürcher polnischen Behörden können mich mal.» Hotelzimmer: «Er ist erschienen, weil alles andere Über lange Zeit findet sich im Tagebuch kein auseinandergefallen, zerbröckelt war, in tausend Wort über Mrozeks Ehe mit der Malerin Maria Stücken lag, zugrunde gegangen. Eine Ritze war Obremba, die er auf einer Reise durch die Sowjetentstanden, durch die Er, für einen kurzen Mo- union im Jahr 1956 kennengelernt hatte. Sie war es, ment, blickte.» Diese Vision kann aber keinen dau- die Mrozek zur Emigration gedrängt hatte. Erst im ernden Lebenssinn verbürgen. Immer wieder stol- Jahr 1969, als Mara – wie er sie nannte – an Krebs pert Mrozek über die Zufälligkeit der eigenen starb, erscheint sie in den Einträgen und dominiert Existenz. Das «volle und schöne Ich» ist unwider- das Tagebuch nach kurzer Zeit. Mrozek quält sich ruflich verloren: «Die Zweifel, die einmal aufge- mit der Abwesenheit seiner geliebten Frau, die er kommen sind, kann man unmöglich zerstreuen.» auf übernatürliche Weise als Schmetterling oder Mrozek stösst dabei auf ein doppeltes Problem: Vogel wiederkehren sieht. Dabei erlaubt sich MroSein Ich verweigert sich sowohl der Lebenserfah- zek keine parapsychologischen Spekulationen. rung als auch der Sprache. Trotzdem will er, dem sonst jeder Glaube als naive Mrozeks Scheitern an der Unsagbarkeit des Illusion erschienen ist, mit allen Kräften an die PräIchs lässt ihn an den eigenen literarischen Fähig- senz seiner Frau nach dem Tod glauben. Unvermitkeiten zweifeln. Dabei legt er die Latte hoch: Er telt wechselt Mrozek in seinem Tagebuch in das bewundert Thomas Mann, nennt das Treffen mit Briefgenre und schreibt seiner Frau ins Jenseits; er Witold Gombrowicz eine der wichtigsten Begeg- hinterlässt ihr sogar seine Adresse. In seiner Vernungen in seinem Leben und schielt jeweils auf die zweiflung denkt er an Selbstmord, der aber schon neuesten Stücke von Harold Pinter, die möglicher- deshalb als Möglichkeit ausscheidet, weil «er weise besser als seine eigenen sind. Solche Rivali- irgendwie nach einem Plan erledigt werden muss». tät steht in scharfem Gegensatz zu einer scharfen Gleichzeitig mit Mrozeks Tagebuch liegt nun Selbstkritik, in der er sein «Quasi-Schreiben» als auch sein letztes Drama «Karneval oder Adams Feuilleton Front 10.12.14 02 11.06.12//Nr. Nr.287 133//Seite Seite47 1 / Teil 01 # ! NZZ AG erste Frau» UND auf Deutsch vor. Das Stück fällt gegenBÖRSEN MÄRKTE über Mrozeks früheren Meisterwerken deutlich ab, Investoren wetten auf Lockerungen bietet aber eine interessante kosmologische WeltInvestoren in den USA Mensch bringen und sichGoethe als deutung: Adam als erster zurzeitKünstler in Position, um von einer wei- Der Karerster haben ergraute Schläfen. teren alsquantitativen geldpolitischen neval Fest der ungezügelten Fleischeslust ist zu Lockerung zu profitieren. verkommen. Während einer Cocktail-Stehparty Seite 21diskutieren, die Gäste über göttliche Gerechtigkeit zeugt der Assistent des Veranstalters mit Eva die Menschheit. Damit löst Mrozek seine Selbstcharakterisierung als Dramatiker aus dem Tagebuch ein: «Man kann davon ausgehen, dass vielerlei Ordnungen existieren, und kann ihnen ihr Versagen nachweisen, sie kompromittieren. Das ist in etwa, was ich bis jetzt getan habe.» Slawomir Mrozek: Tagebuch 1962–1969. Aus dem Polnischen von Doreen Daume. Diogenes-Verlag, Zürich 2014. 530 S., Fr. 44.90.