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104 Wissen Sicher is Immer häufiger präsentieren die Autohersteller ihre Neuerscheinungen gleich mit fünf NCAP-Sternen – einem feinen Prädikat, das die entsprechende Fuhre als besonders sicher ausweisen soll. Doch was hat es mit der Auszeichnung auf sich, und wie erlangt der Pkw den begehrten fünften Stern? Wie schön, dass der Verbraucher sicher sein kann: Autos werden immer leistungsfähiger bei der Verletzungsvorbeugung im Falle einer Kollision. Um dieser Entwicklung mehr Nachdruck zu verleihen, installierte die europäische Kommission längst ein Instrument zur Kontrolle und Steuerung sicherheitsrelevanter Entwicklungen. Schon in den Siebzigerjahren gründeten einige europäische Staaten ein Komitee, das sich mit der Sicherheit von Automobilen befasste und im Laufe der Jahre spezielle Crash-Tests entwickelte. Ähnliche Projekte starteten später auch in Australien, Japan und den USA. Die Entstehung des Euro NCAP (European New Car Assessment Programm) in der heutigen Form sollte noch bis 1997 auf sich warten lassen. Unter Führung und Promotion des FIA, des internationalen Dachverbandes des Automobils, erlangte das Projekt nicht nur mehr Ruhm, sondern auch weitere Mitglieder – auch der ADAC ist längst mit von der Partie. Euro NCAP ist zur wichtigen Institution gewachsen, an der selbst die Autohersteller ein großes Interesse haben. Es gibt kaum einen gewichtigeren Maßstab für Sicherheit in Europa als die Euro NCAP-Sterneskala. In Deutschland fungiert vor allem der ADAC als Schnittstelle und Kommunikationsplattform für die neuesten Crashtest-Ergebnisse. Als Mitglied ist er jedoch auch in der Position, die Crash-Abläufe und -arten weiterzuentwickeln. Derzeit standardisierte Euro NCAP Tests beinhalten einen versetzten Frontalaufprall mit 64 Stundenkilometer, den berühmt-berüchtigten Pfahlaufprall mit 50 km/h, verschiedene simulierte Fußgängerkollisionen sowie Bewertungen von Kinderrückhaltesystemen und -sitzen. Daraus ergeben sich drei Bewertungsblöcke, von denen jedoch lediglich der erste, nämlich die Kategorie „Insassenschutz“ besondere Popularität genießt. Wer also in der Werbung über ein Fahrzeug mit fünf Sternen im Euro NCAP-Crashtest stolpert, muss davon ausgehen, dass sich die Ergebnisse auf den Insassenschutz beziehen. Der Fußgängerschutz wird mit höchstens vier Sternen bewertet, während die Bewertung der Kindersicherheit ebenfalls bis zu fünf Sterne vorsieht. Flottenmanagement 3/2006 Auch in anderen Regionen wie zum Beispiel Japan oder den USA gibt es heute organisierte Crash-TestStandards – diese weichen aber von den europäischen ab. So hat der Fußgängerschutz beispielsweise jenseits des Atlantik sowie in Japan kaum Relevanz und ist in den NCAP-Bewertungen dementsprechend nicht zu finden. Frontalcrashs werden im Land der durchaus nicht unbegrenzten Sicherheit keinesfalls versetzt durchgeführt, sondern deckungskonform. In Japan kommen beide Formen zum Einsatz. Auf Kindersicherheit legt man in Japan Wert, die Staaten berücksichtigen auch dieses Thema nicht. Erweiterte Tests beim Seitenaufprall werden weder in Japan noch den USA durchgeführt. Die InselAsiaten beschränken sich auf den Pfahlaufprall mit 50 Stundenkilometer im 90 Grad-Winkel, die Amerikaner favorisieren eine etwas veränderte Seitenaufprall-Variante im 27 Grad-Winkel. Es gibt Ideen, sämtliche Testvarianten in einem sogenannten World NCAP zusammenzuführen. Der Testdummy leidet vollständig verkabelt für unsere Sicherheit (oben) Frontimpact: Theorie des Frontalaufpralls... Peugeot: ...und Praxis am Beispiel des Peugeot 207 (großes Bild) Bei allen Vorteilen solcher festgelegten Crashs gibt es freilich auch kritische Stimmen. Zu wenig Individualität und Flexibilität könnte man den Programmen beispielsweise vorwerfen, was den ADAC dazu bewegt, auch eigene, vom NCAP losgelöste UnfallSimulationen durchzuführen. Wie steht es um die hintersten Insassen in einem Van, falls der Unfallgegner einmal von hinten kommt? Der sogenannte Partnerschutz f indet ebenso kaum Beachtung. Inwieweit Wissen st sicher gefährdet der aufprallende Verkehrsgegner mein eigenes Fahrzeug? Zu den selten thematisierten Sicherheitsgebieten gehört auch die Frage, wie sicher ein Cabrio beim Überschlag ist. Immerhin ist der Anteil von offenen Fahrzeugen am Gesamtmarkt fast so hoch wie jener der oberen Mittelklasse. Wichtiger wird erwartungsgemäß auch die Frage nach der Dichtigkeit von Erdgastanks, schließlich wird der Anteil gasbetriebener Autos künftig steigen. Demnach wartet noch eine ganze Menge Arbeit auf die Verantwortlichen der NCAP-Projekte. Dass sich indessen etwas tut, zeigt die noch recht frische Kategorie „Fußgängerschutz“. Allerdings ist das Thema auch bei der EU längst angekommen und auch ernst genommen. Bis zum Jahr 2010 soll eine Richtlinie erlassen werden, die noch strengere Sicherheitsnormen vorsieht und ohne die keine Typenzulassung stattfindet. Citroën geht hier neue Wege – der C6 ist erstmals mit einer aktiven Motorhaube ausgestattet, welche im Falle einer Fußgängerkollision hochschnellt und mehr „Knautschzone“ generiert. An erster Stelle steht jedoch der Insassenschutz – ab 33 Punkten gibt es die begehrten fünf Sterne. Die Kategorie besteht aus drei Unterkategorien – Frontcrash, Seitenaufprall und Gurtwarner. Maximal 16 Punkte werden für gute Leistungen bei der Frontalkollision fällig; 18 Punkte gibt es in der Wertung Seitencrash, und wer einen Gurtwarner einsetzt, kann nochmal drei Punkte einheimsen. Auch dies stand durchaus schon in der Kritik, da der Aufwand eines Gurtwarnsystems flüchtig betrachtet in keinem Verhältnis zum Punktevorteil der NCAP-Punktevergabe steht. Die Zahl der „Gurtmuffel“ jedoch sollte kaum unterschätzt werden, und heutige Gurtwarner lassen den Fahrer tatsächlich so lange nicht in Ruhe, bis er sich angeschnallt hat – wenn das kein Sicherheitsgewinn ist. Crashtest-Ergebnisse kommen keineswegs per Zufall zustande; vielmehr sind sie Resultat standardisierter und vor allem aufwendig gestalteter Messmethoden. Da sind zu berücksichtigende Dinge wie zum Beispiel gleiche Klimabedingungen noch von der einfacheren Sorte. Dennoch spielen auch auf den ersten Blick simpel erscheinende Kriterien eine große Rolle, schließlich können sämtliche Materialien ihre Eigenschaften aufgrund von Witterung verändern. Doch auch Crashtests sind nicht ganz frei von Subjektivität. Die Punktevergabe beispielsweise beim Insassenschutz unterliegt keinesfalls etwa streng festgelegten Normen. Natürlich gibt es hier eine ganze Reihe von gleichen Kriterien – Gutachter untersuchen die Verformung der Fahrgastzelle, schauen, ob sich der Fußraum stark deformiert hat, achten auf die Lenkrad-Stellung, messen, welcher Kraft es bedarf, um sämtliche Türen zu öffnen und überprüfen die Position der Pedale. Um möglichst gleiche Crashbedingungen zu schaffen, werden die Dummies genau festgelegten Unfallabläufen ausgesetzt und umfangreich verkabelt. Wie gut das zu testende Fahrzeug aber letztlich abschneidet, hängt von der Beurteilung der Spezialisten ab, die durchaus auf ihre langjährige Erfahrung vertrauen. Aus den Kreisen von Unfallforschern ist jedoch zu hören, dass auf diese Weise lediglich rund zehn Prozent der real stattfindenden Unfälle abgebildet werden – das sollte zu denken geben. Flottenmanagement 3/2006 105