Die stille Sucht
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Die stille Sucht
Politik Dënschdeg, den 13. Februar 2007 – N° 030 Blo beliicht Lesen, was nicht geschrieben steht Die vergangene Polit-Woche wurde vom Einheitsstatut beherrscht. Nachdem sowohl Patronatsverbände als auch DP offen ihre Bedenken bezüglich der „Jahrhundertreform“ in der vorliegenden Fassung äußerten, gab sich Premier Juncker am Freitag anlässlich des Pressebriefings überraschend optimistisch, ein Kompromiss sei in greifbarer Nähe. Schön wär’s. Denn am gleichen Tag nahm die CSV-Hausgewerkschaft ihrerseits erneut Stellung zu einem Teil des Problems Einheitsstatut. In einer Pressemitteilung verlangte der LCGB einen einheitlichen Satz für Überstunden, der in Richtung 50% Prämie gehen müsse. Zu einem Zeitpunkt, da alles auf der Kippe steht, mit unsinnigen klassenkämpferischen Forderungen an die Öffentlichkeit zu treten, zeugt nicht eben von grossem politischen Feingefühl bei den LCGB-Oberen. Zudem beschimpfte man en passant noch eben mal verschiedene Patronatsverbände mit unhaltbaren Verdächtigungen, und die Opposition (gemeint war aber nur die DP) wurde wegen ihrer Stellungnahmen zum Einheitsstaut noch flugs des Populismus angeklagt – wenn einem sonst nichts mehr einfällt .... Bemerkenswert ist aber, was in der LCGB-Pressemitteilung alles nicht stand, wider besseres Wissen: Kein Wort über drohende Arbeitsplatzvernichtungen, kein Wort über eine marktverzerrende Verschlechterung der Bedingungen im Mittelstand, kein Wort über eine Zusatzbelastung der Privatbeamten. Generalgenosse Weber müsste mittlerweile doch aber mitbekommen haben, dass in Sachen Einheitsstatut genügend Porzellan zerschlagen wurde, und dass zackige Forderungen hier nicht mehr sehr dienlich sind. Sogar im „D’Wort“ gelangte der ansonsten nicht überaus liberal gesinnte Marc Glesener, mit Blick auf die besorgniserregende Lage am Arbeitsmarkt zu der Erkenntnis, dass „die Schwächeren die längerfristigen Kosten des Projekts tragen müssen“, da die Betriebe „eine finanzielle Mehrbelastung meist nach unten abwälzen“. Einsicht überall, nur nicht bei Weber, dem die Haut näher ist las das Hemd. Wird sich Juncker am Ende gar noch gegen hausinterne Gewerkschaftsgebaren durchsetzen müssen? › Georges Gudenburg, DP Generalsekretär Wissenschaftliche Abhandlung von Dr. Jean-Marc Cloos Die stille Sucht Mehr als 5% der Bevölkerung sind abhängig von Beruhigungs- und Schlafmitteln Schlafprobleme, sich übertrieben Sorgen machen, Ängstlichkeit, Überforderung, Stress oder das Gefühl ausgebrannt zu sein, „nicht mehr zu können“ bis hin zu länger andauernden Stimmungstiefs – jeder Mensch macht im Laufe seines Lebens Phasen durch, in denen er sich in unterschiedlichem Maß „schlecht“ fühlt oder deprimiert ist und dann auch Hilfe sucht. Allerdings spricht man medizinisch gesehen erst von einer „Depression“, wenn ein Tief länger als zwei Wochen andauert. Medikamentös kann dann mit Antidepressiva behandelt werden, die aber eine gewisse Zeit brauchen bis sie ihre Wirkung entfalten. Angaben der Krankenkassenunion nach, hat sich der Konsum von Antidepressiva in den letzten Jahren drastisch erhöht. So erstatteten die Krankenkassen im Jahr 1999 3.511.067 Euro für ambulant, also außerhalb der Krankenhäuser verschriebene Antidepressiva zurück – 2005 waren es bereits 6.002.273 Euro. Analysen dieses Phänomens stehen derzeit noch aus. Dafür hat aber nun der in der Clinique Ste Thérèse tätige Psychiater und Verhaltenstherapeut Dr. JeanMarc Cloos im Rahmen seiner Zusatzausbildung zur Behandlung von Suchtkrankheiten eine wissenschaftliche Abhandlung zum Problemfeld der Benzodiazepine vorgelegt („Les Benzodiazépines au Grand-Duché de Luxembourg“). Benzodiazepine (Beruhigungsmittel, Schlafmittel, Muskel entkrampfende Mittel, etc) sind das verschreibungspflichtige Mittel der Wahl bei Angstzuständen, akuten Stressreaktionen, Panikattacken und Schlafstörungen, da sie direkt wirken und schnelle Hilfe in Akutsituationen bringen, bergen jedoch die seit ihrer Einführung in den 70er Jahren bekannte Gefahr in sich, eine Abhängigkeit zu entwickeln. Grundlage zur Entwicklung von medizinischen Richtlinien Dr. Cloos beschreibt in seiner Abhandlung die Wirkweise dieser Stoffe, die Kriterien für die Diagnose eines schädigenden oder problematischen Konsums sowie einer Sucht, wie oft Benzodiazepine in Luxemburg im internationalen Vergleich benutzt werden, wie ein vor allem ambulanter Entzug gehandhabt werden kann, welche Präventionsmaßnahmen unsere Nachbarländer bereits ergriffen haben und schließt mit einer Diskussion der für Luxemburg zu empfehlenden Maßnahmen – bietet also eine exzellente Grundlage für die zügige Entwicklung von Richtlinien für den Umgang mit einem Problemfeld, von dem eine vergleichsweise hohe Zahl von Patienten betroffen ist. Patienten, deren Fähigkeiten, Auto zu fahren oder Maschinen zu bedienen aufgrund der Wirkstoffe eingeschränkt sind. Die Studie basiert auf den Zahlen des medizinischen Kontrolldienstes der Krankenkassen über die in den Apotheken zwischen 1995 und 2004 ausgehändigten Mengen. 166.781 verschiedene Personen haben in den letzten zehn Jahren Beruhigungsmittel eingenommen, 2/3 davon sind über 50 Jahre alt und weitere 2/3 dieser Altersgruppe sind Frauen. Bezüglich der Substanzen zeigt lediglich das Alprazolam (s. Tabelle) eine Verdreifachung der Verschreibungen. Anzunehmen ist demnach, dass die Gefahr einer Sucht mit einer steigenden Dosierung – einer so genannten Toleranzentwicklung – bei dieser Substanz höher ist als bei anderen Präparaten. Alarmierender Anstieg der Hochdosiskonsumenten Bei 42% der Betroffenen (70.066 Personen) stellt man fest, dass sie einen problematischen Konsum aufweisen, der über den für diese Medikamente empfohlenen kurzen Zeitraum von 8-12 Wochen hinausgeht – das beträfe 15,4% der Gesamtbevölkerung. Geschätzt wird, dass sich bei 50% der Patienten, die Beruhigungsmittel in niedriger Dosis über mehrere Jahre einnehmen, eine Sucht einstellt. „Dans l´échantillon des assurés luxembourgeois, 46.318 des sujets ont eu une délivrance en continu de benzodiazépines supérieure à un an. Si la moitié de ces sujets serait dépendante, cela représenterait plus que 5% de la population“, schlussfolgert Dr. Cloos in seiner Abhandlung. Luxemburg bewegt sich somit auf dem Niveau von Frankreich und Belgien, die einen 2-3 mal höheren Konsum an Beruhigungsmitteln aufweisen als die anderen europäischen Länder. Die meisten dieser Patienten nehmen – trotz Abhängigkeit – nur kleine tägliche Dosen von Benzodiazepinen zu sich, ungefähr 0,4% der Bevölkerung sind jedoch Hochdosiskonsumenten. Mit steigender Tendenz, denn die Zahl hat sich von 1995 bis 2004 verdoppelt und zeigt damit eine Entwicklung an, die beunruhigt, da diese Personen jegliche Kontrolle über ihren Konsum verloren haben, und ihr „Suchtmittel“ ohne größere Schwierigkeiten von Ärzten und Apotheken bekommen – manchmal sogar ohne Rezept. Man sollte sich jedoch davor hüten, die Verschreibung von Beruhigungsmitteln generell zu verteufeln, denn sie haben durchaus ihre therapeutische Daseinsberechtigung und müssen aus diesem Grund differenziert betrachtet werden. „Von epilep- tischen und spastischen Problemen abgesehen, sind sie sehr wirksam bei akuten Angstzuständen und in Kombination mit antidepressiven Behandlungsformen, quasi als Übergangslösung bis andere Therapien wirken. Meist werden jedoch diese Therapien, die auf eine Langzeitwirkung hinarbeiten und die Ursachen behandeln, nicht weiter verfolgt, weil das Beruhigungsmittel ja so gut wirkt. Und das birgt dann eben die Gefahr einer Abhängigkeit“, beschreibt Dr. Cloos eines der Probleme. Der „Rebound-Effekt“ ist ein weiteres. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Faktoren, eine Sucht zu entwickeln individuell verschieden sind und manch chronischer Konsument auch nach etlichen Jahren die Einnahme ohne Entzugserscheinungen abrupt abbrechen kann, so ist dies doch nicht die Regel. „Bei den meisten Patienten verstärken sich in den ersten 1-2 Tagen nach dem Absetzen die Angst- oder Stresssymptome, ohne dass dies jedoch gleich eine Sucht bedeutet. Meist greifen die Patienten dann jedoch schnell wieder auf das Medikament zurück, das auch direkt wirkt. Der Patient ist dann überzeugt, dass die Substanz genau die richtige Hilfe für seine „Pathologie“ ist, eine Pathologie, die er jedoch vor der Einnahme des Präparates gar nicht hatte“, erklärt Dr. Cloos und fügt hinzu: „Das ist den Patienten oft sehr schwer zu erklären.“ Seiner Erfahrung nach haben 20% der in einem Hauptkrankenhaus hospitalisierten Patienten ein irgend geartetes Suchtproblem, sodass Dr. Cloos derzeit darum bemüht ist, vom Gesundheitsminister eine auf Suchttherapie spezialisierte Abteilung in der Zithaklinik genehmigt zu bekommen. Annette Duschinger Dr. Jean-Marc Cloos, Psychiater, Verhaltens- und Suchttherapeut Nom chimique alprazolam bromazépam brotizolam clobazam clonazépam clorazépate clotiazépam cloxazolam diazépam VALIUM flunitrazépam flurazépam kétazolam loflazépate loprazolam orazépam lormétazepam midazolam nitrazépam nordazépam oxazépam prazépam tétrazépam triazolam › Photo: du Noms commerciaux® ALPRAZ, ALPRAZOLAM MERCK, ALPRAZOLAM SDZ, DOCALPRAZO MITHRA ALPRAZOLAM XANAX XANAX RETARD ANXIOCALM, BROMAZANIL, BROMAZEPAM EURGN, BROMIDEM LEXOTAN LENDORMIN FRISIUM RIVOTRIL TRANXENE, UNI-TRANXENE CLOZAN AKTON DIAZEPAM EURGN, DIAZEPAM RATIO, FLUMINOC, FLUNITRAZEPAM EURGN, HYPNOCALM, ROHYPNOL STAURODORM SOLATRAN VICTAN DORMONOCT DOCLORAZE, LAURACALM LORAZEPAM EURGN, LORIDEM, SERENASE, TEMESTA TEMESTA EXPIDET, VIGITEN DOCLORMETA, LORAMET, LORANKA, LORMETAZEPAM EURGN, NOCTACALM NOCTAMID, STILAZE DORMICUM, MIDAZOLAM FRSN MOGADON CALMDAY OXAZEPAM EURGN, SERENAL SERESTA, SERESTA FORTE, TRANQUO LYSANXIA MYOLASTAN HALCION Chemische Substanz und Namen der in Luxemburg gehandelten Benzodiazepine (Stand: 01.12.2006) Tabelle: Dr. J-M Cloos