Qualitätsmessung mit Krankenkassendaten
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Qualitätsmessung mit Krankenkassendaten
Qualitätsmessung mit Krankenkassendaten Dirk Horenkamp-Sonntag 5. Qualitätssicherungskonferenz des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) Vortragsveranstaltung-Nr.2: Neue Methoden und Instrumente – Nutzung von Routine- und Sozialdaten 14. bis 15. Oktober 2013, Berlin Inhalt 1. Gedanken-Spiele zur QS-Messung 2. TK-Daten-Potentialanalyse Wie viele Ärzte stehen mit wie vielen TK-Versicherten zur Verfügung, um Aussagen zu QS-Aspekten auf individueller Arztebene treffen zu können? 3. QS-Indikatoren-Recherche Welche QS-Indikatoren stehen mit welchen DatenAnforderungen potentiell zur Verfügung, um QS zu messen? 4. QS-Indikatoren-Priorisierung Welche QS-Indikatoren sind geeignet, um mit TK-Routinedaten erste (testweise) Aussagen zu QS-Aspekten auf individueller Arzt-Ebene treffen zu können ??? 5. Schlussfolgerungen & Ausblick 2 Gedanken-Spiele zur Qualitäts-Messung mit GKV-Routinedaten Ein GKV-Versicherter meldet sich telefonisch bei seinem Krankenkassen-Kundenservice… o GKV-Versicherter ist von Sylt nach Berlin umgezogen und fragt nun bei seiner Krankenkasse nach, wie er in der sehr großen und z.T. unübersichtlichen Hautstadt einen "guten" Hausarzt finden kann o Kundenservice-Mitarbeiter bittet in diesem Zusammenhang den Versicherten um ein Einverständnis für einen GKV-Routinedaten-Check o beim GKV-Routinedatencheck wird festgestellt, dass Vater und zwei Brüder des Versicherten an einem Colon-Ca in den letzten 5 Jahren verstorben sind und der bislang gesunde Versicherte in den letzten 10 Jahren weder koloskopiert und noch gastro-enterologisch behandelt worden ist o das Telefongespräch wird an einen GKV-Beratungsarzt weitergeleitet o der GKV-Beratungsarzt informiert den GKV-Versicherten über familiäres Darmkrebsrisiko und schlägt deshalb einen Termin bei einem „spezialisierten“ Gastroenterologen vor o das Telefongespräch wird an den Kundenservice-Mitarbeiter zurückgegeben o der Kundenservice-Mitarbeiter recherchiert nach Anforderungen, die der GKV-Beratungsarzt vorgegeben hat, in der GKV-Leistungserbingerdatenbank einen Gastroenterologen (z.B. Nachweis bestimmter Hygieneanforderungen, z.B. minimale Komplikationsraten) sowie einen Humangenetiker (Vorgabe bestimmter Fallzahlen) sowie einen Hausarzt in Wohnortnähe (max. Zufriedenheitswerte) o dem GKV-Versicherten werden telefonisch die Adressen von Hausarzt, Gastroenterologen und Humangenetiker mitgeteilt sowie auf Wunsch ein erster Beratungstermin hierzu vereinbart 3 TK-Daten-Potentialanalyse a priori gestellte Fragen 1. Wie viele Vertragsärzte mit welcher Fachgruppe stehen wo zur Verfügung ??? 2. Inwieweit gibt es bei der TK Abweichungen zur GKV-Verteilung ??? 3. Inwieweit sind Häufigkeit und regionale Verteilung im zeitlichen Verlauf stabil ??? (Cave: Persistenz-Kriterien) 4. Wie viele Vertragsärzte welcher Fachgruppe behandeln TK-Versicherte direkt ??? (Cave: Überweisungsverhalten) 5. etc.…. 4 Häufigkeit und regionale Verteilung von "TK-Vertragsärzten" alle 2009 2009 Q2 2009 Q3 Q1 2008 Q4 Q4 2008 Ø 2009 Allgemeinmedizin in Bayern im Zeitverlauf Differenzierung nach Anzahl behandelter TK-Patienten je Arzt Q3 48,2% aller Allgemeinmediziner in Bayern behandeln max. 50 TK-Versicherte pro Quartal in ihren Praxen 0% 10% Anteil Ärzte mit 1-25 TK-Pat. 20% 30% Anteil Ärzte mit 26-50 TK-Pat. 40% 50% Anteil Ärzte mit 51-75 TK-Pat. 60% 70% Anteil Ärzte mit 76-100 TK-Pat. 80% 90% 100% Anteil Ärzte mit > 100 TK-Pat. 5 Häufigkeit und regionale Verteilung von "TK-Vertragsärzten" Allgemeinmedizin im IV. Quartal 2009 durchschnittliche Anzahl TK-Versicherte nach KV-Bereich gemittelt 77 12 Sachsen 4 Thüringen 4 Sachsen-Anhalt 4 Brandenburg 39 44 50 69 7 Mecklenburg-Vorpommern 76 6 Saarland 18 Berlin 16 Bayern 73 111 65 4 Baden-Württemberg 74 6 Rheinland-Pfalz 64 in Berlin durchschnittlich drei Mal mehr TK112 Versicherte pro Allgemeinmediziner als in Sachsen 18 Hessen 15 Nordrhein 92 20 Westfalen-Lippe 113 10 Niedersachsen 97 17 Bremen 64 16 Hamburg 59 32 Schleswig-Holstein 104 12 0 20 40 durchschnittliche Anzahl Versicherte je Arzt: nur Versicherte mit Überweisung 60 80 100 120 140 durchschnittliche Anzahl Versicherte je Arzt: nur Versicherte ohne Überweisung Abweichung zwischen Min. und Max. (Anzahl): 84 (gesamt: mit und ohne Überweisung) Abweichung zwischen Min. und Max. (Anteil): 94,5% (gesamt: mit und ohne Überweisung) 6 Häufigkeit und regionale Verteilung von "TK-Vertragsärzten" Allgemeinmedizin im IV. Quartal 2009 Leistungsinanspruchnahme bei TK-Versicherten nach KV-Bereich gemittelt 52,2% 47,8% Sachsen in Berlin geht "nur" jeder dritte TKVersicherte zum Allgemeinmediziner 53,4% 46,6% Thüringen 48,3% Sachsen-Anhalt 47,6% Brandenburg 51,7% 52,4% (vs. Rheinland Pfalz mit 2/3 der TK-Versicherten) 61,6% 38,4% Mecklenburg-Vorpommern 53,1% 46,9% Saarland 43,0% 57,0% Berlin 64,9% 35,1% Bayern 45,6% 54,4% 45,9% 54,1% Baden-Württemberg Rheinland-Pfalz 35,4% 64,6% Hessen 41,7% 58,3% Nordrhein 60,3% 39,7% Westfalen-Lippe 56,9% 43,1% Niedersachsen 43,6% 56,4% Bremen 55,1% 44,9% Hamburg 52,4% 47,6% Schleswig-Holstein 53,8% 46,2% 0% 10% 20% 30% 40% Anteil Versicherte mit Leistungsinanspruchnahme (bei einem Arzt der untersuchten Fachgruppe) 50% 60% 70% 80% 90% 100% Anteil Versicherte ohne Leistungsinanspruchnahme (bei einem Arzt der untersuchten Fachgruppe) 7 TK-Daten-Potentialanalyse zusammenfassendes Fazit 1. Fallzahl-Problematik o Anzahl TK-Versicherte pro Arzt einer Fachgruppe pro KV-Region sind tendenziell zu niedrig, um flächendeckend mit Routinedaten QS zu messen 2. Hausärzte o höhere Versicherten-Fallzahlen pro Arzt o heterogen zusammengesetztes Patientenkollektiv Cave: alle Altersgruppen, alle Krankheiten, Akut Erkrankte mit wenigen und ggf. unregelmäßigen Arztkontakten, Chroniker mit häufigen und ggf. regelmäßigen Arztkontakten, direkte Kausalität durch wenig überwiesene Versicherte, regional überall mit höheren Arztzahlen vertreten 3. Fachärzte o niedrigere Versicherten-Fallzahlen pro Arzt o homogen zusammengesetztes Patientenkollektiv Cave: selektierte Altersgruppen, bestimmte Schwerpunkt-Krankheiten, mehr Chroniker mit häufigen und ggf. regelmäßigen Arztkontakten, viele überwiesene Versicherte, in Abhängigkeit von Fachgruppe regional sehr kleine Arztzahlen 8 QS-Indikatoren-Recherche: Methodik Welche QS-Indikatoren stehen mit welchen Daten-Anforderungen potentiell zur Verfügung, um Qualität zu messen? 1. Recherche nach ambulanten QS-Indikatoren a) Systematische Recherche o Quinth-Datenbank b) "freie" Recherche o u.a. nationale Versorgungsleitlinien o u.a. DMP-Programme o u.a. AQUIK 2. synoptischer Bewertung a) interne Priorisierung nach Machbarkeitsaspekten o u.a. methodische Problemfelder (z.B. versichertenbezogene Validität von Heil- und Hilfsmitteldaten) b) Berücksichtigung von Sonderkonstellationen o z.B. selektivvertragliche Dokumentations-Ausnahmeregelungen 9 Synoptische Bewertung von QS-Indikatoren Influenza-lmpfrate Indikator o Influenza-lmpfrate der Versicherten ab 65 Jahren o Alle Personen, die 65 Jahre und älter sind, sollten jährlich gegen Influenza geimpft werden, angestrebt wird eine Durchimpfungsrate von 70% Datenquelle o QISA und RKI / STIKO Messung mit TK-Routinedaten: möglich o abbildbar: Anzahl und Anteil der Älteren (65 Jahre und älter) sowie (ggf. mit "Abstrichen") Art und Umfang der Durchführung von Impfungen (ggf. inkl. Impfstoffen) o Vorteil: bei der Altersgruppe sind wenig externe Verzerrungen vorhanden (z.B. Impfungen über Arbeitgeber, die nicht in den Routinedaten auftauchten) o Nachteil: fehlende Berücksichtigung "individualisierter" Medizin (z.B. bewusste Entscheidung gegen eine Impfung) 10 Synoptische Bewertung von QS-Indikatoren Hospitalisierung wegen hüftgelenksnaher Frakturen Indikator o Indikator gibt den Anteil älterer Versicherter ab 70 Jahren an, die wegen einer hüftgelenksnahen Fraktur stationär behandelt wurden. o Hüftgelenksnahe Frakturen sind eine schwere und kostenintensive Folgeerkrankung von Stürzen. 90 % dieser Frakturen sind sturzbedingt. Sie führen häufig zu einer bleibenden Funktionseinschränkung oder zu einer dauernden Pflegebedürftigkeit. o Ziel von Präventionsmaßnahmen ist es daher, Stürze und Sturzfolgen bei älteren Menschen zu verhindern. Datenquelle o QISA: Band E1 Indikator 11 Messung mit TK-Routinedaten: möglich o Alter und Hospitalisierung sind operationalisierbar o problematisch hinsichtlich Kausalität (Verantwortung und Einflussnahme eines Arztes) und Morbiditätsadjustierung (z.B. Hausarzt mit Schwerpunkt auf Seniorenheim-Betreuung) 11 Synoptische Bewertung von QS-Indikatoren Asthmatiker-Hospitalisierungsrate Indikator o o Indikator "Hospitalisierungsrate der Asthmatiker" o Zähler: Asthmatiker, die im Beobachtungszeitraum für eine stationäre Behandlung hospitalisiert wurden o Nenner: Anzahl der (im Netz eingeschriebenen) entdeckten Asthmatiker Primär ist Asthma eine ambulant zu behandelnde Erkrankung o o o Bei Exazerbationen oder Komplikationen kann eine stationäre Behandlung erforderlich werden Indikationen zur Krankenhauseinweisung o Asthmaanfälle mit drohender Ateminsuffizienz (können u.U. lebensbedrohlich sein) o mangelhaftes Ansprechen auf therapeutische Maßnahmen, o schwerwiegende Risikofaktoren und Progredienz der Symptomatik Hospitalisierungsrate gilt bei vielen Outcome-Studien zu Asthma als "harter Endpunkt" o z.B. im Hinblick auf psychosoziale Prädiktoren (Eisner, M.D. et al. 2001) und adäquate Medikation (Bjermer, L. et al. 2003; Ilowite, J. et al. 2004; Nelson, H.S. et al. 2000). Datenquelle o QISA: Band C1 Indikator 6 Messung mit TK-Routinedaten: möglich o abbildbar: sowohl Asthma-Diagnose als auch Hospitalisierung (Kausalität insbesondere bei DMP gegeben) 12 Synoptische Bewertung von QS-Indikatoren AOP: Wundinfektionsrate nach ambulanten OPs Indikator o Wundinfektionsrate nach Operationen in Einrichtungen für ambulantes Operieren o z.B. bei de Indikation Knie Anzahl der Wundinfektionen bei Patienten nach einer arthroskopischen Kniegelenks-OP in einem Beobachtungszeitraum x 100 bezogen auf die Anzahl der in dem Beobachtungszeitraum durchgeführten OP´s o mögliche Indikationen Korrektur einer Hallux valgus Deformität, Leistenhernien-OP, Hoden-OP, endoskopisch suprazervikale Hysterektomie, lumbale Bandscheiben-OP, lokale Exzision der Mamma, Vergrößerung der Mamma, Nasenseptum-OP, Varizen-OP o Qualitätsziel: niedrige Wundinfektionsraten Datenquelle o Nationales Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen (NRZ) Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS): nationale Referenzdatenbank Messung mit TK-Routinedaten: möglich o abbildbar: sowohl Art und Umfang des Eingriffs als auch postoperative Komplikationen 13 QS-Indikatoren-Recherche Priorisierung für erste (Test-) Umsetzungen Welche QS-Indikatoren sind unter methodischen und arbeitsökonomischen Aspekten besonders geeignet, um mit GKV-Routinedaten erste (testweise) Aussagen zu QS-Aspekten auf individueller Arzt-Ebene treffen zu können ??? 14 QS-Indikatoren-Recherche: Zusammenfassung Priorisierung 1. Krankheitsbild Asthma-COPD o Asthmatiker-Hospitalisierungsrate o NVL-Nationale Versorgungsleitlinie Asthma o Disease-Management-Programme: DMP-Asthma-COPD 2. Schwerpunkt "Ambulantes Operieren" o Wundinfektionsrate nach ambulantem Operieren o Stationäre Aufnahmen für Eingriffe aus dem AOP-Katalog o Arbeitsunfähigkeit 3. Schwerpunkt "Hausärztliche Versorgung" o Influenza-Impfrate der Versicherten ab 65 Jahren o Hospitalisierung wegen hüftgelenksnaher Frakturen o Krankenhauseinweisungen bei Harnwegsinfekt o Optimierung Pharmakotherapie (Umsetzung Priscusliste) o verschieden konsultierte Hausärzte (Anzahl unterschiedlich konsultierter Hausärzte pro Versichertem) 15 Diskussion o große Themenbandbreite ambulanter QS-Indikatoren für GKV-Routinedaten o o Fallzahl-Problematik o o für viele Indikatoren dürfte die niedrige Fallzahl für eine arztbezogene QS-Messung schwierig sein Kausalitäts-Interpretation o o teilweise ist eine Zusammenfassung zu krankheitsspezifischen Themenschwerpunkten möglich es gibt Probleme hinsichtlich der Kausalität bei der Interpretation von QS-Effekten (z.B. Verantwortung von Haus- vs. Facharzt bei AOP-Indikationen) "erweiterte" GKV-Routinedaten-Grundlage erforderlich o zum Krankheitsbild Asthma-COPD existieren zahlreiche QS-Indikatoren, die sich nur unter Verwendung der DMP-Dokumentationsdaten anwenden lassen o Cave: teilweise eingeschränkte Validität der DMP-Dokudaten 16 Fazit Obwohl Krankenkassen über eine sehr breite sektoren-übergreifende Datengrundlage verfügen, mit der sowohl versicherten- als auch arztbezogene Analysen möglich sind, stehen nur einzelne Indikatoren für eine arztbezogene QS-Messung im ambulanten Bereich zur Verfügung. Unabhängig davon ist für jeden Indikator separat die Validität der zur Grunde liegenden Routinedatenparameter sowie die Möglichkeiten zur praxisübergreifenden Morbiditätsadjustierung zu prüfen. 17 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! D. Horenkamp-Sonntag | www.wineg.de | [email protected] 18