DSCHELADA

Transcrição

DSCHELADA
Carlo Bernasconi
DSCHELADA
Eine Verdunkelung
Das Stück wurde im März 1991 im Stadttheater Bern uraufgeführt.
−
henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1991
Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der
Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und
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henschel SCHAUSPIEL
Oranienburger Straße 67/68
0-1040 Berlin
Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsex-emplar
unverzüglich an den Verlag zurückzusenden.
I
Plötzlich und unerwartet von uns gegangen.
Herzinfarkt, Mord?
Man weiß nie etwas Genaues.
Von einem Tier begangen, das in die Aorta
beißt, mit scharfen Zähnen?
Niemand weiß etwas Genaues.
Ein naher Verwandter? Möglich.
Der Wein ist schnell getrunken. Leichter Rotwein.
Die Beteuerungen hinuntergespült.
Wir werden dem Verstorbenen ein ehrendes
Andenken bewahren.
Die Hinterbliebenen. Was da alles getrunken
wird.
Dazu kaltes Fleisch mit Gurken und Silberzwiebelchen.
Ja: Ein Mensch der Güte und der
Eintracht.
Wird ans Licht der Welt gezerrt.
Ich bin hier am falschen Ort. Jeden Morgen
liegt dieser Staub auf der Wanduhr.
Ein Hochzeitsgeschenk des Vaters. Kürzlich
bin ich mit dem Finger darübergefahren und
habe aus Versehen eine Fliege erschreckt.
Ein frühes Zeichen des Todes verändert sich im
Laufe seines Lebens nie.
Mir bleibt die Arbeit, auch ohne Spaß.
Genau.
Ein Zaungast des eigenen Lebens.
Später stehlen sie die Würmer vom Grab, zum
Angeln. Satte, kleine Würmer, und die Diebe
sind meistens Angestellte.
Schaum auf dem Wasser und Schaum im Kopf.
Wie alle.
Angst um die Stelle.
3
Eines Tages, ich weiß es nicht mehr so
genau, wache ich auf und habe mein Unternehmen verloren. Wie man einen Lottoschein
verliert. Die alten Herren, die Gründer,
Kompagnons, sind gestorben. Die Jugend verträgt sich nicht mehr. Die Firma wird halbiert wie ein Pfirsich und der Boden verkauft. Das Geld streicht die Mutter ein.
Gutes Industrieland. Man baut jetzt Hochhäuser darauf.
Oder ein Puff.
Ich entlassener Unternehmer kaufe mich als
neuer Kompagnon ein, beim Zunftfreund. Viel
Geld habe ich immer gespart.
Der wirft mich nach drei Monaten wieder raus.
War auch eine Glashandlung, aber jetzt in
einem Vorort.
Dann gehe ich auf die Bank arbeiten. Habe ich ja
gelernt. Kaufmannssohn aus gutem Haus. Eines
weiteren Tages, die Sonne hat sehr lange
nicht mehr geschienen, wache ich wieder auf
und bin geschieden und von dem Schalter nach
hinten versetzt. Ein Büro wie in einer Klinik
mit Nierensteinzertrümmerer.
Jetzt prüfe ich Anträge auf Kleinkredite.
Sehe abends fern und morgens schlecht aus.
Wer die Nummer nicht bringt, wird gestrichen.
Wie im Zirkus.
4
II
Jeden Tag beginnt das Sterben von neuem.
Es ist aus, Herr Oberst und Zahnarzt.
Ich, ausgemusterter Unteroffizier ohne
besondere Auszeichnung, keine Teilnahme an
Kriegen, melde mich ab.
Verdammt. Zum Gehorsam.
Das Kontingent an gegenseitig und vertraglich
vereinbarter Zuneigung zu ihrer Tochter ist
erschöpft.
Sie liebt einen anderen, sagt sie.
Mit dem Stromkabel machen sie es heute.
In Altbauwohnungen. Die Zimmer sind hoch
genug zum Baumeln.
Das ist Wahrheitsfindung:
Noch ein wenig Licht auf diesen schattigen
Weg, das sich bricht im Blätterwerk des
Jungwaldes.
Oder ein Spaziergang an einem Herbstmorgen und das
Laub raschelt bei jedem Schritt.
Oh, Sie wollen nur das Beste für mich. Alle sagen
es jetzt, ganz deutlich. Es dringt aus den Wänden,
aus den Ritzen im Fußboden, von der Decke, aufgerissen der Kalk von Gebeten, ausgestoßen im
ungeheizten Raum, plätschern süße Worte.
Auch jetzt: NUR DAS BESTE.
5
III
DAMALS SASS DIESER STRAMME JUNGE AUS KREFELD, JOCHEN,
NACHTS UM HALB DREI AUF DEM SOFA MIT
CHAMPAGNER UND RITA. WIR HATTEN IHN
VORÜBERGEHEND AUFGENOMMEN UND IHM EIN ZIMMER
GEGEBEN. ER ARBEITETE IM BETRIEB DES VATERS
MIT UND WAR EINE TÜCHTIGE KRAFT. SIE IM
NACHTHEMD UND ER IN KURZEN HOSEN. EINE
SCHWÜLE SOMMERNACHT LÄSST DIE HERZEN NICHT
ALLEINE. DAS GELÄCHTER DRINGT BIS IN DIE
TRÄUME DER KINDER. ICH SAGTE NUR. AM SAMSTAG
DEN RASEN MÄHEN UND DIE WELT IST BÖSE
GEWORDEN, SO PLÖTZLICH KANN DAS KOMMEN IN
DIESEN TAGEN, DASS UNHEIL SICH EIN OPFER
SUCHT IN STILLER NACHT.
WENN DIE RUHE NUR EIN VERSTECKTES MINENFELD
IST, AUF DEM DIE SEHNSUCHT WANDERT UND
EXPLODIERT.
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IV
Ich bin siebenundvierzig geworden im vergangenen Frühjahr. Es regnete an meinem Geburtstag. Es regnet immer, wenn ich Geburtstag
habe. Abends aber schneite es dicke, fette
Flocken.
Als sie auf der Erde liegen, sind es Marmeln,
rosa und hellgrün. Sie rollen durch die
Nacht, die Straße hinunter. Eine Geröllwand
löst sich, ich renne davon. Über Wiesen,
Äcker, Hügel und Weinberge. Bis mir die Luft
ausgeht.
Ich stehe vor einem Thron aus Glas. Mein
Vater sitzt darauf und in beide Arme und
Beine sind Infusionskanülen gesteckt. Über
seinem Kopf ein Gestänge. Daran sind
Kanisterchen befestigt. Im Rhythmus von
100 Tropfen pro Minute rinnt das Insulin in
die Kanülen und verschwindet im Kreislauf. Im
Kopf stecken Drähte. Sie sind an das örtliche
Elektrizitätswerk angeschlossen, das gleich
unter der Staumauer in den Fels gebaut worden
ist. Ein Blitz schlägt ein und es beginnt zu
regnen. Ich schaue zum Himmel und auf den
Thron.
Darauf noch eine Handvoll Würfelzucker. Langsam weicht der Regen die süße Masse auf und
spült sie den Thron hinunter. Klebrig und zäh
rinnt der Zucker die Stuhlbeine hinunter. Ich
berühre ihn mit einem Finger und bleibe daran
haften.
Die Scheidung. Keine Tränen. Und im Wohnzimmer noch immer das saubere Tischtuch
mit den Rosenstickereien und dem Monogramm
ihrer Mutter. Herr Oberst.
Das habe ich gemocht. Die Ruhe der Kinder und
der Herzen. Abends sind alle Probleme gelöst.
Sie behält das Haus und die Kinder.
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