Jour fixe - ça ira Verlag

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Jour fixe - ça ira Verlag
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Gegen organisierte Verkalkung!
Initiative Sozialistisches Forum
Jour fixe
Frühjahr/Sommer 1984
Die theoretische Diskussion innerhalb der Linken, die über die Analyse der alltäglichen politischen Praxis hinausgeht, beschränkte sich in den letzten Jahren auf einige wenige esoterische Exklaven. Ein Stück weit aus ihnen auszubrechen, ist der Sinn und Zweck des Jour fixe. Die thematisch vielfältigen Auseinandersetzungen, wie sie die Studentenbewegung in ihren Teach-ins praktizierte, ging verschütt’ unter den Bedingungen eines rigiden und phantasielosen Mlismus und einer
spontaneistischen Bauchpolitik, der jede Theorie ein Greuel ist. Diese Endmoränen der 70er Jahre
wollen wir abtragen, um die anfängliche Tradition wiederbeleben zu können. Anknüpfend an die
Praxis der „Republikanischen Clubs“, die versuchten, sozialistische Theorie über die ideologische
Restauration der 50er und 60er Jahre zu retten, gilt es heute, in einer Zeit geistloser Zustände kom munistisch-anarchistische Theorien neu zu entwerfen. – Diskussion setzt Information voraus. In
mal kurzen, mal auch etwas längeren Beiträgen stellen Freunde und Genoss(inn)en der ISF ein
Thema vor, über das anschließend diskutiert werden soll. Die Veranstaltungen finden jeweils
Dienstags um 19.30 im Hinterraum des „Jos Fritz“ statt.
Dienstag, 8.Mai
Antonio Gramsci, Theoretiker des westeuropäischen Marxismus
Versuche revolutionärer Marxisten der 20er Jahre, sich der Bolschewisierung des Marxismus zu
widersetzen, gab es wenige – und noch weniger im Rahmen bolschewistischer Parteien selbst. Das
Denken Antonio Gramscis, das sich der unkritischen Übernahme leninistischer Gewaltstaatstheorien für Westeuropa verweigerte und sich der Untersuchung von „Hegemonie“ als der spezifischen
Weise der Herstellung von Konsens auch der subalternen Klassen zu ihrer eigenen Unterdrückung
widmete, war ein solcher Versuch – auch wenn seine Erhebung zum Patriarchen des ’Eurokommunismus’ dies kaum noch ahnen läßt. „Pessimismus der Analyse, Optimismus der Tat“ – dies Motto
Gramscis läßt sich nur unter Schwierigkeiten für die eurokommunistische Theorie des friedlichen
Weges zum Sozialismus beschlagnahmen.
Dienstag, 22. Mai
„Je näher man hinschaut, desto fremder schaut es zurück“
Thesen zur Friedensbewegung
Die Friedensbewegung war Teil des Übels, für dessen Therapie sie sich hielt. Zwar ist sie nun am
Ende – aber was wäre eine richtige Beerdigung ohne Leichenschmaus und Festansprache? Eine
Diskussion um die „Thesen zur Zukunft der deutschen Friedensbewegung“, die die Initiative Sozialistisches Forum in dem Buch „Fe näher man hinschaut, desto fremder schaut es zurück:
Friede“ dargelegt hat (ça ira-Verlag 1984).
Dienstag, 5. Juni
Der ‚normale Mittelweg zum ‚wahren’ Selbst
Der Psychoboom und seine schönste Blüte, die Bhagwan-Bewegung
Daß jeder Mensch 'eigentlich', zieht man nur seine von rationalistischem Denken und schnöder
Orientierung am Haben statt am Sein verursachte Verkrüppelung ab, ein guter natürlicher Wilder
sei dies ist die Grundannahme des umsichgreifenden Psychobooms. Auf der Suche nach dem 'wahren' Selbst, nach dem 'ganzheitlichen' Sein aber trifft sich das Individuum mit den gesellschaftlich
gebotenen Verhaltensweisen und verinnerlicht sie noch freiwillig. Ausgehend von einer Analyse
der schillerndsten Sumpfblüte des Psychobooms, der Bhagwan-Bewegung, soll gezeigt werden,
wie unauffällig und alltäglich sich die Psychologisierung der Gesellschaft vollzieht, wie mehr und
mehr die Gesellschaft die Triebstruktur des Individuums sich unterordnet und in sich einbaut. Die
Bhagwanis, oft belächelt und schmunzelnd toleriert, sind nur die Spitze des Eisberges.
Dienstag, 19. Juni
Ökologie als Leitwissenschaft?
Ganzheitliche Weltbilder als Antidepressiva, Valium für alle?
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Ökologie, durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte als Wissenschaft zu notwendiger Popularität gelangt, scheint das Paradigma für eine neue, 'ganzheitliche' Weltansicht zu liefern. Von der
einen Seite her entwickelt sich die Kritik der modernen Naturwissenschaften am mechanistischen
Weltbild zur Behauptung einer „Wendezeit“ (Capra), in der eine tiefere Gemeinsamkeit östlicher
Mystik und der Interpretation der Ergebnisse moderner naturwissenschaftlicher Theorien gesehen
wird. Auf der anderen Seite nähert sich grüne Gesellschaftstheorie immer stärker der Übertragung
ökologischer auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Vor dem Hintergrund hoher Auflagenzahlen
werden einige dieser Versuche auf ihre theoretischen Gehalte und ihre mögliche Funktion als Religionssubstitut abgeklopft.
Dienstag, 3. Juli
Kultfilme
Als es noch Kultfilme gab, da nannte man sie nicht so, sondern ging einfach oft ins Kino. Heute
leiht man sich so allerhand aus den 50er Jahren aus, und jeder Pippifilm will ein Kultfilm sein: Harold and Maud, Carmen, Diva, RHPS u.v.a.
Dienstag, 17. Juli
Der Praxisbegriff in der Entwicklung der Kritischen Theorie (Max Horkheimer)
Der Ansatz der Kritischen Theorie soll als Weiterentwicklung des Marxschen Denkens qualifiziert
werden, v.a. im entscheidenden Verhältnis von Theoriekonzeption und Praxisabsicht. Die Wandlungen der Kritischen Theorie bis zur Aufgabe des Gedankens an eine noch mögliche revolutionäre Praxis („Dialektik der Aufklärung") sind aus dem historischen Prozeß zu erklären.