Despentes, King Kong bel.
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Despentes, King Kong bel.
Virginie Despentes K I N G K O N G T H E OR I E Aus dem Französischen von Kerstin Krolak B E R LI N VE R LAG Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel King Kong Théorie bei Bernard Grasset, Paris © 2006 Virginie Despentes Für die deutsche Ausgabe © 2007 Berlin Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Nina Rothfos und Patrick Gabler, Hamburg Typografie: Birgit Thiel, Berlin Gesetzt aus der Galliard von Greiner & Reichel, Köln Druck & Bindung: Druckerei Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany 2007 isbn 978-3-8270-0755-1 www.berlinverlage.de F IC KST DU M IC H ODE R F IC K IC H DICH IN DEN ARSCH? Seit einiger Zeit kriegen wir in Frankreich ständig eins auf den Deckel, von wegen die siebziger Jahre. Wir seien auf dem Holzwege, was hätten wir bloß aus der sexuellen Revolution gemacht, ob wir uns jetzt womöglich selbst für Männer hielten oder was und ob nicht durch unsere Schwachsinnsaktionen die gute alte Männlichkeit flöten gegangen sei, die von Papa und Großpapa, denn das seien noch echte Kerle gewesen, die an der Front ihr Leben gelassen und sich als Oberhaupt der Familie zu behaupten gewusst hätten, und zwar mit gesunder Autorität. Und mit Rückendeckung durch die Gesetze. Wir kriegen eins auf den Deckel, weil die Kerle Schiss haben. Als ob wir was dafür könnten. Da staunt man nicht schlecht und hält es zugleich für sehr modern: Der Dominierende kommt sich heulend beschweren, dass die Dominierte sich nicht genügend Mühe gibt … Richtet sich der weiße Mann hier wirklich an die Frauen oder will er uns sagen, dass er sich doch sehr darüber wundern muss, wie sich die Dinge für ihn entwickeln? Wie dem auch sei, man kann sich das überhaupt nicht vorstellen, wie sehr wir eins auf den Deckel kriegen, wie sehr man uns zur Ordnung ruft und kontrolliert. Mal gehen wir zu sehr in der Opferrolle auf, mal ficken wir nicht, wie wir sollten, ent15 weder zu sehr wie geile Hündinnen oder mit viel zu viel Gefühl, wie wir es auch anstellen, wir haben sowieso nicht kapiert, worum es eigentlich geht, entweder wir machen zu sehr auf Porno oder wir sind nicht einfühlsam genug … Also wirklich, diese sexuelle Revolution war doch nichts als Perlen vor die Dumpfbacken. Was wir auch anstellen, einer findet sich immer, der meint, behaupten zu müssen, es sei Schwachsinn. Tut so, als sei früher alles besser gewesen. Ah ja? Ich bin Jahrgang ’69. Ich war auf einer gemischten Schule. Noch bevor ich in die erste Klasse kam, war mir klar, dass die schulische Intelligenz von Jungen und Mädchen identisch ist. Ich bin im kurzen Rock herumgelaufen, ohne dass meine Familie sich Sorgen gemacht hätte, was wohl die Nachbarn darüber denken. Mit vierzehn habe ich die Pille genommen, und das ganz ohne Schwierigkeiten. Ich bumste, sobald sich die Gelegenheit bot, fand das damals obercool und auch zwanzig Jahre später fällt mir dazu nichts anderes ein als: »Echt cool gelaufen.« Mit siebzehn bin ich zu Hause ausgezogen und durfte mir selbst eine Wohnung mieten, ohne dass jemand etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte. Mir war schon immer klar, dass ich später mal selbst arbeiten gehen würde, bloß nicht die Gesellschaft von einem Kerl ertragen müssen, nur damit der mir meine Miete bezahlt. Ich hab ein Bankkonto auf meinen Namen eröffnet und mir noch nicht einmal Gedanken darüber gemacht, dass ich der ersten Generation von Frauen angehörte, die dafür nicht auf den Vater oder den Ehemann angewiesen war. Masturbiert habe ich erst ziemlich spät, aber das Wort dafür 16 war mir schon früh geläufig, denn es war mir immer wieder in Büchern untergekommen, die eine sehr klare Haltung zu dem Thema vertraten: Ich war nicht gleich ein asoziales Monster, nur weil ich’s mir selbst machte, es ging übrigens auch nur mich etwas an, was ich so mit meiner Muschi anstellte. Ich war mit Hunderten von Kerlen im Bett, ohne mich schwängern zu lassen, und selbst wenn, dann hätte ich sofort gewusst, wo ich hätte abtreiben können, ohne besondere Erlaubnis und ohne dabei mein Leben aufs Spiel zu setzen. Ich war Nutte, bin mit hochhackigen Schuhen und tiefem Dekolleté durch die Gegend gezogen, doch über meine Einnahmen hab ich niemals Buch geführt. Jeden einzelnen Cent, den ich auf diese Weise verdient habe, hab ich in meine eigene Tasche gewirtschaftet und ihn wieder ausgegeben. Ich bin getrampt, wurde vergewaltigt und bin trotzdem wieder getrampt. Ich habe einen ersten Roman geschrieben und meinen weiblichen Vornamen daruntergesetzt, ohne auch nur eine Sekunde in Erwägung zu ziehen, dass man mir bei der Veröffentlichung gleich den gesamten Strafkatalog der nicht zu übertretenden Gebote aufsagen würde. Die Frauen meiner Generation sind die ersten, denen es vergönnt ist, ein Leben ohne Sex zu führen, ohne dafür ins Kloster zu müssen. Über Zwangsheiraten ist man inzwischen geschockt. Die eheliche Pflicht ist nicht mehr ganz so selbstverständlich. Viele Jahre lang hatte ich mit dem Feminismus nicht viel am Hut, und zwar nicht aus mangelnder Solidarität oder mangelndem Problembewusstsein, sondern ganz einfach weil es kaum Dinge gab, von denen mich die Zugehörig17 keit zu meinem Geschlecht abgehalten hätte. Ich hatte Bock auf ein Männerleben, und ich habe auch ein Männerleben geführt. Die feministische Revolution hat nämlich tatsächlich stattgefunden. Man sollte endlich aufhören, uns weismachen zu wollen, dass wir früher viel erfülltere Wesen waren. Neue Horizonte haben sich aufgetan, abrupt neu erschlossene Territorien, so als hätten sie schon immer existiert. Ich gebe zu, Frankreich ist derzeit alles andere als ein Paradies für alle. Hier sind weder die Frauen noch die Männer besonders glücklich. Das hat nichts mit Respekt vor traditioneller Rollenverteilung zu tun. Wir Frauen könnten nach wie vor Küchenschürzen umhaben und jedes Mal, wenn wir bumsen, gleich Kinder davon bekommen. Was würde das schon ändern am Arbeitsplatzmangel, am Liberalismus, am Christentum oder am ökologischen Gleichgewicht? Die Frauen in meinem Umfeld verdienen eindeutig viel weniger Geld als Männer, haben in der Regel einen männlichen Vorgesetzten über sich und finden es nicht weiter verwunderlich, dass man sie nicht gebührend respektiert, wenn sie selbst etwas auf die Beine stellen. Es gibt einen haussklavenähnlichen Stolz darauf, sich mit Ketten an den Füßen fortbewegen zu müssen, so als sei das etwa nützlich, besonders angenehm oder gar sexy. Ein unterwürfiges Frohlocken bei dem Gedanken, als Fußabtreter herzuhalten. Die in uns schlummernden Kräfte gelten als unbequem. Wir stehen ständig unter Kontrolle, einerseits durch die Männer, die sich nach wie vor in unsere Angelegenheiten einmischen und uns vor18 schreiben, was gut oder was schlecht für uns ist, aber vor allem durch die anderen Frauen, über den Umweg Familie, Frauenzeitschriften und was so geredet wird. Das eigene Licht gehört unter den Scheffel gestellt, so wurde das bei Frauen bisher immer gehalten: Eine »kompetente« Frau ist und bleibt eine »männliche« Frau. Joan Rivière, eine Psychoanalytikerin vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, schreibt 1929 den Aufsatz »Weiblichkeit als Maskerade«. Sie untersucht den Fall eines weiblichen »Zwischenwesens«, das heißt einer heterosexuellen, aber dennoch männlichen Frau, die an dem Phänomen leidet, dass immer, wenn sie vor Publikum spricht, eine furchtbare Angst sie überkommt, vollständig außer Gefecht setzt und das zwanghafte und erniedrigende Verlangen in ihr weckt, die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu ziehen. »Die Analyse brachte ans Licht, dass ihre Koketterie und ihr kompulsives Augenzwinkern (…) wie folgt zu erklären waren: Sie waren der unbewusste Versuch, die Angst vor drohenden, väterlichen Vergeltungsmaßnahmen von sich zu weisen, die sie nach jedem intellektuellen Höhenflug empfand. Das öffentliche Zurschaustellen ihrer intellektuellen Fähigkeiten, das an und für sich als ein Erfolg zu bewerten war, rückte, im Licht einer exhibitionistischen Beweisführung betrachtet, die Tatsache in den Mittelpunkt, dass der Penis ihres Vaters, nachdem sie diesen erfolgreich kastriert hatte, plötzlich ihr gehörte. Sobald ihr das klar geworden war, überkam sie große Panik, ihr Vater könne sich an ihr rächen. Ihr Verhalten 19 war somit nichts als der Versuch, seine Rachegelüste zu stillen, indem sie selbst sich ihm zur Befriedigung seiner sexuellen Gelüste darbot.« Rivières Analyse bietet einen Schlüssel zum Verständnis der Flut von »Aufheizerei« im aktuellen Popmusik-Business. Ob man durch die Stadt spazieren geht, MTV , eine Varieté-Sendung auf einem der kommerziellen Fernsehsender guckt oder in einem Frauenmagazin blättert, die explosionsartige Verbreitung des nuttigen Extremlooks, der übrigens ziemlich kleidsam ist und von vielen jungen Frauen gerne kopiert wird, ist beeindruckend. Dieser Look wirkt wie ein Anlauf, sich zu entschuldigen und die Männer wieder etwas zuversichtlicher zu stimmen: »Sieh nur, wie gut ich es mit dir meine! Ich bin zwar unabhängig, klug und gebildet, aber trotzdem nur darauf aus, dir zu gefallen«, scheinen die jungen Dinger im String-Tanga uns zuzuraunen. »Klar könnte ich es mir leisten, ganz andere Erfahrungen zu machen, aber ich entscheide mich willentlich für Selbstentfremdung mittels supereffizienter Verführungsstrategien.« Man mag sich beim ersten Hinsehen darüber wundern, dass die jungen Dinger mit solch aufrichtiger Begeisterung die Attribute der Frau als Objekt der Begierde für sich in Anspruch nehmen, dass sie ihren Körper verstümmeln und auf spektakuläre Art und Weise zur Schau stellen, während zugleich genau die gleiche junge Generation die »anständige Frau« wieder im rechten Licht und somit fernab vom zelebrierten Sex erscheinen lässt. Der Widerspruch ist nur scheinbar einer. Die Frau20 en überbringen den Männern eine Botschaft, die zuversichtlich stimmt: »Habt keine Angst vor uns.« Dafür läuft man doch gern in unbequemen Klamotten herum, trägt Schuhe, in denen man kaum laufen kann, lässt sich die Nase zerdeppern oder den Busen aufblasen, stirbt fast den Hungertod. Noch nie hat eine Gesellschaft so viele Beweise der Unterwerfung unter ein Schönheitsdiktat gefordert, noch nie so zahlreiche Eingriffe in den Körper mit dem Ziel, ihn weiblicher erscheinen zu lassen. Natürlich hat auch noch nie eine Gesellschaft den Frauen so viel körperliche und intellektuelle Freizügigkeit zugestanden. Die überzogene Zurschaustellung von weiblichen Attributen wirkt wie eine Abbitte für den Verlust der Vorrechte der Männer, wie ein Versuch, sich selbst wieder Mut zu machen, indem man auch die Männer wieder etwas zuversichtlicher stimmt. »Lasst uns frei sein, aber bloß nicht zu sehr. Wir spielen das Spielchen mit und verzichten auf die vom Phallus ausgehende Macht, denn wir wollen niemandem Angst einjagen.« Und schon sind die Frauen also bereit, sich selbst zurückzunehmen, die neu erworbene Macht bloß nicht zur Schau zu stellen, sondern schnell wieder in die Rolle von Verführerinnen zu schlüpfen, und zwar dies umso unmissverständlicher, als ihnen völlig klar ist, dass sie eigentlich nur so tun müssen als ob. Die Teilhabe an traditionell männlichen Machtbereichen geht mit der Angst vor Bestrafung einher. Das Verlassen des goldenen Käfigs wurde von jeher mit brutalen Strafen geahndet. Es ist nicht so sehr der Gedanke an unsere eigene Unterlegenheit, der uns in Fleisch und Blut übergegangen 21 ist. Ganz gleich, wie brutal die Kontrollinstrumentarien gewesen sein mögen, die alltägliche Erfahrung hat uns gezeigt, dass die Männer den Frauen weder von Natur aus überlegen noch so sehr anders als sie sind. Es ist vielmehr der Gedanke, unsere Unabhängigkeit könnte schädlich sein, der sich in unser Bewusstsein eingefressen hat. Und die Medien haben ein Übriges getan, damit wir diesen Eindruck bloß nie wieder loswerden: Wie viele Artikel mögen wohl in den letzten zwanzig Jahren darüber geschrieben worden sein, dass die Männer Angst vor den Frauen haben, dass viele Frauen zur Strafe für ihren Ehrgeiz oder ihre Ausgefallenheit alleine leben müssen? Als sei das Witwendasein, das Dasein der Verlassenen, der Alleingelassenen zu Kriegszeiten oder der Opfer von Misshandlungen eine völlig neuartige Erfindung. Wir Frauen mussten uns von jeher selber helfen. Plötzlich so zu tun, als ob sich die Männer und Frauen vor den siebziger Jahren besser verstanden hätten, ist eine Verdrehung der historischen Tatsachen. Wahrscheinlich hatte man damals weniger miteinander zu tun, aber das ist auch schon alles. Ähnlich verhält es sich mit solchen Anwandlungen, die Mutterschaft zur obersten und essentiellsten weiblichen Erfahrung zu erheben: Frauen, spendet Leben, denn das ist wundervoll. Selten wurde so sehr die Werbetrommel für das Thema Mutterschaft gerührt. Voll die Verarschung, ein sehr zeitgenössisches und systematisches Auferlegen einer doppelten Verpflichtung: »Setzt Kinder in die Welt, denn das ist fantastisch, ihr werdet euch 22 mehr als Frauen und erfüllte Wesen fühlen als jemals zuvor«, und das alles in einer Gesellschaft, die in Auflösung begriffen ist, in der die Arbeit in einem Angestelltenverhältnis die Grundvoraussetzung für ein Überleben in der Gesellschaft ist, aber für niemanden garantiert werden kann, schon gar nicht für Frauen. Mehret euch in Städten, in denen Wohnungsnot herrscht und die Schule ihren Aufgaben nicht mehr gerecht wird, in denen Kinder geistigen Angriffen der übelsten Sorte ausgesetzt sind – über die Werbung, das Fernsehen, das Internet, die Hersteller von Erfrischungsgetränken und Konsorten. Ohne Kinder kein erfülltes Dasein als Frau, auch wenn es so gut wie unmöglich ist, seine Kinder unter anständigen Bedingungen großzuziehen. Ganz gleich, was kommen mag, die Frauen müssen es als Niederlage erleben. Was auch immer sie auf die Beine stellen wollen, es muss doch möglich sein, von vornherein klarzustellen, dass sie das ungeschickt angestellt haben. Es geht nicht um die richtige Einstellung, sondern, wie könnte es anders sein, darum, dass wir Frauen uns falsch entschieden haben, wir werden für ein Versagen verantwortlich gemacht, für das wir in Wahrheit alle gemeinsam verantwortlich zeichnen, die Männer genauso gut wie die Frauen. Die gegen unsere Gattung gerichteten Waffen sind geschlechterspezifisch, doch die dabei verwendete Methode ist auf alle Menschen zugeschnitten. Ein guter Verbraucher fühlt sich insecure. Erstaunlich zwar, doch leider spricht es Bände: Die feministische Revolution der siebziger Jahre hat zu keinerlei 23