Avaren I. Name(n) und sprachliche Zeugnisse - II/1. Archäologie

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Avaren I. Name(n) und sprachliche Zeugnisse - II/1. Archäologie
Avaren
I. Name(n) und sprachliche Zeugnisse - II/1. Archäologie - II/2. Anthropologie - III. Geschichte
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I. Name(n) und sprachliche Zeugnisse
Der Name der Avaren ist aus mehreren sprachlich verschiedenen Quellengruppen bekannt, etwa in
der Form alttürk. apar, ostslav. obrinъ (Pl. obre), byz. ούάρ usw.; die Etymologie ist unbekannt. GY.
NÉMETHS These der angeblich türkischen Herkunft des Volksnamens in der Bedeutung 'Ungehorsam'
ist kaum akzeptierbar.
Die avarischen Sprachreste sind äußerst spärlich. Ihre systematische Untersuchung begann mit der
Tätigkeit von A. TOMASCHEK und Z. G. GOMBOCZ. Die überlieferten Zeugnisse des Avarischen werden
zur Zeit in zwei Gruppen (innere und äußere schriftlich erhaltene Sprachreste) eingeteilt. Die
inneren schriftlichen Quellen wurden im Reich der Avaren - höchstwahrscheinlich von den Avaren
selbst in einer Art von osteuropäischer Runenschrift verfaßt und geschrieben. Die Anzahl der in
avarischen Gräbern gefundenen, mit Runenschrift versehenen, Objekte ist gering, und die
entsprechenden Inschriften sind zu kurz und fragmentarisch, um eine plausible Entzifferung zu
erlauben. Das längste Sprachdenkmal solcher Art ist die 1981 in Szarvas entdeckte Inschrift auf
einer Nadelbüchse. Die bisherigen Versuche, sie zu deuten (A. RÓNA-TAS, J. HARMATTA, G. VÉKONY),
sind nur hypothetisch. Der andere Typ avarischer Sprachreste besteht aus hauptsächlich in
byzantinischen Quellen (s. III. 1) überlieferten Glossen. Dieser spärliche Korpus besteht aus den
Titeln für Ämter und Würdenträger (vgl. qaġan, qatun, tarqan, tudun, yuġuruš) und aus
Eigennamen (Bayan, *Qansawčï, *Kök, Solaq). Sie sind nicht in der Lage, die Sprache der Avaren
näher zu bestimmen. Nur rein theoretischer Art ist eine dritte Gruppe der avarischen Sprachreste:
Die intensiven Beziehungen zwischen den Avaren und ihren osteuropäischen Nachbarn sind kaum
ohne sprachliche Einflußnahme von seiten der Avaren vorstellbar. So kann man zwar mit einer
bedeutenden Lehnwortschicht in den osteuropäischen (vor allem slavischen) Sprachen rechnen,
doch fehlen die klaren Kriterien zur Aussonderung der avarischen Lehnelemente aus dem alten
orientalischen Lehnwortschatz.
Die in der früheren Literatur oft diskutierte Frage nach der Einordnung des Avarischen - die
Mehrheit der Forscher hielt es entweder für ein mongolisches (u.a. K. H. MENGES) oder ein
türkisches (Z. GOMBOCZ, GY. NÉMETH) Idiom - ist nicht entschieden. Aufgrund der neuesten
Forschungen erscheint es als gesichert, daß man für das avarische Reich Mehrsprachigkeit
annehmen darf.
Árpád Berta
Lit.: Z. GOMBOCZ, A pannóniai avarok nyelvéről, in: Magyar Nyelv 12, 1916, 97 - 102; I. VÁSÁRY,
Runiform Signs on Objects of the Avar Period (6th - 8th cc. A.D.), in: AOrientHung 25, 1972, 335 347; J. HARMATTA, Az avarok nyelvének kérdéséhez, in: Antik Tanulmányok 30, 1983, 71 - 84; L.
LIGETI, A pannóniai avarok etnikuma és nyelve, in: Magyar Nyelv 82, 1986, 129 - 151; W. POHL, Die
Awaren: Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567 - 822 n.Chr., München 1988, 223 - 225; GY. NÉMETH,
2
A honfoglaló magyarság kialakulása, Budapest 1991 , 121 – 126.
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II/1. Archäologie
1. Forschungsgeschichte: Dank intensiver Grabungstätigkeit in Ungarn seit dem letzten Viertel des
19. Jahrhundert steht der archäologischen Forschung über die Avaren bedeutsames Quellenmaterial
zur Verfügung: Die Anzahl der freigelegten Gräber (etwa 60 000) ist im Frühmittelalter lediglich
mit derjenigen der Slaven (Ost-, West-, Süd- insgesamt) und merowingerzeitlichen Germanen
gleichzusetzen, doch stammt das avarische Material aus einem wesentlich kleineren geographischen
Raum. Die wichtigste Persönlichkeit der ersten Forschungsperiode war wegen der chronologischen
Einordnung und ethnischen Bestimmung des gesamten Fundmaterials F. PULSZKY (1874), dessen
Verdienste im Vergleich zu der am meisten verbreiteten Zusammenfassung und Materialherausgabe
von J. HAMPEL (1905) in Vergessenheit gerieten. Vorläufer HAMPELS war im 19. Jahrhundert allein der
einseitig typologisch orientierte V. LIPP, während der größere Teil der Forscher durch die
zuverlässige Publikation von Gräberfeld- und Grabplänen sowie mit einem adäquaten historischen
Ansatz schon die Archäologie der 1. Hälfte des 20. Jahrhundert vorbereitete (Á. SŐTÉR, ZS. SZELLE,
M. WOSINSZKY; B. PÓSTA, A. BÖRZSÖNYI). Im Schatten von J. HAMPELS "Alterthümern" fanden die
ersten, auch in deutscher Sprache erschienenen Gesamtdarstellungen (P. REINECKE, A. ALFÖLDI 1926,
D. CSALLÁNY) auch in der Periodisierung des archäologischen Nachlasses der etwa
zweihundertfünfzigjährigen avarischen Geschichte kein würdiges Echo. Mit wenigen Ausnahmen
(T. HORVÁTH, A. MAROSI, N. FETTICH 1936) begnügten sich die meisten Spezialisten bis 1955 (GY.
LÁSZLÓ) damit, auf HAMPELS Tafelbände zu verweisen. (Die falsche chronologische Einordnung der
zweiten der von HAMPEL festgelegten drei Fundgruppen wurde aber bald offensichtlich.) Im
2. Viertel des 20. Jahrhundert war der vorwiegend nach typologischen und technologischen
Kriterien arbeitende N. FETTICH ohne Zweifel die leitende Persönlichkeit der Forschung; sein
Verdienst lag in der überregionalen Betrachtungsweise. Sein Schüler und Nachfolger GY. LÁSZLÓ
hob die Bedeutung der ethnographischen und historischen Betrachtungsweise in der
Avarenforschung hervor. In forschungsgeschichtlicher Hinsicht hat er sich durch die Bezugnahme
auf einige innerasiatische Darstellungen zur Rekonstruktion der Tracht und der Fundgegenstände
verdient gemacht. D. CSALLÁNYS Bedeutung steht in der relativ- und absolutchronologischen
Bestimmung der 1. und 2. avarischen Periode (1939), in der Ablehnung der "Grabkeramik-Theorie"
(wonach Gefäße nur für die Bestattung hergestellt worden seien, 1941) sowie in der Untersuchung
der Beziehungen zu Byzanz (1954, 1956). Die rasch anerkannte Basis für das bis heute gültige
typochronologische Modell war 1963 gelegt worden (I. KOVRIG; später H. W. BÖHME). Die
Periodisierung
in
Früh-,
Mittel-
und
Spätavarenzeit
wurde
1970
mit
Hilfe
einer
Quelleninterpretation festgelegt und historisch bewertet (I. BÓNA). Der Versuch, die "Greifen- und
Rankengruppe" (= spätavarisch) mit gegen 680 eingewanderten, vermutlich finno-ugrisch
sprechenden Ungarn in Zusammenhang zu bringen ("doppelte Landnahme" - demnach hätte 895
lediglich die türkische Komponente der Ungarn das Land in Besitz genommen - GY. LÁSZLÓ 1970),
fand kaum Resonanz. Die archäologische Erforschung der Avaren auf den nach 1920 nicht mehr zu
Ungarn gehörenden Gebieten wurde erst nach 1945 intensiviert, wobei die Bestimmung der
ethnischen Zugehörigkeit der Funde eine führende Rolle spielte. So sind z.B. die in größerer Anzahl
entdeckten Gräber zuerst oft für bayerisch bzw. slavisch gehalten worden (J. EISNER, H. MITSCHAMÄRHEIM, Z. VINSKI). Erst die folgende Generation (A. LIPPERT, D. BIALEKOVÁ) löste sich von diesem
methodischen Forschungsansatz. Ein qualitativer und quantitativer Aufschwung folgte in den 80er
Jahren infolge der intensiven Grabungstätigkeit in der Slowakei (A. TOCÍK, Z. ČILINSKÁ) und im
Burgenland (F. DAIM, A. LIPPERT 1984; F. DAIM 1987; H. SCHWAMMENHÖFER; L. STREINZ
unveröffentlicht). Die ethnozentrisch bestimmten Diskussionen haben die betreffende polnische
Forschung nie berührt (W. SZYMAŃSKI, M. PARCZEWSKI, H. ZOLL-ADAMIKOVA ). Mangels
aussagekräftigem avarischem Materials und unter dem Eindruck der zahlreich vorhandenen
slavischen Gräberfunde wurde von der jugoslawischen Archäologie besonders der Nachlaß der
(Süd-)Slaven gesucht, wobei dem von A. ALFÖLDI entlehnten Begriff "Keszthely-Kultur" (=
Spätavarenzeit, sie hat nichts mit der eigentlichen Keszthely-Kultur in Ungarn zu tun) größere
Bedeutung zukam. Eine differenziertere Betrachtungsweise wurde in den 60er - 70er Jahren eher in
Serbien vertreten (J. KOVAČEVIČ 1977, D. DIMITRIJEVIĆ, S. NAĐ [S. NAGY], aber auch N. KLAIĆ). Die
von der Theorie der dako-rumänische Kontinuität beherrschte Frühmittelalterforschung in
Siebenbürgen hatte bei der Einführung der Begriffe wie "Mureş-", "→Gîmbaş"-Gruppe←,
"Noşlac"-Kultur (→Noşlac←) für die Zeit bis in die Mitte des 7. Jahrhundert die Avaren nicht im
Auge; die Gräber vom Typ Mezőbánd (→Band←) sollten demnach von fortlebenden Gepiden
stammen (K. HOREDT, M. RUSU; angemessenere Betrachtungen durch M. COMŞA, I. NESTOR). Eine
neue Quellenbasis bieten der Forschung seit 1973 (I. BÓNA) die Siedlungsgrabungen und die
paläozoologische Analyse der dort freigelegten Knochenfunde (L. BAROSIEWICZ) (weitere
naturwissenschaftliche Analysen sind bisher kaum durchgeführt bzw. veröffentlicht worden). Dank
dieser neuen Quellengruppe wurde u.a. die "Grabkeramik-Theorie" endgültig abgelehnt (schon
früher B. SZŐKE), und es zeigte sich auch, daß die in den Gräbern freigelegten Tierknochen nicht die
Lebensverhältnisse, sondern Bestattungssitten widerspiegeln. Die neuen Angaben über Wohnkultur
und Seßhaftigkeit (z.B. der Prozentsatz der Pferde- und Schafknochen einerseits oder der Rinderund Schweineknochen andererseits [CS. BÁLINT, L. BARTOSIEWICZ]), die Lehre der Vergleiche mit den
zeitgleichen ost- und mitteleuropäischen Völkern bzw. archäologische Kulturen (z.B. Anzahl und
Typ der Agrargeräte und die botanischen Reste in der →Saltovo-Majaki-Kultur←) zeigen, daß das
Klischee des "reinen" Nomadismus der Avaren verfehlt ist. Der größte Teil der archäologischen
Forschung zu den Avaren (genauso wie die allgemeine in Ost- und Südosteuropa) wird weitgehend
durch die historische und ethnische Interpretation der Funde charakterisiert. Diese Tendenz hat
methodologische Gründe und soziologische Ursachen. Nachteilig für die Forschung sind die
geringe
Anzahl
von
gut
begründeten
chronologischen
Bestimmungen,
das
Fehlen
horizontalstratigraphischer und belegungschronologischer Analysen von Gräberfeldern sowie der
Mangel an systematischen Materialvorlagen.
2. Chronologie: Nach der Bestimmung des (früh)-avarischen Fundstoffes und seiner östlichen
Verbindungen (F. PULSZKY, B. PÓSTA, G. NAGY) haben 1924 GY. RHÉ und 1926 A. ALFÖLDI die noch
von J. HAMPEL als sarmatisch-hunnisch angesprochene Gruppe als avarisch erkannt (diese
Bestimmung wurde von wenigen Ausnahmen [J. EISNER, K. BAKAY] abgesehen bald allgemein
angenommen),
deren
späteste
Phase
kurz
danach
abgegliedert
wurde
(P.
REINECKE).
Berührungspunkte der Spätavarenzeit wurden 1935 ausgearbeitet (T. HORVÁTH). Die drei
chronologisch nacheinander folgenden Gruppen wurden auf der von A. MAROSI und N. FETTICH
erarbeiteten Basis (1936) von I. KOVRIG (1963) und später von F. DAIM (1987) in mehrere Phasen
untergliedert,
deren
Gültigkeit
durch
mehrere
seriations-
bzw.
computergestützte
Chronologiemodelle unterstützt werden (z.B. P. STADLER). Die absolutchronologische Bestimmung
des Wechsels von der Früh- zur Mittelavarenzeit hat eine sehr weitführende historische Folgerung:
Die Mehrheit der nicht-ungarischen Spezialisten setzt ihn um 650 an (H.-W. BÖHME; Z. ČILINSKÁ
1975; V. BIERBRAUER; F. DAIM 1987; M. MARTIN; J. ZÁBOJNÍK ), während die ungarische Forschung der
Theorie von I. BÓNA (1970) folgt, wonach der Anfang der Mittelavarenzeit mit der Einwanderung
von Kuver (dem vierten Sohn des Kuvrat, Herrscher von Magna Bolgaria) gegen 680 in Verbindung
steht. Der Beginn der "Greifen- und Rankengruppe" (= Spätavarenzeit) wurde in Ungarn bis 1955
(GY. LÁSZLÓ) um 700 (D. CSALLÁNY), dann, mit der Einführung des Begriffs "Mittelavarenzeit" (Z.
VINSKI; I. BÓNA 1970), indirekt bzw. zwangsweise erneut um die Jahrhundertwende gesetzt. So
entstand auf der Basis des Klischees "neue archäologische Kultur = neues Volk" die These einer
dritten oder sogar einer vierten avarischen Einwanderung (É. GARAM 1979; G. VÉKONY). Heute
überwiegt die allgemeine, systematisch aber nie ausgearbeitete Meinung, daß die Spätavarenzeit als
das Ergebnis einer lokalen Entwicklung anzusehen ist (P. TOMKA). Wenn jetzt auf die Verbindungen
auch zwischen der Frühavarenzeit und Mittelavarenzeit aufmerksam gemacht wird (P. TOMKA; T.
VIDA, Manuskript), zeigt sich darin um so mehr die Notwendigkeit einer dynamischen
Betrachtungsweise des gesamten Fundmaterials, da mehrere Fundtypen und die meisten
Gräberfelder in zwei oder sogar in allen drei Perioden benutzt wurden. Auch die Anthropologie
erkennt keine bedeutenden ethnischen Veränderungen zwischen der früheren und späteren Phase (K.
ÉRY). Den chronologischen Untersuchungen stehen zur Zeit nur 17 münzdatierte Gräber aus der
Früh- und Mittelavarenzeit (É. GARAM, 1992) zur Verfügung. Nach Konstantin IV. (668 - 685),
praktisch seit Beginn der Spätavarenzeit, kommen keine Münzen mehr vor.
3. Regionale Gliederung: Für diese Untersuchungen war die Forschung bis 1945 ausschließlich auf
Grabungen aus dem Kerngebiet des avarischen Siedlungsraumes angewiesen. In Ungarn wurde
diese Frage bis in letzte Zeit lediglich bei Interpretationen frühavarenzeitlicher Fundgruppen im
Theiß-Mieresch-Körös-Gebiet aufgeworfen (D. CSALLÁNY; G. LŐRINCZY 1992). Mehrere Versuche
sind unternommen worden, das Gebiet des etwa 20 - 30 Jahre bestehenden Samo-"Reiches" zu
lokalisieren (Z. ČILINSKÁ, P. KOROŠEC). Die spätantik geprägte Keszthely-Kultur kommt im 6. 7. Jahrhundert vor allem im westlichen Teil des Plattensees, aber auch südlich des Gecsek-Gebirges
vor. Sie entwickelte sich im 8. Jahrhundert zu einer lokalen Erscheinung um die heutige Stadt
→Keszthely← (R. MÜLLER, 1992). In der slowakischen Forschung wurde die moderne Staatsgrenze
(Donau, Eipel) ohne wesentlichen Unterschied zum restlichen avarischen Fundmaterial und zu den
Bestattungsriten (S. SZATMÁRI) lange Zeit für eine ethnische Grenze ab dem 7. Jahrhundert gehalten
(davon die heutzutage veralteten Bezeichnung "slavisch-avarisch", "avarisch-slavisch"); das Gebiet
nordwärts der Linie Preßburg - Neutra -Kaschau war aber offensichtlich überwiegend slavisch
besiedelt.
Die überbetonte Bewertung des angeblich höheren Anteils der Waffenbeigabe im 8. Jahrhundert an
der nördlichen Peripherie des Siedlungsgebietes ist bedingt durch den besseren Forschungsstand in
dieser Region. Eine Selbständigkeit der Fundgruppen in ethnischer, politischer und kultureller
Hinsicht kann für das Gebiet des heutigen Burgenlandes und der Vojvodina (anders z.B. N.
STANOJEV) nicht mehr festgestellt werden. Soweit es die lückenhafte Forschungslage beurteilen läßt,
hatte die avarische Anwesenheit in Siebenbürgen einen anderen Charakter. Man kann bis zum
7. Jahrhundert mit einem spürbaren Weiterleben gepidischer Elemente (Mezőbánd [Band] und vom
7. Jahrhundert an mit ostslavischen [?], vom 8. Jahrhundert mit westslavischen [?] Elementen [I.
BÓNA 1986]) rechnen. Im Vergleich der Funde des 6. - 7. Jahrhundert ist in Pannonien ein relativer
Reichtum in Anzahl der Beigaben, Formenvielfalt und Ornamentik festzustellen, während einige,
meist für typisch avarisch gehaltene Funde und Erscheinungen östlich davon vorkommen (T. VIDA
1992; G. LŐRINCZY 1992). Im eher uniformen Fundstoff des 8. Jahrhundert sind solche ausgeprägten
Unterschiede wohl nur in der Verbreitung der chronologisch noch immer umstrittenen
handgeformten Tonkessel (U. FIEDLER) und Backglocken zu erkennen (B. M. SZŐKE). Versuche, mit
zuverlässigeren Datensammlungen regionale Unterschiede herauszuarbeiten, wurden aufgrund
spätavarenzeitlicher Gürtelbeschläge unternommen (G. KISS [Manuskript], P. STADLER; J. ZÁBOJNÍK
1992; G. FANCSALSZKY). Überregionale Untersuchungen über Bestattungsriten wurden kaum
durchgeführt (Einzelstudien: P. TOMKA); auf Unterschiede in den Formen von Pferdebestattungen
(M. NÉMETHI, L. KLIMA 1992) sowie auf das Verhältnis der Fleisch- zu den Keramikbeigaben (J. GY.
SZABÓ; CS. BÁLINT 1991) wurde aufmerksam gemacht. Die im 9. Jahrhundert erfolgte Trennung
zwischen westlicher und östlicher Hälfte des (ehemaligen) Khaganates, bedingt durch die
karolingische Besetzung von Pannonien, gehört nicht mehr zu diesem chronologischen Rahmen.
4. Die Frage der Herkunft der (früh)avarischen Kultur hängt weitgehend mit der (vermutlichen)
Herkunft der (vor allem östlichen) Analogien des Fundstoffes zusammen. So wird sie gewöhnlich
als aus östlichen, byzantinischen und lokalen Elementen zusammengesetzt erachtet. Nur selten
wurde darauf geachtet, ob die "östlichen" Elemente direkt aus der Steppenkultur entstammen, oder
ob sie dort eine Entlehnung aus den benachbarten Hochkulturen waren. Auch fand die Frage,
inwieweit man unter "byzantinisch" die regionalen Erscheinungen des Reiches aus Italien oder jene
aus dem Pontus-Gebiet verstehen soll, nicht immer angemessene Berücksichtigung. Am ehesten
sind die vermutlich lokalen Wurzeln erforscht. Bemerkenswert ist, daß sowohl die germanischen als
auch die byzantinischen Elemente in der 1. und 2. Periode der Avarenzeit fast ausschließlich in
"avarisierter" Form erscheinen (z.B. I. Stil, Keramik von Környe- und Csákberény-Typ,
Bommelohrringe, verschiedene Keramiktypen, Ornamentik der Gürtelbeschläge). Eine Auswahl
von mehreren Fundtypen von germanischem Charakter steht in katalogisierter Form der Forschung
zur Verfügung (A. KISS), ferner sind germanische Elemente in der Frauentracht entdeckt worden (T.
VIDA), die auch in ornamentaler Hinsicht untersucht wurden (M. NAGY, G. HASELOFF). Überblicke
und Einzelstudien über die byzantinisch geprägten Fundstücke sind erschienen (D. CSALLÁNY; GY.
LÁSZLÓ; É. GARAM; I. BÓNA; J. ZÁBOJNIK 1992, V. VARSIK 1992, U. IBLER 1992). Weitere Einzelstudien
beschäftigten sich mit der autochthonen Bevölkerung, wobei festgestellt wurde, daß von den
Langobarden keine bedeutendere Gruppe zurückblieb. Die am besten untersuchte nicht-avararische
Gruppe stellt die Keszthely-Kultur dar, deren Herkunft zumeist nicht auf weiterlebende
Restromanen, sondern auf von den Avaren aus den byzantinischen Städten der unteren Donau (I.
BÓNA 1970) oder der aus Thrakien (CS. BÁLINT) umgesiedelten Bevölkerungsgruppen zurückgeführt
wird. Unklar ist der ethnische Hintergrund der germanischen Fundtypen und Ornamentik in
Pannonien im 6. - 7. Jahrhundert. Dies wird häufig mit fortlebenden Gepiden verknüpft (I. BÓNA; M.
MARTIN; A. KISS 1992); fraglich ist aber, ob überhaupt ein ethnischer Hintergrund zu suchen ist (CS.
BÁLINT). Unter den Funden aus der 3. Periode wird seit langem der Ornamentik der Gürtelbeschläge
besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Im Falle von Greifen und Tierkampfszenen wurden die
skythischen und fernöstlichen Vorbilder teilweise (über)betont (N. FETTICH 1929; Z. FELVINCZITAKÁCS; GY. LÁSZLÓ), ohne daß man die chronologischen und geographischen Entfernungen
überbrücken könnte. Das Heranziehen der in jeder Hinsicht näheren byzantinischen Analogien zur
spätavarenzeitlichen Kunst (J. DEKÁN), das nicht ohne Vorgänger ist (N. FETTICH, K. BENDA), wurde
skeptisch beurteilt (B. M. SZŐKE), in einigen Fällen angemessener ausgewertet (F. DAIM). Als
wichtiger Nachweis der asiatischen Kontakte der spätavarischen Kultur gilt - ohne ausführliche
typologische und technologische Vergleichsstudien - die gelbe Keramik (D. BIALEKOVÁ; É. GARAM),
wobei die Frage nach Art und Weise der Vermittlung aus Sogdien in das Karpatenbecken offen
blieb.
5. Fortleben: Mangels datierbarer Münzen und weil das Kernland des avarischen Siedlungsgebietes
nach dem Untergang der politischen Macht der Avaren an der Peripherie der Interessen der Franken
und Bulgaren lag (wenn nicht sogar außerhalb davon, wie das Donau-Theiß-Zwischenstromland
[vielleicht identisch ist mit dem "Avarorum solitudo" Reginos?]), ist das archäologische Material
der Avaren im 9. Jahrhundert nur aus sporadischen Funden bekannt oder indirekt aussonderbar. In
Pannonien entstand eine "karolingische Randkultur" (I. BÓNA), in der avarische Elemente bis etwa
zur Mitte des 9. Jahrhundert nachzuweisen sind, aber auch westslavische Schmuckgegenstände
häufig auftreten (B. M. SZŐKE 1992). Analoge Erscheinungen mit der karantisch geprägten
→Köttlacher-Kultur← und mit dem bayerischen Raum sind ausführlich analysiert worden (B. M.
SZŐKE). Östlich der mittleren Donau und besonders der Theiß gibt es keine archäologischen Belege
für eine bedeutsame Anwesenheit der →Bulgaren← (B. M. SZŐKE verbindet dagegen die
handgemachten Tonkessel und Backofen mit ihnen), was wohl auf ein längeres Nachwirken der
avarischen Kultur hinweist (der Fund von Ada unterstützt diese Vermutung [CS. BÁLINT 1989]). In
Siebenbürgen kann die bulgarische Herrschaft nicht nur schriftlich und onomastisch nachgewiesen
werden; sie spiegelt sich auch im Vorkommen der Keramik der →Balkan-Donau-Kultur← und in
gewissen Schmucktypen (→Moreşti←, Obirsia) wider (M. COMŞA, B. M. SZŐKE).
6. Grabfunde: Frühavarenzeit: (a) Schmuck: kugel- und pyramidenförmige Ohrgehänge (auch bei
Männern); bunte Glasperlen (je 1 Stück auch bei Männern); einfache eiserne oder trompetenförmige
silberne Armreifen; gepreßte silberne Zierscheiben mit Glaseinlage in der Mitte. (b) Gürtel: mit
einfachen Blechriemenzungen, seltener mit Beschlägen vom Typ Martynovka und mehrteiligen
Garnituren mit Verzierung; Pseudoschnallen. Ornamentik der Gürtelbeschläge: Flechtband mit
Zahnornamentik, II. Stil; byzantinische Elemente (menschliches Gesicht, Löwe, Fisch, Zypresse);
Ranken und Palmetten. Taschenverschluß aus Knochen; Feuerschläger mit leicht gebogenen Enden.
(c) Pferdegeschirr: runder Steigbügel mit langer oder schleifenförmiger Öse; einfache Ringtrense;
Pferdegeschirr mit halbkugelförmigen Beschlägen und kleinen Riemenzungen; mit geschnitzten
Beinplatten verzierter Sattel. (d) Waffen: langes, einschneidiges Schwert mit P-förmigen Hängeösen
oder mit 3-förmigen und Ringknaufenden; schilfblattförmige Lanze; Reflexbogen mit schmalen
Knochenplatten; breite, manchmal durchlochte dreiflügelige Pfeilspitzen; mit Knochenbeschlägen
verzierter Köcher aus Eisen; Reste von Ring- und Lamellenpanzern. (e) Keramik: schnellgedrehte
graue und rote Ware; Amphoren; handgemachte Töpfe mit Trichtermund oder mit Buckel,
eingezwicktem Rand und viereckigem Mund. (f) Werkzeug: flache Spinnwirtel, Axt. (g) Sonstiges:
Pinzetten; Beigabe von byzantinischen Münzen. Mittelavarenzeit: Neben den weiterlebenden
Gegenstandstypen der vorhergehenden Periode treten neue Fundtypen auf. (a) Schmuck:
Bommelohrring; Ohrring mit Perlenanhänger oder mit Kügelchenzier; melonenkernförmige Perle;
Zopfspangen (nur bei Männern); Halsreifen mit kleinem Blechbehälter; durchbrochene
Zierscheiben; runde und viereckige Agraffen mit gepreßter oder glasverzierter Ornamentik;
Halskette; Kreuz; gepreßte Beschläge byzantinischer Herkunft. (b) Gürtel: viereckige
Blechbeschläge mit leicht eingebogenen Seiten und Glaseinlage oder mit X-förmigem Durchbruch.
(c) Ornamentik: Flechtband mit echter oder imitierter Glaseinlage; Greifendarstellung. (d)
Pferdegeschirr: Steigbügel mit gerader Sohle; Trense mit seitlichen Knebeln. (e) Waffen:
einschneidiger Säbel mit gerader Parierstange; Kampfmesser. (f) Keramik: schwarze Ware; in
Pannonien sporadisch Prager-Typ (→Prag-Korčak-Kultur←). (g) Werkzeug: doppelkonischer
Spinnwirtel. (h) Sonstiges: Münzebeigabe; mit Beschlägen verzierter Holzeimer. Spätavarenzeit:
Neuere Fundtypen: (a) Schmuck: runde Ohrringe mit tordiertem Ring oder mit keulenförmigem
Anhängsel und Glasperle oder mit Seitensprossen; ovale Ohrgehänge mit runden oder
geschliffenen, länglichen Perlen; granulationsverzierte Ohrgehänge mit oktaederförmigem
Anhängsel; stangenförmige und maisförmige Perlen; bronzene Schelle mit Gesichtsdarstellung;
runde Agraffe mit Glaseinlage; Armband mit offenen Enden und Glaseinlagen; Armring mit
kolbenförmig verdicktem oder mit Tierköpfen verziertem Ende; Spiralfingerring; Gürtel mit aus
Bronze gegossenen Beschlägen (doppelschildförmige, Propellerbeschläge und Schlaufenbeschläge
mit Ringanhängsel sind typologische Fortsetzungen der früheren Perioden). Die Gußtechnik
ermöglichte eine wesentlich reichere Formenvielfalt und Ornamentik der Beschläge und
Riemenzungen. (b) Ornamentik: Tierkampfszene mit Raubtier, Greif und Huftier; Jagdszene;
Menschendarstellungen (auch Nachahmung von kaiserlichen Portraits); hellenistische Szenen;
flache,
S-förmige,
traubenförmige,
symmetrische
Ranken;
Lilienblätter
mit
punziertem
Hintergrund. (c) Pferdegeschirr: neu sind die großen, oft mit Silber- oder Kupfertauschierung
verzierten Phaleren. (d) Waffen: Reflexbögen mit breiteren Knochenplatten. (e) Keramik:
schnellgedrehte gelbe Ware; handgedrehte Keramik mit Kammeinstichen und Linienverzierung;
handgemachte Keramik mit grob eingestempelter Verzierung. (f) Große Variation an Werkzeugen:
beinerne Nadelbüchsen; Sichel; Dechsel.
7. Importgegenstände meist byzantinischer Herkunft (Schmuck, Kreuz, Gürtel, Schwert, Keramik,
Gebrauchsgegenstände bzw. Luxuswaren) wurden untersucht (A. KISS; E. TÓTH; É. GARAM 1993; CS.
BÁLINT), ebenso die Kontakte zum Merowingerreich (F. STEIN; J. ZÁBOJNÍK). Einige
Goldschmiedearbeiten von fremder (byzantinischer) Herkunft sind wohl geschmolzen oder
zerschnitten gewesen (Tépe, Kunágota).
8. Schatzfunde sind selten, aus der Frühavarenzeit ist der Fund von →Tépe← bekannt; gegen 680
wurde der münzdatierte Hortfund von Nemesvarbók (→Zemliansky Vrbovok←, Slowenien) mit
typisch frühavarenzeitlichen Gegenständen vergraben. Der in chronologischer und ethnischer
Hinsicht umstrittene Schatz von →Nagyszentmiklós← soll größtenteils in der Spätavarenzeit
hergestellt worden sein. Beziehungen der (spät)avarischen Kultur bzw. des letztgenannten Schatzes
zu den Funden von Vrap und "Erseke" (beide →Vrap←) sind noch nicht zufriedenstellend geklärt
(J. WERNER, P. STADLER 1986). Die Echtheit des noch weitgehend unpublizierten Fundes von
"Erseke" ist unsicher.
9. Siedlung (I. BÓNA 1973; B. M. SZŐKE 1992; J. ZÁRBOJNÍK; CS. BÁLINT 1991): Form, Aufbau und
innere Struktur der Häuser weichen nicht wesentlich von denen der im frühmittelalterlichen
Osteuropa verbreiteten Grubenhäuser ab; sie sind zumeist 3 - 4 x 4 - 5 m groß, viereckig mit leicht
abgerundeten Ecken und 2 - 4 Pfosten, Stangen(löchern) mit sehr unterschiedlicher Anzahl (Reste
der Raumteilung innerhalb des Hauses, Zeichen ständiger Rekonstruktion der Wände?), Eingang
mit Treppen oder mit abfallendem Eingang neben/bei der südlichen bzw. südöstlichen Ecke, Ofen
bzw. Herd gegenüber dem Eingang oder rechts davon. Eine Feuerstelle befand sich entweder in der
Mitte oder in einer Ecke, der Ofen/Herd stand immer in der Ecke, unter dem Boden des letzteren
war meist eine Stein- oder Scherbenpackung (für längere Wärmespeicherung). Von der Größe
abgesehen stimmen Form und Typ der freistehenden Öfen mit denen in den Häusern überein.
Gräben von unterschiedlichster Form und mit einfachem Querschnitt kamen auf allen größeren
Grabungen vor. Sie dürften kaum Bestandteile von Verteidigungsanlagen oder der Wasserableitung
gewesen sein, sondern wohl zur Abgrenzung der einzelnen Gehöfte gedient haben (ganz einzigartig
ist ein im Donau-Theiß-Zwischenstromland freigelegter 1,5 km langer geradliniger Graben
[Grabung A. VADAY, unpubliziert]). Brunnen sind meist runde oder viereckige Löcher. Die größeren
Siedlungsgrabungen sind noch nicht publiziert. Drei Siedlungsformen lassen sich jedoch erkennen:
eine sehr lockere, dem Anschein nach einphasige, wobei die Bauwerke sich nicht überschneiden;
eine zweite mit äußerst intensiver Baukonzentration auf einer viel kleineren Fläche und eine dritte
mit einer zentralen Straße, an deren beiden Seiten die Häuser auf regelmäßigen Grundstücken, je
mit einem eigenen Brunnen versehen, standen. Die Ursachen dieser siedlungstypologischen(?)
Unterschiede (Chronologie, Größe der zur Besiedlung verfügbaren Oberfläche) sind unerforscht.
Von den Gräberbefunden und der mengenmäßig dominierenden Keramik abgesehen, läßt die
bislang auf den Gräbern basierende Forschung kaum Rückschlüsse auf Siedlungen zu. Lediglich
kleine Schmuckgegenstände können für die chronologische Einordnung der sonst schwer
datierbaren Siedlungen herangezogen werden. Selten auch stehen die Zeugnisse regelmäßiger
Bestattungen in einem direkten Zusammenhang mit Siedlungen. Die Zugehörigkeit beider
Erscheinungen zu den Avaren ist trotz der Schwierigkeiten in der genauen chronologischen
Einordnung nicht zu bezweifeln.
10. Handwerk: Direkte Belege für Goldschmiedekunst sind nur die Preßmodeln aus der
Frühavarenzeit (→Fönlak←v, Gátér, Biskupin) und Gußmodeln aus der Spätavarenzeit (→SzegedBilisics←) und Töpferöfen des 7. Jahrhundert. Zwei Typen von Brennöfen für Eisenbearbeitung
sind im Khaganat bekannt. Von Bedeutung ist, daß sich der Anteil der auf spätantike Traditionen
zurückzuführenden schnellgedrehten Keramik im 8. Jahrhundert, im Vergleich zum 6. 7. Jahrhundert, wesentlich vermindert (T. VIDA). Die - mit einer darauf basierenden weitgehenden
gesellschaftlichen Folgerung verbundene - Annahme, wonach zwei identische Gürtelbeschläge nicht
zugleich vorhanden sind, ist nicht mehr haltbar. Auch die These, daß die Komponente der
spätavarenzeitlichen Bronzeindustrie aus dem slowakischen Erzgebirge stammt (J. WERNER 1986),
konnte nicht untermauert werden: Gemäß metallographischer Untersuchungen sind Beschläge
derselben Garnitur mitunter unterschiedlicher Herkunft (L. KÖLTŐ).
11. Bestattungssitten: In der bisherigen Forschung (zusammenfassend P. TOMKA 1992) stand bisher
die Untersuchung volkstümlicher Gebräuche im Mittelpunkt, wie z.B. die Funktion von Axt,
Messer, Sichel im Grab (GY. LÁSZLÓ 1955; P. TOMKA; P. SOMOGYI). Dabei wurden die
Pferdebestattungen (A. KISS; P. TOMKA; I. BÓNA), die sog. Nischen- (richtig: Stollen-) Gräber (G.
LŐRINCZY 1992), die Konstruktion der Särge (P. TOMKA; E. TÓTH), die Graborientierung (P. TOMKA),
die Scheiterhaufenfunde (I. BÓNA 1971; P. TOMKA), der Totenobolus (É. GARAM 1978; I. BÓNA) und
der Grabraub ausführlicher erforscht (GY. LÁSZLÓ 1955; K. BAKAY 1973). Von dieser
Forschungsrichtung
kommt
auch
die
von
der
Ethnographie
bestimmte
Methode
der
Gräberfeldanalysen in Ungarn (GY. LÁSZLÓ 1955; P. TOMKA; J. SZENTÉTERI ). Bei den "fürstlichen
Funden" (Bócsa-Tépe-Kreis, Grab von Kunábony) ist noch der Begriff "Prunkgrab" zu klären.
Anordnung, topographische Lage, Belegung, Größe und Struktur der Friedhöfe, Ausmaß der
Gräber, Lage der Bestatteten, Keramik- und Speisebeigabe sowie die Superpositionen sind in den
Monographien der einzelnen Gräberfeldpublikationen untersucht worden (eine Übersicht F. DAIM
1987). Die slowakische Forschung schenkte dem (eventuellen) ethnischen Hintergrund der
Körperbestattung, der Keramikbeigabe und Pferdebestattung (A. TOCÍK; Z. ČILINSKÁ) bes.
Aufmerksamkeit.
12. Glaubenswelt: Archäologische Fundgegenstände lassen direkte Schlußfolgerungen auf den
Glauben ihres Trägers nicht zu (z.B. die Kreuze von Ozora und Zalkod, eingeritzte Zeichnung des
Gefäßes von Deszk-I). Dagegen erlauben die eisernen Sargkreuze (Székkutas) einige Rückschlüsse.
Im chronologisch und ethnisch umstrittenen Schatz von Nagyszentmiklós kommen neben einer
Kreuzdarstellung, einem angeblich verlorenen Kreuz und den griechischen Inschriften zweier
Schalen auch zwei Gefäße vor, die wohl für kirchliche Zwecke benutzt worden sind. Ansonsten
besitzen alle bewertbaren Bestattungssitten nichtchristliche, sogar orientalische Merkmale
(Pferdebestattung, vor allem die partielle Variante, besondere Grabformen, Nord-Süd oder
umgekehrte Orientierung usw.). Eine in einen Knochentiegel eingeritzte Zeichnung (→Mokrin←)
ist oft als schamanistische Darstellung gedeutet worden: Lebensbaum mit Sonne und Mond sowie
unterschiedliche Tiere aus der Steppenwelt (GY. LÁSZLÓ; andererseits sei der Tiegel ein Spielzeug
gewesen, so D. CSALLÁNY). Die Annahme, wonach das Gräberfeld von Dunacséb (→Čelarevo←,
Serbien) wegen der in den Gräbern gefundenen römischen Ziegel mit eingeritzten jüdischen
Symbolen im 9. Jahrhundert ins Karpatenbecken eingewanderte Chazaren jüdischen Glaubens
zugewiesen werden könne, ist verfehlt (die reiche, heidnisch geprägte Grabbeigabe sowie die
Pferdebestattung sind mit dem Judentum unvereinbar).
Csanád Bálint
Lit. (in Auswahl): F. PULSZKY, A magyarországi avar leletekről, in: ÉTTK III, 1874, 1 - 12; J.
HAMPEL, Alterthümer des frühen MA in Ungarn I - III, Braunschweig 1905; A. ALFÖLDI, Untergang
der Römerherrschaft in Pannonien II, Leipzig - Budapest 1926; N. FETTICH, Das Kunstgewerbe der
Awarenzeit, Budapest 1926 (ArchHung 1); DERS., Bronzeguß und Nomadenkunst auf Grund der
ungarländischen Denkmäler, Prag 1929 (Skythika 2); D. CSALLÁNY, A kunszent-mártoni avarkori
ötvössír, Szentes 1933; A. MAROSI, N. FETTICH, Trouvailles avares de Dunapentele, Budapest 1936
(ArchHung 18); GY. LÁSZLÓ, Grabfunde der Frühawarenzeit, in: FolArch 1 - 2, 1939, 155 - 180;
DERS., Études archéologiques sur l'histoire de la société des Avars, Budapest 1955 (ArchHung 34);
DERS., Archäol. Denkmäler der Awarenzeit in Mitteleuropa, Budapest 1956; I. KOVRIG, Das
awarenzeitliche Gräberfeld von Alattyán, Budapest 1963 (ArchHung 40); GY. LÁSZLÓ, A "kettős
honfoglalás"-ról, in: ArchÉrt 97, 1970, 161 - 190; I. BÓNA, Avar lovassír Iváncsáról, in: ArchÉrt 97,
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Budapest 1973; K. BAKAY, Az avarkor időrendjéről, in: Som MúzKözl 1, 1973, 5 - 86; Z. ČILINSKÁ,
Frauenschmuck aus dem 7. - 8. Jahrhundert im Karpatenbecken, in: SIA 23, 1975, 63 - 96; J.
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spätawarenzeitliche Siedlung von Eperjes (Kom. Csongrád), Budapest 1991 (Varia ArchHung 4);
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der Fundstücke aus den Fürstengräbern im Ung. Nationalmus., Catalogi Musei Nationalis
Hungarici, Seria (sic!) Arch. I, Budapest 1993.
URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=203.2000
II/2. Anthropologie: Das anthropologische Material der Bevölkerung des avarischen Khaganates
besteht aus etwa 4000 Skelettfunden von etwa 95 Fundstätten (1700 männliche, 1500 weibliche,
800 Kinderskelette), die in uneinheitlicher Funddichte im gesamten Karpatenbecken, in dem von
den Avaren besiedelten Gebieten, vorkommen. Eine auf den chronologischen Stufen beruhende
Analyse des gesamten Materials steht noch aus, es scheint jedoch, als sei der anthropologische
Charakter der Bevölkerung, unabhängig von der archäologischen Periodisierung, im wesentlichen
unverändert geblieben. Etwa 83 - 84 % der Bevölkerung hatten Merkmale der europiden Rasse,
darunter war der Prozentsatz der Dolichokranen etwas höher, als der der Brachykranen. Insgesamt
kaum mehr als 10 % der Bevölkerung gehörten der mongoliden Rasse an, und auch der Anteil der
gemischten Europo-Mongoliden war kaum höher als 6 - 7 %. Ungeklärt ist noch die Menge der
Mongoliden in den einzelnen drei Perioden, sie waren jedoch, von Südostpannonien abgesehen, in
allen Gebieten vertreten. Das Verhältnis zwischen Individuen vom mongoliden und europiden Typ
war offenbar je nach Regionen unterschiedlich. Die anthropologischen Merkmale lassen auf
Zusammenleben und Eheverbindungen schließen. Die Körpergröße der Bevölkerung war sehr
unterschiedlich, geringer war eher jene der Mongoliden. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand
ist für die Avarenzeit im Karpatenbecken in anthropologischer Hinsicht eine gewisse regionale
Gliederung zu beobachten: In Westpannonien und nördlich der Donau lebte vorwiegend eine
dolichokrane, in Ostpannonien und zwischen Donau und Theiß eher eine brachykrane Bevölkerung,
während in den Gebieten östlich der Theiß, die anthropologisch noch weniger untersucht sind,
zunächst brachykrane und dolichokrane Völkergruppen gleicherweise zu beobachten sind. Die
Mongoliden stammen wohl aus Zentralasien, Analogien zu den ostpannonischen Gräberfeldern sind
in der Steppe östlich des Don zu finden, während die westungarischen und südslowakischen
Zeugnisse Kontakte zur Bevölkerung der osteuropäischen Laubwald-Zone belegen. Zur Zeit gibt es
keinen Anhaltspunkt für die sichere Beurteilung der Herkunft der Avaren mit breitem Schädel und
geringer Körpergröße im Donau-Theiß-Zwischenstromgebiet, doch weist ihr anthropologischer
Charakter auf Herkunft aus der östlichen Steppen hin. Wegen der Analogien in anthropologischer
Hinsicht ist es wahrscheinlich, daß die avarenzeitliche Bevölkerung Pannoniens und der heutigen
Südslowakei fortbestand, während die Avaren zwischen Donau und Theiß ohne weitere Spuren
verschwanden. Das Fortleben der Bevölkerung östlich der Theiß darf vermutet werden, doch hängt
die Klärung dieser Frage von künftigen Materialveröffentlichungen ab.
KINGA ÉRY
Lit.: T. TOT, Ob udel'nom vese mongoloidnich elementov v naselenii Avarszkogo kaganata, in: T.
Tot, B. V. Firstejn, Antropologičeskie dannye k vorposu o velikom pereselenii narodov. Avari i
sarmaty, L. 1970, 5 - 68; P. LIPTÁK, Avars and Ancient Hungarians, Budapest 1983, 48 - 95; K. ÉRY,
Comparative statistical studies on the physical anthropology of the Carpathian Basin population
between the 6 - 12th centuries A. D. Alba Regia 20, 1983, 98 - 141; M. THURZO, Teritoriálne a
chronologické diferencie základnych kraniometrickych znakov populacii avarského obdobia na
Slovensku, in: Zbor. Slovenského národného Múzea, Prir. Vedy 34, 1988, 105 – 222.
URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=203.3000
III. Geschichte
1. Quellen und Forschung: Obwohl die Avaren zwischen 568 und 796 weite Teile des östlichen
Mitteleuropa beherrschten, wurden sie weder im allgemeinen Geschichtsbewußtsein ausreichend
wahrgenommen noch in der historischen Forschung entsprechend gewürdigt. Das liegt nicht zuletzt
am Mangel schriftlicher Quellen: Von den Avaren selbst ist außer einigen kurzen, unterschiedlich
deutbaren Runeninschriften (z.B. Knocheninschrift von Szarvas) und etwa einem Dutzend Namen
nichts erhalten. Die Quellen, die über sie berichten, sind hingegen sehr verstreut; die ausführlichsten
Informationen geben die byzantinischen Chroniken des →Menander Protektor← (6. Jahrhundert),
Theophylaktos →Simokates← (7. Jahrhundert) und Theophanes (9. Jahrhundert). Dazu kommen
wichtige Nachrichten im Maurikios-Strategikon (um 600), in den →Miracula Sancti Demetrii←
(7. Jahrhundert) sowie Berichte über die avarische Belagerung von Konstantinopel (626). Dagegen
hören wir in byzantinischen Quellen nach 626 fast nichts mehr über die Avaren. Im lateinischen
Westen ist die Langobardengeschichte des Paulus Diaconus vom Ende des 8. Jahrhundert die
Hauptquelle; wichtige Episoden aus der Krisenzeit um 626 finden sich bei Fredegar (7. Jahrhundert;
→Chroniken←). Der Untergang des Avarenreiches wird schließlich in Einhards Vita Karoli, in
karolingischen Annalen, Briefen, Gedichten etc. behandelt.
Viele Nachrichten, besonders über die Zeit zwischen 602 und 788, sind jeweils nur in einer Quelle
überliefert, dabei episodisch und oft in legendärer Form. Dennoch gaben sie der Forschung Anlaß
zur Entwicklung komplizierter und kontrovers diskutierter Hypothesen, die nicht selten auf
interdisziplinären Zirkelschlüssen basierten. Dabei ging es etwa um die Herkunft der Avaren (H. W.
HAUSSIG, A. KOLLAUTZ, K. CZEGLÉDY), das avarisch-slavische Verhältnis (G. LABUDA, B. GRAFENAUER,
Z. ČILINSKÁ, M. COMŞA, Á. CS. SÓS, W. FRITZE, O. PRITSAK) oder um die Frage einer sogenannten
"zweiten avarischen Landnahme" am Ende des 7. Jahrhundert (Gy. LÁSZLÓ, G. VÉKONY, S.
SZÁDECZKY-KARDOSS, I. BÓNA). Wesentlich seltener wurde die Geschichte der Avaren in größerem
Zusammenhang untersucht, u.a. von H. H. HOWORTH, J. DEÉR, A. KOLLAUTZ - H. MIYAKAWA (1970,
eher eine Sammlung unzusammenhängender Einzelstudien), A. AVENARIUS (1974), J. KOVAČEVIČ, W.
SZYMÁNSKI-DÁBROWSKA, W. POHL (1988).
2. Herkunft und Ethnogenese: Die Umstände der Ankunft der avarischen Kerngruppen in Europa
sind aus den schriftlichen Quellen gut zu erschließen. Die erste avarische Gesandtschaft kam im
Winter 558/59 aus dem Kaukasusgebiet nach Konstantinopel. Die diplomatischen Beziehungen zu
den zentralasiatischen Türken verhalfen den Byzantinern zu Informationen über die Hintergründe,
die bei Menander und im "Skythenexkurs" Theophylakts erwähnt werden. Danach galten die
Avaren bei den Türken als "Varchoniten"; den achtunggebietenden Avarennamen hätten sie sich nur
angemaßt. Tatsächlich kannte bereits Priskos im 5. Jahrhundert den Namen der Avaren aus
Zentralasien. Auf der Basis der Kombination dieser Nachrichten mit chinesischen, persischen u.a.
Quellen wurde häufig die Identifizierung der Avaren mit zentralasiatischen Völkern wie den JuanJuan oder den Hephthaliten vorgeschlagen. Es ist jedoch geboten, die Komplexität der
Informationen ernst zu nehmen und an eine heterogen zusammengesetzte Gruppe zu denken, die auf
der Flucht vor der neuentstandenen türkischen Großmacht war. Sie wurde bald nach 580 durch neue
Flüchtlinge verstärkt, die Theophylakt als Tarniach, Kotzagir und Zabender bezeichnet. An der
unteren Donau schlossen sich weitere Gruppen (→Kutriguren und Utiguren←, →Bulgaren←,
Gepiden, Slaven) den Avaren an und wurden teilweise avarisiert. Mit Zuwanderungen aus dem
Steppenraum ist im 7. Jahrhundert zu rechnen. Die europäischen Avaren sind also aus einer
eigenständigen Ethnogenese hervorgegangen; die Frage nach ihrer Herkunft ist durch eine einfache
Gleichsetzung zu beantworten. Die Nachbarn bezeichneten die Avaren häufig mit dem traditionellen
Namen "Hunnen", manchmal auch als Skythen, was sie als östliche Reiterkrieger kennzeichnete.
3. Die Avaren bis 626: 558/59 schloß Kaiser Justinian mit den Avaren einen Vertrag, der sie gegen
Geschenke und Jahrgelder zu Kampfhilfe verpflichtete. Binnen weniger Jahre besiegten die Avaren
daraufhin Utiguren, Kutriguren, →Anten← und andere Völker am Schwarzen Meer und griffen die
Franken (→Fränkisches Reich←) an der Elbe an. Im November 565 verweigerte der neue Kaiser
Justin II. eine Verlängerung des Vertrages. Daraufhin (567) wandten sich die Avaren unter ihrem
Khagan →Bajan← im Bündnis mit den →Langobarden← gegen die Gepiden und profitierten fast
kampflos von deren Niederlage und dem Abzug der Langobarden nach Italien (568). Sie besetzten
das gesamte Karpatenbecken; nur ein Angriff auf das von den Byzantinern besetzte →Sirmium←
schlug fehl. Nach ersten avarischen Erfolgen schloß der Caesar Tiberios Ende 574 einen neuen
Vertrag mit den Avaren, dem u.a. ihre Angriffe auf die Slaven nördlich der unteren Donau folgten.
Doch brach Bajan 580 das Bündnis und griff erneut Sirmium an, das nach dreijähriger Belagerung
kapitulieren mußte. Der darauf geschlossene neue Vertrag (582) hatte ein Jahrgeld von 80 000
Solidi zur Bedingung.
Dennoch wurde der Vertrag von Bajans Sohn und Nachfolger bald darauf gebrochen; in mehreren
Kriegszügen im Laufe der achtziger Jahre eroberten die Avaren zahlreiche Limeskastelle und
stießen mehrmals bis ins Innere →Thrakiens← vor, wo sie erst vor →Adrianopel←
zurückgeschlagen wurden. Auch →Thessalonike← wurde 586 erstmals vergeblich belagert. Doch
besetzten die Avaren die eroberten Kastelle nicht; sogar Singidunum erhielt bald wieder eine
byzantinische Besatzung und blieb umkämpft. Die Jahrgelder erhöhten sich schrittweise auf
120 000, vor 626 sogar auf 200 000 Solidi. Seit dem Perserfrieden von 591 operierte Kaiser
Maurikios auch offensiv gegen Avaren und Slaven; 599 konnte der Feldherr Priskos sogar siegreich
bis über die Theiß vordringen. Dem stehen erfolgreiche avarische Einfälle nach Thrakien und
→Dalmatien← gegenüber. 595/96 wandten sich die Avaren auch nach Westen, wo an der oberen
Drau ein Baiernheer vernichtet wurde, und die Franken nach Plünderungen in →Thüringen← den
Abzug der Avaren erkaufen mußten.
Das Gleichgewicht der Kräfte zwischen Avaren und Byzanz an der unteren Donau brach im Jahr
602 mit dem Sturz des Maurikios zusammen. Unter Phokas und Herakleios gelang es den
Byzantinern nicht mehr, eine koordinierte Verteidigung der Balkanprovinzen zu organisieren. Auf
längere Sicht begünstigte das die zerstreut operierenden slavischen Gruppen, von denen sich viele
auf der Balkanhalbinsel niederließen. Die Avaren beteiligten sich um 615 an der Eroberung von
Naissus und Serdica sowie einige Jahre später an einer vergeblichen Belagerung von Thessalonike.
623 standen sie an den Langen Mauern, wo Kaiser Herakleios nur knapp einem Hinterhalt entkam.
Im Westen gab es weiterhin nur kleinere avarische Vorstöße, u.a. nach →Friaul← (um 610), wo
Dux Gisulf II. fiel und →Cividale← geplündert wurde, vielleicht auf Veranlassung des
Langobardenkönigs Agilulf (→Agilolfinger←), mit dem ein Bündnis bestand. 626 unternahmen die
Avaren unter Führung des jüngeren Sohnes Bajans zur Belagerung Konstantinopels ihren größten
Kriegszug. Das Unternehmen war mit den Persern koordiniert, deren Heer am asiatischen Ufer des
Bosporus stand. Bulgaren, Gepiden und Slaven trugen die Hauptlast der Belagerung. Vom Goldenen
Horn aus unternahmen Slaven in eigens herbeigeschafften Einbäumen den entscheidenden Angriff,
dessen Scheitern den Abbruch der 10tägigen Belagerung am 7. August zur Folge hatte, woran der
Hymnos Akatisthos erinnert.
4. Die Avaren seit 626: Die Niederlage von 626 verstärkte die zentrifugalen Kräfte innerhalb des
avarischen Herrschaftsbereiches. Zahlreiche Gebiete, über die der Khagan (→Herrschertitel←) bis
dahin Oberherrschaft ausgeübt hatte, lösten sich von seiner Macht, von den Steppen östlich der
Karpaten bis zu den Alpenslaven. Genauere Informationen gibt ein in seiner Interpretation
umstrittener Bericht Fredegars über die Vorgänge an der fränkischen Ostgrenze (wahrscheinlich in
Böhmen und Mähren), wo es dem fränkischen Kaufmann →Samo← schon in den Jahren vor 626
gelang, eine überregionale Herrschaft zu errichten, die er 630/31 auch gegen den Frankenkönig
Dagobert behaupten konnte. Zur selben Zeit kam es zu Kämpfen um die Nachfolge im Khaganat.
Eine bulgarische Gruppe flüchtete nach Baiern, wo viele auf Befehl Dagoberts umgebracht wurden;
nur →Alzeco← und sein Gefolge konnten sich retten.
In den folgenden 150 Jahren hören wir nur sporadisch von den Avaren: 663 wiederholte sich auf
Veranlassung des Langobardenkönigs Grimoald der Angriff auf Friaul. 678/79 ist letztmals eine
avarische Gesandtschaft in Konstantinopel bezeugt. In den folgenden Jahren verhinderte die
Herrschaftsbildung des bulgarischen Khans →Asparuch← den direkten Kontakt zu Byzanz. Im
Westen blieb das gute Verhältnis der Avaren zu den Langobarden erhalten. Wahrscheinlich 713/14
kam es an dem sonst friedlichen "limes certus", der sicheren Grenze zwischen Baiern und Avaren an
der Enns, zur Plünderung von Lorch. 742 halfen die Baiern dem karantischen dux Boruth gegen
einen avarischen Angriff, so daß Karantanien in den bayerischen Einflußbereich überging.
Der karolingischen Expansion unter Karl dem Großen hatten die Avaren wenig entgegenzusetzen.
Gesandtschaften (Lippspringe 782), Drohgebärden, die Unterstützung des Bayernherzogs
→Tassilo III.← und schließlich kleinere Angriffe nach dessen Sturz (788) konnten nicht verhindern,
daß die Franken eine großangelegte Offensive auf die "Hunnen" einleiteten. Im Herbst 791
marschierten unter Karls Befehl zwei Heere, unterstützt von einer Donauflotte, von Lorch
donauabwärts bis an die Raabmündung, ohne auf Widerstand zu stoßen. Bauarbeiten an einem
Main-Donau-Kanal sollten einen noch größeren Angriff vorbereiten helfen. Doch innere Konflikte
begünstigten die fränkischen Aktionen; die beiden obersten Fürsten, der Khagan und der Iugurrus,
kamen um, ein weiterer Würdenträger, der Tudun, unterwarf sich. Im Herbst 795 stieß eine kleine
Schar aus Friaul unter dem Slaven Woynimir zum "Ring", der zwischen Donau und Theiß
gelegenen avararischen Residenz, vor. 796 folgte ein Heer unter Pippin von Italien und Erich von
Friaul, das die Unterwerfung des neuen Khagans entgegennahm und den Ring neuerlich plünderte.
Bereits im selben Jahr behandelte ein Konzil an der Donau die Avarenmission.
Einen kurzzeitigen Rückschlag für die fränkische Eroberung bedeutete der Aufstand von 799 - 803;
nach seiner Niederschlagung konkurrierten verschiedene avarische Machtträger und slavische
Gruppen um fränkische Unterstützung. Doch konnten weder der Kapkhan Theodor noch der
Khagan Abraham (805) und auch nicht der Canizauci (811) eine dauerhafte Herrschaft aufbauen.
822 wird eine letzte avarische Gesandtschaft an die Franken erwähnt; weder als Gegner noch als
politischer Partner der Franken traten die Avaren danach auf. Östlich der Donau und in einem
umkämpften Raum südlich der Draumündung trat das Bulgarenreich die Nachfolge der Avaren an.
Die gemischte Bevölkerung der alten Provinz Pannonien beherrschten verschiedene slavische
Fürsten unter fränkischer Aufsicht. Nördlich der Donau ersetzte das Mährerreich (→Böhmen und
Mähren←) die avarische Macht. Das Gebiet zwischen Enns und Wiener Wald wurde direkt von
Bayern aus besiedelt und beherrscht; dennoch wurde es noch für Jahrzehnte als Avaria oder als
provincia Avarorum bezeichnet. Eine eigenständige politische Organisation aber meinte der
Avarenname nach 822 nicht mehr. Eine häufig vermutete avarisch-ungarische Kontinuität im
Karpatenbecken kann sich nur auf ein Fortleben der Nachkommen der Avaren und gewisser
kultureller Eigenheiten beziehen.
Das Ethnonym Avaren kam offensichtlich außer Gebrauch; stets war es untrennbar mit der
politischen Organisation verknüpft gewesen: Außerhalb des Khaganats hatte es - ganz zum
Unterschied von →Hunnen← oder Bulgaren - keine Avaren gegeben. Bei Notker Balbulus ist daher
ebenso wie im byzantinisch-slavischen Bereich (Nikolaos Mystikos, Nestor-Chronik) das
Bewußtsein erkennbar, daß die Avaren geradezu spurlos verschwunden waren. Nur literarische
Reminiszenzen blieben: Als gegen 900 die Ungarn sich im Karpatenbecken durchsetzten, wurden
sie von fränkischen Autoren (z.B. Regino von Prüm; →Chroniken←) auch mit den traditionellen
Namen der Avaren und Hunnen benannt. Ersterer trat jedoch bald zurück; die Erinnerung an die
Avaren war viel schwächer ausgeprägt als die an die Hunnen Attilas.
5. Beziehungen zu den Nachbarn: Eine überragende Rolle spielten für die Avaren vor 626 die
Beziehungen zu →Byzanz←. Die Byzantiner gaben Jahrgelder und Geschenke - bezeugt sind
neben Gold auch Silber, Edelsteine, Schmuck, verzierte Gürtel und Sättel, Liegebetten und Gefäße,
Seide und Gewänder, Gewürze, einmal sogar ein Elefant. Dafür waren die Avaren zur Hilfe im
Kampf verpflichtet. Die Byzantiner waren bestrebt, den Eindruck der Tributpflicht zu vermeiden
und betonten die Freiwilligkeit ihrer "Geschenke", während die Khagane im Empfang der Tribute
eine Erhöhung ihres Prestiges sahen. Durch einen kalkulierten Wechsel von Drohungen, Angriffen
und Verträgen und eine hochentwickelte Diplomatie versuchten die Avaren, einen möglichst großen
Gütertransfer aus Byzanz zu erzwingen. Dieser verschaffte ihnen die Mittel, ihr Heer durch
Geschenke und Repräsentation zu unterhalten. Die Avaren waren also auf den ständigen Zufluß von
Prestigegütern angewiesen und als dieser nach 626 versiegte, mußte dies eine Krise verursachen;
doch sicherten die bis dahin gesammelten Schätze noch lange den Vorrang vor den Konkurrenten.
Noch die Zeitgenossen Karls des Großen staunten über die ungeheuren Reichtümer, die der "Ring"
barg. Auch Grab- und Schatzfunde dokumentieren diese "Goldene Zeit" im Karpatenbecken.
Dagegen waren die Beziehungen zu den westlichen Nachbarn von untergeordneter Bedeutung.
Anders als →Hunnen← und Magyaren drangen die Avaren nie weit über ihre Westgrenze, also über
den von Slaven besiedelten Bereich, hinaus vor. Das stabile Bündnis mit den →Langobarden←
bezeugt Paulus Diaconus (um 600 gegen die Byzantiner). Auch die Konflikte mit den Franken (562,
566, 596) und Bayern (595, um 713, 742) bildeten eher Ausnahmen in meist friedlichen, allerdings
wenig intensiven Beziehungen, die bis zu den Angriffen Karls des Großen anhielten.
Wenig wissen wir von den Verbindungen der Avaren nach Osten. Bis um 600 scheinen sie ein
Ausgreifen der Türken nach Europa gefürchtet zu haben, die die "Varchoniten" als ihre geflüchteten
Sklaven betrachteten. Der Einfluß der avarischen Macht in den Steppen nördlich des Schwarzen
Meeres war offenbar begrenzt; die Anten außerhalb des Karpatenbogens konnten um 600 mit
Byzanz gegen die Avaren paktieren, was allerdings eine Strafexpedition des →Apsich← zur Folge
hatte. Vom Verhältnis zu den Bulgarenreichen →Kuvrats← sowie Asparuchs und seiner Nachfolger
ist ebenso wenig bekannt wie von Beziehungen zu den →Chazaren←. Einzelne Gruppen von
Bulgaren lebten unter avarischer Herrschaft im Karpatenbecken, was die Quellen vor allem
anläßlich von Konflikten überliefern: Neben den Leuten des →Alzeco← tritt so die Kuver-Gruppe
hervor, die aus Bulgaren, Avaren und den Nachkommen byzantinischer Gefangener bestand und
682/84 aus Pannonien nach Thessalonike abzog (Miracula Demetrii 2,5). Nach der Unterwerfung
durch die Franken schlossen sich avarische Krieger dem Bulgarenkhagan →Krum← an.
Außerordentlich komplex und dabei nach Region und Zeit verschieden war das Verhältnis zwischen
Slaven und Avaren. Manche Slaven kämpften im Heer des Khagans und siedelten unter seiner
direkten Kontrolle; andere, die vom Zentrum der avarischen Macht entfernt lebten, standen in
Abhängigkeitsverhältnissen, die sich durch Heerfolge, Tributzahlungen und Versorgungsleistungen
manifestierten. An der Peripherie mußten die Avaren schon vor 626 ihre Oberherrschaft immer
wieder erkämpfen, nach 626 verfiel sie offensichtlich völlig. Dennoch sind die avarischen Einflüsse
auf die Slaven sichtbar: So wurde der Name Obor zu einem Riesen umgedeutet, Titel wie Ban oder
→Župan← wurden aus der Sphäre der Reiterkrieger entlehnt, und avarische Prestigeobjekte wurden
z.B. alpenslavischen Gräbern (→Aigen-Hohenberg←, →Grabelsdorf←) beigegeben.
6. Gesellschaft und Lebensformen: Die Zeugnisse der schriftlichen Quellen über das
gesellschaftliche Leben der Avaren sind dürftig. Belegt sind eine Reihe von Rangtiteln, vor allem
aus der Zeit der fränkischen Eroberung. Der Herrscher der Avaren trug von Anfang an den Titel
Khagan (→Herrschertitel←), neben dem meist kein Name genannt wird (außer bei Bajan). Ihm
stand in spätavarischer Zeit ein Iugurrus zur Seite. Ob das Verhältnis der beiden Herrscher dem
chazararischen Muster folgte, ist zweifelhaft. Jedenfalls residierten sie beide im "Ring" zwischen
Donau und Theiß, wo auch die Schätze aufbewahrt wurden. Die Gemahlin des Khagans war die
Katun. Einer der einflußreichsten Fürsten war der Tudun, ein Titel, der über die Chazaren bis nach
China bezeugt ist. Einen niedrigeren Rang nahmen die Tarkhane ein. Anfang des 9. Jahrhundert
hören wir noch von einem Kapkhan und einem Canizauci (wahrscheinlich ein bulgarischer Titel).
Hinter den Titeln treten die Personennamen in den Quellen zurück; auch in frühavarischer Zeit ist
kaum zu sagen, ob Apsich oder Targitios Namen oder Titel sind.
Recht gut informiert sind wir über die avarische Kampfweise, die dem Muster der Steppenvölker
folgte: Schnelle Reiterattacken, Kampf mit Pfeil und Reflexbögen und die vorgetäuschte Flucht
sind charakteristische Merkmale. Die avarische Überlegenheit wurde dabei zunächst durch die
erstmalige Verwendung des Steigbügels in Europa gesichert. Wie diesen übernahm die
byzantinische Armee, wie das "Strategikon" (um 600) berichtet, Reiterlanzen mit Riemen, einen
Halsschutz aus Filz, den Brustschutz der Pferde, einen langen Reitermantel, der übers Knie reichte,
sowie die Zelte. Umgekehrt lernten die Avaren bald die Belagerungstechnik mit Maschinen.
Über Wirtschaft und Alltagsleben der Avaren berichten die Zeitgenossen fast nichts. Einzelne
Hinweise auf Handel, etwa den Kauf von Waffen in Konstantinopel, sind erhalten; dazu kam der
häufige Verkauf von Gefangenen und der Handel mit Sklaven. Wie lange sich nomadische
Lebensformen erhielten, wissen wir nicht. Angehörige der unterworfenen Bevölkerung lebten von
Anfang an im Karpatenbecken in Dörfern, wo sie Ackerbau und Handwerk betrieben, wie die
Bewohner dreier großer gepidischer Dörfer an der Theiß, auf die 599 das byzantinische Heer stieß,
oder die byzantinischen und langobardischen Gefangenen, die gezielt in Pannonien angesiedelt
wurden. Einzelne Spezialisten, etwa Architekten und Schiffsbauer, kamen aus Byzanz oder Italien.
Nur aus Grabungen können wir schließen, daß das 8. Jahrhundert im Karpatenbecken von
dörflichen Siedlungen und gemischter Landwirtschaft geprägt war.
Einige Hinweise gibt es auf die Religion der Avaren. Genannt wird um 580 ein hochrangiger
avarischer Priester am Hof des Khagans mit dem Titel Bookolabras, der ins byzantinische Exil ging.
Wiederholt werden Eide des Khagans beim Schwert oder bei Götzenbildern sowie zu einem
Himmelsgott erwähnt. Mehrfach schrieben Byzantiner wie Franken avarische Siege magischen
Handlungen zu, etwa Wetterzaubern oder der Erzeugung von Trugbildern. In →Pannonien← lebten
unter avarischer Herrschaft auch Christen, deren Bekenntnis den fränkischen Missionaren aber
zweifelhaft erschien. Nach deren Schilderung kannten die Avaren keine Schrift. Erfolge hatte die
politische Mission der Karolinger erst nach 795. Die christlichen Avarenfürsten, die biblische
Namen annahmen, konnten an die große Vergangenheit nicht mehr anknüpfen.
Walter Pohl
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URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=203.4000

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