GUTEN HIRTEN« ALS OSTERBILD. Die ältest
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GUTEN HIRTEN« ALS OSTERBILD. Die ältest
MISERIKORDIAS DOMINI 5,1–4 30.04.2006 1. Petrusbrief Liebe Predigthörerinnen, liebe Predigthörer. OSTERBILDERN NACHDENKEN. DAS BILD DES »GUTEN HIRTEN« ALS OSTERBILD. Die älteste bildliche Christus-Darstellung findet sich in einem Grabmal der Calixtus-Katakombe in S. Lucina bei Rom und wird um das Jahr 220 herum datiert. Sie stellt Christus als den »Guten Hirten« dar: ein bartloser Jüngling mit kurzer Tunika, ein Schaf um seine Schultern gelegt, die rechte Hand zum Segensgestus gehoben. Figürliches Vorbild für diese Darstellung ist der sogenannte Hermes Psychopompos: der Götterbote mit einem Schaf um die Schultern, das die Seele symbolisiert, die nach dem Tod die Jenseitsreise antritt und von dem Schafträger auf dieser Reise gegen andrängende Dämonen und alle Gefahren verteidigt wird. In den folgenden Jahrhunderten wird die Christusikonographie vielfältig. Das Hirte-Schaf-Motiv bleibt von zentraler Bedeutung. Dafür stehen die eindrucksvollen erhaltenen christlich-antiken Mosaiken im Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna (ca. 450) und in S. Apollinare in Classe bei Ravenna (ca. 540). Der ursprüngliche Ort für das Motiv des Guten Hirten scheint – die mythologische Vorlage des Hermes Psychopompos aufnehmend – die Grabstätte gewesen zu sein. OSTERBILDERN NACHDENKEN. DAS BILD DES »GUTEN HIRTEN« ALS OSTERBILD. Der zweite Ort, an dem das Motiv bald erscheint, ist der Taufraum. Ältestes Zeugnis dafür ist die Kapelle von Dura Europos (ca. 240), weiter S. Giovanni in Fonte in Neapel und das Baptisterium des Laterans in Rom. OSTERBILDERN NACHDENKEN. DAS BILD DES »GUTEN HIRTEN« ALS OSTERBILD. Der dritte Ort, an dem dieses Motiv erscheint - abstrakt und manifest zugleich - ist das Zentrum der Macht. Der Kunde nach errichtet Kaiser Konstantin der Große eine Statue des Guten Hirten auf einem Brunnen in Konstantinopel. Sie dürfte als Christusbild und Selbstbild des Kaisers zugleich gemeint gewesen sein. Seit dem 7. Jh. ist der Krummstab, der Hirtenstab des Bischofs, als die zentrale kirchliche Machtinsignie belegt. Der dritte Ort des Hirtenmotivs, das Zentrum der Macht, fasst die beiden anderen Orte in sich zusammen und bildet ab, worum es im »Hirtenamt« und im »Amt der Schlüssel«, geht: um Grab und Taufe, Tod und Leben. 1 OSTERBILDERN NACHDENKEN. DAS BILD DES »GUTEN HIRTEN« ALS OSTERBILD. In der hebräischen Bibel ist das Hirtenmotiv Lob Gottes als »Du Hirte Israels«2 für das Bundesvolk Israel »wir, dein Volk, die Schafe deiner Weide« 3. Im Hirtenmotiv ist das geschichtliche Handeln Gottes vom Auszug aus Ägypten bis zur Landgabe gestaltet 4. In Unsicherheit erinnert das Gebet des Volkes Gott an seine Hirtenpflicht 5. Jüdische Beiträge zu einer „Theologie nach Auschwitz“ stellen die Frage, ob der „Hirte Israels“ den Massenmord an seinem Volk überlebt hat. Es ist die Spiegelung der Geschwisterfrage Kains: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ 6 Die Dichtung der Frommen in Israel übertragen in Psalm 23 die kollektiven Beziehung - Volk-Hirte - auf den Einzelnen: JHWH erscheint als der persönliche Hirte, dessen Waffen »Stecken und Stab« gegen Raubtiere Sicherheit und Vertrauen vermitteln. Im Johannesevangelium bezeichnet sich Jesus selbst als »Guten Hirten«, der sein Leben für die Schafe hingibt 7. Die Sachaussage des Gleichnisses „vom verlorenen Schaf“ 8 paßt zu diesem »jesuanischen« Selbstverständnis, ebenso das Trostwort: »Fürchte dich nicht, du kleine Herde!« 9. Zum anderen beschreibt das Hirtenmotiv Handeln und Selbstverständnis der christlichen Gemeindeführer. Darauf deutet die österliche Umwandlung des Petrus vom Fischer zum Hirten10 hin: „Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach 1 Vgl. dazu Christliche Ikonographie in Stichworten (1973) Ps 80,2 3 Ps 79,13 vgl. Ps 74,1 4 Ps 78,52; Ps 95,7 5 Ps 74,1; Ps 80,2 6 Gen 4 7 Joh 10,11 8 Lk 15,1–7 9 Lk 12,32 10 Joh 21,15–17 2 2 zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!“ Wie der Lehrer Schüler das Verlorene zu suchen lehrt, lehrt der Gute Hirte gute Hirten die Fürsorge für die Verlorenen. Der Geschwisterkonflikt zwischen dem Produzenten Kain und dem Hirten Abel erscheint als Schwellenkonflikt von Tod und Leben. Die Frage „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ kehrt wieder als die Frage „wie werde ich meines Bruders Hüter?“. Aus der Frage der Sorglosigkeit wird die Frage der Fürsorge. In einem Ständespiegel der Ämter und Dienste der frühen christlichen Gemeinden ist zu lesen: „Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste11 und Zeuge12 der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit13, die offenbart werden soll: Weidet die Herde Gottes14, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen15, sondern von Herzensgrund; nicht als Herren16 über die Gemeinde, sondern als Vorbilder17 der Herde. So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte18, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit19 empfangen.“ 20 Die mit wenigen Strichen gezeichnete Karikatur des guten Hirten mit dem Schaf auf der Schulter, das verlangt: „Lass mich runter, ich muss kotzen“, ist ein gegenwärtiger Kritikspiegel der Kirche angesichts des Zwangs von Stellenplänen, von Effizienz und Gewinn kirchlichen Handelns und von der Herrschaft des kirchenleitenden Handelns über die Kirchengemeinden. Unterernährung und Überforderung, Enttäuschung und Wut, Ohnmacht und Ausgrenzung, Schmerz über Verlorenes, Verbotenes, Ungelebtes, Unterdrücktes führt zu dem verzweifelten Wunsch von Menschen: „Lass mich runter ...“. So schreien mündige Menschen in einer vormundschaftlichen Kirche. Bleibt die Frage der Integrität. Wo kann ich ganz werden? Und wo bleibe ich ganz? Die Frage nach dem Grab. Die Frage nach der Taufe „um der Integrität der eigenen Seele willen“ 21 Das Fragen des unruhigen Herzens angesichts der Schwelle Tod und der Schwelle Leben. Was trägt die Entdeckung der österlichen Metaphorie des Guten Hirten? Weist das österliche Bild vom gekreuzigten und auferweckten Christus - „Ich bin der gute Hirte“ - über Leben und Tod hinaus? Findet das unruhige Herz im Nachdenken des österlichen Bildes vom Guten Hirten Ruhe? Findet die geschundene Seele die Ruhe der behüteten Seele? Finden Frauen und Männer und Kinder im Bild des Guten Hirten ihre Integrität? Hatte der kleine Prinz daran gedacht: Ich bin für mein Osterbild vom guten Hirten verantwortlich? Finden sich Frauen und Männer im österlichen Bild des Guten Hirten ungezwungen als Hüter und Hüterin? Finden sich Frauen und Männer in dem österlichen Bild des Guten Hirten als menschenwürdige Vorbilder, als Menschen freien Willens, als Menschen mit ganzem Herzen? Als Beterinnen und Beter »Du Hirte Israels«, als Gott lobende Frauen und Männer »Der Herr ist mein Hirte«. Als Sängerinnen und Sänger: O Jesu Christe, wahres Licht, erleuchte, die dich kennen nicht, und bringe sie zu deiner Herd, daß ihre Seel auch selig werd.“ 22 Der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne und die Herzen und Sinne der Völker in Christus Jesus unserem Herrn. Amen. © Thomas M. Austel 2006 <[email protected]> 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 2. Joh 1,1 Mt 26,37; 26,69; Röm 8,17 Joh 21: Apg 20,28; 1. Tim 3,2-7 Hes 34,2-4; 2. Kor 1,24; Tit 2,7 Hebr 13,20; 1. Kor 9,25; 2. Tim 4,8 1. Pe 5, 1-4 Matthias Kroeger EG 72, Text: Johann Heermann 1630, Musik: Nürnberg 1676/1854