Überfall in der Oberschule
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Überfall in der Oberschule
1von2 http://www.sz-online.de/nachrichten/ueberfall-in-der-oberschul... Überfall in der Oberschule Die Landesbühnen Sachsen sprengen den Unterricht in Kötzschenbroda. Wo fallen sie als nächstes ein? 20.10.2013 Von Marco Mach Überall knallgelbe Schilder. Mit Pfeilen drauf. Explosionen. Mit Verhaltensregeln im Invasionsfall. Dazu gelb-schwarze Absperrbänder. Die Oberschüler in Kötzschenbroda sind sichtlich erstaunt und rätseln über das, was da gerade in ihrer Schule am letzten Schultag vor den Herbstferien abgeht. Das Gewusel ist groß. Dabei hatte der Tag wie immer begonnen. Bis die Landesbühnen, ohne Wissen der Schüler, die Bildungseinrichtung entern. „Invasion – Theater (be)spielt Schule“, heißt dieses neue Projekt für SchulSachsen. Theater im Klassenzimmer war gestern. Jetzt soll die ganze Schule gestürmt werden. Eine Probe fand im Radebeuler Timo Hastenpflug schockt die Schüler. Mit krassem Spiel zwischen den Schulbänken haben sie die Schüler gepackt: LandesbühnenSchauspielerin Sandra Maria Huimann war in der Oberschule Kötzschenbroda die verzweifelte Lehrerin Saskia (hinten links), Timo Hastenpflug ihr cooler Gegner Ben. „Rattenklatschen“ hieß das Stück. Foto: Arvid Müller ©arvid müller Lößnitzgymnasium statt, die Premiere im Heisenberg-Gymnasium Riesa. Nun war die Kötzschenbrodaer Oberschule dran. Noch um zehn Uhr tritt Lehrer Manfred Haase im Zimmer 4 ganz normal vor seine Klasse 8a, um die Klassenfahrt zu besprechen. Doch dann kommen auf einmal zwei junge Schauspieler durch die alte rote Holztür. Sie mit Mikro. Er mit Gitarre. Sie singen von Bambule, Invasion und „Rattenklatschen“, so der Titel des nun folgenden Stückes von Esther Rölz über einen brisanten LehrerSchüler-Konflikt. Zeitgleich wird der Unterricht auch in anderen Räumen gesprengt. Im Zimmer 3 geht’s im Stück „Fake“ um Cybermobbing, im Zimmer 18 in „Zigeuner-Boxer“ um die etwas schwierigeren Themen Nazi-Vergangenheit und Minderheiten. Andernorts liest Intendant Manuel Schöbel selbst und zeigt Schauspieler Jürgen Stegmann sein Balladenprogramm. Ziele des Ganzen sind: eine Öffnung der Schule hin zu Spiel, Kreativität und Gefühl, ein Mutmachen zum Ausprobieren und Scheitern in Lehrprozessen. Es geht um einen Perspektivwechsel für einen Vormittag, auch um Erfahrungsaustausch. Nicht zuletzt soll der Projekttag die Popularität der Kunstform Theater bei Schülern steigern, sie als künftige Zuschauer gewinnen. „Schule ist mehr als Wissensvermittlung“, sagt Direktorin Antje Ambos. Deshalb hat sie am Freitag auch mit Manuel Schöbel eine weitergehende Kooperation zwischen der Oberschule und den Landesbühnen vereinbart. Darin enthalten sind zwei Theaterbesuche pro Schuljahr mit anschließendem Gespräch, Mitarbeit der Theaterpädagogen in Projektwochen und der Theater AG. Kosten pro Schüler: 5 Euro. Unterstützung kommt vom Förderverein der Schule und der Sparkasse. Dass Theater Schüler packen kann, gleichzeitig zum Lachen und Schlucken bringen kann, zeigt sich gerade in Zimmer 4. Dort findet die verzweifelte Bio-Lehrerin Saskia (Sandra Maria Huimann) auf ihrem Pausenbrot eine halbtote Ratte, eingeschleust vom obercool-aggressiven Schüler Ben (Timo Hastenpflug). Im Dialog in der nächsten Stunde geht es zwischen der Strickbejackten und dem in Leder Bekleideten jedoch um weit mehr als einen blöden Schülerstreich. Vielmehr um private Probleme, Misstrauen und Zuwendung, Schuld und um den großen Wunsch Bens, gehört zu werden. Und das alles auf eine sehr körperliche, konkrete und krasse Art direkt zwischen den Schülern. Da fliegen Taschen, kommt es zu Handgreiflichkeiten, wird ein Messer gewetzt und Cola gekotzt. Ende offen. Und dazwischen rockige Lieder über die Liebe und das Leben. Bei diesem Thema und der Umsetzung ist es kein Wunder, dass sich die Achtklässler danach diskussionsfreudig und begeistert zeigen. „Ich fand es richtig gut gespielt. Habe mich wie im Kino gefühlt“, sagt etwa Aline Szabo. Den Theatertag insgesamt findet sie als Abwechslung spitze. Genauso sieht das Lehrer Haase: Das Stück hat viel Tiefe, regt zum Nachdenken an, ist überspitzt, aber durchaus realitätsnah, wenn es auch den gezeigten Schülertypen eher in Regionen mit stärkerem Migrationshintergrund gibt. „Früher in Moritzburg habe ich einen ähnlichen Schüler erlebt, intelligent, aber aggressiv, mit Fünfen und Sechsen“, erinnert sich der 58-Jährige. „Lehrer sind keine Sozialarbeiter“, sagt Saskia im Stück. Die Radebeuler sehen und wünschen sich das etwas anders. Lehrer sollten genauso Gesprächspartner sein – und sind es laut Haase auch. Viele Schüler würden zu ihm und seinen Kollegen mit Privatproblemen kommen. Nach der Mittagspause geht es an der Oberschule Kötzschenbroda mit Theater-Workshops weiter. Am Ende treffen sich alle 11.11.201318:50 2von2 http://www.sz-online.de/nachrichten/ueberfall-in-der-oberschul... Klassen, fünf bis zehn, insgesamt 300 Schüler auf dem Hof zu einer Abschlussperformance. In welcher sächsischen Schule stellen die Landesbühnen demnächst ihre knallgelben Schilder auf? Anfragen unter Telefon 03518954298. www.invasion-schule.de Artikel-URL: http://www.sz-online.de/nachrichten/ueberfall-in-der-oberschule-2689961.html 11.11.201318:50