Das ungeschminkte Gesicht

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Das ungeschminkte Gesicht
2 Augen für die Nacht 2 Augen für die Nacht 2 Augen für die Nacht 2
Das ungeschminkte Gesicht
Pornographie einer Fresse
Bessie Gräfin v on Brühl
...Es gab damals eine Serie in einer
Frauenillustrierten die mich immer zu Tode
erschreckte. Sie hiess: „DA S UNGESCHMINKTE GESICHT“: Darunter stand
ein kleines „von“, so wie HUGO VON Pottrich, oder „HASSO VON DER Blumenwiese“. Dann kam der Name einer damals
bekannten Schauspielerin oder Jetset-Alten. Niemals war es so jemand wie Lena
Horn, der man im Hollywood der 50er Jahre erfolglos die Gesichtsfarbe zu entfer nen versucht hatte und deren A utogrammfotos immer mehr einer DArmresektion ähnelten als denen einer Filmgrösse, - - Nein - diese ungeschminkten
Gesichter glotzten einen im ganzseitgen
Heftformat durch gesäuberten P oren an,
und verursachten mir einen ähnlichen
Brechreiz wie der Anblick eines polierten
Kinderhinterns. Die ungeschminkten Gesichter waren fleischfarbene Ungeheuer,
die Heftseiten bis an die Grenzen des DIN
A4 Formats ausmonsternd.
Gnadenlos.
Ungeschminkt hiess aber nie ungezupft
- Judy Garland war zwar mit den Nerven
fertig, aber sie hatte bestechende Augenbrauen und einen kleinen Schnurrbart. Die
ungeschminkten Gesichter entbehrten der
Bewaldung. Sie waren kahl. Das erste was
einen in diesen Gesichtern anschrie w ar
das Grübchen. Ohne Grübchen im Kinn
hatte man keine Chance in die Serie aufgenommen zu werden („..an ihren Grübchen sollt ihr sie erkennen...“ Moses,
Kap.I/Abs.7). Zapfenkinn: Grübchen
oben; Hundeknochenkinn: Grübchen in
der Mitte; Spartakuskinn: Grübchengrübchen. Oberhalb des Grübchens begann die
Unterlippe auf der die Schöne im Falle der
Erregung herumzukauen hatte. Sie w ar
jedoch nie erregt, sondern hatte einfach
GAR KEINEN Ausdruck.
Flüssigpuder, Abdeckkleister, ...meine Augen begannen eine fleischfarbene Bergund Talfahrt ohne Schattenseiten; nur die
obligaten Ringmuskelfältchen kerbten sich
vorsichtig ins Make-up-Rund. Meine Augen begannen eine Reise in das UNGESCHMINKTE GESICHT: Links und rechts
erschienen die sanft gewölbten Backenknochen, es roch ganz leise nach v erfaultem Porzellan. Die Nasenlöcher mussten
in einen Schock ausarten, aber sie w aren
so klein, dass man versucht war, sie mit
dem Fingernagel vom Papier zu kratzen
wie Fliegendreck. Die Nasen selbst sind
mir entfallen, in diesem Margret Astorschen Abgrund gab es keine Gesichtserker auf denen man sich hätte ausruhen
können, das UNGESCHMINKTE GESICHT
sog einen unaufhörlich weiter. Ich war
jedesmal halbtot vor Angst, denn nun kamen die Augen. Wahlweise zwei blassblaue, blassgrüne, blassbraunblaue Gelatineblasen, glibbernde Geleehäufen, die
sich in sich selbst spiegelten. Gefrorene
Dickwandglasaschenbecher, schwimmend
in kohlensäureregulierter Spuck e, transparent bis zum Geht-nicht-mehr. Zwei
herrenlose Schröpfköpfe auf dem erbar mungslosen Weg in die Psyche des Lesers. Diese Augen waren so grausam,
dass sie mir jede Woche den romantischen
Kurzroman am Ende des Heftes v ergrätzten. Blickte ich vorher in die Augen des
ungeschminkten Gesichtes (und das tat
ich immer) hatten Sätze wie „..Manuelas
Augen leuchteten..“, oder „..Romana las
ein leichtes Zögern aus seinem Blick..“,
ihren Zauber verloren. Manuelas Augen
waren für immer erloschen. Sie w ar blind.
Ich hasste die Augen des ungeschminkten Gesichtes. Jedesmal schwor ich mir,
bei den Backenknochen abzudrehen und
wohlbehalten die Stirn zu erreichen, doch
die Augen zogen mich an wie Fliegenleim
und lachten sich ins Fäustchen. Ihre
feuchten Glaskuppeln schienen v or Freude zu zittern. (Hätten sie’s nur getan, ich
war dem Wahnsinn nahe!!). Misereor fiel
mir ein: Riesige afrikanische Glubscher,
aus deren Winkel verklebte Betteltränen
quollen, verkrampfte Steckenärmchen
über spendenhungrige Zitronenbäuche
sorgsam zwischen welk e Putzlumpenbrüste gequetscht. Brot für die Welt. Doch
die Kirche ist geizig und druckt ihre P oster in Schwarz/Weiss. Aenne Burda war
da grosszügiger und bescherte mir jede
Woche „das ungeschminkte Gesicht“ im
Vierfarbendruck, mit Augen, die mich wie
zwei Spiegeleier anglotzten, die in einen
Barbiepuppen-Teig gefallen waren.
Sie bestachen einen durch ihre Dreidimensionalität. Sie waren das Einzige, das
in diesem Gesicht „spiegelte“. Aber WAS
spiegelten sie? - Keine Fenster, keine
Scheinwerfer - nichts. So wie der singende Schauspieler der Schreck en jedes
Musikers ist, so war es dieser undefinierbare Lichtreflex in diesen Augen. Wo befand sich dieses Gesicht während der
Fotoaufnahme? Schoss ein F otograf das
Bild, oder sollte man etwa glauben gemacht werden, der Schöpfer persönlich
hätte es gezaubert? Wer auch immer es
geschossen hatte, hatte es ERschossen.
Es lebte nicht mehr. Und wer ihm in die
Augen sah, der blickte dem Tod ins Antlitz. Einem pastellgetönten, transparenten Tod, eingeschliffen ind die Glaskuppeln
ehemals menschlicher Hornhaut.
Diese Augen wiesen meinem pubertierendem Selbst den erbarmunglosen Weg in
die kosmetische Realität. Es war unvermeidbar, dass ich über mein eigenes
Äusseres nachdenken musste: Meine Balkenaugenbrauen, meine Nase, mein
Fleisch... - Medizinische Begriffe umflor ten mein Denken: Das Schlupflid, die
Jochbögen, der Mitesser, alles Dinge die
ich hatte und das ungeschminkte Gesicht
nicht. Da lag es vor mir, Make-up-bezogen und sog mir mir ausdruckslosem Star ren das Selbstbewusstsein aus den Adern.
Jede Woche ein Stückchen mehr. Es schien
sich fast davon zu ernähren.
Als die Serie eingestellt wurde bekam ich
einen Nervenzusammenbruch. Lange v orher schon hatte ich mich mit dem Islam
liebäugelt um mit einem Kopftuch herumzuschleichen, ich mied jegliche spiegelnde Oberflächen, bis ich eines Tages
das Gesicht zerfetzte. Als die kleinen
Schnipselchen mehr und mehr den Boden beflorten, spürte ich endlich Erleichterung. Erwachsen werden ist oft eine
Sache der Aggression, auch wenn es
manchmal lächerlich erscheint. A uf jeden
Fall hat sich mein Verständnis für Jack
the Ripper damals erhöht, und zw ar in
dem Masse, dass ich es zumindest v ermeide zu Modeschauen zu gehen.
TAXI Nr. 32
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