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Erstellt im Auftrag des Bundesministeriums für Land und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Projektleitung Abteilung V/6 Nuklearkoordination Gutachten Erarbeitung eines Antwortkataloges im Hauptprüfverfahren der Europäischen Kommission Staatliche Beihilfe SA.34947 (2013/C) (ex 2013/N) – Investitionsvertrag (Vorform « Contract for Difference ») für das neue Kernkraftwerk Hinkley Point CGroßbritannienAufforderung zur Stellungnahme nach Art. 108 Abs. 2 AEUV (2014/C 69/06, Amtsblatt der Europäischen Union C 69/60) Vorgelegt von Dr. Dörte Fouquet Becker Büttner Held Avenue Marnix 28 1000 Brüssel am 05.04.2014 Inhalt I. II. Hintergrund des Verfahrens ....................................................................... 4 Stellungnahme zum Eröffnungsbeschluss ................................................... 5 1. Vorliegen einer Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV ......................... 5 a. Keine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ............... 5 aa. bb. cc. dd. b. 2. Kein Ziel von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ........................ 7 Unbekannte Parameter ....................................................................... 9 Kosten-Nutzen-Analyse nicht möglich ................................................ 9 Kosten-Nutzen-Analyse könnte nicht zu Gunsten des Kernkraftwerks ausgehen ........................................................................................... 10 Fazit: Vorliegen einer Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV .................. 12 Keine Rechtfertigung der Beihilfe mangels Erfassung der Maßnahme über Art. 107 Abs. 3 AEUV ............................................................................... 12 a. Atomkraft ist kein Gemeinschaftsziel ...........................................................13 aa. Euratom-Vertrag ............................................................................... 15 (1) Österreichs Ansatz bezüglich der Präambel des Euratom-Vertrages sowie Hintergrund des Beitritts zum Euratom-Vertrag ..................... 15 (2) Keine Ausbauprogramme für Atomkraftproduktion .......................... 16 (3) Art. 2 Buchst. b und Art. 40 Euratom-Vertrag in Kombination mit Nuclear Illustrative Programmes der Kommission .............................. 17 (4) Nationales Ziel ausweislich aktuellem Nuclear Illustrative Programmes ...................................................................................... 18 (5) Folgerung im Einklang mit vorherigem Nuclear Illustrative Programmes ...................................................................................... 19 (6) Paradigmenwechsel durch Kommission bei Gesamtbetrachtung der Nuclear Illustrative Programmes ....................................................... 20 (7) Keine Beihilfen für Nuklearenergie nach Nuclear Illustrative Programmes ...................................................................................... 21 bb. cc. Vereinbarkeit mit Kommissionsentscheidung zum „Pallas Project“ ... 22 Berücksichtigung des Entwurfs einer Mitteilung der Kommission zur Beurteilung von wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse ..................................................................... 24 b. Anmerkungen zur weiteren Prüfung nach Art. 107 Abs. 3 AEUV .................. 25 aa. © BBH, 2014 Atomkraft ist „mature technology“ ................................................... 25 01552-14/2361259 Seite 2/45 bb. cc. dd. ee. ff. gg. Keine (erheblichen) positiven Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU, Wachstum oder Wertschöpfung in der EU oder Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen ............. 27 Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip ................................................... 28 Maßnahme dient nicht dem Ziel der Dekarbonisierung ..................... 30 Maßnahme dient nicht dem Ziel der Versorgungssicherheit...............33 Abwesenheit eines Marktversagens bzw. Provozierung eines künftigen Marktversagens ................................................................. 36 Erforderlichkeit der Beihilfe ............................................................... 39 (1) Versorgungssicherheit ....................................................................... 40 (2) Dekarbonisierung .............................................................................. 42 hh. III. Verwendung eines geeigneten Instruments/Mittels ........................... 44 Zusammenfassung und Fazit .................................................................... 44 © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 3/45 Im Folgenden wird das Schreiben der EU Kommission zur Eröffnung des Hauptprüfverfahrens zur staatlichen Beihilfe SA.34947 (2013/C) (ex 2013/N) – Investitionsvertrag (Vorform «Contract for Difference») für das neue Kernkraftwerk Hinkley Point CGroßbritannien gutachterlich bewertet. Es wird auf die einzelnen HauptPrüfungspunkte der Kommission eingegangen und vor allem dort ergänzt, wo die Kommission ausdrücklich zu vertiefenden Kommentaren in ihrem Schreiben auffordert. In diesem Sinne wird nach einer kurzen Darstellung des Hintergrund des Verfahrens (unten Punkt I) im Rahmen der ergänzenden rechtlichen Ausführungen (unten Punkt II.) in Anlehnung an den Eröffnungsbeschluss der Kommission vom 18.12.2013 zuerst unterstützend dargelegt, dass eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt, insbesondere die Voraussetzungen einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) nicht erfüllt sind (unten Punkt II. 1.). Anschließend wird ausgeführt, dass die Beihilfe nicht gem. Art. 107 Abs. 3 Buchst. b und c AEUV mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist (unten Punkt II. 2), insbesondere Investitionen in neue Nuklearkapazitäten nicht als Ziel von gemeinschaftlichem Interesse angesehen werden können, sondern es sich vielmehr um eine Beihilfe ohne Gegenleistung handelt, die keinen Beitrag zu einem Ziel von gemeinsamem Interesse leistet und daher mit der Gesamtförderung eine unzulässige Investitions- und Betriebsbeihilfe vorliegt, mithin die Investoren die Kosten selbst tragen müssten. Die Darstellung schließt mit einem zusammenfassenden Fazit (unten Punkt III.). I. Hintergrund des Verfahrens Die britische Regierung will den Investoren für ein neues Kernkraftwerk mit zwei Reaktoren, das in Hinkley Point C errichtet werden soll, Einnahmensicherheit verschaffen und ihnen eine Kreditgarantie erteilen. Die Maßnahme soll mittels eines privatrechtlichen Vertrags zwischen der Regierung des Vereinigten Königreichs und dem Investor NNBG, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft von Electricité de France (EdF), gewährt werden. Die Vereinbarung hat bisher eine vorläufige Form und soll durch einen ausführlichen Vertrag abgelöst werden. Die in der Vereinbarung vorgesehenen Maßnahmen und insbesondere der „Contract for Difference“ (im Folgenden: CfD), der dazu dient, NNBG Einnahmensicherheit zu verschaffen, beruhen auf einem im Entwurf des Energiegesetzes („Energy Bill“) vorgesehenen Instrument. Dieser Entwurf wurde am 29.11.2012 veröffentlicht. Er enthält Bestimmungen zum Erlass © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 4/45 sekundärrechtlicher Vorschriften, die zu einem späteren Zeitpunkt zur Einrichtung des CfD-Systems herangezogen werden sollen. Alle sekundärrechtlichen Vorschriften werden erst erlassen, wenn die Königliche Zustimmung zum Energiegesetz erteilt worden ist. Es ist unklar, ob diese Zustimmung bereits erfolgt ist. Das Vereinigte Königreich hat bestätigt, dass Zahlungen im Rahmen individueller Investitionsverträge, die in Zukunft bei der Kommission angemeldet werden könnten und ein Beihilfeelement enthalten, erst nach Genehmigung durch die Kommission erfolgen werden. Auch gibt es nach Randnr. 50 bis 52 des Kommissionsschreibens ein Einverständnis im Grundsatz seitens der britischen Regierung mit NNBG, dass die UK Treasury im Rahmen des britischen Staatsgarantiesystems eine Garantie geben wird, ohne dass genaue Details festgelegt wurden. Die Garantie scheint verbunden zu werden mit der Höhe des Kreditrahmens, den NNBG zur Finanzierung brauchen sollte, wobei dieser in seiner Höhe auch noch nicht bekannt ist. II. Stellungnahme zum Eröffnungsbeschluss 1. Vorliegen einer Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV Es wird die Annahme der Kommission unterstützt , dass es sich bei dem „investment contract plus ancillary agreements“ zwischen der britischen Regierung und dem Anbieterkonsortium NNBG sowie der Bereitstellung einer Kreditgarantie durch die britische Regierung um Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt. Es soll angemerkt werden, dass viele der untenstehend zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse dargelegten Argumente auch für den Bewertungsteil zu der Frage einer Genehmigungsfähigkeit der Beihilfe von Bedeutung sind. a. Keine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse In Bezug auf den CfD und die damit zusammenhängenden Abreden sind die AltmarkKriterien nicht erfüllt, da es um keine Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse geht, NNBG vielmehr selektiv begünstigt und damit der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beinträchtig wird. Die Ausführungen der Kommission sind zutreffend, wonach die Voraussetzungen für eine Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen in dem CfD-Deal mit NNBG keinesfalls vorliegen. Vielmehr erfüllt sowohl der Investmentvertrag als auch die Kre© BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 5/45 ditgarantie den Tatbestand von Maßnahmen gleich welcher Art, die unmittelbar NNBG begünstigen1 und die einen wirtschaftlichen Vorteil darstellen, den das begünstigte Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte2. Eine staatliche Maßnahme fällt nur dann nicht unter Art. 107 Abs. 1 AEUV, soweit sie als Ausgleich anzusehen ist, der die Gegenleistung für Leistungen bildet, die von den Unternehmen, denen sie zugutekommt, zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden, so dass diese Unternehmen in Wirklichkeit keinen finanziellen Vorteil erhalten und die genannte Maßnahme somit nicht bewirkt, dass sie gegenüber den mit ihnen im Wettbewerb stehenden Unternehmen in eine günstigere Wettbewerbsstellung gelangen.3 Sowohl nach den in der Altmark-Entscheidung des EuGH aufgeführten Voraussetzungen4, unter denen überhaupt nur die Qualifizierung als staatliche Beihilfe zum Wohl einer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung ausgeschlossen werden kann, als auch in Anwendung der weiteren erläuternden Kriterien in der Kommissionsmitteilung über die „Anwendung der Beihilfevorschriften der Europäischen Union auf Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“5 folgt, dass keine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung durch NNBG mit dem Bau und Betrieb des Hinkley Point C Kernkraftwerks erfüllt wird. Weiter wird unterstützt die detaillierte Prüfung der Kommission zu den DAWIKriterien in den Randnrn. 99 bis 161 sowie die Ausführung der Kommission in Randnr. 162, dass eine Beihilfe vorliegt. Im Folgenden sollen noch zusätzliche Argumente eingebracht werden, die den Wert der Kommissionsanalyse nicht einschränken, sondern vielmehr unterstützen sollen. Die Argumentation Großbritanniens führt zu einer Verdrehung der Altmark-Kriterien, um einen wirtschaftlich nicht tragfähigen Fördervertrag und seine Finanzierung aus staatlichen Mitteln zu rechtfertigen. 1 Siehe EuGH Urteil vom 15. Juli 1964, Rechtssache 6/64, Costa, Slg. 1964, 1253, 1272. Siehe EuGH Urteile vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C-39/94, SFEI u. a., Slg. 1996, I-3547, Randnr. 60 sowie vom 29. April 1999 in der Rechtssache C-342/96, Spanien/Kommission, Slg. 1999, I-2459, Randnr. 41). 3 Siehe EuGH Urteil, Rechtssache C-280/00 Altmark Trans GmbH und Regierungspräsidium Magdeburg vs. Nahverkehrsgesellschaft Altmark GmbH, Randnr. 87 . 4 Rechtssache C-280/00, Randnr. 89 ff. 5 Amtsblatt (Abl.) der Europäischen Union (EU)C 8/4 vom 11.1.2012 (2012/C 8/02). 2 © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 6/45 Den Altmark Kriterien zufolge müsste Folgendes gewährleistet sein: 1. Das begünstigte Unternehmen muss tatsächlich mit der Erfüllung klar definierter gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein. 2. Die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, sind zuvor objektiv und transparent aufzustellen. 3. Der Ausgleich darf nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns ganz oder teilweise zu decken. 4. Wenn die Wahl des Unternehmens nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge erfolgt, so ist die Höhe des Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das angemessen ausgestattet ist, hätte (unter Berücksichtigung der Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen). aa. Kein Ziel von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Weder wird ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt noch ist ein Marktversagen anzunehmen, welches aber notwendigerweise erfüllt sein muss, damit überhaupt eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) angenommen werden kann, die durch den Bau des Atomkraftwerks erfüllt würde. NNBG wird nicht ausführender Teil der öffentlichen Hand, da es sich bei der Versorgung mit Strom nicht um eine Aufgabe handelt, die Teil der wesentlichen Aufgaben des Staates ist oder ihrem Wesen, ihrem Ziel und den für sie geltenden Vorschriften nach mit diesen Aufgaben verbunden ist. Spätestens mit der Liberalisierung des Energiebinnenmarktes ist die Stromproduktion eine normale wirtschaftliche Tätigkeit in einem Wettbewerbsrahmen. Fragen der Versorgungssicherheit könnten im Falle von akuten Engpässen oder akutem Ungleichgewicht durchaus zu wesentlichen Aufgaben des Staates werden, aber die bloße Förderung neuer Atomkrafterzeugung für einen weit in der Zukunft liegenden Zeitpunkt erfüllt diese Kriterien nicht. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 7/45 Die Maßnahme der britischen Regierung dient der Hilfe, neue Atomkrafterzeugung frühestens nach 2023 überhaupt möglich zu machen. Es dient nicht dazu, eine akute Versorgungslücke zu schließen. Sollte ein Versorgungsengpass in der Mitte dieses Jahrzehnts in Großbritannien möglich werden6, dann müsste kurzfristig ein Ausbau derjenigen Kapazitäten ermöglicht werden, die unmittelbar zum Einsatz kommen können. Dies sind sicher Gaskraftwerke und Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien. Es scheinen jedenfalls nicht neue Atomkraftwerke sein zu können, auch nach Einschätzung der britischen Regierung selbst. Hinkley Point C könnte immerhin erst 2023 ans Netz gehen. Somit wird Hinkley Point C von vornherein nicht zu der Versorgungssicherheit beitragen können. Nach den Altmark-Kriterien ist weiter erforderlich, dass eine geordnete und gezielte Ausschreibung zusätzlicher Kapazität von Strom erfolgt, die der Versorgungssicherheit entspricht. Versorgungssicherheit durch mehr Strom bedeutet im Rahmen des Binnenmarktes Energie grundsätzliche eine Ausschreibung von Kapazität. Es geht um die Kapazität und nicht den Vergleich von Versorgungsmöglichkeiten unterschiedlicher Atomkrafttechnologien oder Konsortien, die Atomkraftwerke bauen und betreiben. Nach der ständigen Kommissionsansicht gilt, dass für den Fall, dass eine Behörde sich entscheidet, Dritte mit der Erbringung einer Dienstleistung zu betrauen, sie die Rechtsvorschriften der Union für das öffentliche Auftragswesen befolgen muss, die in den Art. 49 bis 56 AEUV, den EU-Richtlinien über das öffentliche Auftragswesen (Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge) sowie den sektorspezifischen Vorschriften enthalten sind. Auch in Fällen, in denen die EU-Vergaberichtlinien ganz oder teilweise nicht angewandt werden können (z. B. auf Dienstleistungskonzessionen und Dienstleistungsaufträge nach Anhang II Teil B der Richtlinie 2004/18/EG einschließlich verschiedener Arten von Sozialdienstleistungen), muss die Vergabe dennoch im Einklang mit den AEUVBestimmungen über Transparenz, Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit und ge- 6 Siehe OFGEM Annahmen, in Electricity Capacity Report 2013. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 8/45 genseitige Anerkennung erfolgen.7 Im Gegensatz zu den verbindlichen Förderzielen für Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien aufgrund einer gemeinsamen EU Politik gibt es keine EU-Ausbauziele für Atomenergieanlagen. Hierzu wird noch detaillierter Stellung genommen. Somit fehlt es bereits an der Möglichkeit, dass besondere Fördermaßnahmen für Atomenergie von Mitgliedstaaten zur Erfüllung von Nuklearzielen möglich wären, die dann zu einer Kapazitätsausschreibung allein zwischen Atomkraftwerksbetreibern führen könnte. Es bleibt bei der Notwendigkeit, dass Großbritannien die Kapazität ausschreibt und andere Technologien sich an einer Ausschreibung beteiligen können. Eine Einschränkung auf Atomenergie als Grundlastträger widerspricht dem Energiebinnenmarkt. Die Bereitstellung von Grundlaststrom ist im Energiebinnenmarkt nicht DAWI fähig, da eben die unterschiedlichsten Energieträger und Energiesysteme in Großbritannien und durch die Interkonnektoren zu den Nachbarn bereitstehen, diese Grundlast zu bedienen. bb. Unbekannte Parameter Auch sind die Parameter, anhand der die Höhe der Beihilfe berechnet werden soll, wie auch die Kommission feststellt, weitestgehend unbekannt. Beispielsweise fehlen Angaben zum Referenzwert. Zudem geht aus Medienberichten hervor, dass die Beihilfemaßnahme gänzlich zwischen der britischen Regierung und den Investoren ausgehandelt wurde. Damit ist auch keine Objektivität der Parameter anzunehmen. Es fehlen klare Informationen zu Begrenzungen von Überkompensation. Das Abwicklungsmodell ist insoweit unklar, auch die Rolle der dazwischengeschalteten staatlichen Stelle. cc. Kosten-Nutzen-Analyse nicht möglich Eine Kosten-Nutzen-Analyse, wie sie die übrigen beiden Altmark-Kriterien verlangen, ist schlichtweg nicht möglich. Die wahren Kosten von Atomkraft lassen sich nämlich nicht bzw. nur schwer definieren. 7 Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Beihilfevorschriften der Europäischen Union auf Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse; a.a.O, Randnr. 5. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 9/45 Für den Bau der zwei Reaktoren wird von etwa 16 Mrd. Pfund ausgegangen und der Netzbetreiber geht von etwa 1 Mrd. Pfund Kosten für den Netzanschluss aus, so heißt es. Allerdings haben sich Kostenkalkulationen für andere Atomkraftwerke in der Vergangenheit regelmäßig als falsch herausgestellt, so dass wir annehmen, dass auch Hinkley Point C als ohnehin schon teuerstes Kraftwerk der Welt in der Praxis noch teurer wird. Auch lassen sich zahlreiche andere Kostenfaktoren wie die Dekommmissionierungskosten jedenfalls nach den Informationen aus der Stellungnahme der Kommission in diesem Eröffnungsschreiben nicht bestimmen. Das könnte – einigen Studien zufolge – zu weiteren Kosten in erheblicher Höhe führen.8 Noch weniger lassen sich die Kosten im Falle eines atomaren Unfalls bestimmen. Vergleichswerte von den jüngsten Unfällen in Fukushima und Tschernobyl lassen aber leicht auf Kosten – allein für die Dekontaminierung und Rehabilitation – von mehreren Milliarden schließen. Sollten die Atomkraftwerksbetreiber diese Kosten selbst zu tragen haben, so kann von einem Mehrpreis von zwischen 0,139 – 2,36 Euro pro MWh ausgegangen werden, wenn man von einem Ansparzeitraum von 100 Jahren ausgeht, bzw. von 3,96 -67,3 Euro pro MWh bei einem Ansparzeitraum von 10 Jahren.9 Es wird jedoch deutlich, dass die Kosten beträchtlich wären. Demgegenüber könnte eine wirtschaftliche Analyse des Vergleichs von Kosten bei Einsatz verstärkter Energieeffizienz und erneuerbarer Energie bzw. effizienter Gastechnologie zu einem weit geringeren Kostenbedarf kommen. Eine solche Analyse ist für die Bewertung notwendig. dd. Kosten-Nutzen-Analyse könnte nicht zu Gunsten des Kernkraftwerks ausgehen Nutzen des Kernkraftwerks Hinkley Point C dagegen wäre – wie von der Kommission korrekt herausgearbeitet – die Lieferung von Grundlast. Für diese besteht ein Marktpreis. 8 Liberum Capital, 30 October 2013-Flabbergasted – The Hinkley Point Contracthttp://www.liberum.com/pdf/ULkWtp00.pdf ; Wiener Umwelt Anwaltschaft/Österreichisches Ökologie Institut, Die wahren Kosten der Kernenergie, Wien, Juli 2013. 9 Vgl. Wiener Umwelt Anwaltschaft/Österreichisches Ökologie Institut, Die wahren Kosten der Kernenergie, Wien, Juli 2013. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 10/45 Allerdings liegt der für den Strom aus Hinkley Point C angedachte Preis von rund 92,50 Pfund weit über dem derzeitigen Marktpreis von Strom in Großbritannien. Dieser beträgt rund 60 Pfund. Geht man von zwei komplett austauschbaren Produkten aus, da Hinkley Point C, wie im Vorangegangenen und im Folgenden dargestellt, eben keine anderen Ziele als die Erzeugung von Grundlaststrom hat, so ist eine Erfüllung der letzten beiden Altmark-Kriterien deutlich abzulehnen. Hier werden nicht die Kosten für die Erfüllung einer Dienstleistung allgemeinen wirtschaftlichen Interesses vergütet, sondern hier wird ein Atomkraftwerk mittels unzulässiger und wettbewerbsverzerrender Beihilfen begünstigt. Großbritannien geht in dem CfD und den Informationen an die Kommission davon aus, dass ohne staatliche Unterstützung für einen Neubau in Hinkley Point C, Atomkraftwerke kein attraktives kommerzielles Angebot darstellen. Das Vereinigte Königreich geht davon aus, dass dies ab 2027 bis 2030 der Fall sein wird, siehe Randnr. 10 des Kommissionsbeschlusses. Diesseitig wird den Erfahrungswerten mit den Kosten von Neubauten von Atomkraftwerken weltweitfolgend jedoch bestritten, dass nach 2027 eine wirtschaftliche Attraktivität des Baus von Atomkraftwerken ohne staatliche Unterstützung besteht. Großbritannien hat hierzu keine Details vorgetragen. Auch in Bezug auf die Klarheit und Gleichmäßigkeit bei Bewertungen von Beihilfen im Energiebereich fehlt eine grundsätzliche Beurteilung der Frage einer Überkompensation durch die Kommission. Es wird auf die Regelung in der Österreichischen Ökostromgesetz-Novelle von 2008 etwa verwiesen. Bei der Notifizierung bezüglich des sogenannten Rohstoffzuschlages10 hatte die Kommission gefordert, dass der mittelmäßig wesentlich geringere Zuschlag in diesem Bereich (etwa zum Ausgleich von Preissteigerungen im Biomassegrundstoffbereich) im Zweifel zurückzufordern oder zu reduzieren wäre. Es bleibt unklar, wie ein ähnlicher Ausgleich ,den die Kommission bei dem Rohstoffzuschlag forderte bei der Förderung von Hinkley Point etwa im Hin- 10 Unerwartete Preisentwicklungen auf den Märkten für Rohstoffe, die für die Erzeugung von Ökostrom aus flüssiger Biomasse und Biogasanlagen relevant sind, haben zur Existenzgefährdung von Betreibern von Ökostromanlagen und zur Schließung von Ökostromanlagen geführt, die aufgrund der hohen Rohstoffpreise nicht mehr kostendeckend betrieben werden können. In dieser Novelle wurde ein Rohstoffzuschlag in Höhe von 4 Cent gewährt, wodurch ein Großteil dieser Rohstoffpreissteigerungen abgegolten wird. Vgl.: 1223 der Beilagen XXIV. GP - Regierungsvorlage - Vorblatt und Erläuterungen. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 11/45 blick auf in der Zukunft steigende Strompreise klar beziffert, evaluiert und berücksichtigt werden kann bei der Bewertung. b. Fazit: Vorliegen einer Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV Somit liegt unseres Erachtens eindeutig eine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV vor, d. h. ein selektiver Vorteil gewährt durch den Staat oder aus staatlichen Mitteln, der den Wettbewerb zu verfälschen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen droht. Der Staat tritt – unstrittig – selbst zunächst als Vertragspartei auf und übergibt den Vertrag später an eine von ihm betraute Stelle. Die Finanzierung erfolgt über eine Abgabe. Damit ist die Staatlichkeit sicher erfüllt. Auch ist die Maßnahme selektiv, denn sie steht außer dem Investorenkonsortium, das obendrein offenbar selbst mit der Regierung verhandelte, niemandem offen und gilt nur für den Bau und Betrieb der Anlage Hinkley Point C. Dies scheint übrigens auch unstrittig, da Großbritannien projektspezifisch anmeldete. Wettbewerb und Handel sind auf dem Weg zu einem europäischen Energiebinnenmarkt beinahe automatisch betroffen. Immerhin wird aller Wahrscheinlichkeit nach der Bedarf an Stromimporten reduziert, wohingegen Exporte aus Großbritannien durch den subventionierten Preis begünstigt werden. Es kommt zwangsläufig zu Marktverzerrungen, die die Kommission auch aufzeigt. Da es sich, wie vorab diskutiert, um einen Vorteil, nicht um eine Dienstleistung allgemeinen wirtschaftlichen Interesses handelt, ist der Beihilfentatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV entsprechend erfüllt. 2. Keine Rechtfertigung der Beihilfe mangels Erfassung der Maßnahme über Art. 107 Abs. 3 AEUV Wie im Folgenden ausgeführt, teilen wir nicht nur die Bedenken der Kommission bezüglich der Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahme mit dem Binnenmarkt, sondern sind sogar davon überzeugt, dass eine solche Vereinbarkeit nicht vorliegt, die Maßnahme also nicht genehmigt werden kann. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 12/45 a. Atomkraft ist kein Gemeinschaftsziel In den Erwägungsgründen 265 und 266 des Eröffnungsbeschlusses vom 18.12.2013 führt die Kommission aus, dass Beihilfemaßnahmen, die auf die Förderung von Nuklearenergie abzielen, nicht nur einen Beitrag zu den Zielen in Gestalt von Dekarbonisierung und Versorgungssicherheit leisteten, sondern vor dem Hintergrund der Art. 2 Buchst. c und Art. 40 des Euratom-Vertrages insbesondere auch als Verfolgung eines Zieles von gemeinschaftlichem Interesse angesehen werden könnten. Das Vorliegen eines solchen gemeinschaftlichen Interesses in Atomkraft ist zu verneinen. So bedeutend Dekarbonisierung und Versorgungssicherheit sind, so wenig lässt sich dies mit dem Neubauprojekt eines Atomkraftwerks in Hinkley Point C bewerkstelligen und so wenig erfüllt dies die Kriterien der Förderung der Versorgungssicherheit und der Dekarbonisierung. Die Nuklearenergie stellt weder eine nachhaltige Form der Energieversorgung noch eine tragfähige Option zur Bekämpfung des Klimawandels dar. Europa hat ein Emissionsreduktionsziel von 20 % bis 2020, ein Effizienzsteigerungsziel von 20 % und ein Ausbauziel von mindestens 20 % mehr Anteil von Erneuerbaren Energien an der Gesamtenergieumwandlung der EU-28 bis 2020. Die EU hat aber kein nukleares Ausbauziel und wird es nicht haben. Der obigen Feststellung der Kommission, dass Atomenergieausbau ein gemeinschaftliches Interesse darstellt, ist entschieden entgegenzutreten. Sollte die Kommission an dieser Auffassung festhalten, so könnte gemäß Art. 263 AEUV Klage erhoben werden. Staatliche Investitionen in neue Nuklearkapazitäten stellen mit den im Folgenden ausgeführten Erwägungen keine Beihilfe zur Förderung eines wichtigen Vorhabens von gemeinsamen europäischen Interesse (im Folgenden: Gemeinschaftsinteresse) im Sinne von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV dar und daher können in der Folge entsprechende Beihilfen – entgegen der Einschätzung der Kommission – nicht über Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV als mit dem Gemeinsamen Markt grundsätzlich vereinbar angesehen werden. Es sei daraufhin gewiesen, dass Österreich im Übrigen bereits in seiner Stellungnahme aus dem vergangenen Jahr zu dem ersten Entwurf für neue Leitlinien für Umwelt und Energie vorgetragen hat, dass äußerst umstritten sei, ob eine maßgebliche CO2Minderungsfähigkeit durch den Neubau von Atomkraftwerken feststellbar sei. Auch © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 13/45 ist von der Kommission wesentlich näher auf der Rechtfertigungsebene eine Abwägung zwischen Wettbewerbsverzerrung einerseits und dem Vorteil durch die Beihilfe andererseits einzugehen. Dabei ist genau zu analysieren, dass diese Form der Beihilfe neben den Wettbewerbsverzerrungen auch zu massiven Belastungen der Verbraucher führt. Es wird mit der Förderung von Hinkley Point, wie noch dargestellt wird, kein Marktversagen korrigiert sondern eher provoziert. Bei der Beachtung der Verbraucherbelastung sollte von der Kommission auch hinzugezogen werden, wie viel der britische Steuerzahler und Energieverbraucher insgesamt seit der Liberalisierung des Energiemarktes für den Nuklearsektor zahlen muss. Es wird verwiesen auf die umfangreiche Beihilfegeschichte für diesen Sektor in Großbritannien, angefangen nicht zuletzt mit der umfassenden Restrukturierungsbeihilfe an British Energy im Jahre 2003 mit positiver Entscheidung der Kommission über den damaligen Restrukturierungsplan von British Energy11 . Auch ist die Kommission der Auffassung, dass die Dekomissionierungsprogramme der britischen Regierung bezüglich des bestehenden Kraftwerkparks und der Errichtung des nationalen Nuclear Decommissioning Funds (NDA) eine Beihilfe darstellen.12 Wichtig hinsichtlich des Umfanges der Zahlungsverpflichtungen ist die folgende Analyse im Auszug: „Deregulation and privatisation of nuclear power, shareholders of British Energy (BE) were firstly regarded by UK government as being responsible for these costs. After electricity prices fell and BE collapsed, the British government burdened future taxpayers with many of the costs, as much as a century forward. If not done, the book value of BE’s equity would have been about (minus) -3.5 billion pounds. BE’s liabilities would have been about minus 3.5 billion pounds greater than their assets: BE’s short- and long-term nuclear liabilities are 4199 million pounds. Nuclear liabilities are here expressed in present value terms. Thus, if all the back-end costs were incurred ‘‘today,’’ they would total 4199 million pounds for the UK alone.”13 11 Case C 52/2003 Aid in favour of British Energy plc (OJ L 142, 6.6.2005). Siehe Peter Duncanson Cameron, Competition in Energy markets, second edition, page 257. 13 Siehe James G. Hewlett, “Viewpoint, De-regulated electric power markets and operating nuclear power plants: the case of British energy,” Energy Information Administration, US Department of Energy, 1000 Independence Ave, SW, Washington, DC 20585, USA; siehe auch James G. Hewlett,De-regulated electric power markets and operating nuclear power plants: the case of British energy, in: Energy Policy, Volume 33, Issue 18, December 2005, Pages 2293– 2297. 12 © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 14/45 aa. Euratom-Vertrag Zwar legt Art. 2 Buchst. c Euratom-Vertrag fest, dass die Gemeinschaft Investitionen zu erleichtern und, insbesondere durch Förderung der Initiative der Unternehmen, die Schaffung der wesentlichen Anlagen sicherzustellen hat, die für die Entwicklung der Kernenergie in der Gemeinschaft notwendig sind. Die von der Kommission in ihrem Eröffnungsbeschluss vorgenommene Verknüpfung zwischen der Rechtfertigung von staatlichen Beihilfemaßnahmen auf der Basis von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV und der Erleichterung von Investitionen im Sinne des zuvor angeführten Art. 2 Buchst. b Euratom-Vertrag ist jedoch überholt und nicht überzeugend. (1) Österreichs Ansatz bezüglich der Präambel des Euratom-Vertrages sowie Hintergrund des Beitritts zum Euratom-Vertrag Vorab ist daran erinnern, dass es, wie die Mehrheit der EU-28-Mitgliedsstaaten, den überholten Ansatz der Präambel des Euratom-Vertrages nicht teilt, wonach Ziel sei, „die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen“ und die „Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt“ darstelle und ebenso wenig, die nach Art. 1 Euratom-Vertrag grundlegende Aufgabenbestimmung „(...) durch die Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten beizutragen (...)“. Österreich ist mit seinem Beitritt zur EU auch dem Euratom-Vertrag beigetreten. Es hat aber immer unterstrichen, dass dies zum einen in der 1997 erfolgten Verknüpfung der drei Verträge – Europäische Gemeinschaft, Montanunion und Euratom über die Einheitliche Europäische Akte – begründet ist. Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 der Einheitlichen Europäischen Akte wurden stets von der Kommission dahingehend ausgelegt, dass ein Beitrittsland ausnahmslos allen drei Verträgen beitreten musste. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die Gemeinsame Erklärung zur Anwendung des Euratom-Vertrages im Rahmen der „Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründen- © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 15/45 den Verträge, Schlussakte - II. Erklärungen der Bevollmächtigten“14. Die Erklärung unterstreicht, dass Österreich sowie die anderen Beitrittskandidaten/Beitrittsstaaten nicht von einer europäischen Gemeinschaftsaufgabe über den Bau neuer Atomreaktoren ausgingen: „4. Gemeinsame Erklärung zur Anwendung des Euratom-Vertrags Unter Verweis darauf, dass die die Europäische Union begründenden Verträge unbeschadet der Regeln für den Binnenmarkt ohne Diskriminierung für alle Mitgliedstaaten gelten, erkennen die Vertragsparteien an, dass die Mitgliedstaaten als Vertragsparteien des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft die Entscheidung über die Erzeugung von Kernenergie entsprechend ihren eigenen politischen Ausrichtungen treffen. Was die Entsorgung beim Kernbrennstoffkreislauf betrifft, so ist jeder Mitgliedstaat für die Festlegung seiner eigenen Politik verantwortlich.“ Des Weiteren wird erinnert an die gemeinsame Erklärung im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenz zum Lissabon Vertrag in der Deutschland, Irland, Ungarn, Österreich und Schweden, die darauf hingewiesen haben, dass die wesentlichen Bestimmungen des Euratom-Vertrags zumindest zu überprüfen seien und eine Regierungskonferenz einzuberufen sei. Ein Gemeinschaftsinteresse an der Förderung neuer Atomkraftwerksproduktion ist somit eindeutig abzulehnen. (2) Keine Ausbauprogramme für Atomkraftproduktion Im Gegensatz hierzu kann die Gemeinsamkeit eines europäischen Interesses insbesondere bei der Förderung Erneuerbarer Energien klar unterstrichen werden. Seit Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts hat die EU mehrere Aktionsprogramme für die Förderung Erneuerbarer Energien vorgelegt und sich seit der Richtlinie 2009/28/EG verpflichtet, bis 2020 mindestens 20 % seiner Energieumwandlung aus Erneuerbaren Energien bereitzustellen, mit verbindlichen nationalen MindestAusbauzielen. Ähnlich dezidierte Ausbauprogramme gibt es für Atomkraftproduktion überhaupt nicht. Das Gegenteil eines fehlenden Gemeinschaftscharakters wurde be- 14 Amtsblatt Nr. C 241 vom 29/08/1994 S. 0382. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 16/45 reits ausführlich in diesem Gutachten dargelegt. Die Einordnung als gemeinsames Interesse unter die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV würde gegen die ausdrücklichen Interessen Österreichs, aber auch zahlreicher anderer Mitgliedstaaten verstoßen. Bleibt es einerseits Sache der Mitgliedstaaten in ihrer nationalen Energiepolitik auch auf Atomenergie zu bauen, so bleibt es andererseits bei dem Fehlen eines gemeinsamen europäischen Interesses am Ausbau von Atomkraftwerken in der Gemeinschaft. (3) Art. 2 Buchst. b und Art. 40 Euratom-Vertrag in Kombination mit Nuclear Illustrative Programmes der Kommission Eine andere Auffassung erfolgt insbesondere auch nicht unter Beachtung von Art. 2 Buchst b. Euratom-Vertrag. Bei dem Versuch einer Heranziehung des Art. 2 Buchst b. Euratom-Vertrag zur Rechtfertigung einer Beihilfemaßnahme über ein Gemeinschaftsinteresse im Sinne von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV muss der rechtliche Kontext des Art. 2 Buchst. b EuratomVertrag in den Blick genommen und entsprechend berücksichtigt werden. Ausweislich von Art. 2 a. A. Euratom-Vertrag ist die Gemeinschaft verpflichtet, ihre Ziele „nach Maßgabe des [Euratom-]Vertrages“ zu verfolgen. Die Vorgaben bezüglich Investitionen im Nuklearbereich ergeben sich aus den Art. 40 bis 44 Euratom-Vertrag. Die Art. 41 bis 44 Euratom-Vertrag machen lediglich Verfahrensvorgaben und schreiben eine Anzeige von Investitionsvorhaben im Zusammenhang mit neuen Anlagen, Ersatzanlagen und Umstellungen an die Kommission wie auch eine Erörterung, Beurteilung und Veröffentlichung der entsprechenden Investitionsvorhaben durch die Kommission vor, so dass diese Vorschriften keinen Rückschluss dahingehend zulassen, ob Investitionen in neue Nuklearkapazitäten ein Gemeinschaftsziel im Sinne des Euratom-Vertrages bzw. des AEUV darstellen oder nicht. Insoweit ist daher auf Art. 40 Euratom-Vertrag abzustellen, wonach die Kommission, um die Initiative der Personen und Unternehmen anzuregen und eine abgestimmte Entwicklung ihrer Investitionen auf dem Kerngebiet zu erleichtern, etwa in regelmäßigen Abständen hinweisende Programme, insbesondere hinsichtlich der Ziele für die Erzeugung von Kernenergie und der im Hinblick hierauf erforderlichen Investitionen aller Art, veröffentlicht. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 17/45 (4) Nationales Ziel ausweislich aktuellem Nuclear Illustrative Programmes Art. 40 Euratom-Vertrag und die hinweisenden Programme (im Folgenden: Nuclear Illustrative Programmes bzw. PINC), die die Kommission auf dessen Grundlage veröffentlicht hat, lassen im Ergebnis eine verlässliche Folgerung dahingehend zu, dass die Schaffung/Entwicklung neuer Nuklearkapazitäten nicht als Gemeinschaftsinteresse eingestuft werden kann, sondern – ganz im Gegenteil – als ausschließlich nationales Ziel eingeordnet werden muss, mit entsprechender Entscheidungsbefugnis des jeweiligen Staates. Im Oktober 2007 hat die Kommission ihr aktuellstes PINC (COM (2007) 565 final) veröffentlicht und dieses mittels einer weiteren Veröffentlichung im November 2008 (COM (2008) 776 final) aktualisiert. Dabei handelt es sich um das fünfte Dokument dieser Art seit 1957. Zuvorderst muss herausgestellt werden, dass das genannte PINC einen nicht vorschreibenden bzw. unverbindlichen Ansatz bezüglich Investitionen in die Schaffung/Entwicklung neuer Nuklearkapazitäten verfolgt. Es konzentriert sich auf „status and potential future scenarios for the nuclear sector in the EU“, um eine “basis for discussing the nuclear option in the context of the EU energy policy debate” bereit zu halten. Ausweislich Paragraph 7 auf Seite 23 des aktuellen PINC obliegt es ausdrücklich den Mitgliedstaaten, ob sie Nuklearenergie nutzen wollen oder nicht (“for Member States to use nuclear energy or not“). Ferner ergibt sich aus Paragraph 2.3 auf Seite 5, dass „the future nuclear energy in the EU depends primarily on its economic merits, its capability to deliver cost-efficient and reliable electricity to help meet Lisbon goals, its contribution to the shared electricity policy objectives, its safety, its environmental impact and its social acceptability”. Den Schlussfolgerungen des PINC ist zu entnehmen, dass die „Community considers nuclear safety paramount in Member State’s decision on whether to continue to use nuclear energy” und dass “for those Member States that choose to go down the nuclear path, acceptability by the public will also be an important factor”.15 Mithin bringt das aktuelle PINC gleich an mehreren Stellen unmissverständlich zum Ausdruck, dass Entscheidungen rund um die Nutzung von Nuklearenergie und damit schlussendlich auch Investitionen im Nuklearbereich gerade von den einzelnen Mit- 15 COM (2007) 565, S. 23. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 18/45 gliedstaaten zu treffen sind. Dies steht der Annahme, dass Investitionen in Nuklearenergie als Ziel von Gemeinschaftsinteresse aufgefasst werden können, eindeutig entgegen. Denn eine solche Erhebung der Förderung von Nuklearenergie zu einem Gemeinschaftsinteresse würde im Ergebnis zu dem schlichtweg unhaltbaren Zustand führen, dass es unter Missachtung des Willens bzw. gegen den ausdrücklichen Willen derjenigen Staaten, die sich gerade – unter Wahrnehmung der von dem aktuellen PINC Programm „eingeräumten“ Möglichkeit – gegen die Nutzung von Nuklearenergie bzw. deren weiteren Ausbau entschieden und positioniert haben, zu unionsrechtlich gerechtfertigten Nuklearausbaubeihilfen kommt. Dies würde die nationalstaatliche Entscheidungsbefugnis, wie sie das aktuelle PINC als derzeitige Ausgestaltung des Art. 40 Euratom-Vertrag vorsieht, aushöhlen und Haltung der Staaten, die sich gegen (den weiteren Ausbau von) Atomkraft aussprechen, einfach übergehen. Es käme zu der grotesken Situation, dass den gegen Kernkraft eingestellten Staaten unter dem Deckmantel eines Gemeinschaftsinteresses von der Kommission eine entsprechende Förderungsunterstützung für Nuklearneubau als Gemeinschaftsaufgabe aufgezwungen wird. Es soll unterstrichen werden , dass im Übrigen die Anzahl derjenigen Staaten, die Kernkraft ablehnen bzw. einen entsprechenden Ausstieg beschlossen oder vollzogen haben, in den letzten Jahren gestiegen ist. So sind derzeit neben Österreich, insbesondere Deutschland, Italien, Irland und Belgien offen gegen eine Energieversorgung, welche dauerhaft auf Nuklearenergie setzt16. Zudem wurden in der Vergangenheit vermehrt Pläne von Regierungen zum Ausbau bzw. Neubau von Atomreaktoren ausgesetzt, nachdem sich breite Mehrheiten der Bevölkerung in Abstimmungen dagegen ausgesprochen haben. (5) Folgerung im Einklang mit vorherigem Nuclear Illustrative Programmes Der nationalstaatliche geprägte Kommissionsansatz im PINC aus dem Jahre 2007 steht in einer Linie mit der Ausrichtung der vorherigen Programme. So schlägt die Kommission im Schlussteil des PINC aus dem Jahr 1997 (COM (2007) 401) die Übernahme/Umsetzung der folgenden Prinzipien vor: 16 Von den sechs Gründerstaaten des Euratom-Vertrages hat die Hälfte nicht oder nur kurzzeitig Atomkraftwerke auf ihrem Staatsgebiet betreiben lassen: So hat Luxemburg die Kernkraft von Anfang an nicht genutzt, Italien entschied sich 1987 nach einem Referendum für den Ausstieg und Die Niederlande legten nach einem Moratorium bereits Ende 2003 ihr letztes Kernkraftwerk still. Deutschland verfolgt konsequent seinen Ausstiegsbeschluss. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 19/45 a) the right to decide to develop or not the peaceful use of nuclear energy belongs to each Member State; b) the choice in this regard by any Member State has to be respected; c) Member States having chosen to use nuclear energy need, in parallel, to ensure a high degree of nuclear safety, respect non-proliferation requirements as provided for in relevant international agreements, as well as a high level of human health protection. Vor diesem Hintergrund können Investitionen in neue Nuklearkapazität nicht in Ansehung von Art. 2 Buchst. b i. V. m. Art. 40 Euratom-Vertrag in Kombination mit den PINC-Aussagen der Kommission als Ziel von gemeinschaftlichem Interesse im Sinne von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV und damit als grundsätzlich beihilferechtlich zulässig eingestuft werden, denn es handelt sich – entgegen der Feststellung der Kommission in ihrem Eröffnungsbeschluss vom 18.12.2013 – nicht um ein Ziel im Gemeinschaftsinteresse, sondern – ganz im Gegenteil – um ein ausschließlich nationalstaatliches Ziel mit entsprechender Entscheidungsbefugnis des jeweiligen Staates. (6) Paradigmenwechsel durch Kommission bei Gesamtbetrachtung der Nuclear Illustrative Programmes Dieser Befund wird auch insbesondere durch einen Vergleich mit den vorherigen PINC der Kommission erhärtet. Denn bei Gesamtbetrachtung aller bisherigen Programme tritt deutlich zu Tage, dass sich die Sichtweise/Einstellung der Kommission gegen Ende des letzten Jahrhunderts entscheidend und hin zu einer konkreten Respektierung der unterschiedlichen Sichtweisen der Mitgliedstaaten zu Nuklearkraft gewandelt hat und vor diesem Hintergrund heutzutage – unter Zugrundelegung des aktuellsten PINC aus dem Jahre 2007 – eine Einstufung der Förderung von Nuklearkapazität als Ziel von Gemeinschaftsinteresse erst recht nicht mehr möglich ist. So hat die Kommission in ihren PINC Mitteilungen aus den Jahren 1958, 1972 (XVII/341/2/71-E, vom 01.07.1972) und 1984 (COM (84) 653 final, vom 22.11.1984; Update 1985 (COM (85) 401 final, vom 23.07.1985) und Update 1990 (COM (89) 347 final, vom 07.02.1990) stets – in Wahrnehmung ihres entsprechenden Rechts auf der Grundlage des Art. 40 Euratom-Vertrag – (konkrete) Ziele für die Erzeugung von Kernenergie und der im Hinblick hierauf erforderlichen Investitionen vorgegeben (vgl. nur XVII/341/2/71-E, S. 19 ff. sowie COM (84) 653 final, S. 10 f.). Mit ihrem PINC aus dem © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 20/45 Jahre 1996 (COM (96) 339 final, vom 25.09.1996; Update 1997 (COM (97) 401 final, vom 25.09.1997) ist die Kommission von dieser Praxis abgerückt. So weist dieses Programm weder konkrete, über das Jahr 2000 hinausreichende Ziele hinsichtlich der Erzeugung von Kernenergie noch im Hinblick auf die hierfür erforderlichen Investitionen aus, obwohl Art. 40 Euratom-Vertrag hierzu bei Veröffentlichung des Programmes weiterhin ausdrücklich ermächtigte. Insoweit heißt es in diesem Programm (COM (96) 339 final) auf Seite 18 wörtlich: „Under these circumstances, the Commission considers that it is not feasible to assign quantitative production or investment targets to the nuclear industry beyond the year 2000 (…)”. Es soll unterstrichen werden, dass es sich bei den PINC Veröffentlichungen um Mitteilungen und nicht um Gesetzestexte handelt. Dennoch unterstreicht diese Abkehr von ausbau- und Investitionszielen eben genau den Umstand, dass es kein EUgemeinschaftliches Interesse und der Förderung und dem Bau neuer Kraftwerkskapazitäten aus Nuklear gibt. Nicht zuletzt im jüngsten PINC aus dem Jahre 2007 ist diese klare Aussage wiederholt. Spätestens mit dem PINC Programm aus dem Jahre 1996 hat eine Abkehr von der Festlegung konkreter gemeinschaftsweiter Ausbau- und Investitionsziele stattgefunden. Die Kommission geht in der Folge dieses Programmes sowie des PINC Programmes aus dem Jahre 2007 und damit über einen Zeitraum von fast 20 Jahren von einem die Gemeinschaft nicht bindenden Ansatz unverbindlichen Ansatz hinsichtlich der Nuklearenergie und entsprechenden Investitionen aus und unterstreicht, dass die Entscheidung für oder gegen die Nutzung von Atomenergie in der Souveränität der einzelnen Staaten fällt. Somit hat sich auch auf Kommissionsebene ein Wandel der Bedeutung bzw. der Interpretationsweise in Bezug auf Artikel 2 und 40 EAGV vollzogen, der sich sehr deutlich auch aus den hinweisenden Programmen unter PINC ableiten lässt Die Schaffung/Entwicklung neuer Nuklearkapazität ist kein Gemeinschaftsziel. (7) Keine Beihilfen für Nuklearenergie nach Nuclear Illustrative Programmes Schlussendlich ist besonders hervorzuheben, dass das aktuelle PINC-Programm Überlegungen zu Nuklearenergie und Wettbewerbsfähigkeit anstellt. Diese finden sich in Paragraph 4.2 des Programms aus dem Jahre 2007 und in Paragraph 3.3 des Updates © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 21/45 aus dem Jahre 2008, wobei die Kommission an letztgenannter Stelle (Seite10) ausdrücklich feststellt: „It is important to ensure in the EU that nuclear energy projects do not benefit from any State subsidy.” Eine deutliche Aussage dahingehend, dass ein etwaiger Ausbau von Nuklearkapazitäten nicht mit Hilfe von Beihilfen erfolgen darf/soll, sondern gerade den Marktkräften unverfälscht ausgesetzt sein soll, findet sich ebenso bereits im PINC der Kommission aus dem Jahre 1996 (COM (96) 339 final, S. 18): „Under these circumstances, the Commission considers that it is not feasible to assign quantitative production or investment targets to the nuclear industry beyond the year 2000, noting, in addition, that the Union's objective today is to let market rules play their role.“ Vor diesem Hintergrund scheint eine Rechtfertigung von Beihilfen zur Förderung des Ausbaus von Nuklearkapazität über Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV erst Recht ausgeschlossen zu sein. bb. Vereinbarkeit mit Kommissionsentscheidung zum „Pallas Project“ Der diesseitigen Auffassung, dass Investitionen in neue Nuklearkapazität nicht über das Gemeinschaftsinteresse im Sinne von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV gerechtfertigt werden können, steht auch nicht die Beihilfeentscheidung der Kommission aus dem Juli 2013 entgegen, welche das „Pallas project: Aid for a new research reactor in Petten“ (State aid SA.36653 (2013/N)) betrifft. Darin hat die Kommission festgestellt, dass eine Beihilfe zur Planung, Errichtung und Inbetriebnahme eines Forschungsreaktors in Petten/Niederlande, der insbesondere zur Produktion von medizinischen Radioisotopen dienen soll, über Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, weil die Beihilfe auf erforderliche und verhältnismäßige/angemessene Weise ein Ziel von gemeinsamem Interesse verfolge. Im Einzelnen hat die Kommission in den Randziff. 57 bis 61 ausgeführt: „57. The Dutch authorities indicate four objectives of common interest pursued by the notified aid measure: (i) providing citizens with a high level of health protection and health care by ensuring security of supply of medical radioisotopes, (ii) © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 22/45 promoting and facilitating nuclear research, (iii) limiting transport of nuclear materials throughout the EU, and (iv) promoting nuclear non-proliferation. 58. As described in detail above, these objectives are in general recognised as legitimate common interests both by the EU as well as by other international organisations such as OECD/NEA and are subject to international cooperation at various levels. 59. They are also in line with the objectives of the Euratom Treaty, in particular as regards promotion of nuclear research (Article 2(a) of the Euratom Treaty), ensuring nuclear safety (Article 2(b) of the Euratom Treaty), facilitation of investment into nuclear installations for development of nuclear energy (Article 2(c) of the Euratom Treaty) and ensuring that nuclear materials are not diverted to purposes other than those for which they are intended (Article 2(e) of the Euratom Treaty). 60. This conclusion is not affected by the fact that some of the planned activities of the multipurpose rector may not relate to all the above identified objectives (e.g. the production of technical radioisotopes is not relevant from the point of view of health protection and care). First, each of the planned activities is relevant from at least one of the above described objectives (e.g. with respect to the production of technical radioisotopes, the limitation of the transport of nuclear material and promotion of non-proliferation remain valid objectives). Second, the multipurpose character is a standard feature of such reactors which ensures a sufficiently high and efficient utilisation of the reactor and diversification of revenue sources to cover the operating costs of the reactor. 61. Therefore, the aid measure aims at well-defined objectives of common interest.” Diese Erwägungen der Kommission sind hier nicht auf Investitionen in den Ausbau von Nuklearkapazitäten übertragbar. Denn die zu einem Forschungsreaktor für medizinische Radioisotope ergangene Entscheidung ist nicht auf den hiesigen Fall von Beihilfen zur Schaffung eines neuen Atomkraftwerks übertragbar. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass unter bestimmten Bedingungen keine Vorbehalte gegen die Förderung von Anlagen zur Erforschung von und zur Versorgung mit Radioisotopen zu medizinischen Zwecken bestehen. Dies dürfte in gleichem Maße sowohl für EU Mitgliedstaaten als auch für Umweltschutzorganisation gelten. Vor diesem Hintergrund er© BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 23/45 scheint es durchaus angemessen, dass Beihilfen für ein solches Projekt als im Gemeinschaftsinteresse liegend eingestuft werden. Hingegen gibt es – wie bereits oben tiefgreifender ausgeführt – neben Österreich auch weitere Staaten, die einen Ausbau von Nuklearkapazität durch die Errichtung neuer Atomkraftwerke ablehnen, so dass insoweit die Annahme eine Gemeinschaftsinteresses nicht möglich ist. Zwischen einem Reaktor zur Erforschung und Gewinnung von Radioisotopen zu medizinischen Zwecken wie im Fall „Pallas project“ und einem Reaktor zur Energiegewinnung besteht mithin ein großer Unterschied, mit der Folge, dass eine Übertragung der Erwägungen im Medizinbereich von vornherein ausscheidet. cc. Berücksichtigung des Entwurfs einer Mitteilung der Kommission zur Beurteilung von wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse Somit erfüllt die Beihilfe für neuen Atomkraftwerksbau in Großbritannien nicht die Voraussetzung der Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse. Auch der Entwurf einer Mitteilung der Kommission hinsichtlich Kriterien für die Würdigung der Vereinbarkeit von staatlichen Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse mit dem Binnenmarkt lässt sich zur Stützung der hiesigen Ansicht, dass Investitionen in den Ausbau von Nuklearkapazitäten kein solches Vorhaben von Gemeinschaftsinteresse darstellt, heranziehen. Ausweislich Ziff. 1 zu den Allgemeinen Kriterien im Abschnitt ii zum Gemeinsamen europäischen Interesse (Seite 5) muss das Vorhaben in konkreter, klarer und erkennbarer Weise zu einem oder mehreren Zielen der Union beitragen und erhebliche Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU, auf das nachhaltige Wachstum, die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen oder die Wertschöpfung in der gesamten Union haben. Wie bereits oben ausgeführt, kann der Ausbau von Nuklearkapazitäten nicht als Ziel der Union, also der Gemeinschaft, angesehen werden, sondern lediglich als Ziel einzelner Mitgliedstaaten. Mit dieser Überlegung ist insoweit bereits der erste Teil des ersten allgemeinen Kriteriums im Sinne der Kommissionsmitteilung nicht erfüllt. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 24/45 b. Anmerkungen zur weiteren Prüfung nach Art. 107 Abs. 3 AEUV Nach dem bisher Ausgeführten würde sich eine weitere Prüfung unter Art. 107 Abs. 3 AEUV erübrigen. Der Vollständigkeit halber wird aber auch und damit erneut wiederum die Kommission in ihrer Stellungnahme weitestgehend unterstützend vortragen, warum auch die anderen Rechtfertigungsmerkmale nicht erfüllt sind. aa. Atomkraft ist „mature technology“ Eingangs soll hingewiesen werden auf die klare Einschätzung der Zuwendungen für Hinkley Point C als Beihilfe, wie sie jüngst von dem Environmental Audit Committee des britischen House of Commons an Herrn Kommissar Almunia mit Schreiben vom 18.03.2014 unterstrichen wurde. Ferner verweisen wir auf den dazugehörigen Ninth Report of Session 2013–14 zu“ Energy Subsidies“ des Environmental Audit Committee. Das Committee unterstreicht in seinem Beihilfebericht: “We do not believe there is any case for treating subsidies to mature energy technologies where there is little likelihood of cost reduction in the future in the same way as technologies that can, over time, compete in the market place without long-term subsidy.” Wie dieser Bericht des Committee es ausführt, ist mithin klar davon auszugehen, dass es sich um die Förderung einer „mature technology“ handelt und bereits deshalb auch keine Beihilfeförderung möglich ist, und es sich bei dem Reaktor keinesfalls, wie man möglicherweise der Argumentation entnehmen könnte, um eine „infant technology“ handelt. Österreich ist der Auffassung, dass es sich bei dem EPR-Reaktor um ein Kraftwerk in der Tradition der Reaktortypen handelt, welche hoffentlich den anerkannten Regeln der Technik oder auch einem heutigen Stand der Reaktortechnik entspricht, aber keine völlig neue Technologie darstellt. Es ist eine Evolution bzw. Weiterentwicklung bekannter Vorläuferreaktoren des Typs der Druckwasserreaktoren. Auch der Investment Contract selbst geht im Übrigen von einer „mature technology” aus, in dem NNBG verpflichtet ist, to „maintain a level of performance which can be considered standard for this type of plant“ 17. 17 House of Commons Environmental Audit Committee - Energy Subsidies, Ninth Report of Session 2013–14- Volume I Report, together with formal minutes, oral and written evidence- Ordered by the House of Commons to be printed 27 November 2013. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 25/45 Weitere aus dem Genehmigungsrecht und der technischen Beschreibung der EPRReaktoren folgende Argumente für das Vorliegen einer „mature technology“ sollen kurz ergänzt werden: •Im UK Generic Design Assessment hat Areva selbst eine Tabelle eingereicht, die dokumentiert, was den EPR von den „Vorgängertypen N4 und Konvoi“ „unterscheidet“. •Im Zuge der Lizensierung des EPR in den USA hat Areva zum US-EPR folgende Aussage getroffen: „The U.S. EPR design is an evolutionary pressurized water reactor (PWR) that incorporates proven technology within an optimized configuration to enhance safety.“ •An anderer Stelle führt Areva aus: „AREVA NP considers the U.S. EPR design to be an evolution of light-water reactor designs of plants that have been licensed and in commercial operation before April 18, 1989, in accordance with 10 CFR 52.47(c)(1). Therefore, the application provides an essentially complete nuclear power plant design except for site-specific elements such as the service water intake structure.“ •Auf ihrer eigenen Website präsentiert Areva den EPR wie folgt: “A highly evolved reactor - The EPR™ design is the fruit of decades of advanced R&D programmes, in particular those at the CEA (French Atomic Energy Commission) and the Karlsruhe Research Center in Germany. It is the direct descendant of two proven reactor technologies – the French N4 reactor system developed by AREVA and the German Konvoi reactor system developed by Siemens – and it is one of the most modern reactors. Through this filiation, the EPR™ reactor totally benefits from an uninterrupted evolutionary and innovative process; it has a proven technology based on 87 PWRs built throughout the world.” Es soll weiter verwiesen werden auf die Typenbeschreibung des EPR durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA): „From the beginning of the project one of the major targets was to further enhance the safety level of the EPR™ with respect to those, already very high, of the existing nuclear power plants in France and Germany. In coherency with © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 26/45 the rules established by the French and German nuclear safety authorities for the next generation of pressurized water reactors, the EPR™ responds to the following principles: An "evolutionary" design, so as to draw maximum benefit from the accumulated experience in designing and operating the PWR units now in service in the two countries. An enhanced safety level: on one hand, a decreased core melt probability has been achieved by reducing the frequency of initiating events and by ensuring higher availability of the safety systems. “ bb. Keine (erheblichen) positiven Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU, Wachstum oder Wertschöpfung in der EU oder Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen Würden alle externen Kosten der Atomenergie internalisiert und würden alle EURTOM Fördermittel in der EU vernünftig mit in die Kostenrechnung einbezogen dann würd deutlich, dass Atomenergie zu den teuersten, Generationen belastenden Energieumwandlungstechnologien zählt. Eine langfristige Beihilfegewährung für eingeführte und nicht effiziente Technologien wie für das in Rede stehende Hinkley Point C Projekt stellt eine erhebliche Markt-Störung dar. Der Ausbau von Nuklearkapazität hat keine nennenswerten, geschweige denn „erhebliche“ positiven Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU, eher wird eine „Reservierung“ von etwa 7% des Strombedarfs des Vereinigten Königreichs nach 2023 zu einer Behinderung kostengünstigerer Alternativen, wie insbesondere hocheffizienter Gaskraftwerke und Erneuerbarer Energien führen. Es fehlt eine Analyse der Auswirkungen einer Förderung von Hinkley Point C über den CfD im Verhältnis zu einem CfD-gesetzten Ausbau der Erneuerbaren Energien. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass es durch die Förderung zu erheblichen Auswirkungen auf das nachhaltige Wachstum oder die Wertschöpfung in der gesamten Union kommt. Vielmehr dürfte der weitere Bau von Atomkraftwerken vor dem Hintergrund des dagegen wachsenden Widerstands eher zu gesellschaftspolitischen Spannungen führen als zur Bewältigung von gesellschaftlichen Herausforderungen beitragen. Hierzu zählt Österreich vor allem neben den gesellschaftlichen schweren Bedenken aus Gefahren aus dem Bau und Betrieb von Atomkraftwerken insbesondere den Bereich der nach wie vor ungeklärten sicheren Entsorgung der Kernbrennstoffabfälle mit zum Teil ein Jahrtausend währenden, erheblichen Verstrahlungsrisiken. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 27/45 Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht bei den Kalkulationen der Vollkosten des Atomstroms eine allgegenwärtige Neigung zu einer „Kleinrechnung“.18 Weltweit sei kein Atomkraftwerk je unter marktwirtschaftlichen Bedingungen gebaut worden, es bleibt eine höchst riskante und kapitalintensive Investition mit vielen planungstechnischen und politischen Unsicherheiten. Kostenschätzungen würden zudem ohne oder nur zum Teil den Rückbau der Anlagen und die Endlagerung des Atommülls berechnen. Die Unternehmen sind nicht ausreichend gegen Milliarden-Schäden wie bei den größten anzunehmenden Unfällen wie in Fukushima oder Tschernobyl versichert. Gegen solche Schäden würden sich die Unternehmen nicht ausreichend versichern und sind dazu auch nicht verpflichtet. Die eigentlichen Gesamtkosten der AKW würden erst nach der Außerbetriebnahme deutlich, darin eingerechnet auch ein eventueller Störfall. Da die Risikokosten gesamt nicht auf die Betreiber abgewälzt werden könnten, würde stets das finanzielle Risiko einzig vom Staat bzw. den Steuerzahlern getragen.19 In Großbritannien würde mit der Bewilligung der Beihilfen für Hinkley Point C das Ungleichgewicht zwischen den Vollkosten für andere Energietechnologien und der Nukleartechnologie zu Lasten der Verbraucher und Steuerzahlen erheblich größer, was auch den Energiebinnenmarkt und die Wettbewerbsfähigkeit der EU 28 latent belastet. cc. Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip Am deutlichsten wird das Vorsorgeprinzip im Grundsatz 15 der Erklärung von Rio zu Umwelt und Entwicklung vom Jahre 1992 ausgesprochen: „Zum Schutz der Umwelt wenden die Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten weitgehend den Vorsorgegrundsatz an. Drohen schwerwiegende oder irrever- 18 DIW Berlin (2013): Pressemitteilung vom 17.07.2013. Umstieg auf erneuerbare Energien schneller möglich als geplant. http://www.diw.de/de/diw_01.c.424659.de/umstieg_auf_erneuerbare_energien_schneller_m oeglich_als_geplant.html -Zugang am 5.4.2014. 19 Siehe auch: Schweizerische Energie-Stiftung SES (Herausgeberin),Atomvollkosten – Was der Atomstrom wirklich kostet, November 2013. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 28/45 sible Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben.“ Die vorgesehene Beihilfe an Hinkley Point kann umso weniger als Maßnahme von gemeinsamem Interesse angesehen werden, als auch das in Artikel 191 AEV niedergelegte Vorsorgeprinzip bei der Nutzung von Atomkraftwerken nicht verwirklicht wird. Es wird auf den hohen Stellenwert des Vorsorgeprinzips in der Europäischen Verfassung und seine Bestätigung in Entscheidungen der Europäischen Gerichte hingewiesen20 . Österreich hat in ausführlichen wissenschaftlichen Gutachten stets dargelegt, dass Atomenergie nicht nachhaltig ist.21 Ein Verstoß gegen das Nachhaltigkeitsprinzip des europäischen Verfassungsrechts ist auch dadurch gegeben, dass der Investment Contract eine Klausel zur Sicherung eines „political shutdown“ vorsieht. Nach Randnr. 47 ist ein „Secretary of State Agreement“ vorgesehen, welches Bedingungen enthalten soll „to deal with the eventuality that the nuclear power plant is shut down as a result of a political decision and not related to health, safety, security, environmental, transport or safeguards concerns, or other specified circumstances.” Auch im Hinblick darauf, dass zwei staatliche chinesische Unternehmen Teilhaber in NNBG sind, aber vor allem bezogen auf diese Bindung künftiger Regierungen und Einschränkung ihrer Freiheit, auch in Großbritannien einen Ausstiegsbeschluss aus der Atomenergie durchzusetzen und damit der Beschränkung der demokratischen Grundwerte für über 60 Jahre, ist dies eine problematische Klausel in Bezug auf das 20 Siehe etwa Urteil des EuGEI, Rechtssache T-13/99 vom 11.09.2002 - Pfizer Animal Health SA gegen Rat der Europäischen Union21 Siehe etwa Helga Kromp-Kolb (Austrian Nuclear Advisory Board) and Andreas Molin (Lebensministerium)/Coordination: Nuclear Power, Climate Policy and Sustainability, An Assessment by the Austrian Nuclear Advisory Board; a.a.O, S. 7: “From a legal point of view the core of the applicability of the principle of sustainability lies in the distribution of the asset “environment” and the burdens of Nuclear Energy production between the present and coming generations. In analogy to the principle of proportionality of the law of the European Community the energy demand of the present generation must be kept as low as possible and at the least possible environmental costs; the costs and burdens of energy production are to be borne by the generations benefiting from it. The sustainability principle therefore rules out the use of Nuclear Energy in its present form and in others envisaged today.“. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 29/45 Demokratieprinzip der EU und verstößt mit ihrem „locked-in-Effekt“ gegen die Binnenmarktrichtlinie Strom. dd. Maßnahme dient nicht dem Ziel der Dekarbonisierung Die Ansicht der Kommission, dass der Bau und Betrieb von Hinkley Point C der Beschleunigung der Dekarbonisierung dienen könnte, ist unzutreffend. Atomkraft ist nicht emissionsfrei. Es wird in diesem Zusammenhang verwiesen auf wissenschaftliche, vergleichende Lebenszyklusstudien. Danach liegt der scheinbare Vorteil von Atomkraftwerken in dem Umstand, dass sie im Betrieb zwar keine direkten CO2-Emissionen verursachen, dennoch benötigt die Stromproduktion aus nuklearen Quellen den Abbau und die Verarbeitung von Uranerz, ,die Anreicherung des Urans, die Brennelementherstellung sowie den Transport von Uran, um einige Faktoren zu benennen, was umschrieben wird mit dem Begriff der „vorgelagerte Prozesskette“. All diese notwendigen Teile der Kette bis hin zur eigentlichen Stromproduktion sind Emissionsfaktoren für CO2.22 Die folgende Ausführung veranschaulicht den Weg: „Atomstrom benötigt nicht als einzige Energiequelle vorgelagerte Prozesse, bis im Kraftwerk Strom erzeugt werden kann: auch fossile Brennstoffe und Biomasse müssen gewonnen, verarbeitet, umgewandelt und transportiert werden. Weiter sind für den Bau von Atomkraftwerken und Anlagen der Vor- und Folgestufen Beton, Kupfer, Stahl, und andere Materialien erforderlich. Werden diese mit einbezogen, umfasst die Analyse den vollständigen Lebenszyklus des nuklearen Systems. Die für diese Zwecke benötigte Energie wird teils mit fossilen Energieträgern erzeugt, wodurch Treibhausgasemissionen verursacht werden. Einige zusätzliche Treibhausgasemissionen resultieren direkt aus chemischen Reaktionen bei der Materialverarbeitung (z.B. der Herstellung von Zement). Ent- 22 Siehe hierzu ausführlich: Uwe R. Fritsche, Koordinator Bereich Energie & Klimaschutz, ÖkoInstitut, Büro Darmstadt, Arbeitspapier: Treibhausgasemissionen und Vermeidungskosten der nuklearen, fossilen und erneuerbaren Strombereitstellung, März 2007. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 30/45 sprechend emittieren Atomkraftwerke – ebenso wie andere Energieerzeugungsanlagen – indirekt CO2 sowie andere Treibhausgase.“23 Über die gesamte Lebensdauer von Atomkraftwerken emittieren diese etwa in einer Analyse unterschiedlicher Annahmen einen Mittelwert von 66g CO2 pro kWh. Die folgende Übersicht gibt den Abstand zwischen den verschiedenen Annahmen, die dem Mittelwert zugrunde liegen, an:24 23 Uwe R. Fritsche, Koordinator Bereich Energie & Klimaschutz, Öko-Institut, Büro Darmstadt, Arbeitspapier: Treibhausgasemissionen und Vermeidungskosten der nuklearen, fossilen und erneuerbaren Strombereitstellung, März 2007. 24 Vgl. Artikel im Anhang: B. Sovacool, Valuing the greenhouse gas emissions from nuclear: A critical survey, Energy Policy 36 (2008), p. 2947 © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 31/45 Hinsichtlich der unterschiedlichen Annahmen soll auf die folgende Einschätzung zu Nuklearer Stromproduktion aus der Wissenschaft Bezug genommen werden: „The dramatic difference in the GHG estimates during the construction and operation stages stem from employing different methodologies. For example, Storm and Smith’s estimates of 17 g CO2-eq./kWh for construction (with a range of 8.5-25.4) and 31 g for operation are based on Economic Input/Output (EIO) analysis (Strom and Smith, 2005; Storm, 2006), Hondo’s estimates of 2.8 g CO2-eq./kWh for construction is based on process data and of 3.2 g CO2-eq./kWh for operation, is partially based on EIO analysis (Hondo, 2005a; Hondo, 2005b), whereas Dones’s corresponding estimates of 0.7 and 0.5 g CO2-eq./kWh, and Vattenfall’s estimates of 0.3 and 0.25 g CO2-eq./kWh result from process-based analyses (Dones, 2003; Vattenfall, 2004).The GHG estimate of Storm and Smith is about 50% higher than that for the UK nuclear-fuel cycle obtained from a cost analysis of the Sizewell B nuclear power plant (NPP). Even greater uncertainty applies to decommissioning, a stage for which actual data do not exist. The Vatenfall report assigns only 0.5 g CO2-eq. /kWh for construction and decommissioning together (Vattenfall, 2004; Bodlund, 2006), whereas Storm and Smith assign a range of 17-34 g CO2-eq. /kWh (Strom and Smith, 2005; Storm, 2006). The EIO’s approach allows gleaning more emissions (sometimes beyond the system boundary) than the process-based LCA method (Suh et al., 2004). The latter, however, method may not fully capture the real impact of GHG emissions during construction. In studies by Dones (2003), and Hondo (2005), the GHG estimates are closely linked to the amount of steel and concrete, which account for over 95% of the total impact. In fact, in terms of mass and GHG emissions, they are the two major materials for both NPPs and the BOS of PV plants. Thus, we examined the deviation of the two methods in determining GHG emissions from steel and concrete for constructing both types of plants. The EIO-based LCA approach gave 10-20 times higher GHG emissions than the processbased one. It also gave a factor of 3 times higher GHG estimates for the PV BOS system than did a process-based approach. The gap between these two approaches is especially striking for the NPP’s steel components, the most important material in terms of GHG emissions. Our analysis shows that, although the construction cost per kWh electricity produced is similar for both structures, the amount of steel used for the NPP is 3-10 times less than the PV BOS. There are two ways to explain this anomaly. First, the steel components used in NPPs may be more expensive, labor intensive, and perhaps, energy in© BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 32/45 tensive. Second, the cost of constructing NPPs is relatively high due to expenses unrelated to steel and concrete components. For example, instrumentation- and control- (I&C) related energy is not included in any of the process-based or materials-based analyses, although a NPP is expected to have a much higher fraction of such costs than a PV plant. Also, the incremental energy required for manufacturing finite, high specification, components from materials listed in data-bases, is not included in the process-based analyses of the nuclear fuel cycle, but is expected to be captured with EIO”25. Somit kann von einem wissenschaftlich fundierten Mittelwert von 66g CO2 pro kWh ausgegangen werden. Dies ist verglichen mit Wind (zwischen 9-10g CO2 pro kWh) etwa 6-7mal mehr. Selbst im Vergleich zu Biomasse und Geothermie, als CO2intensivste erneuerbare Energiequellen, schneidet Atomkraft schlecht ab26 und ist die Aussage der CO2 Armut durch Atomstromproduktion ins Reich der Legende zu verweisen. Österreich hat gegenüber der Kommission am 26.2. 2014 in seiner Stellungnahme der zur Überarbeitung der EU-Beihilferechtlichen Grundlagen für Umwelt- und EnergieBeihilfen unterstrichen: “Die Nuklearenergie stellt nach Auffassung Österreichs weder eine nachhaltige Form der Energieversorgung noch eine tragfähige Option zur Bekämpfung des Klimawandels dar. Da die Gesamtumweltbilanz der Nuklearenergie negativ ausfällt, wären Umweltbeihilfen für Nuklear-kraftwerke inakzeptabel. Bei der Nuklearenergie handelt es sich um eine ausgereifte Technologie, die bereits über Jahrzehnte hinweg massiv subventioniert wurde. Eine Dauersubventionierung einer ausgereiften, per se unrentablen Technologie (unter Berücksichtigung aller externen Kosten, vor allem der Kosten für die Entsorgung und Nachsorge) widerspricht der Logik des EU-Beihilferechts“. ee. Maßnahme dient nicht dem Ziel der Versorgungssicherheit Zudem dient Hinkley Point C – wie aus dem Expertengutachten der Kommission zum Eröffnungsbeschluss hervorgeht –, auch nicht der Versorgungssicherheit. Vielmehr 25 Vasilis M. Fthenakis, Hyung Chul Kim, Greenhouse-gas emissions from solar electric- and nuclear power: A life-cycle study, Energy Policy 01/2007; DOI:10.1016/j.enpol.2006.06.022. 26 Vgl. Artikel im Anhang: B. Sovacool, Valuing the greenhousegas emissions from nuclear: A critical survey, Energy Policy 36 (2008), p. 2940-2953. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 33/45 würde es in den nächsten Jahren bereits – wenn überhaupt – zu Versorgungsengpässen kommen. Dann allerdings wäre Hinkley Point C noch nicht in der Lage, diesen Problemen entgegenzutreten. Mit der Fertigstellung ist - selbst wenn diese nach Plan erfolgen sollte – nicht vor 2023 zu rechnen, mehr als 5 Jahre nach etwaigen Versorgungsengpässen, und zu einer Zeit, wenn sich die Situation insbesondere allein schon bei weiterer Verbesserung der Interkonnektivität in der EU-28 vermutlich wieder normalisiert hat. Allerdings ist 2023 aller Voraussicht nach als Zeitpunkt der Fertigstellung ohnehin schwer zu halten. Erfahrungen zeigen, dass es beim Bau von Atomkraftwerken regelmäßig zu jahrelangen Verzögerungen kommt. Somit kann die Versorgungssicherheit nicht das Ziel der Maßnahme sein. Weiter wird darauf hingewiesen, dass es vermutlich zu weiteren Verzögerungen des Baubeginns kommen wird. Dies liegt zum einen darin begründet, dass das Implementation Committee der ESPOO Konvention Convention on Environmental Impact Assessment in a Transboundary Context am 14.03.2014 schriftlich Herrn Tom Simpson im Department for Communities and Local Government in London wie folgt informiert: Weiter führt das Committee aus: © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 34/45 In der Konsequenz wird es möglicherweise zu weiteren Einladungen Großbritanniens an die anderen betroffenen ESPOO Staaten zur Stellungnahme im Rahmen der Konvention kommen müssen. Auch ist erheblich, dass An Taisce (der „National Trust for Ireland“) gegen das abweisende Urteil des High Court of Justice – Queen’s Bench Division Administrative Court wegen Verletzung des Stellungnahmerechts Irlands nach der ESPOO Konvention in Berufung gegangen ist.27 Es erscheint nicht unwahrscheinlich, von einer Verzögerung von nicht weniger als ein bis zwei Jahren auszugehen. Außerdem soll darauf hingewiesen werden, dass Zweifel an einer Stärkungsmöglichkeit der Versorgungssicherheit durch Atomenergie auch deshalb bestehen, da Uran nicht in Großbritannien gefördert wird und auch nur zu einem sehr geringen Teil überhaupt innerhalb der Europäischen Union tatsächlich bezogen wird: Die wichtigsten Förderländer sind Kasachstan (19.451 Tonnen), Kanada (9.145 Tonnen) und Australien (5.963 Tonnen), die etwa zwei Drittel (63,3%) der Weltförderung teilen28. In der EU 28 fördern lediglich Tschechien (229 Tonnen) und Rumänien (77 Tonnen) Uran.29 27 In essence, the challenge was that the Irish government should have been consulted on the application under the UK's obligations on 'transboundary effects' of projects (i.e. potential environmental effects on other member states). These arise from the Espoo convention, embodied in the Environmental Impact Assessment directive and then in the EIA regulations for infrastructure planning. Although this was a 'rolled up' hearing of the permission stage and the substantive hearing simultaneously, the judge ruled that she wouldn't have given permission to go to a substantive hearing (paragraph 209 of the judgment). 28 Siehe World Nuclear Association -World Uranium Mining Production, (Updated July 2013),http://www.world-nuclear.org/info/Nuclear-Fuel-Cycle/Mining-of-Uranium/WorldUranium-Mining-Production/#.UT7PxWfw7Tc Zugang am 5.4.2014. 29 Vor diesem Hintergrund ist die folgende Annahme der Europäischen Kommission in ihrem Impact Assessment beunruhigend und irreführend :” This ratio of import dependency also considers some replacement of nuclear with RES, and nuclear energy generated on EU soil is considered domestic irrespectively of the origin of Uranium etc.”-( Commission Staff Working Document Impact Assessment- Accompanying the Communication -A policy framework for climate and energy in the period from 2020 up to 2030, Fussnote 79) © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 35/45 ff. Abwesenheit eines Marktversagens bzw. Provozierung eines künftigen Marktversagens Die Argumente der Kommission, dass in Bezug auf den Elektrizitätsmarkt kein Marktversagen vorliegt, sind zutreffend. Das Ziel der Dekarbonisierung wird beispielsweise bereits durch den Emissionshandel adressiert, der es erlaubt, CO2-Emissionen zu bepreisen und so Anreize für Emissionsreduktionen schafft. Gerade in Großbritannien bestehen mit dem Carbon Price Floor auf diesem Gebiet noch zusätzliche Instrumente. Auch bestehen sowohl in den Mitgliedstaaten, mitunter Großbritannien, Mechanismen insbesondere zur Förderung der Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz, die ebenso das Dekarbonisierungsziel adressieren. Entsprechend ist hier nicht von einem Marktversagen auszugehen. Es wird verwiesen auf die eindeutigen, diesbezüglichen die Ausführungen in dem Subventionsbericht des Environmental Audit Committees, wonach es die britische Regierung auffordert, „the Government should rethink its hostility to a separate continued European target for the deployment of renewables.“ Man kann in dieser Weichenstellung in Großbritannien im Ergebnis eine Provozierung eines Marktverschlusses zu Gunsten von Nuklearkraftwerksbau gegen eine Öffnung zu weiterem Ausbau von Erneuerbaren Energien und Stromhandel hinweg sehen. Es ist nicht Aufgabe europäischer Beihilfepolitik, die Einführung eines Marktversagens zu fördern. Es darf angeregt werden, dass die Europäische Kommission prüft, ob hier nicht ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (Binnenmarktrichtlinie Strom) vorliegt. Darüber hinaus liegt in einer derartigen Förderung auch die Gefahr des Aufbaus einer dominanten Position von EDF-Energy auf dem britischen Energiemarkt mit negativen Auswirkungen auf den Binnenmarkt. Im Falle etwa von Laufzeitverlängerungen für den existierenden Nuklearkraftwerkspark könnte eine Situation eintreten, in der EDF in Großbritannien unter Umständen mehr als 20% des Stromerzeugungspotentials in Mio Tonnen Öl-Äquivalent halten wird.30 Dies allein gefährdet den Wettbewerb und 30 Siehe de.statista.com zu den Anteilen (Mio tonne Öl Äquivalent) der verschiedenen Energiequellen bei der Stromerzeugung in Großbritannien (2012): Kohle 34,33- Gas 18,41 – Kernkraft 15,21 – Wind-Wellenkraft/PV 1,79 – Öl 0,78- Wasserkraft 0,45 – andere Erneuerbare 5,29, andere Brennstoffe 1,11. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 36/45 die Stromversorgung zu den wettbewerbsfähigsten Preisen in der EU und verstößt bereits gegen Artikel 3 Absatz 1 der Binnenmarktrichtlinie. Bezüglich der Versorgungssicherheit ist ebenfalls nicht ausreichend vorgetragen, dass hier ein Marktversagen vorliegen würde. Großbritannien hat in den vorgelegten Modellen – wie von der Kommission kritisiert – kein Szenario unterbreitet, dass auf einen verstärkten grenzüberschreitenden Stromhandel setzen würde, mit dem Argument,, Interkonnektionskapazitäten seien zu teuer. Angesichts der immensen Kosten für Hinkley Point C scheint dieses Argument allerdings nicht schlüssig. Dass ein Marktversagen speziell für Atomkraft besteht, scheint Großbritannien überhaupt nicht vorzutragen. Die Ausführungen der Kommission insbesondere unter Randnr. 267 sind zu unterstützen. Insgesamt handelt es sich überhaupt nicht um ein Marktversagen: Vielmehr hat sich der Markt bewusst gegen Atomkraft entschieden. Wie im Vorangegangenen erwähnt, sind die Kosten für Atomkraft absolut unklar, was dergleichen Projekte für Investoren unattraktiv macht. Im Vergleich mit neuen Technologien, beispielsweise zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen, handelt es sich aber nicht um Kostenrisiken, die sich in der „Neuheit“ der Technologie begründen, sondern vielmehr andersherum: Aufgrund gerade der Erfahrung mit Atomkraft wird diese als nicht wirtschaftlich erachtet. Somit besteht hier kein Marktversagen, sondern es handelt sich um einen Lernprozess des Marktes. Technologien, die einen solchen Lernprozess durchwandert haben und sich nach mehr als 50 Jahren nicht wirtschaftlich am Markt behaupten konnten, sollten nicht künstlich dort gehalten werden. Es ist nicht ersichtlich, warum Atomenergie im Gegensatz zu unserem erklärten EU Ziel einer raschen Markteinführung von Erneuerbaren Energien mit kurzen Förderzeiträumen und hohem Degressionsvorbehalt nach mehr als 50 Jahren indexierte finanzielle Unterstützung über mehr als 30 Jahre zur Absicherung der hohen „sunk costs“ benötigt. Es ist für Atomenergie eine, in technischen Begriffen etablierte „dead-end“-Situation eingetreten ist, wonach diese Technologie sich in einer Situation befindet, in der weiterer Fortschritt hinzu Marktfähigkeit unmöglich geworden ist und eine Sackgasse besteht. Der Grundsatz der europäischen Wettbewerbs- und Beihilfepolitik des Verbots von Dauersubventionen ist zu respektieren. In diesem Zusammenhang ist zu unterstreichen, dass die Kommission von der Förderfähigkeit über 35 Jahre nach Fertigstellung des Kraftwerks und mit Indexierung im Grundsatz auszugehen scheint und sogar einen Gesamtförderzeitraum von 60 Jahren für realistisch hält. Detailinformationen © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 37/45 hierzu liegen aber nicht vor. Es soll in diesem Zusammenhang auf die klare Rechtspraxis der Kommission, insbesondere soll vor diesem Hintergrund auf Entscheidungen des EuGH zur besonderen Stellung der Landesbanken durch Staatsgarantien staatliche Haftungsgarantien – Anstaltslast und Gewährträgerhaftung – verwiesen werden, aus denen sich Bewertungsparallelen zu der Einschätzung der Kommission zu Dauerbeihilfen, die gleichzusetzen sind mit einer Bürgschaft, ergeben.31 Dieser Bereich der Garantie und der Frage, ob diese eine Beihilfe darstellen, bedarf einer sehr detaillierten Prüfung der Kommission, die offenbar derzeit noch nicht erfolgen konnte. Die Frage einer staatlich finanzierten Garantie ist offenbar essentiell für das Gesamtpaket. Es wird darum angeregt, die Kernaussagen der Leitlinien der Kommission bei der Prüfung der Hinkley Point C Beihilfe anzuwenden. Investitionen öffentlicher Stellen in wirtschaftliche Tätigkeiten insbesondere in Form von staatlichen Garantien müssen klar zu Bedingungen erfolgen, die für einen marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgeber annehmbar wären. Es wird weiter erneut verwiesen auf den jüngsten Bericht des House of Commons, Environmental Audit Committee, zu „Energy Subsidies“, indem das Committee die folgenden Bestandteile der Vereinbarungen zu Hinkley Point C im Zusammenhang mit der Frage des Vorliegens einer Beihilfe kritisiert32: Das Committee verweist auf die Ausführungen des Ministers, wonach der „Waste Contract“ mit dem Investor ein Cap setze “on the level of the waste transfer price. Nach Aussage der Regierung gegenüber dem Committee akzeptiert diese, „that, in setting a cap, the residual risk that actual cost might exceed the cap is being borne by the Government. Therefore the Government will charge the operator an appropriate risk fee for this risk transfer…” Weiter verweist das Committee auf ein anderes “Cap” in Bezug auf die Nuklearhaftung : “.Similarly, there will be a £1.2bn cap on the nuclear incident liability which, the Minister told us, was also not a subsidy because the developer will be charged a “risk fee” on “commercial terms” for the Government still having a residual liability…”. 31 Siehe EuGH, 12.12.2002 - C-209/00 sowie XXI. Bericht Wettbewerb 1991 (38.1). House of Commons Environmental Audit Committee - Energy Subsidies, Ninth Report of Session 2013–14- Volume I Report, together with formal minutes, oral and written evidence- Ordered by the House of Commons to be printed 27 November 2013. 32 © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 38/45 Wie das Committee werden hier erhebliche Zweifel an diesen weiteren Regelungen gesehen und sind diese insgesamt als Teil eines umfangreichen Beihilfepakets anzusehen. Es ist aus dem veröffentlichten Text des Eröffnungsbeschlusses nicht deutlich, inwieweit dieser Umfang der Vereinbarung der Kommission bekannt ist. Umso mehr, als gerade die Frage zur Höhe der und der Verantwortung für die Kosten für Abfall und Dekommissionierung in Großbritannien sowie die damit verbundenen Haftungsfragen erhebliche Probleme aufweisen.33 gg. Erforderlichkeit der Beihilfe Die Beihilfemaßnahme für Hinkley Point C ist auch nicht erforderlich. Zunächst liegt kein Marktversagen vor. Zudem werden sowohl Versorgungssicherheit als auch Dekarbonisierung ohne diese Maßnahme erreicht werden können. Die Höhe und der lange Zeitraum der Förderung ab Fertigstellung erscheinen vollkommen unangemessen. Da aber die einzelnen Finanzierungsgrundlagen nicht detailliert von der Kommission in dem veröffentlichten Eröffnungsbeschluss dargestellt werden konnten, wird vor dem Hintergrund der außerordentlichen Höhe, Zeitdauer und Sicherung des Beihilfepakets an dieser Stelle zunächst angeregt, auf die Ausführungen von Liberum Capital34 und gegebenenfalls weiterer, spezialisierter Analysten zurückzugreifen und diese Bewertungen mit in die notwendige Analyse aufzunehmen. Auch ist vollkommen unklar, warum und inwieweit eventuell sogar die Kosten für den späteren Rückbau des Kraftwerks in die Finanzierung mit aufgenommen wurden. Sollte dies der Fall sein, dann besteht umso mehr die Gefahr einer exzessiven Förderung. Es ist Aufgabe des AKW Betreibers, dem Verursacherprinzip folgend, für die späteren Kosten des vollständigen Rückbaus und der sicheren Endlagerung Mittel zur Verfügung zu haben. Sollte dieser Wert nun bereits in der Beihilfesumme vorab enthalten sein, tritt de facto der britische Steuerzahler für zumindest zum Teil für die Kosten in der Zukunft auf und nicht der Verursacher. 33 Siehe: The Economist: Nuclear decommissioning- A glowing review -Britain is paying dearly for neglecting its nuclear waste, Apr 5th 2014 http://www.economist.com/news/britain/21600135-britain-paying-dearly-neglecting-itsnuclear-waste-glowing-review Zugang am 5.4.2014. 34 Liberum Capital, 30 October 2013-Flabbergasted – The Hinkley Point Contracthttp://www.liberum.com/pdf/ULkWtp00.pdf Zugang am 5.4.2014. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 39/45 Des Weiteren ist von der Kommission zu prüfen, wie die Rückstellungspraxis für diese Reaktoren in Hinkley Point C geregelt ist und ob hier auch für den Rückstellungsvorgang selbst etwa Steuerbefreiungen oder Ermäßigungen für Rückstellungen gewährt werden. In einem solchen Falle gäbe es damit die Gefahr einer doppelten Subvention und der weiteren Missachtung des Verursacherprinzips. (1) Versorgungssicherheit Die Versorgungssicherheit kann derzeit und auch in den kommenden Jahren neben Strom von anderen Kraftwerken auch durch Zukauf von derzeitigen und auch künftig zu erwartenden Stromüberschüssen auf dem europäischen Festland und einem Transfer/Transport des entsprechenden Strom mittels Interkonnektoren zwischen Großbritannien und Kontinentaleuropa sowie über die Verbindung zu Irland sichergestellt werden, so dass der Bau eines Atomkraftwerks und entsprechende Beihilfen zum Zwecke der Kompensation einer möglichen Stromunterversorgung nicht notwendig sind. Wie bereits erwähnt, hat Großbritannien zu dem Punkt jedoch offensichtlich nicht vorgetragen, weswegen wir an dieser Stelle gerne ergänzen würden. Seit dem vergangenen Jahr sind Irland und Großbritannien (Wales) über das „EirGrid East-West Interconnector Project“ (EWIP) als eines der prioritären EU TEN Projekte über HVDC Kabel verbunden. Damit hat Großbritannien Zugang zu den steigenden Anteilen an Erneuerbarer Energie in Irland und umgekehrt und beide Staaten partizipieren über die Verbindung zum Festland über Großbritannien am Zugang zu weiteren Balancingund Versorgungs-Optionen in der EU-28. Wichtig hierfür ist insbesondere zum einen das seit April 2011 operierende Seekabel „BritNed“ mit einer Leistung von bis zu 1 GW zwischen Kent (UK) und Maassvlakte (NL)und zum anderen die Verbindung der Übertragungsnetze des United Kingdom und von Frankreich über das Seekabel „Interconnexion France-Angleterre“ (ITA) zwischen Kent und Calais seit 1986 mit einer maximalen Leistung von 2 GW. Des Weiteren ist zwischen dem United Kingdom und Frankreich unter der Bezeichnung „Interconnexion France-Angleterre 2“ (ITA 2) ein weiterer Interkonnektor geplant, der ab dem Jahre 2020 mit einer Leistung von 1 GW in Betrieb genommen werden kann. Somit kann bereits jetzt und sicher vor dem ins Auge genommenen Laufzeitbeginn des AKW Hinkley Point C im Jahre 2023 auf die nötige Infrastruktur, die darüber hinaus in Zukunft noch weiter ausgebaut werden soll, zurückgegriffen werden, um etwa© BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 40/45 ige Energieengpässe im United Kingdom mittels des Zukaufs von bestehenden und auch zukünftig zu erwartenden Energieüberschüssen in Kontinentaleuropa und Irland sowie deren Transport über die Interkonnektoren zu vermeiden und so Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Zu der von Großbritannien angesprochenen Situation, dass aufgrund ähnlicher Windbedingungen in dem Nord-Westkorridor Europas es zu ähnlichen Zeiten zu einem Überangebot an variablen Windressourcen in der gleichen, weiteren nordeuropäischen Versorgungsregion kommen kann, ist ebenfalls anzumerken, dass allein über steigenden Zuwachs von Speicherlösungen, zunehmender Nutzung von Synergien der verschiedenen erneuerbaren Energiequellen und Methanisierung von EE Strom bis zum Anfang des kommenden Jahrzehnts weiterer Zuwachs der Versorgungssicherheit trotz Zuwachs der Nutzung erneuerbarer Quellen in der EU-28 zu erwarten ist. Darüber hinaus wird auf die jüngste Mitteilung der Kommission zur optimalen Nutzung staatlicher Intervention verwiesen und zitiert: „Technologische Entwicklungen schaffen neue Möglichkeiten der Laststeuerung (z.B. intelligente Verteilernetze, intelligente Zähler und Geräte und Stromspeicher) und für entsprechende Dienstleistungen (dynamische Preisfestsetzung, Verträge für unterbrechbare Last oder für eine dynamische Lastbegrenzung in den Sektoren Industrie, gewerbliche Unternehmen und Haushalte, Beteiligung an den Märkten für Ausgleichsleistungen, Aggregierung von Dienstleistungen und Optimierung der Nachfrage von Haushalten). Dadurch wird die Flexibilität des Systems verbessert und die benötigte Stromerzeugungskapazität verringert. Diese Entwicklungen können den Verbrauchern dadurch finanziell zugutekommen, dass sie einen Teil ihres Verbrauchs in kostengünstigere Zeiträume verlegen können. Das Potenzial der Laststeuerung in der Union ist enorm: Die Spitzennachfrage in der EU könnte um 60 GW gesenkt werden, d. h. um etwa 10 %. Zusätzlich zur Laststeuerung führt eine höhere Endenergieeffizienz zu Kostensenkungen und zu einem geringeren Investitionsbedarf für teure Stromerzeugungsanlagen.“35 Es ist aus dem Schreiben der Kommission nicht zu erkennen, ob Großbritannien diesen Entwicklungshorizont der Kommission bei seinen Berechnungen zu möglichen Engpässen berücksichtigt hat. 35 Siehe C(2013) 7243 final - Mitteilung der Kommission, Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarktes und optimale Nutzung staatlicher Interventionen, Seite 6 f. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 41/45 Vor diesem Hintergrund und in Ergänzung der Argumente der Kommission hat Großbritannien in keiner Weise Argumente vorgetragen, warum die Errichtung der zwei neuen Atomreaktoren in Hinkley Point C und entsprechende Beihilfegewährungen unter dem Aspekt der Sicherstellung von Versorgungssicherheit in Großbritannien erforderlich sind. (2) Dekarbonisierung Die Kommission bezweifelt zu recht, dass der Bau und Betrieb von Hinkley Point C überhaupt der Dekarbonisierung dient, bzw. ist der Ansicht, dass es sich lediglich um eine Maßnahme zu deren Beschleunigung halten kann. Wie oben aufgeführt teilen wir diese Meinung nur teils. Atomkraft ist nicht erforderlich und nicht geeignet zur Dekarbonisierung, da die negativen Folgen die – möglichen – positiven Folgen mehr als aufwiegen und die Bilanz der Atomkraft diese insgesamt als deutlich umweltschädlich identifiziert. Es wurde im Vorangegangen bereits auf den Reaktorunfall in Fukushima bzw. die Katastrophe in Tschernobyl hingewiesen. In der Nacht vom 25. auf den 26. April 1986 ereignete sich im Block 4 in Tschernobyl der bis dahin schwerste Reaktorunfall in der Geschichte der Nutzung der Kernenergie. In den darauf folgenden zehn Tagen wurden große Mengen radioaktiver Stoffe in die Atmosphäre freigesetzt und je nach Wetterlage auf der Nordhalbkugel verteilt. Eine Zone im Umkreis von 30 km wurde evakuiert, etwa 330.000 bis 340.000 Menschen verloren ihr Zuhause. Lokal wurden etwa im Bayerischen Wald und südlich der Donau bis zu 100.000 Becquerel (Bq) Cäsium 137 pro Quadratmeter abgelagert. 36 Insbesondere bei Speisepilzen und Wildbret können auch 25 Jahre nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl deutlich erhöhte Cs-137-Aktivitäten vor allem in Süddeutschland und Österreich aber auch in Skandinavien gemessen werden.37 36 Vgl. Lutz Ebermann, Arthur Junkert, Bundesamt für Strahlenschutz, Der Reaktorunfall 1986 in Tschernobyl, 2011. 37 Siehe zu deutschen Erhebungen etwa Lutz Ebermann, Arthur Junkert, Bundesamt für Strahlenschutz, Der Reaktorunfall 1986 in Tschernobyl, 2011. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 42/45 Die folgende Übersicht des Bundesamtes für Strahlenschutz der Bundesrepublik Deutschland bezieht sich auf Schätzungen zu den Gesundheitsfolgen des Reaktorunglücks: Das Erdbeben und der Tsunami vom März 2011 in Japan gilt mit bis zu 300 Mrd. Euro volkswirtschaftlichem Schaden als teuerste Katastrophe aller Zeiten; die durch die den Reaktorunfall entstehenden Ersatzforderungen wurden auf bis zu 86 Mrd. Euro berechnet. „Soweit bekannt ist, mussten aus einem Umkreis von mindestens 20 km sowie aus einzelnen Gemeinden weit darüber hinaus bisher rund 80.000 Menschen – wohl für Jahre – evakuiert werden. Dies traf auch zahlreiche Unternehmen und führte zu Produktionsausfällen, die weltweit spürbar wurden. Unzählige Grundstücke, Gebäude, Fahrzeuge und Sachwerte sind durch Verstrahlung bzw. Kontamination unbrauchbar oder im Wert vermindert worden. Die Landwirtschaft unterliegt Verkaufsverboten, sie ist in der Umgebung teils untersagt und wird darüber hinaus womöglich für Jahrzehnte eingeschränkt sein; Fischerei und Tourismus brachen ein. Damit ist die rechtliche Beantwortung der Haftungsfrage für Fiskus, Stromkonzerne, Banken und Versicherer, vor allem aber für die evakuierte Bevölkerung von entscheidender Bedeutung.“38 Nach Berechnungen und Analysen der Max-Planck Gesellschaft aus dem Jahre 2012 sind katastrophale nukleare Unfälle wie die Kernschmelzen in Tschernobyl und Fukushima häufiger zu erwarten als bislang angenommen. Solche Ereignisse im momentanen Kraftwerksbestand können etwa einmal in 10 bis 20 Jahren auftreten und damit 200-mal häufiger sind als in der Vergangenheit geschätzt. Die Forscher ermit- 38 Julius Weitzdörfer, Die Haftung für Nuklearschäden nach japanischem Atomrecht – Rechtsprobleme der Reaktorkatastrophe von Fukushima I ; ZJAPANR / J.JAPAN.L, August 2011. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 43/45 telten, dass die Hälfte des radioaktiven Cäsium-137 bei einem solchen größten anzunehmenden Unfall mehr als 1.000 Kilometer weit transportiert würde. Die Ergebnisse zeigen, dass Westeuropa wahrscheinlich einmal in etwa 50 Jahren mit mehr als 40 Kilobecquerel radioaktivem Cäsium-137 pro Quadratmeter belastet wird. Ab dieser Menge gilt ein Gebiet laut der Internationalen Atomenergie Behörde IAEA als radioaktiv kontaminiert.39 Selbst, wenn man davon ausginge, dass dergleichen Katastrophen die Ausnahme blieben, stellt sich die Frage, wohin mit dem atomaren Abfall. Solange dies nicht geklärt ist, ist die Gefährdung der Umwelt und schlussendlich auch menschlichen Lebens nicht ausgeschlossen. Damit kann eine Beihilfemaßnahme die Atomkraft nicht zuletzt zum Umweltschutz einsetzen will nicht erforderlich, weil schlichtweg nicht zielführend sein. hh. Verwendung eines geeigneten Instruments/Mittels Insgesamt wird die Meinung der Kommission nachdrücklich unterstützt, dass eine Maßnahme, die Investoren komplett von jedweden Marktrisiken abschirmt, nicht angemessen sein kann. Eine solche Wirkung hätte das von der britischen Regierung geplante Maßnahmenpaket jedoch: Der Investitionsvertrag würde ab Inbetriebnahme 35 Jahre lang Einkünfte garantieren, selbst wenn das Werk selbst zwangsweise frühzeitig geschlossen werden muss. III. Zusammenfassung und Fazit Die vorgeschlagene Maßnahme Großbritanniens für die finanzielle Unterstützung von zwei neuen Atomreaktoren unter Hinkley Point C stellt eine nicht genehmigungsfähige Beihilfe dar, die unvereinbar ist mit Art. 107 AEUV. Sie dient nicht der Verwirklichung eines der genannten Ziele des Art. 107 Abs. 3 AEUV. Unter den gegebenen 39 http://www.mpic.de/index.php?id=34298&type=0, verweisend auf : Lelieveld, J., Kunkel, D., and Lawrence, M. G.: Global risk of radioactive fallout after major nuclear reactor accidents, Atmos. Chem. Phys., 12, 4245-4258, doi:10.5194/acp-12-4245-2012, 2012. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 44/45 rechtlichen Voraussetzungen kann Großbritannien nicht erlaubt werden, Zahlungen und Garantien für den Bau von neuen Atomreaktoren in Hinkley Point zu leisten Der Bau neuer Atomreaktoren liegt nicht im gemeinwirtschaftlichen Interesse der EU. Auch keines der weiteren Genehmigungskriterien wurde erfüllt. © BBH, 2014 01552-14/2361259 Seite 45/45