Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement Marion

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Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement Marion
Journalistenpreis
Bürgerschaftliches Engagement
Marion-Dönhoff-Förderpreis
Journalistenpreis
Ausgezeichnete Beiträge 2007
Die Robert Bosch Stiftung
Die Robert Bosch Stiftung ist eine der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in Deutschland. Sie wurde 1964 gegründet und
setzt die gemeinnützigen Bestrebungen des Firmengründers und
Stifters Robert Bosch (1861 bis 1942) fort. Die Stiftung beschäftigt
sich vorrangig mit den Themenfeldern Völkerverständigung, Bildung
und Gesundheit, darüber hinaus befasst sie sich mit gesellschaftlichen
Fragestellungen.
Vorwort
Inhalt
Inhaltsverzeichnis
05 Vorwort
06 Die Jury 2007
08 Zehn Jahre Journalistenpreis
Bürgerschaftliches Engagement
08 Von Assen, Redaktionspolitik und
gesellschaftlichen Leitbildern
12 Stimmen von Preisträgern
14 Die Preisträger 2007
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40
Ausgezeichnete Beiträge
1. Preis
2. Preis
3. Preis
Marion-Dönhoff-Förderpreis
Serienpreis
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Anhang
Ausschreibung 2007
Preisverleihung 8. Dezember 2007
Preisträger 1998 bis 2006
Impressum
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Vorwort
5
Vorwort
In diesem Jahr haben wir so viele Einsendungen wie
noch nie für den Journalistenpreis Bürgerschaftliches
Engagement erhalten. 130 Bewerbungen haben den
bisherigen Rekord aus dem Jahr 2001, dem Jahr der
Freiwilligen, überboten. Bürgerschaftliches Engagement ist eben nicht nur Pfl ichtthema oder Füllstoff für
das Sommerloch.
Auff ällig war in diesem Jahr, dass neben beeindruckenden Reportagen über einzelne engagierte Menschen
auch viele Beiträge eingereicht wurden, die das gemeinsame »Anpacken« vor Ort thematisieren. Damit
wird gewürdigt, dass die Bürgergesellschaft individuelles Handeln ebenso braucht wie das kollektive Einmischen von Bürgern, die mit Gestaltungswillen einen
Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe verfolgen.
Wenn in einem Dorf das letzte Geschäft und die letzte
Bank schließen und es auch keinen Arzt mehr gibt,
kann man darüber lamentieren – oder sich selbst helfen. Und gemeinsam dafür sorgen, dass das Leben zurückkehrt ins Dorf. Das haben die Bürger im rheinischen Barmen erfolgreich getan. Dieses Beispiel
inspiriert und macht Mut, vor allem, wenn es so brillant
beschrieben ist, wie von Christian Sywottek in brand
eins. Wie ein Engagement miteinander und füreinander
Lebensqualität verbessern kann, zeigt auch der Artikel
von Bernd Volland im stern über ein Mehr-Generationen-Haus in Bielefeld. Volland schildert in eindrucksvoller Weise, dass in der ostwestfälischen Wohngemeinschaft mit kleinen Kindern, Eltern und
pflegebedürftigen Senioren Jung und Alt nicht nur zusammenleben, sondern davon auch persönlich profitieren. Der Artikel macht deutlich, dass im landauf, landab diskutierten demographischen Wandel nicht nur
Gefahren, sondern auch Potentiale stecken. Wir brauchen engagierte Menschen, die letztere zur Entfaltung
bringen.
Man sagt, gute Journalisten hätten ein sicheres Gespür
dafür, wo sich Neues tut. Wenn dem so ist, dann war die
diesjährige Aufmerksamkeit unter den Einsendungen
für zwei Themen besonders bemerkenswert, da diese
gemeinhin als Domänen staatlichen Handelns wahrgenommen werden: Bildung und Jugendstrafvollzug.
Diese Themen bilden in augenfälliger Weise sowohl
Chancen als auch Risiken unserer Gesellschaft ab. Man
darf gespannt sein, inwieweit sich hier zukünftige Betätigungsfelder bürgerschaftlichen Engagements auftun.
Eine besondere Freude ist für mich, dass wir in diesem
Jahr wieder den Marion-Dönhoff-Förderpreis für junge
Journalisten verleihen können, nachdem im letzten
Jahr die Fußball-Weltmeisterschaft vermutlich manche
Kapazitäten in den Redaktionen gebunden hat. »Profit
macht nur der Kiez« betitelt Markus Wanzeck in der taz
seinen ausgezeichneten Artikel.
Zehn Jahre Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement – das sind über 1.000 Einsendungen und über
80 Preisträger. Die rege Beteiligung an unserem Preis
zeigt, dass das Thema den Journalisten wichtig ist. Wir
wollen jetzt noch einen Schritt weitergehen. Wenn wir
anstreben, dass bürgerschaftliches Engagement öffentlich und anerkannt wird und dass Journalisten Menschen ermutigen, eine lebendige Demokratie zu gestalten, spricht alles dafür, den Preis auszubauen. Wir
wollen deshalb im nächsten Jahr nicht wie bisher ausschließlich Journalisten der Printmedien für hervorragende Leistungen ehren, sondern auch Preise für die
Sparten Hörfunk und Fernsehen vergeben und auch die
Online-Berichterstattung berücksichtigen.
Der ehrenamtlichen Jury danke ich für ihre hervorragende Arbeit – nicht nur für die Sichtung und Auswahl
der Beiträge, sondern auch für ihre Ideen und Impulse
in der Weiterentwicklung des Preises. Ich gratuliere
den Ausgezeichneten und danke ihnen wie all den anderen Journalisten, die bürgerschaftliches Engagement
ins Licht der breiten Öffentlichkeit rücken und damit
vorbildlichen Einsatz würdigen sowie zur Nachahmung
anregen.
Dieter Berg
Vorsitzender der Geschäftsführung
der Robert Bosch Stiftung
Stuttgart, Dezember 2007
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Die Jury 2007
Die Jury 2007
Gerd Appenzeller
Dr. Warnfried Dettling Elisabeth Niejahr
(Vorsitzender)
Gerd Appenzeller (Vorsitzender), Jahrgang 1943, ist seit
1993 Redaktionsdirektor des Berliner Tagesspiegel.
Nach abgeschlossenem Volontariat war der gebürtige
Berliner zunächst als Lokalredakteur tätig. 1970 wechselte er zum Südkurier nach Konstanz und war dort seit
1988 Chefredakteur. Er war freier Journalist für den
Südwestfunk und die Deutsche Welle und u.a. in Großbritannien, den USA, Südafrika und Israel tätig.
Dr. Warnfried Dettling, geboren 1943, lebt als freier
Publizist in Berlin und im Waldviertel (Österreich).
Nach dem Studium der Politikwissenschaft, Soziologie
und Klassischen Philologie leitete er 1973 bis 1983 die
Planungsgruppe, später auch die Hauptabteilung Politik der CDU-Bundesgeschäftsstelle. 1983 bis 1991 war
er Ministerialdirektor im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.
Elisabeth Niejahr, geboren 1965, studierte Volkswirtschaft in Köln und Washington D.C., parallel dazu verlief ihre Ausbildung an der Kölner Schule für Wirtschaftsjournalisten. 1993 wurde sie Korrespondentin
für den Spiegel in Bonn, seit Ende 1999 ist sie stellvertretende Leiterin im Berliner Hauptstadtbüro von
Die Zeit und dort Berichterstatterin über politische
und wirtschaftliche Themen.
Die Jury 2007
Sergej Lochthofen
Carola SchaafDerichs
Sergej Lochthofen, geboren 1953 in Warkuta (Russland), hat nach dem Besuch einer Kunstschule ein
Volontariat absolviert und anschließend Journalistik
an der Leipziger Universität studiert. Von 1977 bis 1990
war er Nachrichtenredakteur der Tageszeitung Das
Volk. 1990 wurde er zum Chefredakteur der Thüringer
Allgemeinen gewählt.
Carola Schaaf-Derichs, Jahrgang 1958, ist seit 15 Jahren
Geschäftsführerin der Berliner Landesfreiwilligenagentur »Treff punkt Hilfsbereitschaft«. Freiberufl ich
ist die Diplomsozialpsychologin darüber hinaus als
Ausbilderin für Freiwilligen-Management, Beraterin
und Organisationsentwicklerin tätig. Als Ehrenamtliche ist sie Sprecherin für den Arbeitsbereich Öffentlichkeitsarbeit sowie Mitglied im Koordinierungsausschuss des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches
Engagement.
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Zehn Jahre Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement
Zehn Jahre Journalistenpreis Bürgerschaftliches
Engagement
Gerd Appenzeller (G. A.),
ist Redaktionsdirektor des Berliner
Tagesspiegel. Er gehört der Jury des
Journalistenpreises Bürgerschaftliches Engagement seit 2003 an und
führt seit 2004 den Vorsitz.
Von Assen, Redaktionspolitik und
gesellschaftlichen Leitbildern
Ein Gespräch mit Gerd Appenzeller
und Carola Schaaf-Derichs über ihre
Arbeit in der Jury und Tendenzen in
der Berichterstattung über bürgerschaftliches Engagement
In diesem Jahr wurden 130 Beiträge zum Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement eingereicht, darunter eine ganze Reihe Serien. Warum engagieren Sie
sich in dieser arbeitsintensiven Jury?
C. S. D.: Ich glaube, es ist einfach die Neugier auf gut
geschriebene Texte. Bei bürgerschaftlichem
Engagement ist das nicht selbstverständlich.
Anders als Fachtexte wollen diese hier Menschen für das Thema aufschließen. Die vorgelegten Beiträge sind immer hochkarätig, spannend und auch als Spiegel zu verstehen, als
öffentliches Bild vom bürgerschaftlichen Engagement.
G. A.:
Ich denke, wenn man bürgerschaftliches Engagement selbst für wichtig hält, und das tue ich,
dann muss man im Beruf des Journalisten auch
etwas dafür tun, dass sich das Thema in Zeitungen niederschlägt, und man muss auch
etwas dafür tun, dass die besten dieser Beiträge ausgewählt werden. Wenn ich mich einer
solchen Jury nicht zur Verfügung gestellt hätte, dann hätte ich irgendwas an meinem Beruf
nicht so richtig begriffen.
Sind Sie auch noch neugierig?
G. A.:
Ich werde eigentlich von Jahr zu Jahr neugieriger. Ich stelle einfach fest, dass die Texte im
Lauf der Jahre viel, viel besser geworden sind,
weil das Interesse am Thema größer geworden
ist, weil sich jetzt auch Leute damit beschäftigen, die wirklich zu den absoluten Assen in
Carola Schaaf-Derichs (C. S. D.),
ist Geschäftsführerin der Berliner
Landesfreiwilligenagentur Treffpunkt
Hilfsbereitschaft. Seit 2003 ist sie
Mitglied der Jury.
unserem Beruf gehören. Und das war vor fünf,
sechs Jahren noch nicht so.
»Noch vor zehn Jahren war
das Thema bürgerschaftliches
Engagement den Platzhirschen
zu soft.«
Heißt das, das Thema bürgerschaftliches Engagement ist
in den Medien angekommen? Oder sind es eher zarte
Ansätze?
G. A.:
Es ist mehr als zarte Ansätze. Noch vor zehn
Jahren etwa war alles, was mit bürgerschaftlichem Engagement zu tun hatte, ein Themenbereich, den hat man gerne an Volontäre abgeschoben oder an die jüngeren Redakteurinnen,
weil die Platzhirsche, gerade in den Regionalzeitungen, sich eigentlich zu fein für dieses
Thema waren. Das war ihnen zu soft. Und das
hat sich total geändert.
C. S. D.: Das kann ich nur bestätigen. Wir vom Treffpunkt Hilfsbereitschaft haben vor vielen Jahren mal eine Kollegin vom SPIEGEL gefragt,
womit wir denn überhaupt Journalisten interessieren könnten. Sie meinte: »Orientieren Sie
sich immer an den großen gesellschaftlichen
Themen. Nur dann, wenn Sie die Brücke bauen
zwischen Erwerbslosigkeit und Bürgerengage-
Zehn Jahre Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement
G. A.:
ment, zwischen Aufkündigung der sozialen
und der gesellschaftlichen Verträge und Bürgerengagement, nur dann kommen Sie in die
Medien.« Und das, fi nde ich, hat sich gravierend geändert. Denn das bürgerschaftliche
Engagement ist ein Leitbild für die Gesellschaft geworden.
Das hängt natürlich auch ein bisschen damit
zusammen, dass die Fähigkeit und die Bereitschaft des Staates, sich in karitativen, sozialen
Dingen zu engagieren, im Lauf der letzten Jahre stark zurückgegangen ist – aus Geldmangel,
aber auch aus einer Bewusstseinsänderung
heraus. Die Themen, die früher Randthemen
waren, sind jetzt plötzlich ganz zentral geworden. Und dazu gehört eben die Zivilgesellschaft, denn wenn sie nicht richtet, was der
Staat nicht mehr richten kann, dann wird es
gar nicht geregelt.
»Bürgerschaftliches Engagement
ist ein Thema für jeden Lebenslauf
geworden.«
C. S. D.: Ja, es gibt auch jenseits dieser Ressourcendebatte ein Interesse daran, denn es ist auch ein
Thema für jeden Lebenslauf geworden. Was
bedeutet denn Engagement für junge Leute? Es
ist nicht nur die Frage, ob die nachher dadurch
einen Job kriegen, sondern es geht vor allem
um den Eigenwert. Und der Freiwilligen-Survey zeigt ja, dass junge Leute in besonderem
Maße engagiert sind. Das haben wir bis dato
nicht so wahrgenommen und auch in den Medien nicht gespiegelt bekommen. Jetzt schreiben junge Leute selber, das hat mich besonders
begeistert.
Wenn Sie feststellen, dass das Thema jetzt anders in der
Presse abgebildet ist, liegt das vor allen Dingen an einzelnen interessierten Journalisten oder ist es Redaktionspolitik?
G. A.:
Wenn ich mir die Beiträge dieses Jahres in
Erinnerung rufe, glaube ich, war beides der
Fall. Wenn sich ein Wirtschaftsmagazin wie
Brand eins in dieser Breite sozialer Themen
annimmt, dann steckt da nicht nur ein einzelner Redakteur dahinter, sondern das muss ein
redaktionelles Konzept sein. Und das ist bemerkenswert, weil da auch eine völlig andere
Sicht von Wirtschaft deutlich wird. Natürlich
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kommt es letztlich auf den Einzelnen an. Wenn
Sie einen guten Reporter nicht für das Thema
begeistern können und der so eine Fleppe
zieht, dann wird es halt nichts. Eines ist jedenfalls für mich ganz sicher: Solche Texte werden
heute nicht geschrieben, weil es diesen Preis
gibt. Die Leute schreiben, weil sie das Thema
erkennen, und dann reichen sie ihre Texte für
den Preis ein. Aber das, was wir früher mal
vermutet haben, ob wir eigentlich durch den
Preis Leute dazu bringen, dass sie überhaupt
soziale Themen aufgreifen – das glaube ich
heute nicht mehr.
Sie hatten, Herr Appenzeller, schon angedeutet, dass Sie
Veränderungen bei den Einsendungen beobachten im
Laufe der fünf Jahre, die Sie in der Jury jetzt tätig sind.
»Das sind inzwischen
Psychogramme der beteiligten
Personen.«
Ja, als ich vor fünf Jahren das erste Mal in der
Jury war, fielen mir relativ viele Beiträge auf,
die – im Fußball würde man sagen – aus Standardsituationen entstanden sind. Da ist irgendein soziales Projekt in einer Gemeinde, da
wird jemand hingeschickt, der schreibt dann
einen Text drüber, warum das so toll ist, und
dann entdeckt er, dass es den Bosch-Preis gibt,
und dann schickt er das ein. Es ist im Grunde
ein Bericht über ein kleines lokales Ereignis
ohne jeden Ehrgeiz der Vertiefung gewesen.
Und das hat sich nach meiner Beobachtung
total geändert. Die Texte sind länger und intensiver geworden. Man merkt, dass die Leute,
die sie schreiben, versuchen, soziale und bürgerschaftliche Projekte innerlich zu durchdringen und zu begreifen, wie die Leute ticken.
Das sind inzwischen Psychogramme der beteiligten Personen geworden, und zwar der Handelnden wie der »Behandelten«. Und das alles
ist verbunden mit einem wirklich gewaltigen
Qualitätssprung in den Beiträgen.
Stellen Sie fest, dass inhaltliche Entwicklungen im Engagement tatsächlich aufmerksam von den Medien beobachtet werden?
C. S. D.: Ich habe immer wieder die Bandbreite des
Engagementfeldes in den Berichten bestaunt,
denn auch wir, sozusagen die Fachleute, krieG. A.:
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Zehn Jahre Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement
gen den Überblick nicht so ohne weiteres.
Durch die Lektüre der Beiträge habe ich quasi
eine Querschnittsanalyse bekommen über
das, was es jetzt gerade an Entwicklungen, auch
Ups and Downs gibt. Wo hat sich zum Beispiel
eine Bürgerinitiative nicht durchsetzen können? Wir haben ja nicht nur die Erfolgsberichte
drin. Es gibt auch Akteure, die versuchen, Netzwerke im bürgerschaftlichen Engagement zusammenzuhalten und Fachlichkeit zu vermitteln, und die spielen eben auch eine Rolle. Das
sieht man dann wie in einer Längsschnittanalyse: Wir können Strukturentwicklungen erkennen und politische Resonanzen. Und das ist
dringend und bitter notwendig, denn die einzelne Initiative würde auf Dauer nicht durchhalten, das ist so.
»Diese Zivilcourage, sich selber
zu retten, …, das fand ich so beeindruckend.«
Gab es irgendwelche besonderen Überraschungen?
G. A.:
Für mich die größten Überraschungen sind
eigentlich immer die Geschichten, die gar nicht
so ganz spektakuläre Riesenaktionen schildern, sondern ganz kleine, irgendwo selbstverständliche Dinge. Wir haben in diesem Jahr
einen Text ausgezeichnet, der behandelt den
Versuch einer gar nicht so richtig konsolidierten Bürgerinitiative einer kleinen Stadt, in
der die Sparkasse geschlossen worden ist und
in der das letzte Geschäft geschlossen worden
ist, zu erreichen, dass es in dieser kleinen Gemeinde wieder ein Geschäft gibt. Das ist im
Grunde eine Kleinigkeit, aber für das Zusammenleben in einer kleinen Gemeinde natürlich
unendlich wichtig. Und das hat der Verfasser
begeisternd geschildert, das ist mir einfach
jetzt in Erinnerung geblieben.
C. S. D.: Aber das ist toll, das ging mir sofort unter die
Haut. Diese Zivilcourage, sich selber zu retten,
aber auch etwas für uns als Gesellschaft zu
retten, das fand ich so beeindruckend. Und es
war einfach wunderschön, sehr subjektiv, sehr
nah beschrieben worden. Wenn alle Prognosen stimmen, werden wir das vermutlich noch
öfter haben, das Dorf als »Auslaufmodell«.
Eine Reihe von Einsendungen sind nicht nur Berichterstattung über bürgerschaftliches Engagement, sondern
sind auch eine aktivierende Aktion von Zeitungen selbst.
Herr Appenzeller, finden Sie, dass das mit zum journalistischen Auftrag gehört, und hat man dann bessere
Karten für den Preis?
G. A.:
Wenn es zum journalistischen Auftrag gehört,
nicht nur zu berichten, sondern Entwicklungen und Missständen nachzuspüren, dann
gehört es sicherlich auch dazu, selber einen
aktiven Beitrag zu leisten, um sie zu beseitigen. Das macht der Tagesspiegel auch, grade in
der Vorweihnachtszeit. Ich fände es nicht gut,
wenn Zeitungen die Rolle von Bürgerbewegungen einnehmen würden, aber mal einen
Anstoß zu geben oder Geld und Kräfte für etwas zu sammeln, das fi nde ich dann schon gut.
Ich nenne Ihnen ein praktisches Beispiel. Es
gibt in vielen Städten so genannte Lesepaten,
z.B. für Schulklassen mit hohem Migrantenanteil. Dass eine Zeitung darüber berichtet, um
zu erreichen, dass sich mehr Leute daran beteiligen, das halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Der Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement darf allerdings nicht das
soziale Engagement der Zeitung honorieren,
sondern der muss die journalistische Qualität
honorieren, das bleiben zwei verschiedene
Sachen. Eine Zeitung kann berühren, deswegen muss das, was sie darüber schreibt, nicht
unbedingt journalistisch hervorragend sein.
»Der Beruf des Journalisten ist
ohne Neugier nicht denkbar.«
Frau Schaaf-Derichs hat der Zunft hervorragende Noten
ausgestellt, was die Beobachtungsgabe der Journalisten
betriff t. Wie finden Journalisten ihre Themen?
G. A.:
Das setzt voraus, dass ein Journalist bereit ist,
mit wachen Augen und Ohren durch eine Gesellschaft zu gehen. Es setzt voraus, dass sich
ein Journalist möglichst selber auch irgendwo
engagiert, denn nur dann kriegt er Verwandlungen, Wandel in der Gesellschaft überhaupt
mit. Es gehört einfach Neugier dazu. Der Beruf
des Journalisten ist ohne Neugier nicht denkbar. Und Leute, die vor sich hin, in ihrem Büro
vor sich hinbrüten, morgens mit dem Auto in
die Firma fahren, abends mit dem Auto nach
Zehn Jahre Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement
Hause fahren und die Zeit der gesellschaftlichen Kontakte pro Tag so minimal wie möglich halten, das sind schlechte Journalisten, die
kommen auf diese Themen natürlich auch
nicht. Also Bilanz einer etwas zu lang geratenen Antwort: Neugier, Neugier, Neugier.
Frau Schaaf-Derichs, tun die Initiativen schon das Richtige, um von solchen neugierigen Journalisten gefunden
zu werden?
C. S. D.: Also eins hat sich sicherlich sehr verbessert,
und das ist die Präsenz im Internet. Auch kleine Initiativen können doch das, was sie tun,
jetzt sehr viel stärker einfach darüber publizieren. Ich habe selber schon gestaunt, welche
internationalen Besuchsgruppen uns über
bestimmte Suchworte gefunden haben.
»Sie können in einer normalen
deutschen Regionalzeitung genauso gute Texte schreiben wie
in einem großen Magazin.«
Seit dem letzten Jahr sind auch Beiträge aus Zeitschriften zugelassen. Die Stiftung hatte den Preis lange
nur für Zeitungen ausgeschrieben, da man die Arbeitsbedingungen für Journalisten von Tageszeitungen nicht
mit denen großer Journale und Magazinen vergleichen
kann. Finden Sie, dass das jetzt gelingt?
G. A.:
Ich halte es fast schon für ein bedenkliches
Vorgehen, wenn man eine bestimmte Kategorie ausschließt, von der man vermutet, dass sie
qualitativ so gut ist, dass die anderen dagegen
nicht bestehen können. Ich fi nde die Entscheidung völlig richtig. Die Preise, die wir in diesem Jahr vergeben haben, bestätigen das ja.
Wir haben auch in ganz normalen Regionalzeitungen sehr viel Qualität gefunden. Zum Beispiel die Reportage über jemanden, der als
Musiker in ein Krankenhaus gegangen ist, in
eine Station mit sehr vielen todkranken Kindern, eine unglaublich anrührende Geschichte. Oder über eine Frau, die seit Jahren in ein
Jugendgefängnis geht, um mit jungen Gefangenen zu arbeiten.
Ich behaupte, Sie können in einer normalen
deutschen Regionalzeitung genauso gute
Texte schreiben wie in einem großen Magazin,
wenn Sie einen Chefredakteur haben oder
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einen Ressortleiter haben, der Ihnen den Freiraum dafür einräumt, bzw. wenn Sie als Journalist einfach bereit sind, sich selbst so zu quälen, dass sie abends mal eine Stunde weniger in
die Kneipe gehen und morgens eine Stunde
früher aufstehen, um die Geschichte rund zu
schreiben, die sie schreiben wollen. Also es
geht.
Das ist eine gute Überleitung zur Zukunft. Der Preis wird
ab 2008 auf Beiträge aus Radio und Fernsehen erweitert. Welche Erwartungen verbinden Sie damit, wird
auch das gehen?
C. S. D.: Ich würde erst mal die gleichen Effekte erwarten, die wir beim Journalistenpreis am Anfang
erwartet hatten, nämlich einfach eine weitere
Öff nung des Mediums für das Thema bürgerschaftliches Engagement. Beim Fernsehen
geht es um »Hingucker«, darauf muss sich auch
unsereins bei der Präsentation der eigenen
Arbeit einstellen. Da muss vieles geschärft und
auf den Punkt gebracht werden. Ich fi nde das
gut.
Die Medien bringen also auch die Qualität von bürgerschaftlichen Initiativen voran?
C. S. D.: Es gibt ganz hohe Affi nitäten von Projekten,
mal ins Fernsehen zu kommen. Aber da heißt
es: Könnt Ihr gute Bilder produzieren? Ich
habe auch schon mit einigen Ehrenamtlichen
Sendungen vorbereitet, da hieß es, ganz viel
gut zureden und sagen: »Du schaffst das, und
das wird schon!«.
G. A.:
Die Ausweitung ist ein Experiment. Die klassischen Journalistenpreise wie Kisch-Preis,
Wächter-Preis der Tagespresse, TheodorWolf-Preis sind alles reine Printpreise, aber
wir haben ein Thema, soziales bürgerschaftliches Engagement, das über den Printbereich
hinausgeht, und von diesem Thema ausgehend
fi nde ich es richtig, einmal zu schauen, was tut
sich da im Bereich Rundfunk und Fernsehen
an Prämierungswürdigem. Gucken wir einfach
mal, was kommt.
Die Fragen stellte Viola Seeger, Robert Bosch Stiftung.
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Stimmen von Preisträgern
Daniel Boese
Kai Feldhaus
Bernd Hauser
Kerstin Humberg
Constanze Kindel
Martin Lugauer
Stimmen von Preisträgern
Daniel Boese, Marion-Dönhoff-Förderpreis 2005
Der Preis hat meinen Blick geschärft für das Bedürfnis
der Bürger beteiligt zu werden. Wie bei der Diskussion
um die Bäume, die am Berliner Landwehrkanal gefällt
werden sollten, über die ich mehrfach geschrieben
habe. Die Berliner wollen die Kanalsanierung nicht den
Experten überlassen, sondern sich selbst engagieren.
Martin Lugauer, 2. Serienpreis 2001
Mit der Serie im Rücken ist es über den Chefredakteur
tatsächlich so gekommen, dass hier im Hause das Freiwilligenzentrum Mittelhessen eingerichtet wurde.
Regelmäßig erscheint eine ganze Seite bei der Lokalredaktion Wetzlar über dessen Aktionen. Die Zeitung ist
also weiterhin dabei.
Kai Feldhaus, 1. Preis 2004
Über den Bosch-Preis habe ich mich sehr gefreut, weil
dieses Thema eine unheimlich große Relevanz hat. Ich
fi nde erschreckend, wie arm Berlin hinter seiner
schmucken Fassade ist. Das hatte ich erst durch die
Reportage über die Berliner Tafel richtig gemerkt.
Paul-Josef Raue, 1. Serienpreis 2002
Wir hatten das Preisgeld dazu benutzt, selbst einen
»Gemeinsam-Preis« fürs Ehrenamt zu stiften, den die
Redaktion seitdem jedes Jahr verleiht. Ich kann mich
noch an die Abstimmung erinnern, als gefragt wurde:
»Na, fahren wir mal ein Wochenende nach Mallorca?«
Dann kam der Vorschlag: »Sollen wir nicht selbst einen
Preis stiften?«
Jedes Jahr im Frühjahr stellen wir jetzt 50 Engagierte
mit Porträts vor, eine kleine Jury wählt daraus zehn
Personen aus und dann wählen unsere Leser per TED
den Preisträger. Die Verleihung läuft ab wie beim
»Oscar«, und der Braunschweiger Dom ist gefüllt, wie
sonst nur zu Heiligabend. Dies sehr emotionale Ereignis ist schon zur Institution im Braunschweiger Land
geworden.
Bernd Hauser, 2. Preis 2001
Die Quintessenz ist immer wieder das bürgerschaftliche Engagement von Menschen vor Ort. Man darf
nicht alles den gängigen Politikgremien überlassen.
Kerstin Humberg, Marion-Dönhoff-Förderpreis 1998
Mich hat der Preis motiviert, das Glück ein bisschen
herauszufordern. Ein Jahr später habe ich zum Beispiel
den Juniorenpreis der Hans-Seidel-Stiftung gewonnen.
So ein Preis zieht eine ganze Reihe toller Chancen,
Möglichkeiten und Kontakten nach sich.
Constanze Kindel, Marion-Dönhoff-Förderpreis 2003
Das Thema bürgerschaftliches Engagement ist gerade
bei Tageszeitungen sehr präsent. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dafür immer gerne eine Plattform
geboten wird, wenn man es entsprechend vermittelt.
Birgit Schlieper, 2. Preis 2002
Es hängt an der Person, an jedem einzelnen Redakteur,
ob er bereit ist, auch über den normalen Terminjournalismus hinaus dazu etwas mit Enthusiasmus zu machen.
Denn es ist leider so, dass bei allen Tageszeitungen
immer mehr nur auf Termine geschielt wird.
Stimmen von Preisträgern
Paul-Josef Raue
Birgit Schlieper
Andreas Speen
Andreas Speen, 2. Preis 2004
Unsere Zeitung hat viel stärker Menschen in den Mittelpunkt gerückt, und es heißt jetzt für uns, näher an die
Menschen ranzugehen. Das macht es einfacher, über
bürgerschaftliches Engagement zu berichten.
Dorothée Stöbener, 2. Preis 2000
Wenn man sich einmal für ein Thema wie Bürgerschaftliches Engagement interessiert hat, glaube ich, wird es
einen auch in der Zukunft beschäftigen. Auf die Arbeit
in einem Reiseressort übertragen heißt das, dass man
immer wieder die ökologischen wie sozialen Aspekte
des Tourismus aufgreift. Das tun wir. (Im vergangenen
Jahr wurde unsere Redaktion dafür mit dem signaTour
2006 – Medienpreis für einen Tourismus mit Zukunft
ausgezeichnet.)
Sibylle Thelen, 1. Preis 2003
Ich verfolge, was bei uns und in anderen Zeitungen zu
dem Thema bürgerschaftliches Engagement geschrieben wird, kommentiere die Berichterstattung oder
mache Vorschläge, wie man Themen anpacken kann.
Dabei beobachte ich, dass das Thema bei uns in der
Redaktion im allgemeinen Bewusstsein sehr gut verankert ist. Dennoch liegt es immer auch an Personen, an
privaten Erfahrungen, die man zum Thema macht. Bei
mir war es die Arbeit im Elternbeirat, und davor die im
Vorstand einer Eltern-Kind-Gruppe.
Unsere Schwerpunktbeilage damals hat in der Redaktion Aufmerksamkeit erregt. Wir haben darauf geach-
Dorothée Stöbener
13
Sibylle Thelen
tet, das Thema in einen politischen, gesamtgesellschaftlichen Kontext einzubetten. Deutlich werden
sollte: es geht nicht nur darum, Butterbrote bei Kirchengemeinderatssitzungen zu schmieren oder in der
Schule irgendwelche Wände zu streichen. Sondern es
geht darum, dass diese vielen kleinen Handlungen das
große Ganze mit voranbringen.
Ich denke, dass die Sparpolitik und die Reformen das
Bewusstsein für den Wert des bürgerschaftlichen Engagements gestärkt haben. Ein wichtiges Anliegen dabei muss auch sein, Außenseiter und Randgruppen der
Gesellschaft einzubeziehen. Wen grenzen wir denn
alles aus? Die Herausforderungen, die hier liegen, kann
der Staat alleine nicht bewältigen. Da sind die Bürger
mitgefordert, jeder Einzelne in seinem Umfeld.
Es geht aber nicht allein um das konkrete Engagement
vor Ort, es geht auch darum, gesellschaftliche Bindungskräfte zu stärken und dies ins Bewusstsein zu
bringen. Da sind auch die Medien gefordert. Auch sie
können dazu beitragen, dass das Verantwortungsgefühl für gemeingesellschaftliche Belange gestärkt wird.
Eine Zeitung kann da sehr gut mitwirken.
Der dreitausendste Beitrag über einen engagierten
Einzelnen hilft vielleicht gar nicht so viel. Es sind die
neuen originellen Ansätze, die man als Redakteur suchen muss. Wichtig ist es auch, die grundsätzliche Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements immer
wieder hervorzuheben.
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Die Preisträger 2007
Die Preisträger 2007
1. Preis: Christian Sywottek
Christian Sywottek
»Aus dem Nichts«
brand eins, 01.06.2007
Laudatio von Warnfried Dettling, Publizist, Berlin
Ein Dorf stirbt. Ein Dorf lebt. Dazwischen liegt eine
wunderbare Geschichte. Sie ist so einfach wie außergewöhnlich. Man möchte wünschen, dass sie durchs Land
läuft und an vielen Orten nachgeahmt wird. Die Geschichte handelt von einem Dorf, einem Laden und von
engagierten Bürgern.
Das Dorf heißt Barmen, hat 1400 Einwohner und liegt
auf halber Strecke zwischen Köln und Aachen. Im Jahre
2001 machte die Sparkassenfi liale zu – Ende einer Entwicklung, wie sie an vielen Orten auf dem Land zu beobachten ist. »Erst macht ein Laden zu, dann noch einer. Bis keiner mehr bleibt. Danach gibt es drei
Möglichkeiten für die Zurückgelassenen: resignieren.
Meckern. Oder selbst machen.« In Barmen haben sie
nicht resigniert, nur wenig gemeckert und viel selbst
gemacht. Und so kam am Ende neues Leben in ein verlassenes Dorf.
Christian Sywottek hat diese wunderbare Geschichte in
einer aufregenden Reportage festgehalten. Sie ist im
Juni 2007 in dem etwas anderen Wirtschaftsmagazin
brand eins erschienen, das sich über Jahre hinweg
große Verdienste dabei erworben hat, soziale Phantasie in Wirtschaft und Gesellschaft zu befördern. Sywotteks Reportage trägt den unscheinbaren Titel »Aus dem
Nichts«, was insofern nicht stimmt, als am Anfang die
Idee, die Wut über das langsame Sterben eines Dorfes
und dann die Entschlossenheit erst eines Einzelnen,
dann von immer mehr und schließlich von Vielen gestandenen haben, diese Entwicklung nicht so einfach
hinzunehmen. Und am Ende gab es nicht nur einen
Dorfladen, in dem man alles Mögliche einkaufen kann.
Entstanden war auch ein Mittelpunkt sozialen Lebens,
an dem sich die Menschen begegneten. Es gab neue
Arbeitsplätze, ein Arzt ließ sich wieder in Barmen nieder und auch die Alten konnten an ihrem vertrauten
Ort bleiben.
Die Jury war sich rasch einig: Diese Geschichte hat den
ersten Preis verdient. Beides ist bemerkenswert: Was
sie erzählt und wie sie es erzählt. Ganz beiläufig gelingt
es dem Autor zu illustrieren, worauf es bei einem erfolgreichen Unternehmen dieser Art ankommt. Es
braucht dazu ein Konzept, das aus Betroffenen Beteiligte macht. Es braucht eine Vernetzung, die ganz unterschiedliche Leute zusammenbringt und auf ein gemeinsames Ziel hin koordiniert. Es geht nicht ohne
Phantasie in Finanzfragen, die hier geschickt Spenden
und Kredite der Bürger mit der Organisation von (bezahlten) Dienstleistungen kombiniert hatte. Und
schließlich: Ohne Qualität (der Angebote im Laden) gibt
es keinen Erfolg. Gute Absichten machen noch kein
gutes Projekt.
Alles in allem: ein starkes Stück über und von Selbsthilfe und Engagement in unserer Gesellschaft.
Die Preisträger 2007
Christian Sywottek, Jahrgang
1970, studierte nach einer Ausbildung zum Stahlschiff bauer auf
der Volkswerft Stralsund an den
Universitäten Bremen und Antwerpen Sozialarbeitswissenschaft, Soziologe und Politik. Im
Anschluss volontierte er bei der
Leipziger Volkszeitung und arbeitete als Redakteur für die
Frankfurter Rundschau. Seit
2001 ist er freier Journalist und
schreibt für Medien in Deutschland, Österreich und in der
Schweiz, darunter GEO special,
GEO Saison, Merian und Weltwoche. Im Januar 2006 wurde Christian Sywottek Vertragsautor bei
brand eins.
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Die Preisträger 2007
Die Preisträger 2007
2. Preis: Jan-Geert Wolff
Jan-Geert Wolff
Jan-Geert Wolf, 34, studierte in
Mainz Germanistik, Politik und
Volkskunde und begann parallel
zum Studium für die Allgemeine
Zeitung Mainz zu schreiben. Er
absolvierte ein Volontariat in der
Verlagsgruppe Rhein Main und
arbeitete dort als Redakteur.
Später spezialisierte er sich als
freier Journalist auf regionalen
Kulturjournalismus, insbesondere klassische Musik und Kleinkunst.
»Der Musikmann kommt!«
Rhein Main Presse, 14.07.2007
Laudatio von Gerd Appenzeller, Der Tagesspiegel,
Berlin
Ich habe in der Vita von Jan-Geert Wolff eine Anmerkung und ein Bekenntnis gefunden, und beide zusammen liefern vielleicht den Schlüssel zur Entstehungsgeschichte dieses Textes, von der offenkundigen
journalistischen Begabung des Verfassers einmal ganz
abgesehen.
Während seines Zivildienstes beim Diakonischen Werk
in Mainz ist er mit Menschen in Berührung gekommen,
die Hilfe und Zuwendung brauchten. Das hat ihm, so
scheint mir, die Augen geöff net für das Leid und dafür,
wie man es lindern kann.
Und dann dies: Während seiner Schulzeit ist er im
Windsbacher Knabenchor zum Chorsänger ausgebildet
worden. Er bezeichnet sich selbst als begeisterten
Musiker und Sänger, sein Instrument ist die Querflöte.
Der Text »Der Musikmann kommt« befasst sich mit beidem, mit dem Leid von Menschen, wie man ihnen helfen
kann, und welche Rolle die Musik dabei spielt. JanGeert Wolff bringt uns einen Mann, einen Musiker,
nahe, der regelmäßig ein Kinderkrankenhaus besucht
und sich dort vor allem um krebskranke Kinder kümmert. Wir erfahren, wie dieser Gast den von Schmerzen
geplagten, über viele Wochen ins Bett gezwungenen
Kindern für einige Stunden ihr Leid und ihre Traurigkeit buchstäblich hinwegspielt, wie er sie mit seiner
Musik verzaubert, und dass dieser Zauber manchmal
auch bis an ein viel zu frühes Lebensende halten kann.
Der Verfasser schildert das alles in einem ruhigen und
undramatischen Ton, in einer klaren und schlichten
Sprache. Er schmeißt sich weder an diese Kinder noch
an seine Leser heran, er will uns nicht zu Tränen rühren – aber anrühren, berühren will er uns schon. Dass
dies gelingt, vor allem auch, dass dies unter den gewiss
nicht leichten Produktionsbedingungen einer Regionalzeitung gelungen ist, schien der Jury einen Preis
wirklich wert zu sein.
Die Preisträger 2007
3. Preis: Bernd Volland
»Am
Anfang stand
der Traum«
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Bernd Volland
Bernd Volland, Jahrgang 1973, studierte in Augsburg Neuere Deutsche
Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft und Psychologie, nebenbei
schrieb er als freier Mitarbeiter für
das Füssener Blatt der Allgäuer Zeitung. Im Anschluss daran besuchte
er die Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Seit 2002 ist er Redakteur beim
stern. Dort arbeitete Bernd Volland
zunächst für stern Biografie, wechselte dann zum Sport im stern-Magazin und schreibt seit Dezember 2006
für das Gesellschafts-Ressort. Im
Jahr 2002 erhielt er den HelmutStegmann-Preis.
stern, 24.05.2007
Laudatio von Elisabeth Niejahr, Die Zeit, Berlin
Kürzlich erzählte mir ein Onkel, der jetzt langsam auf
die siebzig zugeht, von einem Klassentreffen. Er hatte
seine früheren Schulkameraden lange nicht gesehen,
und auf der Suche nach dem richtigen Raum in der vereinbarten Gaststätte steckte er den Kopf durch die Tür
und wäre danach beinahe weitergegangen zum nächsten Zimmer: »Da saßen ja nur lauter Weißhaarige.« Mein
Onkel, das muss ich dazu sagen, hat selbst nicht nur
weiße Haare, sondern davon auch sehr wenige. Aber
das war ihm in diesem Moment nicht bewusst, und so
geht es den meisten Menschen, die älter werden. Alt
sind immer nur die anderen.
Bei einer Umfrage von Die Zeit, die unsere Zeitung gezielt bei über 55-Jährigen gemacht hatte, sagten mehr
als siebzig Prozent kürzlich, sie fühlten sich nicht nur
deutlich jünger, als sie sind, sondern glauben sogar,
dass sie so aussehen – nämlich im Schnitt acht Jahre.
Das könnte man im Einzelfall immer für eine erfreuliche Entwicklung halten – aber wenn drei Viertel einer
Altersgruppe so antworten, ist es doch eher ein bedenkliches Zeichen von einem kollektiven Realitätsverlust, es heißt ja nur: So wie die anderen Alten bin ich
nicht. Es sagt etwas über unser – oft falsches – Bild vom
Alter.
Bernd Volland hat eine hervorragende Geschichte über
ein Mehrgenerationenhaus bei Bielefeld geschrieben.
Auch ohne die eben beschriebene Neigung zum Weg-
sehen hätte der Beitrag aus meiner Sicht einen Preis
verdient, er ist hervorragend geschrieben und recherchiert, gut beobachtet und auch lehrreich.
Aber gerade weil gute Artikel über das Alter besonders
selten sind, freue ich mich ganz besonders über diesen
Preis. Die meisten Medien berichten – wenn überhaupt entweder über dynamische junggebliebene Ältere oder
gleich über Skandale in Pflegeheimen. Alter ist meistens ganz furchtbar oder ganz harmlos. Und wenn dann
doch einmal eine Reportage über den Alltag alter Menschen geschrieben wird, ist das oft ein Text voller Klischees.
Bernd Volland hat einen sehr unsentimentalen Text
geschrieben, die Alten, von denen er erzählt, sind sperrig, kauzig, gelegentlich grantig, und das beschriebene
Mehrgenerationenhaus ist keine kuschelige Angelegenheit, in der alle sich einfach nur gut verstehen. Im
Prinzip besteht das Projekt aus zwei Teilen – einer Etage für die Jüngeren, einer für die Älteren, die nicht von
den Jungen, sondern von professionellen Pflegern betreut werden. Die meisten Jungen leben mit ihren Familien in dem alten Bauernhaus, weil es dort sehr schön
ist und die Mieten niedrig sind, nicht wegen der Alten.
Lieber Herr Volland, sie merken schon: Ich fi nde, Sie
haben diesen Preis wirklich verdient, ich möchte Ihnen
zum Schluss im Namen der Jury noch einmal danken
für Ihren tollen Beitrag und zurufen: machen Sie weiter
so, dann war das bestimmt nicht die letzte Auszeichnung!
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Die Preisträger 2007
Die Preisträger 2007
Marion-Dönhoff-Förderpreis:
Markus Wanzeck
Markus Wanzeck
»Profit macht nur der Kiez«
taz, 18.11.2006
Laudatio von Carola-Schaaf-Derichs, Geschäftsführerin
Treffpunkt Hilfsbereitschaft e.V.
Das Bürgerschaftliche Engagement gilt als idealistisch
schön, jedoch auch als »brotlose Kunst« im weitesten
Sinne. Die Enquetekommission zur Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements hat defi niert, dass es sich
hierbei um freiwillig, gemeinwohlorientiert und unentgeltlich erbrachte Beiträge zu einer solidarisch verbundenen Gesellschaft handelt.
Seit unserer Jurysitzung 2007 aber können wir dem
etwas hinzufügen: Engagement kann sehr wohl einem
ökonomischen Zweck dienen. Wie dies, so werden Sie
sich fragen.
Unser Preisträger für den Marion-Dönhoff-Förderpreis, den ich noch nicht gleich preisgeben will, hat
unter dem Stichwort »Solidarische Ökonomie« kräftig
recherchiert und ist im Berliner Bezirk Wedding, in
dem jeder dritte Bewohner nicht-deutscher Herkunft
ist, fündig geworden: Im Sprengelhaus im Sprengelkiez
wurde vor sechs Jahren die Stadtteilgenossenschaft
Wedding gegründet. Damals schienen alle Zeichen auf
Verfall, Verwahrlosung und Agonie im Sprengelkiez
hinzudeuten.
Ein engagierter und gut vernetzter Landschaftsbauer
namens Willy Achter wollte dies nicht hinnehmen. Sein
Ziel: das »Ausbrechen aus der sozialen Abwärtsbewegung« setzte den Auftakt für eine lokale Beschäftigungsinitiative. Heute sind hier 90 Aktive in einer Genossenschaft mit 19 Mitgliedsbetrieben und
gemeinnützigen Organisationen tätig, in Maler- und
Lackierbetrieben, in Dienstleistungsagenturen und im
Stadtteilmarketing. Und das Beste daran ist, dass für
die Aufnahme einer Beschäftigung nur der eigene, freie
Wille zählt: die Freiwilligkeit also! Das Engagement für
den Kiez, die Motivation zur Veränderung, die Freude
am Gewinn im Sinne des Not-for-Profit-Prinzips.
Markus Wanzeck, studierter Philosoph mit den Nebenfächern Soziologie und Religionswissenschaften, sowie
ehemaliger »Fachschaftler« und »Sommerfestler« der
Maximilian-Ludwigs-Universität zu München hat sich
nach meinen Recherchen u.a. auch umfassend mit dem
Thema der »Freiheit auf Basis der Natur« beschäftigt,
dies im Rahmen einer Publikationsbegleitung. Ein
Mensch also mit einem unverstellten Blick für die Anfänge im Kleinen, im nachbarschaftlichen Milieu, die
zu Großem, Gesellschaftlichem führen können. Markus
Wanzeck hat uns den ganzen bürgergesellschaftlichen
Charme der solidarischen Ökonomie nahe gebracht:
mit klaren, gut erklärten Einblicken in das Wer , Wie,
Was des Genossenschaftslebens; mit fröhlichen Momentaufnahmen aus einer langen und ehrgeizigen Auf-
Die Preisträger 2007
Markus Wanzeck, 28 Jahre, studierte Philosophie, Soziologie
und Vergleichende Religionswissenschaft in München und Sydney. Nach dem Studium 2006
absolvierte er Praktika beim
Goethe-Institut in Karachi, Pakistan, und bei der taz. Seit April
2007 besucht er die Zeitenspie-
gel-Reportageschule Günter Dahl
in Reutlingen. Die praktischen
Stationen seiner Ausbildung verbrachte er beim Stern im Ressort
Gesellschaft und bei stern.de.
Markus Wanzeck veröffentlichte
zudem Beiträge in Die Zeit und in
Sonntag aktuell.
bauarbeit für das Sprengelkiezprojekt, mit einem sympathischen Blick auf den »Local Hero«, der dies alles
aus dem bürgerschaftlichen Boden gestampft hat. Und
ohne Pathos oder gar Euphorie lässt er seine Protagonisten ihren Erfolg kommentieren: die Menschen fühlen sich wieder mehr zu Hause und verantwortlich in
ihrem Kiez.
Sein deskriptives Schreiben hat Markus Wanzeck als
Stilmittel sehr gut entfaltet und eingesetzt, er gehört zu
den Journalisten, die ohne Übertreibungen auskommen.
Das passt gut zusammen mit der Philosophie der taz, im
Übrigen eine Genossenschaft, die als Kaderschmiede
für fachlich exzellenten Nachwuchs bekannt und anerkannt ist.
Die Jury befand, dass Markus Wanzeck genau zu diesem exzellenten Nachwuchs zu zählen ist und ihm mit
dem Artikel »Profit macht nur der Kiez« der MarionDönhoff-Förderpreis 2007 gebührt. Wir alle gratulieren Ihnen, Herr Wanzeck, dazu ganz herzlich.
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Die Preisträger 2007
Die Preisträger 2007
Serienpreis: Michael Ohnewald,
Thomas Faltin
Michael Ohnewald
Thomas Faltin
»Die Engagierten«
Stuttgarter Zeitung, 15.09. bis 15.11.2006
Laudatio von Sergej Lochthofen, Chefredakteur der
Thüringer Allgemeinen
Was haben ein ehemaliger Abteilungsleiter bei Alcatel,
ein pensionierter Drucker mit seiner Frau und eine
einst vielbeschäftigte Spezialistin für Kontaktlinsen
gemeinsam?
Die Antwort auf diese Frage ist nicht sonderlich schwer:
Zum einen gehörten sie zu der großen Zahl stiller Stars,
die täglich in Deutschland, ohne auf Geld und Zeit zu
achten, Menschen helfen, zum anderen sind sie die
Helden einer Serie von Beiträgen in der Stuttgarter
Zeitung.
Einer Reihe von Texten, die sich mit dem Alltag, den
Herausforderungen und den Fairnessen bürgerschaftlichen Engagements in diesem Land befassen.
Sie und weitere Porträtierte leisten in einer Gesellschaft, in der fast alles auf Effizienz und Wirtschaftlich-
keit getrimmt wird, etwas ganz Unerhörtes: Sie kümmern sich um andere.
Oft genug nicht einmal für ein Dankeschön.
Für die Autoren Michael Ohnewald und Thomas Faltin
ein dankbarer Stoff, für den man mit gutem Recht Platz
und Zeit nimmt. Beides ist in einer Regionalzeitung
aufgrund der äußeren Zwänge nicht immer zu haben.
Mit ruhigem Ton und auf vordergründige Rührseligkeit
verzichtend, entstehen Skizzen vom Rand der Gesellschaft, die auch in dieser schnelllebigen Zeit mit Sicherheit einen aufmerksamen Leser fi nden. Was die Autoren hier liefern, ist nicht das übliche Fastfood-Menü.
Bei ihren Themen geht es um Menschen, die im Räderwerk nicht funktionieren, und jene, die ihnen helfen,
ohne dabei einen Karriereschub im Auge zu haben,
ohne, dass es irgendwie sexy ist.
Dem Inhalt der Beiträge entspricht eine großzügige
Die Preisträger 2007
Michael Ohnewald, 42, studierte
Kommunikationswissenschaften
an der Freien Universität Berlin
und begann anschließend seine
journalistische Laufbahn bei der
Backnanger Kreiszeitung. 1995
wechselte er als Redakteur zur
Stuttgarter Zeitung. Seit 2007 ist
Michael Ohnewald dort als leitender Redakteur für die lokale
Reportageseite verantwortlich.
Er schreibt außerdem Serien und
Artikel für die Seite 3. Für seine
Beiträge in der Stuttgarter Zeitung ist der Journalist und Buchautor mehrfach ausgezeichnet
worden, unter anderem mit dem
Theodor-Wolff-Preis, dem Konrad-Adenauer-Preis und dem
Wächterpreis der Tagespresse.
Thomas Faltin, Jahrgang 1963,
absolvierte ein Volontariat bei
der Bietigheimer Zeitung und
studierte im Anschluss Geschichte, Romanistik und Germanistik
an der Universität Stuttgart. Nach
seiner Promotion in Geschichte
war er am Institut für Geschichte
der Medizin der Robert Bosch
Stiftung tätig. Als Redakteur bei
der Stuttgarter Zeitung berichtete er ab 1998 und bearbeitete
mehrere Jahre die Themen Gesundheit und Soziales. Seit 2006
ist er stellvertretender Leiter der
Lokalredaktion. Thomas Faltin
ist Preisträger des Caritas-Journalistenpreises Baden-Württemberg sowie des Diakonie-Journalistenpreises in Baden und
Württemberg.
Gestaltung, in der sich die Helfer und auch jene, denen
geholfen wird, wiederfi nden.
Eine die Komposition der Seite abschließende Pinnwand liefert darüber hinaus direkten Nutzwert, der
über den Tag der Erscheinung des Beitrages hinaus
reicht. So wird nicht nur über ein gutes Beispiel engagierter Bürger berichtet, sondern neues Engagement
initiiert.
Was will man mehr.
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Ausgezeichnete Beiträge
1. Preis: Christian Sywottek
»Aus dem Nichts«
Brand eins, 01.06.2007
Kein Laden, keine Bank, kein Arzt.
Das war Barmen.
Ein Dorf wie viele, vom Aussterben bedroht.
Bis die Barmener sich zusammentaten.
Es gibt Dinge, die kann man nur sehr schwer verstehen.
Barmen zum Beispiel, Jülich-Barmen. Ein Dorf mit 1400
Einwohnern inklusive Kindern, auf halber Strecke zwischen Köln und Aachen. Ein properes Dorf mit soliden
Häusern aus braunrotem Backstein, einer trutzigen
Kirche, sauberen Straßen und gepflegten Vorgärten.
1939 lebten in Barmen 888 Menschen, 1961 waren es
1109, zehn Jahre später 1240, im Jahr 1987 schließlich
1300. Als Barmen klein war, gab es noch Geschäfte im
Ort. Vier Lebensmittelläden, zwei Fleischer, zwei Bäcker. Es gab auch mal eine Sparkassenfi liale. Doch Anfang der neunziger Jahre schloss der letzte Laden. Die
Leute in Barmen sagen, das liege an den Autos. Wie fi x
sei man die paar Kilometer weiter in Düren oder Jülich,
wo es die großen Supermärkte gibt.
Es scheint so normal. Erst macht ein Laden zu, dann
noch einer. Bis keiner mehr bleibt. Danach gibt es drei
Möglichkeiten für die Zurückgelassenen: resignieren.
Beschweren. Oder selbst machen.
Resignieren, meckern, sich einrichten – das machten
auch die Barmener jahrelang. Doch schließlich taten sie
selbst etwas: Sie eröff neten einen Laden, 20 Schritte
breit, 25 Schritte lang, in dem sie Brot und Wurst,
Waschmittel und Schreibhefte, Mineralwasser und Bier
kaufen können. In dem sie ihre Wäsche zur Reinigung
geben und diverse Amtsformulare in die Stadt schicken
können. Wo nun bald sogar ein Arzt praktizieren wird.
Wo sich Menschen begegnen, die sich jahrelang höchstens in der Kirche trafen, zum Gottesdienst oder auf
Beerdigungen. Und wo sie Arbeit fi nden. Sie haben das
ohne Fördergelder geschaff t, aus eigener Kraft. Die
Geschichte des Ladens in Barmen ist eine Geschichte
darüber, was alles geht, wenn man nicht blöd ist und
nicht knauserig. Wenn man zusammenhält und sich
Hilfe holt. Und wenn man auf den allgemeinen Nutzen
achtet.
Am Anfang steht eine Idee und
keine Ahnung, dann fängt man an,
und es geht los
Im Jahr 2001 verliert Barmen die letzte Verbindung zur
Außenwelt: Die Sparkasse schließt ihre Filiale. Heinz
Frey, heute 52, spürt die Wut in sich aufsteigen. Lehrer
Frey sitzt im Jülicher Rat. Er ist ein sportlicher Mann
mit grauem Haar, grauem Bart und Lachfalten um die
braunen Augen, die größer werden, wenn er in Fahrt
kommt. »Das wollte ich mir nicht gefallen lassen. Die
alten Leute in Barmen haben die Sparkasse groß gemacht, haben ihre Häuser mit deren Krediten gebaut,
und plötzlich ließ man sie hängen.« Die Wut wirkte wie
eine Initialzündung. »Als wir ganz alleine standen,
wurde uns bewusst, was uns alles wirklich fehlt. Zum
Beispiel ein Laden. Wir haben gemerkt: Wir haben gepennt.« Er sagt: wir. Doch damals war es vor allem: ich.
Frey dachte über sein Dorf nach und erkannte: Barmen
steht auf der Kippe. Die Leute werden älter. Noch kommen die meisten mit dem Auto in die Stadt – in wenigen
Jahren kann das aber anders sein. Die Jüngeren schaffen es noch, ihre Eltern zu versorgen – aber mit der Zeit
wird diese Aufgabe schwerer werden. Viele werden es
nicht mehr können. Frey erkennt: Wenn sich nichts tut,
werden die Leute Barmen verlassen, und das wäre der
Niedergang. »Die Menschen müssen lebenslang in Barmen bleiben können«, sagt Frey. »Das wurde ein klares
Ziel.«
Am Anfang steht eine diff use Idee. »Bäcker, Metzger,
Erbsen in der Dose, Sparkasse«, erinnert sich Frey,
»darum ging es.« Nichts ist mehr da, nur die leere Sparkassenfi liale im Dorfzentrum. Wie soll man was daraus
machen, ohne Geld und Personal, in einem Dorf, das
Ausgezeichnete Beiträge
sich an die Pendelei gewöhnt hat? Heinz Frey triff t zu
Beginn eine der wichtigsten Entscheidungen: Die Barmener müssen es selbst schaffen. Denn auf dem Dorf
schaut man skeptisch auf alles, was von außen kommt.
Und die Barmener wissen am besten, was sie brauchen.
Noch weiß Heinz Frey nicht, wie schwierig alles werden
wird. Aber er hat keine Angst vor der Arbeit. Frey
kommt von einem kleinen Bauernhof. 25 Hektar Rüben,
Kartoffeln, Weizen. »In der Landwirtschaft habe ich
gelernt: Wenn am Abend die Kartoffeln noch im Acker
sind, hat man bald nichts mehr zu essen.«
Heinz Frey hat eine Idee, aber zunächst keine Ahnung.
Doch er sucht sich Verbündete, im Dorf, dort, wo der
Laden ein Erfolg werden soll. Mit einem Rechtsanwalt
und einem Steuerberater schreibt er ein sechsseitiges
Konzept. Er füttert die Lokalpresse, verteilt Flyer,
spricht auf Veranstaltungen. Er bekommt Tipps auf
Tagungen und im Amt für Agrarordnung, fährt nach
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Süddeutschland und nach Norden, schaut sich ähnliche
Projekte an, schreibt das Konzept um. »So haben wir es
zusammengestrickt«, sagt er, »und zwar so, dass die
vielen Maschen auch ein Muster ergaben.«
Er hat gesehen, dass so ein Laden ein Bürgerbüro sein
kann, mit Post und Bank, mit einer Niederlassung des
örtlichen Energieversorgers, einem Formularservice
fürs Amt. Dass solch ein Laden die Leute anziehen
kann, dass Geld in die Kasse kommt. Zwei Jahre tingelt
Frey herum, dann weiß er: Es muss ein Laden mit
Dienstleistungen werden. Und er muss in die leer stehende Sparkassenfi liale.
Es ist ein Kampf an allen Fronten. In den folgenden zwei
Jahren schart Frey die Barmener Bürger um sich. Er
macht Umfragen (»Dosenfleisch oder Frischfleisch?«)
und tritt beim Karnevalsumzug auf. »Man muss immer
in Bewegung bleiben«, sagt er, »auch wenn gerade nicht
viel passiert. Und es ist egal, wie das geht. Hauptsache,
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Ausgezeichnete Beiträge
es passiert etwas.« Heinz Frey hält sich an die Regeln
eines Dorfes und gründet im März 2003 einen Verein:
Dorv – Dienstleistung und ortsnahe Rundum-Versorgung. »Man braucht für so etwas Schwergewichte«,
weiß Frey und verpfl ichtet einen Landtagsabgeordneten, denn das wirkt solide. Zunächst machen 60 Barmener mit, schnell werden es 150. Nun muss der Laden
kommen.
Dafür brauchen sie die alte Sparkassenfi liale. Sie verhandeln und streiten mit Sparkassenvertretern und der
Stadtverwaltung, machen dem Landrat Druck. »Man
muss den Leuten lästig werden«, sagt Frey, »dann wissen die, dass sie einen nicht mehr loswerden. Wenn
man dreimal hingeht, kriegt man alles.« Manchmal
braucht es auch Glück. Zwischendrin kauft ein Zahnarzt das Gebäude. Damit hätte das Projekt tot sein können. Frey lächelt: »Aber ich kannte den Mann über drei
Ecken, und ich habe ihn überzeugt, uns den Laden zu
vermieten.«
Nun haben die Barmener einen Raum, aber noch immer
kein Geld. Sie wissen, dass sich der laufende Betrieb
selbst tragen muss, aber sie brauchen rund 100 000
Euro, um anfangen zu können. Die Stadt Jülich winkt
ab, ebenso das Amt für Agrarordnung. »Und die Sparkasse hat uns ausgelacht«, erinnert sich Frey, wie auch
an die erneut aufkeimende Wut, an dieses »jetzt erst
recht«.
Der Vereinskassierer vom Dorv ist zugleich Angestellter bei der Sparkasse. Der Mann kennt sich aus in Geldangelegenheiten. So gründet der Verein eine GmbH für
den laufenden Betrieb und eine GbR, um die Finanzen
zu bündeln.
Die Barmener denken um. Wenn ihnen niemand Geld
geben will, geben sie es sich eben selber. Sie ziehen von
Haustür zu Haustür und verkaufen Anteile am Dorv,
das Stück zu 250 Euro. So werden aus möglichen Kunden Teilhaber am künftigen Laden. »Es war immer klar,
dass die Dorv-Aktien keinen Gewinn abwerfen werden.
Aber dafür bekämen die Leute einen Laden, wo sie täglich einkaufen könnten.«
Das Argument zieht, der Verein sammelt 25 000 Euro
ein. »Außerdem haben wir selbst Sparkasse gespielt«,
erzählt Frey. In langen Gesprächen werden sieben Barmener überzeugt, Dorv Kredite zu geben, zu drei Prozent Zinsen – das sind die nächsten 25 000 Euro. Die
Restsumme von 50 000 Euro beschaffen sich die Dorv-
Ausgezeichnete Beiträge
ler über Eigenleistung und einen günstigen Kredit von
der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Damit ist das
Schlimmste geschaff t: Es gibt einen Raum und Geld.
Außerdem haben die Barmener gelernt, dass die besten
Verbündeten dort zu fi nden sind, wo man selbst ist –
und daran halten sie sich.
Klar ist auch, dass der Laden eine solide Grundausstattung bieten soll mit allem, was man im Haus braucht.
Die Produkte sollen gut und frisch sein, besser als die
Waren des Supermarktes in der Stadt, denn sie wissen:
Sie können nicht überleben, wenn nur diejenigen kommen, die in der Stadt etwas vergessen haben. Sie müssen der Stadt Kunden abjagen. »Ich komme schließlich
von einem Bauernhof«, sagt Heinz Frey. »Etwa Gemüse
von sonstwo hierher karren hat keinen Sinn. So einfach
ist das.« Die Leute von Dorv wissen aber auch: Die besten Partner sind diejenigen, die aus einer Partnerschaft
einen direkten Vorteil ziehen. Nur sie sind wirklich
interessiert daran, dass der Laden läuft.
Dieses Prinzip steht über allem, als sie beginnen, ihren
Laden zu bestücken. Bäcker, Fleischer, Gemüsebauer –
diese wichtigen Lieferanten fi nden sie schnell in den
Nachbardörfern. Das heißt aber auch, dass sie als Liefe-
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ranten für den großen Rest jemanden brauchen, der
das akzeptiert und nicht versucht, ihnen Waren aufs
Auge zu drücken, die sie lieber regional beziehen.
Die großen Marktlieferanten wie Rewe und Edeka winken ab, der Dorfladen in Barmen ist ihnen viel zu klein.
Schließlich fi nden sie eine Großhändler-Gemeinschaft,
die sich auf kleine Geschäfte auf dem Land spezialisiert
hat. Sie liefert nur an, was wirklich gebraucht wird,
verlangt keine Mindestabnahmemengen und fordert
auch nicht, dass ein Laden bestimmte Waren vorhalten
muss, die an seinem Standort nur schlecht verkauft
werden. Die Preise können die Dorvler frei gestalten.
All das ist existenziell für einen neuen Laden mit geringem fi nanziellem Rückgrat.
Knapp drei Jahre hat der Verein Mosaikstein für Mosaikstein zusammengefügt, bis am 10. September 2004
der Dorv-Laden in Barmen öff net. Heute erwirtschaftet
er sogar einen kleinen Gewinn, die Dorvler zahlen nach
und nach ihre Kredite zurück. Mit vier Verkäuferinnen
haben sie angefangen, mittlerweile sind es sieben. Auf
den ersten Blick ist es ein ganz gewöhnliches Geschäft,
hell und sauber. Randvolle Regale mit Dosensuppen,
Nudeln, Milch, Kaffee, Salz, Bier, Wasser, Wein, Putztü-
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Ausgezeichnete Beiträge
chern, Seife – all die Sachen, die man auch im Supermarkt kauft. Jeden Morgen gibt es frische Brötchen und
frisches Gemüse, die Fleischtheke bietet Schinken,
Frikadellen und Aufschnitt. Die Kunst dabei ist, alles zu
führen, was die Kunden wollen, aber nicht so viel, dass
es in den Regalen liegen bleibt.
»Wir nennen es die Kunst der Beschränkung«, sagt
Frey, während er die Regale entlanggeht. »Bei uns gibt
es keine 35 Sorten Klopapier.« Das ist eine Grundregel:
Von jedem Produkt gibt es einen Markenartikel und
eine billige No-Name-Variante – so findet jeder, was er
will. Und was die Leute wollen, merken die Verkäuferinnen schnell. Auch in Barmen werden die Verkäufe in
ein modernes Kassensystem getippt, das anzeigt, welche Artikel gut laufen. Wenn es ihnen die Kunden nicht
direkt sagen.
Darum geht es: um die kleinen Dinge. Kurze Wege, Gespräche, Kontakt zwischen Verkäufern und Käufern. Es
ist ein Teil des Konzepts: Der Laden soll nicht nur eine
Verkaufsstelle sein, sondern auch ein Treff punkt. Doch
wie kommt man an Leute, die nicht bloß Waren verkaufen, sondern auch Kontakte aufbauen und pflegen,
selbst wenn sie nur einen 400-Euro-Job haben?
Die Dorvler haben es geschaff t, weil sie ihrem Prinzip
treu geblieben sind, wie bei der Finanzierung oder der
Wahl der Lieferanten. »Alles auf‘m kleinen Weg«, sagt
Heinz Frey. »Man fragt rum, und dann weiß man bald,
wer was kann. Man muss das nutzen und die Leute dahin setzen, wo sie tun können, was sie können.« Alle
Verkäuferinnen stammen aus Barmen.
»Aber wir sind nicht nur nett, wir sind auch gut«, sagt
Heinz Frey. Am Ende, das wussten alle, war es mit dörflicher Kuschelei nicht getan – die Qualität muss überzeugen. Und es war klar: Die Fleischtheke müsste der
Magnet sein, der die Barmener in den Laden zieht. Zum
Glück hat Ruth Holz die Theke übernommen.
Ein bisschen Niveau muss schon
sein, dann bekommt man auch
gute Leute
Ruth Holz ist 52, wache Augen hinter einer dunkel gerahmten Brille, ein brauner Zopf. »Das ist kein Kunsthandwerk hier«, sagt sie. Die ausgebildete Fleischereifachverkäuferin stammt aus einer Barmener
Metzgerfamilie und arbeitete früher in Fleischereien
der Region. Heinz Frey hat immer bei ihr in Aldenhoven
gekauft. Er kennt sie aus Kindertagen. Er wusste: »Die
Frau ist mit Fleisch groß geworden. Sie ist zuverlässig,
kann arbeiten und ist Vorsitzende der katholischen
Frauengemeinschaft – das verleiht Renommee.« Ruth
Holz hat den Job genommen, unter einer Bedingung:
»Wir machen das richtig, wie im Fachhandel. Denn ein
bisschen Niveau haben wir schon, oder?«
Ruth Holz ist nett. Ihre Kunden sind »Heinz«, »Ingrid«
und »Marianne«. Sie weiß, dass der Senf hinten links
steht. Sie fertigt die Leute nicht ab, sondern nimmt sich
Zeit, um mit Ingrid über ein Geschenk zu beraten. Sie
kennt auch die Kinder, die sich die Nasen an der Glastheke platt drücken. Und sie ist professionell. »Bei Aldi
gibt‘s auch Fleisch. Wenn man sich da nicht bemüht,
kommen die Leute nicht.« Ihr Lieferant bringt gute
Ware. Sie schneidet nicht schief ab und auch nicht
mehr, als der Kunde wünscht. Zwischendurch, abends
nach Dienstschluss oder in der Mittagspause macht sie
Fleischsalat und Zaziki, Ragouts, füllt Filets und Cordon bleu. Sie sagt: »Das ist doch normal für ‘ne Metzgerei, oder? Ich fi nde das einfach schön.«
Außerdem arbeitet sie nicht nur in dem Laden, weil sie
Geld braucht, das könnte sie auch woanders verdienen
– Dorv bietet ihr etwas, das nicht leicht zu fi nden ist.
»Wer eine gute Fachfrau ist, denkt immer auch fürs
Geschäft. Früher habe ich auch immer versucht mitzudenken, aber das war oft nicht erwünscht. Hier kann
ich in eigener Verantwortung arbeiten.« Das ist ein weiteres Geheimnis von Dorv: Der Laden ist keine Parkbucht für Leute, die sonst nichts können oder die man
nehmen muss, weil es sonst niemanden gibt. Wer hier
arbeitet, will das auch.
Wie Angela Hachenberg, 43 Jahre alt, 30-Stunden-Stelle, die Betriebsleiterin. Auch sie lebt in Barmen, hat
Buchhändlerin gelernt, kümmerte sich dann 13 Jahre
lang um ihre drei Kinder und arbeitete schließlich im
Büro eines großen Verbrauchermarktes in Jülich. Auch
sie wurde umworben, damit sie zu Dorv wechselt. »Man
wächst in alles rein«, sagt Hachenberg bei einer schnellen Zigarette hinten in der Küche. »Und es ist viel bequemer für mich, hier im Ort zu arbeiten. Außerdem
trage ich Verantwortung, und die Arbeit ist nicht so
anonym.« So etwas wollen viele Menschen, aber längst
nicht jeder Arbeitgeber kann das bieten.
Außerdem ist der Job abwechslungsreich. Wer im Laden arbeitet, verkauft nicht nur Waren, sondern hilft
auch bei den Dienstleistungen, assistiert den alten Leuten beim Bankautomaten, bedient das Faxgerät oder
den Kopierer, nimmt die Wäsche an, hilft beim Ausfüllen der Anzeigenvordrucke für die Lokalzeitung oder
sammelt Amtsformulare ein, für das Auto, die Ummeldung oder den Antrag auf einen Auszug aus dem Liegenschaftskataster.
Ausgezeichnete Beiträge
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Was erst mal läuft, geht auch
weiter: Nun zieht ein Arzt nach
Barmen
Heute sorgt der Laden für Bewegung und Austausch in
Barmen. Auch wer nicht dort arbeitet, ist ein Teil von
Dorv. Die Kunden, die den Alten im Ort auf einem
kurzen Zwischenstopp ihre Lebensmittel vorbeibringen. Die Frau, die in der Stadt auf dem Amt arbeitet und
auf dem kurzen Dienstweg die Formulare mitnimmt.
Oder Herr Schmitz, der Mann von Frau Schmitz, die im
Laden morgens um 6.30 Uhr die Brötchen schmiert: Er
schleppt jeden Tag die schweren Getränkekisten. Frau
Handels aus dem Neubaugebiet macht mindestens einmal in der Woche im Laden einen größeren Einkauf,
»auch aus Solidarität, weil er meine Hoff nung ist, dass
ich noch lange hier leben kann«. Da ist Herr Rieck, der
auf dem Weg nach Hause beim Fleischlieferanten vorbeifährt und eine Kiste Wurst für den Dorv-Laden mitnimmt. Herr Rieck sagt: »Ein Hammer, der Laden.
Sonntags Brötchen – das gab‘s in Barmen noch nie! Und
wir müssen nicht mehr für jeden Piep in die Stadt fahren.« Und fügt hinzu: »Jeder trägt dazu bei, den Laden
zu erhalten. Wenn jeder nur ein bisschen dort kauft,
dann läuft das.«
Nun könnten sich alle zurücklehnen, aber stattdessen
treiben sich Dorv und Dorf gegenseitig weiter voran.
»Wir wollen eine Rundumversorgung«, sagt Heinz Frey.
Deshalb sollen nun die Dienstleistungen ausgebaut
werden. Weil man sie im Dorf braucht – und weil sie
Geld bringen. »Wir müssen Geld einnehmen, damit wir
Geld zurücklegen können«, sagt Heinz Frey.
Der Dorv-Laden ist mittlerweile der Ort, an dem sich
die meisten Barmener erreichen lassen – das eröff net
neue Möglichkeiten. Für den Bankautomaten zahlt die
Sparkasse Miete. Die Zeitung zahlt für die Anzeigen.
Außerdem vermittelt Dorv mittlerweile Pflegebedürftige an einen Pflegedienst und bekommt dafür Provision. Schließlich wird sich nach vielen Jahren wieder ein
Arzt in Barmen niederlassen, gleich neben dem Laden.
Das ist wieder so eine Sache, aus dem beide Seiten Vorteile ziehen. Denn natürlich gewinnt Waldemar Bergmann, Internist mit hausärztlicher Praxis im nahen
Linnich, neue Patienten und ein neues Budget. Der Verein hat ihm eine Wohnung zur Praxis umgebaut und
dafür gesorgt, dass der Arzt eine Telefonnummer bekommt, die sich auch schon etwas vergessliche Barmener merken können – darum gekümmert hat sich der
Karl-Heinz, der bei der Telekom arbeitet. Und sie haben
für den neuen Arzt getrommelt. »Das konnte ich nicht
ablehnen«, sagt Bergmann. »Ich muss nur wenig Geld
investieren und bin im Ort eingeführt. Das macht alles
viel einfacher für mich.« Im Gegenzug zahlt Bergmann
Miete, die dem Verein zugute kommt. Er sagt: »Das
Dorv-Konzept hat mich überzeugt. Die Leute haben
bewiesen, dass sie was können. Die werden nicht wieder verschwinden.«
Es sieht ganz so aus, als hätte Dorv die kritische Größe
erreicht, ab der ein Ding zwangsläufig ein weiteres Ding
zur Folge hat. Zurzeit verhandelt man um einen Apothekendienst, selbstverständlich auf Provisionsbasis.
Und natürlich wird der neue Arzt Überweisungen
schreiben zu den Fachkollegen in der Stadt – also denkt
man an ein Bürgermobil mit ehrenamtlichen Fahrern
für die alten Barmener, die einen Facharzt aufsuchen
müssen. Sie fühlen schon mal vor bei Herstellern und
möglichen Geldgebern. »Eine Bürgerstiftung wäre auch
möglich«, sagt Frey. Und wenn sie das Auto erst mal
hätten, könnte man die Waren aus dem Laden über
einen festen Bringdienst vertreiben und in Barmen CarSharing einführen ...
»Angst vorm Wirtschaften«, sagt Heinz Frey, »kenne ich
noch aus der Kindheit. Aber mit der Zeit gewöhnt man
sich daran, das macht irgendwann nichts mehr. Man
muss machen, fertig.«
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Ausgezeichnete Beiträge
2. Preis: Jan-Geert Wolff
»Der Musikmann kommt!«
Rhein Main Presse, 14.07.2007
Jeden Mittwoch besucht Hubert Zanoskar die Kinderkrebsstation der Mainzer Universitätsklinik und lenkt
die kleinen Patienten mit seinen Instrumenten für ein
paar Augenblicke von ihrem Leiden ab
Einmal in der Woche, und zwar am Mittwoch, ist es
wieder soweit: Der Musikmann kommt. Er heißt Hubert
Zanoskar und hat neben seiner Querflöte noch andere
Sachen im Gepäck, mit denen er Musik machen kann.
Sein Ziel ist jedoch kein Marktplatz, keine Straßenecke
und auch nicht das Mainzer Peter Cornelius-Konservatorium, wo er berufl ich als Flötenlehrer unterrichtet –
sein Ziel ist die Kinderkrebsstation der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Dort gibt es seit 1984 auch den Förderverein für Tumor- und Leukämiekranke Kinder e.V., der vor Ort ein
Elternhaus für die Angehörigen der jungen Patienten
und eine Ferienanlage in Gemünden unterhält sowie
psychologische und psychosoziale Beratung anbietet.
Durch Spenden hilft er außerdem, die personelle Ausstattung der Krebsstation, medizinische Geräte und
Forschungsarbeiten zu fi nanzieren (www.krebskrankekinder-mainz.de). Zu diesen Angeboten zählen auch
die Besuche von Hubert Zanoskar, die der Vereinsvorsitzende Jens Dupré besonders schätzt: »Er hat ein
Händchen dafür, das kann nicht jeder.« Bei ihm
könnten die Kinder abschalten und schöne Stunden
erleben: »Dann tritt die Krankheit etwas in den Hintergrund.«
Ist es eine schöne Aufgabe, die er da erfüllt? Hubert
Zanoskar sagt ohne zu zögern: »Ja!« Denn die kleinen
Patienten, die im schlimmsten Wortsinn todkrank sind,
freuen sich jede Woche auf ihren Musikmann: »Wann
kommst Du wieder?«, lautet die Frage, die Zanoskar oft
hört, nachdem er 90 Minuten für die Kinder da war:
»Am Anfang gehe ich mit der Schwester durch die Zimmer und schaue, wer mich heute am meisten braucht«,
beschreibt er das Procedere: Wer hat Probleme, wer ist
heute besonders traurig, wer benötigt dringend ein
paar Augenblicke Ablenkung von der oft Tod bringenden Krankheit mit dem Namen Leukämie?
Dann heißt es planen: Auf der Krebsstation liegen in
der Regel zwischen fünf und 20 Kinder, von denen manche lieber fernsehen oder Gameboy spielen. Die meisten wollen aber mit Hubert zusammen sein, wollen
hören, wie er Musik macht, wollen selber den minutenlangen Schwingungen der Klangschale lauschen oder
Xylophon spielen. Mindestens 20 Minuten hat er in der
Regel für jedes der Kinder, die sich seine anderthalb
Stunden teilen. Manchmal muss er dann einen Schlussstrich ziehen und seinem Partner sagen: »Andere wollen auch noch mit mir spielen.« Manchmal leihen sich
die Kinder auch Instrumente aus und machen alleine
weiter: »Das ist dann ein großer Erfolg.« Musik als »generelles Medium nonverbaler Kommunikation«, wie es
wissenschaftlich heißt, sei hier eben oft die einzige
Möglichkeit, mit den kleinen Patienten in Kontakt zu
treten, erzählt Zanoskar, der vor vier Jahren durch die
Mutter einer Schülerin auf den Förderverein für Tumor- und Leukämiekranke Kinder e.V. aufmerksam
wurde.
Der Mainzer Flötenlehrer ist ausgebildeter Pädagoge,
hat sich schon immer stark für das Thema »Musiktherapie« interessiert und hier mit vielen Seminarbesuchen
privat intensive Fortbildung betrieben. Am Konservatorium arbeitet er als Dozent und sammelte über Jahre
hinweg Erfahrungen als Darsteller komischer Rollen im
Kindertheater des Mainzer Forumtheaters unterhaus
in der Arbeit mit Jugendlichen. Ehrenamtlich engagiert
sich der Musiker auch im Mainzer Altersheim des Arbeiter-Samariter-Bundes und war schon mal lange Jahre für die Patienten der Uniklinik da – als »Grüne
Dame«.
In der Vorweihnachtszeit des Jahres 2003 besuchte
Hubert Zanoskar zum ersten Mal die Kinderkrebsstation in Mainz und merkte, wie viel Spaß und echte Musikbegeisterung die Kinder mit ihm erlebten. Nach einem
ausführlichen Gespräch mit dem verantwortlichen
Stationsarzt, einem Psychologen und Sozialarbeiter bot
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Journal
DAS WOCHENEND-MAGAZIN DER RHEIN MAIN PRESSE
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SAMSTAG, 14. JULI 2007
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SEITE 3
Der Musikmann kommt!
Jeden Mittwoch besucht Hubert Zanoskar die Kinderkrebsstation der Mainzer Universitätsklinik und lenkt die kleinen Patienten
mit seinen Instrumenten für ein paar Augenblicke von ihrem Leiden ab
Von Jan-Geert Wolff
inmal in der Woche, und
zwar am Mittwoch, ist
es wieder soweit: Der
Musikmann kommt. Er
heißt Hubert Zanoskar und hat
neben seiner Querflöte noch
andere Sachen im Gepäck, mit
denen er Musik machen kann.
Sein Ziel ist jedoch kein Marktplatz, keine Straßenecke und
auch nicht das Mainzer PeterCornelius-Konservatorium, wo
er beruflich als Flötenlehrer unterrichtet – sein Ziel ist die Kinderkrebsstation der JohannesGutenberg-Universität Mainz.
Dort gibt es seit 1984 auch
den Förderverein für Tumorund Leukämiekranke Kinder
e. V., der vor Ort ein Elternhaus
für die Angehörigen der jungen
Patienten und eine Ferienanlage
in Gemünden unterhält sowie
psychologische und psychosoziale Beratung anbietet. Durch
Spenden hilft er außerdem,
die personelle Ausstattung der
Krebsstation, medizinische Geräte und Forschungsarbeiten zu
finanzieren (www.krebskrankekinder-mainz.de). Zu diesen
Angeboten zählen auch die
Besuche von Hubert Zanoskar,
die der Vereinsvorsitzende Jens
Dupré besonders schätzt:
„Er hat ein Händchen
dafür, das kann nicht jeder.“ Bei ihm könnten die
Kinder abschalten und
schöne Stunden erleben:
„Dann tritt die Krankheit
etwas in den Hintergrund.“
Ist es eine schöne Aufgabe,
die er da erfüllt? Hubert Zanoskar sagt ohne zu zögern: „Ja!“
Denn die kleinen Patienten, die
im schlimmsten Wortsinn todkrank sind, freuen sich jede
Woche auf ihren Musikmann:
„Wann kommst Du wieder?“,
lautet die Frage, die Zanoskar
oft hört, nachdem er 90 Minuten für die Kinder da war: „Am
Anfang gehe ich mit der
Schwester durch die Zimmer
und schaue, wer mich heute am
meisten braucht“, beschreibt er
das Procedere: Wer hat Probleme, wer ist heute besonders
traurig, wer benötigt dringend
ein paar Augenblicke Ablenkung von der oft Tod bringenden Krankheit mit dem Namen
„Leukämie“?
Dann heißt es planen: Auf
der Krebsstation liegen in der
Regel zwischen fünf und 20
Kinder, von denen manche lieber fernsehen oder Gameboy
spielen. Die meisten wollen
aber mit Hubert zusammen
sein, wollen hören, wie er Musik macht, wollen selber den
E
minutenlangen Schwingungen
der Klangschale lauschen oder
Xylofon spielen. Mindestens 20
Minuten hat er in der Regel
für jedes der Kinder, die sich
seine anderthalb Stunden teilen. Manchmal muss er dann
einen Schlussstrich ziehen und
seinem Partner sagen: „Andere
wollen auch noch mit mir spielen.“ Manchmal leihen sich die
Kinder auch Instrumente aus
und machen alleine weiter:
„Das ist dann ein großer Erfolg.“ Musik als „generelles Medium nonverbaler Kommunikation“, wie es wissenschaftlich
heißt, sei hier eben oft die einzige Möglichkeit, mit den kleinen Patienten in Kontakt zu treten, erzählt Zanoskar, der vor
vier Jahren durch die Mutter einer Schülerin auf den Förderverein für Tumor- und Leukämiekranke Kinder e. V. aufmerksam wurde.
Der Mainzer Flötenlehrer ist
ausgebildeter Pädagoge, hat
sich schon immer stark für das
Thema „Musiktherapie“ interessiert und hier mit vielen Seminarbesuchen privat intensive
Fortbildung betrieben. Am Konservatorium arbeitet er als Do-
„Dann tritt die
Krankheit etwas in
den Hintergrund.“
zent und sammelte über Jahre
hinweg Erfahrungen als Darsteller komischer Rollen im
Kindertheater des Mainzer Forumtheaters unterhaus in der
Arbeit mit Jugendlichen. Ehrenamtlich engagiert sich der
Musiker auch im Mainzer Altersheim des Arbeiter-Samariter-Bundes und war schon mal
lange Jahre für die Patienten
der Uniklinik da – als „Grüne
Dame“.
In der Vorweihnachtszeit des
Jahres 2003 besuchte Hubert
Zanoskar zum ersten Mal die
Kinderkrebsstation in Mainz
und merkte, wie viel Spaß und
echte Musikbegeisterung die
Kinder mit ihm erlebten. Nach
einem ausführlichen Gespräch
mit dem verantwortlichen Stationsarzt, einem Psychologen
und Sozialarbeiter bot Zanoskar an, einmal wöchentlich in
die Rolle des Musikmanns zu
schlüpfen – bereut hat er diesen
Schritt bis heute nicht.
Wobei ihn seine Besuche auf
der Kinderkrebsstation nicht
selten noch lange beschäftigen.
Denn hier erlebt er zwar, wie er
durch die Musik sowohl in die
Augen der kranken Kinder als
auch der Eltern ein Strahlen
zaubern kann, wie er kleine Patienten erreicht, die sonst nur
noch lethargisch in ihrem Bett
liegen und wie er den Kindern
das Gefühl vermitteln darf:
„Hey, ich kann ja was!“ – aber
Zanoskar bekommt auch die
Schattenseiten
mit:
„Das
Schlimmste ist, wenn jemand
geht“, sagt er knapp: „Manchmal ist es einfach fürchterlich,
vor allem weil es Kinder sind.
Zum Leben der Erwachsenen
gehört der Tod ja irgendwie dazu; aber wenn es so junge Menschen trifft – da fragt man sich
natürlich nach dem Sinn.“ Und
Zanoskar erinnert sich, wie
sehr es ihn getroffen hat, wenn
ein Kind als gesund nach Hause entlassen wurde und Wochen später wieder in der Klinik
lag: „Das ist dann oft das definitive Todesurteil.“
Trotzdem: „Wenn die Chemotherapie ein Kind so richtig
schlaucht und ich mit ihm Musik oder einfach nur Quatsch
mache und es so ein bisschen
ablenken kann, dann ist das
einfach wunderbar.“ Da wird
zu zweit oder in der großen
Gruppe musiziert, jeder kann
mitmachen. Und plötzlich sind
die Fernseher und DVD-Player,
die der Förderverein gestiftet
hat, uninteressant. „Die Musik
ist die sozialste aller Künste“,
weiß der Musikpädagoge: „Hier
erlebt man schnell ein direktes
Klang- und Erfolgserlebnis.“
Manche der Kinder
können bereits ein Musikinstrument spielen, manche haben so etwas zum
ersten Mal in der Hand.
„Musik wirkt ausgleichend und schmerzlindernd, hat Einfluss auf die
Atmung, ist Anregung zur
Bewegung“, nennt Zanoskar
die nachhaltigen Begleiterscheinungen seiner Besuche. „Einmal hat ein Kind auf dem Xylofon mit nur einem Ton, aber
eben rhythmisch erkennbar
„Alle meine Entchen“ gespielt
und alle haben begeistert applaudiert“, erinnert er sich an
einen der vielen glücklichen
Momente, die er zusammen mit
den kranken Kindern erleben
darf: „Ich möchte mit meiner
Musik Kraft geben – und wenn
so etwas passiert, spüre ich,
wie mir das ein bisschen gelingt.“ Zanoskar selbst empfindet es als Gnade, die Gabe
seiner Musikalität an derart
kranke Kinder weitergeben zu
können: „Das beglückt – und
hilft mir auch, das Elend auszuhalten. Ein Elend, vor dem
eigene Probleme übrigens oft
verblassen.“
Der Musikmann hätte die
Möglichkeit, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen,
konnte die Belastung durch seine Aufgabe in der Vergangenheit aber stets selbst kompensieren. Manchmal ist sie aber
auch übergroß: „Einmal hatte
ich nach meinem Besuch in der
Klinik Gesangsunterricht – und
habe keinen Ton herausgebracht.“
Was ihm jedoch immer wieder hilft und selbst im Angesicht des Todes nicht aufgeben
lässt, ist, wenn er durch die Musik eine intensive Verbindung
zu einem der kleinen Patienten
aufbauen kann. Zanoskar erinnert sich an ein Erlebnis, als er
einen Jungen beim Sterben begleitete: „Da habe ich für ihn
seine Lieblingslieder auf der
Querflöte improvisiert und
während er starb, hat er
mir noch ein Lächeln geschenkt.“ Ein anderer Junge durfte zu Hause sterben –
und sagte zum Musikmann
vorher noch: „Tschüss, mein
Freund …“ ■
Die Beschäftigung mit den Instrumenten von Hubert Zanoskar sind
für die Kinder auf der Krebsstation
der Mainzer Universitätsklinik
eine willkommene Abwechslung
und Freude.
Fotos: Jan-Geert Wolff
Menschen
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Ausgezeichnete Beiträge
Zanoskar an, einmal wöchentlich in die Rolle des Musikmanns zu schlüpfen – bereut hat er diesen Schritt bis
heute nicht.
Wobei ihn seine Besuche auf der Kinderkrebsstation
nicht selten noch lange beschäftigen. Denn hier erlebt
er zwar, wie er durch die Musik sowohl in die Augen der
kranken Kinder als auch der Eltern ein Strahlen zaubern kann, wie er kleine Patienten erreicht, die sonst
nur noch lethargisch in ihrem Bett liegen und wie er
den Kindern das Gefühl vermitteln darf: »Hey, ich kann
ja was!« – aber Zanoskar bekommt auch die Schattenseiten mit: »Das Schlimmste ist, wenn jemand geht«, sagt
er knapp: »Manchmal ist es einfach fürchterlich, vor
allem, weil es Kinder sind. Zum Leben der Erwachsenen gehört der Tod ja irgendwie dazu; aber wenn es so
junge Menschen triff t – da fragt man sich natürlich nach
dem Sinn.« Und Zanoskar erinnert sich, wie sehr es ihn
getroffen hat, wenn ein Kind als gesund nach Hause
entlassen wurde und Wochen später wieder in der Klinik lag: »Das ist dann oft das defi nitive Todesurteil.«
Trotzdem: »Wenn die Chemotherapie ein Kind so richtig schlaucht und ich mit ihm Musik oder einfach nur
Quatsch mache und es so ein bisschen ablenken kann,
dann ist das einfach wunderbar.« Da wird zu zweit oder
in der großen Gruppe musiziert, jeder kann mitmachen. Und plötzlich sind die Fernseher und DVD-Player,
die der Förderverein gestiftet hat, uninteressant. »Die
Musik ist die sozialste aller Künste«, weiß der Musikpädagoge: »Hier erlebt man schnell ein direktes Klangund Erfolgserlebnis.«
Manche der Kinder können bereits ein Musikinstrument spielen, manche haben so etwas zum ersten Mal in
der Hand. »Musik wirkt ausgleichend und schmerzlin-
dernd, hat Einfluss auf die Atmung, ist Anregung zur
Bewegung«, nennt Zanoskar die nachhaltigen Begleiterscheinungen seiner Besuche. »Einmal hat ein Kind
auf dem Xylophon mit nur einem Ton, aber eben rhythmisch erkennbar ‚»Alle meine Entchen« gespielt und
alle haben begeistert applaudiert«, erinnert er sich an
einen der vielen glücklichen Momente, die er zusammen mit den kranken Kindern erleben darf: »Ich
möchte mit meiner Musik Kraft geben – und wenn so
etwas passiert, spüre ich, wie mir das ein bisschen gelingt.« Zanoskar selbst empfi ndet es als Gnade, die Gabe
seiner Musikalität an derart kranke Kinder weitergeben zu können: »Das beglückt – und hilft mir auch, das
Elend auszuhalten. Ein Elend, vor dem eigene Probleme
übrigens oft verblassen.«
Der Musikmann hat die Möglichkeit, psychologische
Hilfe in Anspruch zu nehmen, konnte die Belastung
durch seine Aufgabe in der Vergangenheit aber stets
selbst kompensieren. Manchmal ist sie aber auch übergroß: »Einmal hatte ich nach meinem Besuch in der
Klinik Gesangsunterricht – und habe keinen Ton herausgebracht.«
Was ihm jedoch immer wieder hilft und selbst im Angesicht des Todes nicht aufgeben lässt, ist, wenn er durch
die Musik eine intensive Verbindung zu einem der kleinen Patienten aufbauen kann. Zanoskar erinnert sich
an ein Erlebnis, als er einen Jungen beim Sterben begleitete: »Da habe ich für ihn seine Lieblingslieder auf
der Querflöte improvisiert und während er starb, hat er
mir noch ein Lächeln geschenkt.« Ein anderer Junge
durfte zu Hause sterben – und sagte zum Musikmann
vorher noch: »Tschüss, mein Freund…«
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3. Preis: Bernd Volland
»Am Anfang stand der Traum«
Stern, 24.05.2007
Leben wie in alten Zeiten? Greise und Junge, Kranke und
Gesunde unter einem Dach? Ein renovierter Bauernhof
bei Bielefeld wurde zu einem Mehr-Generationen-Haus.
stern-Reporter Bernd Volland war für eine Woche mittendrin Es herrscht Stille im Raum. Sie schweigen gern
hier. Herr Bartling in seinem Rollstuhl am Esstisch
schweigt mit. Wobei es eigentlich wenig gibt, was er hier
gern macht. Außer vielleicht schimpfen.
Schön haben Sie`s, Herr Bartling – »Das sagen Sie, weil
Sie bald wieder wegkönnen« – Was wäre denn der optimale Ort für Sie? – »Nix« – Aber, wo wären Sie lieber? –
»Nirgends.« Die Tischplatte vibriert rhythmisch. Frau
Ernst wippt mit dem linken Fuß, Frau Stockhecke mit
dem rechten. Zwischen den Beinen streicht die Katze
von Frau Kettler durch. Frau Stockhecke liest ihr Heftchen, »Julia. Sein schönstes Liebeslied«.
Viele sagen, Herr Bartling in seinem Rollstuhl sei an
einem Ort der Zukunft angelangt. »Zukunft? Die ganze
Stadt lacht über mich, weil ich hier sein muss.« Orte wie
diese werden zu Hunderten entstehen, prophezeien
Experten. Weil die Zukunft heißt: mehr Alte. Und wer
will schon ins Heim ziehen? »Ins Heim? Ich habe meine
BMW-Niederlassung aufgebaut, da wollte ich bleiben
bis zum Schluss.«
Vor über 20 Jahren entstanden die ersten SeniorenWohn- und Hausgemeinschaften wie diese hier in Ostwestfalen. Plätze, an denen Alte zusammenleben können, nicht einsam sind, gepflegt werden können, aber
so eigenständig wie möglich bleiben. Rund 300 gibt es
heute.
»Wohngemeinschaft? Kann man in die Tonne treten.
Das hat doch alles die SPD verbrochen.« Herrn Bartlings Frau liegt im Zimmer nebenan nach einem Schlaganfall, das ist das Schlimmste. Herr Bartling ist alt, das
für sich wäre doch schon schlimm genug. Er, der FDPBartling, der BMW-Bartling, sitzt jetzt hier. Nur alte
Weiber. Und der Rosendahl und er. Und die jungen
Leute oben im ersten Stock, aber die wählen bestimmt
alle die Grünen, und am Abend essen sie Löwenzahn.
Draußen hört man ein Pfeifen. Dort ist die kleine Brauerei von Michael Zerbst im Nebengebäude. Zerbst ist ein
fröhlicher Mensch, vielleicht liegt das am Löwenzahn,
aber eigentlich isst er lieber Steak. Was genau die SPD
mit diesem Haus zu tun hat, ist nicht ganz zu klären,
vermutlich hängt es damit zusammen, dass Herr Bartling 15 Jahre lang FDP-Stadtrat war. Sicher ist jedoch,
dass Zerbst jede Menge damit zu tun hat.
Zerbst hatte eine Idee aufgeschnappt, und ist es nicht
das, was das Land braucht, im Großen wie im Kleinen:
32
Ausgezeichnete Beiträge
Ideen? Warum sollten Alte und Junge nicht wieder gemeinsam unter einem Dach leben, so wie früher? Er, ein
paar Junge, Familien und Alte, Pflegebedürftige in einem Haus. Zerbst arbeitete für den ambulanten Pflegedienst »Lebensbaum« hier in Werther, als der umgebaute Bauernhof zum Verkauf angeboten wurde, 10 000
Quadratmeter Gelände, 800 Quadratmeter Wohnfläche
bei Bielefeld, wo 1981 die erste Mehr-Generationen-WG
entstand.
Nach diesem Vorbild gründete Zerbst mit Freunden
einen Verein, um den Hof zu kaufen. Er schlug sich mit
Ministerien, Behörden und den guten Menschen von
Caritas und Diakonie herum, die keinen Bedarf sahen,
weil es für Senioren doch Heime gebe. Zerbst bekam
graue Haare. Zerbst bekam schließlich ein neues Zuhause.
1992 zogen sie ein, heute leben im Erdgeschoss rund
zehn pflegebedürftige Senioren und oben zwölf Junge:
vier Familien mit sechs Kindern. »Wir sind das, was der
Großfamilie noch am nächsten kommt«, sagt Zerbst.
Die Familie! Wir kennen die Zukunft schon lange in
Zahlen, aber befi nden uns noch immer in der Experimentierphase darüber, wie sie zu gestalten ist. 2020
werden fünf Millionen Menschen in Deutschland über
80 sein, 2050 werden die Hochaltrigen zwölf Prozent
der Bevölkerung ausmachen. Die meisten werden
höchstens ein Kind haben. Es könnte sehr einsam werden für Alte.
Ratschratschratsch. Ratschratschratsch. Frau Stockhecke schält Kartoffeln für das Mittagessen. 40 Jahre
war sie Magd, und wenn man ihr nachts eine Kartoffel
ins Bett werfen würde, dann würde es zehn Sekunden
raschratschratsch machen, und eine Portion Pommes
frites würde zurückfl iegen. »Was man einmal lernt,
vergisst man nicht«, sagt Herr Rosendahl, »interessant
ist das schon.« Herr Rosendahl zwinkert. Das macht er
oft, es heißt so viel wie: Wir Jungs wissen doch, wie der
Hase läuft.
Am Anfang des Wohnprojekts stand der Traum. Am
Anfang übernahmen die Jungen noch die Nachtwache.
Und es gab per Babyphone Liveschaltungen in die Zimmer der Alten: »Hallo, hört mich jemand, hier spricht
die verrückte Oma, ich wollte nur sagen, dass alles in
Ordnung ist.« Danke, Frau O., es ist drei Uhr nachts.
»Ich würde gerne aufstehen.« Frau P., es ist zwei Uhr
nachts. »Ich möchte frühstücken.« Frau P., es ist vier
Uhr nachts.
Heute ist für die Versorgung der Pflegedienst zuständig. Es ist nicht das Idyll der großen Kommune, wo die
Jungen die Alten pflegen und mit ihnen leben. Die WG
ist kein Ort für Träumer.
Die Jungen müssen selbst arbeiten, haben Kinder, um
die sie sich kümmern müssen. »Wären die Alten auf die
Pflege der Jungen angewiesen, hätten wir die absolute
Macht im Haus«, sagt Zerbst. Er lacht. Zerbst hat den
typisch sarkastischen Pflegerhumor, wenn man nur ein
Gutmensch ist, frisst er einen auf, dieser Job. Weil man
nicht nur mit Menschen zu tun hat, die froh und dankbar sind. Weil das wirkliche Alter kein Zustand reiner
Glückseligkeit ist.
Zerbst sitzt auf einer Bierbank vor dem Nebengebäude,
er hat seine Brauerei selbst aufgebaut. Sein »Rotingdorfer« verkauft sich gut, und wenn sie wollen, bringt er
den Senioren ein paar Gläser Freibier, bei Bedarf auch
mit Strohhalm. Der Flieder blüht, die Hunde bellen, und
von der Bank neben der Haustür hört man eine Lunge
rasseln. Dort sitzt Frau Ernst, sie ist dement. Die Lunge
gehört ihr, und Frau Ernst teert sie täglich mit ein, zwei
Schachteln starken Krauts.
Herr Bartling sagt: »Ist egal, woran sie kaputtgeht.« Die
Pfleger sagen: »Warum sollten wir ihr das nehmen?«
Michael Zerbst sagt: »Sie ist hier Mieterin, niemand
kann ihr etwas vorschreiben.«
Eigenständigkeit ist das höchste Ideal der WG. Und es
ist der Wunsch aller, die mal alt werden wollen. Bücher
über die Zukunft des Alters haben Konjunktur, aber sie
beschäftigen sich wenig mit der Situation derer, die
Ausgezeichnete Beiträge
heute alt sind. Sie handeln meist von der Gefahr einer
Methusalem-Gesellschaft, und als Lösung schlagen sie
oft vor, auch im Alter noch jung zu bleiben. Das liest
sich gut.
Herr Rosendahl kommt in den Hof, mit seinem Stützwägelchen steuert er zielstrebig auf das Blumenbeet zu. Er
sagt: »Das geht schon.« Das sagt er immer und lächelt.
Heute allerdings hat sein Lächeln etwas Leeres. Seine
Zähne sind weg, gestern Abend hat sie ihm der junge
Pfleger noch in das rote Schälchen gelegt, und heute,
verfl ixt, nix. Jetzt suchen sie sein Gebiss, und vielleicht
hat ja Frau ..., also, so rein versehentlich, die Zähne von
Herrn Rosendahl für die ihren gehalten? Hat sie nicht.
»Aber gestohlen hat die keiner, da kann ja niemand was
mit anfangen«, sagt Herr Rosendahl, »obwohl sie ja
noch gut sind. Alle 32 drin. Na ja, das geht schon.«
Herr Rosendahl ist 79 und erzählt gern. »Kochs Adler,
ja, Kochs Adler, 40 Jahre war ich da als Nähmaschinenschlosser, nach dem Krieg bin ich da hin, da war ich bei
den Franzosen im Gefangenenlager. 40 Jahre Kochs
Adler, die haben zu mir gesagt: Bleib doch noch,
Wilfried. Und einer hat mir am Drehtisch ein SpielzeugRennrad aus Draht gebastelt, Wolfgang Plah war das,
können Sie den im Artikel erwähnen? Das steht jetzt auf
meinem Nachttisch. Ich bin ja immer von Halle nach
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Bielefeld geradelt, einmal lag ein halber Meter Schnee,
aber ich war als Einziger pünktlich. Ich geh bald in ein
anderes Werk, interessant ist das schon, so ein Werk.«
Herr Rosendahl lächelt.
Und dann, auf einmal, fängt er zu weinen an. Weil bei
Kochs Adler, da hat er immer seine Erika getroffen,
morgens am Bahnübergang, sie musste zur Näherei und
er zu Kochs Adler, und nach Feierabend haben sie sich
wieder am Übergang getroffen. Und dann haben sie
geheiratet, vor 54 Jahren. Jetzt lebt Erika allein in einer
kleinen Wohnung und kommt einmal in der Woche zu
Besuch. Erst vergaß Herr Rosendahl seine Telefonnummer, dann immer mehr, er kippte öfters um, und Vergangenheit und Gegenwart brachte er auch durcheinander. Jetzt ist er allein hier, aber irgendwann kommt
sie nach, wenn auch sie nicht mehr zu Hause bleiben
kann. Herr Rosendahl weint. »Das geht schon«, sagt er.
Darum geht es: Das Beste daraus machen. Nicht das
Perfekte. Es geht um das Mögliche. Denn zwischen der
Idee und der Wirklichkeit stehen die Menschen.
Manchmal hören die Jungen sich ein wenig an wie die
Alten, wenn sie von damals erzählen, vom Anfang, als
die Euphorie herrschte. Von Frau Mannstein aus Ostpreußen, und wie sie zu Zerbst sagte: »Jungche, bring
mirr ne Hahn, ich mach`n dirr in de` Kieche.« Wie die
ganze Wohngemeinschaft auf der Dachterrasse stand
und runterblickte, grün im Gesicht, als Frau Mannstein
zur Tat schritt, Zerbst fing das Tier, sie packte den Vogel am Hals und drehte, aber Ostpreußen, das war lange her, die Hände waren schwach, der Kopf wollte zum
Verrecken nicht ab, und da musste Zerbst die fi nale
Drehung vollziehen, »Mann, war mir schlecht«. Und wie
Frau Mannstein sich eine Ente wünschte, dann jedoch
krank wurde, aber nichts abgeben wollte und mit der
gebratenen Ente in ihrem Bett schlief. Und wie ...
Der Kontakt zwischen den Generationen hat nachgelassen. Die WG ist ein organisches Gebilde, ihre wechselnde Besetzung bestimmt das Miteinander. Einzelne
können die Stimmung der Gruppe vermiesen. Und für
die meisten der alten Generation ist die Gemeinschaft
mit bisher unbekannten Menschen eine Notlösung,
nichts, wonach sie sich sehnen. »Die meisten kommen
hierher, wenn es zu Hause wirklich nicht mehr geht«,
sagt Meik Walkenhorst vom Pflegedienst »Lebensbaum«. Wenn sie einziehen, sind sie wenig belastbar.
Sie können sich weniger einbringen. Sie identifi zieren
sich weniger mit der Gemeinschaft. Aber, so glauben
die Jungen, das wird sich mit kommenden Generationen ändern, man werde früher zusammenziehen wollen. In Zukunft.
Es sind die kleinen Momente, die heute das Zusammenleben prägen, aber man dürfe das nicht unterschätzen,
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sagen die Pfleger, die Alten wollten oft nicht viel mehr.
Wenn Zerbsts Schwester Tina ihr Baby Frau Schön in
den Arm legt. Wenn die Kinder im Garten toben. Wenn
sich die Jungen auf der Terrasse dazusetzen. Dass sie
darauf achten, was im Haus passiert. Vor Jahren, als ein
Team des Pflegedienstes festgelegte Waschzeiten für
das Bettzeug einführen wollte, schritten sie ein: Wir
sind kein Heim mit mechanischen Abläufen! »Es ist
schon schön, dass hier auch junge Menschen sind«, sagt
Herr Rosendahl. Aber es klingt auch etwas gleichgültig.
Die Bewohner können bleiben, bis zum Schluss, das ist
gut, sagen die Jungen. Die Alten reden selten offen über
den »Schluss«. Durch eine kluge Konstruktion sind fast
immer drei Betreuer für höchstens zwölf Bewohner da.
So fühlen sie sich nicht als Patienten, die nach festen
Plänen Fütterungs- und Waschvorgänge durchlaufen,
sie fühlen sich zu Hause, sagen die Pfleger. Die Alten
sagen nicht »zu Hause«.
In Frau Stockheckes Zimmer hängt eine Lichterkette,
weil es nachts so dunkel ist und weil Frau Stockhecke
Angst hat. Das sagt sie ab und an: »Ich habe Angst.«
Aber sie kann nicht erklären, wovor. »Ich habe Angst«,
sagt sie, wenn ihr einer auf den Stuhl helfen will und sie
innehält, und keiner weiß genau, was sie fürchtet: dass
sie vom Stuhl fällt, oder einfach irgendwas. Aber sie hat
jetzt Lichter im Zimmer, in dem ihre alten Möbel stehen
und das Bild von ihr als Kind mit Zöpfen. Auf den Schirmen der Lichter sind Blumen, und nachts sieht es von
außen aus, als würde ein kleines Mädchen schlummern.
Es ist das, was sie geboten bekommen. Sie zahlen dafür
je nach Pflegestufe zwischen 2000 und 2200 Euro, ein
Platz im Heim ist nicht billiger, und das Sozialamt im
Landkreis erkennt die Kosten an. Fast alle Angehörigen
der Bewohner sagen: Wenn, dann möchte ich auch hierher. Doch ihre Eltern haben es sich nicht ausgesucht,
die meisten stehen unter Betreuung, früher hieß das
»Vormundschaft«. Sie haben sich die Frage nie gestellt,
als sie sie noch selbst hätten beantworten können: Wo
will ich mal hin?
Ein neuer Morgen. Der Tag ist noch heißer als gestern.
Die Hunde bellen wieder, und wäre man esoterisch
veranlagt, würde man vielleicht behaupten, sie spüren,
dass etwas Besonderes passiert ist. Frau Bartling ist
heute Nacht gestorben. Und Frau Mittelberg hat Geburtstag.
Herr Bartling sitzt am Tisch. Seine Söhne kommen, und
bald diskutieren sie, weil Papa partout nicht hier bleiben will, aber zu ihnen kann er auch nicht. Und eine
eigene Wohnung? Das ging ja nach dem Schlaganfall
seiner Frau schon nicht mehr gut.
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Frau Mittelberg hat zum 90. einen Topf Blumen bekommen. Frau Borgelt sagt, »ich gieß sie Ihnen mal«, wankt
mit steifer Hüfte zum Esstisch und reicht den Hyazinthen einen ordentlichen Schluck »Graf Rudolf Quelle
mild«.
Die Bartlings schieben ihren Vater auf die Terrasse. Die
Söhne reden, der Vater schweigt. Er wirkt in seiner
Niedergeschlagenheit auch wütend, als wäre er zornig
auf die eigene Trauer und das Schicksal. Alle drei sind
bei ihm in die Lehre gegangen, ein echter Familienbetrieb, irgendwann hätte er ihn übergeben, und gesorgt
wäre für ihn und seine Frau auch gewesen. Aber dann
kamen die Banken, und jetzt sitzt Herr Bartling hier,
und sein Sohn Dieter besucht ihn täglich mit einem
klapprigen 305er Peugeot.
Wenn Zerbst und seine Frau alt sind, wollen sie entweder eine Etage tiefer ziehen, oder es kommt ein Aufzug
ins Haus, das ist der Plan. Wenn er das Prinzip der WG
erklärt, sagt Zerbst immer: »Es muss sein wie bei einer
Schafherde: Die Schwächsten gehören in die Mitte. An
ihnen müssen sich die anderen orientieren.« Und er
meint damit nicht nur seine WG. Er meint auch das
große Ganze.
Man kann das als Sozialromantik abtun. Doch in Wirklichkeit ist es, ganz banal, auch eine Investition. »Nur so
35
kann jeder sicher sein, dass er aufgefangen wird, wenn
er selbst schwach wird«, sagt Zerbst. Wer sich nicht um
die jetzigen Alten kümmert, wird es selbst später
schwer haben, eine Form zu finden, die ihn auff ängt,
wenn es bei ihm mal so weit ist.
Auf der Terrasse ist Leben. Die Kinder haben eine Maus
gefangen, jetzt haben sie einen Futtereimer von den
Schafen geholt. Frau Ernst sagt: »Donnerwetter!« Frau
Stockhecke unterbricht die Lektüre von »Sein schönstes Liebeslied« auf Seite 36. Renate Kettler sagt: »Maus
gefangen.«
Sie sitzt in ihrem Rollstuhl, ihr Kopf hängt leicht zur
Seite, die Muskeln sind zu schwach, ihn zu halten. Sie ist
die einzige jüngere Pflegebedürftige unten im Haus: 42
Jahre, Multiple Sklerose. Jetzt ist sie hier und verfolgt
diese Szene, die sie begreift, weil ihr Verstand klar ist,
aber in der sie nicht mitspielen kann, weil ihr Körper oft
zu schwach zum Reden ist. »Gras, Maus«, flüstert sie.
Die Jungen sagen, sie seien auch dankbar für die Anwesenheit des Alters und der Gebrechlichkeit. Sie sind bis
auf Zerbst nicht wegen der Alten hergezogen. Die Anlage ist wunderschön, Schafe, Hunde, Hühner, die Mieten
sind für alle niedrig. Sie schätzen das Kommunenleben.
Aber jetzt wollen sie die Menschen unten nicht mehr
missen. Wenn man sie nach dem Grund fragt, erzählen
sie oft von Renate Kettler. Weil es beeindruckend sei,
wie sie ihr Schicksal annehme, immer fröhlich, lebensdurstig, trotz allem. Und weil es so viele der eigenen
Sorgen kleiner scheinen lasse. So geht es ihnen auch
mit den Alten.
Sigrid, die Biologin, die mit ihrem Sohn hier lebt, sagt:
»Sie sind ein Spiegel: Das bin ich in 40 Jahren. Und das
kann etwas sehr Beruhigendes haben.« Sabine, die Frau
von Michael Zerbst, sagt: »Allein die Frage nach dem
Warum ist pervers. Das Alter gehört dazu. Aber unsere
Gesellschaft klammert die jetzigen Alten aus.«
Vielleicht gerade weil sie ein Spiegel sind, in den man
nicht blicken will? Weil er das Gesicht einer Zukunft
zeigt, die man schwer ertragen kann, die aber oft unvermeidlich ist, auch wenn sie dank medizinischer
Fortschritte ein paar Lebensjahre später eintritt als bei
der jetzigen Generation? Weil man Leid sieht oder
Schwäche oder am Schluss sogar nur einfach Ruhe? Es
zu sehen und akzeptieren zu können sei das Beruhigende, sagt Sigrid.
Es ist Abend. Frau Borgelt sitzt auf der Couch. Frau
Pahlkötter und Frau Stockhecke sitzen in ihren Sesseln.
Sie schweigen zehn Minuten lang. Frau Borgelt sagt:
»Was haben Sie gesagt?« – Frau Pahlkötter sagt: »Nichts«
– Frau Borgelt sagt: »Ach so.«
Die Ruhe. Die alten Geschichten. Dass auch sonst noch
jemand da ist, der bleibt, nicht nur der kleine Kreis der
36
Ausgezeichnete Beiträge
eigenen Familie. Gebraucht zu werden. Helfen zu können. Man mag jedes dieser Dinge als romantische Kleinigkeit abtun, aber in der Summe ergeben sie ein Lebensgefühl.
Sigrid erzählt gern, wie sie einmal unten am Hauseingang vorbeiging. Da saß Frau Gewiese in ihrem Rollstuhl. Sie weinte. Sigrid schenkte ihr eine geschnitzte
Figur. Frau Gewiese lächelte, Sigrid hatte das Gefühl
der guten Tat. Gäbe es Zahlen für diese Gefühle, würden Wirtschaftsberater von einer Win-Win-Situation
sprechen: Das Geschäft zahlt sich für beide aus.
Frau Ernst will in die Raucherecke. Herr Rosendahl
sagt: »Lass mal den Ernst vorbei.« – »Ich bin nicht der
Ernst.« Frau Stockhecke kann grimmige Blicke werfen,
wenn eine Neue ihr den Platz am Kartoffeleimer streitig
machen will. Und was es früher hier für Schlachten zwischen Ostpreußen und Sudetendeutschen gab! Sie kommen aus der Generation, die das Trauma einer Kriegsund Wiederaufbau-Jugend mit sich schleppt. »Die
Verbitterten« nennt man sie oft. »Aber wenn wir alt
sind«, sagt Zerbst, »werden wir hier draußen auf dem
Hof bei einem Bier sitzen, die Sonne genießen und den
jungen Pflegerinnen hinterherpfeifen.« Sicher? »Nö.«
Ausgezeichnete Beiträge
37
Marion-Dönhoff-Förderpreis:
Markus Wanzeck
»Profit macht nur der Kiez«
taz, 18.11.2006
taz-Serie »Solidarische Ökonomie« (Teil 1): Die »Stadtteilgenossenschaft Wedding« verknüpft wirtschaftliches und soziales Engagement: Der Gewinn, den die
Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe erwirtschaften, wird in soziale Projekte investiert
Wer sich vom Leopoldplatz auf den Weg zum »Sprengelhaus« begibt, dem Sitz der Stadtteilgenossenschaft
Wedding, passiert in der Luxemburger Straße ein Turkish-Airlines-Büro, den Asia-Supermarkt Wah Fung,
ein Reisebüro, dessen Fenster mit chinesischen Schriftzeichen übersät sind, und eines, das türkische Reiseziele auf Türkisch anpreist. Keine Frage, der Sprengelkiez ist ein Kiez der Kulturen. Ein typisches Weddinger
Quartier eben: Jeder dritte Einwohner ist nichtdeutscher Herkunft.
Aber noch etwas anderes fällt auf im Sprengelkiez:
Ketten bunter Wimpel, die zwischen Häusern und Bäumen über den Gehsteig gespannt sind. In der Sprengelstraße wird es richtig bunt. Wedding im November
wirkt hier ein wenig wie Köln im Karneval. In der Tür
des »Sprengelhauses« steht Willy Achter, ein kahlköpfiger, fröhlicher Mittvierziger, und bittet herein.
Wie es zur Gründung der Stadtteilgenossenschaft vor
sechs Jahren kam? »Im Kiez herrschten eine hohe Dauerarbeitslosigkeit und Resignation – einerseits. Andererseits lag so viel unerledigte Arbeit auf der Straße.«
Achter meint verwahrloste Grünanlagen, heruntergekommene Häuser, leerstehende Gewerbeflächen. Der
Grund dafür war klar: »Die öffentlichen Kassen sind
leer, und für Investoren der Privatwirtschaft war unsere Gegend alles andere als attraktiv.« Dennoch wollte
Achter den Verfall nicht wie ein Naturereignis hinnehmen. Etwas musste geschehen. Aber was? Ein Netzwerk
an Kontakten, über Jahre des ehrenamtlichen Engagements in der Quartiersentwicklung gewachsen, war
alles, was dem diplomierten Landschaftsbauer zur
Verfügung stand.
Es reichte für den Anfang. Willy Achter fand 36 Mitstreiter: Anwohner, Arbeitslose, Vertreter gemeinnütziger Organisationen. Gemeinsam gründeten sie im
Oktober 2000 die »Stadtteilgenossenschaft Wedding
für wohnortnahe Dienstleistungen«. Die Rechtsform
der Genossenschaft wählten sie, weil das Projekt auf
den Prinzipien der Solidarität, Selbsthilfe und Selbstverantwortung fußt. Jeder Miteigentümer hat gleiches
Mitspracherecht – »ein Mensch, eine Stimme«. Zudem
seien gemeinwohlorientierte Ziele in der Satzung verankert – konkret: »das Ausbrechen aus der sozialen
Abwärtsspirale durch stadtteilbezogene Aktivierung
der Bewohner, nachbarschaftliche Selbsthilfe und Förderung lokaler Beschäftigungsinitiativen«.
Zumindest mit der Aktivierung hat es geklappt. Heute
zählt die Genossenschaft rund 90 Mitglieder. Ihre Vernetzung ermöglicht ihnen etwa, Großaufträge zu akquirieren. Privatpersonen gehören ihr ebenso an wie
19 Mitgliedsbetriebe und gemeinnützige Organisationen. Die Genossenschaftsstruktur ist komplex geworden. Achter betreibt Komplexitätsreduktion: Auf ein
Blatt Papier zeichnet er zwei Säulen. »Wirtschaft« heißt
die erste, »Soziales« die zweite. »Beides sind genossenschaftliche Ziele«, insistiert er. Man möge ihn bloß nicht
in die soziale Ecke stellen.
Auf die Wirtschaftssäule schreibt Willy Achter die drei
ökonomischen Elemente der Genossenschaft: Malerund Lackiererbetrieb, Dienstleistungsagentur, Stadtteilmarketing. Letzteres ist dafür zuständig, den Genossenschaftsmitgliedern auf Provisionsbasis Aufträge
zu vermitteln, sie miteinander zu vernetzen und nach
außen zu vermarkten. Etwa durch die Wimpelketten:
»Die sind noch von den Sprengelwochen.« Die »Sprengelwochen«, die die Zusammenarbeit der Geschäfte im
Kiez fördern soll, wurden 2004 von der Genossenschaft
ins Leben gerufen. Über 70 Unternehmen haben sich in
diesem Jahr an der Aktion beteiligt.
Das Malergeschäft ist das Herzstück der Genossenschaft. Es steuert den Großteil des Umsatzes bei. Ursprüngliches Ziel war es, für den Betrieb Arbeitslose
aus dem Stadtteil anzuheuern und so in die Erwerbsar-
38
Ausgezeichnete Beiträge
Profit macht nur der Kiez
Polizei nimmt
Mutter fest
taz-Serie „Solidarische Ökonomie“ (Teil 1): Die „Stadtteilgenossenschaft Wedding“ verknüpft wirtschaftliches und soziales
Engagement: Der Gewinn, den die Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe erwirtschaften, wird in soziale Projekte investiert
Die Mutter des lebensgefährlich
verletzten Berliner Babys ist gefasst. Die Frau wird verdächtigt,
ihren etwa sechs Monate alten
Sohn am Donnerstag unter ein
geparktes Auto in der Brückenstraße gelegt zu haben. Das Kind
war mit schweren Kopfverletzungen gefunden und in ein
Krankenhaus gebracht worden.
Die 22-jährige Mutter wurde am
Freitagmorgen in einer Bankfiliale in der Nähe ihrer Wohnung
in Niederschöneweide festgenommen, teilte die Polizei mit.
Der Kleine schwebt nach Angaben der Kinderklinik nach zwei
Notoperationen noch immer in
Lebensgefahr. Das Jugendamt
hat das Kind in seine Obhut genommen. Die Polizei geht von
einem Verbrechen aus, die Mordkommission ermittelt. Der Säugling war laut Polizei vermutlich
vorsätzlich unter das Auto gelegt
worden. Eine Frau hatte den Jungen zufällig entdeckt, weil sie ein
leises Wimmern gehört hatte.
Die Rettung kam buchstäblich
im letzten Moment: Nur eine Minute nachdem die Frau den kleinen Jungen gefunden hatte, kam
der Besitzer des Autos und wollte
DPA
wegfahren.
VON MARKUS WANZECK
Wer sich vom Leopoldplatz auf
den Weg zum „Sprengelhaus“ begibt, dem Sitz der Stadtteilgenossenschaft Wedding, passiert in
der Luxemburger Straße ein Turkish-Airlines-Büro, den Asia-Supermarkt Wah Fung, ein Reisebüro, dessen Fenster mit chinesischen Schriftzeichen übersät
sind, und eines, das türkische
Reiseziele auf Türkisch anpreist.
Keine Frage, der Sprengelkiez ist
ein Kiez der Kulturen. Ein typisches Weddinger Quartier eben:
Jeder dritte Einwohner ist nichtdeutscher Herkunft.
Aber noch etwas anderes fällt
auf im Sprengelkiez: Ketten bunter Wimpel, die zwischen Häusern und Bäumen über den Gehsteig gespannt sind. In der Sprengelstraße wird es richtig bunt.
Wedding im November wirkt
hier ein wenig wie Köln im Karneval. In der Tür des „Sprengelhauses“ steht Willy Achter, ein
kahlköpfiger, fröhlicher Mittvierziger, und bittet herein.
Wie es zur Gründung der
Stadtteilgenossenschaft
vor
sechs Jahren kam? „Im Kiez
herrschten eine hohe Dauerarbeitslosigkeit und Resignation –
einerseits. Andererseits lag so
viel unerledigte Arbeit auf der
Straße.“ Achter meint verwahrloste Grünanlagen, heruntergekommene Häuser, leerstehende
Gewerbeflächen. Der Grund dafür war klar: „Die öffentlichen
Kassen sind leer, und für Investoren der Privatwirtschaft war unsere Gegend alles andere als attraktiv.“ Dennoch wollte Achter
den Verfall nicht wie ein Naturereignis hinnehmen. Etwas musste
geschehen. Aber was? Ein Netzwerk an Kontakten, über Jahre
des ehrenamtlichen Engagements in der Quartiersentwicklung gewachsen, war alles, was
dem diplomierten Landschaftsbauer zur Verfügung stand.
Es reichte für den Anfang.
Willy Achter fand 36 Mitstreiter:
Anwohner, Arbeitslose, Vertreter
gemeinnütziger
Organisationen. Gemeinsam gründeten sie
im Oktober 2000 die „Stadtteilgenossenschaft Wedding für
wohnortnahe Dienstleistungen“.
Die Rechtsform der Genossenschaft wählten sie, weil das Projekt auf den Prinzipien der Solidarität, Selbsthilfe und Selbstverantwortung fußt. Jeder Miteigentümer hat gleiches Mitspracherecht – „ein Mensch, eine
Stimme“. Zudem seien gemeinwohlorientierte Ziele in der Satzung verankert – konkret: „das
Ausbrechen aus der sozialen Abwärtsspirale durch stadtteilbezogene Aktivierung der Bewohner,
nachbarschaftliche Selbsthilfe
und Förderung lokaler Beschäftigungsinitiativen“.
Zumindest mit der Aktivierung hat es geklappt. Heute zählt
die Genossenschaft rund 90 Mitglieder. Ihre Vernetzung ermög-
Flüchtlingsrat
übt scharfe Kritik
Mit der Aktivierung hat es geklappt: Willy Achter (r.) mit einem Beschäftigten des genossenschaftlichen Malerbetriebs
licht ihnen etwa, Großaufträge
zu akquirieren. Privatpersonen
gehören ihr ebenso an wie 19
Mitgliedsbetriebe und gemeinnützige Organisationen. Die Genossenschaftsstruktur ist komplex geworden. Achter betreibt
Komplexitätsreduktion: Auf ein
Blatt Papier zeichnet er zwei Säulen. „Wirtschaft“ heißt die erste,
„Soziales“ die zweite. „Beides
sind genossenschaftliche Ziele“,
insistiert er. Man möge ihn bloß
nicht in die soziale Ecke stellen.
Auf
die
Wirtschaftssäule
schreibt Willy Achter die drei
ökonomischen Elemente der
Genossenschaft: Maler- und Lackiererbetrieb, Dienstleistungsagentur,
Stadtteilmarketing.
Letzteres ist dafür zuständig, den
Genossenschaftsmitgliedern auf
Provisionsbasis Aufträge zu vermitteln, sie miteinander zu vernetzen und nach außen zu vermarkten. Etwa durch die Wimpelketten: „Die sind noch von
den
Sprengelwochen.“
Die
„Sprengelwochen“, die die Zusammenarbeit der Geschäfte im
Kiez fördern soll, wurden 2004
von der Genossenschaft ins Leben gerufen. Über 70 Unternehmen haben sich in diesem Jahr
an der Aktion beteiligt.
Das Malergeschäft ist das
Herzstück der Genossenschaft.
Es steuert den Großteil des Umsatzes bei. Ursprüngliches Ziel
war es, für den Betrieb Arbeitslose aus dem Stadtteil anzuheuern und so in die Erwerbsarbeit
zu überführen. Damit sei man jedoch irgendwann an Grenzen gestoßen, sagt Achter. Auch weil
SOLIDARISCHE ÖKONOMIE
Vom 24. bis zum 26. November
findet in der Technischen Universität Berlin der Kongress „Solidarische Ökonomie“ statt, zu dem
über 500 Teilnehmer aus aller
Welt erwartet werden. Bei der
Veranstaltung werden Antworten
auf die Frage gesucht, wie in
Zeiten des globalisierten Kapitalismus Ansätze eines solidarischen Wirtschaftens verwirklicht
werden können. Die taz berlin
nimmt das zum Anlass, sich in der
Stadt auf die Suche nach Projekten und Betrieben zu begeben,
die den schwierigen Weg zwischen solidarischem Anspruch
und marktwirtschaftlicher Realität gehen. In unserer Serie
werden wir eine Woche lang
jeden Tag ein solches Projekt vorstellen. ROT
manche die Genossenschaft
mehr als soziales Sicherungsnetz denn als Wirtschaftsunternehmen verstünden. 2002 habe
man sich zu einem Einschnitt
entschlossen und das Malergeschäft in einen professionellen
Betrieb überführt. Der hat derzeit vier Festangestellte, Arbeitslose können nur noch Praktika
absolvieren.
Willy Achter, der gelassene Erzähler, wird etwas lauter: „Wir
sind kein Non-Profit-Unternehmen – wir sind ein Not-for-Profit-Unternehmen.“ Der Unterschied: Gewinn ist Ziel, aber
nicht Selbstzweck. Er darf nur für
genossenschaftliche Ziele verwendet werden. Die soziale Säule
auf der Skizze enthält einige davon:
„Partnerschaftsprojekte“
steht dort, „Berufsintegration“
und „Gemeinwesenzentrum“. Sie
alle hängen auf ganz einfache
Weise zusammen: Die Räume
des
Gemeinwesenzentrums
Sprengelhaus werden kostenneutral an berufsintegrative Projekte vermietet, die Menschen
mit und ohne Migrationshintergrund aus der Langzeitarbeitslosigkeit loseisen.
Die Weiterbildungsprojekte
des Sprengelhauses, die Namen
tragen wie „Parcours zur Erwerbssicherung“ oder „Integration in der Mitte Berlins“, erhalten Fördermittel vom Quartiersmanagement, vom Bund und
von der EU. Bezahlen müssen die
Teilnehmer nichts, aber sie investieren etwas: Eigeninitiative.
„Die Teilnehmer müssen von
sich aus zu uns kommen“, erklärt
Achter. „Die Kurse sind eben kei-
Im Mittelpunkt steht der Mensch
Am nächsten Wochenende findet in der Technischen Universität der Kongress „Solidarische Ökonomie“ statt
Was soll im Mittelpunkt des Wirtschaftens stehen: der Mensch
oder der Profit? Die mehr als 500
Teilnehmer des Kongresses „Solidarische Ökonomie“, der Ende
nächster Woche (24. bis 26. November) an der TU Berlin stattfindet, dürften eine klare Antwort darauf haben: der Mensch.
Was Solidarische Ökonomie aber
darüber hinaus leisten muss da-
Im globalisierten Kapitalismus werden immer mehr Lebensbereiche der Profitmaximierung unterworfen, die Kluft
zwischen Arm und Reich wird
immer größer, sagen die Kongressveranstalter. „Es ist an der
Zeit, offensiv eine andere Ökonomie auszubauen, die auf sozialen, ökologischen und demokratischen Werten basiert eine Öko-
und geschlechtergerechten Arbeitsbedingungen und unter
Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen.“
Zunächst geht es aber erst einmal darum, den Begriff und den
Gedanken einer solidarischen
Wirtschaftsweise bekannter zu
machen. „Der Begriff ist in
Deutschland ja nicht so bekannt“ sagt Dagmar Embshoff
Europa, Nord- und Südamerika
und Indien geladen, einer der
ranghöchsten ist der brasilianische Staatssekretär für Solidarische Ökonomie, Paul Singer.
„Wir wollen auch über die politischen Rahmenbedinungen für
Solidarische Ökonomie reden“,
so Embshoff. So gebe es in anderen Ländern Steuervorteile für
Genossenschaften
Rechtsfor-
FOTOS: MIKE SCHMIDT
ne vom Arbeitsamt zugewiesenen Maßnahmen, bei denen die
Arbeitslosen gegängelt werden,
wenn sie nicht erscheinen. Dadurch stellen wir Motivation sicher.“ Im Anschluss an die Weiterbildung ist die Genossenschaft bei der Jobvermittlung behilflich – im Idealfall in eines der
Mitgliedsunternehmen.
Beim Blick zurück auf sechs
Jahre
Genossenschaftsarbeit
wird Willy Achter nachdenklich.
Ist der Ausbruch aus der Abwärtsspirale gelungen? „Wenn
man heute auf den Sprengelkiez
blickt, sieht man schon einige Erfolge“, sagt er. „Als wir unsere Arbeit aufgenommen haben, hat
sich kaum jemand für den Stadtteil interessiert. Jetzt engagieren
sich ganz viele.“ Das Image habe
sich verbessert. Die Leute fühlten sich im Kiez wieder zu Hause
– und für ihn verantwortlich. Es
scheint, als habe der Solidaritätsgedanke ein wenig auf den Stadtteil abgefärbt.
Auf dem Kongress „Solidarische Ökonomie“ (s. Text unten)
wird Achter am Wochenende einen Vortrag über „seine“ Genossenschaft halten. Wieder einmal.
Er klingt etwas unzufrieden, als
er das erzählt. Warum? „Wir werden ständig als Vorbild herumgereicht.“ Meist stellten andere
die Fragen und er müsse erzählen. Dabei habe er selbst genug
Fragen, für die ihm ein Ansprechpartner auf Augenhöhe
fehle. Es sei nicht leicht, ständig
als Modellprojekt die Fahne der
sozialen Ökonomie hochzuhalten. „Manchmal“, sagt Achter, „ist
es ziemlich einsam hier oben.“
merhin 35 Euro für den vollen
Preis kostet, ist Embshoff zufrieden. Bislang hätten sich bereits
über 500 Teilnehmer angemeldet, zusammen mit den Referenten und Ausstellern werden rund
700 erwartet. Unterstützt wird
der Kongress unter anderem von
attac, dem DGB Berlin-Brandenburg und der Bundeskoordination Internationalismus (Buko).
Allen gemein dürfte das Credo
der Veranstalter sein: „Die Zeit ist
reif für einen Kongress, der diesen Wirtschaftssektor öffentlich
macht, Akteure zusammenbringt politische Fragen disku-
Der Flüchtlingsrat hat den
Beschluss der Innenministerkonferenz zum Bleiberecht als
„faulen Kompromiss“ bezeichnet. Mit dem Zweistufenmodell
werde der unsichere Status vieler Geduldeter aufrechterhalten,
so die Initiative am Freitag. Angesichts der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage könne in Berlin
kaum ein Flüchtling die Anforderung eines „dauerhaften“ Arbeitsplatzes erfüllen. Die Innenminister einigten sich am Freitag darauf, dass Flüchtlinge, die
ihren Lebensunterhalt selbst
verdienen, mindestens sechs
Jahre in Deutschland leben und
nicht straffällig geworden sind,
ein Bleiberecht erhalten. Eine
zweite Gruppe der 190.000 geduldeten Ausländer in Deutschland soll bis September nächsten
Jahres vor Abschiebung geschützt sein, um sich Arbeit zu
suchen. Wegen des unsicheren
Aufenthaltsstatus und der Residenzpflicht werde es für die Betroffenen schwierig, Arbeitgeber
zu finden, die bereit sind, einen
Jobvertrag abzuschließen, so der
EPD
Flüchtlingsrat.
der tag SEITE 2, meinung SEITE 10
Landowsky kriegt
Leviten gelesen
Im Prozess um die Berliner Bankenaffäre ist nach rund 15 Monaten ein Ende absehbar. Am Freitag nächster Woche (24. 11.) sollen
nach Angaben des Landgerichts
die Plädoyers in dem Verfahren
mit 13 Angeklagten beginnen, zu
denen auch der frühere CDUFraktionschef und Vorstand der
Bankgesellschaftstochter Berlin
Hyp, Klaus Landowsky, gehört.
Landowsky hatte sich Anfang
November erstmals vor Gericht
geäußert und die Vorwürfe der
schweren Untreue zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft wirft
dem 64-Jährigen und weiteren
zwölf Exmanagern und Aufsichtsratsmitgliedern der BerlinHyp vor, Mitte der 90er-Jahre Risiken bei der Vergabe von Krediten in Höhe von 235 Millionen
Euro an das Immobilienunternehmen Aubis pflichtwidrig
nicht beachtet zu haben. Ein weiterer Prozess gegen zwölf ExBankmanager, in dem es um Immobilienfonds der Bankgesell-
Ausgezeichnete Beiträge
beit zu überführen. Damit sei man jedoch irgendwann
an Grenzen gestoßen, sagt Achter. Auch weil manche
die Genossenschaft mehr als soziales Sicherungsnetz
denn als Wirtschaftsunternehmen verstünden. 2002
habe man sich zu einem Einschnitt entschlossen und
das Malergeschäft in einen professionellen Betrieb
überführt. Der hat derzeit vier Festangestellte, Arbeitslose können nur noch Praktika absolvieren.
Willy Achter, der gelassene Erzähler, wird etwas lauter:
»Wir sind kein Non-Profit-Unternehmen – wir sind ein
Not-for-Profit-Unternehmen.« Der Unterschied: Gewinn ist Ziel, aber nicht Selbstzweck. Er darf nur für
genossenschaftliche Ziele verwendet werden. Die soziale Säule auf der Skizze enthält einige davon: »Partnerschaftsprojekte« steht dort, »Berufsintegration« und
»Gemeinwesenzentrum«. Sie alle hängen auf ganz einfache Weise zusammen: Die Räume des Gemeinwesenzentrums Sprengelhaus werden kostenneutral an berufsintegrative Projekte vermietet, die Menschen mit
und ohne Migrationshintergrund aus der Langzeitarbeitslosigkeit loseisen.
Die Weiterbildungsprojekte des Sprengelhauses, die
Namen tragen wie »Parcours zur Erwerbssicherung«
oder »Integration in der Mitte Berlins«, erhalten Fördermittel vom Quartiersmanagement, vom Bund und
von der EU. Bezahlen müssen die Teilnehmer nichts,
aber sie investieren etwas: Eigeninitiative. »Die Teilnehmer müssen von sich aus zu uns kommen«, erklärt
Achter. »Die Kurse sind eben keine vom Arbeitsamt
zugewiesenen Maßnahmen, bei denen die Arbeitslosen
gegängelt werden, wenn sie nicht erscheinen. Dadurch
stellen wir Motivation sicher.« Im Anschluss an die
Weiterbildung ist die Genossenschaft bei der Jobvermittlung behilfl ich – im Idealfall in eines der Mitgliedsunternehmen.
Beim Blick zurück auf sechs Jahre Genossenschaftsarbeit wird Willy Achter nachdenklich. Ist der Ausbruch
39
aus der Abwärtsspirale gelungen? »Wenn man heute auf
den Sprengelkiez blickt, sieht man schon einige Erfolge«, sagt er. »Als wir unsere Arbeit aufgenommen
haben, hat sich kaum jemand für den Stadtteil interessiert. Jetzt engagieren sich ganz viele.« Das Image habe
sich verbessert. Die Leute fühlten sich im Kiez wieder
zu Hause – und für ihn verantwortlich. Es scheint, als
habe der Solidaritätsgedanke ein wenig auf den Stadtteil abgefärbt.
Auf dem Kongress »Solidarische Ökonomie« wird Achter am Wochenende einen Vortrag über »seine« Genossenschaft halten. Wieder einmal. Er klingt etwas unzufrieden, als er das erzählt. Warum? »Wir werden
ständig als Vorbild herumgereicht.« Meist stellten andere die Fragen und er müsse erzählen. Dabei habe er
selbst genug Fragen, für die ihm ein Ansprechpartner
auf Augenhöhe fehle. Es sei nicht leicht, ständig als
Modellprojekt die Fahne der sozialen Ökonomie hochzuhalten. »Manchmal«, sagt Achter, »ist es ziemlich
einsam hier oben.«
Solidarische Ökonomie
Vom 24. bis zum 26. November fi ndet in der Technischen Universität Berlin der Kongress »Solidarische
Ökonomie« statt, zu dem über 500 Teilnehmer aus aller
Welt erwartet werden. Bei der Veranstaltung werden
Antworten auf die Frage gesucht, wie in Zeiten des globalisierten Kapitalismus Ansätze eines solidarischen
Wirtschaftens verwirklicht werden können. Die taz
berlin nimmt das zum Anlass, sich in der Stadt auf die
Suche nach Projekten und Betrieben zu begeben, die
den schwierigen Weg zwischen solidarischem Anspruch und marktwirtschaftlicher Realität gehen. In
unserer Serie werden wir eine Woche lang jeden Tag
ein solches Projekt vorstellen. ROT
40
Ausgezeichnete Beiträge
Serienpreis:
Thomas Faltin, Michael Ohnewald
»Die Engagierten«
Stuttgarter Zeitung, 15.09. bis 15.11.2007
Geben und Nehmen
Die Engagierten (1): Uwe Bodmer kümmert sich um
Langzeitarbeitslose
STUTTGART. Ein Drittel aller Deutschen leistet in der
Freizeit ehrenamtliche Hilfe. Die Engagierten sind der
Kitt der Zivilgesellschaft – und bleiben doch weit gehend unbeachtet. Einige von ihnen porträtiert die
Stuttgarter Zeitung in einer Serie.
Von Michael Ohnewald
Alles, wofür er sich ein halbes Leben lang eingesetzt
hatte, war plötzlich ein Fall für die Müllabfuhr. Viele
Jahre hatte er bei Alcatel Deutschland eine Abteilung
geleitet, die in ihren besten Zeiten 50 Mitarbeiter zählte. Dann kam die Globalisierung, und am Ende waren es
noch drei. Für seine Leute gab es keine Jobs mehr. Ihre
Jobs sind jetzt in Indien.
Irgendwann ist auch er gegangen. Am ersten Tag im
Ruhestand rannte er sich den Frust von seiner Seele,
die nicht aus Teflon ist, wie man es von Pfannen kennt,
an denen alles abperlt. Bei ihm ist es nicht abgeperlt.
Uwe Bodmer lief zur Selbsttherapie einen Marathon,
und es sollte seine Bestzeit werden. Drei Stunden und
drei Minuten brauchte er für 42 Kilometer. Es war ein
Samstag. An diesem Tag ging etwas zu Ende. Seit 1962
war er mit kurzen Unterbrechungen bei der Firma gewesen. Nun stand er im Ziel und hielt inne. Hinter sich
wusste er in diesem Moment die Mühen der viel zitierten Ebene. Was er vor sich haben würde, das wusste er
nicht.
Eine Woche später machte sich Bodmer zum Büro der
Stuttgarter Freiwilligenagentur auf, um seine Dienste
für die Gesellschaft anzubieten. »Ich musste was Neues
machen«, sagt er, »und damit das Alte bewältigen.« Bodmer fühlte einen unbändigen Tatendrang in sich, ge-
speist durch die Gewissheit, dass er trotz allem Glück
gehabt hatte im Leben. Drei Kinder, einen Job, das
Glück einer zweiten Ehe, die Chance auf Altersteilzeit.
Jetzt spürte der 58-jährige Ingenieur, dass die Zeit reif
war, was für andere zu tun. Und was für sich.
Ein Jahr später sitzt Uwe Bodmer in seiner Wohnung in
Zuffenhausen vor einem Glas Wasser und erzählt von
seinem neuen Leben als unentgeltlicher Dienstleister.
Angefangen hat er als Jobpate. In diesem Ehrenamt
kümmert er sich seit September vorigen Jahres um
Langzeitarbeitslose, hilft ihnen bei den Bewerbungen,
stützt sie moralisch und bietet sich als Begleiter an.
Aber wie das so ist bei Menschen, die einen solchen
Wendepunkt hinter sich haben, wendet sich manches
mit Macht. Bodmer entdeckte die Bürgergesellschaft
für sich – und sie entdeckte ihn.
Neben seinem Amt als Jobpate wurde er auch Seniorpartner im Projekt »Startklar«. Als solcher hilft er vier
Hauptschülern der Bismarckschule in Feuerbach bei
der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Nebenbei
betreut er nachmittags einen türkischen Jungen.
Weil da noch ein bisschen Platz war in seinem Kalender, hat sich Bodmer auch noch dem Kinderschutzbund
angeschlossen. Dort steht er Rede und Antwort am
Kinder- und Jugendtelefon und begleitet Väter, denen
nach einer Trennung nur der betreute Umgang mit
ihren Kindern gestattet ist. Als wäre das alles nicht
mehr als genug, amtiert der Marathonmann zudem als
zweiter Vorsitzender im Ludwigsburger Verein
»maks4kids«. Die vierzig Mitglieder laufen immer wieder zusammen und sammeln bei dieser Gelegenheit
Spenden, die dazu verwendet werden, behinderten
Kindern aus der Region Stuttgart eine Delfi ntherapie in
Florida zu ermöglichen. Viermal ist das schon gelungen.
Inzwischen widmet der Ruheständler, der eigentlich
gar keiner ist, seinen Ehrenämtern mehr als sechs
Stunden am Tag. Seine Frau Melitta, die er »den
sunshine of my life« nennt, lässt ihn gewähren. Sie ist
berufstätig und weiß, dass einer wie Uwe Bodmer nicht
Ausgezeichnete Beiträge
mit Heizkissen vor dem Fernseher vorstellbar ist. Wer
ihn zähmen will, der muss ihn laufen lassen. Und weil
das so ist, läuft sie in ihrer Freizeit mit. Einige Marathonläufe haben die beiden schon zusammen bestritten.
In seinem ersten Jahr nach dem beruflichen Ausstieg
hat Bodmer viel gegeben – und viel bekommen. »Ich
habe in diesen Monaten so viel Neues über mich erfahren und bin bei der Sicht auf die Dinge tiefer vorgedrungen«, sagt er. »Auf dem Grund bin ich aber noch
nicht angelangt.« Das sei nicht immer schön gewesen.
Er habe die soziale Kälte dieser Gesellschaft gespürt,
die Sorgen junger Menschen und in einigen Situationen
auch die Hilflosigkeit des Helfers. Was soll man sagen,
wenn ein Hauptschüler mit schlechten Noten als Berufswunsch Anwalt angibt? Was soll man sagen, wenn
einem am Telefon von einem Jungen erzählt wird, er
habe ein Verhältnis mit der 30-jährigen Nachbarin?
Was soll man sagen, wenn man einen Sozialarbeiter
betreut, der sein Studium mit der Note 1,2 abgeschlos-
41
sen hat und trotzdem in dieser Gesellschaft keine Chance bekommt?
Der Fall des Sozialarbeiters treibt Bodmer noch immer
um. Manchen konnte er helfen. Ihm nicht. »Dieses System kann einen krank machen«, sagt er. Auch ihn würde es krank machen, wenn er nicht die Gabe hätte, laufend zu verarbeiten. Wenn ihn die Nöte derer plagen,
um die er sich kümmert, schnürt Bodmer seine Sportschuhe und macht sich auf in den Wald. »Nach dem
Laufen bin ich ein neuer Mensch«, sagt er. »Was mich
belastet hat, bleibt auf der Strecke.«
Davon profitiert der Sozialarbeiter Stefan Wilhelm,
welcher in Bodmer einen Jobpaten hat, der auf die
Langstrecke spezialisiert ist und folglich nicht so
schnell ans Aufgeben denkt. Viele Gespräche hat Bodmer mit dem 45-Jährigen geführt, und ihm dabei klar
gemacht, dass er das Vertrauen in seine Fähigkeiten
nicht verlieren dürfe. Er hat dem Arbeitslosen bei seinen Bewerbungen geholfen und ihn bestärkt, souverän
mit einer leichten Sprachbehinderung umzugehen.
»Das kann man auch als Stärke betrachten«, sagt Bodmer. »Jemand wie er kann sich besser auseinander setzen mit der Lebenswelt von Behinderten.«
Für Stefan Wilhelm sind solche Ratschläge viel wert.
»Die Gespräche mit ihm haben mir geholfen«, sagt er
über seinen Jobpaten. Vor zwei Jahren hat der Stuttgarter, der früher als Bürokaufmann gearbeitet hat, sein
Diplom als Sozialarbeiter mit Auszeichnung abgelegt.
Seitdem sucht er. Und Bodmer sucht mit. Dem Jobpaten
geht es nahe, dass es trotz der guten Noten noch nicht
geklappt hat mit einem Arbeitsplatz für seinen Schützling im sozialen Bereich, in dem Jobs abgebaut werden.
Bodmer war früher Betriebsrat, und diese Zeit hat bei
ihm Widerhaken gesetzt, dort, wo das soziale Gewissen
sitzt. Er tut, was er tun kann, und ist sich dabei im Klaren, dass es wenig ist. »Ein Tropfen auf den heißen
Stein«, sagt er. Aber immerhin ein Tropfen.
Uwe Bodmer weiß um seine Grenzen, und er weiß um
die Grenzen der zivilen Bürgergesellschaft. »Es gibt
eine starke Tendenz, Leute wie mich auszunutzen«,
sagt er. Da ist Bodmer sensibel. Er stellt gerne das Gemeinwohl über sein Eigeninteresse, aber wenn das
Gemeinwohl mehr gemein als wohl ist und die Jobs von
Festangestellten durch angelernte Freiwillige besetzt
werden, dann hört es für ihn auf. »Ich bin kein Profi«,
sagt er, »sondern nur ein Mensch wie du und ich.«
Die Serie, die einmal pro Woche erscheint, ist im Internet nachzulesen unter www.stuttgarter-zeitung.de/
ehrenamt. Unter dieser Adresse sind auch weitere Ehrenamtsagenturen in der Region Stuttgart aufgeführt.
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Ausgezeichnete Beiträge
»So viele nette Kerle«
Die Engagierten (2): Barbara und Ulrich Endreß betreuen Obdachlose
STUTTGART. Ein Drittel aller Deutschen leistet in der
Freizeit ehrenamtliche Hilfe. Die Engagierten sind der
Kitt der Zivilgesellschaft – und bleiben doch weit gehend unbeachtet. Einige von ihnen porträtiert die Stuttgarter Zeitung in einer Serie.
Von Thomas Faltin
Ulrich Endreß muss wieder mal schlichten. Das hat mit
Andreas zu tun, der ein Raubauz ist und in der Wohngemeinschaft für ehemals obdachlose Menschen in der
Stuttgarter Föhrichstraße wohnt. Andreas ist 67 Jahre
alt und verdrückt gerade eine Packung Vanilleeis, aber
so richtig genießen kann er das nicht, denn er stört sich
am Kindergeschrei im Haus. Seit Kurzem leben auch
sechs ausländische Familien hier. »Die kleinen Kerle
zeigen mir sogar den Stinkefi nger«, empört sich Andreas. Das sei nicht in Ordnung, beruhigt ihn Ulrich
Endreß, den alle 21 Männer im Haus nur den »Uli« nennen. Aber der Uli wird dann auch sehr direkt. »Du bist
empfi ndlich geworden«, sagt er, was sein Eis essender
Freund murrend einräumt: »Das darf ich auch, schließlich bin ich fast schon rollstuhlverdächtig.«
Gespräche dieser Art fi nden in der Föhrichstraße häufiger statt. Denn in dieser Wohngemeinschaft des Sozialamts kann man etwas in Stuttgart wohl Einmaliges
erleben: Seit 23 Jahren kümmern sich Ulrich Endreß
und sine Frau Barbara um das Haus, und zwar völlig
ehrenamtlich und meist ohne Einmischung der Stadt.
Das Ehepaar schaut danach, dass jeder die Kehrwoche
macht, freie Zimmer wieder belegt werden und keiner
über die Stränge schlägt, wenn mal wieder einer über
den Durst getrunken worden ist.
Für diese Hausverwaltung gibt es nicht mal eine Aufwandsentschädigung. »Zum zehnjährigen Jubiläum
habe ich mal eine Flasche Wein geschenkt bekommen«,
erinnert sich der ehrenamtliche Dienstleister: »Aber
die steht immer noch zu Hause und ist längst Essig.«
Inzwischen hat das Ehepaar diese Aufgabe in einem
Maße zu einem Teil seines Lebens gemacht, wie es sich
selbst stark engagierte Menschen wohl kaum vorstellen
können. Wenn nachts um zwei Uhr einem Bewohner die
Tür ins Schloss fällt, klingelt er den Uli aus dem Bett.
Wenn einer ins Krankenhaus muss, sind die beiden
Ehrenamtler oft die Einzigen, die ihn besuchen. Und
wenn jemand Schwierigkeiten hat, seine 325 Euro
»Stütze« über den Monat zu verteilen, dann verwaltet
Barbara für ihn das Geld.
»Hast du Sorgen, hast du Fragen – Uli sagen«, nach diesem Motto funktioniere die ganze Wohngemeinschaft,
sagt der 65-jährige Endreß selbstironisch. Der gelernte
und mittlerweile pensionierte Drucker hat sich im Laufe der Jahre immer besser auf die Menschen eingestellt,
um die er sich kümmert. Und sogar eine Ausbildung als
Suchtkrankenhelfer beim Blauen Kreuz hat er absolviert, um mit dem Suchtproblem, das häufig die eigentlichen Lebensprobleme seiner Schützlinge überdeckt,
besser umgehen zu können.
Die Männer, die manchmal ein wenig sonderbar, aber
doch allesamt liebenswürdig sind, danken es Barbara
und Ulrich Endreß auf ihre Weise – große Worte machen ist ihre Sache nicht. Der 70-jährige Walter sagt
halt schlicht: »Wir haben manchmal Meinungsverschiedenheiten – aber Gott sei Dank sind die beiden hier.« Er
lebt in einer blitzblank aufgeräumten Wohnung, und er
ist stolz darauf, selbst in seinen dunkelsten Zeiten, damals nach der Scheidung und dem Absturz aus der Bürgerlichkeit, nie einen »roten Pfennig« vom Sozialamt
gebraucht zu haben. Seit 20 Jahren wohnt er nun hier
und will auch nicht mehr weg. So geht es den meisten,
weshalb die Fluktuation gering ist: »Mit vielen sind wir
Ausgezeichnete Beiträge
alt geworden«, sagt Ulrich Endreß. Und so manchen hat
er auch schon zu Grabe getragen.
Zweimal wöchentlich kommen die beiden Ehrenamtlichen für mehrere Stunden ins Haus. Dabei handeln sie
weniger nach sozialpädagogischen Grundsätzen als
vielmehr nach dem Leitspruch »mit Zuckerbrot und
Peitsche«. Wenn sich dazu noch eine deftige Portion
schwäbischer Hemdsärmeligkeit gesellt, kann nichts
mehr schief gehen. Stapelt einer mal wieder den Müll in
seiner Wohnung bis unter die Decke, sagt Endreß:
»Freundle, Bude aufräumen!« So geht das schon lange.
Als er 1982 die Aufgabe übernommen hatte, baute sich
ein kräftiger Bewohner vor ihm auf und erklärte mit
ungarischem Akzent: »Ich bin Gabor. Ich bin Bürgermeister von Föhrichstraße.« Endreß hat Gabor daraufhin lapidar gesagt: »Das ist sehr gut. Und ich bin jetzt
der Oberbürgermeister.«
Umgekehrt ist Ulrich Endreß aber nichts zu viel. Er
kleidet einen inkontinenten Bewohner völlig neu ein,
damit ein Arzt überhaupt bereit ist, den Mann zu untersuchen. Einem anderen gibt er die alten Boss-Anzüge
seines Chefs und schweigt auch dann noch, wenn der
Bewohner sie bei seinem neuen Job auf der Baustelle
trägt. Und er denkt bei alledem bis heute pragmatisch.
Als sein Schützling Dieter darüber klagt, dass er vor
den aggressiven Wespen Angst habe, weil er allergisch
sei, sagt Endreß gelassen: »Ha no, na bring i dir des
nächste Mal a Muggabätscher mit.«
Barbara und Ulrich Endreß treffen den richtigen Ton.
Das war vor 23 Jahren auch der Grund, weshalb die
damalige Hausleitung die beiden angesprochen hat;
dabei waren sie nur zu einer Weihnachtsfeier in die
Föhrichstraße gekommen, weil ihr Sohn bei einer Aufführung mitwirkte. Bürgerschaftliches Engagement?
Kontakt zu Obdachlosen? Fehlanzeige. So rutschten die
beiden irgendwie in diesen Job hinein und wurden 1986,
als Vertreter der Evangelisch-Methodistischen Kirche
Feuerbach, zu Beauftragten für die Föhrichstraße ernannt. »Damals haben wir das Ausmaß gar nicht erkannt«, sagt Barbara Endreß. Sonst hätten sie aus Angst
vor Überforderung wohl gleich Reißaus genommen.
Doch sie blieben. Über die innersten Motive dafür haben sich Barbara und Ulrich Endreß kaum Gedanken
gemacht, die Frage nach der Motivation löst bei ihnen
eher Stirnrunzeln aus. »Wir tun es aus christlichem
Glauben heraus und aus Menschenliebe«, sagen sie,
spüren aber selbst, dass diese Antwort ein so langes
Engagement nicht erklärt. Und so fügt Ulrich Endreß
den Satz an: »Wir haben viele erschütternde Geschichten gehört, und ich weiß: mit ein bisschen weniger Glück hätte mir das auch passieren können.«
Längst sind einige Bewohner für Ulrich und Barbara
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Endreß zu Freunden geworden, zur Familie, und manche sitzen gar an Weihnachten bei ihnen zu Hause beim
Festmahl. Früher haben manche Nachbarn oder Mitglieder der Kirchengemeinde noch den Kopf geschüttelt: Muss denn die Fürsorge gleich derart weit
gehen? »Ja«, lautet die Antwort der beiden Stuttgarter.
Für sie ist der Umgang mit obdachlosen Menschen
längst das Normalste von der Welt. »Es sind einfach so
viele nette Kerle darunter«, sagt Ulrich Endreß.
Spricht‘s – und verseckelt den Buben im Hausflur, der
Andreas geärgert hat. Denn trotz aller Nächstenliebe
lässt der Uli nicht alles durchgehen. »Als überzeugter
Christ«, sagt er, »muss man ja kein Dackel sein.«
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Erfahren im Leben
Die Engagierten (3): Elisabeth Kruse betreut eine Familie
STUTTGART. Ein Drittel aller Deutschen leistet in der
Freizeit ehrenamtliche Hilfe. Die Engagierten sind der
Kitt der Zivilgesellschaft – und bleiben doch weit gehend unbeachtet. Einige von ihnen porträtiert die Stuttgarter Zeitung in einer Serie.
Von Michael Ohnewald
Ein Tag irgendwann im Mai. Elisabeth Kruse, 62 Jahre
alt, steht vor einer Tür in Stuttgart. Gabi Hartmann,
zwanzig Jahre jünger, wartet dahinter. Es ist für beide
der Anfang eines Abenteuers, das zwei Vorgeschichten
hat.
Elisabeth Kruse ist Lehrerin, hat drei erwachsene Kinder und zwei Enkel. Sie unterrichtet an der Merzschule
in Stuttgart. Aber die unerschütterliche Logik des Abreißkalenders sagt ihr, dass es einen Zeitenbruch geben
wird. Mit ihm gehen oft andere Brüche einher, der Umbruch und der Einbruch. Die Zeit, die ihr bleibt, möchte
sie sinnvoll nutzen.
Gabi Hartmann hat andere Probleme. Sie ist allein erziehend und lebt mit ihren beiden Söhnen in Stuttgart.
Aufgewachsen ist sie in Uelzen, und dort ist auch manche Freundschaft geblieben. Ihr Geld verdient die Hotelfachfrau am Empfang einer Unternehmensberatung.
Es ist schon hart genug, den Alltag zu organisieren,
wenn man allein zwei Kinder großziehen und dabei
auch noch das Einkommen sichern muss. Bei ihr kommt
erschwerend hinzu, dass die Kinder weit auseinander
sind. Daniel ist 13 und voll in der Pubertät, Simon ist
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Ausgezeichnete Beiträge
erst zwei. Das fordert die Mutter bis zum Äußersten. Sie
fürchtet, dass es irgendwann so nicht mehr geht. Und
sie spürt, dass sie darüber reden möchte. Aber sie hat
niemanden, mit dem sie das tun könnte. Die einen sind
ihr zu nah, die andern zu fern.
Elisabeth Kruse hat die Erziehung der Kinder hinter
sich. Sie will was tun. Etwas tun, das ist besser als
nichts tun, denkt sie sich, selbst wenn es auf irgendwas
tun hinausläuft. Aber noch weiß sie nicht, was das sein
könnte. Noch wird alles überlagert von ihrem alten
Leben. Seit mehr als vierzig Jahren geht sie, von kurzen
Unterbrechungen abgesehen, fast jeden Tag zur Schule.
Das prägt. Mit 21 hat sie als Grundschullehrerin in
Oberlenningen begonnen. Damals reichten vier Semester Studium, und es gab noch kein Referendariat.
Lange her. Ihr Sohn Stephan ist jetzt 39, Anja ist 35 und
Felix 22. Sie hat das alles immer unter einen Hut bekommen, die Kinder und den Haushalt und die Schule. Und
doch fühlt sie, dass sie sich all die Jahre »sehr über den
Beruf defi niert« hat. Ihr Mann tut das nicht mehr. Er ist
in Rente. Dieser Einschnitt steht auch bei ihr an. Sie hat
Unterrichtsstunden reduziert, und es wird ihr letztes
Schuljahr sein. In Schüben aufs Altenteil. Da macht man
sich Gedanken. Da hört man Lieder anders als früher.
Wie diesen alten Song von Udo Lindenberg: »War das
denn schon alles, was für mich vorgesehen war?«
Auch Gabi Hartmann stellt sich Fragen. Sie fragt sich, ob
es jemand geben könnte, der von außen kommt, und
sich hineinversetzt in ihre Situation, der ihr Mut macht,
der sie unterstützt, der ihr, wenn nötig, den Spiegel
vorhält. Da entdeckt sie in der Zeitung eine Notiz über
die Initiative Z, eine Begleitung auf Zeit, die für Familien
gedacht ist. Sie setzt sich spontan an ihren Computer
und schreibt sich von der Seele, was sie sich wünscht.
Elisabeth Kruse schreibt nicht. Sie redet. Ihr Schwager,
der Psychologe ist, empfiehlt ihr, über ein Ehrenamt
nachdenken. Auch sie entdeckt in der Zeitung eine
Notiz. Es geht ums Ehrenamt, um einen Orientierungskurs für Menschen, die sich in die Bürgergesellschaft
einbringen wollen. Sie weiß nicht, was für sie passen
könnte. Sie weiß nur, dass sie ein paar Stunden Zeit in
der Woche hat, denen sie einen besonderen Sinn geben
will, damit sie nicht in die Sinnkrise kommt.
Bei dem Kurs in Stuttgart erzählt ihr ein älterer Herr
von der deutschen Fernschule in Wetzlar. Dort werden
Kinder betreut, die im Ausland leben und keine deutsche Schule besuchen können. Die Lehrerin bewirbt
sich und wird angenommen. Sie kümmert sich unter
anderem um einen Jungen aus Pakistan, hält Kontakt
und korrigiert die Tests, die seine Mutter ihr schickt. Es
ist eine hübsche Aufgabe. Aber das allein füllt sie nicht
aus.
Gabi Hartmanns Alltag ist voll ausgefüllt. Sie will etwas
ändern. Die Initiative Z, die vom Elternseminar des
städtischen Jugendamts entwickelt worden ist, könnte
ein erster Schritt sein. Das Projekt gibt es seit Januar,
und es ist Ausfluss einer Kampagne, die Oberbürgermeister Schuster vorantreibt. Stuttgart soll kinderfreundlicher und familienfreundlicher werden. Die
Projektleiterin Christine Heppner verspricht Gabi
Hartmann, nach einer Patin für die Familie zu suchen.
Ein lebenserfahrener Mensch soll es sein, der sein Wissen weitergibt, ohne Geld zu verlangen.
Elisabeth Kruse hört über Freunde von dem Angebot –
und zögert. Sie will sich engagieren, aber sie will nicht
als feste Größe in Dienstplänen auftauchen. »Ich
möchte mich nicht verpfl ichten«, sagt sie, »bevor ich
weiß, ob ich das überhaupt will.« Sie ruft trotzdem an.
Nach einem langen Gespräch mit der Projektleiterin ist
sie bereit, sich auf ein Abenteuer einzulassen, das wenig später vor der Türe von Gabi Hartmann beginnt.
Vor den beiden Frauen liegt unbekanntes Terrain. Sie
erzählen sich von ganz normalen Dingen, von sich und
von ihrem Leben, und sie spüren dabei, dass es ein viel
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versprechender Austausch ist. Elisabeth Kruse blickt
zurück auf sich und verarbeitet. Gabi Hartmann blickt
in die Kristallkugel eines zukünftigen Selbst und zieht
daraus ihre Schlüsse. Sie redet schnell und ist spontan.
Ihre Patin gehört eher zu den Menschen, die jeden Satz
prüfen, bevor sie ihm die Freiheit schenken. Aber genau das macht den Reiz aus. An Gesprächsstoff fehlt es
ihnen nicht. Es geht meistens um die Kinder. Die lebenserfahrene Lehrerin kann mitreden, weil sie das selbst
erlebt hat und weil sie es über ihre Enkel noch immer
erlebt. Die Reflektion bringt Gabi Hartmann weiter. Das
ist nichts Spektakuläres, aber es tut gut, wenn man
hört, dass die eigenen Probleme weit verbreitet sind.
Es folgen viele Treffen. Mindestens einmal in der Woche kommen sie zusammen. Wenn sie spazieren gehen,
dann gehen sie in ihren Erzählungen oft zurück und
dann wieder voraus in die Zukunft. Wenn es mit ihren
Terminen schwierig wird, bringt Gabi Hartmann den
kleinen Simon zu den Kruses, woran auch der Hausherr
seine Freude hat. Die Familien nähern sich behutsam
an. »Es ist toll«, sagt die Jüngere, die der Älteren gerne
zuhört, »weil sie vieles schon durchlebt hat«.
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Die Rehabilitierung von Erfahrung nennen das Wissenschaftler wie der Gehirnforscher Wolf Singer. Er hat
gemessen, dass die Gehirnströme im Alter zwar langsamer werden, dass sich aber in ihnen Tricks der Älteren verbergen, die man sich wie Abkürzungen vorstellen kann, durch die es möglich wird, mit den
Jüngeren Schritt zu halten.
Gabi Hartmann und Elisabeth Kruse halten Schritt. Seit
jenem Tag, als die Türe zwischen ihnen war, sind jetzt
mehr als vier Monate vergangen. Das Abenteuer geht
für beide weiter. »Sie ist für mich wie eine Freundin, die
ich vor einem Jahr noch nicht kannte«, sagt Gabi Hartmann. Und Elisabeth Kruse sagt: »Das Ganze ist ein
Glücksfall.«
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Freiheit im Geiste
Die Engagierten (4): Susanne Philippi spielt Theater
mit Häftlingen
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Kitt der Zivilgesellschaft – und bleiben doch weit gehend unbeachtet. Einige von ihnen porträtiert die
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Genau genommen gibt es zwei Frauen, die Susanne
Philippi heißen. Äußerlich betrachtet sind sie beide
gleich. Aber die eine führt ein bürgerliches Leben mit
allen Versicherungen in einem hübschen Haus, in dem
es ein Klavier gibt, viele Bücher und antike Möbel. Die
andere zieht es in eine Gegenwelt jenseits des Bürgerwohnglücks, ohne Vollkasko, aber mit Abenteuer. Jeden
Donnerstag lässt sich diese andere Frau einschließen
im Heimsheimer Gefängnis. Dort spielt sie Theater mit
Lebenslänglichen und anderen, die früher raus dürfen.
Fast zweihundert Jahre Knast stehen auf der Bühne –
und sie ist mittendrin.
Eigentlich hat es ganz harmlos angefangen mit diesem
Doppelleben, damals vor neun Jahren. Susanne Philippi, die Abgesicherte, arbeitete als Lehrerin an der Realschule in Heimsheim. Sie gehörte dort zum Inventar.
Die aus Uelzen stammende Tochter eines Rechtsanwalts hatte in München studiert, den Mann fürs Leben
kennen gelernt, war mit ihm in den Landkreis Böblingen gezogen und hatte sich in Heimsheim eine Existenz
mit Panoramablick geschaffen. Das war ganz im Sinne
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ihres Vaters. Als sie noch aufs Mädchengymnasium
gegangen war, hatte sie erst Schauspielerin und dann
Psychologin werden wollen. »Brotlose Künste«, hatte er
gesagt. Also ist sie Lehrerin geworden.
An jenem Tag vor neun Jahren wurde in ihrer Schule
über eine Anfrage der Vollzugsanstalt in Heimsheim
berichtet. Dort sitze ein Orchestergeiger ein, hieß es,
dem unter den schweren Jungs die leichte Muse abgehe.
Da ist in Susanne Philippi die verschüttete Psychologin
erwacht und die Theaterfrau. Unerschrocken machte
sie sich auf, um hinter die Mauern zu sehen, ausgestattet mit bescheidenem Rüstzeug, mit Zuversicht und den
Erfahrungen aus einer Literaturgruppe, der sie seit
dreißig Jahren angehört. Anfangs hat sie Texte mit den
Häftlingen interpretiert. Dabei nahm sie teil an ihren
Geschichten und litt, weil sie sah, »wie viel Leben hier
vergeudet wird«. Mit der Zeit ist es ihr leichter gefallen,
das alles hinter sich zu lassen, wenn sie zurückkehrte
in ihr geschütztes Biotop. Dann kam der erste Auftritt,
der sie bestärkt hat. Am 25. Oktober 1998 trug die Literatur- und Theatergruppe bei einem Gottesdienst hinter Gittern einige Stücke vor. Eine gelungene Premiere.
In der multinationalen Knastgesellschaft sprach sich
die Kunde von der flotten Theatertante schnell herum.
Immer mehr Gefangene schauten donnerstags vorbei,
und viele blieben der Gruppe treu. Ein Jahr später gaben
sie »Heiteres von Eugen Roth« und »Besinnliches aus
Goethes Faust« zum Besten. Damals gehörte René Weller zur Truppe, und so hat sich ein Faustkämpfer mit
Faust beschäftigt, was auch nicht alle Tage vorkommt.
Mit den Jahren wurde es anspruchsvoller im Knast am
Heimsheimer Mittelberg. Unterstützt von der Musiklehrerin Gisela Heim und dem Rentner Alarich Miller,
gleichfalls ehrenamtlich am Werk, brachte Susanne
Philippi immer neue Stücke auf die Bühne. Mal unternahmen sie »eine literarische und musikalische Reise
durch Kästners Jahrhundert«, mal führten sie ein Stück
über die Exildichterin Mascha Kaleko auf. Für die nötige Motivation sorgte der Leiter der Heimsheimer Justizvollzugsanstalt, Hubert Fluhr. Der genehmigte jedes
Jahr eine Auff ührung vor Publikum von draußen und
freute sich darüber, dass im Knast kein Platz frei blieb.
Am Sonntag ist es wieder so weit. Durch die überwachten Schleusen des Gefängnisses werden mehr als 100
unerschrockene Theaterfreunde pilgern, vorbei an
dicken Anstaltsmauern und langen Gängen, an deren
Ende eine Welt wartet, von der die meisten nicht viel
wissen. Denn im Namen des Volkes werden Urteile gesprochen, aber was danach passiert, bleibt weit gehend
verborgen. Man sieht nicht hinein in abgeriegelte, dicht
besiedelte Städte wie den Heimsheimer Knast, in dem
eigene Gesetze gelten für mehr als 550 Strafgefangene
aus 40 Nationen, die verwahrt sind im Babylon der Gegenwart.
Susanne Philippi versucht, das kulturstiftende Element
in der Subkultur zu verankern, indem sie Häftlinge
künstlerisch fordert. Sie müssen sich an ihr Drehbuch
halten und Texte lernen und ihre Scheu ablegen. »Die
Gefangenen nehmen sich dabei plötzlich selbst anders
wahr«, sagt sie. »Sie entdecken, dass sie ungeahnte Fähigkeiten haben, und sie genießen den Applaus. Das
stärkt ihr Selbstbewusstsein und regt zum Nachdenken
an.«
Vollzugsbeamte wie Ernst Weigandt, der fürs Freizeitprogramm zuständig ist, wissen das zu schätzen. Weigandt ist schon lange dabei. Er plädiert für mehr Freiheit im Gefängnis, weil das reine Wegbunkern die
Strafgefangenen nicht zu besseren Menschen macht.
Seit es Angebote gibt, abends nach der Arbeit und dem
Hofgang, sind die Nächte fürs Personal ruhiger. Das sei
auch ein Verdienst von Ehrenamtlichen wie Susanne
Philippi.
An diesem Abend ist es wieder so weit. Drei Stunden
arbeitet sie mit der Theatergruppe. Auf der Bühne
hängt das Kreuz Jesu. Davor stehen Sträfl inge und proben den Chorgesang. »Herr, erbarme dich«, hallt es
durch den Raum. Es ist nicht mehr lange hin bis zur
Auff ührung, und das Stück sitzt noch nicht richtig.
»Stopp, stopp, stopp«, unterbricht die 59-jährige Lehrerin das holpernde Schauspiel. »Das ist ja wie bei den
Regensburger Domspatzen«, sagt sie. Die versammelten Straftäter wirken wie verschüchterte Chorknaben,
aber sie sollen wilde Burschen aus dem schwäbischen
Bauernkrieg spielen. »Lasst nicht die roten Hähne flattern«, heißt das Stück über einfache Leute, die sich
gewaltsam erheben, weil sie versklavt und verraten
worden sind. Mutig, es an diesem Ort zu geben. »Ihr
müsst aus euch heraus«, sagt Susanne Philippi. Mit
weichem Zungenschlag übt sie harte Kritik. Sie ist jetzt
ganz Psychologin und Theaterfrau. Also nochmal.
»Herr, erbarme dich.«
Chris verfolgt die Probe vor der Bühne. Er spielt nicht
mit, weil er bald entlassen wird. Chris ist 25 und gehört
zu den zart Besaiteten. »Das hier ist für mich eine Insel«, sagt er. »Hier fühle ich mich nicht allein.« Heinz ist
63 und bleibt länger. Er trägt einen dunklen Trainingsanzug und gibt den Philosophen, der durch das Stück
führt. Manchmal schreibt er selbst. Neulich hat er der
Mutter der Theaterkompanie ein paar Zeilen gewidmet:
»Genau wie dieser Geist uns führt/so steh‘n wir gleichsam auch im Banne/der Mensch, der diese Leistung
ziert/der zauberhaftesten Susanne.«
Die Adressatin freut sich über solche Komplimente –
und betont, dass es auch für sie ein Gewinn sei, diesen
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Job im Gefängnis zu machen. »Die geben mir was, und
ich gebe ihnen was.« Sie könne Menschen jetzt besser
einschätzen, sagt sie. Überraschungen gibt es trotzdem. Jedes Jahr schickt ihr ein Sizilianer, der nach der
Entlassung wieder in seiner Heimat lebt, fünfzig Euro
für die Theatergruppe. Andere schreiben ihr, weil sie
nicht vergessen haben, dass sie sich um einen Job für
sie bemüht hat. Und einer ihrer ersten Schüler tritt
jetzt draußen mit einem Laientheater auf. Auch das
gibt es.
Am Sonntag stehen seine alten Kollegen auf der Gefängnisbühne und fl iehen für ein paar Stunden in die Freiheit der Kunst. Leider ist nur ein Auftritt genehmigt.
Vielleicht wird Susanne Philippi, die Mutige, auch noch
diese Mauer überwinden und die baden-württembergische Justiz davon überzeugen, dass sich ihr Ensemble
bewährt hat. Die Chancen waren nie besser. Ihr Theaterprojekt ist für den Ehrenamtspreis des Landes nominiert.
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Der weite Horizont
Die Engagierten (5): Wilhelm Krauspe kommt mit Zähigkeit zum Ziel
STUTTGART. Ein Drittel aller Deutschen leistet in der
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Kitt der Zivilgesellschaft – und bleiben doch weit gehend unbeachtet. Einige von ihnen porträtiert die
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Von Thomas Faltin
Es war an einem Wandertag, kurz vor Santiago de Compostela, als Wilhelm Krauspe die schlimme Nachricht
erhielt. Seit Jahrhunderten pilgern Menschen zum Grab
des heiligen Jakobus, um unterwegs über ihr Leben
nachzudenken und um in der Stadt nahe des Atlantiks
um Vergebung, Heilung oder Erkenntnis zu bitten. Der
Bietigheimer Wilhelm Krauspe hatte bis zu diesem Tag
andere Beweggründe gehabt, er liebte es einfach, auf
Fernwanderwegen Europa zu durchstreifen. Doch jetzt
wurde auch ihm religiös zu Mute: Denn er erfuhr am
Telefon, dass eine nahe Angehörige behaupten würde,
böse Stimmen beschimpften sie und dass sie jetzt Gedanken lesen könne. »Sie ist schwer psychisch krank«,
hieß es. Als Krauspe am nächsten Tag in Santiago ankam, habe er angesichts des Aufruhrs der Gefühle nicht
sprechen können. »Die Tränen liefen mir nur so runter«, erinnert er sich an jenen Tag vor knapp zehn Jahren. Hilflosigkeit, Verwirrung, Ohnmacht: als demütiger Pilger trat Wilhelm Krauspe in der Kathedrale vor
den Altar des Apostels Jakobus.
Damals waren Wörter wie Psychose oder Schizophrenie böhmische Dörfer für den heute 72-Jährigen gewesen, und die Angst vor diesem dunklen Unbekannten
war groß. Doch auch das Bedrohliche kann vertraut
werden – es ist möglich, so sagt es Wilhelm Krauspe, »in
die Krankheit hineinzuwachsen«. Manche Partner,
Eltern oder Freunde von psychisch Kranken werden im
Laufe der Jahre tatsächlich müde, weil der Gang durch
die Psychiatrie voller Kämpfe und Rückschläge sein
kann und weil unbeteiligte Menschen noch immer voller Vorurteile sind. Wilhelm Krauspe aber hatte das
Glück und die Gabe, an der Aufgabe zu wachsen: Er
wollte psychisch kranken Menschen helfen und begann, die Umstände zu verändern. So leitete er einige
Jahre den Landesverband der Angehörigen mit 1200
Mitgliedern. Er organisiert bis heute den Landespsych-
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iatrietag mit, bei dem sich Betroffene und Ärzte auf
Augenhöhe begegnen. Und er sucht seit Jahren nach
Arbeitsmöglichkeiten für psychisch kranke Menschen,
weil das ein großes Problem geblieben ist: Viele Menschen schaffen den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt
nicht mehr und bleiben arbeitslos – dabei täte es ihnen
gut und es gäbe ihnen Mut, wenn sie täglich für ein paar
Stunden gebraucht würden.
Die zündende Idee kam Wilhelm Krauspe, wie so oft, an
der frischen Luft. Bei einem Spaziergang blieb der Blick
des Rentners am Vordach eines Hauses hängen, und er
erkannte mit einem Mal, dass gerade dieses Produkt
viele Anforderungen erfüllt: Die Herstellung ist für
psychisch kranke Menschen nicht zu schwierig, die
Entwicklung ist nicht sehr aufwendig – und das Produkt
muss sich verkaufen lassen. Wilhelm Krauspes technischer Spürsinn war geweckt. Denn als Ingenieur hat
er jahrzehntelang bei der Metallwarenfabrik in Ludwigsburg und später bei SEL gearbeitet und öfters neue
und teilweise bahnbrechende Verfahren ausgetüftelt.
Doch ein solches Projekt lässt sich nicht übers Knie brechen. Unzählige Stunden hat Krauspe in den vergangenen vier Jahren in das Vordach investiert: Er gewann
die Hochschule Pforzheim, die Pläne entwickelte, er
knüpfte Kontakte zu möglichen Vertriebspartnern, er
bereitete die technische Zulassung vor, und er macht
bis heute die hochwertigen Vordächer aus Edelstahl
und Glas auf Messen bekannt. Es waren tausend kleine
Schritte, die manchmal mühevoll waren und häufig
Umwege erforderten, die aber letztlich doch näher ans
Ziel führten. Den wichtigsten Partner fand Wilhelm
Krauspe dann in Holger Klein, dem Geschäftsführer
der Lebenshilfe Zollernalb: In deren Werkstatt in Albstadt-Lautlingen fügen geistig behinderte und bald
auch psychisch kranke Menschen die Komponenten
zusammen und montieren die Vordächer mit nicht behinderten Schlossern.
Es ist eine Erfolgsgeschichte. Die Verkaufszahlen sind
kontinuierlich auf eine Jahresproduktion von jetzt 400
Dächern gestiegen, bald soll eine eigene Integrationsfi rma gegründet werden. »Wilhelm Krauspe ist deshalb
für uns ein unbezahlbarer Mitarbeiter«, sagt Holger
Klein. Denn in Zeiten, in denen gerade die einfachen
Tätigkeiten für behinderte Menschen wegfallen oder
ins Ausland verlagert werden, sind Ideen wie die von
Krauspe Gold wert für die Werkstätten.
Wilhelm Krauspe wehrt solches Lob bescheiden ab. Er
könne es eben nicht leiden, immer nur zu jammern,
sondern irgendwann fange er an, aktiv nach Lösungen
zu suchen. Und er fühle sich, wie viele Menschen seiner
Generation, noch in Verantwortung genommen. »Statt
ständig nur Ansprüche zu stellen, kann man ja mal
damit beginnen, selbst etwas zu bewegen«, sagt er. Drei
Eigenschaften sind ihm dabei, ob im Beruf, im Privatleben oder im Ehrenamt, zeitlebens zugute gekommen:
Kreativität, Arbeitslust und Durchhaltevermögen.
»Man darf sich von Rückschlägen nicht entmutigen
lassen«, sagt Krauspe, denn wenn er eines im Leben
gelernt habe, dann sei es diese einfache Weisheit:
»Nach jedem Tief kommt ein Hoch.«
Die Zähigkeit und das Durchhaltevermögen hat Wilhelm Krauspe wahrscheinlich bei seiner zweiten Leidenschaft neben dem Ehrenamt erlernt: dem Fernwandern. Mehrere Wochen im Jahr verbringt er auf den
Weitwanderwegen Europas, wo er die Einfachheit des
Lebens, die Weite des Horizonts und den Wind in den
Bäumen liebt. Krauspe ist schon, über mehrere Jahre
verteilt, von Kopenhagen nach Kroatien marschiert,
und auf dem Jakobsweg hat er viele kaum bekannte
Seitenlinien bewandert, wie jene von Lissabon nach
Santiago de Compostela – immer dem Zeichen der Muschel nach. Die ganz bewegten Zeiten sind zwar vorbei:
Früher hat es Krauspe auf täglich 40 Kilometer gebracht, und abends trainierte er für einen Marathon.
Doch noch immer ist der Schnitt von täglich 27 Kilometern angesichts des Alters enorm. »Man muss etwas für
die körperliche und die geistige Fitness tun«, sagt
Krauspe: »Das eine bedingt das andere.«
Und tatsächlich kommen Wilhelm Krauspe ständig neue
Ideen. Warum können psychisch kranke Menschen
eigentlich nicht Meisenknödel fertigen? Wäre es nicht
möglich, dass sie Werbe-DVDs fürs Blühende Barock in
Ludwigsburg gestalten? Überhaupt müsste mal jemand
die Vorarbeiten für ein Industriemuseum in Ludwigsburg leisten. Und warum versucht man nicht, die Hausvordächer bundesweit ins Gespräch zu bringen, indem
man sich für »Wetten, dass . . .?« bewirbt? Menschen mit
einer Behinderung könnten in der TV-Show in kurzer
Zeit drei Vordächer montieren und anschließend auf
dem Glas eine menschliche Pyramide bauen – denn das
Dach hält gut und gerne zehn Personen aus.
Angesichts solch verwegener Ideen muss der Lebenshilfe-Geschäftsführer Holger Klein auch mal bremsen.
»Mitunter weigere ich mich einfach«, sagt er, »aber
wenn wir nur einen von zehn Einfällen realisieren, ist
es ein Gewinn.« Und zwar für die behinderten und
kranken Menschen – und für Wilhelm Krauspe selbst.
»Denn nur über Erfolgserlebnisse kann sich der Mensch
entwickeln«, sagt er.
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Wasser für das Paradies
Die Engagierten (6): Mark Pollmann rettet dürstende
Straßenbäume
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Von Thomas Faltin
Manche Nachbarn halten Mark Pollmann schlicht für
bekloppt: An heißen Sommertagen schleppt der selbstständige Vermögensberater vor und nach der Arbeit
unablässig Zehnlitereimer voll Wasser über die Straße.
Einige Eimer wuchtet er mühevoll über Zäune, oder er
muss das Wasser über einige Meter Entfernung werfen,
weil das Gestrüpp undurchdringlich ist. Doch nichts
bringt Pollmann von seinem Vorhaben ab: Regelmäßig
gießt er zwei Dutzend Ahornbäume und Linden an zwei
Schulen, in der Schwarenberg- und entlang der Landhausstraße im Stuttgarter Osten. »Ins Fitnessstudio
brauche ich an solchen Tagen nicht mehr«, sagt er zu
dem schweißtreibenden Geschäft. Währenddessen
tuscheln die Nachbarn: Wie kann man Wasser nur derart vergeuden? Und überhaupt: hat der eigentlich
nichts Besseres zu tun?
Nein, fi ndet Mark Pollmann. Der 36-Jährige, der dank
kosmopolitisch veranlagter Eltern in New York geboren
und in São Paulo aufgewachsen ist, saß im Jahrhundertsommer 2003 täglich auf seinem kleinen Balkon im
dritten Stock und schaute mit an, wie die Bäume unter
ihm erst braune Spitzen an den Blättern bekamen und
sich dann schon im Juli entlaubten, als wäre Herbst.
Damals wurde Pollmann nach und nach bewusst, dass
Bäume in der Stadt unter Dauerstress stehen – und Hilfe
benötigen.
Tatsächlich haben Stadtbäume häufig nur ganz wenig
nicht asphaltierte Fläche um sich herum, sodass zu
wenig lebensnotwendiges Wasser bis zu ihren Wurzeln
durchsickern kann. Zudem bleibt die Hitze in der Stadt
auch nachts stehen, sodass die Bäume sich kaum erholen können. Und wegen der vielen Leitungen in der
Erde können Bäume oft erst gar nicht genügend Wurzeln wachsen lassen.
Ganz spontan und ohne groß jemanden um Rat zu fragen, hat Mark Pollmann deshalb angefangen, zum Wasserträger der Landhausstraße zu werden: 60 Liter pro
Woche für den jungen eingezwängten Ahorn an der
Straßenecke, 40 Liter für die älteren Bäume im Kiesbett
der Grundschule Ostheim. Nebenbei wirft er Flugblätter in die Briefkästen des Viertels und fordert die Mit-
menschen auf, es ihm gleichzutun. »Vielen Bäumen ging
es dieses Jahr wieder besser – anscheinend haben manche Anwohner reagiert«, sagt er.
Dass es längst eine Initiative des Garten- und Friedhofsamts gibt, bei der Baumpaten ausgebildet werden, war
Pollmann bis vor Kurzem unbekannt. Und er hätte sich
dort auch nicht eingeschrieben, denn er interessiert
sich nicht für die Weinschorle, die Butterbrezel und
den warmen Händedruck, also all die Dinge, die Paten
einmal im Jahr als Dankeschön erhalten. Pollmanns
Motive sind anders: »Ich will einfach bewusst leben und
verantwortlich sein für das, was ich tue – oder auch
unterlasse.« Und die Bäume starben einfach vor seinen
Augen. Für ihn wäre es ein Fall unterlassener Hilfeleistung gewesen, wenn er weggeschaut hätte.
Mit dem Begriff »Ehrenamt« kann Mark Pollmann deshalb wenig anfangen. Er gehört zu jener neuen Generation von Menschen, die sich schwerlich als Mitglied in
einem Verein sehen und die sich auch nicht jahrelang an
eine Aufgabe binden wollen – und die trotzdem sehr viel
Verantwortungsgefühl besitzen. Yvonne Schütz, die
50
Vorwort
Ausgezeichnete
Beiträge
sich bei der Stadt Stuttgart um die Belange der Ehrenamtlichen kümmert, spricht deshalb längst lieber von
»Freiwilligen« oder »bürgerschaftlich Engagierten«.
Und Werner Koch, der Leiter des Garten- und Friedhofsamts, ist auch für »wilde« Gießer wie Mark Pollmann
überaus dankbar. Denn die Stadt ist mit dieser Aufgabe
schlicht überfordert: An warmen Tagen sind 50 Mitarbeiter in Stuttgart ausschließlich mit Gießen beschäftigt
und schaffen es doch nicht annähernd, alle Straßenbäume zu retten. In heißen Jahren gibt die Stadt mehr als
100 000 Euro nur fürs Gießwasser aus. »Stadtbäume
müssen immer kämpfen und sind froh um jede Unterstützung«, sagt Koch. Übrigens gönnen seine Leute
jedem Baum bis zu 400 Liter – das schaff t nicht einmal
Mark Pollmann: denn bei 40 Eimern für jeden einzelnen
Baum käme er überhaupt nicht mehr ins Büro.
Wie Mark Pollmann zu seinem sozialen Bewusstsein
kam, ist ihm selbst einigermaßen schleierhaft. »Das
muss irgendein Gen sein, das allmählich aktiv wird«,
mutmaßt er. Denn während seiner Jugend in Brasilien –
der Vater arbeitete dort als Maschinenbauingenieur –
wurde der Sohnemann allenfalls bei Ausflügen an den
Strand auff ällig. Er habe häufig mit den Fischern herumgestritten, weil er nicht verstanden habe, dass man
Fische tötet, erzählt er: »Wenn ich kam, haben deshalb
alle Angst um ihren Fang gehabt und ihn schnell in
Sicherheit gebracht.« Mit elf Jahren kam Pollmann mit
den Eltern nach Deutschland, lebte zunächst in Düsseldorf und siedelte dann zum Studium der Geografie ins
Ländle um, nach Tübingen. Auch dort fi ndet sich noch
keine Spur eines ökologischem Gewissens. »Ich ernährte
mich hauptsächlich von Kidneybohnen aus der Dose.«
Doch dann tat das Gen allmählich seine Wirkung. Mittlerweile haben Mark Pollmann und sein Lebenspartner
auf Biolebensmittel umgestellt, um die ökologische
Landwirtschaft zu fördern und damit die Umwelt zu
schützen. Der gesundheitliche Nebeneffekt, so meint
der leidenschaftliche Raucher und Kaffeetrinker Mark
Pollmann, habe auch ihn überrascht: »Ich bin seither
kaum noch krank und habe deshalb keine Verdienstausfälle mehr – für einen Selbstständigen rechnet sich
Bio also auch wirtschaftlich.« Daneben fahren die beiden konsequent mit der Bahn, und für die Rettung »ihrer« Bäume nehmen sie auch handfeste Konfl ikte in
Kauf. Die Hausmeisterin einer Schule hat es nämlich
gar nicht gern, dass Mark Pollmann einen Außenhahn
der Schule illegalerweise mit der Zange öff net, um Wasser für die Schulbäume zu zapfen. So ungehörig sind
Freiwillige heutzutage. Es geht in dem Streit um vielleicht zehn Euro im Jahr – vor allem aber ums Prinzip.
So mancher Reingeschmeckte würde sich bei einer
solchen Auseinandersetzung um wenige Euro schnell
in Klischees flüchten: ja, ja, der schwäbische Geiz. Der
Geograf, Kosmopolit und Rheinländer Mark Pollmann,
der zwischendurch auch mal zwei Jahre als Flugbegleiter für Hapag-Lloyd durch die Welt geflogen ist, ist davon weit entfernt. Im Gegenteil: er liebt Stuttgart. Dabei
war die Stadt im Talkessel zunächst nur eine Notlösung
gewesen, weil Tübingen Mark Pollmann zuletzt doch
etwas eng und muffig vorkam – er stammte schließlich
aus einer Zehnmillionenmetropole. Mittlerweile bezeichnet Pollmann Stuttgart als die schönste Stadt
Deutschlands und hat sogar einen kleinen Band mit
schwäbischen Betrachtungen geschrieben. Darin heißt
es über die oftmals so geschmähte Landeshauptstadt:
»Ich habe manchmal den Eindruck, ich lebe in einem
Garten Eden von Landschaft und Kultur und frage mich
ernsthaft: Was muss eine Stadt noch bieten, dass man
als Bewohner in ihr glücklich wird? Dazu fällt mir wenig ein.«
Das bisschen Bäumegießen sei also doch das Wenigste,
was man zu diesem kleinen Paradies beitragen kann,
meint Mark Pollmann. Er jedenfalls hat in Stuttgart
mittlerweile Wurzeln geschlagen.
Die Serie, die einmal pro Woche erscheint, ist im Internet nachzulesen unter www.stuttgarter-zeitung.de/
ehrenamt. Unter dieser Adresse sind auch weitere Ehrenamtsagenturen in der Region Stuttgart aufgeführt.
Wo die Musik spielt
Die Engagierten (7): Hans-Jürgen Finger macht Radio
im Krankenhaus
STUTTGART. Ein Drittel aller Deutschen leistet in der
Freizeit ehrenamtliche Hilfe. Die Engagierten sind der
Kitt der Zivilgesellschaft – und bleiben doch weit gehend unbeachtet. Einige von ihnen porträtiert die
Stuttgarter Zeitung in einer Serie.
Von Michael Ohnewald
Frau Müller will Freddy Quinn. Sie liegt auf dem Hörkissen und wartet auf ihn. Am Abend wird er für sie
singen, und damit er das auch wirklich tut, hat sie einen
orangefarbenen Zettel ausgefüllt. Ihr Zettel ist auf
einem Tisch im Keller des Waiblinger Krankenhauses
gelandet, irgendwo auf halbem Weg zwischen Pathologie und Patientenbücherei. Der Tisch gehört zum Studio der Klinik, in dem es viele Knöpfe gibt und viele
Schallplatten und einen Mann, der ohne Knöpfe, ohne
Schallplatten und ohne Freddy Quinn nicht denkbar ist.
Hans-Jürgen Finger macht Radio in den Krankenhäusern von Waiblingen und Backnang. 41 Jahre alt ist er,
und die meisten davon waren geprägt vom unbändigen
Ausgezeichnete Beiträge
Drang, andere zu unterhalten. Man kann es Sturheit
nennen, was ihn auszeichnet, man kann es auch Leidenschaft nennen. »Ich wollte immer zum Rundfunk«,
sagt er. Dieses Ziel hat er vor langer Zeit erreicht, vor
25 Jahren. Seitdem arbeitet Hans-Jürgen Finger beim
öffentlichen Rundfunk in Stuttgart – allerdings nicht
wie erhoff t als Moderator im Studio, sondern als Sachbearbeiter in der Personalabteilung.
Das mit dem Senden hat bei ihm eine lange Vorgeschichte. Schon als Kind hat er Wunschkonzerte für
Freunde und Verwandte gemacht. Finger war elf Jahre
alt, als er sich die ersten Platten kaufte. Er sammelte
Interpreten und Titel. Das war bei ihm fast eine Sucht,
und da fügte es sich gut, dass sie vom Vater geteilt wurde. Aber es blieb nicht dabei. Mit 13 kaufte er vom Taschengeld ein Spulentonband, ein Mikrofon und zwei
Kassettenrecorder. Fertig war das Heimstudio. So hat
er eigene Sendungen produziert und eigene Hitparaden. Der Junge genoss die Magie des Augenblicks, wenn
die Tante zu Besuch war und seiner Produktion andächtig lauschte. Auch die Freunde waren angetan.
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Sonntags kam häufig ein pubertärer Gastmoderator aus
der Nachbarschaft ins Selbstfahrerstudio und dann
gab‘s in Schwaikheim kein Halten mehr.
Er mochte in jener Zeit nicht wie andere die harten
Burschen mit den langen Haaren und den lauten Verstärkern, sondern vor allem Schlager. Er mochte Peter
Alexander, aber auch Dean Martin, Elvis Presley und
Peter Kraus. Die Inspiration für seine Sendungen holte
sich der Nachwuchsmoderator bei den Kollegen vom
öffentlichen Rundfunk. Es gab noch Kultsendungen im
Radio, und er hat sie dem Fernsehprogramm vorgezogen. Wenn Rainer Nitschke »leicht und beschwingt« in
den Sonntagnachmittag startete, dann startete HansJürgen Finger meistens mit.
Nach der Realschule lernte er Bürokaufmann und
schrieb seine erste und einzige Bewerbung an den Süddeutschen Rundfunk. Er wurde genommen, und anfangs
hat er gehoff t, dass es vielleicht möglich wäre, über die
Personalabteilung ins Studio zu kommen. Aber leider
hat das nicht geklappt, weil im Sender Verwaltung und
Programm strikt getrennt sind. Also hat er weiter für
sich allein produziert, hat Sprachunterricht genommen
und seine Stimme geschult, hat die wahre Leidenschaft
im Heimstudio ausgelebt und immer mehr Musikscheiben gekauft, große schwarze und kleine silberne.
Als er 24 war, entdeckte Hans-Jürgen Finger eines Morgens in der Zeitung eine kleine Notiz. Das Krankenhausradio in Backnang suchte für den Patientenrundfunk
noch Plattenspenden. »Spenden möchte ich nicht«,
dachte sich der Freizeit-DJ, »aber leihen.« Also ist er
hingegangen und hat den Kollegen erzählt, dass er
schon lange für sich Radio macht und dass er zu Hause
fast 70 000 Platten und CDs hat. Da haben sie ihn gefragt, ob er nicht mitmachen möchte, und so kam er am
1. September 1988 für ein paar Probeaufnahmen ins
neue Studio der Backnanger Klinik. Plötzlich ging das
Rotlicht an – und er war auf Sendung. In diesem Augenblick war Hans-Jürgen Finger nicht mehr nur Personalsachbearbeiter. Man kann sich das vorstellen wie bei
Fantomas, der die Maske des Alltags herunterreißt und
sein wahres Gesicht zeigt.
Finger ist ein liebenswürdiger Fantomas. Als Ehrenamtlicher opfert er jede Woche fast zwölf Stunden für
Radio 88, wie der Klinikfunk heißt. Freitags macht er
von 19 Uhr an mit seinem Team im Waiblinger Krankenhaus das Wunschkonzert, erfüllt am Abend bis zu
fünfzig Patientenwünsche. Sie reichen von den Kastelruther Spatzen bis zu den Scorpions. Samstags sendet
er morgens von Backnang aus ein Wunschkonzert und
abends von Waiblingen den »Nachtexpress«. Beschallt
werden immer beide Häuser. »Das sind 700 potenzielle
Hörer«, sagt er.
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Ausgezeichnete Beiträge
Fast 20 Mitarbeiter hat der Autodidakt in seinem Team,
und sie alle sind unentgeltliche Dienstleister, die für
Menschen senden, denen es nicht so gut geht. Die meisten Patienten verlassen das Hospital nach wenigen
Tagen und hören ihnen vielleicht nur einen Abend zu.
Trotzdem verteilen die Freiwilligen weiter Wunschzettel und rufen während ihrer Sendungen am Krankenbett an, ganz egal, wer dort liegt. Es wird nicht nur eine
Sprache im Krankenhaus gesprochen, und die Radiomacher suchen nach der, die jeder versteht.
Manchmal gelingt es dem Moderator Finger, neue Gedanken zu zaubern, die zu Trost werden. Er selbst tröstet sich in stillen Momenten über die Flüchtigkeit seines
Geschäfts mit der Gewissheit hinweg, dass im Leben
nicht nur zählt, was sich auszahlt. Er macht das alles für
sich – und für die anderen. Für jene, die eine Nacht bleiben, für chronisch Kranke, die Stammhörer sind, und
für Silvia Sturm aus Weinstadt. Die Telefonistin arbeitet
seit 1979 im Waiblinger Krankenhaus und gehört zu
den Fans der ersten Stunde. »Ich freue mich auf jede
Sendung«, sagt sie. Sie mag seine Geschichten zu den
Musiktiteln. »Es ist unglaublich, was der alles weiß.«
Hans-Jürgen Finger lächelt. »Es kommt auch einiges
zurück«, sagt der Radiosüchtige, der es bedauert, dass
die Menschen sich nicht mehr um Grammofone und
Volksempfänger versammeln wie weiland die Urahnen
um die Feuerstellen. Es würde sich lohnen, meint er.
Für mache hat es sich gelohnt, und deshalb schicken sie
ihm noch immer Briefe, obwohl sie längst wieder zu
Hause sind. Einmal hat ihm ein Patient, der nach Thailand ausgewandert ist, Bananen zukommen lassen,
einmal stand eine Patientin mit Kartoffelsalat vor dem
Studio, und einmal hat er durchs Plaudern zwei frühere
Nachbarinnen zusammengebracht. Die eine lag in
Backnang und die andere in Waiblingen. Auch so was
gibt es.
»Manchmal spürt man im Keller die Einsamkeit«, sagt
Hans-Jürgen Finger. Besonders an Weihnachten. Über
die Feiertage macht er schon seit Jahren Dienst. Wenn
es ganz schlimm wird, blättert er in seinem dicken Gästebuch und erinnert sich an gelungene Sendungen mit
Moderatoren und Schlagerstars, die seiner Einladung
vors Mikrofon im Krankenhaus gefolgt sind: Heinz
Kilian, Jens Bogner, Peter Barkow, Günther Freund,
Uwe Hübner, Frieder Berlin und Ruth Mönch. Letztere
war ganz aus dem Häuschen. »Kerle«, hat sie gesagt, »du
g‘hörsch zum Rundfunk.«
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Das andere Leben
Die Engagierten (8): Barbara Metelmann und ihr Amateurtheater
STUTTGART. Ein Drittel aller Deutschen leistet in der
Freizeit ehrenamtliche Hilfe. Die Engagierten sind der
Kitt der Zivilgesellschaft – und bleiben doch weit gehend unbeachtet. Einige von ihnen porträtiert die
Stuttgarter Zeitung in einer Serie.
Von Thomas Faltin
Wer kann schon von sich behaupten, er habe seinen
Lebensweg frei gewählt? An dieser oder jener Biegung
des Lebens hat doch in jeder Biografie der Zufall, das
Schicksal, die Weltgeschichte die Finger im Spiel gehabt. Bei Barbara Metelmann, der Leiterin des Filderstädter Amateurtheaters Die Eulen, ist das nicht anders,
schon deshalb, weil sie ein Kriegskind ist. Schauspielerin wäre sie gerne geworden, Dramaturgin oder Regisseurin – doch nichts von alledem: Zuletzt leitete sie, vor
ihrer Pensionierung, ein kleines Unternehmen für Kontaktlinsen in Stuttgart.
Ausgezeichnete Beiträge
Dabei war ihre Leidenschaft fürs Theater quasi angeboren. Schon mit fünf Jahren, das war 1942, hatte die kleine Bärbel ein Stück geschrieben und es mit anderen
Kindern aufgeführt, zur Gaudi der Erwachsenen. Jedoch, die »graue, geduckte Kriegszeit« ließ wenig Raum
für literarische Höhenflüge. Und da der Vater früh
starb, wollte sie es der Mutter nicht zumuten, sich auf
ein so unsicheres Fach wie die Theaterei zu kaprizieren. Aber vielleicht ist gerade dies ja das tiefere Geheimnis der vielen Engagierten im Land: Es gelingt
ihnen, in diesem Leben auch noch ein anderes zu leben,
die andere Dimension in ihr Dasein zu integrieren,
gerade indem sie sich neben ihrem Beruf im Sozialen,
im Sport oder in der Kultur für andere einsetzen.
Jedenfalls macht das Theater Barbara Metelmann
glücklich, und das schon 27 Jahre lang. Umgekehrt
macht Barbara Metelmann die Filderstädter glücklich:
Jedes Jahr schauen sich mehr als 1000 Menschen die
neue Produktion an; die Gruppe mit ihren 30 Theaterverrückten ist aus der Kulturszene auf den Fildern
nicht mehr wegzudenken.
Die Anfänge der Truppe waren äußerst bescheiden.
Nach der Gründung der Eulen im Jahr 1979 mussten die
tapferen Amateure lange in zugigen Scheunen proben,
jeden Scheinwerfer selbst basteln und »wie die Kinder
Israels« auf der Suche nach einer Spielstätte durchs
Land tingeln. Einmal wären sie dabei fast verhaftet
worden. Anfang der 80er-Jahre, als die Furcht vor der
Rote-Armee-Fraktion noch groß war, holte sie die Polizei mit dem Maschinengewehr im Anschlag aus einem
Bunker raus: Den hatte die Gruppe regulär für 20 Mark
im Monat gemietet und war gerade dabei, Fenster auf
die Betonwände zu malen. Nachbarn aber hielten sie
für Terroristen im Unterschlupf.
Bis heute halten sich die Eulen im Untergrund auf. Filderstadt hat ihnen schon vor mehr als 20 Jahren einige
Kellerräume in der Weilerhauschule in Plattenhardt
zur Verfügung gestellt. Weitere Zuschüsse gibt es nicht.
In einer Ecke steht noch der Tenderwagen der Mutter
Courage, die Barbara Metelmann 1989 gespielt hat. Und
der Probenraum ist ebenso klein wie die Bühne im benachbarten Musikpavillon, wo von November bis Januar das neue Stück aufgeführt wird. Bei mehr als sieben
Personen müsste die Bühne wegen Überfüllung geschlossen werden.
In diesem Jahr werden die Zuschauer das russische
Märchen »Der Feuervogel« zu sehen bekommen. In
wenigen Tagen, am 11. November, hat es Premiere – die
Familie bekommt Barbara Metelmann derzeit nicht
allzu häufig zu sehen. Denn mehrmals in der Woche
»dürfen«, wie Metelmann betont, die Schauspieler,
Techniker, Kostümschneider, Bühnenbildner und auch
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sie selbst als Regisseurin zur Probe ran. Stress? Die
robuste Frau, die ganz in sich zu ruhen scheint, winkt
ab: »Es ist doch wundervoll, aus nichts eine ganze Welt
entstehen zu lassen.« Und nach kurzem Nachdenken
fügt die 69-Jährige hinzu: »Es hält ungemein jung, kreativ zu sein.«
Tatsächlich gelingt es den Eulen fast jedes Jahr, sich aus
dem Muff der Kellerräume in lichte literarische Höhen
zu erheben. Denn Metelmanns Ansprüche sind hoch:
Wenn sie im Spätwinter zu Hause im Couchsessel Theaterstücke in sich hineinliest, um sie auf ihre Spielbarkeit für die Eulen hin abzuklopfen, lässt sie die vielerorts so beliebten Bauernschwänke links liegen, und
auch reine Boulevardkomödien kommen kaum in Frage. Denn Metelmann will ihre Zuschauer mehr als nur
unterhalten – sie will ihnen einen Gedanken ins Herz
setzen, ihnen eine Sehnsucht mit nach Hause geben.
So war es auch beim letztjährigen Stück von João
Bethencourt, das den Titel trug »Der Tag, als der Papst
gekidnappt wurde«. Vordergründig scheint es sich
dabei um eine skurrile Komödie zu handeln: Ein jüdischer Taxifahrer entführt Papst Clemens XVI. – der
fühlt sich in der Familie bald so wohl, dass er mit der
Hausfrau am Küchentisch Gurken schält. Hintergründig aber wird es ernst, ja pathetisch. Denn die Forderung des Taxifahrers lautet: Der Papst wird erst freigelassen, wenn auf der ganzen Welt einen Tag lang
Frieden herrscht. Clemens XVI. ist begeistert von dieser Idee.
Neben dem inhaltlichen Anspruch – auch Tschechow
und Ibsen standen schon auf dem Spielplan – legt das
Ensemble Wert auf ein hohes Niveau der Inszenierung:
»Wir machen jedes Jahr nur eine Produktion, aber die
ordentlich«, sagt Barbara Metelmann. Wie gut die Inszenierungen letztlich sind, mag Barbara Metelmann
nicht beurteilen, sie will sich nicht selbst loben. Die
Zuschauer aber bescheinigen dem Theater eine semiprofessionelle Qualität, weshalb viele immer wiederkommen. Zu den Dauergästen gehört die Ärztin Antje
Lindel aus Leinfelden-Echterdingen: »Das Niveau ist
ausgesprochen hoch, und die Atmosphäre ist bei jeder
Auff ührung fantastisch.« Seit 24 Jahren schon ist Lindel
fasziniert von dieser eingeschworenen Truppe.
Woher dieser Wunsch Barbara Metelmanns kommt,
über das Theater Werte wie Menschlichkeit und Toleranz zu vermitteln, weiß sie nicht genau – es müsse
wohl in ihren Genen liegen. Und doch, zwei Ereignisse
in ihrer Kindheit und Jugend haben ihre Wertvorstellungen entscheidend geprägt, und an beide erinnert sie
sich noch so lebhaft, als seien sie gestern geschehen.
Noch vor dem Krieg war die Familie Metelmann aus
Tschechien weggegangen und hatte sich in Degerloch
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Ausgezeichnete Beiträge
niedergelassen. Einmal, bei einem Bombenangriff auf
Stuttgart, hatten sich das Mädchen und ihr jüngerer,
vierjähriger Bruder zu weit von zu Hause entfernt – in
ihrer Panik klopften die beiden Kinder an der Tür eines
Bauernhofs und baten darum, mit in den Keller zu dürfen. Doch der Bauer schickte sie in barschem Ton weg:
Mit reingeschmeckten Flüchtlingen wolle er nichts zu
tun haben.
»Dieses Gefühl der Schutzlosigkeit hat sich damals tief
in meine Seele eingegraben«, erinnert sich Barbara
Metelmann – und auch die Wut auf Menschen, die andere nicht akzeptieren, nur weil sie anders sind. Ähnlich
war es auch beim zweiten Erlebnis, in den 50er-Jahren:
Bei einem Praktikum in England warf ein Bankangestellter sie lautstark und vor allen Leuten aus dem Gebäude. Ihr Vergehen: Sie wollte Mark in Pfund wechseln.
Bemerkenswert an Barbara Metelmann und an vielen
Engagierten ist aber: sie haben im Laufe ihres Lebens
gelernt, den Schmerz solcher Ereignisse nicht nach
innen zu richten, wo er an der Lebenskraft zehrt. Vielmehr nutzen sie ihn als Antrieb, um Dinge zu verändern. Und deshalb will Metelmann auf jeden Fall vor
dem Ende ihrer langen Amateurkarriere noch ein Stück
gegen Rassismus inszenieren. Max Frischs »Andorra«
oder Arthur Millers »Hexenjagd« können die Eulen
wegen der großen Besetzung nicht stemmen. Aber das
macht nichts. Denn die innere Kraftquelle Metelmanns
sprudelt auch mit 69 Jahren noch. Das geeignete Stück
wird kommen.
Die Serie, die einmal pro Woche erscheint, ist im Internet nachzulesen unter www.stuttgarter-zeitung.de/
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Zeit für Gefühle
Die Engagierten (9): Heidi Malzacher hilft Menschen in
Lebenskrisen
STUTTGART. Ein Drittel aller Deutschen leistet in der
Freizeit ehrenamtliche Hilfe. Die Engagierten sind der
Kitt der Zivilgesellschaft – und bleiben doch weit gehend unbeachtet. Einige von ihnen porträtiert die
Stuttgarter Zeitung in einer Serie.
Von Michael Ohnewald
Sie sitzt auf einem Stuhl: weiß. Vor ihr steht auf einem
kleinen Tisch eine Rose: rot. Heidi Malzacher trägt ein
Amulett: silber. Und sie erzählt von ihrem Seelenleben,
das lange Zeit nur eine Farbe hatte: schwarz.
Fast jeder hat Momente, in denen er an sich zweifelt. Sie
hatte viele solcher Momente, und sie führten in die
Depression. Sie war 39 Jahre alt, als es anfi ng. Jetzt ist
sie 59, und das größte Problem von Heidi Malzacher ist
nicht mehr Heidi Malzacher. Sie hat ihre Krise überwunden und etwas in sich erweckt, das so stark ist,
dass sie jetzt anderen helfen kann, die sich an den Arbeitskreis Leben in Stuttgart wenden, dessen Vorsitzende sie ist.
Wer Heidi Malzacher begegnet, der mag kaum glauben,
dass es bei ihr eine Zeit gegeben hat, die sie heute die
Hölle nennt. Um das zu erklären, muss sie in ihrer Biografie an den Anfang blättern. Sie war zwölf Jahre alt,
als die Mutter starb. Zurück blieben die Tochter, ihre
drei Brüder und ein Vater, den alle nur den Boss nannten. Der Boss hat ihr Leben bestimmt und keinen Zweifel daran gelassen, dass er von ihr erwartet, sich in den
Dienst der Familie zu stellen. Noch immer hat sie den
Satz des Pfarrers im Ohr, der dem Boss beipfl ichtete.
»Das war Gottes Wille«, hat er nach dem Tod ihrer Mutter gesagt, »und jetzt musst du die Männer versorgen.«
Ausgezeichnete Beiträge
Das hat sie getan, viele Jahre, und dann kam noch ihr
Sohn hinzu, den sie alleine großziehen musste. Als sie
39 Jahre alt war, schien ihr Leben eine Wende zu nehmen. Ihr Vater starb. Als er begraben war, da hat sie
gedacht: »Jetzt fängt mein Leben an.« Aber das war ein
Trugschluss. Nicht das Leben fi ng an, sondern die Krise. Sie fühlte sich ausgeladen von der Welt, und sie fühlte sich leer. Die Arbeit als Sekretärin wurde für die
Bürokauff rau zur Bürde. Immer stärker wuchs in ihr
die Angst, alleine zu sein. Sie war nicht allein, aber sie
fühlte sich allein mit ihren Ängsten. Irgendwann war
die Widerstandskraft gegen die Unzumutbarkeiten des
Lebens gebrochen. Ihre Familie, die zu ihr stand, konnte nicht helfen. Heidi Malzacher begab sich in die Obhut
von Ärzten. Das war ein erster Schritt.
1991 hat sie sich dem Arbeitskreis Leben anvertraut,
der Menschen aus der Ausweglosigkeit begleitet. Der
Verein ist aus der Telefonseelsorge hervorgegangen
und leistet seit mehr als zwanzig Jahren Hilfe bei Selbsttötungsgefahr und Lebenskrisen. Dieses Angebot ist
bitter nötig. In Deutschland sterben jährlich rund 11000
Menschen durch Suizid. Allein in Stuttgart haben sich
im vergangenen Jahr 80 Menschen selbst getötet.
Auch Heidi Malzacher war dem absichtsvollen Ende
ihres Lebens nahe. Sie hatte Momente, in denen sie
hilflos im Strom der eigenen Gefühle trieb, die sie hinunterzogen auf den Grund. Aber etwas in ihr ließ sie
schwimmen, immer weiter, und irgendwann erkannte
sie für sich und ihr verkorkstes Leben wieder eine Perspektive. Das hat lange gedauert. Jahre. Geholfen haben
ihr unzählige Gespräche, vor allem jene mit einer ehrenamtlichen Begleiterin des Arbeitskreises Leben. Sie
war eine Art Mutterfigur für sie, der sie alles sagen
konnte. »Ich habe dabei erkannt, dass diese Arbeit etwas ganz Wertvolles ist«, sagt Heidi Malzacher im
Rückblick.
Die Zeit der Aufarbeitung hat sie geprägt. Wenn es ihr
besser geht, so hatte sie sich damals vorgenommen,
wolle sie im Arbeitskreis selbst etwas tun. 1995 war es
so weit. Sie machte die Ausbildung zur ehrenamtlichen
Begleiterin von Menschen, die in Lebenskrisen sind.
Fast ein Jahr dauerte der Kurs. Die Teilnehmer trafen
sich einmal in der Woche mit den Profis und näherten
sich behutsam einem tabuisierten Thema.
Bei der Ausbildung hat Heidi Malzacher häufig in die
Kristallkugel des eigenen Ichs geschaut und eine Frau
erblickt, die früher das Leben aufgegeben hatte und
sich jetzt mehr vom Leben nimmt, die nicht mehr versucht, es allen recht zu machen, die Gefühle zulässt. Sie
ist gereift dabei und hat bei dem Kurs einen Mann kennen gelernt, der mehr für sie wurde als ein Freund. Mit
ihm lebt sie seit sieben Jahren zusammen.
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Nicht jede Krise endet mit einem neuen Lebensglück,
wie das bei ihr der Fall war. Aber es gibt auch diesen
Weg. Damit ihn mehr Menschen in Krisen fi nden, legt
sie sich für den Verein ins Zeug, an dessen Spitze sie
seit drei Jahren steht.
Heidi Malzacher, die als Sekretärin beim Diakonischen
Werk in Stuttgart arbeitet, nimmt ihr Ehrenamt ernst.
Sie bittet um Spenden für den Verein, sie organisiert
und macht sich Gedanken über die Zeit und ihre Erscheinungen. Es melden sich viele beim Arbeitskreis,
der drei Hauptamtliche beschäftigt und mehr als fünfzig Ehrenamtliche. Immer mehr sind es, die Angst haben vor Mobbing, die Stress haben im Beruf. »Die soziale Kälte nimmt in unserer Gesellschaft spürbar zu«,
sagt Heidi Malzacher. Und noch etwas treibt sie um:
»Uns fehlt die Zeit füreinander und uns fehlt das Gefühl.«
Sie spürt das bei ihren Gesprächen, und sie spürt es im
Alltag. »Mit Unterstützung der Gefühle unser Leben
gestalten, diese Fähigkeiten haben wir in großem Überfluss auf den Weg in dieses Leben mitbekommen«, sagt
Heidi Malzacher. »Wir nutzen diesen wunderbaren
Reichtum nur so wenig. In unserer Gesellschaft des
materiellen Überflusses herrscht absolute Gefühlsknappheit.«
Dieser Befund wird von Fachleuten wie Professor
Werner Felber von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention geteilt. Er schätzt, dass es in Stuttgart
jedes Jahr fast 50 000 Lebenskrisen gibt. Nur ein kleiner Teil der Betroffenen suche um Hilfe nach.
So wie Christine Miola-Wöhr. Die 46-jährige Stuttgarterin litt lange unter chronischer Übelkeit. Kaum ein
Tag verging, an dem ihr nicht schlecht war. Zehn Jahre
ist es jetzt her, dass sie sich an den Arbeitskreis wandte.
»Das Leben erschien mir nicht mehr lebenswert«, sagt
sie. Manchmal kreiste alles um eine Frage: »Welchen
Baum soll ich nehmen?«
Christine Miola-Wöhr machte am Ende einen Bogen um
die Bäume, was mit ihrem Willen zu tun hat und auch
mit einer Betreuerin, die wusste, wie das ist, wenn es
einem schlecht geht. Ein Jahr hat sich Heidi Malzacher
um die Frau gekümmert, sich mit ihr einmal pro Woche
ausgetauscht. Christine Miola-Wöhr profitierte von der
»Freundschaft auf Zeit«, und am meisten profitierte sie
von der reichen Erfahrung der Krisenberaterin.
»Das war für mich damals ein wichtiger Baustein«, sagt
Christine Miola-Wöhr, die heute offen über ihre existenzielle Lebenskrise reden kann, weil sie hinter ihr
liegt. »Die Übelkeit ist weit gehend verschwunden«,
sagt sie. »Und wenn sie doch mal wieder kommt, dann
nehme ich sie an, und halte ihr entgegen, dass ich sie
jetzt nicht brauchen kann.«
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Ausgezeichnete Beiträge
Heidi Malzacher lächelt, als sie diesen Satz hört. Die
Frau, die ihn ausspricht, war ihre erste Klientin. Jetzt
sitzen sie zusammen im Büro des Arbeitskreises an
einem kleinen Tisch, der am Fenster steht. Draußen
wird es langsam dunkel. Drinnen bleibt es hell.
Die Porträtserie ist im Internet nachzulesen unter
www.stuttgarter-zeitung.de/ehrenamt. Unter dieser
Adresse sind auch weitere Ehrenamtsagenturen aus
der Region aufgeführt. In der kommenden Woche endet
die Reihe.
Helfen ist auch gut für das Ego
Die Engagierten (Folge 10 und Schluss): Über die neue
Generation von Freiwilligen
STUTTGART. Ein Drittel aller Deutschen leistet in der
Freizeit ehrenamtliche Hilfe. Die Engagierten sind der
Kitt der Zivilgesellschaft – und bleiben doch weit gehend unbeachtet. Einige von ihnen hat die StZ in einer
Serie porträtiert. Zum Abschluss: ein Plädoyer für das
Ehrenamt.
Von Thomas Faltin
Richtig geärgert hat sich Martin Theurer damals, vor
fünf Jahren. Der Student hatte einen Sozialdienst angerufen, um sich ehrenamtlich zu engagieren, für vielleicht einen Nachmittag in der Woche. Doch erst wurde
er mehrfach weiterverbunden, bis er überhaupt sein
Anliegen vorbringen konnte. Dann wusste die verantwortliche Dame nichts Rechtes mit ihm anzufangen und
fuhr ihn schließlich zu einem älteren Ehepaar. Dort war
die bettlägrige Frau so ängstlich, dass ihr Mann nicht
einmal zum Einkaufen das Haus verlassen konnte. Martin Theurer half aus. Doch niemand wies ihn in die Aufgabe ein, und dem Ehemann war die Hilfe so peinlich,
dass er Theurer jedes Mal zehn Mark zusteckte. Nach
drei Nachmittagen schlief die Sache ein. Und alle hatten
ein ziemlich blödes Gefühl.
Yvonne Schütz, die Chefi n der Stuttgarter Freiwilligenagentur, zuckt bei solchen Geschichten mit den Schultern: Noch immer könnten motivierte Menschen an
eine Einrichtung geraten, die gar nicht auf Freiwillige
eingestellt sei und deshalb rat- und kopflos reagiere.
Doch vielerorts werden die Ehrenamtlichen mittlerweile professionell betreut – zum Beispiel in Stuttgart. Heute hätte Martin Theurer andere Möglichkeiten. In der
Online-Datenbank der Freiwilligenagentur könnte er
aus 600 Angeboten wählen. Wenn ihm die Wahl schwer
fiele, könnte er ein Beratungsgespräch mit Yvonne
Schütz vereinbaren. Im Pflegeheim der Caritas, für das
er sich entscheiden könnte, fände er einen eigens abgestellten Mitarbeiter, der Freiwillige begleitet. Und in
der städtischen Freiwilligenakademie »Free« könnte er
sich fortbilden. Kurzum: alle sind vorangekommen – die
Einrichtungen, die vermittelnden Kommunen und irgendwie auch die Freiwilligen selbst.
Vor allem größere Sozial-, Sport- und Umweltverbände
können es sich heute gar nicht mehr leisten, engagierte
Freiwillige zu verlieren. Schließlich müssen viele Einrichtungen kräftig sparen. Die meisten Vereine und
Verbände haben deshalb kräftig in die Anwerbung und
Ausbildung von Ehrenamtlichen investiert. Umgekehrt
stellen auch die Helfer mittlerweile Bedingungen und
wollen auf ihre Aufgabe vorbereitet werden. Auch das
ist ein Zeichen der Zeit. Beim Arbeitskreis Leben, der
sich um Menschen in Krisen kümmert, werden die Anwärter fürs Ehrenamt fast ein Jahr lang geschult. Freiwillige wollen zudem heute Verantwortung übernehmen und mitreden können, wie Wilhelm Krauspe, der
ein Arbeitsprojekt für Menschen mit Behinderungen
auf die Beine gestellt hat. Seine Einwürfe und Querschüsse sind manchmal unbequem für die Werkstatt
Ausgezeichnete Beiträge
für behinderte Menschen in Albstadt-Lautlingen – aber
gerade deswegen kommen häufig neue Ideen heraus.
Krauspe gehört zu den Engagierten, die in den vergangenen Wochen in der Ehrenamtsserie der Stuttgarter
Zeitung vorgestellt worden sind. Neun unentgeltliche
Dienstleister haben wir an dieser Stelle porträtiert. Sie
alle haben berichtet, dass sie bei ihrer Aufgabe geben
und nehmen, dass sie durch ihr unbezahltes Amt ungemein bereichert werden, ohne sich dabei zu stark gebunden zu fühlen.
Denn Freiwillige wollen heute die Gewissheit haben,
dass sie nicht bis an ihr Lebensende verpfl ichtet sind.
Wer früher einmal zum Kassenwart des Hundesportvereins gewählt war, entkam dem Ehrenamt oft zeit
seines Lebens nicht mehr. Heute bevorzugen viele Menschen zeitlich befristete Projekte, die häufig nicht einmal mehr an einen Verein gebunden sind: Mark Pollmann, einer der hier vorstellten Ehrenamtlichen, gießt
in heißen Sommern die Stadtbäume seines Viertels,
ohne sich überhaupt mit offiziellen Stellen abzusprechen. Die Vorstellung, er müsste einmal pro Woche zum
Gruppenabend eines Umweltvereins, ist ihm ein Graus.
Diese neuen Formen haben aber nichts an einer alten
Weisheit verändert: Die Freiwilligen sind der Kitt der
Zivilgesellschaft – ohne sie wären viele wichtige Angebote nicht möglich, sei es das Mittagessen aus der
Schulküche oder der Schutz der Feldlerche auf den
letzten freien Fluren Stuttgarts. Man darf deshalb
schon ein bisschen pathetisch werden: Letztlich kann
ein demokratisches und solidarisches Gemeinwesen
nur gedeihen, wenn möglichst viele Bürger in ihrem
Lebenskreis Verantwortung für sich und andere übernehmen. Anpacken statt immer nur jammern, das ist
das Lebensmotto dieser Menschen. Diese in finanzieller, vor allem aber in ideeller Hinsicht unschätzbare
Bedeutung der Freiwilligen haben natürlich auch die
Kommunen längst erkannt und sind endlich bereit, Zeit
und Geld in die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zu pumpen. Auch kleine Städte wie Ostfi ldern leisten sich mittlerweile eine Freiwilligenagentur,
die »Jobs« vermittelt. Stuttgart hat zuletzt für seine
Agentur einen Innovationspreis erhalten.
Das bedeutet allerdings keineswegs, dass in der Landeshauptstadt allerorten eitel Sonnenschein herrscht.
Die jüngste Bürgerumfrage zum Ehrenamt hat erst
vor wenigen Wochen ergeben, dass die Zahl der Engagierten gegenüber 1999 sogar leicht zurückgegangen
ist. Während sich vor sieben Jahren noch 24 Prozent
aller Bürger über 18 Jahren in der Kirchengemeinde,
Schule oder im Sportverein engagierten, sind es derzeit
nur noch 21 Prozent, was aber immer noch mehr als
100000 Menschen in Stuttgart entspricht.
57
Erklären lässt sich das mit gesellschaftlichen Veränderungen, die sich allmählich gerade in Großstädten wie
Stuttgart bemerkbar machen. So wissen die Ehrenamtsforscher längst, dass Engagement ein Luxusgut ist,
sprich: wer in gesicherten fi nanziellen und familiären
Verhältnissen lebt, ist eher bereit, etwas für andere zu
tun. Die hohe Arbeitslosigkeit drückt deshalb die Zahl
der Freiwilligen. Auch über kirchliche Jugendverbände
wie die Pfadfi nder werden heute nicht mehr so viele
junge Menschen zur täglichen guten Tat animiert – die
Säkularisierung mit ihrer Masse an Kirchenaustritten
fordert Tribut. Und auch die Trends der Vereinzelung,
des berufl ichen Nomadentums und das Aufkommen
der geburtenschwachen Jahrgänge sind Bedrohungen
für die solidarische Gesellschaft.
Doch wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Die
Stuttgarter Umfrage beweist nämlich ebenfalls, dass
immer mehr Menschen bereit wären, sich zu engagieren – wenn nur die Rahmenbedingungen stimmen würden. Tatsächlich kreuzten im Jahr 1999 lediglich 24
Prozent an, dazu bereit zu sein, jetzt sind es 34 Prozent.
Nicht nur die Vereine und Einrichtungen müssen sich
also noch stärker anstrengen, um Freiwillige besser
einzubinden, auch die Politik ist gefordert. Dabei geht
es natürlich wieder einmal ums liebe Geld. Zwar spielt
die fi nanzielle Entschädigung für die meisten Freiwilligen keine wichtige Rolle – sie machen es, mit voller Absicht, um Gottes Lohn. Dennoch könnten fi nanzielle
Anreize den Freiwilligenprojekten einen Schub vermitteln. So könnten deutlich mehr Vereine interessierte
Menschen an sich binden, wenn sie sich einen Ehrenamtsbeauftragten leisten könnten. Und sicherlich wären mehr arbeitssuchende Menschen an einer freiwilligen Arbeit interessiert, wenn es ihnen aus ihrer
Hartz-IV-Düsternis heraushelfen würde.
Manche Vordenker, wie der Esslinger Wirtschaftscoach
Helmuth Beutel, gehen sogar noch einen Schritt weiter:
Wenn man allen Menschen ein Bürgergeld zahlte, würden unglaubliche Kapazitäten an Hilfe frei, glaubt er.
Denn bisher sind arbeitslose Menschen zur beständigen, aber oft sinnlosen Jobsuche verdammt und geraten
deshalb in eine Abwärtsspirale. Mit dem Bürgergeld
könnten sie sich lösen von der Fixierung auf einen bezahlten Job und sich emotional und zeitlich einer freiwilligen Tätigkeit zuwenden.
Zukunftsmusik? Für die SPD-Bundestagsabgeordnete
Ute Kumpf, die im Bundestag in der Enquetekommission zum ehrenamtlichen Engagement saß, ist das in der
Tat so. Sie hält gar nichts von einem Bürgergeld, weil
»sonst das bürgerschaftliche Engagement einer Ökonomisierung unterworfen« würde. Die Selbstlosigkeit als
grundlegendes Merkmal der freiwilligen Hilfe ist für
58
Ausgezeichnete Beiträge
sie in Gefahr. Ute Kumpf betont aber, dass die Politik
dennoch viele Möglichkeiten habe, das Umfeld zu verbessern. So müsse das Gemeinnützigkeitsrecht verändert werden, damit der störrische Amtsschimmel in
Notariaten und Kommunen den Tatendrang der Engagierten nicht bremst. Das Haftungsrecht müsse weiterentwickelt werden, weil noch immer viele Engagierte
mit einem Bein im Gefängnis stehen – im schlimmsten
Fall haften sie persönlich. Und auch der Zugang für
Migranten in die gemeinnützige Gesellschaft müsse
verbessert werden. So hängt es auch von den Niederungen des Vereinsrechts ab, ob Menschen zu Höhenflügen der Solidarität aufbrechen können.
Daneben wird der Spaßfaktor und die Möglichkeit zur
Selbstverwirklichung immer wichtiger. Den Begriff
»Ehrenamt« können die meisten Engagierten deshalb
nicht mehr hören: »Ich empfi nde meine Arbeit weder
als Ehre noch als Amt«, sagt beispielsweise Barbara
Metelmann, die seit 27 Jahren eine Theatergruppe in
Filderstadt leitet. Vielmehr zieht sie selbst großen Gewinn aus ihrer Aufgabe: Es macht ihr Spaß, ungelebte
Seiten ihrer Persönlichkeit als Schauspielerin und Regisseurin auszuprobieren.
Spielerisch andere Identitäten annehmen und andere
Denkweisen erkunden – dies triff t nicht nur auf Engagierte beim Theater zu. Fast immer sind engagierte
Menschen vielschichtig, mehrdimensional, tiefsinnig
in ihrem Charakter und in ihrem Denken. Wer wie
Hans-Jürgen Finger für die Patienten des Krankenhauses Radio macht oder wer wie Uwe Bodmer als Jobpate arbeitslosen Menschen wieder Mut zu machen
versucht, der lernt andere Lebenswelten kennen und
versteht fremde Perspektiven. Das Engagement bereichert so die eigene Persönlichkeit.
Kein Wunder also, dass viele Freiwillige beeindruckende Menschen sind. Sie besitzen Leidenschaft, Verstand,
Mut und Einfühlungsvermögen – und sind so letztlich
Vorbilder. Davon können wir in unserer orientierungslosen Welt gar nicht genug haben.
Die ganze Serie ist im Internet nachzulesen unter www.
stuttgarter-zeitung.de/ehrenamt.
Anhang
59
Ausschreibung 2007
Die Robert Bosch Stiftung ist eine
der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in Deutschland.
Seit 1993 unterstützt sie bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt, um zur Entwicklung einer
lebendigen Demokratie beizutragen.
Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement und MarionDönhoff-Förderpreis der Robert
Bosch Stiftung
Die Preise, mit denen Journalisten
für hervorragende Pressebeiträge
zum Thema »Bürgerschaftliches
Engagement« ausgezeichnet werden, sollen die Autoren wie auch die
Akteure ehren. Sie tragen dazu bei,
die öffentliche Wahrnehmung von
bürgerschaftlichen Initiativen für
das Gemeinwohl zu erhöhen und
Leser zu eigenem Engagement anzuregen. Ausgezeichnet werden
Berichte, Reportagen oder Kommentare, die beispielhaft darstellen
und fragen, wie und warum Menschen für sich und für andere freiwillig Verantwortung übernehmen.
Teilnahmeberechtigt sind Redakteure aller Ressorts, besonders
auch Lokalredakteure, und freie
Journalisten. Chefredakteure und
Ressortleiter sind eingeladen, Artikel vorzuschlagen.
Der Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement ist mit
5000, 3000 und 2000 Euro dotiert.
Ein Sonderpreis von 5000 Euro
wird für Serien vergeben. Junge
Journalisten bis 30 Jahre nehmen
gleichzeitig am Wettbewerb um den
Marion-Dönhoff-Förderpreis teil.
Dieser ist mit 3000 Euro dotiert.
Die Arbeiten für beide Preise müssen zwischen dem 16. August 2006
und dem 15. August 2007 in
deutschsprachigen Zeitungen oder
Zeitschriften erschienen sein.
Einsendeschluss ist der 16. August
2007.
Detaillierte Informationen zu Teilnahmebedingungen und Inhalt der
Beiträge fi nden Sie unter
www.bosch-stiftung.de/
journalistenpreis.
Robert Bosch Stiftung GmbH
Journalistenpreis
Heidehofstraße 31
70184 Stuttgart
Telefon: 0711/460 84-59
Telefax: 0711/460 84-10159
[email protected]
www.bosch-stiftung.de
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Anhang
Programm
Preisverleihung 8. Dezember 2007
Die Robert Bosch Stiftung lädt ein zur
Verleihung des Journalistenpreises 2007
Bürgerschaftliches Engagement
Samstag, 8. Dezember 2007, 11.00 Uhr
Robert-Bosch-Haus, Heidehofstraße 31, Stuttgart
Begrüßung
Dieter Berg, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch Stiftung
Vortrag
»Journalisten bewegen?!«
Christina Rau, Berlin
Würdigung der Preisträger durch die Mitglieder der Jury
Übergabe der Preise und Urkunden
Dr. Kurt Liedtke, Vorsitzender des Kuratoriums der Robert Bosch Stiftung
Empfang
Anhang
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Preisträger 1998 bis 2006
Preisträger 1998
1. Preis: Eric Breitinger
»Ein Spiel, bei dem viele gewinnen«
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 28. August 1998
2. Preis: Petra Pinzler
»Warme Suppe, gute Laune«
Die Zeit, 5. Dezember 1998
3. Preis: Kathrin Haasis
»Ein Traumjob, leider unbezahlt«
Südwest Presse,
20. September 1998
Juniorenpreis: Kerstin Humberg
»Hilfe konkret«
Kirche und Leben, Vechta,
26. Juli bis 30. August 1998
Serienpreis: Rainer Laubig
»Türe auf für das Ehrenamt«
Esslinger Zeitung, 1. bis 24. Dezember 1997
3. Preis: Magnus Reitiger und
andere jugendliche Autoren
Sonderseite »Wir tun was!«
Weilheimer Tagblatt,
11. November 1998
3. Preis: Frank Olbert
»Vom Untergang der rüden
Schwimmmeister«
Kölner Stadt-Anzeiger,
14. April 2000
Marion-Dönhoff-Förderpreis :
Daniela Steffgen
Beiträge zur Serie »Katholische
Soziale Dienste in Wittlich«
Trierischer Volksfreund,
Juli/August 1999
Marion-Dönhoff-Förderpreis:
Maz-Jugendredaktion
Doppelseite »Aktiv für Andere«
Michael Hassenberg, Christian
Heinig, Philipp Hochbaum, Konstantin Görlich, Nicole Schmidt,
Sylvia Schmidt, betreut von
Frank Pechhold
Märkische Allgemeine Zeitung,
Lokalredaktion Königswusterhausen, 22. September 2000
Serienpreis:
Lokalredaktion der Frankfurter
Rundschau
Martin Feldmann, Helga Franke,
Uta Grossmann, Walter Keber,
Mae von Lapp, Juliane Mroz,
Jochen Notrott, Tobias Schwab,
Barbara Simon, Dorothe Stuhl,
Frank Tekkilic
Sonderdruck/Beiträge zum
Ehrenamt
Frankfurter Rundschau,
Juli 1999 bis September 1999
Serienpreis:
Idee, Konzeption und Umsetzung
Vera Fischer
»Das Ehrenamt«
Berliner Morgenpost, Februar 2000
bis Mai 2000
Preisträger 2001
Preisträger 1999
Preisträger 2000
1. Preis: Rainer Jung
»Der herrlichste Job der Welt«
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 3. September 1999
2. Preis: Annette Jensen
»Arbeitslos und doch voll beschäftigt«
Süddeutsche Zeitung, 12./13. Dezember 1998
3. Preis: Stefan Becker
»Lachen ist die beste Medizin«
Morgenpost am Sonntag,
5. Mai 1999
1. Preis: Antje-Maria Lochthofen
»Es ist Zeit« und »Eine Liebe fürs
Leben«
Thüringer Allgemeine, 12. August
2000 und 16. September 2000
2. Preis: Dorothée Stöbener,
Ute Eberle
»Gutes tun mit Gewinn«
Die Zeit, 21. September 2000
1. Preis: Christian Otto
»Einer für alle«
Hannoversche Allgemeine Zeitung,
31. März 2001
2. Preis: Bernd Hauser
»Schutzengel der Savanne« und
»Kampf gegen den großen Frust«
Frankfurter Rundschau, 8. Oktober
2000 und 13. Januar 2001
3. Preis: Sannah Koch
»Jobs für Junkies«
Die Woche, 24. August 2001
62
Anhang
Marion-Dönhoff-Förderpreis:
Nachrichtenagentur Sinnflut
Jugendseite »Politisch kann man
auch ohne Partei sein«
Philipp Eichenhofer, Camille
L’Hermitte, Cigdem Ipek,
Anja Tangermann, betreut von
Irmela Bittencourt
Berliner Morgenpost, 26. März 2001
1. Serienpreis:
Idee, Konzeption und Umsetzung
Udo B. Greiner
Mitarbeiter
Alexander Beckmann, Detlef
Czeninga, Wolfgang Hörmann,
Renate Zunke
»Unser Jahr des Ehrenamtes«
Erlanger Nachrichten, Januar 2001
bis September 2001
2. Serienpreis:
Idee, Konzeption und Umsetzung
Martin Lugauer
Mitarbeiter: Redakteure der Zeitungsgruppe Lahn-Dill
»Ehrenamt? Ehrensache!«
Zeitungsgruppe Lahn-Dill,
Januar 2001 bis August 2001
3. Serienpreis:
Idee, Konzeption und Umsetzung
Wolfgang Hörmann
Mitarbeiter
Redakteure der Lokalredaktion
Kyritzer Tageblatt
»Ehrenamt«
Kyritzer Tageblatt, Januar 2001 bis
September 2001
Preisträger 2002
Preisträger 2003
1. Preis: Peter Rutkowski
»Ohne uns wäre das Mädchen heute
vom Kinn abwärts gelähmt«
Frankfurter Rundschau,
15. November 2001
1. Preis: Sibylle Thelen
»Bürger vor«
Wochenendbeilage »Brücke zur
Welt«
Stuttgarter Zeitung,
30. November 2002
2. Preis: Birgit Schlieper
Sonderseite »Die Ehrenamtsbörse«
Lüdenscheider Nachrichten,
3. August 2002
2. Preis: Johannes Fischer
»Die Ehre des Homo Hormersdorf«
Freie Presse, 25. April 2003
3. Preis: Hansjosef Theyssen
Mehrere Artikel zum Thema
»Ehrenamtliche Tätigkeit«
Neue Bildpost, November 2001 bis
August 2002
3. Preis: Renate Iffland
»Fit fürs Leben und nein zur Sucht«
Saarbrücker Zeitung, Wochenzeitung für das Köllertal,
5. März 2003
Marion-Dönhoff-Förderpreis:
Elisabeth Otte
»Der Lohn besteht aus Lob und
Dankbarkeit«
Lingener Tagespost, 27. Oktober
2001
Marion-Dönhoff-Förderpreis:
Constanze Kindel
»Der Tod eines Kindes ist kein
Tabu«
Frankfurter Neue Presse/Höchster
Kreisblatt, 6. November 2002
1. Serienpreis:
Redaktionen der Braunschweiger
Zeitung
Chefredakteur Paul-Josef Raue
»Gemeinsam – Wie sich Bürger engagieren«
Braunschweiger Zeitung,
Juni 2002 bis September 2002
Serienpreis:
Redaktion der Ostthüringer
Zeitung
Ressort Thüringen/Wirtschaft
vertreten durch
Wolfgang Schütze (stellv. Chefredakteur)
»Aktiv im Ehrenamt«
Ostthüringer Zeitung, 10. März
2003 bis 8. September 2003
2. Serienpreis:
Redaktion der Leonberger Kreiszeitung
Chefredakteur Karl Geibel
»Aktiv-Bürger«
Leonberger Kreiszeitung, September 2001 bis August 2002
Anhang
Preisträger 2004
Preisträger 2005
Preisträger 2006
1. Preis: Kai M. Feldhaus,
Johannes Strempel
»Essen ist fertig – ein Tag bei den
Rittern der Tafelrunde«
Berliner Illustrirte Zeitung, Sonntagsbeilage der Berliner Morgenpost, 1. Februar 2004
1. Preis: Hedwig Gafga
»Schlaue Kerle, das sind sie beide«
Chrismon, Juni 2005
1. Preis: Freia Peters
»Nesta und Podolski«
Welt am Sonntag, 14. Mai 2006
2. Preis: Michael Netzhammer
»Ein herzliches Haus«
Rheinischer Merkur, 28. April 2005
»Trautes Heim, Glück vereint«
Badische Zeitung, 30. Juli 2005
»Oma Hubbuch mag am liebsten
Remmidemmi«
Stuttgarter Zeitung,
9. September 2005
2. Preis: Jens Schröder
»Gemeinsinn – Der Aufstieg des
Guten«
GEO 12/2005
2. Preis: Andreas Speen
»Schulprojekt Burkina Faso«
Rheinische Post, 2. Juli 2004
3. Preis: Kristina Maroldt
Themenseite »Helfer im Hintergrund«
Sächsische Zeitung,
15. August 2004
Marion-Dönhoff-Förderpreis:
Claudia Sebert
»Stricken und Sammeln fürs Allgemeinwohl«
Frankenpost, 7. November 2003
Serienpreis:
Lutz Würbach, Heidi Pohle
»Der Esel, der auf Rosen geht«
Mitteldeutsche Zeitung, Lokalredaktion Halle, 17. Januar bis
22. März 2004
3. Preis: Antonie Rietzschel,
Peter Stawowy
»Engagiert gegen dumpfe Parolen«
Spiesser – die Jugendzeitschrift,
Dezemberauflage 2004
Marion-Dönhoff-Förderpreis:
Daniel Boese
»Das Radio, das die Mark erschüttert«
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 8. Mai 2005
Serienpreis:
Camilla Härtewig, Lena Rehmann
»Jetzt erst recht!«
Rhein Zeitung/Öffentlicher Anzeiger, 10. bis 24. Dezember 2004
Serienpreis:
Hubert Grundner, Thomas
Kronewitter, Andrea Schlaier, Wolfgang Schmidt
»Eigentum verpfl ichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition«
Süddeutsche Zeitung, 2. August bis
8. September 2005
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3. Preis: Gabriele Bärtels
»Aufheben ohne viel Aufhebens«
Der Tagesspiegel, 4. Oktober 2005
Serienpreis:
Anne Klesse,
Miriam Opresnik (verantwortlich),
Diana Zinkler
»Die Hamburg stark machen«
Hamburger Abendblatt, 4. Januar
bis 22. Mai 2006
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Impressum
Herausgegeben von der
Robert Bosch Stiftung GmbH
Verantwortlich
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Gestaltung
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Druck
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Copyright 2007
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