als PDF - Katharina von der Leyen

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EXPERTEN-TALK [3]
Was prägt
fürs Leben?
Fotos: ruth markus Text: katharina von der leyen
Mit acht Wochen sollte ein Welpe ins neue Heim umziehen,
und: früh gemachte Erfahrungen formen das Wesen unserer
Schützlinge für immer. So galt es lange Jahre unter Hundeleuten. Doch in verkrustete Weisheiten kommt Bewegung.
Experten über eine Sozialisierung, die jeden Taps stark macht
ALLTAG ÄNDERT SICH:
Wenn sich ein älteres
Ehepaar bewusst eine
ruhige Rasse aussucht –
aber der Welpe hat vom
Züchter gelernt, gefordert
zu werden und ganz wach
zu sein, klaffen die
Erwartungshaltungen von
Mensch und Hund
auseinander, und es kann
zu Problemen kommen,
weiß Hundetrainerin
Gaby Abels aus Erfahrung.
[4] EXPERTEN-TALK
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HUNDE-EXPERTEN DISKUTIEREN BEI DOGS
1. Trainerin Gaby Abels,
5. Hundetrainer Thomas Baumann
2. Trainerin Clarissa von Reinhard
6. Hundetrainerin Ina Baumann
3. Talk-Leitung, Katharina von der Leyen
7. Hundetrainer Jan Nijboer
4. Trainerin Dr. Barbara Schöning,
8. Kynologin Dr. Dorit Feddersen-Petersen
KATHARINA VON DER LEYEN FÜR
DOGS: Das Wissen um „Sozialisierung und
Prägung“ gilt als Pflichtprogramm für Hundezüchter und Welpenbesitzer, aber wenn
man z.B. „Prägung“ im Internet eingibt,
kommt man auf zwölf verschiedene Definitionen. Geht das etwas verständlicher?
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN: Das
Wort „Prägung“ würde ich nicht auf Hunde
anwenden – eher „prägungsähnliche Lernprozesse“. Das Wort wurde von Konrad Lorenz „geprägt“ und bezieht sich auf einen
sehr kurzen Lernvorgang bei Vögeln, der irreversibel ist. Dagegen ist prägungsähnliches
Lernen von Welpen keineswegs unumkehrbar. Wir wissen, dass es bei den einzelnen
Rassen Unterschiede gibt, aber bisher nur
nicht genau, wann man diese Unterschiede,
statistisch abgesichert ansetzen kann – Tendenzen hingegen sind bekannt.
JAN NIJBOER: Prägung bedeutet aber auch,
dass man geprägt wird, sich also merkt, wer
zu meiner sozialen Matrix dazugehört. Das
Einprägen ist ein kurzer, oberflächlicher
Lernvorgang – man „prägt sich z.B. eine Telefonnummer ein“. Ich möchte das also
durchaus Prägung nennen, denn diese Lernvorgehensweise ist beim Hund sehr wohl
und schon recht frühzeitig vorhanden. Auch
in der menschlichen Entwicklung gibt es Erfahrungen in der Jugend, die man nicht zurückdrehen kann. Das kann sehr wohl viel
vom Verhalten beeinflussen.
FEDDERSEN-PETERSEN: Trotzdem ist der
Begriff der Prägung biologisch betrachtet
falsch. In kleinen Teilen mag das, was Du
sagtest über die soziale Matrix richtig sein.
Aber insgesamt gesehen ist das Lernvermögen, sind damit auch Säugetiere sehr flexibel
und anpassungsfähig.
DR. BARBARA SCHÖNING: Ich würde
auch lieber vom „prägungsähnlichen Lernen“ sprechen. Die neuroethologische Forschung zeigt ja auch, dass da wirklich
schwimmende Grenzen sind.
NIJBOER: Wolfsexperten sagen, dass man
bei der Aufzucht von Wölfen sehr frühzeitig
anfangen muss – wenn man da zu spät ist,
dann ist keine extreme Bindung mehr möglich. Diese Prinzipien sind wichtig und lassen sich nicht bis ins Unendliche verlängern.
FEDDERSEN-PETERSEN: Hunde lernen
ungeheuer viel und sind nicht wie Wölfe
darauf angewiesen, in einer bestimmten Zeit
in einer Gruppe aufzuwachsen und sich
dort einzuleben – diese größere Offenheit
ist durch die Domestikation bedingt.
SCHÖNING: Heute sind sich Wissenschaftler einig, dass man den Hund endlich als eigene Spezies diskutieren und nicht mehr
permanent mit dem Wolf vergleichen soll.
GABY ABELS: Zu mir kommen Kunden, die
haben in der 8. bis 16. Woche ihrer Hunde
großen Stress, weil sie von der Prägephase
gehört haben und denken, in den nächsten
vier Wochen müssen sie furchtbar viel erledigen, unbedingt noch Bus fahren und ins
Einkaufszentrum gehen – und der Hund hat
auch furchtbaren Stress und nie Zeit, überhaupt zu Hause anzukommen und herauszufinden, wer sein Sozialpartner ist, weil er
350 Leute im Einkaufszentrum treffen muss.
Deshalb ist die Begrifflichkeit so wichtig.
Wenn mein Hund mit 8 Monaten noch nie
Bus gefahren ist, lernt er das trotzdem noch.
CLARISSA VON REINHARDT: Dagegen ist
es manchmal nicht mehr reparabel, wenn er
in diesen frühen Phasen zu vielen Reizen
ausgesetzt und überflutet wurde. Dann
konnte er die Stressresistenzen nicht aufbauen, die er in diesem Alter eigentlich
braucht. Wir haben momentan zusammen
mit acht Kollegen Langzeitstudien laufen:
Wir beobachten Welpen und Junghunde, die
betont ruhig im sozialen häuslichen Umfeld
aufwachsen; ohne Sozialisierungsstress wie
Welpengruppe, Busfahren, Welpensport… –
die aber auch nicht isoliert, sondern in einem normalen Familienleben aufwachsen:
mit normalen Spaziergängen und Nachbarn
und Freunde treffen. Und da entwickeln sich
Hunde, die nervlich belastbar sind, keine
irre Hyperaktivität zeigen, die in sich ruhen.
Sehr spannend fand ich einen Hovawart –
auch keine leicht erziehbare Rasse –, der mit
seinen neun Monaten das erste Mal von seinem Aussiedlerhof am Rande eines Dorfes
eine größere Stadt besuchte und dabei vollkommen entspannt und ruhig war. Oder ein
Golden Retriever, der mit sieben Monaten
aus seinem häuslichen Umfeld einer ruhigen
Einfamilienhaus-Siedlung zum ersten Mal
zum Münchener Flughafen mitgenom-
HAUSFREUNDE: Hunde
lernen ungeheuer viel und
sind nicht wie Wölfe darauf
angewiesen, in einer
bestimmten Zeit in einer
Gruppe aufzuwachsen und
sich dort einzuleben, weiß
Forscherin FeddersenPetersen. „Diese größere
Offenheit ist durch die
Domestikation bedingt.“
»Wissenschaftler sind
sich heute einig,
dass man den Hund
endlich als eigene
Spezies diskutieren und
nicht permanent mit dem
Wolf vergleichen soll.«
DR. BARBARA SCHÖNING
[6] EXPERTEN-TALK
men wurde, und ganz gelassen reagierte.
THOMAS BAUMANN: Gerade für Trainer
ist es sehr wichtig zu unterscheiden, ob wir
es mit einem irreversiblen Verhalten zu tun
haben oder ob wir das Verhalten des Hundes
noch irgendwie beeinflussen können. Meine
Frage ist aber: Wir haben es bei Hunden
doch nicht nur mit prägeähnlichen Vorgängen zu tun – es gibt tatsächlich Prägungsabschnitte mit erheblichen Nachwirkungen,
z.B. Traumata, oder nicht?
FEDDERSEN-PETERSEN: Ich würde es nur
anders nennen. Wenn das Wort mit falscher
Bedeutung benutzt wird, könnte angenommen werden, „Aha, während dieses Zeitabschnitts lernen Hunde so wie die Gänseküken“. Ich stimme aber zu: Wenn Hunde
unter sehr starkem Stress oder einer ausgeprägten Reizarmut aufwachsen, packen sie
es nicht mehr in einem neuen sozialen Umfeld und zeigen Verhaltensstörungen.
DOGS: Geht das genauer? Wann fängt die
Sozialisierungsphase denn an?
SCHÖNING: In dem Augenblick, in dem
die Ohrkanäle und die Augen geöffnet sind.
DOGS: Ab diesem Zeitpunkt sollte der Hund
also möglichst viele akustische und optische
Reize erfahren, möglichst viel Volksmusik,
Topfgeklapper, Staubsauger…
NIJBOER: …das heißt nicht, dass der Welpe
alles erfahren muss. Es gibt auch Situationen, bei denen sich Züchter extrem viel
Mühe geben und es damit genau das Falsche
machen; ihre Hunde bekommen so viele
Reize angeboten, die sie nie mehr verdauen
können – d.h. im späteren Leben wird sie
nichts mehr beeindrucken und sie sind
nicht mehr beeinflussbar.
SCHÖNING: Es kommt immer auf das goldene Mittelmaß an. Manchen Hund überfordert man mit einer bestimmten Maßnahme, den anderen unterfordert man mit
genau der gleichen Maßnahme. Schwarzweiße Regeln gibt es bei Hunden nicht. Man
muss alle Maßnahmen auf Rasse und Individuum passend einstellen.
FEDDERSEN-PETERSEN: Und man sollte
eben trotz Hund ganz normal weiterleben.
Oft wird geschult, wird abgesperrt, oder
aber besonders viel Reize gegeben, aber damit wird alles irgendwie unabhängig vom
richtigen Leben gehandhabt und der Kleine
wird in die Verhältnisse hinein geboren, mit
denen er später zurechtkommen muss. Das
fände ich geeignet als soziale Matrix.
DOGS: Neue Hundebesitzer nehmen sich
vielleicht kaum noch Zeit und Ruhe, den neuen Welpen erst einmal kennen zu lernen. Dafür waren die meisten jungen Hunde bereits
drei Mal im Welpenkurs und fünf mal im
Cafe, weil die Leute denken, dass der Hund
ganz schnell ganz viel lernen muss – und alle
sind irre gestresst. Dabei ist es ja schon anstrengend genug, überhaupt mit einem neuen
jungen Hund zusammen zu leben, weil man
sich auf eine ganz neue Routine, eine neue
Persönlichkeit einstellen muss.
VON REINHARD: Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Nach zehn, zwanzig Jahren
Druck, was man alles mit dem Hund vor
und nach der Geburt, vor und nach der Pubertät unbedingt machen soll, muss man die
Menschen wieder ein bisschen mehr zur
Normalität zurückbringen. Früher gab es
diese ganze Frühförderung nicht, aber wir
hatten trotzdem gute Hunde. Da stellt sich
die Frage: Haben wir so viele durchgeknallte
Hunde, weil wir so viele Hundeschulen haben, die Hund und Herrn überfordern, oder
haben wir so viele Hundeschulen, weil wir
so viele durchgeknallte Hunde haben?
DOGS: Was glauben Sie?
VON REINHARD: Ich glaube, dass viele
Hunde so durchgeknallt sind, weil sie zu
früh zu stark überfrachtet werden, weil viel
zu viel mit ihnen gemacht wird.
TH. BAUMANN: Das deckt sich auch mit
unseren Erfahrungen. Die Überfrachtung
und Überlastung von Welpen ist gang und
gäbe. Zum großen Teil sind natürlich die
Hundeschulen verantwortlich: Ein verantwortungsbewußter Hundebesitzer möchte
alles richtig machen, dazu gehören die Hundeschule und die Welpengruppen. Und da
geht es schon los: Nicht der Innenfokus,
nicht der familiäre Bereich stehen im Vor-
dergrund – stattdessen geht es darum, dass
der Hund den Nachbarn, den Bekanntenkreis, andere Hunde und Umwelteinflüsse
kennenlernt: also die reinen Aussen-Einflüsse. Der Hundebesitzer selbst steht gar nicht
mehr im Mittelpunkt.
SCHÖNING: Ich denke, das kommt auf die
Hundeschule an. In unserer haben wir auch
Welpengruppen und wir haben den Eindruck es läuft gut. 98 Prozent unserer Kunden begleiten wir weiter, bis über das erste
Lebensjahr hinaus. Jedenfalls würde ich
nicht so pauschal sagen, dass man überhaupt nichts machen und im ersten Jahr
den Hund zuhause lassen soll.
TH. BAUMANN: Wir sehen in deutlich höherem Maß als früher Hunde, die sehr nervös sind – und häufig hat eine Überladung
des Angebots dazu geführt. Wenn leidgeplagte Hundehalter zu uns kommen und gefragt werden, was sie mit dem Hund bisher
gemacht haben, sind das oftmals Hunde, die
mit knapp einem dreiviertel Jahr eben schon
alles erlebt haben, und zwar primär sugge-
riert durch die Hundeschulen.
NIJBOER: Man könnte vielleicht sagen: Besser keine Hundeschule als eine schlechte
Hundeschule. Aber in einer guten Hundeschule werden die Menschen beruhigt und
aufgefangen: Das Erste, was mit dem jungen
Hund ansteht, ist eine Beziehung aufzubauen innerhalb der eigenen Familie.
TH. BAUMANN: Erziehung ist auch immer
ein Teil der Beziehung, aber zuerst muss
man mal die Individualität und die Balance
in der Mensch-Hund Symbiose zu ermitteln. Dann kann man irgendwann sagen: Ich
habe jetzt hier eine Beziehung, jetzt kann
die Erziehung anfangen.
DOGS: Haben Sie als Ausbilder das Gefühl,
dass Hunde, die bei Züchtern aufgewachsen
sind, die mit ihren Welpen sehr viel gemacht
haben, also z.B. Autogefahren sind, auf Welpenspielplätzen waren und verschiedene Untergründe mit den Welpen geübt haben -, dass
diese Hunde sich später besser zurecht finden?
NIJBOER: Das hängt sehr von der Rasse ab,.
VON REINHARD: Wenn der Welpe in aller
»Wir sehen öfter als früher
Hunde, die sehr nervös sind
– häufig hat eine Überladung
des Angebots dazu geführt.«
THOMAS BAUMANN
VIEL WICHTIGER als
Dogdance im Welpenalter,
„ist es, eine gute Beziehung innerhalb der
eigenen Familie aufzubauen,“ empfiehlt
Hundetrainer Jan Nijboer.
[8] EXPERTEN-TALK
Ruhe spielerisch ausprobieren durfte, darüber zu gehen, dann ist das sicher eine wertvolle Erfahrung. Wenn aber ein Züchter den
Ehrgeiz entwickelt, unglaublich gut sozialisierte Hunde zu verkaufen und es dann
übertreibt mit einer Art Erlebnispark im
Garten, dann ist meine Erfahrung eher, dass
die Welpen rappeliger und nervöser daraus
hervorgehen. Man darf andererseits im Umkehrschluss aber auch nicht sagen: „Der
Welpe soll doch am besten gar keine Erfahrungen machen, dann macht er auch keine
schlechten oder nur sehr wenige“. Auf das
richtige Maß kommt es an.
ABELS: Das, was beim Züchter zu viel oder
zu wenig gemacht wird, kommt nicht nur
auf die Rasse an, sondern auch darauf, wo
der Hund hinkommt. Da sucht sich ein älteres Ehepaar bewusst den Havaneser aus,
weil der nicht so viele Ansprüche hat – aber
der Welpe hat vom Züchter gelernt, gefordert zu werden und ganz wach zu sein, und
will, dass das mit dem Abenteuerprogramm so weitergeht. – So werden aus diesen Hunden nervöse Hunde: Die haben als
Welpe viel gemacht und kommen in einen
Haushalt, in dem zu wenig passiert. Oder
sie wurden zu wenig gestresst und kommen
in eine Großstadt-Familie mit fünf Kindern
– der schwierigste Job, den ein Hund haben
kann ist es, Familienhund zu sein.
DOGS: Aber wie kann es der Züchter allen
recht machen?
ABELS: Es ist ein großes Problem, dass viele
Züchter ihre Hunde vor allem verkaufen
wollen und gar nicht darauf achten: Wer bekommt diesen Hund? Ich erlebe das sehr
häufig, dass Leute mit einem Welpen zu mir
kommen, bei dem ich denke: Wie konntet
ihr gerade diesen nehmen, in eurer Lebenssituation? – „Der Züchter hat gesagt, der
passt zu uns“. Das ist wirklich fatal.
FEDDERSEN-PETERSEN: Es gibt einen
Punkt, der bisher zu wenig berücksichtigt
wurde: Auch wir Menschen haben uns sehr
verändert. Wir sind von vielen „normalen
Dingen“ total entfremdet. Wir sind lernbedürftig, und lehnen gleichzeitig jedweden
Rat ab. Ich glaube, wenn ein Züchter sagt:
„Liebe Frau, für Sie ist dieser Hund oder
diese Rasse nicht geeignet“ - du lieber Him-
mel, da geht die zum nächsten Züchter.
DOGS: Was ist denn das optimale Alter für
einen Welpen, der einigermaßen vernünftig
vom Züchter sozialisiert worden ist, um in
seine neue Familie zu ziehen?
SCHÖNING: Das kommt auf die Rasse an
und darauf, was der Züchter alles gemacht
hat, und auf das Individuum selber. Bei all
diesen Faktoren kann man nicht pauschal
sagen, 10. oder 12. Woche. Nur nicht gleich
mit acht Wochen. Das ist wichtig.
NIJBOER: Die optimale Zeit ist sowieso
vorbei. Normalerweise wird man dort geboren, wo man aufwächst. In dieser ersten
Phase wird eine extrem starke Bindung aufgebaut, die eben auch gestört werden kann.
Ich würde es optimal finden, wenn der Welpe schon von Geburt an mit dem zukünfti-
»Auch wir
Menschen sind
lernbedürftig,
aber lehnen jedweden Rat vom
Züchter ab.
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN
gen Sozialpartner, mit dem er zusammen
leben wird, Kontakt hat. Spätestens, wenn
der Hund drei, vier Wochen alt ist, müssen
die ersten Kontakte da sein.
FEDDERSEN-PETERSEN: Aber Jan, das
sind Haustiere keine Wildtiere. Haustiere
sind außerordentlich lernfähig und sind
adaptiert an all diese Umstände.
DOGS: In der Realität heißt das doch, der
arme Züchter, der einen Wurf mit 11 Welpen
hat, kann spätestens ab der 3. Woche sein Familienleben und jegliches Welpen-Sozialisierungsprogramm vergessen, weil in seinem
Haus alle zukünftigen Besitzer ein und ausgehen, und auch die Hündin ist fertig mit der
Welt. Früher riet man dazu, Hunde ab der 8.
Woche umziehen zu lassen. Ist das zu früh?
NIJBOER: Ich finde es zu spät.
VON REINHARD: Ich finde es zu früh,
wirklich viel zu früh.
TH. BAUMANN: Ich sehe überhaupt kein
Problem, wenn ein Hund im Alter von sechs
Wochen unter optimierten Bedingungen in
optimale Hände kommt. Allerdings sind optimalen Bedingungen selten vorhanden.
DOGS: Nach Eurer Erfahrung mit den Kunden Eurer Hundeschulen: Würdet Ihr dem
Durchschnitt wirklich mit sechs Wochen einen
Welpen überlassen?
MEHRSTIMMIG: Nein.
VON REINHARD: Ich rate je nach Rasse
zur Abgabe zwischen 9 und 14 Wochen,
wenn es eine verantwortungsvolle Aufzuchtsstätte ist. Im Idealfall hat der Hund
hat schon Kontakt mit seinen zukünftigen
Besitzern. Bei Rassen, die sich früh entwickeln, Jack Russels vielleicht, wäre der früheste Zeitpunkt 9 Wochen. Rassen, die sich
später entwickeln wie z.B. Neufundländer,
Irischer Wolfshund, 12 bis 14 Wochen.
Wenn da allerdings ein Züchter ist, der die
Neufundländer im Schweinekoben aufzieht,
würde ich sagen: Wir holen den da `raus.
DOGS: Welpen lernen doch unglaublich viel
von Geschwistern. Kann es nicht auch große
Vorteile haben, wenn sie etwas länger im Geschwisterverband bleiben?
ABELS: Ja, wenn Sie denn einen guten Geschwisterverband haben. Schwierig ist es für
den Welpen, der als Unterster im Wurf lebt
und von den Geschwistern immer gedeckelt
wird. Aber häufig werden die Geschwister
nur untereinander groß, ohne die Hündin,
die regulierend eingreift. Eine Katastrophe.
Zweimal am Tag wird die Hündin zu den
Welpen gelassen, den Rest machen die untereinander aus. Wenn man so einen Hund
bekommt, der reagiert auf nichts, kein
Schnauzengriff, kein Kneifen, der hat ja
nichts gelernt. Da kann ich nur sagen: Hoffentlich gehen die mit sechs Wochen.
TH. BAUMANN: Deshalb sollte man sich,
wenn möglich, schon möglichst früh mit der
Zuchtstätte beschäftigen.
FEDDERSEN-PETERSEN: Welpen sind soziale Lebewesen und sie sind irgendwie zufällig zusammengewürfelt. Der eine ist so,
der andere ist so und jetzt wachsen sie zusammen auf und lernen voneinander. Man
muss das immer als System sehen. Auch mit
den Menschen zusammen.
UMZUGSTERMIN?
Trainerin Clarissa von
Reinhard rät bei Rassen,
die sich früh entwickeln,
z.B. Jack Russels, zum
Umzug ins neue Heim mit
frühestens 9 Wochen.
Rassen, die sich später
entwickeln wie z.B.
Neufundländer oder
Irischer Wolfshunde, erst
mit 12 bis 14 Wochen.
[10] ERZIEHUNG
Wenn es der erste ist…
Ein Leben ohne Hund ist machbar, aber lohnt sich nicht, sagte schon Loriot.
Für alle, die sich dieser Herausforderung zum ersten Mal stellen, gibt DOGSExpertin Dr. Barbara Schöning das Start-up-Wissen für neue Welpenbesitzer
SCHLAFPLATZ
Bedenken Sie bei der Wahl, dass der Welpe
aus einem sehr behüteten sozialen Gefüge
kommt. Er hat die meiste Zeit mit seiner
Mutter und den Geschwistern zugebracht,
viel Körperkontakt und Nähe erlebt. Die
Trennung von seiner „Sippe“ stellt einen
Bruch dar, der zunächst verarbeitet werden
muss. Aus diesem Grund sollte der Welpe
nachts auf keinen Fall weggesperrt und allein gelassen werden. Er gehört in die Nähe
seiner neuen „Freunde“, damit er ihre Atemgeräusche hören und ihre Nähe spüren
kann. Fiept er nachts, können Sie ihm die
Hand ins Körbchen legen; vielleicht muss er
auch mal raus, dann können Sie ihm gleich
dabei helfen stubenrein zu werden. Ins Bett
sollten Sie den Welpen vorerst lieber nicht
einladen, selbst wenn sie später nichts dagegen haben sollten. Der Welpe könnte herausfallen oder im Schlaf gequetscht werden
und sich verletzen.
ge und offene Balkongeländer stellen eine
ernstzunehmende Gefahr dar und müssen
vor Ankunft des Welpen gesichert werden.
Gartenbesitzern empfiehlt sich eine sorgfältige Kontrolle der Einzäunung, dabei ist
auch zu beachten, dass der kleine Kerl nicht
mit dem Kopf zwischen den Maschen hängen bleiben kann! Und wenn doch mal einer
Ihrer Lieblingsschuhe angenagt wird? Auf
keinen Fall bestrafen, das versteht BelloBaby nicht. Bieten Sie ihm hundegerechte
Kaualternativen an und belohnen den Kleinen, wenn er diese nutzt.
und natürlich andere Menschen. Aber auch
wenn Sie Ihren Hund nicht in Watte packen
sollten, ist es wichtig, dass die Welpen in
dieser Phase kein Trauma durch angsteinflößende Erlebnisse wie Bisse erleiden.
AUSLAUF
Der Welpe ist noch lange nicht ausgewachsen (siehe Kasten rechts). Sein Halte- und
Stützapparat muss gefordert, darf aber nicht
überfordert werden, um sich optimal ausbilden und entwickeln zu können. Wichtiger
als die Länge der Gassirunden ist deren Regelmäßigkeit. Feste Zeiten erleichtern im
übrigen auch das stubenrein werden (siehe
SOZIALKONTAKTE
Geben Sie Ihrem Zögling ein paar Tage Zeit, unten). Außerdem ist die Ausdauer eines
sich bei Ihnen einzuleben. Er sollte sich zu- Welpen von der Rasse abhängig. Ein Irish
nächst mit seiner neuen Umgebung vertraut Setter schafft sicher weitere Wege als ein
machen und eine gewisse Sicherheit gewin- Yorkshire Terrier – andererseits sind die Setnen, bevor Sie ihn mit anderen Artgenossen ter-Gelenke durch das Gewicht schneller
bekannt machen. Anschließend ist der regel- überfordert. Auch hier gilt daher: Sobald
erste Anzeichen von Ermüdung auftreten,
mäßige Besuch einer Welpengruppe sinnvoll, damit er die nötige Sozialkompetenz zu sollten Sie den Spaziergang beenden.
entwickeln lernt. Beobachten Sie Ihr Tier
SICHERHEIT
SCHLAF- & RUHEPHASEN
genau. Ist es sehr ausdauernd, hat es Spaß,
Junge Hunde haben keine Arme wie wir
oder ermüdet es schnell? Für alle Aktivitäten Heute weiß man, das Ruhe- und SchlafphaMenschen, also dient ihnen die Schnauze
zur Erkundung der Welt. Doch das birgt ein gilt: Nicht überfordern. Ein Besuch pro Wo- sen wichtig für die Verarbeitung von Erlebtem und Erlerntem sind: Fünf bis sechs
gewisses Risiko, nicht nur für Perserteppiche ist oft schon ausreichend. Liebt Ihr
che, Schuhe und Wollsocken, auch der Wel- Hund das Tollen mit Gleichaltrigen, dürfen Schläfchen von dreißig bis sechzig Minuten
pe selbst ist gefährdet, z.B. wenn er auf Elek- es auch zwei Termine wöchentlich sein. Ne- Dauer sind nicht nur normal, sondern auch
notwendig für seine Entwicklung. Nach dem
trokabeln herum kaut oder scharfkantige
ben „Hundekindern“ sollte Ihr Welpe aber
Lernen braucht das Gehirn eine Pause um
Kleinteile verschluckt. Auch Treppenabgän- auch ruhige, ältere Hunde kennen lernen
AUSGEWACHSEN ist kein Welpe, wenn er sein
neues Zuhause umzieht. Alles, was er jetzt vom
neuen Besitzer lernt, hilft ihm stark zu werden.
die Inhalte zu verarbeiten. Lassen Sie Ihren
Zögling also ruhig schlafen, wann und wo
immer er sich eine Auszeit nehmen will.
SCHMUSEZEIT
Der kleine Hund soll sich bei Ihnen sicher
und geborgen fühlen, Körperkontakt ist daher wichtig für das Vertrauen und eine stabile Bindung. Von seiner Mutter ist er es gewöhnt am ganzen Körper beleckt zu
werden. Geizen Sie also nicht mit Streicheleinheiten und lassen sie kein Körperteil aus.
So lernt der Welpe ganz nebenbei, dass die
Pflege der Pfötchen, der Ohren, der Augen
und des Fangs etwas ganz alltägliches ist,
über das man sich nicht aufregen muss.
Doch wenn der Hund signalisiert, dass es
ihm zu viel wird, akzeptieren Sie es!
Fast genau so wichtig wie Nähe und Berührung ist nämlich, den Hund von Anfang
an daran zu gewöhnen, dass er auch einmal
allein bleiben muss. Kurze Trennungsphasen
von zunächst nur wenigen Minuten können
schon ab der 2. Woche zu Hause geübt werden. Schließen Sie dazu einfach eine Tür
zwischen sich und dem Kleinen. Die anschließende Begrüßung sollte eher beiläufig
ausfallen, damit der Hund lernt, dass auch
das Alleinsein gar nichts besonderes ist.
ERZIEHUNG
Lernen beginnt mit dem ersten Tag und erfolgt nach dem bewährten Prinzip: Unerwünschtes Verhalten ignorieren, erwünschtes durch Lob fördern. Das erste Lernziel
besteht darin, dass der Welpe auf seine Bezugspersonen achtet, wenn er angesprochen
wird. Dazu sollten Sie ein Belohnungssignal
wie „Fein“ oder „Brav“ einführen. Als nächstes folgen der Rückruf und die Leinenführigkeit auf den Lehrplan und so geht es
Stück für Stück weiter.
ERNÄHRUNG
Auch wenn Sie Ihren Hund später anders
ernähren wollen, lassen Sie sich für die ersten Tage Futter vom Züchter mitgeben oder
besorgen Sie sich die gleiche Marke im
Fachhandel, um zuviele Umstellung für den
Welpen zu vermeiden. Füttern Sie zunächst
im gleichen Intervall weiter, wie er es gewohnt ist. Nach vier Wochen können Sie um
eine Mahlzeit pro Tag reduzieren. Im ersten
Lebensjahr sollten Sie zwei tägliche Mahlzeiten beibehalten. Für einen Futterwechsel
sollten Sie das alte zunächst „ausschleichen.
Sie reduzieren dafür die Menge des alten
und mischen nach und nach mehr vom
neuen Futter dazu. Dieser Prozess sollte
nach etwa einer Woche abgeschlossen sein.
STUBENREIN
Es gibt drei Situationen im Leben eines Welpen, wo er sich mit großer Wahrscheinlichkeit „lösen“ wird: nach dem Schlafen, nach
dem Fressen und nach dem Spielen. Tragen
Sie Ihren Hund dann zum Löseplatz und loben Sie ihn wenn er sich entleert. In den ersten Tagen sollten Sie ohnehin alle zwei Stunden raus gehen. Um die kritische
Nachtphase kurz zu halten, sollten Sie Ihrem
Hund kurz vor dem Zubettgehen und gleich
in der Früh (Wecker stellen) die Gelegenheit
zum Lösen geben. Es ist unvermeidlich, dass
in den ersten Wochen ein Bächlein oder
Köttel auf dem Teppich landet. Das beseitigt
das kluge Frauchen oder Herrchen und ermahnt sich selber, denn der Hund kann gewiss nichts dafür.
MEDIZINISCHE BETREUUNG
Den Impfpass haben Sie vermutlich bereits
vom Züchter bekommen. Nun geht es darum, den Tierarzt Ihres Vertrauens zu finden.
Am besten erkundigen Sie sich bei anderen
Hundebesitzern nach einer Praxis in Ihrer
Nähe. Nach ein paar Wochen sollten Sie
dort mit Ihrem Welpen vorstellig werden –
unverbindlich zum ersten Kennenlernen.
Neben den üblichen Impfungen ist das regelmäßige Entwurmen bei Jungtieren wichtig. Wie oft Sie anschließend erscheinen, ist
u.a. von der Rasse Ihres Hundes abhängig
und sollte mit dem Arzt besprochen werden.
6 SCHRITTE INS LEBEN
VEGETATIVE PHASE (1. UND 2. WOCHE)
Augen und Ohren sind noch geschlossen. Der
Welpe sucht nach den mütterlichen Zitzen,
trinkt und schläft. Ausscheiden tut er auf die
Leckstimulation der Mutter hin.
ÜBERGANGSPHASE (3. WOCHE)
Die Augen und die äußeren Gehörgänge öffnen sich. Bis der Welpe akustische und optische Reize voll wahrnehmen kann, dauert es
bis zum 17. oder 18. Lebenstag. Jetzt kann
der Welpe selbständig Harn und Kot absetzen
und wird sich dafür vom Lager entfernen.
PRIMÄRE SOZIALISATION(6.–7. WOCHE)
Beginn sozialen Spielverhaltens und gruppenorientierter Aktivitäten. Welpen lernen die
Beißhemmung. Abstillen durch die Mutter.
SEKUNDÄRE SOZIALISATION
(12.–16. WOCHE)
Intensive Sozialspiele und Auseinandersetzung mit der Umwelt. Fortführung des Lernens
und erste Stabilisierung von Sozialverhalten
und Kommunikation. Stress- und Frustrationstoleranz werden geübt.
JUNGHUNDEPHASE
(BIS ZUR PUBERTÄT IM 6. BIS 9. MONAT)
Weiteres Üben und Verfestigen von Sozialverhalten und Kommunikation. Statusverhältnisse
in der sozialen Gruppe etablieren sich.
NACH DER PUBERTÄT
Der Hund ist körperlich erwachsen. Die sozialen Reife ist bei großen Rassen zum Teil erst
mit 36 Monaten erreicht.

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