Hugo Balls Manifest Zürich 1916
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Hugo Balls Manifest Zürich 1916
1 Wege zur Abstraktion Seit dem Auftreten des Expressionismus kann man bei Betrachtung der Kunstgeschichte den Eindruck haben, dass die jeweils jüngste Generation aufs Neue das Bedürfnis hat Kunst neu zu erfinden oder zu definieren. Neben dem französischen Kubismus gilt das für die deutschen Sezessionsbewegungen von Brücke und Blauer Reiter, für den italienischen Futurismus, für die internationalen Bewegungen des Dada und des Surrealismus. Ein ganz erheblicher Impuls ging von Richtungen aus, die sich der „Abstraktion“ verschrieben hatten. Der Begriff geht zurück auf eine Schrift des Kunsthistorikers Wilhelm Worringer aus dem Jahr 1906, „Abstraktion und Einfühlung“. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jh. wird darunter noch ein Vorgang der Reduktion verstanden, und zwar von der Naturform durch Reinigung und Weglassen eine Reduktion auf das Wesentliche. Schon um 1910 ist allerdings bei einigen Malern insbesondere der Punkt erreicht, wo diese Reduktion nicht mehr sichtbar ist, sondern Gegenstandslosigkeit als „Verzicht“ oder „Verweigerung“ von Abbildhaftigkeit zum Programm deklariert wird. "Nach einer langen Kulturentwicklung ist in der Malerei die Einsicht gereift, daß das Abstrakte - als das Universale - zu klarer Gestaltung gebracht werden kann....die neue Malerei kam durch sich selbst zu der bestimmten Darstellung des Universalen, das sich verschleiernd verborgen in der natürlichen Erscheinung der Dinge offenbart. Durch die Malerei selbst kam der Künstler zu der bewussten Erkenntnis...., daß die Erscheinung des Universalen-als-des Mathematischen das Wesentliche alles rein ästhetischen, gestaltenden Schönheitsempfindens ist....Er lernte es, dasjenige exakt zu gestalten, was in der Natur nur durchschimmert, reduzierend zu vernichten, was konkret in Erscheinung tritt, und zog dabei nur die Konsequenz aus den allgemein gültigen Kunstbegriffen. So gelangte unsere Zeit zu der abstrakt-realen Malerei.“ (Piet Mondrian, 1918) Wichtige Künstler (Auswahl) Kandinsky Den Übergang zur Gegenstandslosen Malerei hat für die Kunstgeschichte am deutlichsten einer der führenden BAUHAUS-Lehrer, Wassily Kandinsky, besetzt, unter anderem auch durch eine Schrift, „Über das Geistige in der Kunst" die allerdings erst 1952(!) erschien, aber zurückgeht auf ein Manuskript von 1910. Der erste? Maler, der einen radikalen Schlussstrich zieht zur abbildenen Funktion der Malerei, scheint Wassily Kandinsky gewesen zu sein. Das „erste“ ist deshalb mit einem Fragezeichen versehen, weil sich schon bald darüber ein Streit erhob, wer diesen Platz in der Kunstgeschichte beanspruchen konnte, und Künstler wie Kandinsky und Malewitsch auch im Ruf stehen, ihrer Biografie in diesem Punkt ein wenig nachgeholfen zu haben. Kandinsky leitet seine Abstraktion nicht vom Kubismus ab, sondern versteht sich selbst auf einem "antigeometrischen, antilogischen Weg", im Betonen des ALogischen“ seiner Kunst damit seinem Kollegen Malewitsch verwandt.. Sein 'Thema' ist das Drama der reinen Farbe, die er mit seiner Malerei 'befreien' will. Das Aquarell von 1910 aus seiner Hand (Abb. links) betitelte er selbst als "Erstes abstraktes Aquarell". Allerdings vollzieht Kandinsky diesen Schritt durchaus nicht radikal und endgültig. Viele seiner Arbeiten um 1910 und auch noch später, haben noch gegenständliche Anklänge und erzählerische Titel ("Kirche in Murnau" oder "Pastorale"), wenn es auch bei manchen Bildern Mühe macht, die Bildgegenstände zu identifizieren. Kandinsky unterscheidet in seinem Werk seit 1910 drei Bildsorten: 1. direkter Eindruck von der "äußeren Natur", welcher in einer zeichnerisch-malerischen Form zum Ausdruck kommt. Diese Bilder nenne ich "Impressionen"; 2. hauptsächlich unbewusste, größtenteils plötzlich entstandene Ausdrücke der Vorgänge inneren Charakters, also Eindrücke von der "inneren Natur". Diese Art nenne ich "Improvisationen"; 3. auf ähnliche Art (aber ganz besonders langsam) sich in mir bildende Ausdrücke, welche lange und beinahe pedantisch nach den ersten Entwürfen von mir geprüft und ausgearbeitet werden. Diese Art Bilder nenne ich "Komposition". (Über das Geistige in der Kunst" erschienen 1952, Manuskript 1910) 2 Komposition VII Kandinsky fertigte für das große Bild "Komposition VII" 35 Studien an und ließ den Zustand an jedem Tag in Fotos festhalten. Ursprünglich liegt dem Bild, an dem er vier Tage arbei tete, angeblich eine Assoziation zum Jüngsten Gericht zugrunde. Die linke der drei abgebildeten Studien gibt einen identifizierbaren Ausschnitt aus der Gesamtanlage wieder, bei den beiden anderen kann ich keinen Zusammenhang erkennen. "Bei dem Schritt, gänzlich auf Anleihen bei sichtbaren Dingen zu verzichten, erfuhr Kandinsky Unterstützung von ungewöhn-licher Seite. Wo er vom Rückgriff auf vermeintliche "innere Erlebnisse" spricht, über die das Geitige in seine Bilder gelangt sein sollte, verraten recht äußerliche Quellen die Herkunft der Dar-stellungen...Das Buch ("Gedankenformen") der englischen Autoren Besant und Leadbeater kam 1908 in deutscher Übersetzung heraus. Kandinsky besaß eine eigene Ausgabe. In den 57 farbigen Abbildungen verfügte er zumindest über Muster, die den Schritt zur Abstraktion längst vollzogen hatten, wenn auch nicht als Kunst." (Stefan Heidenreich, "Was verspricht die Kunst? 1998, S.114) Mondrian "Kunst steht dort, wo ehemals Gottesdienst stand" (Mondrian) "Mondrian suchte nach einer universalen, überpersönlichen Kunst: nach der reinen Kunst, die nicht mehr an ein Künstlerindividuum gebunden war. Und doch blieb seine Kunst, glücklicherweise, strikt persönlich. Hunderte malende Mondrians wären ein Alptraum...“ (Hans Belting, Das unsichtbnare Meisterwerk, 1998, S.354) Der Niederländer Piet Mondrian malt 1908 noch Bilder, die vom Impressionismus und Symbolismus geprägt sind. 1912 lernt er in Paris den Kubismus kennen und radikalisiert daraufhin seine bereits deutlich geometrisierte Malerei auf Linien und Farbflächen. Er begrenzt seine Palette radikal, seine Bilder heißen dann "Komposition Nr..." und enthalten seit den 20er Jahren nur noch horizontale und Vertikale Linien und Weiß/Schwarz sowie die Primärfarben Gelb/Rot/Blau. Damit scheint er sein Thema gefunden zu haben, das er nun mit wenigen Ausnahmen bis knapp vor seinem Lebensende (1944) variiert. Mondrian gründet 1917 mit van Doesburg die sog. "De Stijl-Bewegung" um die gleichnamige Zeitschrift, die beide Maler zu einer theoretischen Plattform für ihren "Neoplastizismus" ausbauen und dabei auch den Begriff der "Konkreten Kunst" einführen, womit der Vorgang der Abstraktion und damit der Ausgangspunkt vom gegenständlichen Motiv aus dem Diskurs genommen wird. Die oft gestellte Frage: "Was soll das darstellen" ist damit endgültig beantwortet. Das Bild stellt nur noch sich selbst dar. Mondrians reduktionistische Malerei, eine asketische Haltung und ein alles durchdringender Spiritualismus haben tiefgreifende Wirkungen auf die Malerei weit über seinen Tod hinaus hinterlassen. Über ein Jahrzehnt hinweg lässt sich ein Weg der Abstraktion aus seinen Bildern konstruieren, der scheinbar linear auf ein unvermeidliches Ziel hinstrebt. Solche klaren Entwicklungslinien liebt die Kunstgeschichte und das mag auch den Ruhm von Mondrian ausmachen. Der graue Baum von 1911 greift ein Motiv von 1908 wieder auf. Die spiegelverkehrte Darstellung lässt ahnen, dass beim zweiten Anlauf nicht mehr die Natur das Vorbild war. Abstraktion erscheint als eine Art Bildbearbeitung, Filterung, Variation, wie sie noch deutlicher als bei Mondrian immer wieder bei Picasso nachweisbar ist. 3 In einem weiteren Schritt verselbständigt sich das entstandene System aus Linien und Flächen zu einer rhythmischen Komposition, bei der nur noch der Titel den Hinweis auf ein abgebildetes Objekt gibt. Vom ursprünglichen Baum bleibt eine im Zentrum betonte grafische Struktur. Im Detail ist nicht mehr nachvollziehbar, welche Entscheidungen zu einer bestimmten Linie oder Teilfläche geführt haben. Andererseits entsteht eine kompositionelle Ordnung, die allgemeine Anklänge über ein aufstrebendes Wachstum und die 'Architektur' einer Baumkrone noch enthält, ohne dass der Betrachter noch notwendigerweise die Assoziation Apfelbaum haben muss. Die Komposition von 1913 zeigt schließlich, wohin ein derartiger Prozess führen kann, mit mathematischer Wahrscheinlichkeit sogar führen muss. Wer nach dem Prinzip der Ausbreitung von Richtungen im Raum oder auf der Fläche sucht, muss irgendwann zwangsläufig das in der Mathematik längst bekannte System der Koordinaten nacherfinden. Wer nach dem Prinzip der Vielfalt von Farben sucht, muss irgendwann zwangsläufig das in der Physik längst bekannte System von Urfarben und Primärfarben nacherfinden. So ist Mondrians Weg einerseits logisch und nachvollziehbar, andererseits auch wenig überraschend. Erstaunlich, dass er dazu so lange braucht. Verglichen mit dem kunstgeschichtlichen Weg der Reduktion ist Mondrian auf halber Wegstrecke stehen geblieben. Seine letzten Jahre in New York haben ihn sogar zu 'Rückschritten' veranlasst. Die letzten Bilder "Boogie-Woogie“ von 1943/44 verlassen die strenge Klarheit zugunsten einer höheren Komplexität und differenzierteren Farbigkeit. Malewitsch Der Russe Kasimir Malewitsch entwickelt etwa seit 1910 unter dem Einfluss von Kubismus und Futurismus eine abstrakte Malerei, die sich auf geometrische Grundformen beschränkt. Mit seinem Bild "Schwarzes Quadrat auf weißem Grund" liefert er 1915 in einer Ausstellung in Petersburg eine Ikone der gegenstandslosen, "absoluten Malerei". Er gilt als einer der führenden Vertreter des Russischen Konstruktivismus (neben Tatlin und El Lissitzky). Malewitsch arbeitete zielgerichtet am Mythos seiner absoluten Malerei, indem er ähnlich wie Kandinsky sein "erstes abstraktes Aquarell" das "Schwarze Quadrat" zum Ursprung und zur "Erstgeburt" seines Suprematismus erhob. In Wirklichkeit hat er schneller als Mondrian erkannt, wohin seine Reduktion von Form und Farbe führen würde, und nach ersten Kompositionen mit farbigen Rechtecken sein Ziel, das schwarze Quadrat auf weißem Grund, entdeckt. In der Ausstellung von 1915 hat er es dann an den Anfang einer von ihm selbst konstruierten Entwicklungsreihe gestellt und auf 1913 zurückdatiert! "Ein Urbild wurde aus didaktischen Gründen gebraucht, um im Suprematismus die Entfaltung einer Urform behaupten zu können." ( Belting S. 344) Als schon nach kurzer Zeit Risse im Schwarz eine übermalte suprematistische Komposition sichtbar werden ließen, hat er zwischen 1923 und 1929 eine Replik angefertigt, um sein „Märchen“ aufrecht erhalten zu können. Er selbst nennt seinen Stil "Suprematismus". 1927 erscheint seine Schrift "Die gegenstandslose Welt", mit der er zu einem der führenden Theoretiker des Konstruktivismus wird. Im Zuge der politischen Entwicklung in Europa und Russland gerät die nichtgegenständliche Malerei und die Tendenzen im Expressionismus, die ihren Weg begleiten unter gesellschaftlichen Druck. Vor allem in Russland, in Deutschland und in Italien übernehmen politische Kräfte die Herrschaft, die die Kunst wieder in den Dienst politischer Herrschaftsinteressen stellen und sie als Instrument von Volkserziehung und Propaganda für ein Menschenbild und Weltbild einsetzen, das an klassisch / klassizistischen Idealen ausgerichtet ist. Erst nach dem 2. Weltkrieg wird die "Abstrakte Kunst", diesmal von Amerika ausgehend, zur vorherrschenden 'Stilform'. 4 III. FAZIT: Wesentliche Züge des sich vollziehenden Prozesses der Abstraktion sind - Ein wachsender Abstand der Malerei vom literarischen bzw. erzählerischen "Thema" Ein wachsendes Desinteresse an der erscheinungsrichtigen Abbildung von Gegenständen. Eine wachsende Lust an der Deformation, Disproportion, Formauflösung bei der Darstellung von Dingen und Lebewesen. Eine steigende Tendenz zur Übersteigerung bis Verselbständigung von Farbe und Geometrie Eine Hinwendung zu Theoremen von musikalischen Harmonielehren, wie "Klang", "Ton", "Akkord", "Rhythmus", "Komposition“ Der Versuch, die Hinwendung zur Abstraktion zu legitimieren als einen Gewinn an "Geistigem", an „höherer Wahrheit", als Durchbruch zum "Eigentlichen" der Malerei (reine Malerei). Eine wachsende Tendenz der Künstler, die Geschichtsschreibung über Kunst selbst in die Hand zu nehmen durch schriftliche Programme, Manifeste, autobiografische Darstellungen, Mythen. IV. Folgen und Nachfolger Im Zuge der politischen Entwicklung in den 30er Jahren und während des 2. Weltkriegs in Europa und Russland gerät die nichtgegenständliche Malerei und die Tendenzen im Expressionismus, die ihren Weg begleiten unter gesellschaftlichen Druck. Vor allem in Russland, in Deutschland und in Italien übernehmen politische Kräfte die Herrschaft, die die Kunst wieder in den Dienst politischer Herrschaftsinteressen stellen und sie als Instrument von Volkserziehung und Propaganda für ein Menschenbild und Weltbild einsetzen, das an klassisch / klassizistischen Idealen ausgerichtet ist. Erst nach dem 2. Weltkrieg wird die "Abstrakte Kunst", diesmal von Amerika ausgehend und deshalb mit „demokratisch“ gleichgesetzt, zur vorherrschenden 'Stilform'. (1) Formen der Geometrischen Abstraktion nach 1945 Für eine Fortsetzung der Vorkriegstraditionen sorgen zunächst die ins Ausland emigrierten Bauhaus Künstler, wie Josef Albers, Max Bill, Johannes Itten. Sie stehen für eine Richtung der streng geometrischen Abstraktion, die den Traditionen von De Stijl und des Konstruktivismus folgt. Barnett Newman ,"Vir Heroicus Sublimis", 1950-51, Öl, 244x 549 cm In deren Folge wiederum kann man die amerikanische "Farbfeld Malerei" / Color Field Painting (Barnett Newman), das Hard Edge Painting (Ellsworth Kelly, Frank Stella) oder auch die Op Art (Victor Vasarely, Bridget Riley) sehen, wobei die jeweiligen Vertreter der unterschiedlichen Gruppen dieser Untergruppe des sogenannten abstrakten Expressionismus vermutlich vehement wehren würden gegen eine derartige Einordnung, weil sie mehr oder weniger alle der Meinung sind, dass ihre Kunst unverwechselbar und einmalig ist. In der Tat gehört bald zu jedem Namen eine eigene Philosophie, und ein immer wortreicher werdendes Gebäude aus Erklärungen, Leseanweisungen. Zum Mythos der Abstraktion gehört ganz wesentlich die Behauptung, dass das Kunstwerk ganz wesentlich erst im Akt des Betrachtens und durch den Betrachter entsteht. "Newmann empfing das Publikum 1951 in der Betty Parsons Gallery mit einem Text, der einer Regierungserklärung der neuen Kunst gleichkam. Die gezeigten Werke, so las der erstaunte Besucher, seien nicht mit Ideen und auch nicht mit Abstraktionen zu verwechseln. Sie ähnelten Personen darin, dass sie "Verkörperungen des Gefühls" seien, denn sie offenbarten ihre innere Leidenschaft in der 'Konzentration zum Bild'. Hier vollzieht Newman eine überraschende Wende in der Definition des Bildbegriffs. Nachdem sich die Malerei von den Bildern entleert hatte, die Werke üblicherweise enthielten, wandelte sich das bilderlose Werk in sein eigenes Bild." "Das Bild, das wir erzeugen, hat die Evidenz einer realen Offenbarung, die von jedermann verstanden werden kann" (B. Newman) (Zitate aus: Hans Belting, „Das unsichtbare Meisterwerk“, 1998, S.427) 5 (2) Formen der Lyrisch-gestischen Abstraktion nach 1945 Eine andere Richtung, etwa um WOLS und Willi Baumeister, nahm die mehr gestischen Momente bei Kandinsky auf oder auch Ideengut aus dem Surrealismus (Dali, Miro). Der Surrealismus hatte mit der 'Automatischen Schreibweise' (Ècriture automatique) das Stichwort geliefert, mit dem parallel zum automatisierten Schreiben in der Literatur das Kritzeln, Tröpfeln und Spritzen in der Malerei zum Psychogramm geadelt wurde. Einen Höhepunkt erreichte diese Bewegung mit dem Amerikaner Jackson Pollock (1912-1956), der die gestische Malerei seit 1946 zum Action Painting entwickelte, das Tröpfeln, Schütten, Spritzen, Schmieren, Wischen, Klatschen von Farbe zu Stilmitteln eines betont gestischen abstrakten Expressionismus machte, der die westliche Kunst in den 50er Jahren bis in die 60er Jahre hinein beherrschte, bis die Pop Art und eine neue Hinwendung zum Gegenstand der Vorherrschaft der Ungegenständlichen Kunst vorübergehend Einhalt gebot. Beachtlich bei Pollock sind die bis zu 5m breiten Formate, "murals", die er auf Leinwand (!) und auf dem Boden liegend in stundenlangen Sitzungen bis zur physischen Erschöpfung bearbeitete. Der Malakt wird bei Pollock zum Ritual und eigentlichen "Werk". Er ließ sich dabei fotografieren und filmen. Statt Pinseln verwendete er Holzstücke, Messer, Maurerkellen, die er in dünnflüssige Farbe tauchte, oder er bohrte die Farbeimer an, um ein stetiges Tröpfeln zu erreichen. Gelegentlich setzte er der Farbe Sand, Glasstücke und andere Beigaben zu. Seine Drippings sind, der spontanen Eingebung und der beim Arbeiten entstehenden psychischen Erregung oder Abschlaffung folgend rhythmische, dicht versponnene Farbgespinste von recht unterschiedlichem Charakter. Immerhin arbeitete er nahezu 10 Jahre seines Lebens mit derartigen Aktionen, sich körperlich und psychisch verausgabend. Pollock war exzessiver Raucher und Trinker, und wurde von Peggy Guggenheim finanziell, und einigen wortführenden Kunstkritikern durch theoretische Untermauerung, zum "größten Maler der USA" stilisiert. "Schon möglich, daß Pollock die richtungsweisende Persönlichkeit seiner Zeit war - macho, mürrisch, schamanenhaft, hyperromantisch, impulsiv, agressiv, aufdringlich, gefährlich, versoffen und wild." (Danto, "Kunst nach dem Ende der Kunst", 1996, S.61) _____________ Quelle: Ulli Schuster: Online-Material zum Leistungskurs Kunst, Luitpold-Gymnasium München, 2003/05 (Überarbeitung: M. Klinkner, 2008) aus: http://www.kunstunterricht.de/material/kusem/abst.doc V. Anhang: Begriffe (in alphabetischer Ordnung) ABSTRAKT: (lat. abstractus „abgezogen“) unglücklicher, weil unklarer Kunstbegriff; vom Gegenstand wird seine äußere Erscheinung abgezogen und seine Struktur dargestellt; abstrakt bedeutet im üblich Sprachgebrauch „unanschaulich“, trifft aber in der bildenden Kunst nicht zu, weil diese immer anschaulich ist ABSTRAKTION: (lat. abstrahere = wegziehen, trennen, abziehen) Gestaltungsprinzip der bildenden Kunst, wobei der Grad der Abstraktion in den jeweiligen Zeitstilen verschieden ist; die Verwandlung des Naturvorbildes in eine mehr oder weniger geometrisierte Form von großer Ruhe; in der Malerei: „Jede künstlerische Äußerung stellt einen Abstraktionsvorgang dar. Unter abstrakter Kunst versteht man jene Werke, die den Bereich gegenständlicher Darstellung verlassen und auf die Abbildung des Naturvorbildes verzichtet.“ (Kandinsky 1910); Abstraktionsvorgang: Schrittweise Verdeutlichung des Wesentlichen durch Vereinfachen bis zum Zeichen. ACTION PAINTING: Fachausdruck für eine Form der abstrakten Malerei, in der die Tätigkeit des Malers, der Ablauf des Malprozesses - seine Spontaneität - sichtbar wird. AKTIONSKUNST: (engl. Happening „Ereignis“) Es ist der Oberbegriff für viele andere Bezeichnungen wie Art Events, Fluxus, Performance oder als deutsche Bezeichnung Aktionskunst. Gemeint ist ein 6 überraschendes, oft schockierendes Kunstereignis, das meisten improvisiert wird und dessen Erlebnis nicht vorhersehbar ist. Das eigentliche Kunstwerk ist die Aktion selbst. Der Künstler will mit dieser Aktion, die aus Elementen der Malerei, Bildhauerei, des Theaters, der Musik und des Tanzes bestehen kann, das Publikum einfach nur für sich interessieren, für seine Kunst und für seine künstlerischen Ideen. Vertreter: Joseph Beuys, Jim Dine, Allan Kaprow, Yves Klein, Claes Oldenburg, Robert Rauschenberg u. a. FUTURISMUS: (lat. futurum „Zukünftiges") Eine Kunstrichtung, die sich von allen Formen der Vergangenheit lösen wollte. Stattdessen sollte das Zukünftige, experimentell vorweggenommen, jede Form bestimmen. Vielfältige Bildmotive werden ineinandergeschachtelt. Dadurch sucht man das zeitliche Nacheinander in ein Miteinander zu verwandeln und so ein sichtbares Zeigmoment auszubilden. DRIP PAINTING: Tröpfelmalerei, Technik des Action painting; aus tröpfelnden Farben bilden sich Linien, die den Rhythmus des Malens sichtbar machen; die Farben werden aus einem pendelnden Behälter oder unmittelbar von Hand auf die flachliegende Leinwand gespritzt INFORMEL: (franz. informelle Kunst) in den 50er und 60er Jahren allgemein verbreitete abstrakte Kunstrichtung, der nach dem 2. Weltkrieg ein Anknüpfen an klassische Formprinzipien, überhaupt an Form als eine nicht mehr tragfähige Konvention erschien. Begriff für eine nichtgeometrische abstrakte Malerei, die sich im spontanen Malakt ohne kompositionelle Normen artikuliert. Vertreter: Wols, Hans Hartung, Pierre Soulages, Emil Schumacher u. a. KONSTRUKTIVISMUS: (lat.) Eine Kunstrichtung innerhalb des 20. Jahrhunderts, deren Vertreter ihre Werke auf der Grundlage geometrisch-abstrakter Formen entwickeln. Klare, eindeutig bestimmte Formen und deren Verbindung in einem übersichtlichen, konstruktiven Aufbau sind die entscheidenden Gestaltungsprinzipien in der Malerei. Der Konstruktivismus entstand als Antwort auf den Kubismus zunächst in Russland. Vertreter: Wassily Kandinsky, Piet Mondrian u. a. KUBISMUS: (griech. kybos "Würfel") Eine Richtung der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, die ihren Ursprung in Paris hat. Der Kubismus basiert im Formalen auf den Gestaltungsprinzipien Paul Cezannes, der die Naturdarstellung auf geometrische Formen zurückführte. Pablo Picasso schuf mit dem Gemälde "Les Demoiselles d´Avignon" 1907 das Grundlagenbild des Kubismus. Zwar bleibt der dargestellte Gegenstand erhalten; doch wird er in eine stereometrische Ordnung umgebildet. Eine Kunst mit klassischen Tendenzen, welche Dinge keineswegs missachtet, aber sie einer reinen strengen Gesetzmäßigkeit unterwirft. In den folgenden Jahren entwickelt sich zunächst der analytische Kubismus. Die Figuren und Dinge werden formal analysiert, wobei der Darstellungsgegenstand gleichzeitig von verschiedenen Seiten gesehen und wiedergegeben wird. Ab 1912 beginnt die Phase des synthetischen Kubismus, der wesentlich auf der sogenannten Collagetechnik aufbaut. In den Collagen ergreifen die kubistischen Künstler die Möglichkeit, außerkünstlerische Bestandteile, wie etwa Zeitungsabschnitte und Taperten oder auch Holzelemente in ihre Kompositionen zu integrieren. Vertreter: Pablo Picasso, Georges Braques, Juan Gris, Fernand Léger, Robert Delaunay u. a. TACHISMUS: (franz. la tache "Fleck") Stilrichtung innerhalb des Abstrakten Expressionismus. Der Name ergibt sich aus der Beschreibung der Maltechnik. Farbflächen und Linien werden spontan und ohne vorher festgelegte Komposition oder Vorzeichnung auf die Leinwand gemalt. Der impulsive Malvorgang gibt dem Künstler die Möglichkeit, eine ganz persönliche, im Augenblick empfundene Aussage aufzuzeichnen. Das Bild wird beim Malen zu einer Aktionsfläche, auf der der Künstler seine Gefühle, Stimmungen, Gedanken niederschreibt. Einzig seine persönliche Sichtweise ist der gültige Maßstab. Es bleibt ihm allein überlassen, auf herkömmliche ästhetische Bräuche Rücksicht zu nehmen. Vertreter: Wols (Alfred Wolfgang Schulze), Jean Fautrier, Willi Baumeister, Georges Mathieu, Emil Schumacher u. a. Quelle: Künstlerische Begriffe und Gestaltungsweisen: http://www.tibs.at/faecher/be/Begriffe/Begriff1.htm