Hugo Balls Manifest Zürich 1916

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Hugo Balls Manifest Zürich 1916
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Wege zur Abstraktion
Seit dem Auftreten des Expressionismus kann man bei Betrachtung der Kunstgeschichte den Eindruck haben,
dass die jeweils jüngste Generation aufs Neue das Bedürfnis hat Kunst neu zu erfinden oder zu definieren.
Neben dem französischen Kubismus gilt das für die deutschen Sezessionsbewegungen von Brücke und Blauer
Reiter, für den italienischen Futurismus, für die internationalen Bewegungen des Dada und des Surrealismus.
Ein ganz erheblicher Impuls ging von Richtungen aus, die sich der „Abstraktion“ verschrieben hatten. Der
Begriff geht zurück auf eine Schrift des Kunsthistorikers Wilhelm Worringer aus dem Jahr 1906, „Abstraktion
und Einfühlung“. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jh. wird darunter noch ein Vorgang der Reduktion verstanden,
und zwar von der Naturform durch Reinigung und Weglassen eine Reduktion auf das Wesentliche. Schon um
1910 ist allerdings bei einigen Malern insbesondere der Punkt erreicht, wo diese Reduktion nicht mehr sichtbar
ist, sondern Gegenstandslosigkeit als „Verzicht“ oder „Verweigerung“ von Abbildhaftigkeit zum Programm
deklariert wird.
"Nach einer langen Kulturentwicklung ist in der Malerei die Einsicht gereift, daß das Abstrakte - als das
Universale - zu klarer Gestaltung gebracht werden kann....die neue Malerei kam durch sich selbst zu der
bestimmten Darstellung des Universalen, das sich verschleiernd verborgen in der natürlichen Erscheinung der
Dinge offenbart. Durch die Malerei selbst kam der Künstler zu der bewussten Erkenntnis...., daß die
Erscheinung des Universalen-als-des Mathematischen das Wesentliche alles rein ästhetischen, gestaltenden
Schönheitsempfindens ist....Er lernte es, dasjenige exakt zu gestalten, was in der Natur nur durchschimmert,
reduzierend zu vernichten, was konkret in Erscheinung tritt, und zog dabei nur die Konsequenz aus den
allgemein gültigen Kunstbegriffen. So gelangte unsere Zeit zu der abstrakt-realen Malerei.“
(Piet Mondrian, 1918)
Wichtige Künstler (Auswahl)
Kandinsky
Den Übergang zur Gegenstandslosen Malerei hat für die Kunstgeschichte am deutlichsten einer der führenden
BAUHAUS-Lehrer, Wassily Kandinsky, besetzt, unter anderem auch durch eine Schrift, „Über das Geistige in
der Kunst" die allerdings erst 1952(!) erschien, aber zurückgeht auf ein Manuskript von 1910.
Der erste? Maler, der einen radikalen Schlussstrich zieht zur
abbildenen Funktion der Malerei, scheint Wassily Kandinsky gewesen
zu sein. Das „erste“ ist deshalb mit einem Fragezeichen versehen, weil
sich schon bald darüber ein Streit erhob, wer diesen Platz in der
Kunstgeschichte beanspruchen konnte, und Künstler wie Kandinsky
und Malewitsch auch im Ruf stehen, ihrer Biografie in diesem Punkt
ein wenig nachgeholfen zu haben. Kandinsky leitet seine Abstraktion
nicht vom Kubismus ab, sondern versteht sich selbst auf einem
"antigeometrischen, antilogischen Weg", im Betonen des ALogischen“ seiner Kunst damit seinem Kollegen Malewitsch
verwandt.. Sein 'Thema' ist das Drama der reinen Farbe, die er mit
seiner Malerei 'befreien' will. Das Aquarell von 1910 aus seiner Hand (Abb. links) betitelte er selbst als "Erstes
abstraktes Aquarell". Allerdings vollzieht Kandinsky diesen Schritt durchaus nicht radikal und endgültig. Viele
seiner Arbeiten um 1910 und auch noch später, haben noch gegenständliche Anklänge und erzählerische Titel
("Kirche in Murnau" oder "Pastorale"), wenn es auch bei manchen Bildern Mühe macht, die Bildgegenstände zu
identifizieren. Kandinsky unterscheidet in seinem Werk seit 1910 drei Bildsorten:
1. direkter Eindruck von der "äußeren Natur", welcher in einer zeichnerisch-malerischen Form zum Ausdruck
kommt. Diese Bilder nenne ich "Impressionen";
2. hauptsächlich unbewusste, größtenteils plötzlich entstandene Ausdrücke der Vorgänge inneren Charakters,
also Eindrücke von der "inneren Natur". Diese Art nenne ich "Improvisationen";
3. auf ähnliche Art (aber ganz besonders langsam) sich in mir bildende Ausdrücke, welche lange und beinahe
pedantisch nach den ersten Entwürfen von mir geprüft und ausgearbeitet werden. Diese Art Bilder nenne ich
"Komposition".
(Über das Geistige in der Kunst" erschienen 1952, Manuskript 1910)
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Komposition VII
Kandinsky fertigte für das große Bild "Komposition VII" 35 Studien an und ließ den Zustand an jedem Tag in
Fotos festhalten. Ursprünglich liegt dem Bild, an dem er vier Tage arbei tete, angeblich eine Assoziation zum
Jüngsten Gericht zugrunde. Die linke der drei abgebildeten Studien gibt einen identifizierbaren Ausschnitt aus
der Gesamtanlage wieder, bei den beiden anderen kann ich keinen Zusammenhang erkennen.
"Bei dem Schritt, gänzlich auf Anleihen bei sichtbaren Dingen
zu verzichten, erfuhr Kandinsky Unterstützung von
ungewöhn-licher Seite. Wo er vom Rückgriff auf vermeintliche "innere Erlebnisse" spricht, über die das Geitige in
seine Bilder gelangt sein sollte, verraten recht äußerliche
Quellen die Herkunft der Dar-stellungen...Das Buch
("Gedankenformen") der englischen Autoren Besant und
Leadbeater kam 1908 in deutscher Übersetzung heraus.
Kandinsky besaß eine eigene Ausgabe. In den 57 farbigen
Abbildungen verfügte er zumindest über Muster, die den
Schritt zur Abstraktion längst vollzogen hatten, wenn auch
nicht als Kunst."
(Stefan Heidenreich, "Was verspricht die Kunst? 1998, S.114)
Mondrian
"Kunst steht dort, wo ehemals Gottesdienst stand" (Mondrian)
"Mondrian suchte nach einer universalen, überpersönlichen Kunst: nach der reinen
Kunst, die nicht mehr an ein Künstlerindividuum gebunden war. Und doch blieb seine
Kunst, glücklicherweise, strikt persönlich. Hunderte malende Mondrians wären ein
Alptraum...“
(Hans Belting, Das unsichtbnare Meisterwerk, 1998, S.354)
Der Niederländer Piet Mondrian malt 1908 noch Bilder, die vom Impressionismus und Symbolismus geprägt sind. 1912 lernt er in Paris den Kubismus
kennen und radikalisiert daraufhin seine bereits deutlich geometrisierte Malerei
auf Linien und Farbflächen. Er begrenzt seine Palette radikal, seine Bilder
heißen dann "Komposition Nr..." und enthalten seit den 20er Jahren nur noch
horizontale und Vertikale Linien und Weiß/Schwarz sowie die Primärfarben
Gelb/Rot/Blau. Damit scheint er sein Thema gefunden zu haben, das er nun mit
wenigen Ausnahmen bis knapp vor seinem Lebensende (1944) variiert.
Mondrian gründet 1917 mit van Doesburg die sog. "De Stijl-Bewegung" um die
gleichnamige Zeitschrift, die beide Maler zu einer theoretischen Plattform für
ihren "Neoplastizismus" ausbauen und dabei auch den Begriff der "Konkreten
Kunst" einführen, womit der Vorgang der Abstraktion und damit der Ausgangspunkt vom gegenständlichen Motiv aus dem Diskurs genommen wird. Die oft
gestellte Frage: "Was soll das darstellen" ist damit endgültig beantwortet. Das
Bild stellt nur noch sich selbst dar.
Mondrians reduktionistische Malerei, eine asketische Haltung und ein alles
durchdringender Spiritualismus haben tiefgreifende Wirkungen auf die Malerei
weit über seinen Tod hinaus hinterlassen. Über ein Jahrzehnt hinweg lässt sich
ein Weg der Abstraktion aus seinen Bildern konstruieren, der scheinbar linear
auf ein unvermeidliches Ziel hinstrebt. Solche klaren Entwicklungslinien liebt
die Kunstgeschichte und das mag auch den Ruhm von Mondrian ausmachen.
Der graue Baum von 1911 greift ein Motiv von 1908 wieder auf. Die
spiegelverkehrte Darstellung lässt ahnen, dass beim zweiten Anlauf nicht mehr
die Natur das Vorbild war.
Abstraktion erscheint als eine Art Bildbearbeitung, Filterung, Variation, wie sie
noch deutlicher als bei Mondrian immer wieder bei Picasso nachweisbar ist.
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In einem weiteren Schritt verselbständigt sich das entstandene System aus Linien und Flächen zu einer
rhythmischen Komposition, bei der nur noch der Titel den Hinweis auf ein abgebildetes Objekt gibt. Vom
ursprünglichen Baum bleibt eine im Zentrum betonte grafische Struktur. Im Detail ist nicht mehr
nachvollziehbar, welche Entscheidungen zu einer bestimmten Linie oder Teilfläche geführt haben. Andererseits
entsteht eine kompositionelle Ordnung, die allgemeine Anklänge über ein aufstrebendes Wachstum und die
'Architektur' einer Baumkrone noch enthält, ohne dass der Betrachter noch notwendigerweise die Assoziation
Apfelbaum haben muss.
Die Komposition von 1913 zeigt schließlich, wohin ein derartiger Prozess
führen kann, mit mathematischer Wahrscheinlichkeit sogar führen muss.
Wer nach dem Prinzip der Ausbreitung von Richtungen im Raum oder auf
der Fläche sucht, muss irgendwann zwangsläufig das in der Mathematik
längst bekannte System der Koordinaten nacherfinden. Wer nach dem
Prinzip der Vielfalt von Farben sucht, muss irgendwann zwangsläufig das
in der Physik längst bekannte System von Urfarben und Primärfarben
nacherfinden. So ist Mondrians Weg einerseits logisch und nachvollziehbar, andererseits auch wenig überraschend. Erstaunlich, dass er dazu
so lange braucht.
Verglichen mit dem kunstgeschichtlichen Weg der Reduktion ist
Mondrian auf halber Wegstrecke stehen geblieben. Seine letzten Jahre in
New York haben ihn sogar zu 'Rückschritten' veranlasst. Die letzten
Bilder "Boogie-Woogie“ von 1943/44 verlassen die strenge Klarheit
zugunsten einer höheren Komplexität und differenzierteren Farbigkeit.
Malewitsch
Der Russe Kasimir Malewitsch entwickelt etwa seit 1910 unter dem Einfluss
von Kubismus und Futurismus eine abstrakte Malerei, die sich auf
geometrische Grundformen beschränkt. Mit seinem Bild "Schwarzes Quadrat
auf weißem Grund" liefert er 1915 in einer Ausstellung in Petersburg eine
Ikone der gegenstandslosen, "absoluten Malerei". Er gilt als einer der
führenden Vertreter des Russischen Konstruktivismus (neben Tatlin und El
Lissitzky).
Malewitsch arbeitete zielgerichtet am Mythos seiner absoluten Malerei,
indem er ähnlich wie Kandinsky sein "erstes abstraktes Aquarell" das
"Schwarze Quadrat" zum Ursprung und zur "Erstgeburt" seines
Suprematismus erhob. In Wirklichkeit hat er schneller als Mondrian
erkannt, wohin seine Reduktion von Form und Farbe führen würde, und nach
ersten Kompositionen mit farbigen Rechtecken sein Ziel, das schwarze
Quadrat auf weißem Grund, entdeckt. In der Ausstellung von 1915 hat er es
dann an den Anfang einer von ihm selbst konstruierten Entwicklungsreihe
gestellt und auf 1913 zurückdatiert!
"Ein Urbild wurde aus didaktischen Gründen gebraucht, um im
Suprematismus die Entfaltung einer Urform behaupten zu können."
( Belting S. 344)
Als schon nach kurzer Zeit Risse im Schwarz eine übermalte
suprematistische Komposition sichtbar werden ließen, hat er zwischen 1923
und 1929 eine Replik angefertigt, um sein „Märchen“ aufrecht erhalten zu
können. Er selbst nennt seinen Stil "Suprematismus". 1927 erscheint seine Schrift "Die gegenstandslose Welt",
mit der er zu einem der führenden Theoretiker des Konstruktivismus wird.
Im Zuge der politischen Entwicklung in Europa und Russland gerät die nichtgegenständliche Malerei und die
Tendenzen im Expressionismus, die ihren Weg begleiten unter gesellschaftlichen Druck. Vor allem in Russland,
in Deutschland und in Italien übernehmen politische Kräfte die Herrschaft, die die Kunst wieder in den Dienst
politischer Herrschaftsinteressen stellen und sie als Instrument von Volkserziehung und Propaganda für ein
Menschenbild und Weltbild einsetzen, das an klassisch / klassizistischen Idealen ausgerichtet ist.
Erst nach dem 2. Weltkrieg wird die "Abstrakte Kunst", diesmal von Amerika ausgehend, zur vorherrschenden
'Stilform'.
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III. FAZIT:
Wesentliche Züge des sich vollziehenden Prozesses der Abstraktion sind
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Ein wachsender Abstand der Malerei vom literarischen bzw. erzählerischen "Thema"
Ein wachsendes Desinteresse an der erscheinungsrichtigen Abbildung von Gegenständen.
Eine wachsende Lust an der Deformation, Disproportion, Formauflösung bei der Darstellung von Dingen
und Lebewesen.
Eine steigende Tendenz zur Übersteigerung bis Verselbständigung von Farbe und Geometrie
Eine Hinwendung zu Theoremen von musikalischen Harmonielehren, wie "Klang", "Ton", "Akkord",
"Rhythmus", "Komposition“
Der Versuch, die Hinwendung zur Abstraktion zu legitimieren als einen Gewinn an "Geistigem", an
„höherer Wahrheit", als Durchbruch zum "Eigentlichen" der Malerei (reine Malerei).
Eine wachsende Tendenz der Künstler, die Geschichtsschreibung über Kunst selbst in die Hand zu nehmen
durch schriftliche Programme, Manifeste, autobiografische Darstellungen, Mythen.
IV. Folgen und Nachfolger
Im Zuge der politischen Entwicklung in den 30er Jahren und während des 2. Weltkriegs in Europa und Russland
gerät die nichtgegenständliche Malerei und die Tendenzen im Expressionismus, die ihren Weg begleiten unter
gesellschaftlichen Druck. Vor allem in Russland, in Deutschland und in Italien übernehmen politische Kräfte die
Herrschaft, die die Kunst wieder in den Dienst politischer Herrschaftsinteressen stellen und sie als Instrument
von Volkserziehung und Propaganda für ein Menschenbild und Weltbild einsetzen, das an klassisch / klassizistischen Idealen ausgerichtet ist. Erst nach dem 2. Weltkrieg wird die "Abstrakte Kunst", diesmal von Amerika
ausgehend und deshalb mit „demokratisch“ gleichgesetzt, zur vorherrschenden 'Stilform'.
(1) Formen der Geometrischen Abstraktion nach 1945
Für
eine
Fortsetzung
der
Vorkriegstraditionen sorgen zunächst
die ins Ausland emigrierten Bauhaus
Künstler, wie Josef Albers, Max Bill,
Johannes Itten. Sie stehen für eine
Richtung der streng geometrischen
Abstraktion, die den Traditionen von
De Stijl und des Konstruktivismus
folgt.
Barnett Newman ,"Vir Heroicus Sublimis",
1950-51, Öl, 244x 549 cm
In deren Folge wiederum kann man die amerikanische "Farbfeld Malerei" / Color Field Painting (Barnett
Newman), das Hard Edge Painting (Ellsworth Kelly, Frank Stella) oder auch die Op Art (Victor Vasarely,
Bridget Riley) sehen, wobei die jeweiligen Vertreter der unterschiedlichen Gruppen dieser Untergruppe des
sogenannten abstrakten Expressionismus vermutlich vehement wehren würden gegen eine derartige
Einordnung, weil sie mehr oder weniger alle der Meinung sind, dass ihre Kunst unverwechselbar und
einmalig ist.
In der Tat gehört bald zu jedem Namen eine eigene Philosophie, und ein immer wortreicher werdendes Gebäude
aus Erklärungen, Leseanweisungen. Zum Mythos der Abstraktion gehört ganz wesentlich die Behauptung, dass
das Kunstwerk ganz wesentlich erst im Akt des Betrachtens und durch den Betrachter entsteht.
"Newmann empfing das Publikum 1951 in der Betty Parsons Gallery mit einem Text, der einer Regierungserklärung der neuen Kunst gleichkam. Die gezeigten Werke, so las der erstaunte Besucher, seien nicht mit Ideen
und auch nicht mit Abstraktionen zu verwechseln. Sie ähnelten Personen darin, dass sie "Verkörperungen des
Gefühls" seien, denn sie offenbarten ihre innere Leidenschaft in der 'Konzentration zum Bild'. Hier vollzieht
Newman eine überraschende Wende in der Definition des Bildbegriffs. Nachdem sich die Malerei von den
Bildern entleert hatte, die Werke üblicherweise enthielten, wandelte sich das bilderlose Werk in sein eigenes
Bild."
"Das Bild, das wir erzeugen, hat die Evidenz einer realen Offenbarung, die von jedermann verstanden werden
kann" (B. Newman)
(Zitate aus: Hans Belting, „Das unsichtbare Meisterwerk“, 1998, S.427)
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(2) Formen der Lyrisch-gestischen Abstraktion nach 1945
Eine andere Richtung, etwa um WOLS und Willi Baumeister, nahm die
mehr gestischen Momente bei Kandinsky auf oder auch Ideengut aus
dem Surrealismus (Dali, Miro). Der Surrealismus hatte mit der
'Automatischen Schreibweise' (Ècriture automatique) das Stichwort
geliefert, mit dem parallel zum automatisierten Schreiben in der Literatur
das Kritzeln, Tröpfeln und Spritzen in der Malerei zum Psychogramm
geadelt wurde.
Einen Höhepunkt erreichte diese Bewegung mit dem Amerikaner
Jackson Pollock (1912-1956), der die gestische Malerei seit 1946 zum
Action Painting entwickelte, das Tröpfeln, Schütten, Spritzen,
Schmieren, Wischen, Klatschen von Farbe zu Stilmitteln eines betont
gestischen abstrakten Expressionismus machte, der die westliche
Kunst in den 50er Jahren bis in die 60er Jahre hinein beherrschte, bis die
Pop Art und eine neue Hinwendung zum Gegenstand der Vorherrschaft
der Ungegenständlichen Kunst vorübergehend Einhalt gebot.
Beachtlich bei Pollock sind die bis zu 5m breiten Formate, "murals",
die er auf Leinwand (!) und auf dem Boden liegend in stundenlangen
Sitzungen bis zur physischen Erschöpfung bearbeitete. Der Malakt wird
bei Pollock zum Ritual und eigentlichen "Werk". Er ließ sich dabei fotografieren und filmen. Statt Pinseln
verwendete er Holzstücke, Messer, Maurerkellen, die er in dünnflüssige Farbe tauchte, oder er bohrte die
Farbeimer an, um ein stetiges Tröpfeln zu erreichen. Gelegentlich setzte er der Farbe Sand, Glasstücke und
andere Beigaben zu. Seine Drippings sind, der spontanen Eingebung und der beim Arbeiten entstehenden
psychischen Erregung oder Abschlaffung folgend rhythmische, dicht versponnene Farbgespinste von recht
unterschiedlichem Charakter. Immerhin arbeitete er nahezu 10 Jahre seines Lebens mit derartigen Aktionen, sich
körperlich und psychisch verausgabend. Pollock war exzessiver Raucher und Trinker, und wurde von Peggy
Guggenheim finanziell, und einigen wortführenden Kunstkritikern durch theoretische Untermauerung, zum
"größten Maler der USA" stilisiert.
"Schon möglich, daß Pollock die richtungsweisende Persönlichkeit seiner Zeit war - macho, mürrisch,
schamanenhaft, hyperromantisch, impulsiv, agressiv, aufdringlich, gefährlich, versoffen und wild."
(Danto, "Kunst nach dem Ende der Kunst", 1996, S.61)
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Quelle: Ulli Schuster: Online-Material zum Leistungskurs Kunst, Luitpold-Gymnasium München, 2003/05
(Überarbeitung: M. Klinkner, 2008) aus: http://www.kunstunterricht.de/material/kusem/abst.doc
V. Anhang: Begriffe (in alphabetischer Ordnung)
ABSTRAKT: (lat. abstractus „abgezogen“) unglücklicher, weil unklarer Kunstbegriff; vom Gegenstand wird
seine äußere Erscheinung abgezogen und seine Struktur dargestellt; abstrakt bedeutet im üblich
Sprachgebrauch „unanschaulich“, trifft aber in der bildenden Kunst nicht zu, weil diese immer anschaulich
ist
ABSTRAKTION: (lat. abstrahere = wegziehen, trennen, abziehen) Gestaltungsprinzip der bildenden Kunst,
wobei der Grad der Abstraktion in den jeweiligen Zeitstilen verschieden ist; die Verwandlung des
Naturvorbildes in eine mehr oder weniger geometrisierte Form von großer Ruhe; in der Malerei: „Jede
künstlerische Äußerung stellt einen Abstraktionsvorgang dar. Unter abstrakter Kunst versteht man jene
Werke, die den Bereich gegenständlicher Darstellung verlassen und auf die Abbildung des Naturvorbildes
verzichtet.“ (Kandinsky 1910); Abstraktionsvorgang: Schrittweise Verdeutlichung des Wesentlichen durch
Vereinfachen bis zum Zeichen.
ACTION PAINTING: Fachausdruck für eine Form der abstrakten Malerei, in der die Tätigkeit des Malers, der
Ablauf des Malprozesses - seine Spontaneität - sichtbar wird.
AKTIONSKUNST: (engl. Happening „Ereignis“) Es ist der Oberbegriff für viele andere Bezeichnungen wie
Art Events, Fluxus, Performance oder als deutsche Bezeichnung Aktionskunst. Gemeint ist ein
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überraschendes, oft schockierendes Kunstereignis, das meisten improvisiert wird und dessen Erlebnis nicht
vorhersehbar ist. Das eigentliche Kunstwerk ist die Aktion selbst. Der Künstler will mit dieser Aktion, die
aus Elementen der Malerei, Bildhauerei, des Theaters, der Musik und des Tanzes bestehen kann, das
Publikum einfach nur für sich interessieren, für seine Kunst und für seine künstlerischen Ideen. Vertreter:
Joseph Beuys, Jim Dine, Allan Kaprow, Yves Klein, Claes Oldenburg, Robert Rauschenberg u. a.
FUTURISMUS: (lat. futurum „Zukünftiges") Eine Kunstrichtung, die sich von allen Formen der Vergangenheit
lösen wollte. Stattdessen sollte das Zukünftige, experimentell vorweggenommen, jede Form bestimmen.
Vielfältige Bildmotive werden ineinandergeschachtelt. Dadurch sucht man das zeitliche Nacheinander in ein
Miteinander zu verwandeln und so ein sichtbares Zeigmoment auszubilden.
DRIP PAINTING: Tröpfelmalerei, Technik des Action painting; aus tröpfelnden Farben bilden sich Linien, die
den Rhythmus des Malens sichtbar machen; die Farben werden aus einem pendelnden Behälter oder
unmittelbar von Hand auf die flachliegende Leinwand gespritzt
INFORMEL: (franz. informelle Kunst) in den 50er und 60er Jahren allgemein verbreitete abstrakte
Kunstrichtung, der nach dem 2. Weltkrieg ein Anknüpfen an klassische Formprinzipien, überhaupt an Form
als eine nicht mehr tragfähige Konvention erschien. Begriff für eine nichtgeometrische abstrakte Malerei, die
sich im spontanen Malakt ohne kompositionelle Normen artikuliert. Vertreter: Wols, Hans Hartung, Pierre
Soulages, Emil Schumacher u. a.
KONSTRUKTIVISMUS: (lat.) Eine Kunstrichtung innerhalb des 20. Jahrhunderts, deren Vertreter ihre Werke
auf der Grundlage geometrisch-abstrakter Formen entwickeln. Klare, eindeutig bestimmte Formen und deren
Verbindung in einem übersichtlichen, konstruktiven Aufbau sind die entscheidenden Gestaltungsprinzipien
in der Malerei. Der Konstruktivismus entstand als Antwort auf den Kubismus zunächst in Russland.
Vertreter: Wassily Kandinsky, Piet Mondrian u. a.
KUBISMUS: (griech. kybos "Würfel") Eine Richtung der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, die ihren Ursprung
in Paris hat. Der Kubismus basiert im Formalen auf den Gestaltungsprinzipien Paul Cezannes, der die
Naturdarstellung auf geometrische Formen zurückführte. Pablo Picasso schuf mit dem Gemälde "Les
Demoiselles d´Avignon" 1907 das Grundlagenbild des Kubismus. Zwar bleibt der dargestellte Gegenstand
erhalten; doch wird er in eine stereometrische Ordnung umgebildet. Eine Kunst mit klassischen Tendenzen,
welche Dinge keineswegs missachtet, aber sie einer reinen strengen Gesetzmäßigkeit unterwirft. In den
folgenden Jahren entwickelt sich zunächst der analytische Kubismus. Die Figuren und Dinge werden formal
analysiert, wobei der Darstellungsgegenstand gleichzeitig von verschiedenen Seiten gesehen und
wiedergegeben wird. Ab 1912 beginnt die Phase des synthetischen Kubismus, der wesentlich auf der
sogenannten Collagetechnik aufbaut. In den Collagen ergreifen die kubistischen Künstler die Möglichkeit,
außerkünstlerische Bestandteile, wie etwa Zeitungsabschnitte und Taperten oder auch Holzelemente in ihre
Kompositionen zu integrieren. Vertreter: Pablo Picasso, Georges Braques, Juan Gris, Fernand Léger, Robert
Delaunay u. a.
TACHISMUS: (franz. la tache "Fleck") Stilrichtung innerhalb des Abstrakten Expressionismus. Der Name
ergibt sich aus der Beschreibung der Maltechnik. Farbflächen und Linien werden spontan und ohne vorher
festgelegte Komposition oder Vorzeichnung auf die Leinwand gemalt. Der impulsive Malvorgang gibt dem
Künstler die Möglichkeit, eine ganz persönliche, im Augenblick empfundene Aussage aufzuzeichnen. Das
Bild wird beim Malen zu einer Aktionsfläche, auf der der Künstler seine Gefühle, Stimmungen, Gedanken
niederschreibt. Einzig seine persönliche Sichtweise ist der gültige Maßstab. Es bleibt ihm allein überlassen,
auf herkömmliche ästhetische Bräuche Rücksicht zu nehmen. Vertreter: Wols (Alfred Wolfgang Schulze),
Jean Fautrier, Willi Baumeister, Georges Mathieu, Emil Schumacher u. a.
Quelle: Künstlerische Begriffe und Gestaltungsweisen: http://www.tibs.at/faecher/be/Begriffe/Begriff1.htm