„Kalt, aber sehr verlockend“

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„Kalt, aber sehr verlockend“
Bericht | Text und Foto: Annalena Koch
„Kalt, aber sehr verlockend“
BrasilianerInnen zu Besuch in Münster
„Ein kalter Traum aus Schokolade“, so
beschrieb eine von zwölf jungen Brasilianern und Brasilianerinnen ihren ersten
Eindruck von Deutschland. Die Gruppe
hatte sich auf den Weg gemacht, die seit
dem Weltjugendtag 2005 bestehende
Freundschaft zwischen der St. Franziskus Gemeinde Münster und der Gemeinde „Nossa Senhora“ in Timbiras, einer
kleinen Stadt im „Hinterland“ des Bundesstaates Maranhão, neu zu beleben.
Dies war bereits die fünfte Jugendbegegnung dieser Art, über die Annalena
Koch für ~ berichtet.
Die vier gemeinsam erlebten Wochen
vom 24. März - 24. April wurden zu einer großen Bereicherung beider Seiten,
wenn auch anfangs Sprachbarrieren der
Kommunikation im Weg standen. Da die
deutsche Gruppe sowohl in der Alterspanne als auch in der Dynamik höchst
durchmischt war - insgesamt waren Jugendliche im Alter zwischen 12
und 16 Jahren, aber auch junge
Erwachsene und Familien beteiligt -, ist es am Ende umso erfreulicher festzustellen, dass die
gemeinsam erlebte Zeit uns fast
wie zu einer Familie zusammengeschweißt hat.
_Herzstück des Austausches war
ein Theaterprojekt, das von der
deutsch-brasilianischen Jugendgruppe und zwei Theaterpädagogikstudenten entwickelt und
aufgeführt wurde. Die kreative
Idee dahinter bestand darin, die jeweils
andere Gruppe so, wie man sie wahrgenommen hatte, zu spielen. Dabei bestätigten sich manche unserer Vorstellungen, andere nicht. Wir nahmen auch
neue Aspekte am Anderen wahr, die wir
noch nie so bemerkt hatten. Mit der Zeit
schwanden die Sprachbarrieren und so
manche Schüchternheit.
_Ein besonderes Merkmal war auch
diesmal wieder die Gastfreundschaft
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der deutschen Familien, die sich sehr
liebevoll um ihre Gäste kümmerten. In
Deutschland ist es im Vergleich zu Brasilien nicht selbstverständlich, spontan die
gesamte Gruppe von 30 Leuten für einen
Abend zum lustigen Beisammensein einzuladen. Deshalb schätze ich diese unkomplizierte Art sehr.
_Der Besuch teilte sich in mehrere Phasen auf. Am Anfang stand die kulturelle
Umstellung und das Kennenlernen der
Stadt Münster für die Gäste aus Brasilien
im Vordergrund, einer Stadt, die älter ist
als ihr Heimatland, das es als Staat erst
seit 1500 gibt. Darauf folgten das Theaterprojekt in den Osterferien und das
gemeinsame Feiern der Ostertage bei
Gottesdiensten und in den Familien.
Interessant waren dabei sicherlich die
deutschen Bräuche wie Osterfeuer, Ostereiersuche, die den Brasilianern gänzlich
unbekannt waren, die Messe war verbindendes Element, das alle kannten. Einen
Tag verbrachten wir in Köln, wo wir unter anderem den Turm des Kölner Doms
erklommen. Auf Wunsch der Brasilianer
sind wir im Anschluss noch ins Haus der
Geschichte nach Bonn gefahren. Wenn
man die deutsche Geschichte Menschen
aus anderen Ländern und Kulturen erklärt, nimmt man sie selbst noch einmal
etwas anders wahr.
_Der dritte Teil des Austausches war geprägt durch die Alltagsphase. Die Brasilianer besuchten Schulen, Kindergärten und
ein Altenheim und konnten Einblicke in
die Arbeitswelt der Erwachsenen bekommen und im „Hoppengarten“ Kontakt zu
Familien mit Migrationshintergrund, vor
allem Kosovo-Albanern, aufnehmen. So
sahen sie, dass auch in Deutschland nicht
alles Gold ist, was glänzt. Höhepunkt in
der Gemeinde war sicherlich die Familienmesse mit der Aufführung des gemeinsamen Theaterstücks und einem Fußballturnier. Hier war Teamgeist gefragt,
denn die Teams mussten paritätisch und
binational besetzt sein und es musste je
ein Kind darin vorkommen. Weitere gemeinsame Aktivitäten waren ein Projektchor zum Einüben von brasilianischen
Liedern für die Sonntagsmesse, das gemeinsame Capoeira-Training in der Hildegardisschule und Straßenmusik in der
Fußgängerzone. Dabei knüpften wir immer wieder zufällig
Kontakte zu Brasilianern, die in
Deutschland leben und anderen
Menschen, die sich mit Brasilien
verbunden fühlen. Auch diese
Personen wurden herzlich aufgenommen und in die Gruppe
integriert.
_Es entstand ein Miteinander,
das so beim letzten Besuch
2007 noch nicht da gewesen
war. Denjenigen, die wie Gemeindereferent Andreas Rehm
schon von Anfang an dabei waren, wurde
so noch einmal deutlich, dass ein Austausch kein linearer einmaliger Prozess
ist, sondern eine Freundschaft sich auch
weiterentwickelt. In 2 Jahren planen wir
als Gruppe einen Gegenbesuch, den die
Jugendlichen kaum erwarten können.
Vamos ver - wir werden sehen, wo der
gemeinsame Weg uns noch hinführt. #