Wintermorgen im Sauerland
Transcrição
Wintermorgen im Sauerland
ISSN 0177 - 8110 K 2767 Nr. 4/Dezember 2008 Zeitschrift des Sauerländer Heimatbundes SAUERLAND Wintermorgen im Sauerland Dinosaurier, Säbelzahnkatze & Co. EINE REISE DURCH DIE URZEIT Sonderausstellung im Sauerland -museum Arnsberg 15. Februar bis 9. August 2009 Museumspädagogische Programme für Schulklassen Sauerland-Museum des Hochsauerlandkreises Alter Markt 24 - 26 · 59821 Arnsberg Tel. (0 29 31) 40 98 · (0 29 31) Fax 41 14 [email protected] www.sauerland-museum.de Öffnungszeiten: Di-Fr 9.00-17.00 Uhr Sa 14.00-17.00 Uhr So 10.00-18.00 Uhr Feiertags wie sonntags geöffnet. 159 S AUERLAND N R . 4/2008 SAUERLAND Nr. 4/Dezember 2008 Zeitschrift des Sauerländer Heimatbundes Aus dem Inhalt Geschichte Die Sauerländer und das Wir-GefühI. Auch in der modernen Konsumgesellschaft geht es nicht ohne Gefühle. Man braucht nur an die Fußballweltmeisterschaft zu denken, als die Deutschen plötzlich ihr Nationalgefühl entdeckten und man überall mit Stolz die schwarzrot-goldenen Farben zeigte. Die Landesfarben von Nordrhein-Westfalen sah man dagegen weniger. Schon der langjährige Ministerpräsident Johannes Rau hatte das mangelhafte Landesbewusstsein bedauert, und er versuchte, allerdings mit geringem Erfolg, mit dem griffigen Wort „Wir in Nordrhein-Westfalen“ Abhilfe zu schaffen. Die jetzige Landesregierung unter Jürgen Rüttgers hat diese Bemühungen aufgegriffen. Durch eine Vielzahl von Veranstaltungen mit landesweiter Resonanz soll das Landesbewusstsein gefördert werden. Wir sollen also in unserem BindestrichLand Nordrhein-Westfalen nicht einfach in den Tag hinein leben, sondern das selbstbewusste „Wir in NRW“ verinnerlichen. Natürlich gibt es auch noch – „noch?“ – den Landesteil Westfalen. Der Westfälische Heimatbund, dem Sauerländer Heimatbund seit jeher verbunden, bemüht sich nach Kräften, den inneren Zusammenhalt Westfalens zu fördern. Das zeigen die regelmäßig abgehaltenen Westfalentage, die leider nicht immer eine zureichende Resonanz in den Medien finden. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, die starke Stütze des Heimatbundes, vertritt weiterhin die westfälischen Gcsamtinteressen, seit einigen Jahren unterstützt durch die sehr aktive „Westfalen-Initiative“, die sich für die Stärkung all dessen einsetzt, was uns unsere westfälische Heimat so teuer macht. Nun gibt es etwas Neues. Wie in unserer Zeitschrift schon mehrfach berichtet, haben sich die fünf Kreise Siegen-Wittgenstein, Olpe, Märkischer Kreis, Hochsauerlandkreis und Soest zu einer „Region Südwestfalen“ zusammengeschlossen. Mit gebündelten Kräften will man den Politikern in Düsseldorf, Berlin und Brüssel klar machen, dass auch im südlichen Westfalen tüchtige Menschen wohnen, die gern an den vielen Subventionstöpfen auf staatlicher und europäischer Ebene teilhaben wollen. Das wird jeder Heimatfreund begrüßen. Damit aber nicht der Eindruck entsteht, es handele sich um einen rein wirtschaftlichen Zusammenschluss, soll ihm ein bürgerschaftliches Flair verliehen werden. Vielleicht kommt sogar einer auf den Gedanken, nach dem Landesmuster nun mit „Wir in Südwestfalen“ Interesse zu wecken. Bürgerschaftliche Resonanz erhofft man sich auch durch die Südwestfalentage, die regelmäßig abgehalten werden sollen. Nun, es kann nicht schaden, wenn ein Bürger aus Siegen demnächst den Patrokli-Dom in Soest bestaunt oder wenn ein Lüdenscheider erfährt, dass in Marsberg hervorragendes Glas produziert wird. Aber wo bleibt eigentlich das Sauerland, wo bleiben wir Sauerländer? Wir haben natürlich auch ein Wir-Gefühl, ein für uns selbstverständliches Wir-Gefühl angesichts der viele Jahrhunderte währenden Gemeinsamkeiten im kurkölnischen Sauerland. Aber ist dafür in Zukunft noch Platz angesichts all der Aktivitäten auf den anderen Ebenen? Es wird ja doch viel von uns verlangt, was unsere Bereitschaft zur Identifizierung mit den einzelnen Institutionen angeht. Wir sollen weltoffene Bürger der Bundesrepublik sein, leistungsstarke NRW-Menschen, bodenständige Westfalen, aufstrebende Südwestfalen und schließlich, gewissermaßen am Ende der Reihe, heimatbewusste Sauerländer. Lesen Sie weiter auf der folgenden Seite Hexendenkmäler im Sauerland S. 173 Die Herausbildung eines katholisch-nationalistischen Milieus in Sundern im Kaiserreich 1871-1914 S. 183 Heimat • Kultur Eröffnung des öffentlichen Begegnungs- und Kulturzentrums Kloster Bredelar/Theodorshütte S. 161 „Positiv Verrückte aus dem Sauerland“ S. 164 Die Verkrämerung von Stadt, Dorf und Straße S. 166 Die Vermessene Fernsicht S. 189 Die Kanzel der St.-JohannesPfarrkirche in Attendorn S. 190 Weihnachten in Menden S. 193 Herbstgedanken auf der Heidenstraße S. 197 Natur • Landschaft • Siedlung Der Möhnesee und die Vögel S. 198 Sprache und Literatur „Kick“, sagg’ de Katte ... Rezensionen • Personalien BÜCHER • SCHRIFTTUM S. 202 PERSONALIEN S. 206 Unser Titelbild fotografierte Firedhelm Ackermann † an einem winterlichen Morgen im Sauerland. Wenn unsere Leser den Ort oder den Standort des Fotografen wissen, dann bitten wir um Meldung bei der Redaktion. Mitarbeiter dieses Heftes finden Sie auf S. 206 160 S AUERLAND N R . 4/2008 Fortsetzung von der Vorseite Ja, da scheint der Sauerländer Heimatbund, unser Heimatbund, gefordert zu sein. Erfreulicherweise kann unser Vorsitzender Dieter Wurm unsere Interessen im Beirat der neuen Region Südwestfalen unmittelbar vertreten. Es ist nun einmal so: Wir behalten unseren angestammten Platz im Bewusstsein unserer Bevölkerung nur dann, wenn wir ihn durch unsere heimatbezogene Arbeit immer wieder rechtfertigen. Das können wir durchaus mit Selbstbewusstsein tun. Das Sauerland – auch in den großen Medien ist es präsent, nicht zuletzt durch den „klare Kante“ zeigenden Franz Müntefering aus Sundern und durch den Briloner Politiker Friedrich Merz – der kürzlich durch sein neues Buch über den Kapitalismus Furore gemacht hat –, die sich beide immer wieder gern in der Öffentlichkeit zum Sauerland bekennen. Warum nicht auch wir? Wir sind gut beraten, die weitere Entwicklunug aufmerksam zu verfolgen und gemeinsam dafür zu sorgen, dass das Sauerland, „unser“ Sauerland, für uns und künftige Generationen gerade auch in gutem Zusammenwirken mit allen heimatbezogenen Kräften in Südwestfalen seine Bedeutung behält. Dr. Adalbert Müllmann Ehrenvorsitzender des SHB Namen sind Schall und Rauch!? Tag der Familienforschung beim Märkischen Kreis am 22. Oktober 2008 Ein rundum gelungener und außerordentlich gut besuchter Tag der Familienforschung - diese mehr als zufriedene Bilanz ziehen Landeskundliche Bibliothek und Archiv des Märkischen Kreises. Dr. Roland Pieper, Kunstexperte aus Münster, führte durch das 100 Jahre junge Altenaer Kreishaus I an der Bismarckstraße 15, das durch seine Architektur und stilvolle Innenausstattung aus der Zeit des Späthistorismus besticht und heute die Fachdienste Gesundheitsschutz/Umweltmedizin und Kultur beherbergt. Viele Jahre, von 1909 bis 1927, bewohnte die damalige landrätliche Familie Thomée das erste Obergeschoss, in dem sich nun die Büros und der Lesesaal von Kreisarchiv und Landeskundlicher Bibliothek befinden. Bis Mitte Januar 2009 gewährt dort die Ausstellung „Fritz und Lily Thomée geben sich die Ehre“ neue Einblicke in das dienstliche und private Leben der Thomées. nehmerinnen und Teilnehmer – sowohl „alte Hasen“ als auch „Greenhorns“ ganz unterschiedlicher Altersgruppen – trafen sich zum lebhaften Gedankenaustausch. Was zu tun ist, wenn jemand Familienforscher werden oder als bereits langjähriger Genealoge seinen „toten“ Forschungspunkt umschiffen möchte, dazu gab Karin Müller, Dipl.Bibliothekarin in der Landeskundlichen Bibliothek, praxisnahe Tipps und eine aktuelle „Bunte Liste Genealogie“ an die Hand, die über wichtige Internetadressen, Archive, Bibliotheken und Buchtitel informierte. Förmlich aus den Nähten platzte der Lesesaal zum Start des Workshops „Familienforschung“. Knapp siebzig Teil- Kreisdirektorin Barbara Dienstel-Kümper begrüßte am Abend Prof. Dr. Jürgen Udolph, bis Ende 2007 einziger Professor für Onomastik (Namenforschung) an der Universität Leipzig und weit über regionale Grenzen hinaus bekannt durch seine zahlreichen Rundfunk- und Fernsehauftritte. Prof. Udolph beeindruckte sein Publikum durch seinen Vortrag über die Bedeutung und Verbreitung von Familiennamen und entkräftete damit mühelos die These, Namen seien nur Schall und Rauch. Intensiv widmete er sich den fünfundzwanzig Namen, die im Vorfeld per Telefonaktion zusammengetragen worden waren. Die (u. a.) Breuningers, Edelgasts, Osmergs und von der Crones dankten es ihm mit besonders herzlichem Applaus. Der Tag der Familienforschung war Teil der bundesweiten Aktion „Deutschland liest. Treffpunkt Bibliothek“ unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Horst Köhler. Weitere Informationen: Märkischer Kreis, Fachdienst Kultur, Kreisarchiv und Landeskundliche Bibliothek, Bismarckstr. 15, 58762 Altena. ( (02352) 966-7053. E-Mail: [email protected]. Internet: www.maerkischer-kreis.de/kultur. Chrisdageslecht Chrisdageslecht, verlöske mey nit! Lochte hell bey jedem Schriett, diän ieck dau op düeser Eeren, wann 't well düister weren Mak mieck innen waarm un weyt! Lot mieck in dür schwoaren Teydt, üewer eignen Soargen, Schmiärten nit diän Nögesten vergiten Lot diär deyner Strohlen Scheyn selwer äse'n Lecht mieck seyn Fiär diän Einen un diän Annern, dai do mot im Duistern wannern, ai ganz ohne Hoapen sind. Chrisdagslecht, meyn Jesuskind, lochte jedem hey op Eeren, diäm 't well düister weren. H. Jungblut-Bergenthal 161 S AUERLAND N R . 4/2008 Eröffnung des öffentlichen Begegnungs- und Kulturzentrums Kloster Bredelar/Theodorshütte Mit einem eindrucksvollen Festakt und einem Tag der offenen Tür wurde am 17. und 18. Oktober 2008 das ehemalige Kloster Bredelar in der früheren Theodorshütte eröffnet. Für die Wiederbelebung des ehemaligen Klosters Bredelar als kulturellem Ort zeichnet vornehmlich der Förderverein Kloster Bredelar e. V. unter seinem rührigen und umsichtigen Vorsitzenden Dr. Franz-Josef Bohle verantwortlich. Ein ehrenamtliches Engagement von beispielsetzender Bedeutung, was alle Ehrengäste, namentlich Prof. Dr. Dr. Gottfried Kiesow, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Prof. Dr. Wilfried Stichmann, Vorstandsmitglied der Nordrhein-Westfalen-Stiftung, Dr. Wolfgang Kirsch, LWL-Direktor und Hubertus Klenner, Bürgermeister der Stadt Marsberg lobend herausstellten. Den Festvortrag hielt Oliver Wittke, Minister für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, den wir wegen seiner exemplarischen Aussagekraft im Wortlaut veröffentlichen. Den ökumenischen Segen sprachen Lothar Kuschnik, Superintendent des Kirchenkreises Arnsberg und Msgr. Prof. Dr. Konrad Schmidt, Rektor der Kath. Landvolkshochschule Hardehausen. Den musikalischen Rahmen gestaltete das Schulorchester des CarolusMagnus-Gymnasiums Marsberg unter Leitung von Gerhard Eberbach. Festvortrag von Herrn Minister Oliver Wittke anlässlich der Eröffnung der Kultur- und Begegnungsstätte Kloster Bredelar am 17. Oktober 2008 Ich freue mich sehr, wieder einmal in Marsberg-Bredelar zu sein, und noch dazu zu einem so herausragenden Anlass! Zur Eröffnung der Kultur- und Begegnungsstätte Kloster Bredelar gratuliere ich sehr herzlich im Namen der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Es ist etwas Großartiges geschaffen worden, das östliche Sauerland hat eine Landmarke erhalten. Dafür bedanke ich mich, auch im Namen von Herrn Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers, insbesondere bei allen Mitgliedern des Fördervereins Kloster Bredelar und namentlich beim Vorsitzenden Dr. FranzJosef Bohle. 162 Als im Jahr 2000 der Förderverein Kloster Bredelar e. V. gegründet wurde, befanden sich die ehemaligen Konventsgebäude in einem heruntergekommenen baulichen Zustand; teilweise bestand sogar Einsturzgefahr. Die vorherrschende öffentliche Meinung in der Region sah nur noch die Möglichkeit des Abbruchs. Dabei hatte dieser „Schandfleck“ eine große geistige, spirituelle, kulturelle und auch wirtschaftliche Vergangenheit: Kloster Bredelar wurde 1170 als Prämonstratenserinnenkloster durch den Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg gegründet. 1196 erfolgte die Umwandlung in ein Zisterzienserkloster. 1238 – 1241 entstand hier die heute noch erhaltene dreibändige Bredelarer Bibelhandschrift auf Pergament mit kunstvollen Miniaturen. 1804 wurde das Kloster, das nach einem Brand 1787 wiederaufgebaut worden war, säkularisiert. 1826 richtete Theodor Ulrich eine Eisenhütte mit einer Gießerei in der ehemaligen Abteikirche und einer Fertigungshalle im Bereich des Chores ein. In der Folgezeit entstanden weitere Industriehallen und ein Bahnanschluss in der Klosteranlage. Auch Bredelar selbst entwickelte sich. Die vormals allein liegenden, das Landschaftsbild bestimmenden Konventsgebäude wurden Teil eines kleinen Ortes. Die Eisengießereinutzung bestand bis 1931. Es folgten 28 unterschiedliche gewerbliche Nutzungen und nach dem zweiten Weltkrieg auch der Einbau von Wohnungen. Mehrere Brände veränderten zudem das Aussehen der zuvor geschlossenen Klosteranlage, in deren ehemaliger Kirche bis 1986 eine Terrazzomahlanlage betrieben wurde. Die Überlagerung der 600-jährigen Klostergeschichte von der 200-jährigen Industriegeschichte ist einmalig. Die Gesamtanlage, die 18000 m² Grundstücksund 6000 m² Nutzfläche umfasst, ist als Bau- und Bodendenkmal in die Denkmalliste der Stadt Marsberg eingetragen. Initiative und Strategie waren gefragt, um dieses kulturelle, geistige und auch wirtschaftliche Zentrum wieder zu beleben. Das Ziel, die Gesamtanlage zu retten, haben die Väter und Mütter des Erfolges geschickt mit aufeinander aufbauenden Umsetzungsstufen angegangen. Fünf strategische Schritte lassen sich identifizieren: S AUERLAND N R . 4/2008 1. Gründung eines Fördervereins als größte Bürgerinitiative in der Region. 2. Restaurierung der Kirchenfassade als Symbol des unaufhaltbaren Aufbruchs nach Jahrzehnten des Verfalls. 3. Kauf des größten Teils der Anlage durch den Förderverein. 4. Schaffung eines schnell nutzbaren Teilbereichs (ein Fünftel der Gesamtanlage) im Kloster, um zu zeigen, dass die historische Bausubstanz hohen Nutzwert und besondere Qualitäten hat. 5. Erarbeiten einer wirtschaftlich tragfähigen Nutzung für die Gesamtanlage und deren Umsetzung. Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit, unterstützt durch schnell sichtbare bauliche Ergebnisse, bewirkte der Verein fast Wunder auf allen Ebenen. Am 11. August 2000 wurde der Förderverein Kloster Bredelar e. V. mit zunächst 28 Mitgliedern gegründet. Inzwischen hat er weit mehr als 600 Mitglieder, eine bemerkenswerte Zahl im Hinblick auf die kurze Vereinsgeschichte und auf seinen Wirkungskreis im ländlichen Raum. Bereits im Juni 2003 konnte die restaurierte Kirchenfassade als Symbol des Aufbruchs nach Jahrzehnten des Verfalls präsentiert werden. Nach gut zwei weiteren Jahren wurden am 17. September 2005 die ehemalige Abteikirche und Teile des Westflügels als soziokulturelles Zentrum feierlich eröffnet. Die Akzeptanz auf breiter Ebene für die Erhaltung des Klosters Bredelar war damit erreicht und die Grundlagen für die weiteren Aktivitäten zur Rettung und vollständigen Umnutzung der Gesamtanlage gelegt. Dabei blieb aber auch der denkmalpflegerische Ansatz nie auf der Strecke. Nach dem Erwerb des Klosters im Juni 2003 wurden eine Bestandsaufnahme und eine Schadens- und Befundkartierung erstellt. Die Spuren klösterlicher und industrieller Nutzung sowie die Spuren verschiedener Bauphasen sollten für jeden erkennbar bleiben. Diese Leitlinie der Restaurierung wurde planungs- und baubegleitend in Gesprächsrunden und Ortsterminen gemeinsam mit den Denkmalbehörden entwickelt und fortgeschrieben. Nicht nur aus wirtschaftlichen und gestalterischen Gründen bleibt die Originalsubstanz unangetastet, wo immer das möglich ist. Sollte es nämlich in Zukunft noch bessere wissenschaftliche Untersuchungsmethoden geben, könnten z. B. Putz- und Farbreste weiteren Aufschluss über die Geschichte des ehemaligen Klosters Bredelar/der ehemaligen Theodorshütte geben. Aus dem gleichen Grund werden auch die Bodenfunde im Rahmen der Bautätigkeiten möglichst nicht berührt. Sehr eindrucksvoll zeigt die wiederhergestellte Kirchenfassade, wie ein sorgfältiges Vorgehen zu einem qualitätsvollen Erhalt des Baudenkmals beiträgt. Der Farbton, welcher in besonders schöner Weise die Architekturgliederungen aus Marsberger Schaumkalkwerkstein hervorhebt, ist aus dem Spektrum der historisch nachgewiesenen Farbfassungen gewählt. Die unterschiedlichen Strukturen und Farbanstriche der verschieden alten Putze, die der Neuanstrich nicht völlig verdeckt hat, lassen Geschichte erkennen und beleben die Fassade. Besonderes Ergebnis der Untersuchungen war das Auffinden von Smalteresten an den Innenwänden des ehemaligen Kirchenraumes. Smalte, ein schon im Mittelalter synthetisch hergestellter blauer Farbstoff, ist ein Hinweis darauf, dass die Kirchenwände in diesem Bereich aus der Zeit vor dem Brand 1787 stammen. Für den wirklich herausragenden denkmalpflegerischen Ansatz und dessen Begleitung und Umsetzung über das übliche Maß hinaus gebührt dem Architekturbüro Lohmann-von Rosenberg aus Brilon Dank. Die Vereinsmitglieder sind und waren nicht nur konzeptionell aktiv, sondern packen auch tatkräftig zu. Insbesondere bei der Entrümpelung des Gebäudes und bei Arbeiten, die mit viel Staub und Schmutz verbunden waren, legten und legen zahlreiche Vereinsmitglieder selbst Hand an. Vorbildlich ist auch, dass der Verein eng mit der Jugendbauhütte der Deutschen Stiftung Denkmalschutz zusammenarbeitet und ständig junge Menschen im freiwilligen Jahr für den Denkmalschutz in das Projekt integriert sind. Marketing- und Managementqualitäten auf hohem Niveau waren für Akquise, Koordinierung und Einsatz der 163 S AUERLAND N R . 4/2008 Fördergeber und Fördermittel erforderlich. Die ungewöhnlich große Bandbreite der Nutzungen, Umbauten und Schädigungen des Baudenkmals erschwerte die genaue Kostenermittlung im Vorfeld. Oftmals mussten Bauabschnitte und Förderbereiche geändert und verschoben werden. Der Förderverein managte diese Aufgabe grandios und schaffte es, die Gewerke und Maßnahmen laufend im Einvernehmen mit den Fördergebern abzustimmen und anzupassen. Mit Hilfe der NRW-Stiftung, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, des Landes Nordrhein-Westfalen, des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, der Wirtschaft und privaten Spenden konnten inzwischen rd. 4,5 Millionen Euro investiert werden. Die Investitionen haben ermöglicht, dass seit September 2005, nur fünf Jahre nach der Gründung des Fördervereins, die ehemalige Kirche als Veranstaltungsraum genutzt werden kann. Aus der Vermietung erzielt der Verein Einnahmen, die dem Erhalt der Anlage und ihrer weiteren Instandsetzung zugute kommen. Auch das Erdgeschoss des Westflügels wurde seitdem teilweise umgenutzt. Heute nun werden offiziell das Foyer sowie das Unter- und Obergeschoss übergeben. Damit sind alle für eine öffentliche Nutzung vorgesehenen Umbaumaßnahmen fertiggestellt. Im Erdgeschoss stehen Seminarräume für unterschiedliche Zwecke zur Verfügung. Im Unter- und Obergeschoss haben örtliche Vereine, wie beispielsweise der Verein für Naturund Vogelschutz des Hochsauerlandkreises, ihr neues Domizil gefunden. Für die weitere Nutzung wurde 2006 ein Symposium mit Unterstützung der RWE Systems Development durchgeführt. Als Ergebnis wurde ein Wohnstift für ältere und auch jüngere Menschen als Konzept für die übrigen Gebäudeteile favorisiert. Ich bin davon überzeugt, dass es nur eine Frage Zeit ist, bis auch diese Idee realisiert werden kann. Nach wie vor sind tragende Bausteine der Erfolgsgeschichte des Vereins die Zustimmung in der Bevölkerung und die professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Sei es der ständige Kontakt mit den Medien, die regelmäßig berichten, oder der Internet-Auftritt unter www.kloster-bredelar.de und die jährliche Herausgabe von Fotocollagen über den Baufortschritt. Zentraler Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit ist in jedem Jahr auch der Tag des offenen Denkmals, der immer bis zu 2500 Besucher anlockt und auch effektiv genutzt wird, um die Zahl der Vereinsmitglieder zu erhöhen. Ich bin davon überzeugt, Herr Professor Kiesow, dass Kloster Bredelar zu den Top Ten gehören würde, wenn die Deutsche Stiftung Denkmalschutz als Veranstalterin dieses bundesweiten Feiertages für den Denkmalschutz ein Ranking durchführen würde. Bürgerschaftliches Engagement hat es erreicht, unter Berücksichtigung zeitgemäßer Denkmalgrundsätze, ein schon aufgegebenes, überregional ebenso wichtiges wie ungewöhnliches Baudenkmal zu retten. Kloster Bredelar ist ein bedeutendes Zeugnis der Geistes-, Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. In einer zunehmend bindungsarmen Zeit haben die Aktivitäten des Fördervereins einem Gebäudekomplex eine Bestimmung zurückgegeben und einen Ort geschaffen, der Identität, Orientierung und Gemeinschaft bietet. Für diese vorbildliche Leistung ist der Förderverein Kloster Bredelar e.V. zu Recht mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz im Jahre 2007 ausgezeichnet worden. Gute Ideen sind noch nie an leeren Geldtöpfen, sondern an hohlen Köpfen gescheitert. Gäbe es in allen Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens derartig findige und engagierte Vereine, wäre mir nicht bang um den Gemeinsinn im Allgemeinen und die Denkmalpflege im Besonderen. Politik und Verwaltung tun gut daran, die Arbeit des Fördervereins Kloster Bredelar e.V. weiterhin so positiv zu begleiten und auch durch ein Scherflein zu unterstützen. Es kommt tausendfach zurück. Marsberg hat mit dem Kloster wieder die kulturelle und geistige Mitte Bredelars zurückbekommen. Das Kloster ist ein Markenzeichen, nicht nur weil es so markant an der B 7 liegt, sondern weil es für die Tatkraft der Menschen in dieser Region steht. Ich bin heute zum dritten Mal im Kloster Bredelar. Schon beim ersten Mal habe ich Feuer gefangen für diesen kulturellen Ort, der uns zeigt, wo unsere Wurzeln stecken. Ganz bestimmt werde ich noch ein viertes, fünftes und sechstes Mal hierherkommen. Denn der heutige Tag ist eine Zwischenstation: Die äußere Hülle des soziokulturellen Zentrums ist geschlossen. Jetzt liegt es in den Händen der Menschen, die Hülle mit Leben zu erfüllen. 164 S AUERLAND N R . 4/2008 „Positiv Verrückte aus dem Sauerland“ Allendorfer erleben kurkölnische Heimat- und Kölner Stadtgeschichte „zum Anfassen“ von Anton Lübke Kurkölnische Heimatgeschichte und auch Stadtgeschichte von Köln konnten im September 2008 all diejenigen nacherleben, die anlässlich des 600-jährigen Stadtjubiläums der Titularstadt Allendorf in 2007 den „Rücktransport" des Kölner Domschatzes durch den Allendorfer Fuhrmann Friedrich Clute-Simon im Jahr 1803 miterlebt haben. Ursprünglich war dieses Vorhaben im Jubiläumsjahr 2007 geplant, aber da die Kyrill-Schäden eine Wanderung unmöglich machten, wurde der Plan in 2008 umgesetzt. Es war ein eindrucksvolles Ereignis für die bis zu 60 Wanderer, die vom 2. bis zum 7. September 2008 zwei Pferdefuhrwerke von Allendorf nach Köln begleitet haben und auch für die vielen Allendorfer und Sauerländer, die zum Einzug in Köln mit Bussen und PKW angereist waren. Die Polizei in Köln spricht von 800 mittelalterlich gewandeten Sauerländern, die den „Schrein" über die Deutzer Brücke, den Heumarkt und den Alter Markt zum Kölner Dom begleitet haben. Begonnen hatte alles am 2. September 2008 morgens um 8.00 Uhr in Allendorf mit dem Reisesegen in der Pfarrkirche. Zum Auszug der eisenbereiften Leiterwagen mit einer Rekonstruktion des Drei-Königen-Schreines sowie der Wanderer läuteten die Allendorfer Festtagsglocken. Auch in Hagen, Rönkhausen, Lenhausen, Attendorn, Grote-Wiese, Marienheide und KölnBrück wurde der „Schrein" mit Glockengeläut und von vielen Schaulustigen an den Straßen empfangen. Der große Empfang auf dem Marktplatz in Attendorn am ersten Abend durch den Bürgermeister, den Domkapitular, den evangelischen Pfarrer, den Vorstand der traditionsreichen Schützengesellschaft mit Fahnenabordnungen und einem Willkommenstrunk für die Wanderer, das Jagdhorn-Bläserchorps, den Attendorner Heimatverein und 400 Bürgern hat die Allendorfer nicht nur mächtig beeindruckt, sondern hat gezeigt, dass dieses nachgespielte Stück kurkölnischer Heimatgeschichte gerade auch in Attendorn mit dem ehemaligen Nierhof als jahrhundertealte Fuhrmannsunterkunft nicht vergessen ist. Danke nach Attendorn für diesen a ußerord e n t l i c h herzlichen Empfang. Ab Attendorn orientierte sich der Tross an der alten Heidenstraße, die identisch ist mit dem Jakobsweg und dem alten Fuhr mannsweg, den sicherlich auch Friedrich Clute-Simon vor über 200 Jahren genutzt hat. Über MeiDie Rekonstruktion des Schreins in der Allendorfer Apostelstraße Die Pferdefuhrwerke vor dem Schloss in Lehnhausen Auf der Landstraße vor Attendorn. Im Hintergrund Burg Schnellenberg dorfern Eugen Hellweg und Dr. Anton Stute reichlich Kölsch vom Fass. Am letzten Tag begleiteten die Wanderer die beiden Fuhrwerke entlang der B 55 von Brück nach Deutz bis zum Altenstift St. Heribert vor der Deutzer Brücke. Von da begann dann der imposante Einzug der 800 mittelalterlich gekleideten Sauerländer mit Polizeibegleitung über die extra gesperrte Deutzer Brücke in die Auf dem Alten Markt in Attendorn erwarten die Schützen mit Fahnen den Tross aus Allendorf nerzhagen ging es zur Wallfahrtskirche in Marienheide und über Schloss Gimborn nach Lindlar. Auch dort wurde der Tross vom örtlichen Bürgermeister und Kaplan nach beschwerlichen 33 Kilometern durch das bergige Bergische Land herzlich empfangen und mit einem Fässchen „Kölsch" begrüßt. Das nächste Etappenziel war Herkenrath. Es dann nach einem Abstecher zum Bensberger Schloss durch den Königsforst nach Köln-Brück ging. Auch dort gab es von den gebürtigen Allen- Mit erleuchtetem Schrein im Königsforst vor den Toren Kölns 165 S AUERLAND N R . 4/2008 Mit Polizeibegleitung ziehen 8oo mittelalterlich gekleidete Sauerländer über die gesperrte Deutzer Brücke in die Kölner Altstadt Der Allendorfer Musikverein begrüßt den Tross mit einem Ständchen auf dem „Alter Markt“ in der Kölner Altstadt Beim Einzug in Köln und vor dem Hauptportal des Domes wird der Schrein von der Schützenbruderschaft Allendorf eskortiert Tausende von Schaulustigen erleben das Spektakel in Köln mit. Viele lassen sich mit dem Schrein ablichten, so wie diese beiden Schönheiten aus Fernost Altstadt von Köln und bis vor das Hauptportal des Domes. Dort waren bei Sonnenschein tausende Touristen in der Altstadt und auf der Domplatte unterwegs, die alle in den Genuss eines einmaligen und imposanten Schauspiels in Köln kamen. Der Empfang durch den Dompropst Dr. Norbert Feldhoff am Hauptportal des Domes, die Kranzniederlegung am Grab des Allendorfer Stadtgründers Erzbischof Friedrich von Saarwerden im Dom und der anschließende festliche Gottesdienst, den der Allendorfer Musikverein und die Allendorfer Chöre sowie zum Abschluss die „Luirlinge" mit Alphörnern eindrucksvoll mitgestalteten, waren der Höhepunkt dieses „Ge- schichtsunterrichtes zum Anfassen“. 450 Allendorfer feierten dieses Ereignis anschließend bestens gelaunt im Brauhaus „Früh“ bis zur Abfahrt ins Sauerland. nung eher als Auszeichnung denn als Beleidigung an. Und so war es von dem Reporter im Hof von Schloss Gimborn auch gemeint. Organisiert haben diese „eigentlich verrückte Idee" (Kölner Stadtanzeiger v. 8.9.08) der Verein “Fickeltuennes e.V. 600 Jahre Stadt Allendorf“ in Kooperation mit dem SGV Allendorf. Ohne die Unterstützung durch den Kutschenfahrverein Endorf-Hagen wäre diese Aktion so eindrucksvoll nicht möglich gewesen. Das Lokalradio im Bergischen Land bezeichnete uns in einer Reportage als „Positiv Verrückte aus dem Sauerland“. Alle Beteiligten sehen diese Bezeich- Dompropst Dr. Norbert Feldhoff und „Fickeltünnes-Chef“ Anton Lübke stoßen im Brauhaus „Früh“ auf die gelungene Aktion an Alle Fotos: Autor 166 S AUERLAND N R . 4/2008 Die Verkrämerung von Stadt, Dorf und Straße Über Außenreklame Hier geht es nicht um Werbung im Allgemeinen. Sie begegnet überall, mal informativ und willkommen, mal aufdringlich und störend. Wen freilich die Werbeblocks im Fernsehen stören, wählt ein anderes Programm. Wem die Werbung in Zeitungen und Zeitschriften nicht gefällt, blättert weiter. Was aber tun angesichts der öffentlichen Werbung in unseren Städten und Dörfern oder gar in der Landschaft? Da gibt es kein Ausweichen. Will ich zum Bäcker, ärgert mich die überdimensionale Werbeschrift mit ihren aggressiven Farben. Wozu dieser Aufwand? Es gibt im Dorf doch keine zweite oder gar dritte Bäckerei, die von Prof. Dr. Hubertus Halbfas den. Werbung umgibt uns auf Schritt und Tritt, an Plakatwänden und Litfaßsäulen, in Schaufenstern und auf halbwegs zugestellten Bürgersteigen; sie präsentiert sich auf Fahnen und Bannern, an Hauswänden und Bäumen. Man geht vorbei, liest Angebote wie Parolen; sieht Gesichter, die mal dies mal das anpreisen, zusammen mit ihrer Ware Prestige, Wohlbefinden und Gesundheit versprechen; studiert Sonderangebote; findet zusätzlich an der Straßenbeleuchtung oder an Zäunen und Mauern angebrachte Plakatwerbung für den nächsten Zirkus, den Flohmarkt in Altenhundem, das Schützenfest im Nach- seren Dörfern und Landschaften macht, sensibilisieren wollte: Wilhelm Münker (1874 – 1970), Mitbegründer des Deutschen Jugendherbergswerkes aus Hilchenbach. Bereits 1910 weckte übermäßige Reklame seinen Protest. 1932 gründete er die Arbeitsgemeinschaft gegen die Auswüchse der Außenreklame. 1950 erschien seine Flugschrift „Reklame-Kultur“. Im folgenden Jahr erreichte er das Verbot von Reklame an den Autobahnen durch den Deutschen Bundestag, 1956 die Ablehnung von Werbebannern an Autobahnbrücken. In diesem Zusammenhang reflektierte Münker: Diese Geschäftsstraße gehört zur Stadtmitte. Die Poller am Eingang der Straße zeigen, dass hier tagsüber nicht gefahren werden darf. Die Stadt hat sich Mühe gegeben, den Straßenraum zu gestalten. Die Gliederung der Bereiche stimmt. Die Baumpflanzungen vermitteln eine gute Atmosphäre. Als gehöre dieser öffentliche Raum ihnen, nehmen die anliegenden Geschäfte den Straßenbereich ungeniert für ihre Werbeinteressen in Beschlag. Die Menschen nehmen es hin, sind abgestumpft genug, um sich noch davon stören zu lassen. Aber auch die Stadtverwaltung nimmt es hin. Eine Einladung, noch ein paar Ansprüche mehr zu stellen. man ausstechen müsste. Nein, nur diese einzige, und wer frische Brötchen will, weiß, wo er sie holen muss. Warum aber dann das ganze Haus verschandeln, jedermann kundtun, dass man keinen guten Geschmack hat und darüber hinaus den Dorfraum mit überflüssiger Werbung belasten? Wo eine dezente Schriftlösung sehr viel mehr Sympathie wecken könnte! Offensichtlich sind wir nach Jahrzehnten boomender Wirtschaft und nie aufhörender Werbung stumpf gewor- bardorf. Das alles ist nichts Besonderes; die Welt ist bunt und unruhig geworden; unsere Straßen sehen nun mal so aus, man hat sich gewöhnt, es stört nicht einmal, man denkt nicht weiter darüber nach. Wilhelm Münkers Vorarbeit Es hat jedoch einmal am Rande des Sauerlandes einen Mann gegeben, der über Außenwerbung viel nachgedacht hat und der seine Mitmenschen für das, was das Reklamewesen mit uns, mit un- „Die Macht der Gewohnheit ist gar groß, dagegen das Kopfzerbrechen über öffentliche und gemeinnützige Dinge wenig häufig. So ist es zu verstehen, wenn nicht nur der in einer Reklameflut groß gewordene Städter, sondern auch mancher Bewohner von Kleinstadt und Dorf gutmütig meint, das müsse wohl so sein; wenn die hohe Obrigkeit solchen Reklamezauber dulde, werde es wohl zwangsläufig sein und dem Volkswohl dienen. 167 S AUERLAND N R . 4/2008 So hatte es die Abwehrbewegung nicht leicht. Die gesetzlichen Waffen waren in den einzelnen Ländern verschieden, größtenteils überholt und darum stumpf. Zum Überfluss wurden die vorhandenen gesetzlichen Handhaben vielfach gar nicht ausgeschöpft bzw. nicht angewandt.“ Zwar dürfte das heutige Bewusstsein darüber hinausgelangt sein, einer „hohen Obrigkeit“ pauschalen Kredit zu gewähren. Auch Wilhelm Münker hatte nicht solches Vertrauen und meinte, in den meisten Rathäusern, mal abgesehen vom Bauamt, habe das Ortsbild bisher kaum zur Erörterung gestanden. Als Dieser Lauheit, diesem Mangel an Bürgerpflicht ist es wesentlich zuzuschreiben, dass das Reklamegebaren einzelner Geschäftsleute und namentlich der Markenartikelhersteller sich soweit vorwagen konnte.“ Heimatvernichtung Nun darf man unumwunden zugeben, dass sich die Ortsbilder in den verschiedenen Landschaften Deutschlands erheblich voneinander unterscheiden. Das Sauerland lässt sich gewiss den angenehmeren Erfahrungen zurechnen, wobei jene Regionen, die touristisch geprägt sind, ein gepflegteres Straßenbild zeigen als Regionen, die nie den Bekämpfung durch eine ordnende Satzung, trägt aber – auch wenn dies nicht messbar ist – ohne Zweifel zu einer Abstumpfung des Gemüts und einer bedenkenlosen Vernichtung von Heimat bei. Wir müssen im Folgenden nicht zwischen Stadt und Dorf unterscheiden. In allen Bereichen gibt es vergleichbare Missstände, werben dieselben Firmen, grassiert jene Gleichgültigkeit, welche die meisten Werbeauswüchse schon gar nicht mehr wahrnimmt. Steuerndes Regelwerk Schauen wir zunächst auf das eigene Haus. Wenn darin ein Geschäft betrie- Wer, vom Biggesee her, nach Olpe fährt, erlebt den Eingangsbereich in die Stadt sehr positiv (bis auf die störenden, im Braunton gehaltenen Holzbauten beim Stadtbad; das sonst übliche Weiß stände dem Gebäudekonglomerat besser). Ganz anders die Einfahrt von Süden her. Gewiss, dort ist Gewerbe angesiedelt, aber das muss doch nicht einschließen, dass die Außenwerbung im Straßenbereich so schreiend wird. Autohäuser, Tankstellen und Firmen werden von hintereinander gestaffelten Fahnen begleitet. Schaufenster und sonstige Werbeträger nutzen nach Maß und Farbe alle Möglichkeiten aus. Ästhetik bleibt auf der Strecke. den dafür Schuldigen sah er jedoch die Bevölkerung selbst an: „Ihr, und niemand anders, gehört der öffentliche Raum. Hat sie sich ernstlich darum gekümmert? Wohl mag hier und da einer geknurrt und geschimpft haben, doch damit ist es nicht getan. Hätte es aber Beschwerden an die Rathäuser in all den Jahrzehnten geregnet und wäre in den Zeitungen ein ‚Eingesandt’ nach dem anderen als Ausdruck des Unwillens erschienen, dann wäre es wohl nie soweit gekommen. Ehrgeiz hatten, fremde Gäste zu sich einzuladen. Auch der Vergleich mit Nachbarregionen lässt deutliche Unterschiede – manchmal von Ort zu Ort – feststellen. Im Blick auf den Umgang mit Außenwerbung darf als das mit Abstand miserabelste Stück hier die B 55 zwischen Bergneustadt und Dieringhausen angesehen werden, wobei nach jüngeren Straßenbauarbeiten in Bergneustadt der größere Schandteil im Bereich der Stadt Gummersbach liegt. Die dort wuchernde zügellose Verwilderung erfährt offensichtlich keine Beschränkung und ben, eine bestimmte Leistung erbracht wird, so ist es selbstverständlich, dass darauf auch werbend aufmerksam gemacht werden darf. Ein Hotel muss als Hotel erkennbar sein, ebenso wie Apotheke, Sparkasse oder Frisör im Straßenraum wahrgenommen werden müssen. Entscheidend ist freilich, wie die Kennzeichnung geschieht. Geht man durch Ortschaften, die wegen ihrer baulichen Substanz in besonderer Weise dem Denkmalschutz unterstellt sind, finden wir in ihren Gestaltungssatzungen etwa folgende Bedingungen: 168 S AUERLAND N R . 4/2008 Zulässig sind nur Werbeanlagen, die als gestaltete Schriftzüge auf der Fassade oder in Einzelbuchstaben parallel zur Fassade angebracht werden. Sie müssen die Gliederung des Hauses beachten und zusammen mit dem Schaufenster eine gestalterische Einheit bilden. Flächenhafte Werbeanlagen sind nicht zulässig. Bei Auslegern werden die Maße auf 65 cm Höhe, Ausladung 80 cm und Breite 18 cm begrenzt. Alle Werbeträger müssen sich in die Gesamtfassade nach Gestaltung, Größe, Material und Farbe einfügen und im Blick auf den Zusammenhang der Straße gestaltet sein. Wesentliche Bauglieder dürfen durch Werbeanlagen nicht verdeckt oder überschnitten werden. Werbeanlagen an Fachwerkbauten müssen alle Fachwerkteile erkennbar lassen. Freistehende Werbeanlagen und Werbeanlagen an Geländern und Einfriedungen sind nicht zulässig. So kommt es, dass man, sagen wir auf einem Rundgang durch Dinkelsbühl oder in den gepflegten Altstädten von Montalcino oder Dubrovnik nur sehr zurückhaltende Werbeformen findet, die den Charakter der Häuser unterstreichen, den Zusammenhang des Ensembles wahren und durch das Zusammenspiel aller Gestaltungselemente ein Wohlbefinden tragen, das Einheimische und Besucher gleichermaßen bestimmt. Nun wird man nicht durchgehend so streng sein müssen, wie dies für den Hier hat die Ladenkette – auch eine Nr. 1 in Deutschland – gleich den gesamten Freibereich vor dem Geschäft als Aus- und Abstellfläche mit in Anspruch genommen. Im Hintergrund ein Geldautomat der Sparkasse, anschließend das Bürgerbüro der Stadtverwaltung. An dieser Geschäftsfront ist keine Handbreit ohne Werbung frei geblieben – wenn die Kommune den Auswüchsen keine Grenzen setzt, wird diese Gleichgültigkeit entsprechend beantwortet. Schaufenster im Obergeschoss sollten nirgendwo zugelassen sein. Weil man mit den hoch gelegenen Fenstern auch nichts anfangen konnte, wurde die gesamte Hausfront mit einem Inventarverzeichnis zugeschrieben. S AUERLAND N R . 4/2008 Prinzipalmarkt in Münster oder die Herrengasse in Rothenburg ob der Tauber gilt, wird also auch flächenhafte Werbeanlagen zulassen, wenn sie in ihren Größenordnungen, in Schrift und Farbe zum Ortsbild passen. Weniger selbstverständlich sind aber von hinten beleuchtete Werbeflächen, zumal dann nicht, wenn sie ein buntes Farbenspiel in die Straße bringen. Das rote Emblem der Apotheke auf weißem Grund mag hingehen, nicht das Sparkassen-Rot als Neon-Leuchtschrift. Grundsätzlich empfiehlt es sich, beleuchtete Transparentwerbung auf Weiß zu beschränken. Dass Werbung im Ortsbild auf die Stätte der erbrachten Leistung zu beschränken ist, versteht sich von selbst. Eine Begrenzung auf das Erdgeschoss gehört dazu; die höheren Geschosse sind von jeder Art Werbung frei zu halten. Hausfassaden für Fremdwerbung zur Verfügung zu stellen, ist indiskutabel. Insgesamt gelten im Ortsbild unterschiedliche Maßstäbe. Die Geschäftsstraße wird und darf lebendiger sein als der Bereich rund um die Kirche; vielleicht gibt es in Stadt und Dorf auch weitere Nischen der Erinnerung, der Sammlung, der Beruhigung des Auges und des Hörens nach innen. Die Pflege des öffentlichen Raumes hat unter diesen Aspekten viel zu wenig Aufmerksamkeit gefunden, wenngleich die Fußgängerzonen unseren Städten ein bedeutsames Stück Lebensqualität zurückgegeben haben. Man muss nicht überall hinfahren können. Neben den Verkehrs- und Geschäftsstraßen, den Wohn- und Gewerbegebieten sind im- Dieser Obi-Container, am Rand eines ziemlich engen Tals gelegen, lässt mit seinen Dimensionen und der riesigen Werbeschrift eine Wahrnehmung von Landschaft nicht mehr zu. Solche Dimensionen sind schlechterdings unverschämt. Werbung an Hausfronten kann durch eine Satzung ausgeschlossen werden. Auf flachen Tankstellendächern begegnet immer wieder Reklame mit aufblasbaren Figuren. Mal ist es ein Bier, mal eine MickeyMaus, mal ein anderer Spaßmacher. Nur gut, dass deren Verweilen begrenzt ist, wenngleich die Geschmacksverbildung, die damit geleistet wird, schon einen einzigen Tag zuviel sein lässt. 169 170 S AUERLAND N R . 4/2008 mer Inseln der Ruhe und des Verweilens zu sichern. Dazu gehört jede denkbare Vermeidung optischer Verschmutzung. Blinklichtanlagen, Wechsellichtanlagen, Wechsellichtanlagen mit Blinkeffekt, Lauflichtanlagen sowie sonstige Werbeanlagen mit wechselndem Licht und Leuchtgirlanden sollten nicht zulässig sein. Ortseingänge und offenes Land Dann die Ortseingänge. Die wirtschaftliche Entwicklung hat es mit sich gebracht, dass hier oft Gewerbe angesiedelt ist, häufig auf den Verkehr bezogen, also vor allem Tankstellen, Reparaturwerkstätten und Autohäuser. Damit verbindet sich weithin ein zügelloser Werbeaktivismus: Die Tankstellen machen gerne mit Neon-Beleuchtung auf sich aufmerksam, teils angemessen, teils irritierend unruhig. Autowerkstätten, die Präsentation von Gebrauchtfahrzeugen und die gläsernen Hallen für aktuelle Fahrzeuge kommen offensichtlich ohne eine Batterie wehender Fahnen nicht aus, wie insgesamt die Fahne, ehedem aus religiöser Sphäre stammend und höchsten Symbolen vorbehalten, inzwischen dem banalsten Kommerz dient. Sie wehen überall, wo heutiger Krämergeist im Großformat aktiv wird: vor Möbelhäusern, Sanitärausstellungen, Gartencentern, Baumärkten und was dergleichen mehr sein mag. Mischen sich jetzt noch weitere Firmen mit aggressiver Werbung ein: für Wasserbetten, Autoreifen oder Fast-food-Lokale, so sind die solcherart ausfransenden Ortsbilder hinreichend geschädigt, um noch irgendwelche Spuren von Attraktivität zu besitzen. Und die offene Landschaft ringsum? Hier müssen wir Wilhelm Münker und Die Fotos in der linken Spalte zeigen Hausfronten an der B 55 in Bergneustadt. Hier besteht für Ausleger offensichtlich keine Maßbeschränkung und auch die Hausfronten dürfen bis zur Traufe und ins Giebelfeld hinein mit beliebig großer Werbung missbraucht werden. Die rechte Spalte zeigt das Allerweltsbild, das sich auch im Sauerland an jedem beliebigen größeren Ort fotografieren lässt. Die so geschmacklos am Straßenrand werbende Bäckerei besitzt im Dorf das Monopol. Soll die Aufmerksamkeit der Autofahrer gewonnen werden? 171 S AUERLAND N R . 4/2008 allen, die mit ihm in den nun schon weit zurückliegenden Jahrzehnten die Auswüchse der Außenreklame bekämpft haben, dankbar sein für die nachhaltigen Erfolge, die damals erzielt und in Gesetzen gesichert worden sind. Ansonsten zöge das konkurrierende Reklamewesen ohne Rücksicht auf Wald und Feld quer durch die Landschaften, mal für Pirelli, mal für Krombacher, mal für Möbelhäuser werbend. Aber man hat seinerzeit nicht damit rechnen können, dass einmal die Mc Donalds und Burger Kings kommen würden, um ihre Werbung im Gewerbebereich in riesige Höhen zu stemmen, so dass sie nun von weitem die Landschaft beherrschen und mit ihren bunt leuchtenden Logos die Stille jeder Nacht verschmutzen. Dergleichen ist auf Reisen in der ganzen Republik zu erleben, und je nach Landschaft strahlen diese Kommerzbotschaften über Busch und Feld, als sei es selbstverständlich, dass einige Firmen das Recht beanspruchen dürften, die Ansprüche aller an ungestörte Landschaften und ruhige Nächte zu ignorieren, um für ihren Profit zu werben; (wobei noch hinzu kommt, dass nach erfolgtem Verzehr die Ordnungsdienste im weiten Umfeld das Verpackungsmaterial für Pommes frites und Big Macs aus den Straßengräben auflesen müssen). Und noch einmal ist die Klage Wilhelm Münkers aufzunehmen, dass es kaum Mitbürgerinnen und Mitbürger gibt, die ihren Unmut darüber laut kundtun. Wäre es sonst möglich, dass hoch über Welschenennest jahrzehntelang eine grellrote „K & K“-Leuchtschrift die winterlichen wie die sommerlichen Nächte stört oder in Lenhausen die bunten Leuchtreklamen dortiger Firmen das Dorf überstrahlen? Gehört denen die Nacht? Empfindet diese Werbung sonst Der Großmarkt, der hier außerhalb seines eigenen Geländes im öffentlichen Fußgängerbereich wirbt, tut dies mit einer Aufdringlichkeit, die keine andere Aufmerksamkeit mehr zulässt. Das ist zwar gewollt, aber Bürgerinnen und Bürger lassen sich diese Nötigung gefallen. Noch einmal eine Bäckerei, die um jeden Preis auf sich aufmerksam machen möchte. Das letzte Foto zeigt, dass man Brot und Kuchen auch ohne platte Werbung verkaufen kann. niemand als eine optische Verschmutzung in der Stille einer nächtlichen Landschaft? Hier sind auch die Gemeindeparlamente zu fragen, warum sie solche Werbung tolerieren? Sind Sensibilität und Geschmack schon derart abgestumpft, dass darüber nicht einmal diskutiert wird? Dazu sei wenigstens gesagt: Von unseren Bürgermeistern und den gewählten Vertretern in den Stadtund Gemeinderäten wünschen wir uns, dass sie nicht aus Bequemlichkeit dem Trommeln der Kommerzwerbung stattgeben, sondern die übergeordneten Ansprüche auf Landschafts- und Heimatpflege respektieren und ein kommunales Satzungsrecht schaffen, das diese Auswüchse überwindet. 172 S AUERLAND N R . 4/2008 Aus der Redaktion „Olpe – Geschichte von Stadt und Land“ Band 3: „Plattdeutsches Wörterbuch für Olpe und das Olper Land“ atürlich arbeiten wir in der Redaktionskonferenz in einem ausgewogenen Team – so meinen wir wenigstens –, ausgewogen unter regionalen wie unter fachlichen Gesichtspunkten. Wir gestehen aber gern, dass einer in unseremTeam eine besondere Stellung hat, unser Heimatfreund Hans Wevering, der am 16. Juni 80 Jahre alt geworden ist. Es lohnt sich, noch einmal die eindrucksvolle Laudatio zu lesen, die ihm unser Vorsitzender in der letzten Ausgabe unserer Zeitschrift (S. 154) gewidmet hat. Auch an dieser Stelle soll noch einmal herausgestellt werden, wie sehr sich alle Redaktionsmitglieder auf die weitere Zusammenarbeit mit „ihrem“ Hans Wevering freuen. N Die alljährliche Mitgliederversammlung – diesmal besonders erfolgreich in Belecke – gibt uns Gelegenheit, bei unseren Heimatfreunden herumzuhören, wie ihnen unsere Zeitschrift gefällt. Auf unsere Fragen wird – zu unserer Freude – immer wieder betont, wie sehr man die „Lesbarkeit“ unserer Zeitschrift schätzt. Vor allem sind es die von Hans Wevering sorgfältig ausgesuchten Photos, die unsere Mitglieder anregen, das Heft bei Empfang nicht gleich an die Seite zu legen, sondern es von vorn bis hinten durchzublättern und sich dann irgendwo „festzulesen“. Was kann man mehr erwarten? Trotzdem bleibt eine Bitte: Wir würden uns auch den einen oder anderen – gerade auch kritischen – Leserbrief zu Aufmachung und Inhalt unserer Zeitschrift wünschen. Vor allem bewegt uns in den Redaktionssitzungen immer wieder die Frage, ob wir uns mehr mit Gegenwarts- und Zukunftsproblemen unserer sauerländischen Heimat befassen oder uns mehr den wichtigen Ereignissen der Vergangenheit widmen sollen. Dazu würden wir gern Anregungen aus unserer Leserschaft bekommen. Dr. Adalbert Müllmann Rechtzeitig zum Weihnachtsfest 2008 gibt die Kreisstadt Olpe als Band 3 der Geschichte der Stadt Olpe das „Plattdeutsche Wörterbuch für Olpe und das Olper Land“ heraus. In jahrzehntelanger Arbeit wurde durch Rechtsanwalt und Notar Carl Schürholz eine umfangreiche Sammlung plattdeutscher Wörter und Redewendungen aus Olpe und dem Olper Land zusammengetragen, die in ihrer Fülle und Aussagekraft ihresgleichen sucht. Diese Sammlung wurde nach dem Tod von Carl Schürholz 1993 durch einen Arbeitskreis unter Leitung des Sprachwissenschaftlers Dr. Werner Beckmann vom Mundartarchiv Sauerland in Eslohe-Cobbenrode überarbeitet und ergänzt sowie um wissenschaftliche Einleitungen zur Genese des Wörterbuches und zur Geschichte und Grammatik der Olper Mundart erweitert. Der Band hat einen Umfang von 448 Seiten und ist in Leinen gebunden und mit einem Schutzumschlag versehen. Auf einer beiliegenden CD werden Mundarttexte in Auswahl zu hören und nachzulesen sein. Wintertage an der Möhne ... Der Band kostet 15,95 Euro. Interessenten für diese Publikationen melden sich bitte beim: Stadtarchiv Olpe Franziskanerstraße 6/8 57462 Olpe ... am Hefearm fotografiert von Friedhelm Ackermann † Telefon: 0 27 61/8 31-2 93 Fax: 0 27 61/83 22 93 E-mail: [email protected] 173 S AUERLAND N R . 4/2008 Hexendenkmäler im Sauerland von Hartmut Hegeler Einleitung Die Hexenverfolgung gehört zu einem der dunkelsten Kapitel der mitteleuropäischen Geschichte. Allein in Westfalen, einem Kerngebiet der Hexenprozesse, wurden in über 200 Orten Frauen, Männer und Kinder als „Hexen“ angeklagt, gefoltert und verbrannt. An den meisten Orten sind die Leiden der Opfer in Vergessenheit geraten. Nur in wenigen Ortschaften wird an das Schicksal der unschuldig hingerichteten Menschen erinnert. In diesem Artikel werden Gedenksteine und -tafeln für die Opfer der Hexenprozesse vorgestellt in den Orten Bad Fredeburg, Balve, Hirschberg, Menden, Oberkirchen, Olpe, Rüthen, Schmallenberg-Holthausen und Winterberg. Dazu wird ein kurzer Überblick über die lokale Hexenverfolgung gegeben und jeweils ein Schicksal eines Angeklagten vorgestellt, der in die Fänge der Hexenjustiz geriet. Aus heutiger Sicht sind die wegen Hexerei verurteilten Frauen und Männer im Sinne der Anklage für unschuldig zu erklären. In Zeiten der modernen Naturwissenschaften ist jedem einsichtig, dass ein Mensch nicht auf einem Besenstiel zum Hexensabbat fliegen oder mit Zauberei Wetterkatastrophen und Krankheiten bewirken kann. Nie sind die Opfer der Hexenprozesse jedoch rehabilitiert worden, sie gelten bis heute als schuldig im Sinne der Anklage: sie hätten sich dem Teufel verschrieben, Gott verleugnet und durch Zauberei Schaden über die Menschheit und die Natur bewirkt. Es muss deutlich gesagt werden: Es gab keine „Hexen“, sondern Menschen wurden durch die Folter zu „Hexen“ gemacht. Trotz schlimmster Martern haben etliche angeklagte Frauen und Männer bis zuletzt an ihrem Glauben an Gott festgehalten. Denkmäler, die an das Unrecht in den Hexenprozessen erinnern, motivieren zur Spurensuche vor Ort und stellen einen wichtigen Gesprächsimpuls für den Dialog mit der Jugend und interessierten Erwachsenen dar. Gedenktafeln und Gedenksteine können zum Erzählort werden, um die schrecklichen Ereignisse der Vergangenheit lebendig werden zu lassen, um auch den Blick für Unrecht heute zu schärfen. Damals wurden die Angeklagten beschuldigt, sie wären durch Hexerei für Krankheiten und Klimakatastrophen verantwortlich. Der Sündenbockmechanismus durchzieht die menschliche Geschichte bis zur jüngsten Vergangenheit und ist auch heute von brennender Aktualität. Denkmäler erinnern uns daran, wie Menschen in der Vergangenheit gelebt und gelitten haben und prägen das Bewusstsein der Menschen und ihre Einstellung zu Gegenwart und Zukunft. ,Die unschuldigen Opfer eines gnadenlosen Systems verdienen auch nach bald 350 Jahren unsere Achtung, jeder Name ein ehrenvolles Andenken. Darin liegt die Verpflichtung, sich der Gefahren totalitärer Systeme bewusst zu werden und die Würde jedes Menschen zu verteidigen’ (Dr. Alfred Bruns, Landesarchivdirektor Münster). Bad Fredeburg Opfer der Hexenverfolgung Schmerzen der Tortur, die Verzweiflung angesichts grenzenloser Verlassenheit lassen sich der Fredeburger Liste nicht entnehmen. Niemand kann sich heute wirklich vorstellen, wie ein 12jähriges, ausdrücklich als „arm“ bezeichnetes Mädchen vom Hof Bonfast in Mönekind, offensichtlich eine Magd, in die Fänge der Justiz kam ... Wir kennen nicht einmal ihren Namen, noch viel weniger, was sie bis zu ihrer Hinrichtung durchmachen musste.“3 Ähnlich erging es Enneke Hovelmans aus dem Kirchspiel Rarbach, eine „arme spennersche“ (arme Spinnerin). Sie war zunächst in Bilstein verhaftet und gefoltert worden, hatte aber überraschenderweise nichts gestanden, weswegen sie gegen Bezahlung von 10 Reichstalern freigelassen wurde. Später wurde sie in Fredeburg erneut verhaftet. Diesmal gestand sie, was man von ihr hören wollte, und wurde hingerichtet. Dafür wurde eine Rechnung über 13 Taler aufgestellt. Der „Frone“, ein Justizbeamter, erhielt von ihren Hinterbliebenen als „Fanggeld“ mangels Barem einen „Kessel“.4 Eine große Hexenverfolgung im ehemaligen kurkölnischen Amt Fredeburg1 lässt sich durch eine Akte des Archivs der Freiherren von Fürstenberg in Arnsberg-Herdringen belegen.2 Die ersten vier Seiten dieses Bandes enthalten eine Liste „Hingerichtete Personen aus dem Ambt Fredtberg“. Demnach wurden 50 Menschen hingerichtet und ein Mann freigelassen. Die Prozessprotokolle und sichere Abb. 1: Gerichtsmuseum im Gebäude des Amtsgerichts Zeitangaben sind Bad Fredeburg, Im Ohle 6 nicht erhalten. Vermutlich handelt es sich um eine große Hexen-ProDie Hexenkapelle zessserie zwischen 1628 und 1631, als Im Gerichtsmuseum Bad Fredeburg überall im Sauerland die Scheiterhaufen im Dachgeschoss des Amtsgerichts loderten. Diese Liste macht Angaben Schmallenberg erinnern eine Namensüber Gerichtskosten (14 bis 19 Taler), liste „Hingerichtete Personen aus dem die von den Hinterbliebenen zu zahlen Ambt Fredtberg“, ein Scheiterhaufen waren. und ein Foto der Hexenkapelle an die „Die Leiden der in Wirklichkeit un- Hexenverbrennungen in Fredeburg. Die schuldigen Opfer, die Angst vor Verhaf- Hexenkapelle in der Nähe der Femelintung, Folter und Hinrichtung, die de wurde 1770 errichtet und in den Jah- 174 S AUERLAND N R . 4/2008 ren 2005/2006 grundlegend renoviert. Hier sollen zur Zeit der großen Hexenverfolgung im damaligen Amt Fredeburg (um 1630) Verurteilte Trost und Stärke erfleht haben. An ihrer Außenwand ist eine Gedenktafel für die Opfer angebracht. Auf der westlich gegenüberliegenden „Hexenwiese“ im Rüensiepen fanden sie anschließend den Tod auf dem Scheiterhaufen. Abb. 2: Hexenkapelle im Rüensiepen mit Gedenktafel erschreckendes Bild jener Zeit zu vermitteln.5 Hexenprozesse in Balve sind dokumentiert von 1592 -– 1666. Im Amt Balve wurden von 1628 – 1630 ca. 280 Personen als Hexen hingerichtet6, darunter befanden sich Leute aller Stände aus Ortschaften der Kirchspiele Affeln, Balve und Enkhausen. Meistens wurden die Verurteilten zunächst enthauptet und dann der Leichnam verbrannt. Aus einer Zusammenstellung der Opferliste7 (soweit bekannt) des Geschichtsvereins „Heimwacht Balve e.V.“ erfahren wir vom Schicksal einzelner Menschen. Besondere Aufmerksamkeit erregte das Schicksal der „Bürgermeisterin“. Als sich der Stadtvater außerhalb von Balve aufhielt, wurde Anne, die Bürgermeistergattin, am 5. 10. 1628 mit zehn anderen Personen wegen Hexerei enthauptet. Ihre Leiche wurde nicht verbrannt, sondern bei einem Dornstrauch am Wachtloh-Berg begraben. Ihr ist ein plattdeutsches Gedicht gewidmet.8 Es gab auch Widerstand gegen die Hexenkommissare, am spektakulärsten in einem Attentat auf Kaspar Reinhards aus Werl, einen der unbarmherzigsten Hexenjäger9. Eine Verschwörer gruppe versuchte ihn in Balve zu erschießen. Dabei fanden der Gerichtsschreiber und ein Diener den Tod. Reinhards selbst wurde nur verletzt. Der Hexenrichter Dr. Schult- heiß fällte Abb. 3: Hexenkapelle Gedenktafel das Urteil über die (Foto Gilbert Förtsch) Täter: zwei Männer wurden durch Balve Vierteilung und Rädern, eine Frau als Hexe mit dem Schwert und anHexenprozesse in Balve schließender Verbrennung der Leiche Durch die Hexenverfolgungen im 17. hingerichtet. Jahrhundert erlangte Balve traurige Balver Hexenstele Berühmtheit. In keinem Ort Westfalens Die Verurteilten wurden in Karren zur sind so viele Menschen als Hexen hingerichtet worden. Obwohl die Gerichts- Richtstätte auf dem Galgenberg gefahakten bei dem Stadtbrand 1789 in Flam- ren, enthauptet oder gehängt und vermen aufgingen, vermögen die Auf- brannt. Der Galgenberg hinter dem zeichnungen im Pfarrarchiv zu Enk- Wachtloh ist eine uralte Richtstätte des hausen und das Hatzfeldsche Archiv ein vormaligen Gau und Freigerichts, eine (Foto Gilbert Förtsch) Abb. 4: Balver Hexenstele11 mit freundlicher Genehmigung von Werner Ahrens, Heimwacht Balve e.V. überragende Berghöhe zwischen Balve und Garbeck. Hier sind wohl etliche hundert „verdammliche, teuflische Hexenkreaturen“10 hingerichtet und auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Am 9. August 2006 wurde vom Heimatverein „Heimwacht Balve“ am ehemaligen Richtplatz auf dem Galgenberg ein Denkmal in Form einer 2,5 m hohen Stele für die Opfer der Balver Hexenprozesse eingeweiht. Die Fläche wurde von der Stadt Balve zur Verfügung gestellt. Der Text lautet: „Hier starben durch Feuer, Schwert und Galgen ca. 300 Frauen und Männer aus dem Balver Land im Hexenwahn im 16. bis 17. Jahrhundert.“ Über 150 Personen nahmen an diesem historischen Gang teil. Versteckter Hinweis auf die Hexenverfolgung Werner Ahrens, Vorsitzender der Balver Heimwacht, machte eine sensationelle Entdeckung im Kreuzwegbild im ältesten Teil der St. Blasius-Kirche.12 In dem Bild des Arnsberger Malers Heinrich Strotmann vom Anfang des 17. Jahrhunderts entdeckte er in der Darstellung von Jesus Christus auf dem Weg zu seiner Kreuzigung eine kleine Szene, die zwei Hexen auf dem Weg zum Scheiterhaufen oder Schafott zeigt.13 Es ist 175 S AUERLAND N R . 4/2008 Abb. 5: Heinrich Strotmann, Kreuzwegbild Balve mit freundlicher Genehmigung von Werner Ahrens, Heimwacht Balve e.V. das einzige Zeugnis der Hexenverfolgung in Balve. Die Darstellung der beiden Hexen findet sich ganz klein genau in der Bildmitte oberhalb des Kreuzbalkens. Hirschberg Hexenprozesse in Hirschberg Aus Hirschberg sind drei Perioden von Hexenverfolgungen bekannt: 1595 wurden mehrere Männer und Frauen wegen Hexerei hingerichtet.14 1616 – 1617 wurden 13 Personen als Hexen angeklagt, und 1628-1629 fanden 12 Menschen in Hexenprozessen den Tod. Näheres erfahren wir aus der Schrift des Hirschberger Pfarrers Michael Stappert (Michael Stapirius), geboren vermutlich um 1585/1590 in Meiste zu Rüthen, gestorben 1663 in Grevenstein.15 An sein Wirken erinnert das Michael-Stappert-Haus in Grevenstein und ein Bronzerelief am Hexenturm in Rüthen. Stappert hatte ursprünglich in Predigten die Ausrottung der Hexen verlangt. Gespräche mit Angeklagten in Hexenprozessen führten ihn zu einer Meinungsänderung, die er 1628/1629 aufschrieb. Er wandte sich nun gegen Folter und Verurteilung Unschuldiger auf dem Scheiterhaufen. Er publizierte ein verloren gegangenes Buch („Brillentraktat“) gegen die Prozesse.16 Diese Schrift ist erhalten in dem Buch von Hermann Löher „Hochnötige Unterthanige Wemütige Klage Der Frommen Unschültigen“, 1676. Es gibt einen erschütternden Einblick in Einzelschicksale aus den Hirschberger Hexenprozessen. Das Leid der Agatha Kricks Der Hirschberger Pfarrer Michael Stappert schreibt in seinem „Brillenmartertraktat“ 1620 zum Fall der angeklagten Agatha Kricks: „Als ich nun als Pastor zu ihr ins Gefängnis kam, da klagte sie mir ihre Unschuld mit folgenden Worten: Ich habe in den Qualen [der Folter] sagen müssen, dass ich zaubern kann. Aber der gerechte Gott im Himmel weiß um meine Unschuld und dass ich mich selber habe belügen müssen. Nun weiß Gott aber, dass ich nicht schuldig bin und darauf will ich leben und ster- Abb. 6: Gedenkkreuz für Opfer der Hexenverfolgungen in Hirschberg mit Gedenktafel daneben ben.“17 Der Beichtvater war erschüttert: „Die Ursache für das Handeln dieser [Gerichts-]Herren liegt wohl darin, dass solches ihnen nicht in den Kram passt und ihrem Beutel nicht dient, dass es keinen Profit bringt, kein Brot gibt und den Staat nicht unterhält.“18 Gedenkkreuz für Opfer der Hexenverfolgungen in Hirschberg 1986 wurde im Warsteiner Ortsteil Hirschberg ein Gedenkkreuz für die grausam gefolterten Frauen und Männer der Hexenprozesse errichtet an der ehemaligen Hinrichtungsstätte mit Texttafeln zur Hexenverfolgung an der Straße Christoffelsberg in der „Eskelle“, einem Waldstück am Ortsrand. An dieser Stelle soll sich nach der Überlieferung in früheren Jahrhunderten die Richtstätte der alten Stadt Hirschberg befunden haben. Das hier aufgestellte Kreuz und der Name „Schelmensiepen“ für das südlich des Bocknackens gelegene Tal könnten darauf hinweisen. Auf der Tafel sind die Namen der Hingerichteten zu lesen und Hintergründe für die Hexenverfolgungen. Menden Mendener Hexenprozesse Mitten im 30-jährigen Krieg, 1628, begann in Menden eine große Hexenverfolgung. Im kurkölnischen Herzogtum Westfalen gingen viele der eingesetzten Hexenkommissare mit großer Härte vor. Nicht nur Frauen wurden als Hexen angeklagt, sondern auch Männer und Kinder. In den Mendener Hexenprozessen von 1628 bis 1631 findet Abb. 7: Gedenktafel Hexenverfolgungen in Hirschberg 176 sich ein hoher Anteil an Männern. In 47 Hexenprozessen wurden 20 Männer und 27 Frauen wegen Zauberei angeklagt.19 Davon wurden 41 hingerichtet. Zusätzlich werden Hinrichtungen von weiteren 14 Männern und 22 Frauen mit Namen und vierzig Verbrennungen ohne Namensnennungen erwähnt. Damit ist die Zahl der Todesopfer in den Mendener Hexenprozessen auf über 110 Frauen und Männer zu veranschlagen. Die Kette der Mendener Hexenprozesse begann mit dem Verfahren gegen die zwei Männer Blesien Billi und Franz Hellmich.20 Die Akten der Mendener Hexenprozesse, die im Pfarrarchiv der katholischen St.-Vincenz-Gemeinde aufbewahrt werden, berichten von ihrem Schicksal.21 Blesien Billi war etwa 30 Jahre alt und Frohne (Gerichtsdiener) von Wimbern. Er war verheiratet und hatte mehrere Kinder. Franz Hellmich wurde der Lahme genannt und stammte aus Oesbern. Beide wurden Ende Oktober unter der Anklage der Zauberei verhaftet, in das Gefängnis im Turm der Stadtmauer eingesperrt und dort mit Ketten an der Wand befestigt. Am 29. 10. 1628 begann für Blesien Billi und Franz Hellmich das peinliche Verhör unter der Folter. Nach der Folter wurden die beiden Männer im Turm der Stadtmauer mit Ketten an Hand und Fuß an die Wand gefesselt, allerdings in verschiedenen Stockwerken. Aber es gelang ihnen durch Kontakt mit Besuchern sich über eine Flucht zu verständigen. Sie planten, mit Weib und Kind aus dem Lande zu fliehen.22 Zunächst gelang es Billi mit einem starken Nagel ein Glied seiner Kette heraus zu brechen. Das Endstück der Kette steckte er in einen Strumpf, „damit sie nicht rappeln sollte“. Dann befreite er Hellmich aus den Ketten und brach den Riegel des Turmes auf. Als die Leiter herunter fiel, flochten sie aus Stroh ein starkes Seil und flohen. Endlich waren sie in Freiheit! Morgens um 5 Uhr erreichten sie ihre Wohnungen in Wimbern. Aber ihre Frauen mit den kleinen Kindern wollten nicht mit ihnen fliehen. So zogen die beiden Männer allein weiter. Doch bald verloren sie den Mut, als sie hörten, dass Billis Frau schon eingekerkert und die kleinen Kinder allein im Haus waren. Da S AUERLAND N R . 4/2008 sandten die beiden Männer durch einen Boten dem Gericht die Nachricht, dass sie sich stellen und wegen der Flucht um Verzeihung bitten wollten. Sie wussten, dass sie in den Tod gingen. Der Richter, der sie nun mit aller Härte foltern ließ, wollte wissen, ob ihnen jemand bei der Flucht geholfen habe. Doch sie erklärten, die Flucht alleine bewerkstelligt zu haben. Sie wurden zum Tode verurteilt, aber erst vier Wochen später am 2. 12. 1628 hingerichtet. „Aus Barmherzigkeit“ wurden sie zuerst enthauptet und danach ihre Körper verbrannt. Die Hinrichtungen sollen „auf dem Brandplatz“ erfolgt sein; noch heute gibt es in der Nähe der Westschule zwei Grundstücke, die diesen Flurnamen tragen. Abb. 9: Nagel aus dem Gefängnisturm (Historischer Nagel und Metall), Schrein Nr. 32 Abb. 10: „Hexenverfolgung“ auf dem Geschichtsbrunnen in Menden Dorte Hilleke in Menden widersteht der Folter Abb. 8: Menden Poenigeturm, Teil der Stadtbefestigung, früher Gefängnis der Stadt Künstlerische Rezeption des Hexenprozesses gegen Blesien Billi und Franz Hellmich Zum Gedenken an die Hexenprozesse der Stadt Menden gestalteten die Künstlerinnen Ulla Brockfeld und Dagmar Müller 47 Schreine aus Keramik und Goldschmiedekunst, einen davon speziell auch zum Schicksal von Blesien Billi und Franz Hellmich. Fotos der Schreine sind im Internet ausgestellt.23 Wie in einigen anderen Hexenprozessen hat es auch in Menden eine Angeklagte gegeben, der es gelang, der Folter zu widerstehen und an ihrem Glauben an Christus festzuhalten. Selbst durch schärfste Martern war Dorte Hilleke nicht dazu zu bewegen, ihrem Seelenheil abzuschwören. Sie wohnte in Menden „am Graben“, und ihre Großmutter war wegen Hexerei verurteilt worden.24 Bei ihrer Inhaftierung sagte die Gefangene, „das Kreuz, das Gott ihr auferlegt, wolle sie mit Geduld tragen. Sie wolle die Wahrheit sagen, niemand zu nahe treten, damit sie ihrer Seligkeit nicht zu nahe trete“.25 Nach der peinlichen Befragung am 4. März 1631 wurde Dorte Hilleke am 20. März 1631 erneut verhört, widerstand jedoch auch wiederholten Foltern. Dorte Hilleke trotzte in Menden als einzige Angeklagte den Folterern und zerriss mit ihrem Schweigen die Kette der Denunziationen. Die Akten des Gerichts berichten nichts über den weiteren Verlauf des 177 S AUERLAND N R . 4/2008 Oberkirchen Hexenprozesse in Oberkirchen Das Fachwerkdorf Oberkirchen war früher Hauptort eines Kirchspiels und Zentrum einer Gerichtsbarkeit. Zwischen 1595 bis 1685 fielen den Hexenprozessen in Oberkirchen 75 Personen zum Opfer. Allein 1630 wurden im Abb. 11: Dorte-Hilleke-Bibliothek in Menden kurkölnischen Amt Oberkirchen 65 Personen verbrannt.26 Besonders bekannt wurde der Prozess gegen das 9-jährige Kind Christine Teipel, die am 7. März 1630 verhört wurde. In den Hexenprotokollen heißt es: „abfragung des kindts zu Oberkirchen, Christineken Teipeln, so ins neunte jahr alt ist, verzeichnet am 7. Martii“.27 Sie benannte die Namen von 15 Menschen, die angeblich nachts am Teufelstanz teilgenommen hatten: acht Männer, sechs Frauen und ein kleines Mädchen. „Hexenplatz“ am Wald-Skulpturen-Weg Wenn heute der Wanderer dem sauerländischen „Wald-Skulpturen-Weg“ folgt, der die Städte Bad Berleburg und Schmallenberg mit einem Kulturpfad verbindet, trifft er bei Oberkirchen mitten im Wald auf einen „Hexenplatz“. Unversehens gerät der Spaziergänger auf dem steilen Waldweg an einen „Hexentopf“, einen riesigen Kessel aus dunklem Metall. Dieser ist umrahmt von Ta- Abb. 13: Installation „Hexenplatz“ in Oberkirchen Das Schicksal des Mädchens Christine Teipel Abb. 12: Vitrine im Stadtmuseum Menden mit Abbildung der Hexenprozessakte Dorte Hilleke und Richtschwert Prozesses. Eine Hinrichtung wird nicht gemeldet. Am 12. 4. 1994 wurde ihr zu Ehren die heutige Stadtbibliothek in Menden nach ihr benannt. An das Geschehen des Hexenwahns erinnert in der Stadt auch ein Hinweis auf dem Geschichtsbrunnen am Marktplatz. Nebenan im Museum für Stadtgeschichte (am Marktplatz 3) enthält seit 2003 eine Vitrine Informationen und Dokumente zu dem Hexenprozess gegen Dorte Hilleke. Christine Teipel „gesteht“, dass Johann Bell sie die Zauberei gelehrt habe. Bei nächtlichen Zusammenkünften hätten alle ihren Hexenbuhlen (Hexenfreund) bei sich gehabt und sich auf den Luttenberg begeben. In der Lüttmecke („Mecke“ heißt Bach) führt bis heute der Weg südlich von Oberkirchen rechts hoch zur Schanze zum „Hexentanzplatz“. In sieben Prozesswellen starben 1630 in den drei Monaten April bis Juni 58 Personen auf dem Scheiterhaufen, darunter 22 Männer und 2 Kinder.28 Christine Teipel wurde am 4. Mai 1630 in der 3. von insgesamt sieben Prozesswellen hingerichtet. Für eine Verbrennung auf dem Scheiterhaufen wurden den Angehörigen etwa 18 Reichstaler in Rechnung gestellt, was in den Hungerjahren mitten im 30-jährigen Krieg manche Familie in den Ruin trieb. Abb. 14: Tafeln zu den Hexenprozessen in Oberkirchen feln, die mögliche Zutaten von Hexengebräu abbilden. Seit dem 26. 8. 2003 erinnert die Hamburger Aktions- und Installationskünstlerin Prof. Dr. Lili Fischer mit diesem Beitrag „Hexenplatz“ an die Folgen der 1607 erlassenen „Kurkölnischen Hexenordnung“. Der Spaziergänger wird mit Relikten eines vermeintlich versunkenen Hexendorfes mit Hexentor und einem mächtigen Hexenkessel konfrontiert. Das „Kunstwerk“ bildet etwas als „real“ nach, was der krankhaften Phantasie sadistischer Hexenrichter vor 400 Jahren entsprungen ist. Damals wurden Menschen beschuldigt, Zaubertränke zu brauen und 178 S AUERLAND N R . 4/2008 Mensch, Tier oder gar das Wetter zu verhexen. Das Arrangement auf dem Hexenplatz drängt beim unvorbereiteten Wanderer unwillkürlich Fragen auf. Will diese „Installation“ andeuten, es habe tatsächlich Hexen gegeben, die sich dem Teufel verschrieben hatten und sich solcher Hexenkessel für die Zubereitung dämonischer Zaubertränke bedienten? Hinter der nächsten Wegbiegung informieren den Wanderer im Halbkreis angeordnete Tafeln über die Hexenprozesse im Sauerland. 13 Buchseiten aus Schiefer aus dem Sauerland dokumentieren die schreckliche Zeit der Verfolgungen. Eine der Abbildungen handelt vom Hexenprozess gegen das Kind Christine Teipel. Im Volksbewusstsein ist durchaus noch bekannt, aus welchen Familien im Ort in damaliger Zeit Menschen der Hexerei beschuldigt wurden. Vielleicht könnte es einer würdevollen Erinnerung und Vergangenheitsbewältigung dienen, auf einer Gedenktafel die Namen aller Opfer aus den Oberkirchener Hexenprozessen aufzuführen, um ein Denkmal zu setzen für die Leiden dieser unschuldig Verurteilten. Olpe Hexentürme In Olpe findet sich wie in einer Vielzahl von Städten in der Straße „Auf der Mauer“ ein Hexenturm.29 Zwar bezieht sich die Bezeichnung „Hexentürme“ auf die Zeit der Hexenverfolgung, aber oft waren es normale Gefängnistürme oder einfach nur Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Ihre Bezeichnung stammt überwiegend erst aus dem 19. Jahrhundert, als Menschen begannen, sich mit den regionalgeschichtlichen Hexenverfolgungen zu beschäftigen. 1877 hieß der Turm in Olpe noch Küchenturm (auch Gefängnisturm). Kurze Zeit später wurde er in der Lokalpresse als „Hexenturm“ bezeichnet, vermutlich eine Idee des Verschönerungsvereins, der an die zahlreichen Hexenprozesse im Olper Land erinnern wollte.30 Leider werden die furchtbaren Ereignisse der Zeit der Hexenprozesse auch für kommerzielle Zwecke ausgenutzt, ohne an das Leiden der gefolterten und hingerichteten Menschen zu erinnern. So empfiehlt ein Restaurant mitten in der Sauerländer Kleinstadt Olpe „das Hexenmenü als Event der Extraklasse“. Ehemals bestand die Stadtmauer aus drei großen und zwei kleinen Stadttoren und einigen Rundtürmen. Heute existieren nur noch ein Überrest der Stadtmauer mit dem Hexen- und dem Engelsturm31. Der Hexenturm aus dem 14. Jahrhundert ist eines der ältesten erhaltenen Gebäude der Stadt. Der Name könnte auf die Hexenverfolgung hinweisen, bei der er als Gefängnis gedient haben könnte. Allerdings gibt es dafür keine Beweise, während einige Heimatforscher davon ausgehen, dass sich der Name von „Hessenturm“ herleitet. Hexenprozesse in Olpe 1587 – 1697 sind im Gerichtsbezirk Olpe mindestens 45 Hexenprozesse nachweisbar, 23 Menschen wurden hingerichtet, 13 Frauen und 10 Männer.32 Nach Raimund Burghaus33 waren es mindestens 54 Verfahren mit 32 Opfern, davon 15 Männer. Die Hexenprozessakten sind nicht erhalten. Höhepunkt der Verfolgung lag (wie in vielen Gebieten des kurkölnischen Westfalens) in den Jahren 1629 –1630, als 12 Personen auf den Scheiterhaufen geführt wurden. Die letzte „Hexe“ Abb. 15: Hexenturm in Olpe Am 25. Januar 1695 gab das elfjährige Mädchen Anna Margaretha Schmidt aus Wenden in Olpe an, es könnte zaubern.34 Sie bestand darauf und nannte die Namen von fast allen Nachbarn, die auch zaubern könnten. Vor Gericht wurde sie wegen Zauberei angeklagt, denn auf Zauberei stand die Todesstrafe. Den Olper Richtern kam die Sache merkwürdig vor, immerhin war Anna Margaretha noch sehr jung. Sie brachten das Kind in der Familie des Küsters von St. Martinus unter und reichten die Akten weiter an Landdrost und Räte zu Arnsberg. Was sollte mit einem Kind geschehen, das immer vom Zaubern erzählte? Aber die Gesetze waren eindeutig: Wenn Anna selber sagte, dass sie zaubern konnte, musste sie verurteilt werden. Am 29. Dezember 1695 gab der Hofrat die Anweisung, das Urteil zu vollstrecken, sobald das Mädchen das nötige Alter erreicht habe, „damit unnötige Kosten erspart würden“. Die Richter begnadigten sie zum Tod durch das Schwert. Sobald sie 12 Jahre alt war, war sie strafmündig. Sie wurde am 24. Februar 1696 auf dem Bratzkopf durch das Schwert hingerichtet und unter dem Galgen begraben.35 Aus den Kirchbüchern ist zu entnehmen, dass sie das Jüngste einer großen Kinderschar war, also das Kind alter Eltern. Es wird die Vermutung angestellt, ob sie möglicherweise geistig behindert war und immer den gleichen Satz wiederholte, der ihr so große Aufmerksamkeit einbrachte. Es gibt in Olpe keine Tafel zum Andenken an die Opfer der Hexenprozesse. Rüthen Ein Mann in einem Rüthener Hexenprozess: Freunnd Happen Von 1573 bis 1659 wurden in dem kleinen Ort Rüthen und im Gogericht Rüthen 104 Hexenprozesse durchgeführt. Nur wenige Angeklagte haben die Verhöre und die grässliche Folter überlebt. Mindestens 79 Menschen sind hingerichtet worden. Höhepunkte waren die Jahre 1593 – 94 mit 20 und 1652 – 1654 mit 24 Hinrichtungen. Besonders bekannt wurde der Hexenprozess gegen Freunnd Happen.36 Aus den vorliegenden Unterlagen aus den Hexenprozessen in Rüthen geht hervor, dass es dort einem Mann gelungen ist, der Folter zu widerstehen. Obwohl ihn die Richter in der Folterkammer zwingen wollten, eine Mitgliedschaft in der Teufelssekte zu gestehen, hat er am Glau- 179 S AUERLAND N R . 4/2008 ben an Christus festgehalten. Das Original dieser Prozessakte befand sich in dem Band Ratsprotokolle 1660 ff. des Stadtarchivs Rüthen. Er wurde auf Drängen Himmlers nach Berlin geschafft, wo seitens der SS die Hexenakten zum Kampfe gegen die christlichen Kirchen benutzt werden sollten. Das Original ist verschollen, zum Glück ist eine Fotokopie an das Archiv zurückgelangt.37 Am 19. Juli 1660 ist Freunnd Happen aus Miste (heute Meiste, 6 km nordöstlich von Rüthen) von Bürgermeister und Rat der Stadt Rüthen wegen des Verdachtes des Zauberlasters in seinem Haus gefangen genommen und an das Gericht in die Stadt übergeben worden38. Am gleichen Tag wird er der gütlichen Befragung zugeführt: Er sei kein Zauberer, will gern sterben. Am nächsten Tag bleibt er bei seiner Aussage. Nun greift man zum Mittel der Marter. Trotz harter Folter ist ihm kein Geständnis abzuringen, vielmehr beteuert er seine Unschuld. Das Protokoll sagt: „er blieb in seiner hartneckigkeit verharret“. Er sagt unter großen Schmerzen, „er sei ein fromb mensche [ein frommer Mensch], er habe das Zaubern nicht gelernt, niemals Schaden an Vieh oder sonsten zugefügt. Er sei zwar ein armer Sündern, aber kein Zauberer“. Die Marter wird mehrfach fortgesetzt. Die Stellen für die Beinschrauben werden mehrfach gewechselt, um ein Teufelsbündnis aus ihm herauszupressen - ohne Erfolg. Elf Tage vergehen. Freunnd Happen verlangt nach einer Wasserprobe, die ihm am 2. September an der Möhne gewährt wird. Aber sie geht mehrfach gegen ihn aus. Zurück im Gefängnis wird sofort eine erneute Tortur festgesetzt. Nachdem aus ihm kein Geständnis zu erhalten ist, wird die Folter ergebnislos beendet. Das Gericht spricht Freunnd Happen am 23. September 1660 frei: nach zwei Monaten Haft und dreimaliger Folter. Er muss einen Eid leisten und schriftlich bestätigen, dass er Urfehde schwört und sich an niemandem rächen wird, dass er sich „friedlich in der stille bei seiner haushaltung... halten und andere gesellschaft zu meiden verpflichtet“ [sich verpflichtet, sich friedlich und still in seinem Haus aufzuhalten und die Gesellschaft mit andern zu meiden]. Freunnd Happen hat der Folter getrotzt und es geschafft, keinen Menschen zu denunzieren. Er überlebt. Im Schlussteil der Akte ist sogar davon die Rede, dass er ein „haus bauet“. Historische Stätten der Hexenprozesse In Rüthen dokumentiert ein Stadtrundgang verschiedene historische Stätten, die von der Geschichte der Hexenprozesse künden. Um die gesamte Altstadt verläuft die ca. 3 km lange historische Stadtmauer mit dem Hexenturm. Der halbrunde Hexenturm ist ein vollständig erhaltener Wehrturm der Stadtbefestigungsanlagen. In dem Gebäude wurden im 17. Jahrhundert vermeintliche Zauberer und Hexen gefangen gehalten. Heute befindet sich darin ein kleines Museum mit Exponaten über die Zeit dieser Hexenprozesse. Der Hexenturm wurde im 14. Jahrhundert aus Rüthener Grünsandstein errichtet. Im Volksmund erhielt er seine Bezeichnung aufgrund seiner Funktion als Kerker und Folterkammer in der langen Zeit der Rüthener Hexenprozesse im 16. und 17. Jahrhundert. Im unteren Raum hängen an den Steinwänden Foltergeräte: Eine Daumenschraube, eine Abb. 16: Hexenturm an der Stadtmauer mit Bronzerelief lange, eiserne Folterzange und ein Richtschwert. Im Boden eingelassen befinden sich beleuchtete Informationstafeln zur Geschichte der Hexenverfolgung. Über eine schmale Holztreppe gelangt man in den oberen Raum. Dort ist ein sogenannter „Aufzug“ zu sehen – eine Schlinge, die an einem schweren Stein befestigt ist. An den Wänden hängen eine alte Rute und eine Halsfessel. Daneben steht ein hölzerner Folterstuhl. Das Bronzerelief am Hexenturm zu Rüthen An dem halbrunden Hexenturm der Stadtmauer erinnert ein Bronzerelief an die Opfer der Hexenverfolgung und Abb. 17: Bronzerelief am Hexenturm zu Rüthen weist zugleich auf Personen hin, die gegen solches Unrecht aufgetreten sind. Das Bronzerelief von 1991 wurde durch den Bildhauer Bert Gerresheim (Düsseldorf) geschaffen. Es weist auf die Hexenverfolgungen in Rüthen und in den umliegenden Städten und Dörfern hin. Vor dem Hintergrund einer Hexenverbrennung ist das Kunstwerk zugleich Denkmal für das mutige Auftreten des Jesuitenpaters Friedrich Spee. Er ist in der Mitte des Bildes dargestellt. Der Hirschberger Landpfarrer Michael Stappert schaut über die Schulter Spees. Friedrich von Spee veröffentlichte im 17. Jahrhundert ein Buch über die Hexenverfolgung mit dem Titel „Cautio criminalis“ (deutsch: „Vorsicht bei der Anklage“). Friedrich Spee von Langenfeld war in Paderborn als Professor und Beichtvater für Männer und Frauen tätig, die wegen angeblicher Hexerei zum Tode verurteilt waren. An sein Wirken erinnert auch der Name des Friedrich-Spee-Gymnasiums in Rüthen. Das Kunstwerk legt die Verheißung der Ach- 180 ten Glückseligpreisung der Verfolgten und Verleumdeten in der Bergpredigt Jesu aus. Auf der linken Seite des Bronzereliefs sieht man verfolgte und gequälte Menschen der Neuzeit: Folterung von Hexen, Kreuzigung von Christen, die Guillotine der Französischen Revolution, die Martern in den Konzentrationslagern der NS-Zeit. Auf der rechten Seite erscheint als Gegenpol eine „paradiesische Landschaft“, die Welt als mögliche Gotteswelt. Man erkennt die barocken Kirchtürme von Rüthen, das mittelalterliche Marien-Standbild der Rüthener, eine wachsende, grünende Natur. Dazwischen ist die Laute abgebildet als Symbol der Lieder Spees sowie seine Bücher (Das güldene Tugendbuch, Trutznachtigall). In der Hand hält Spee seine kämpferische Schrift gegen den Hexenwahn, die Cautio Criminalis. S AUERLAND N R . 4/2008 16. Jahrhundert eingeweiht.41 Das Mahnmal erinnert zugleich an Machtund Gewaltmissbrauch bis in unsere Zeit. Es wurde vor dem neuen Bürger- und Stadthaus in Winterberg errichtet an der historischen Richtstätte, wo nach einem Hexenprozess im Jahr 1523 sechs Winterberger Frauen hingeAbb. 19: Ausstellung Hexenprozesse im Herzogtum Westfalen richtet wurden. Sechs unbehauene Diabas-Steine aus tiert und verschiedene Folterwerkzeuge dem Hildfelder Steinbruch symbolisiegezeigt. Ausgangspunkt waren die He- ren die sechs hingerichteten Frauen xenprozesse aus dem nahe gelegenen Sauerlandgestein. Auf einem Stein zeigt Schmallenberg-Holthausen Oberkirchen. Zu dieser Ausstellung er- ein Bronzerelief die Verbrennung einer schien ein leider vergriffener 254-seiti- Frau auf dem Scheiterhaufen mit einem Schieferbergbau- und Heimatger Katalog39. Hierin finden sich Hin- Galgen als Symbol städtischer Gemuseum Schmallenberg-Holtweise auf westfälische Gegner der He- richtsbarkeit und der Inschrift: „Urteil: hausen xenprozesse: Friedrich Spee, Anton Man solle sey brengen in da fur und verDas Schieferbergbau- und Heimat- Praetorius und Michael Stappert mit Le- bernen sy to Aschen.“ Es wurde von dem Bildhauer Hans Sommer geschafmuseum Holthausen ist ein Museum im bensdaten. fen. An einem Felsbrocken daneben Stadtteil Holthausen von Schmallenberg steht auf einer Tafel folgender Text: im Hochsauerlandkreis, getragen vom Winterberg „Dem Gedenken an sechs Frauen aus Museumsverein Holthausen e.V. 1984 Gedenkstätte Winterberg, die 1523 als Hexen verurfand im Schieferbergbau-Heimatmuteilt – hier auf dem Richtplatz der Stadt seum Schmallenberg-Holthausen die 1912 stießen Arbeiter bei ErdarbeiAusstellung „Hexen - Gerichtsbarkeit im ten für das Parkhaus-Hotel in Winterkurkölnischen Sauerland“ statt. Diese berg auf Reste eines Galgens und auf ständige Ausstellung wurde im Jahr Teile von menschlichen Skeletten. An2006 überarbeitet. scheinend war dies der Richtplatz geweIn zwei Räumen wurden Ausmaß der sen, den schon der Kartograph Justus Hexenprozesse im Sauerland dokumen- Moers in seine Sauerlandkarte von 1577 eingezeichnet hatte.40 Die hier vorbeiführende Straße zum Kahlen Asten war noch im 20. Jahrhundert als „Galgenweg“ bekannt. Auf Initiative des Heimat- und Geschichtsvereins wurde mit finanzieller Unterstützung der Stadt Winterberg am 19. 11. 1993 eine Gedenkstätte für OpAbb. 20: Bronzerelief in Winterberg fer der Gewalt im Abb. 18: Ausstellung Hexenprozesse im Herzogtum Westfalen vor dem Rathaus 181 S AUERLAND N R . 4/2008 Abb. 21: Sechs Gedenksteine in Winterberg vor dem Rathaus Winterberg verbrannt wurden – nach Urteil im „Winterbergischen Halsgericht“ – Erster Hexenprozess in Westfalen, von dem ein Gerichtsbericht erhalten ist.“ en zum Feuertode verurteilt wurden, n a c h d e m 1521/22 Winterberger nach Medebach gezogen waren, um am Freistuhl vor dem Östertor Frauen der Hexerei anzuklagen.46 Nach diesem Protokoll dauerte der Prozess zwei Jahre. Am Montag nach dem 15. Juli 1523 wurden die Frauen zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt: „men solle sey brengen in da fur und verbernen sy to aschen“. Von Winterberger Bürgern waren sie wegen Hexerei angeklagt worden und hatten – wohl unter grausamen Folterungen, die im Prozess allerdings nicht erwähnt sind47 – Verfehlungen bekannt, die sie niemals begangen haben können: geschlechtliche Vereinigung mit Teufeln, Ritte auf Besen und Harken durch die Luft und Verwünschungen über Tiere und Menschen mit Todesfolgen. Bestätigt wurde das Urteil vom Gerichtsherrn Philipp Schenk zu Schweinberg, Amtmann zu Medebach, stellvertretend für den Kölner Kurfürsten. Richter war der letzte Freigraf des Medebacher Freistuhls am Östertor, Heinrich Beckmann. Zum Autor: Hartmut Hegeler ist kreiskirchlicher Pfarrer in Unna und erteilt Religionsunterricht im Märkischen Berufskolleg. Anschrift: Sedanstr. 37, 59427 Unna, Tel. 0 23 03 – 5 30 51 www.anton-praetorius.de Abb. 22: Gedenktafel in Winterberg vor dem Rathaus 1. Rainer Decker: Die große Hexenverfolgung im Amt Fredeburg um 1630, in: Schmallenberger Sauerland. Almanach 1993, S. 96-98 Wie in vielen anderen Orten im Herzogtum Westfalen kam es auch in Winterberg zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert zu Hexenprozessen und Hinrichtungen. Die genaue Zahl ist unbekannt, da die Quellenlage äußerst dürftig ist. Nachweisbar sind Hexenprozesse in den Jahren 1523, vermutlich 1562 und 1629.42 In Winterberg wurde 1728 auch der letzte Hexenprozess Westfalens durchgeführt.44 Im Staatsarchiv Münster findet sich das älteste Protokoll eines Hexenprozesses in Westfalen.45 Es ist in Sauerländer Mundart verfasst statt in Latein. Es berichtet von dem Verfahren, in dem 1523 sechs Winterberger Frau- 2. Sign. X-43-32. Vgl. Alfred Bruns: Die Oberkirchener Hexenprotokolle, in: „Hexen - Gerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland“ des Schieferbergbau-Heimatmuseums SchmallenbergHolthausen 1984, S. 14 ff. und S. 214 Abb. 23: Hexenprozessakte: Ältester Hexenprozess aus dem kurkölnischen Sauerland 1523 „Winterbergisch halsgericht“ 43 3. Rainer Decker: Die große Hexenverfolgung im Amt Fredeburg um1630, in: http:// members. aol. com/Decker paderborn/Fredeburg. html. Alfred Bruns: Die Oberkirchener Hexenprotokolle, 1984, S. 18 182 S AUERLAND N R . 4/2008 Sachsen und Sauerländer vergleichen ihre Montangeschichte von Reinhard Köhne Auf Initiative von Prof. Dr. Reininghaus trafen sich der Arbeitskreis Bergbau im Sauerland und Montanhistoriker aus Sachsen zu einem Workshop „Bergbau und Hüttengeschichte“ im neuen Bergarchiv Freiberg. In 10 Kurzvorträgen stand neben dem Bergbau die Geschichte der Verhüttung von Erzen im sächsischen und sauerländischen Mittelgebirge zur Diskussion. Demnach begann der Bergbau im Sauerland bereits im 10. Jh. (Ramsbeck, Bleiwäsche), der im sächsischen Bergland im Zuge der Ostkolonisation erst im 12. Jh. Im Umfeld der Burg Altena (Märkischer Kreis) lassen sich etwa 1300 Standorte der Rennfeuerverhüttung des 11. - 13. Jhs. im Gelände nachweisen und für die Floßofenverhüttung auf Holzkohlebasis an Bächen vom 13. bis 19. Jh. etwa 300 Standorte belegen. Im Erzgebirge ist die Geschichte des Hüttenwesens bisher nur ungenügend erforscht. Bronzezeitliche Verhüttung wird zwar vermutet, kann aber archäologisch nicht nachgewiesen werden. Etwa 300 Hüt- Verhüttung führt zu Emissionen und veranlasst den Landesherrn zur Konzentration der Betriebe außerhalb der Siedlungen. Demgegenüber ist der landesherrliche Einfluss auf das Hüttenwesen im Sauerland geringer, da der regionale Adel, die Klöster und bürgerliche Unternehmer das Montanwesen organisieren. Wegen des prägenden Einflusses der Montanwirtschaft als Basis der Industrialisierung auf die sächsische Kulturlandschaft, Siedlung, Bergrecht, Industriegeschichte, Bildungswesen, Kunstund Literatur, Brauchtum und Kunsthandwerk ist das Projekt „Montanregion Erzgebirge" zur Aufnahme in das UNESCO Weltkulturerbe vorgesehen. 13. Werner Ahrens: Balve und sein romanisches Erbe, hrsg. von der Heimwacht Balve e.V., 2006, S. 92 Aufl. - Menden, 1999, Anton Schulte, Mendener Köpfe, S. 80 f. http://de.wikipedia.org/wiki/Freunnd_Happen (Artikel von Hegeler) 14. Rainer Decker: Die Hexenverfolgungen im Herzogtum Westfalen, S. 214-216 25. Kranz, S. 62 38. Walter Dalhoff: Zu Rüthener Hexenprozessen, S. 186-188 4. Rainer Decker: Die große Hexenverfolgung im Amt Fredeburg um 1630 Alfred Bruns: Die Oberkirchener Hexenprotokolle, 1984, S. 18 5. Pfarrarchiv Enkhausen und Hatzfeldisches Archiv. Archiv der Gemeinde Affeln. Marianne Burke, Chronikeintragung der Pfarrei St. Laurentius Enkhausen über die Hexenverfolgung im damaligen Amt Balve, in: Rund um Röhre und Sorpe. - 7 (1992), S. 64-66 6. Heimwacht Balve e.V. (hrsg. von Werner Ahrens): Sie starben auf dem Balver Galgenberg, Balve 2006, S. 4 Rainer Decker: Die Hexenverfolgungen im Herzogtum Westfalen. In: Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens (Hrsg.): Westfälische Zeitschrift. 131/132, 1981/1982, S. 339–386 (zu Hexenprozessen u. a. in Balve). http://members.aol.com/Deckerpaderborn/Stappert. html 7. Heimwacht Balve e.V. (Hrsg.): Sie starben auf dem Balver Galgenberg, Balve 2006, S. 7-10 8. Josef Pütter, Wachtläuh-Räusen", in: Heimwacht Balve e.V. (Hrsg.): Sie starben auf dem Balver Galgenberg, Balve 2006, S. 11 9. Rainer Decker: Die Hexenverfolgungen im Herzogtum Westfalen, in: Hexen - Gerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland, Hrsg. Schieferbergbau-Heimatmuseum Schmallenberg-Holthausen, 1984, S. 201 10. Josef Pütter: Sauerländisches Grenzland im Wandel der Zeit, S. 39 11. Mit freundlicher Genehmigung von Werner Ahrens, Heimwacht Balve e.V. aus: Heimwacht Balve e.V. (hrsg. von Werner Ahrens): Sie starben auf dem Balver Galgenberg, Balve 2006 12. Heimwacht Balve e.V. (hrsg. von Werner Ahrens): Sie starben auf dem Balver Galgenberg, Balve 2006, S. 12-13; Süderländer Volksfreund 1.8.2006 und 11.8.2006 15. Rainer Decker, Pfarrer Michael Stappert (Hirschberg/Grevenstein) - der Friedrich Spee des Sauerlandes, aus: Dreißigjähriger Krieg im Herzogtum Westfalen, Schmallenberg-Holthausen 1998, S. 45-51 (Veröffentlichungen des Westfälischen Schieferbergbauund Heimatmuseums Holthausen Band XVIII). Hirschberg. Rainer Decker: Die Hexenverfolgungen im Herzogtum Westfalen, S. 206 f 16. Dietmar Nix: Die Hexenprozesse/Dokumente: Brillentraktat. 1997: Michael Stappert, Tractatus Conspicillum, Hirschberg in Westfalen, 1620 26. Rainer Decker: Der soziale Hintergrund der Hexenverfolgung im Gericht Oberkirchen 1630, in: Hexen: Gerichtsbarkeit im kurköln. Sauerland Schmallenberg-Holthausen 1984, S. 91-118 27. Hexenprotokolle, in: Hexen- Gerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland, Redaktion Alfred Bruns, Schmallenberg- Holthausen, 1984, S. 26 ff. 28. Alfred Bruns: Die Oberkirchener Hexenprotokolle, S. 213 ff. tenstandorte des 15. – 16. Jhs. lassen sich lokalisieren. Wie im Bergbau ist die Verhüttung durch ein staatliches Monopol reglementiert. Die Hütten kaufen das Silber-, Blei-, Kupfer-, Eisen-, Kobalt-, Alaun- und Wismuterz zu festgesetzten Preisen. Der Gewinn finanziert die zahlreichen Repräsentationsbauten und die Hofhaltung der Kurfürsten in Dresden. 39. Dr. Alfred Bruns: Landesarchivdirektor Münster: Die Hexenverfolgung in der früheren Kriminalgerichtsbarkeit, Hexen - Gerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland, Hrsg. vom Schieferbergbau-Heimatmuseum Schmallenberg-Holthausen, 1984 40. Paul Aust: Eine Gedenkstätte für die Opfer der Hexenverfolgung, in: „De Fitterkiste“, Bd. 6, 1994, S. 19 41. Mitteilungsblatt der Stadt Winterberg 19. 11. 1993 29. Manfred Schöne: Zur Geschichte des Hexenturms in Olpe, HSO 161/1990, S. 200 42. Rainer Decker: Die Hexenverfolgungen im Herzogtum Westfalen, in: Alfred Bruns: Hexen - Gerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland, SchmallenbergHolthausen 1984; Untersuchungen wegen Zauberei gegen verschiedene Personen vor den Gerichten in Winterberg und Hallenberg, 1716-1719, Findbuch (A 10, Bd. 4 Manuskripte VI) 17. Alfred Gottschlich: Aus der Geschichte Hirschbergs, S. 87 30. Westfälische Rundschau 11.6.1991 18. Alfred Gottschlich: Aus der Geschichte Hirschbergs, S. 97-101 31. Manfred Schöne: Zur Geschichte des Hexenturms in Olpe, HSO 161/1990, S. 199 19. Gisbert Kranz: Mendener Recht und Gericht, u. a. Hexenprozesse 1592 - 1631, Selbstverlag 1929, Druck Georg Pfeiffer, Menden (Mendener Tageblatt und Anzeiger), S. 47 f, S. 43-78 20. Kranz, S. 55 ff, Mendener Akten, Blatt 249 Rückseite 32. Rainer Decker: Die Hexenverfolgungen im Herzogtum Westfalen, in: Hexen - Gerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland, Schmallenberg-Holthausen, 1984, S. 214 - 218; Klemens Stracke: Als die Scheiterhaufen loderten, Heimatstimmen aus dem Kreis Olpe 72. und 73. Folge, 1968 43. Staatsarchiv Münster Mcs. VII 5909, 1, abgedruckt in: Hexen - Gerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland / Red.: Alfred Bruns; Schmallenberg-Holthausen: Schieferbergbau-Heimatmuseum, 1984, S. 223 21. Pfarrarchiv, Pastoratstr. 18, Menden. Findbuch Pfarrarchiv St. Vincenz Menden: A Ältester Bestand: Benefizien und Priester S. 1-24; Sendgericht, Hexenprozesse S. 84-92; Prozesse S. 175-177 33. Raimund Burghaus: Daten zur Geschichte der Hexenverfolgung im Olper Land, in: Olpe in Geschichte und Gegenwart, Jahresgabe des Heimatvereins für Olpe und Umgebung e.V., (1) 1993, S. 49 - 56 44. Decker, Rainer: Hexen und ihre Henker, S. 275 und 269. Soldan/Heppe, Geschichte der Hexenprozesse, Reprint der Originalausgabe von G. Müller, München 1911, Bd. 2, S.212 22.Kranz, S. 55 f 34. G. Kemper: Die letzte Hexe, in: Olpe Stadt und Land, S. 39 45. Mcs. VII 5909, Bl. 270 - 273 – und Hallenberger Quellen- und Archivverzeichnisse HaQuV – Bd. I, S. 35-40 23. http://www.brockfeld.com/hexen und http://www.anton-praetorius.de/ arbeitskreis/arbeitskreis.htm#Anliegen Menüpunkt AK Westfalen 24. Kranz, S. 62; Stadt Menden, der Stadtdirektor (Hrsg.): Wer war Dorte Hilleke? Ein geschichtlicher Abriss über die Hexenprozesse in Menden und eine Übersicht über die Geschichte der Stadtbücherei. - 2. 35. Walter Wahle: Heimatstimmen Olpe, 1971, 83, S. 76-82 36. Diese Beschreibung des Prozesses wurde vom Autor auch im Internetlexikon Wikipedia veröffentlicht. 46. Paul Aust: 1523 - Winterberger Frauen als Hexen verbrannt, in: „De Fitterkiste“, Geschichtliches aus Winterberg und seinen Dörfern, Bd. 5, 1993, S. 9-19 37. Walter Dalhoff: Zu Rüthener Hexenprozessen, in: Hexen - Gerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland. Schmallenberg-Holthausen 1984, S. 188 47. Paul Aust: Eine Gedenkstätte für die Opfer der Hexenverfolgung, in: „De Fitterkiste“, Bd. 6, 1994, S. 19 183 S AUERLAND N R . 4/2008 Lokalgeschichte als Mentalitätsgeschichte: Die Herausbildung eines katholisch-nationalistischen Milieus in Sundern im Kaiserreich 1871 – 1914 von Werner Neuhaus Die Geschichtswissenschaft ist eine revisionistische Wissenschaft schlechthin. Durch Erschließung neuer Quellen sowie durch Konzentration auf bis dahin vernachlässigte Bereiche der Gesamtgeschichte kommt sie zu immer neuen Erkenntnissen und revidiert dabei pausenlos das Bild, das Historiker vorher als für ihre Zeit gültig herausgearbeitet hatten. Diesen Prozess kann man auch anhand der Historiographie zum Deutschen Kaiserreich beobachten. Während seit den 1960er Jahren Vertreter der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftsgeschichte Methoden und Ziele eher traditioneller Historiker, die sich weitgehend auf die „Große Politik“ von Militär-, Geistes- und Diplomatiegeschichte spezialisiert hatten, angriffen, sind seit etwa 20 Jahren eben diese Sozialhistoriker das Ziel teilweise heftiger Kritik von Fachkollegen. Diese behaupten u. a., dass nur durch eine stärker kultur- und mentalitätsgeschichtlich ausgerichtete Forschung Phänomene wie „Nationalismus“ oder „Militarismus“, aber auch Milieus, Mentalitäten und Aspekte der Alltagsgeschichte in den Griff zu bekommen seien. Dabei wenden sich diese Historiker verstärkt überschaubaren Einheiten wie Regionen, Städten und Gemeinden zu, da man dort konkreter und anschaulicher Wandel und Beharrung von politischen, religiösen, sozialen und kulturellen Einstellungen untersuchen kann. Der folgende Beitrag geht davon aus, dass Gesellschafts- und Kulturgeschichte sehr wohl miteinander verknüpft werden können, und versucht, anhand einer Analyse von Vereins- und Pfarrchroniken der Freiheit Sundern wesentliche mentalitätsgeschichtliche Aspekte, die auch für andere Gemeinden des ehemaligen kurkölnischen Sauerlandes von Bedeutung sein könnten, zu erschließen. 1. Der Kulturkampf Die neu gegründete Zentrumspartei als Vertreterin des politischen Katholizismus hatte die Annahme der in ihren Augen zu „preußischen“ Reichsverfassung zwar abgelehnt, aber dennoch befürwortete der kirchenpolitische Wortführer des katholischen Deutschland, Bi- schof Emmanuel von Ketteler, auf dem Mainzer Katholikentag von 1871 die Mitarbeit der katholischen Staatsbürger im neu gegründeten Kaiserreich: „An Vaterlandsliebe wollen wir Katholiken wirklich keinem nachstehen.“1 Dieses Bekenntnis galt zunächst auch für Sundern, denn obwohl fünf Sun- liche nicht daran gehalten, denn am 30. Mai 1874 meldete der Allendorfer Amtmann Riedel dem Oberstaatsanwalt in Arnsberg, dass „der Pfarrer Schwickardi zu Hagen das Verlesen des genannten Hirtenschreibens zugestanden“ habe, „die Pfarrer Mittrop zu Sundern, Schulte zu Stockum und Volmar hier (d. h. in Allendorf) aber die Aussage darüber verweigert“ hätten.4 Die beteiligten Priester wurden am 14. Juli 1874 wegen ungesetzlicher politischer Stellungnahme vor das Gericht in Arnsberg geladen, welches sie jedoch freisprach. Dennoch ging der Konflikt zunächst mit unverminderter Härte weiter, denn im Die fünf Gefallenen aus Sundern im deutsch-französischen Krieg 1870/71 (Eintragung Pfarrer Kleffs in der Pfarrchronik) Frühjahr 1875 fragte Landrat von deraner „Krieger“ im deutsch-französi- Lilien beim Allendorfer Amtmann Thüschen Krieg von 1870/71 gefallen wa- sing nach, „welche von den 4 Pfarrern ren, stand auch dort das Kaiserreich des dortigen Amtsbezirks durch ihr biszunächst hoch im Kurs. So notierte Pfar- heriges Auftreten in kirchenpolitischer rer Kleff wenige Wochen nach der Beziehung (…) von dem Amte als SchuReichsgründung in seiner Pfarrchronik: linspektor zu entbinden sein werden.“5 „Kaisers, Königs Geburtstag. Am 22. Thüsing konnte nur wahrheitsgemäß März 1871 wurde am Geburtstagsfeste antworten, dass „die Pfarrer des hiesiSr. Majestät des Kaisers und Königs Wil- gen Amtes (…) sämmtlich, so wie die helm I. nicht nur von Pfarrer Joseph meisten Geistlichen des Sauerlandes, Kleff ein Hochamt gehalten, sondern der ultramontanen, regierungsfeindliderselbe ließ auch nach dem Hochamte chen Partei“ angehörten und dieses eine große Pause mit allen Glocken läu- durch ihr Verhalten auch öffentlich doten.“2 kumentierten. Daraufhin schärfte der Landrat ihm ein, die betreffenden PriesDies wäre seinem Nachfolger Christer „in Bezug auf ihr Verhalten als Lokaltian Mittrop, der von 1873 bis 1885 in Schulinspektoren scharf zu überwachen Sundern wirkte, vermutlich nicht im und von jedem Falle der Renitenz gegen Traum eingefallen, denn in seine Amtsdie kirchenpolitischen Gesetze oder eizeit fällt das Ereignis, das die politische nes regierungsfeindlichen Einwirkens und mentale Entfaltung des vorherrauf die Lehrer oder den Geist der schenden Milieus in Sundern fundamenSchüler“ Anzeige zu erstatten. tal prägte: der Kulturkampf. Als im BisInsgesamt sorgte dieses rechtsstaatswidtum Paderborn die Verurteilung und rige Vorgehen der Behörden für viel böAusweisung des ultramontanen Bischofs ses Blut in den katholischen Regionen, Konrad Martin3 bei der katholischen Be- und auch im Kreis Arnsberg meldeten völkerung helle Empörung auslöste, rea- die lokalen Behörden dem Landrat, dass gierten die Behörden mit Verboten ge- die staatlichen Schikanen nur zu einer gen das Verlesen des bischöflichen Ab- Solidarisierungswelle der katholischen schiedsbriefes in den Kirchen. Ganz of- Landbevölkerung mit ihren „Hirten“ gefensichtlich haben sich hiesige Geist- führt hatten.6 184 So hatte, wie auch in anderen katholischen Regionen, der Kulturkampf das Ergebnis, dass sich viele Katholiken nur noch fester „ihrer“ Kirche verbunden fühlten und mit dem Zentrum die Partei wählten, die die Interessen der katholischen Kirche rückhaltlos unterstützte. So hielt Pfarrer Mittrop am 14.1.1885 rückblickend auf seine Zeit in Sundern fest: „Vor meiner Zeit (d. h. vor 1873) wurde nur liberal, seit ich hier bin, nur für’s Zentrum gewählt.“ Erbittert hatte er hinzugefügt: „Ein Dutzend wählt auch jetzt noch lieber einen Sauhirten als einen Reichensperger.“7 Diese Bemerkungen des Pfarrers werden durch den Blick auf einige Wahlergebnisse in Sundern belegt. Hatten vor und unmittelbar nach der Reichsgründung die Sunderaner ganz überwiegend liberale Kandidaten gewählt, so stimmten sie seit Beginn des Kulturkampfes immer mit großer Mehrheit für das Zentrum und seine Kandidaten. Wie intensiv die Einmischung der Pfarrer in die politischen Wahlen zur Zeit des Kulturkampfes war, kann man daraus ersehen, dass sich die Geistlichen von Hagen, Allendorf, Endorf, Stockum und Sundern bei der Wahl zum preußischen Abgeordnetenhaus im Jahre 1873 als Wahlmänner S AUERLAND N R . 4/2008 ne „totale Ritualisierung des Alltagslebens“, und drittens ein vom lokalen Klerus gesteuertes „Netzwerk katholischer Suborganisationen“.9 Alle drei Aspekte lassen sich für Sundern und das kölnische Sauerland im Kaiserreich nachweisen, aber im Folgenden soll besonders der letztgenannte Aspekt, das von der katholischen Kirche und ihren Geistlichen geprägte Vereinsleben, untersucht werden. 2. Das Vereinsleben und seine Nähe zur katholischen Kirche Satirische Darstellung der politischen Macht des Klerus in katholischen Regionen aufstellen ließen – und alle gewählt worden waren.8 Auch als die katholische Geistlichkeit nach dem Abklingen des Kulturkampfes nicht mehr so direkt in die Politik eingriff, blieb das Zentrum über ein halbes Jahrhundert hinweg unangefochten die einflussreichste politische Partei des kurkölnischen Sauerlandes. Als wichtigste Ursache für diese erstaunliche Kontinuität ist die durch den Kulturkampf beschleunigte Entstehung eines bestimmten „soziokulturellen Milieus“ (M. Rainer Lepsius) zu nennen, das auch nach Abebben des Kulturkampfes prägend für die Mentalität der hiesigen Bevölkerung war. Mit Herbert Kühr werden hier drei Faktoren als typisch für dieses „traditionale soziokulturelle katholische Milieu“ angesehen: Erstens das seit Jahrhunderten tief eingeschliffene „katholische WertDie Liste der Wahlmänner für das preußische Abgeordnetenhaus und Normensys1873: Die mit Pfeil Gekennzeichneten sind Geistliche aus dem Raum Sundern tem“, zweitens ei- Dies gilt zunächst einmal selbstverständlich für die kirchlichen Vereine, obwohl solche häufig in der Euphorie von Volksmissionen gegründeten Vereine wie Jungfrauenvereine, Jünglingssodalitäten, Mäßigkeitsvereine u. ä. manchmal nach kurzer Zeit „einschliefen“ und in Vergessenheit gerieten oder neu gegründet werden mussten. Andere dagegen, wie die bereits 1716 gegründete Jesus-Maria-Josef-Bruderschaft, waren noch um 1870 in Sundern aktiv.10 Gerade die Marienverehrung scheint in der Freiheit Sundern äußerst wichtig geworden zu sein, denn neben den ab 1862 häufig stattfindenden Wallfahrten zum Gnadenbild nach Werl und den Mai- und Rosenkranzandachten zeugten auch Bildstöcke von der wachsenden Verehrung der Gottesmutter.11 Auch die von den jeweiligen Vikaren betreute Borromäus-Bücherei vertrat durch Bereitstellung kirchentreuer Literatur aller Art zielgerichtet den Standpunkt der Kirche in religiösen, politischen, gesellschaftlichen und schulischen Fragen12 und natürlich wirkte auch die gegen Ende des I. Weltkrieges gegründete Niederlassung der Olper Missionsschwestern in diese Richtung. Vielleicht noch wichtiger in ihrer Breitenwirkung waren die nicht direkt von der Kirche gegründeten Vereine, die jedoch häufig eine enge weltanschauliche und personelle Affinität zum Katholizismus aufwiesen. Bei der Lektüre der Protokollbücher fast aller weltlichen Vereine fällt auf, dass die Mitglieder durch Statuten bzw. Generalversammlungsbeschlüsse verpflichtet waren, regelmäßig an Kirchgang und Kommunion, Prozessionen und sonstigen kirchlichen Ritualen teilzunehmen. Dies gilt besonders für die Schützen, die Handwerker, 185 S AUERLAND N R . 4/2008 die Turner, die Sänger des MGV „Cäcilia“ sowie den Kriegerverein.13 Viele Mitglieder dieser Vereine gehörten darüber hinaus dem Kirchenvorstand an, und umgekehrt war Pfarrer Schwickardi Präses der Schützenbruderschaft, Ehrenpräses des Kriegervereins, des MGV „Cäcilia“ sowie Ehrenmitglied im Handwerkerverein. Nationale Symbolik auf Vereinsfahnen: Die Fahne des Männergesangvereins „Sängerlust“ (1902) Dies machte sich im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt, denn die Vereine erwiesen sich beim Neubau der Pfarrkirche um die Jahrhundertwende als generöse Spender und stifteten Kirchenglocken (Schützen), eine Josephsstatue (Handwerker), Teile der Muttergotteskapelle (Cäcilia) und ein Chorfenster (Kriegerverein). Auch die Fahnen der weltlichen Vereine zeigten häufig Schutzpatrone wie z. B. die heiligen Hubertus (Schützen), Josef (Handwerker), Cäcilia (Sänger) oder Martin (Krieger). Dieser Hinweis auf Fahnen und auf ihnen dargestellte Symbole und Figuren zeigt jedoch, dass es im Kaiserreich außer der katholischen Kirche noch weitere Kräfte gab, die das kulturelle Milieu in Sundern beeinflussten. So wiesen viele Fahnen in jener Zeit neben den jeweiligen Schutzpatronen auch nationale Symbole wie Eichenlaub, Kaiserkrone, den „Deutschen Rhein“ oder den preußischen Adler sowie die Figur der Germania auf. 3. Katholisches Vereinswesen, Nationalismus und Militarismus Nach der Reichsgründung – und teilweise erst durch diese – waren auch im katholischen Sauerland Nationalismus und Militarismus mentalitätsprägende Kräfte geworden, auch wenn der Annäherungsprozess zwischen beiden nicht ohne Probleme vonstatten gegangen war. Auch hier marschierten die Schützen vorneweg, hatten sie doch nach Entstehung, Organisation, Titeln, Orden und Uniformen von Anfang an eine gewisse Nähe zum Militärischen. So hielten die Statuten von 1867, also nach dem preußischen Sieg gegen das katholische Österreich, ausdrücklich fest, der Zweck des Schützenfestes liege darin, „insbesondere die heranwachsende Jugend im Gebrauch der Waffen, namentlich des Schießgewehres, auszubilden und auf die bevorstehende Militärzeit vorzubereiten, sowie diejenigen, welche der Militärpflicht bereits Genüge getan haben, in der Übung zu halten“. Diese strafferen Anforderungen, so wurde ausdrücklich betont, sollten die alten Statuten, die in dieser Hinsicht „zu mangelhaft“ erschienen, ersetzen.14 Ähnlich wie bei den Schützen konnte man bei dem 1872 zum ersten Mal ge- dungen zum Monarchen, zu Preußen und zum Reich: „Statutenmäßig kümmerten sich die Kriegervereine vornehmlich um die „Pflege und Betätigung der Liebe und Treue zu Kaiser und Reich, zu Landesherrn und engerem Vaterland“ sowie um die „Stärkung und Hebung des Nationalbewusstseins“.15 Gerade durch diese Aktivitäten wurde der Kriegerverein zum Einfallstor für den „Militarismus der kleinen Leute“.16 Dass es dabei zu Konflikten mit dem in Sundern vorherrschenden katholischen Milieu kommen konnte, zeigte sich zu Beginn der 1890er Jahre, als der Verein neu gegründet werden sollte. Das preußische Innenministerium bestand darauf, alle Statuten vor Genehmigung zu kontrollieren, und die Abbildung des auf der ersten Fahne von 1872 abgebildeten Schutzpatrons, des Hl. Martin, wurde vom Polizeidiener Bruder als „nicht gerade der Vorschrift“ entsprechend bezeichnet, da Kriegervereinsfahnen keine Heiligenbilder mehr enthalten durften. Allerdings war man durch die schlechten Erfahrungen aus der Zeit des Kulturkampfes so klug geworden, dass man von der Behörde ausdrücklich darauf hinwies, dies sei „nicht als Verletzung konfessioneller Anschau- Der Entwurf für die Kriegervereinsfahne aus dem Jahre 1892 und die danach gefertigte Fahne, die heute Teil der „Alten Fahne“ der Schützenbruderschaft ist gründeten Kriegerverein die Pflege militärischen Brauchtums und nationaler Feiertage erwarten. Zunächst setzte sich der Verein für Mitgliederbegräbnisse mit militärischen Ehren sowie den Bau einer Gedenkstätte für die im deutsch-französischen Krieg Gefallenen ein, wobei er von einzelnen Bürgern und der politischen Gemeinde finanziell unterstützt wurde. Darüber hinaus organisierten gerade die Kriegervereine Treuebekun- ungen“ anzusehen. Jedenfalls enthielt die neue Fahne des Kriegervereins von 1893 als Abbildung den preußischen Adler mit den Worten: „Gehorsam, Treue, Tapferkeit – Des deutschen Kriegers Ehrenkleid.“17 Eine weitere Aufgabe des Kriegervereins bestand in der Vorbereitung und Durchführung „Vaterländischer Feiern“ und der Gedenktage an große Schlachten und Kriege. So wurde im Jahre 186 S AUERLAND N R . 4/2008 1910 zum 40. Jahrestag des deutsch – französischen Krieges ein Fest gefeiert „zur Ehrung der noch lebenden Veteranen aus den Feldzügen 1866/70 – 71“, und das Protokoll der Gemeindversammlung hielt die Namen der Veteranen der Reichseinigungskriege am 13.9.1910 fest.18 Manchmal beließ man es nicht bei bloßen Feiern mit Reden und Heldengedenken, sondern plante etwas Praxisrelevantes. So wurde 1912 „beschlossen, am 18. August nachmittags eine kleine militärische Übung auf der Linnepe zu veranstalten“,19 und ein Jahr später richtete man einen Antrag an den Turnverein „Sauerlandia“ zu gemeinsamen „Manöverspielen“, und dessen Protokollbuch hielt fest: „Einem vorliegenden Antrage des Kriegervereins auf Teilnahme an den beabsichtigten Manöverspielen wurde zugesagt.“20 Mit den Turnern ist ein weiterer Verein benannt, dessen Geschichte vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Reichsgründungszeit durch ein betont nationales Auftreten gekennzeichnet war.21 Tatsächlich belegt das Protokollbuch des Turnvereins „Sauerlandia“, dass in jedem Jahr der „Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers Wilhelm II.“ mit Freibier gefeiert wurde. Anhand eines weiteren nationalen Feiertages lässt sich der Wandel der Einstellung der katholischen Bevölkerung des Sauerlandes zu Reich und Nation zwischen den Zeiten des Kulturkampfes und dem Ende des 19. Jahrhunderts gut belegen. Am 30. 8. 1873 hatte das zentrumsnahe Arnsberger „Centrale Volksblatt“ unter dem Titel „Zur Sedanfeier“ heftig geklagt, die liberale und protestantische Öffentlichkeit könne von den Katholiken nicht verlangen, diesen Tag freudig zu begehen, solange die „heilige Kirche in eiserne Fesseln geschlagen“ und Katholiken „als staatsgefährlich, Reichsfeinde, Verräter des Vaterlandes“ diffamiert würden. Erst wenn diese Missstände beseitigt würden, würden auch die Katholiken freudig „Sedan feiern“. Einige Jahre später war es offensichtlich so weit, denn die Turner beschlossen Mitte der 1890er Jahre gemeinsam mit dem Kriegerverein, „eine gemeinschaftliche 25-jährige Jubelfeier der Schlacht bei S e d a n mit dem hiesigen Krieger- Sedansfeiern und Kriegerfeste standen auch im Sauerland zunächst hoch im Kurs. Anzeigen aus dem Centralen Volksblatt, August 1872 Verein auf der sg. Kaiser-Höhe zu feiern. Und zu welchem Zwecke von unserem Verein den gefallenen Kriegern zu Ehren ein Kranz gewidmet wird“.22 Während der Generalversammlung von 1911 hielt Vikar Franz Schiller eine längere Ansprache, in welcher er „der Zeiten vor 100 Jahren“ gedachte, als „sich um die Erhebung des deutschen Volkes auch der Turner-Organisator Jahn verdienstlich gemacht habe“.23 Auch bei anderen nationalen Feierund Gedenktagen gaben sich die Turner stramm national. So wurde das 25-jährige Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms II. im Jahre 1913 mehrfach durch „Ansprache & Kaisertoast“ sowie „mit „begeisterten Worten“ und „dreifachem Hoch“ gefeiert,24 und im gleichen Jahr beschlossen die Turner, „aus Anlass der 100-jährigen Wiederkehr der Schlacht bei Leipzig am 18. Oktober 1812 ein Freudenfeuer am Sonnabend, dem 18. Oktober ds. J. auf dem Franziskus abzubrennen“.25 Während sich also nach Ausbruch des Kulturkampfes in Sundern und im kölnischen Sauerland das weitgehend katholische Milieu und der neu gegründete preußisch-deutsche Nationalstaat zunächst ablehnend gegenüber gestanden hatten, war mit dem Abklingen der Auseinandersetzungen eine deutliche Annäherung zwischen katholisch geprägten Vereinen und nationalem Staat zu konstatieren. Drei Beispiele sollen diesen Wandel abschließend dokumen- tieren. Hatte der Klerus in Sundern in den 1870 er Jahren noch Papstjubiläen ausdrücklich gegen den protestantischmonarchischen Kult organisiert,26 so fand Pfarrer Joseph Schwickardi im Jahr 1893 offensichtlich nichts dabei, aus Anlass der Geburtstagsfeier des Kriegervereins für Kaiser Wilhelm II. die Festrede zu halten.27 Auch die national eingestellten Turner hatten zu Beginn des neuen Jahrhunderts keinerlei Probleme, „am 1. März das 25-jährige Papstjubiläum unseres hl. Vaters zu feiern“.28 Ebenso schafften die Handwerker vor Ausbruch des I. Weltkrieges mühelos den Spagat zwischen katholischem Glauben und Kaisertreue, denn laut Protokollbuch hielt der Vorstand im Sommer 1913 fest, „am Jubiläumstage seiner Majestät des Kaisers im geschlossenen Zuge die hl. Messe zu besuchen“.29 4. Die Einstellung gegenüber Sozialdemokratie und Juden Waren Kriegervereine und sonstige nationale und quasimilitärische Verbände einerseits darauf ausgerichtet, die national gesinnten Teile der Bevölkerung hinter der Fahne von Kaiser und Reich zu integrieren, sollten umgekehrt andere Gruppen ausdrücklich ausgeschlossen werden. Dies waren nach Abklingen des Kulturkampfes nicht mehr die katholische Kirche und ihr nahe stehende Organisationen, sondern die politische Arbeiterbewegung, die sich in der sozialdemokratischen Partei organisierte. Auch nach dem Auslaufen des so genannten Sozialistengesetzes (1878–90) ging der Kampf gegen die als „vaterlandslose Gesellen“ verunglimpften Sozialdemokraten weiter. So informierte der Regierungspräsident in Arnsberg am 24.1.1891 alle Landräte, über „Maßregeln zur Abwehr des Eindringens socialdemokratischer Elemente in die Kriegervereine“: „Mitglieder, welche (…) der Anforderung der Pflege und Bestätigung der Liebe und Treue zu Kaiser und Reich nicht entsprechen, sind aus dem Vereine auszuschließen.“30 Dazu bestand in Sundern keine Notwendigkeit, denn Polizeidiener Müller meldete, „Haltung und politische Gesinnung der Mitglieder ist gut“.31 Ähnliches ließ sich aus der Sicht der Behörden ganz sicher auch von den Mit- S AUERLAND N R . 4/2008 gliedern des Turnvereins „Sauerlandia“ sagen, denn auf der Hauptversammlung des Jahres 1912 wurde im Protokollbuch festgehalten: „Infolge Beschlussfassung der deutschen Turnerschaft, nahm auch die heutige Generalversammlung einstimmig den Antrag an, die Mitglieder nicht wie bisher mit „Genossen“ anzureden. Die Bezeichnung wurde deshalb geändert, (weil) die Mitglieder der socialdem.- Partei mit Genossen angeredet werden“.32 Ein dritter „Verein“ kam hinzu, und es ist mit großer Sicherheit anzunehmen, dass dies den Ausschlag gab für die Entwicklung eines strikt antisozialdemokratischen Milieus in Sundern. Ganz offensichtlich sorgte Pfarrer Joseph Schwickardi, der von 1885 bis 1916 in Sundern tätig war, dafür, dass seine Schäfchen dem Zentrum treu ergeben blieben. So lobte Pfarrer Franz Vollmer in der Pfarrchronik die Ergebnisse der Arbeit seines Vorgängers: „Während seiner Zeit wurden im Industrieorte Sundern bei den Wahlen keine roten Stimmen abgegeben.“33 Während in anderen von der Industrialisierung erfassten Gemeinden auch des Sauerlandes „rote Kapläne“ Verständnis für die soziale Not der Arbeiter aufbrachten und angesichts des häufig sturen Verhaltens der Unternehmer vor der Gefahr des Abwanderns zu den Sozialdemokraten warnten34, blieb eine mögliche Hinwendung zur SPD für die Geistlichkeit in Sundern Teufelswerk. Dies soll hier anhand eines weiteren Beispiels belegt werden. Der Borromäus-Verein war zwar seit der Zeit des Kulturkampfes nicht mehr aktiv gewesen, aber später wurde in Sundern wieder eine „Volksbibliothek“ eingerichtet, die von der katholischen Kirche und der politischen Gemeinde finanziert und von dem jeweiligen Vikar geleitet wurde. In unserem Zusammenhang ist ein Bericht von Amtmann Claesgens an den Landrat in Arnsberg aus dem Jahre 1908 aufschlussreich. Nach dem obligaten Hinweis: „Die Sozialdemokratie hat sich im hiesigen Amte in keiner Weise bemerkbar gemacht“ führt der Sunderner Amtmann weiter aus: „Eine gemeinnützige Einrichtung im Sinne der Bekämpfung der Sozialdemokratie ist hier durch die Einrichtung 187 nau bekannt. Es handelt sich um die Mitglieder der einzigen jüdischen Familie am Ort, die Familie des Metzgermeisters Moses Klein. Wirtschaftlich waren die Kleins nicht auf Rosen gebettet, denn bei der ersten überlieferten Wählerliste für die Kommunalwahlen, die auf der Satirische Darstellung des „Kanzelparagraphen“: Der preußische Steuerleistung der Staat „deckelt“ die katholische Kirche im Kulturkampf Wähler beruhte, einer Volksbibliothek, in welcher haupt- nahm Moses Klein den letzten Platz der sächlich den Arbeitern gute Bücher pa- III. (und damit untersten) Steuerklasse triotischen Inhalts zugänglich gemacht ein. Auch wenn er seine Position bei werden, getroffen worden. Die Arbeiter den darauf folgenden Kommunalwahlen machen von dieser Einrichtung sehr viel- stetig verbesserte, blieb er doch immer fachen Gebrauch und ist deshalb an der in der niedrigsten Steuerklasse, wobei sehr nützlichen Einrichtung auf die Fern- allerdings zu betonen ist, dass er dieses haltung der Leute von der Sozial- Los mit der überwältigenden Mehrheit demokratie nicht zu zweifeln. (…) Eine der Sunderner Männer im Kaiserreich Beteiligung der Sozialdemokraten (…) teilte.38 an kommunal- und kirchlichen Wahlen Im Hinblick auf die Vereinsmithat nicht stattgefunden. Socialdemokragliedschaft des Moses Klein ist es selbsttische Jugendorganisationen sind im verständlich, dass er und seine Söhne hiesigen Amte nicht vorhanden.“35 nicht Mitglieder religiöser katholischer Auch bei dem einzigen großen Streik Vereine sein konnten. Dagegen waren in Sundern vor 1914, dem Metallar- Moses Klein und sein jüdischer Verbeiterstreik von 1910, ging es nicht et- wandter Julius Stern ebenso wie etwa wa um die Gründung einer sozialisti- weitere 160 Sunderner Männer Mitglieschen Gewerkschaft, sondern um die der einer sog. „Geschlossenen GesellFrage, ob sich die Arbeiter unter Füh- schaft“, deren Hauptzweck der Konsum rung des Pfarrers im Christlichen Metall- geistiger Getränke gewesen zu sein arbeiterverband organisieren dürften. scheint, denn diese Vereine, die es auch Erst als die Arbeitgeber selbst dies ver- in einigen Nachbarorten gab, wurden weigerten und zu Aussperrungen grif- von realistischen Zeitgenossen als „Sauf-Clubs“ bezeichnet, und Amtmann fen, kam es zum Streik.36 Mauve fürchtete, „namentlich in SunAllerdings zeigt dieses Beispiel, dass dern“ käme „die Moralität noch in weiauch das scheinbar fest gefügte katholiteren Verfall, wie sie dort leider schon sche Milieu Sunderns bereits vor dem ist“.39 Auch im Schützenverein waren Ersten Weltkrieg Erosionsprozessen Moses Klein und sein Sohn Levi Mitglieausgesetzt war, die unter dem Dach eider, und dieser war sogar eines der nes noch immer einflussreichen GeGründungsmitglieder des Turnvereins samtmilieus unterschiedliche katholi„Sauerlandia“ von 1886 und wurde bei sche Teilmilieus entstehen ließen, die im mehreren Festen wie alle anderen JubiKrieg noch schärferen Belastungsprolare auch entsprechend geehrt.40 Ebenben ausgesetzt werden sollten.37 so hatte er im Jahre 1890, wie viele Während wir die Namen der wenigen Sunderner Handwerker, Bauern und FaAnhänger der Sozialdemokratie in Sun- brikanten, das Recht, seine Unterschrift dern während des Kaiserreichs nicht unter eine Petition, die den Bau der Eikennen, ist eine andere Minderheit ge- senbahn von Hüsten über Hachen, Sun- 188 dern und Allendorf nach Rönkhausen forderte, zu setzen. Offensichtlich stand dieses Privileg nur Selbstständigen zu, denn kein Arbeiter gehörte zu den Unterzeichnern.41 Soweit die bekannten Akten dies zulassen, wird man also nicht behaupten können, die Kleins seien damals in Sundern gesellschaftlich diskriminiert gewesen, und von einem „eliminatorischen Antisemitismus“ (Daniel J. Goldhagen) zu sprechen führt gänzlich an der Realität vorbei. Zugespitzt könnte man formulieren: Nicht Juden, sondern Sozialdemokraten waren die Außenseiter in Sundern während des Kaiserreichs. 5. Ausblick Zum Abschluss der hier gemachten Beobachtungen möchte ich einige Vorschläge machen, wie bei der Erforschung der Mentalitätsgeschichte Sunderns im Kaiserreich gemachte Erfahrungen sich eventuell auch bei der weiteren Beschäftigung mit der Geschichte des kölnischen Sauerlandes als lohnend erweisen könnten: 1 Mit der leider noch immer unveröffentlichten Dissertation von Jens Hahnwald aus dem Jahre 2002 liegt endlich eine den Anforderungen einer modernen Gesellschaftsgeschichte entsprechende Untersuchung über den hiesigen Raum vor, die durch lokalgeschichtliche Untersuchungen sinnvoll ergänzt werden kann, soweit dies in jüngster Zeit nicht bereits geschehen ist. 2 Dabei könnten folgende inhaltliche Schwerpunkte gesetzt werden, wobei sich natürlich weitere Themen je nach Quellenlage und örtlichen Gegebenheiten anbieten können: 2.1 Reichsgründung, Zentrumspartei und Kulturkampf sowie deren Auswirkungen auf das katholische Milieu; 2.2 Weltliche Vereine und ihr Verhältnis zur katholischen Kirche (Abbau des Kulturkampfes; Rolle der Geistlichen als „Milieumanager“ (Olaf Blaschke); 2.3 Das Vordringen nationalistischer und militärischer Ideen im Vereinswesen (Fahnen; Feiern; Denkmäler; soziale Militarisierung); 2.4 Die Bedingungen und Auswirkungen der Industrialisierung auf Par- S AUERLAND N R . 4/2008 teien, christliche Gewerkschaften, katholische Kirche und Mentalitäten; 2.5 Zur Rolle von Außenseitern (Sozialdemokraten; Freie Gewerkschaften; Juden); 2.6 Der Erste Weltkrieg (das „Augusterlebnis“; das Verschwinden der Kriegsbegeisterung; soziale Polarisierung; Frauen- und Ausländerarbeit; Kriegsende); 3 Manche der hier ins Auge gefassten Prozesse wird man nur untersuchen können, wenn man die entsprechenden Quellen zur Verfügung hat. Neben gedruckten Quellen wie Zeitungsberichten und Vereinschroniken enthalten vor allen Dingen die handschriftlichen Pfarr- und Schulchroniken sowie die Protokollbücher der Gemeinderäte, der gesellschaftlichen Vereine und politischen Parteien lokalgeschichtliche Schätze, die noch gehoben werden könnten. Gerade hier verspricht die eingangs erwähnte Hinwendung zu mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen lohnende Ergebnisse. 9 10 11 12 13 14 1 Zitiert nach Rudolf Morsey: Die deutschen Katholiken und der Nationalstaat zwischen Kulturkampf und Erstem Weltkrieg, in: Gerhard A. Ritter, Hg., Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 270 – 298, S. 271. 2 Archiv der Pfarrgemeinde St. Johannes Evangelist, Sundern (=PASu), Pfarrchronik, Eintragung Pfarrer Kleffs, § 120. Zur Stellung des politischen Katholizismus zur Reichsgründung vergl. allgemein Christoph Weber, „Eine starke, enggeschlossene Phalanx“. Der politische Katholizismus und die erste deutsche Reichstagswahl 1871, Essen 1992. 3 Zu Bischof Konrad Martin vgl. die Ausführungen von Matthias Pape: Die Säkularisation im Herzogtum Westfalen – Tor für den Ultramontanismus, in: Sauerland, Nr. 2/2003, S. 61-66, S. 66. Vgl. dagegen die apologetische Darstellung bei Hans Jürgen Brandt, Karl Hengst, Geschichte des Erzbistums Paderborn, Bd. 3. Das Bistum Paderborn im Industriezeitalter 1821-1930, Paderborn 1997, S. 131 ff. 4 Stadtarchiv Sundern (=StASu), Stufe 1, B 780, 30.5.1874. 5 StASu, Stufe 1, B 516, 19.3.1875. Die im Text folgenden Zitate sind der gleichen Akte, 21.3.1875 und 27.3.1875 entnommen. 6 Vgl. Bernhard Riering, Chronik der Stadt Allendorf, Dortmund 1972, S. 109. Zum Kulturkampf im kölnischen Sauerland vgl. allgemein Jens Hahnwald: Tagelöhner, Arbeiter und soziale Bewegung in der katholischen Provinz. Phil. Diss. Bochum 2002 (Typoskript), S. 179-201. 7 PASu, Pfarrchronik, Eintragung Pfarrer Christian Mittrops vom 14.1.1885. – Der bekannte Zentrumspolitiker Peter Reichensperger war der langjährige Reichstagsabgeordnete des hiesigen Wahlkreises. 8 StASu, St. 1, B 484, 29.10.1873. – Zur klerikalen Wahlbeeinflussung bei preußischen Landtags- 15 16 17 18 19 20 21 22 wahlen vergl. Thomas Kühne: Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preußen 1867 – 1914, Düsseldorf 1994, S.93 ff., Herbert Kühr: Katholische und evangelische Milieus. Vermittlungsinstanzen und Wirkungsmuster, in: Dieter Oberndörfer u. a., Hg., Wirtschaftlicher Wandel, religiöser Wandel und Wertewandel. Folgen für das politische Verhalten in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1985, S. 245-261, S. 249. Paul Fiebig, Chronik der Freiheit Sundern, Sundern 1954, S. 147. Vgl. allgemein hierzu Westfälisches Schieferbergbau- und Heimatmuseum Holthausen e.V., Hg., Marienverehrung im Sauerland, Brilon 2004; speziell zu Sundern: Michael Schmitt, Geschichte und Gegenwart der Sunderner Wallfahrt zur Gottesmutter von Werl, in: ebda., S. 111 – 130. Zwar teilte der Allendorfer Amtmann Thüsing dem Arnsberger Landrat auf dessen Anfrage über Aktivitäten des Borromäus-Vereins, dessen Bestrebungen „vorzugsweise auf Verbreitung reichsfeindlicher Schriften gerichtet“ sei, am 14.11.1874 mit, der Verein habe „im hiesigen Amte wegen Mangel an Mitgliedern Aufgehört zu existieren“ (StASu, St. 1, B 787), aber später wurde der Verein in Sundern mehrfach erwähnt, wobei die Gemeindevertretung u. a. Geld für die Anschaffung von Büchern zur Verfügung stellte. Dies geht aus den Protokollbüchern der genannten Vereine hervor, die sich in den jeweiligen Vereinsarchiven befinden. Für genauere Belege vgl. den Aufsatz von Werner Neuhaus: Wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Wandel in Sundern von der Mitte des 19. Jahhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik, der im 1. Band der Chronik „700 Jahre Sundern. Freiheit und Kirche“ 2009 erscheinen soll. Vgl. Paul Fiebig, Berthold Schröder, „Vom Dreißgjährigen Krieg bis zur Nazi-Diktatur, in: Michael Schmitt, Hg., Über 375 Jahre Schützenwesen in Sundern, Sundern 2006, S. 84-131, S.98. Ute Frevert, Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001, S. 276. Thomas Rohkrämer, Der Militarismus der „kleinen Leute“. Die Kriegervereine im Deutschen Kaiserreich 1871 – 1914, München 1990; kritisch dazu: Benjamin Ziemann, Sozialmilitarismus und militärische Sozialisation im deutschen Kaiserreich 1870 – 1914. Desiderate und Perspektiven in der Revision eines Geschichtsbildes, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53, 2002, S. 148-164, bes. 159 ff. Vgl. die Unterlagen im StASu, St. 1. B 787 u. 788. StASu, St. 3, 4 – 7, 13.9.1910. Pb Kriegerverein, 21.7.1912. Pb „Sauerlandia“, 6.9.1913. Vgl. Dietmar Klenke: Nationalkriegerisches Gemeinschaftsideal als politische Religion. Zum Vereinsnationalismus der Sänger, Schützen und Turner am Vorabend der Einigungskriege, in: Historische Zeitschrift 260 (1990), S. 595 – 630; Hans-Georg John, Politik und Turnen. Die Deutsche Turnerschaft als nationale Bewegung im deutschen Kaiserreich von 1871-1914, Ahrensburg 1976. Pb „Sauerlandia“, 30.8.1895. – Zum Sedansfest vgl. allg. Fritz Schellack, Sedan- und Kaisergeburtstagsfeste, in: Dieter Düding u. a., Hg., Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek b. Hamburg 1988, S. 278 297; Jakob Vogel, Nationen im Gleichschritt. Der Kult der „Nation in Waffen“ in Deutschland und Frankreich, 1871-1914, Göttingen 1997, bes. S. 144 ff.; 148 ff. 189 S AUERLAND N R . 4/2008 Die vermessene Fernsicht von Reinhard Köhne 23 Pb „Sauerlandia“, 30.5.1911. – Zu Jahns Aktivitäten vgl. Christiane Eisenberg, „English Sports“ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800 – 1939, Paderborn 1999, S. 105 ff. 24 Pb „Sauerlandia“, 28.6.1913. 25 Ebda., 10.10.1913. – Zur Bedeutung der Gedenkfeiern anlässlich der „Völkerschlacht“ bei Leipzig vgl. allgemein Wolfram Siemann: Krieg und Frieden in historischen Gedenkfeiern des Jahres 1913, in: Dieter Düding u. a., Hg., Öffentliche Festkultur, S. 298 – 320; Jakob Vogel, Nationen im Gleichschritt, S. 171 ff. 26 Zu den Papstfeiern in Sundern vgl. die Bemerkungen Pfarrer Kleffs in der Pfarrchronik, S. 83. - Vgl. allgemein zu diesem Problembereich Barbara Stambolis, Nationalisierung trotz Ultramontanisierung oder: „Alles für Deutschland. Deutschland aber für Christus“. Mentalitätsleitende Wertorientierung deutscher Katholiken im 19. und 20. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 269 (1999), S. 57-97. 27 Pb Kriegerverein, 9.11.1893, S. 9. 28 Pb „Sauerlandia“, 25.2.1903. 29 Pb Handwerkerverein, 13.6.1913. 30 StASu, St. 1, B 788, 24.1.1891. 31 Ebda., 8.6.1894. 32 Pb „Sauerlandia“, 24.11.1912. 33 PASu, Pfarrchronik, Eintragung Pfarrer Franz Vollmers (ohne Datum, ohne Seitenzahl). 34 Vgl. die Beispiele bei Jens Hahnwald, Tagelöhner, S. 198 ff.; ders., „Schwarze Brüder in rotem Unterzeug …“ Arbeiter und Arbeiterbewegung in den Kreisen Arnsberg, Brilon und Meschede 1889 – 1914, in: Karl-Peter Ellerbrock, Tanja Bessler-Worbs, Hg., Wirtschaft und Gesellschaft im südöstlichen Westfalen, Dortmund 2001, S. 224 – 275, S. 256 ff. 35 Staatsarchiv Münster, Kreis Arnsberg, Landratsamt Nr. 665, 14.8.1908. 36 Vgl. Hahnwald, Tagelöhner, S. 269 ff. 37 Zur Forschungslage über den politischen Katholizismus im Kaiserreich vgl. Benjamin Ziemann: Der deutsche Katholizismus im späten 19. und im 20. Jahrhundert. Forschungstendenzen auf dem Weg zu sozialgeschichtlicher Fundierung und Erweiterung, in: Archiv für Sozialgeschichte 40, 2000, S. 402-422, bes. 404 ff. 38 Vgl. die Wählerlisten im StASu, St. 1, B. 484, B 487, B 488, B 489. Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Familie Klein vgl. Irmgard Harmann-Schütz, Franz Blome-Drees, Geschichte der Familie Klein in Sundern, Sundern 1988, S. 19-23. 39 StASu, St. 1, B. 786, Antrag vom 7.7.1883; vgl. auch das Mitgliederverzeichnis vom 6.7.1883, wo der Jude Julius Stern als Mitglied aufgeführt wird. Mauves Einschätzung stammt vom 23.8.1883. 40 Pb „Sauerlandia“, begonnen 1894, 19.8.1921; Pb „Sauerlandia“, begonnen 6.12.1925, S. 6, Vorstandssitzung vom 28.7.1926: Bei beiden Anlässen wird Levi Klein als „Gründer“ des Vereins namentlich genannt. 41 Ein gedrucktes Exemplar dieser Eingabe befindet sich im StASu, St. 2, rot, C 4, Fach 12. Die Errichtung des Mobilfunkturms auf dem Schomberg (647 m ü. NN) bei Sundern-Wildewiese inspirierte den in der historischen Landesvermessung engagierten Prof. Dr.-Ing. Hans Fröhlich zur Überprüfung einer Nachricht in der „Zeitschrift im Sauerland“ von 1929. Danach bestehe bei klarer Sicht vom Widukindsturm der Wiethaus-Hütte die Überprüfung ein solch optischer Durchblick möglich erschien, setzte er einen Preis für das beste eingesandte Zielfoto aus. Als Belohnung winkte ein Essen in der Gaststätte Steinberg (Wildewiese), Planwagenfahrt und eine Buchgabe (Fröhlich, H.: Die Landesvermessung im Spiegel deutscher Brauereien). Am 8. Juni 2008 konnte der Preis an Fabian Weisser übergeben werden. Auf seinem Belegfoto erscheint in einer Lücke der sauerländischen Bergkuppen der 83 km entfernte Oelbergsgipfel mit Antennenmast. Damit wurde nach 79 Jahren die frühere Aussage amtlich bestätigt. Der Große Ölberg (459 m ü.NN) ist die höchste Erhebung im Naturpark Siebengebirge bei Königswinter mit Aussichtsmöglichkeiten nach Westen bis zur Hohen Acht in der Hocheifel. Der kegelförmige Gipfel ist vulkanischen Ursprungs und eröffnet eine landschaftliche Parallele zu den durch untermeerischen Vulkanismus entstandenen Quarzkeratophyr-Höhen bei Wildewiese im Naturpark Homert. Möglichkeit einer Sichtverbindung mit Fernrohr zu den Kuppen des rechtsrheinischen Siebengebirges. Da von der neuen Aussichtsplattform in 30 Metern Höhe nach vermessungstechnischer B esuche n S i e uns im Int er net : w w w. s a u e rl a e n d e r -h e i m a t b u n d . d e Das Siegerfoto 190 S AUERLAND N R . 4/2008 Die Kanzel der St.-Johannes-Pfarrkirche in Attendorn Ursprüngliche Gestalt und gegenwärtiger Zustand von Werner F. Cordes Ein Betrachter der Barockkanzel aus der Werkstatt Sasse in der Pfarrkirche St. Johannes Baptist in Attendorn wird bei genauem Hinsehen bald feststellen, dass diese stilistisch nicht aus einem Guss ist. Da taucht am Kanzelkorb zwischen Figuren und Ornamenten aus der Zeit um 1700 eine von Rocaillen umspielte Kartusche aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf. Als stilistisch damit verwandt, aber über das Rokoko hinausgehend, erweist sich das Zwischenstück, welches als Säulenverkleidung den Kanzelkorb mit dem Schalldeckel verbindet. Dieser selbst erscheint, wenn man von der Unterseite zunächst einmal absieht, gegenüber dem Korb ungewöhnlich schlicht, die aufgesetzten Rosetten entsprechen weder dem barocken noch dem rokokohaften Dekor. Die im Jahre 1903 erschienenen „Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Olpe“ zeigen bereits den heutigen Zustand, der nicht als der ursprüngliche angesehen werden kann.1 Umrisse von Schnitzereien in der Fassung der flächigen Seitenteile des Deckels machen deutlich, dass diese früher mit barocker Zier versehen waren. Vergleiche mit entsprechenden Kanzeln der Sassewerkstatt in Wormbach und Kohlhagen führen zu dem Ergebnis, dass die Attendorner Kanzel ursprünglich nach oben nicht so stumpf geendet haben kann. Mit Sicherheit ist umlaufendes Schnitzwerk als oberer Abschluss des Deckels anzunehmen. Wahrscheinlich hat sich, wie bei anderen anspruchsvollen Kanzeln derselben Werkstatt, in der Mitte noch eine Figur als oberer Abschluss befunden. Diese Feststellungen rechtfertigen den Schluss, dass die Kanzel seit ihrer Entstehung verschiedenen Änderungen unterworfen gewesen sein muss. Hermann Forck würdigt 1908 die Kanzel, „ein Geschenk der Familie von Fürstenberg“, als „hervorragendes Kunstwerk“ und berichtet:„Die prachtvolle Kanzel in St. Johannes Baptist • Aufnahme Oktober 2001 Deckelkrönung, St. Michael den Teufel bekämpfend, ist leider 1875 entfernt und nicht mehr vorhanden“, gibt aber keine Quelle für diese Feststellung an.2 In der Folgezeit ist die Kanzel wiederholt beschrieben worden, aber immer wieder unter Berufung auf Forck, also ohne einen belastbaren Bezug. Bei A. Overmann findet sich 30 Jahre später3 die Formulierung: „Leider ist der ursprüngliche Kanzeldeckel, den eine imposante Plastik ‚Michael bekämpft den Teufel‘ schmückte, seit der im Jahre 1875 erfolgten gründlichen Erneuerung des Kircheninnern verschwunden.“ Er umschreibt damit nur in seinem Stil die Aussage von Forck. W. Scherer übernimmt den zitierten Satz von Overmann und ergänzt ihn 1998 durch spekulative Folgerungen ohne gesicherte Quellen.4 Unberücksichtigt geblieben ist bis heute, dass nicht nur die Kanzelbe- Kanzel in St. Johannes Baptist • Aufnahme November 2000 191 S AUERLAND N R . 4/2008 über die Abnahme der Rosetten hinaus mehrfach verändert worden. Der gravierendste Eingriff in die Substanz der Kanzel war die Entfernung des gesamten Deckels im Rahmen der ab 1952 durchgeführten Restaurierung und Neugestaltung des Innenraums der Kirche. Der als zu groß und die Sicht behindernd empfundene Teil der Kanzel fand einen Platz unter der Decke der Taufkapelle an der Nordseite des Kirchturms, wo er über dem Taufbecken aufgehängt wurde6. Die Rosetten an den Seitenteilen blieben erhalten. Kanzel in St. Johannes Baptist Aufnahme Herbst 1958 krönung, sondern auch die Seitenteile des Deckels sowie die Verbindung zwischen Korb und Deckel gegenüber dem ursprünglichen Zustand umgestaltet worden sind. Diese Änderungen sind am überzeugendsten im Zusammenhang mit einer Anpassung der Kirchenausstattung an den sich nach dem großen Stadtbrand von 1783 in Attendorn durchsetzenden Klassizismus zu erklären, wie er sich vor allen Dingen im ehemaligen Chorgestühl der Pfarrkirche, welches heute teilweise in der Hospitalkirche aufgestellt ist, darstellt. Noch während der letzten Restaurierung im Jahre 2001 erhielt die Kanzel ein verändertes Aussehen durch die Wiederanbringung von Rosetten. Der Restaurierungsbericht5 sagt dazu: „In einem horizontalen Absatz des Schalldeckels der Kanzel waren zu früherer Zeit 14 vergoldete, florale Blütenformen, von welchen noch 2 Originale gefunden wurden. Im Zuge der Restaurierung wurden die 12 Blüten bildhauerisch rekonstruiert und entsprechend in der vorgegebenen Poliment-Vergoldungstechnik nachgearbeitet.“ Mit dieser Ergänzung ist die Kanzel nun wieder im Zustand von 1903. In dem Zeitraum zwischen 1903 und 2001 ist das wichtige Ausstattungsstück der St.-Johannes-Pfarrkirche jedoch Der neu angefertigte flachere und weniger umfangreiche Ersatz hielt sich jedoch nicht lange, und so lesen wir in den „Einzelberichten zur Denkmalpflege für die Jahre 1962–1966“: „Der barocke Kanzeldeckel, Anfang 18. Jh., der seine Bekrönung verloren hat und zuletzt in der Taufkapelle untergebracht war, wurde 1963 restauriert und wieder über der Kanzel befestigt“7, diesmal allerdings ohne die Rosetten. Weniger gut als über diese Vorgänge, die einen abschließenden Überblick über die jüngere Entwicklung ermöglichen, sind wir über das Schicksal der Kanzel in der Zeit von 1783 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts informiert. Überzeugende Anhaltspunkte ergeben sich jedoch durch die Überformung wesentlicher Teile des Kircheninventars im Sinne des Klassizismus, wie er erkennbar durch die Brüder Bernhard (1718 – 1792) und Johann Nepomuk Metz (1728 - 1804) beim Wiederaufbau der Stadt Attendorn nach dem Großbrand vertreten wurde. Bernhard Metz wurde nach der Katastrophe von 1783 neben dem Gogreven Benedikt Theodor Bresser und Johann Adolph Bischopink in die Kommission für den Wiederaufbau der Stadt berufen8 und war in diesem Gremium der Bausachverständige. Als solcher fertigte er den Plan für die Wiederaufrichtung des Kirchendaches, eine der größten Einzelmaßnahmen nach dem Brand.9 Auch bei der Neugestaltung des Innern lässt sich die Handschrift der Metz erkennen. Das gilt zunächst für das Chorgestühl, welches gleichartige Gliederungen und Ornamente aufweist wie die Decke im großen ovalen Saal des Kanzeldeckel in der Taufkapelle Aufnahme Herbst 1958 Schlosses in Münster, welche Bernhard und Johann Nepomuk Metz kurz vorher im Jahre 1781 unter Wilhelm Ferdinand Lipper (1733 – 1800) stuckiert hatten.10 Besonders auffällig ist die Verwendung eines Zackenfrieses mit aufgesetzten Rosetten, wie er in Münster und Attendorn Verwendung gefunden hat. Eine Datierung des Attendorner Chorgestühls in die Zeit zwischen 1785 und 1790 ist zumindest für den Entwurf wahrscheinlich. Außer der gestalterischen Nähe zum Lipperschen Saal weisen Urkunden im Pfarrarchiv auf diesen Zeitraum. So nahmen am 13. November 1785, entsprechend einer Auflage des Kurfürsten, die zum Chorkapitel gehörenden Beneficiaten, um ihren Anteil an dem Wiederaufbau des mit der Pfarrkirche ausgebrannten Chores aufbringen zu können, ein Kapital von 300 Talern auf, zu dessen Verzinsung ihr Prokurator jedem einzelnen jährlich 2 Taler von den Choreinkünften abziehen sollte. Am 7. März 1790 quittiert der Gläubiger Fünkeler aus Welschen Ennest den Empfang von 300 Talern nebst Zinsen.11 In Verbindung mit der Aufstellung des damals „modernen“ Gestühls müssen die stilistisch gleichartigen Anpassungen der Kanzel und der Seitenaltäre gesehen werden. Der üppige barocke Kanzeldeckel harmonierte nicht mehr mit der Gestaltung des Chorraumes und 192 S AUERLAND N R . 4/2008 wurde, wann immer das auch ausgeführt sein mag, klassizistisch umgestaltet. dem ehemaligen Ewich.“14 Zu der angeblich seit 1875 verschollenen Michaelsfigur der Kanzel stellen sich einige Fragen in Verbindung mit der ehemaligen Franziskanerkirche. Nach der Auflösung des Franziskanerkonvents 1822 erfolgte 1838 die Profanierung der Klosterkirche. Diese wurde ausgeräumt und dem in Attendorn stationierten Landwehrbataillon als Zeughaus übergeben. Zur besseren Nutzbarkeit wurden zwei Zwischendecken eingezogen. Overmann hat die Kanzel also selbst gesehen und die Michaelsfigur als nicht ursprünglich zugehörig erkannt. Nach dem Abzug des Militärs im Jahre 1888 diente ein Teil der Kirche noch bis 1893 dem Gymnasium als Turnhalle. Vertreter der Schule bemühten sich indessen, den Kirchenraum für den Schulgottesdienst nutzbar zu machen. Der dafür erforderlichen Wiederherstellung und Neuausstattung erfolgte noch im Dezember 1893 die Weihe.12 Neben drei Altären und sonstigen Einrichtungsgegenständen wurde auch eine schlichte, aus Düsseldorf-Bilk übernommene Kanzel aufgestellt.13 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Satz aus dem Kunstführer von Anton Overmann: „Die Kanzel zeigt die reiche, vergoldete Schnitzfigur des drachentötenden Sankt Michael aus Augustinerkloster Nach einem Foto von A. Ludorff haben im Jahre 1901 an der Nord- und Ostwand der wiederhergestellten Klosterkirche auch 3 große Gemälde aus ehemaligen Altären der Pfarrkirche St. Johannes Baptist gehangen.15 Es scheint also eine Reihe von Kunstwerken, die man zu der Zeit in der Pfarrkirche nicht benötigte, zur Ausschmückung der ehemaligen Franziskanerkirche benutzt worden zu sein. Die Herkunft der Michaelsfigur muss als unbelegt gelten. Es gibt kein gesichertes Beispiel für die Übernahme von Säkularisationsgut aus dem ehemaligen Augustinerkloster Ewig in die Franziskanerkirche. Zwischen der Säkularisierung von Ewig und der Neueinrichtung der Franziskanerkirche 1893 liegt ein Zeitraum von etwa 90 Jahren. Die von Overmann angenommene Provenienz der Michaelsskulptur, welche bis 1945 die Kanzel der Franziskanerkirche krönte, bedarf daher einer genaueren Nachforschung, zumal sie nach menschlichem Ermessen noch existieren dürfte. Anmerkungen 1 A. Ludorff: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Olpe, Münster 1903, Tafeln l und 2 nach S. 28. 2 H. Forck: Illustrierter Führer durch Attendorn und Umgebung, o. O. u. J. (1908), S. 18. 3 A. Overmann: Die Sankt-Johannes-Pfarrkirche (genannt der Sauerländer Dom) und die anderen baulichen Kunstdenkmäler der ehemaligen Hansestadt Attendorn, Attendorn 1939, S. 65. 4 W. Scherer: Fiel die Statue des heiligen Michael auf dem Deckel der Kanzel in der Attendorner Pfarrkirche 1875 einem Versuch zum Opfer, die Kirche vor der Mitbenutzung durch die altkatholische Gemeinde zu bewahren? In: Heimatstimmen aus dem Kreis Olpe. Olpe 1998, Heft l, S. 32 bis 34. 5 R. F. Römhild: Arbeitsbericht zur Restaurierung der Pfarrkirche St. Johannes Baptist in Attendorn, Olpe 2002, Abschnitt 10 (Manuskript im Pfarrarchiv Attendorn). 6 Pfarrarchiv Attendorn, Pfarrchronik II, S. 122. 7 D. Kluge: Einzelberichte zur Denkmalpflege für die Jahre 1962 - 1966, in: Westfalen, Hefte für Geschichte Kunst und Volkskunde, 46. Bd., Münster 1968. S. 197. 8 W. F. Cordes: Stuckornament und Möbeldekoration - Beobachtungen an einer Attendorner Schreinerarbeit vom Ende des 18. Jahrhunderts, in: Sauerland, Zeitschrift des Sauerländer Heimatbundes, Heft 3, 2007, S. 124 f. 9 Pfarrarchiv Attendorn, A 57, S. 6 f. 10 W. F. Cordes (wie Anm. 8). 11 Pfarrarchiv Attendorn, A 2 II, Urkunden vom 13. November 1785 und 7. März 1790. 12 U. Stipp: Die alte Klosterkirche der Franziskaner in Attendorn und ihr Vorgängerbau, in: Alte und neue Kunst, Paderborn 1992, S. 83 bis 87. 13 U. Stipp (wie Anm. 12), S. 89 f. 14 A. Overmann: Kunstführer des Westfälischen Heimatbundes, 22, Olpe, Bielefeld, o. J. (1940) 15 U. Stipp (wie Anm. 12), S. 86. Fotonachweis: Rolf Frank Römhild, Olpe (l u. 2); Hermann Schneider, Attendorn (3, 4, 5); Privatarchiv (6). Kanzel vor der Entfernung des Deckels Chorgestühl vor der Umgestaltung des Chores 193 S AUERLAND N R . 4/2008 Weihnachten in Menden von Franz Rose Jahre nicht mehr wahrgenommen. Den älteren Mendenern war er aber noch bekannt. Der Heiligabend diente in der Familie zur Vorbereitung des „Hohen Festes“. Der Gottesdienst an den Weihnachtstagen war die Hauptsache. Schon sehr früh – noch in der Nacht – machten sich die Menschen – teilweise mit ihren Handlaternen – auf den Weg, denn es gab ja noch keine Straßenbeleuchtung. Die „Uchte“ war an diesem Tag wohl für alle der Hauptgottesdienst. Dieses Wort stammt aus dem Altsächsischen bzw. Niederdeutschen und bedeutet „Morgendämmerung“. Vor Beginn dieses Gottesdienstes sang in Menden die Gemeinde das Lied „Es ruht die ganze Welt“. Dabei geht es um ein Gespräch zischen Hirten auf den Feldern vor Bethlehem. Der Engel verkündet ihnen die Geburt Christi. Wenn am Nachmittag des „Heiligabend“ zunächst das Adventsläuten vom ehrwürdigen St.-Vincenz-Turm erschallt und anschließend die Bläser vom Turm mit dem Lied „Es ist ein Ros´ entsprungen“ die Weihnacht ankündigen, dann ist es auf dem Platz vor der Kirche und dem alten Rathaus nahezu mäuschenstill – auch dann noch, wenn die Stimmen des Männerchores erklingen. Aber schon, wenn der Chor und die Bläser auf dem Turm das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ erklingen lassen, singt hier und da einer der Teilnehmer mit. Alle Besucher dieser Mendener Weihnachtsfeier stimmen aber fröhlich ein, wenn nach dem feierlichen Geläut aller Glocken von St. Vincenz und der übrigen Glocken der Stadt das Lied angestimmt wird: „Oh du fröhliche.“ Das feierliche „Baiern“ beendet dann diese eindrucksvolle Weihnachtsfeier. Original Linolschnitt von Wilhelm Schneider Menden 1969 Baiern gehört zu den ältesten Läutebräuchen im Sauerland, ist aber nicht nur in Menden bekannt. Es dürfte eine Vorform des Glockenspiels sein. Wann es eingeführt wurde, lässt ich nicht ermitteln. Aber 1795 schreibt der Geheimrat Peltzer aus Arnsberg an seine Frau in Bonn, dass „eine ganze Stunde“ gebaiert wurde. Anzunehmen ist vielleicht, dass diese Form des Läutens aus den Niederlanden stammt, wo sie „beiaarn“ heißt. Bei dieser Form des Läutens wird nicht die Glocke bewegt, sondern der Klöppel der Glocke wird nach „streng musikalischen Gesetzen angeschlagen“. Die Glockenspieler müssen Takt, Rhythmus und Melodie der Weisen beachten. Die Glocken werden als Instrumente genutzt. Das Turmblasen und Singen vor dem Vincenzturm – unter Bürgermeister Rau Mitte der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts eingeführt – sind noch nicht so alt. Ein viel älterer Brauch wurde lange Wie alt dieses Lied ist, konnte noch nicht ermittelt 194 werden. Es ist Dr. Gregor Vedder, früher – wie sein Vater – Organist an St. Vincenz, zu verdanken, einmal den Text und die Noten beschafft zu haben. Die älteste bisher bekannte Aufzeichnung erschien 1741 im Kölner Gesangbuch „Tochter Sion“, das auch in Menden gültig war. Menden gehörte damals zu Kur-Köln. Es ist anzunehmen, dass sowohl Text als auch Melodie von Heinrich Lindenborn stammen. Nachforschungen in Paderborn, Köln, Bonn sowie an der Universität Mainz und dem Weihnachtsliedarchiv in Graz blieben leider erfolglos. Dem Visitationsbericht aus der Zeit des Pfarrers Zumbroich ist zu entnehmen, dass in der Vincenzgemeinde nur vier dieser Liederbücher S AUERLAND N R . 4/2008 vorhanden waren. Bücher waren allgemein teuer, und nur wenige Leute konnten sich diese leisten. Auch so ist es wohl zu verstehen, dass sich der Organist für die Orgel ein eigenes, handgeschriebenes „Notenbuch“ anlegte. Hierbei fällt auf, dass die Noten in diesem „Orgelbuch“ doch von denen in der Originalfassung von 1741 abweichen. Als das Gebet- und Gesangbuch „Tochter Sion“ durch das Buch „Herold“ abgelöst wurde, bekam Menden zu diesem Gesangbuch einen „eigenen Mendener Anhang“. In diesem war auch das Lied „Es ruht die ganze Welt“ aufgenommen worden. Auch im „Sursum Corda“ war es nur im „Mendener Anhang“ – allerdings nicht in der Ausgabe 1910. Die älteste vorliegende Ausgabe des „Mendener Anhang“ stammt von 1914. In der kurzen Zeit der Hessen-Herrschaft war noch ein anderes Gebet- und Gesangbuch im Gebrauch, das aber auch das Lied: „Es ruht die ganze Welt“ nicht enthielt – auch keinen Mendener Anhang. Pfarrer Karl Müller (†) nahm den Brauch dieses alten Liedes wieder auf. Auch heute noch unter Pfarrer Brackhahne wird dieses Lied am 1. Weihnachtstag im Hirtenamt wechselweise gesungen und gebetet. Redaktionsschluss EXCLUSIVE HERRENMODE SEIT 1928 Lange Wende 94 – Mendener Straße 8 Tel. 0 29 32/2 43 64 – Tel. 0 29 32/71 04 59755 Arnsberg-Neheim für die nächste Ausgabe ist der 15. Februar 2009 Foto: Friedhelm Ackermann (†) irgendwo im Sauerland BE T H L E H E M A L L E R OR T E N Wandern auf verschneiten Pfaden unterm Stern der heil’gen Nacht, da sich Gottes Sohn voll Gnaden heut uns ganz zu eigen macht. Lasst uns tausend Krippen bauen, jeder tief im Herzen drin, dass wir Menschen voll Vertrauen folgen Christ von Anbeginn. Der im Stalle ward geboren in der Armut Dunkelheit. Hat uns alle auserkoren, Licht zu sein in unsrer Zeit. Niemand soll heut einsam schreiten unterm weiten Sternenzelt. Einer soll den andern leiten, dann ist Weihnacht in der Welt. Carola Matthiesen Vorstand und Redaktionsausschuss wünschen allen Abonnenten und Lesern ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes Jahr 2009 196 S AUERLAND N R . 4/2008 „Erscheint auf der Weide ein Bote der Freude! – Engel in der Weihnachtsgeschichte“ Führungen an der Sunderner Heimat-Krippe in der Rochus-Kapelle und auf dem IV. Sunderner Krippenweg Durch Sundern findet wieder vom 2. Adventssonntag, 7. Dezember 2008, bis zum 11. Januar 2009 der IV. Sunderner Krippenweg mit über 30 Stationen und Krippen aus aller Welt sowie Werken heimischer Künstler, Schulen, Kindergärten und sozialer Einrichtungen statt. Er steht in diesem Jahr unter dem Leitwort „Erscheint auf der Weide ein Bote der Freude! – Engel in der Weihnachtsgeschichte“. Ein Informationsheft dazu mit den weiteren Programmpunkten ist bei der Stadtmarketing Sundern eG anzufordern. So., 7. Dezember 2008 11.00 Uhr Familiengottesdienst in St. Johannes mit anschließender Eröffnung des IV. Sunderner Krippenweges am Brunnen in der Fußgängerzone 15.00 Uhr Führung in der Rochus-Kapelle So., 14. Dez. 2008 15.00 Uhr Führung auf dem Sunderner Krippenweg* Do., 18. Dez. 2008 19.00 Uhr Abendführung auf dem Sunderner Krippenweg* So., 21. Dez. 2008 15.00 Uhr Führung auf dem Sunderner Krippenweg* So., 28. Dez. 2008 15.00 Uhr Führung auf dem Sunderner Krippenweg* Die., 30. Dez. 2008 10.00 Uhr Kinderführung auf dem Sunderner Krippenweg Silvester, 31. Dez. 2008 15.00 Uhr Führung in der Rochus-Kapelle So., 4. Januar 2009 15.00 Uhr Führung auf dem Sunderner Krippenweg* Do., 8. Januar 2009 19.00 Uhr Abendführung auf dem Sunderner Krippenweg* So., 11. Januar 2009 15.00 Uhr Führung auf dem Sunderner Krippenweg* So., 18. Januar 2009 15.00 Uhr Führung in der Rochus-Kapelle So., 25. Januar 2009 15.00 Uhr Führung in der Rochus-Kapelle Bei den * gekennzeichneten Führungen auf dem Sunderner Krippenweg ist eine Anmeldung beim Stadtmarketing (Tel. 0 29 33/97 95 90, Fax 0 29 33/97 95 915, [email protected]) erforderlich! Der Treffpunkt ist die Stadtmarketing Sundern eG am Rathausplatz 7. Bei gewünschten Gruppenführungen auf dem Krippenweg wende man sich bitte ebenfalls an das Stadtmarketing, bei Führungsanfragen für die Heimatkrippe in der Rochus-Kapelle an das Pfarramt St. Johannes Evangelist (Tel. 0 29 33/23 65, Fax 0 29 33/92 10 14, [email protected]). Neue Mitglieder bzw. Abonnenten Termine • Termine • Termine • Termine Sonntag, 18. Jan. 2009 16.30 Uhr 17.00 Uhr 28. Todestag von Bischof Hugo Aufderbeck (*1909 Hellefeld † 1981 Erfurt) Einweihung der Erinnerungstafel am Haus Aufderbeck aus Anlass des 100. Geburtstages Pfarrkirche St. Martinus Hellefeld, Pontifikalamt mit dem Erzbischof von Köln Dr. Joachim Kardinal Meisner 31. Okt. 2008 – WeltSpielZeug 1. Febr. 2009 Sonderausstellung im Sauerland-Museum Arnsberg Einfälle statt Abfälle – Spielzeug-Kreationen aus fernen Ländern Die Redaktion bittet um Mitteilung weiterer Termine Jürgen Wiegen, Bönen Ulrich Vetter, Kreuztal Bernhard Rösen, Olsberg Wilhelm Krueger jr., Kirchhundem Claudia Verlemann, Sundern Gerd Kroll, Warstein SGV Abteilung Langscheid, Sundern Prof. Dr. Antonius Kettrup, Arnsberg Werner Neuhaus, Sundern Karl-Georg Wuschansky, Arnsberg Klaus Opdenacker, Brilon Reinhard Pielstricker, Warstein Axel Müller, Lüdenscheid Alois Hatting, Sundern Josef Sommer, Meschede Jens Liese, Bestwig Volker Körner, Olsberg 197 S AUERLAND N R . 4/2008 Herbstgedanken auf der Heidenstraße von Birgit C. Haberhauer-Kuschel Mehr als 60 Wander- und Heimatfreunde fanden sich am letzten Septembersonntag zu einer Wanderung auf der Heidenstraße an der Förder Linde bei Grevenbrück ein. Auf dem Programm stand die Etappe über Dünschede nach Attendorn. Nach der Begrüßung durch Herbert Schmoranzer von der Projektgruppe Heidenstraße ließ es sich Alfons Heimes, Bürgermeister von Lennestadt, nicht nehmen, die Wandergruppe mit freundlichen Worten persönlich auf den Weg zu schicken. Er betonte den Aspekt des Pilgerns und hob das unermüdliche Engagement der Eheleute Schmoranzer hervor. Doch bevor es so richtig losgehen konnte, sprach der Grevenbrücker Pastor Heinrich Schmidt ein Gebet und segnete die Wanderer. Prominenter Mitwanderer war an diesem Sonntag der gebürtige Heggener Gisbert Baltes, Moderator beim WDR in Köln und den meisten Teilnehmern schon bekannt aus seiner Zeit als Redakteur bei der WP. In dichtem Nebel legte die Gruppe die erste Etappe zurück. Teilten sich früher beide Routen in Richtung Attendorn bereits an der Förder Linde, so verläuft die Wanderroute heutzutage bis oberhalb des Schrödershofs gemeinsam. Hier zweigt die Dünscheder Route ab und führt ins Tal hinab nach St. Claas, wo die Heidenstraße früher in einer Furt die Repe überquerte, was jedoch nur nach starken Regenfällen problematisch war. Nach einem steileren Aufstieg durch eine nebelfeuchte Wiese wurde es endlich allen richtig warm. Bei einer kurzen Rast erfreute Karl-Heinz Kaufmann die Gruppe mit seinen „Herbstgedanken“, bevor es hinein nach Dünschede ging. Vor der Kirche St. Martinus erwartete schon eine Abordnung des Dorfes die Wanderer. Der ehemalige Kreisheimatpfleger Günther Becker, der für die im November erscheinende „Repetalchronik“ der Stadt Attendorn Ausführungen zu Dünschede verfasst hat, übernahm es zur Freude der Anwesenden, Dorf und Kirche zu erläutern. Dabei erwähnte er zunächst die einzelnen Bauabschnitte der Kirche, die, aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts stammend, 1924 nach Westen erweitert wurde, so dass heute ein kreuzförmiger Grundriss besteht. In der ehemaligen Apsis fand man 1952 Reste spätromanischer Wand malereien, die die Flucht nach Ägypten, die Mantelteilung des Hl. Martin sowie eine Verkündigungsszene und eine Darstellung des Hl. Georg enthalten. Weitere Figuren Günther Becker bei seinen Erläuterungen zur Dünscheder Kirche konnten bisher (Foto: Birgit C. Haberhauer-Kuschel) nicht zweifelsfrei identifiziert werden, doch die letzte Figurengruppe zeigt trug Konrad Ahlbäumer „Sauerland, den estländischen Bischof Theodoricus wat biste schoin“ vor, in dessen Refrain von Thoreida, der als Adjutor des Kölner alle begeistert einstimmten. An der Wegekreuzung des Kurkölner Erzbischofs in Westfalen und am Niederrhein 1213–1216 Kirchen konse- Weges, der X 22, mit dem über Dahm kriert hat. Damit können Bau und Wei- nach Heggen führenden sog. Totenweg he der Dünscheder Kirche ziemlich ge- ging Franz-Norbert Scheele auf die benau datiert werden. Bei archäologischen sonders in diesem Bereich durch die Untersuchungen 1974 freigelegte Fun- Stürme „Kyrill“ und „Emma“ sowie bedamente lassen auf ältere Bauten reits vorherige Rodungsmaßnahmen schließen, die der spätromanischen Hal- veränderte Landschaft ein. Das als lenkirche vorausgegangen sind. Die „Kuhtrog“ bezeichnete Hohlwegbündel Grabungen förderten auch unter den (Bodendenkmal) hat dabei stark gelitten. Bodenplatten inmitten menschlicher Bei den Vorbereitungen zur Wanderung Knochen eine Jakobusmuschel zutage, die im älteren Teil der Kirche in einer kupfernen Pilgertasche zu sehen ist. Bei einer kurzen Mittagsrast auf dem 2006 neu gestalteten Dünscheder Dorfplatz, der „Röthe“, gab Wilfried Schauerte im Namen der Schützenbruderschaft St. Sebastianus Erläuterungen zur Gestaltung des Platzes mit dem Jakobsbrunnen, der einer Marmorstele aus „Helden Rot“ entspringt. Leider war es der Wandergruppe anschließend nicht möglich, dem eigentlichen Wegeverlauf durch den als Bodendenkmal eingetragenen Hohlweg oberhalb der „Röthe“ zu folgen. Der Eigentümer hatte den Hohlweg mit einer festen Barriere verschlossen. So nahm man bei inzwischen herrlichem Herbstwetter den Weg durch das Dorf und hinauf auf den Kamm zur Wegegabelung am Köss’ Kruize, wo der Höhenweg in Richtung Reper Höhe abzweigt. Hier Auf dem Weg von der Burg Schnellenberg nach Attendorn – WDR-Moderator Gisbert Baltes mit Pilgermuschel (im Bild links) Foto: Martin Kuschel 198 hatte der Weg erst einmal streckenweise frei geräumt werden müssen. Dennoch war der Abstieg durch den Hohlweg eindrucksvoll und regte Karl-Heinz Kaufmann dazu an, Ausdrücke aus der Fuhrmannssprache zu verdeutlichen. Nächste Station war die Burg Schnellenberg, wo Thomas Bilsing als Hausherr die Pilgerwanderer begrüßte. Er gab einen kurzen Einblick in die wechselvolle Geschichte der Burg und das Engagement der Familie von Fürstenberg, von der die Familie Bilsing schon seit 80 Jahren die Burg gepachtet hat. Auf dem Weg hinunter zur Biggebrücke kam man anschließend am S AUERLAND N R . 4/2008 Schnellenberger Hospital vorbei, das 1744 bis 1748 von Christian Franz Dietrich von Fürstenberg erbaut wurde. Nach dem verheerenden Stadtbrand von 1783 diente es als Ausweichquartier für die Franziskanerpatres; heute sind die Wohneinheiten an private Mieter vergeben. Hier, wie an der Hospitalkirche St. Barbara, die direkt am Weg in die Stadt hinein liegt, konnte Ortsheimatpflegerin Birgit Haberhauer-Kuschel nähere Informationen zum historischen Hintergrund der Objekte geben. Durch die Wasserstraße betraten die inzwischen doch ermüdeten Wanderer Attendorn und wur- den am Pilgerstein auf der Kirchenmauer vom stellvertretenden Bürgermeister Hermann Guntermann herzlich begrüßt. Er ging auf Attendorns Bedeutung als moderner Industriestandort ein, während die Ortsheimatpflegerin die geschichtliche Entwicklung der Stadt und ihre Bedeutung als mittelalterliche Handelsstadt an der Heidenstraße erläuterte. Mit einer Andacht im Sauerländer Dom, gestaltet von Vikar Jörg Cordes, der mit der Gemeinde einen Psalm betete, und Friedhelm Assheuer an der Orgel, fand diese Pilgerwanderung auf der Heidenstraße einen gebührenden Abschluss. Der Möhnesee und die Vögel von Wolfgang Frank Vielleicht hat jemand der verehrten Leserinnen und Leser einmal das Glück, während einer Ballonfahrt an einem sonnigen Tag eine Zeit lang über dem Möhnesee zu schweben. Herrlich da unten der langgestreckte blaue See mit den Brücken und Dörfern und, den Ballonfahrern geradezu ins Auge springend, die schier endlosen Wälder auf der Südseite des Sees, die sich noch weit nach Osten und Westen über das große Gewässer hinaus erstrecken, und auf der Nordseite des Sees die große, helle Feldflur, wohltuend aufgelockert durch Wäldchen, Baumreihen und Hecken, des nach Norden allmählich zur Soester Börde hin abfallenden Haarstrangs. Nicht nur am See, nein, schon am Möhnefluss oberhalb und auch unterhalb zeigt sich durch das Aufeinandertreffen dieser beiden Großlandschaften eine deutliche Markierung, die für Motor- und Segelflieger und auch für Vögel eine Art Leitlinie sein kann. Im Norden brutheimische Vögel wie Graugänse, Stockenten, Reiherenten, Haubentaucher oder Gänsesäger überwintern überwiegend in Mittel- und Westeuropa. Von September an verlassen sie ihre Brutreviere und ziehen, vielfach entlang der Ostsee, z. B. nach Mecklenburg oder Pommern. Nach ei- Kanzelbrücke ner Rastzeit fliegen sie in südwestlicher Richtung weiter, um ihre Winterquartiere zu erreichen. Folgen wir einem Verband von Reiherenten. Er überfliegt gerade die Gegend von Hildesheim und weiter das Paderborner Land. Dann stößt er, vielleicht bei Allagen auf den Arnsberger Wald, der sich wenig verlockend vor den Tieren auftürmt. Sie ändern die Zugrichtung und folgen der oben beschriebenen Leitlinie, die sie auch in der Dämmerung oder in mondhellen Nächten wahrnehmen, in westli- Foto: Friedhelm Ackermann † cher Richtung und gehen schon bald auf dem Möhnesee nieder. So wie diese Reiherenten kommen bis November noch viele Wasservögel zum Möhnesee. Sie fühlen sich wohl dort. Der flächengrößte Stausee Westfalens bietet ihnen genügend Platz, Schutz und Nahrung. In den Monaten November und Dezember halten sich gewöhnlich die meisten Vögel dort auf. Der wohl beste Kenner des Vogellebens auf dem Möhnesee, Professor Wilfried Stichmann, spricht auf Grund seiner regel- 199 S AUERLAND N R . 4/2008 mäßigen, mit kundigen Helfern durchgeführten Zählungen von bis zu 10 000 Schwimmvögeln in manchem Frühwinter. – In sehr kalten Wintern friert der See bis auf einige Stellen an den Überlaufwehren und an den Flussmündungen fest zu. Dann zieht fast alles,was Flügel hat, nach Westen und Südwesten ab. Zum Frühjahr hin kehren die hier heimischen Vögel zum Möhnesee zurück. Die mit ihnen auf dem See zusammen gewesenen nordischen Gäste ziehen zum Teil auf anderen Wegen ihrer Brutheimat zu. Eine stetige, über Jahrzehnte hin andauernde Beobachtung der Vögel ist oft mühevoll; sie macht jedoch auch viel Freude. Wie z. B. die Sache mit den Graugänsen. In den 50er Jahren sah man nur wenige von ihnen auf dem See. Sie hielten immer großen Abstand von den Menschen. Im Laufe der Zeit gab es in den von Schilf und Buschwerk bewachsenen Flussmündungen allmählich mehr von ihnen. Es waren meist jüngere, noch nicht geschlechtsreife Tiere. Ih- Ganter, nach allen Seiten spähend, stets bereit, zum Schutz der Gänslein sogar sein Leben einzusetzen. Interessant war es, das Auftreten der Nilgänse am Möhnesee zu verfolgen. 2003 sahen wir (das sind drei Möhneseefreunde) einzelne von ihnen am Wameler Fischteich. Wir stuften sie als Gefangenschaftsflüchtlinge ein und fragten uns, ob diese Fremdlinge hier am See überhaupt eine Zukunft hätten. Doch schon im nächsten Jahr führte uns am 28. April ein Nilganspaar auf dem Wameler Fischteich seine vier noch sehr kleinen Jungen vor. (Der Fischteich liegt nicht weit oberhalb von Stockum nahe an dem sehr großen Vorstaubecken des Sees und ist mit diesem durch einen Abfluss verbunden.) Von nun an gab es jedes Jahr Nachwuchs bei den Nilgänsen am Fischteich und bald auch unterhalb der Kanzelbrücke, die nicht weit von der Möhnemündung (am Beginn des Sees) entfernt steht. Am 24. September 2008 zählten wir insgesamt 35 Nilgänse. Sekunden ebenso wieder auftauchten. Unfassbar! Zum Schluss ein unvergessliches Erlebnis. Am 23. Mai 2001 sind wir auf dem südlichen Randweg am Möhnefluss etwa 150 m oberhalb seiner Einmündung in den See. Wir beobachten eine Höckerschwanfamilie an dem gegenüber liegenden Ufer, das schon zu einem unzugänglichen, unter Naturschutz stehenden Bruchwald gehört. Die etwa vier Wochen alten Jungschwäne ruhen und schmiegen sich dabei an die Mutter. Der Herr der Familie scheint zu wachen. Plötzlich bemerken wir, von uns aus gesehen, rechts der Schwäne ein grellrotes Wesen. In Deckung bleibend nähert es sich rasch der Schwanenidylle. Es ist ein Fuchs! Wird er ein Blutbad anrichten? Blitzschnell schießt er auf ein Jungtier los. Ebenso schnell steht der große Schwan vor ihm, bearbeitet ihn mit kräftigen Schnabelhieben und prügelt ihn mit mächtigen Flügelschlägen. Der Räuber flieht so schnell, wie er gekommen ist. Der 1000. Besucher Reiherenten re Fluchtdistanz wurde nach und nach niedriger. Schließlich sah man Graugänse im dicht bewachsenen Mündungsgebiet der Möhne (oberhalb der Kanzelbrücke) beim Nestbau und Brüten. Der Erfolg blieb nicht aus. Nun kann man am See besonders im Mai immer mal ein Grauganspaar sehen, das seine erst wenige Tage alten Jungen auf das Wasser hinausführt. Vorn schwimmt die Mama, schön der Reihe nach folgen die Kleinen in ihren feinen maßgeschneiderten Dunenkleidchen; am Schluss der Foto: Gottfried Esch So häufig man am Möhnesee im April und Mai Stockentenmütter mit ihren oft zehn wie an einer unsichtbaren Schnur aufgereihten Jungen daherschwimmen sieht, so selten bekommt man eine Reiherente mit Jungen zu Gesicht. Schon 6-8 Stunden nach dem Schlüpfen können die dunkelbraunen Winzlinge schwimmen und sogar tauchen. Wir sahen, wie fünf noch recht kleine Reiherentchen vor den Augen der Mutter haargenau gleichzeitig blitzschnell wegtauchten und nach einigen Einen Familienausflug im November? Warum eigentlich nicht, dachte sich Familie Gewehr aus Hallenberg-Liesen und besuchte kurz entschlossen das Schwerspatmuseum in Dreislar. Bevor jedoch dieser erlebnisreiche Sonntag zu Ende ging, wartete auf Mutter Anja noch eine besondere Überraschung. Als 1000. Besucherin überreichte ihr der Förderverein einen Blumenstrauß und eine Flasche Sekt. Zum Gruppenfoto postierte man sich vor den Mauern der alten Schmiede. Hier werden sich ab dem nächsten Jahr verliebte Paare in außergewöhnlichem Ambiente vor einem Standesbeamten das Ja-Wort geben können. Red. 200 S AUERLAND N R . 4/2008 „Kick“, sagg’ de Katte ... Annäherung an Hintergründiges und Abgründiges in einem der aus dem Volksgut geschöpften plattdeutschen Gedichte von Christine Koch (Fortsetzung aus Heft 3/2008) Die Beseitigung der vermeintlichen Diebin durch das übliche Ersäufen - wie bei Hebbel und wohl auch in Christine Kochs „Kick“, sagg’ de Katte … versucht und in Rinsers Kurzgeschichte begangen - bedeutet nun aber keineswegs die Rückkehr der Köchin zum vernünftigen Denken. Im Gegenteil: Als erneut Kuchen verschwinden, muss es doch ein Spuk sein, gegen den sie – für den Lohn einiger (geweihter) Kerzen – eine weise Frau in Siddinghausen (bei Büren) zu Hilfe holen möchte, eine Frau, die ihrerseits von Handirk als „Häxendaier“ bezeichnet wird. Als auch das Waffeleisen verschwindet, muss „de lebändige Duiker“ die Hand im Spiele haben. Handirk, der doch zuvor selbst den Verdacht auf die Katze gelenkt hatte, will „den Spauk nau wual selwer bannen“. Und er entlarvt ihn ja auch in der Person Pauls. Die Vermutung liegt nahe, dass die angeführten Texte – mit Ausnahme von „Aus der Kindheit“ und des „Arm Kätzchen“ – zumindest motivisch einer Quelle entstammen: dem Volksgut, was dies zunächst auch immer heißen mag (selbst Luise Rinsers Kurzgeschichte scheint als Gegenentwurf – in einigen Punkten dem Volksgut verpflichtet). sammenhang der verschiedenen Textelemente nicht mehr wahrzunehmen vermochte. Denn sehen wir uns diese Katzen und ihre Rolle als Sündenböcke sowie ihre Nähe zu Hexen und Teufeln genauer an, so erschließen sich diese Texte als mehr oder weniger unbewusste Spiegelungen vergangener kulturgeschichtlicher Vorgänge, die nun verständlich machen, warum im Umgang mit diesen Katzen alle häusliche Erfahrung jahrhundertealter Hausgemeinschaft vergessen scheint. Wären all diese Katzen – wie durch Christine Koch – ausdrücklich als schwarz bezeichnet worden, so wären diese z. T. in tiefer Vergangenheit ruhenden Vorgänge für uns Heutige einfacher zu durchschauen. Wir würden uns daran erinnern, was die „schwarze Katze“ noch heute für viele von uns bedeutet: Wir fürchten sie, wenn sie vor uns über den Weg springt, als böses Omen und Unglücksboten und bringen sie in Kinderreimen bedenkenlos mit Zauberei in Verbindung: „Hokus, pokus, fidibus! dreimal schwarzer Kater!“ Die „schwarze“ Katze hätte uns also hellhörig gemacht und uns sogleich ahnen lassen, dass ihr Auftauchen die Nähe dunkler Mächte signalisiert. Sie alle spielen ausdrücklich in einer Küche – bis auf den hochdeutschen Abzählreim, wo sie aber impliziert erscheint – mit einer Köchin, deren Arbeit angeblich von einer Katze ge- bzw. zerstört wird, obwohl diese nur als Sündenbock herhalten muss und dafür hart bestraft wird. Irgendwie geht es in diesen Küchen – aus der Sicht der Köchinnen – nicht mit rechten Dingen zu, als ob Hexen oder gar der Teufel die Hand im Spiel hätten. Auch enthalten diese Texte pädagogische Absichten, die sich durch die Bestrafung des Naschens in der Küche deutlich zu erkennen geben, ohne jedoch andererseits der Verwerflichkeit des bewiesenen Vorurteils gegen die Katzen oder gar deren ungerechter Bestrafung bis hin zum Ersäufen moralische Bedenken entgegenzuhalten. So aber geben uns diese als Naschkatzen auftretenden Küchenbesucher zunächst nur wenig zu denken. Wir nehmen sie als Repräsentanten einer – wenn auch vergangenen – alltäglichen Wirklichkeit, zumal dann, wenn sie wie bei Grimme anekdotisch mit namentlich erwähnten Personen umgeben werden, die einem ebenfalls benannten und damit historisch nachprüfbaren Ort zugewiesen werden, oder wenn sie, wie in einem Gedicht von Else Lasker-Schüler, nur als beeindruckende Metaphern anwesend sind. Und so müssen wir erst darauf gestoßen werden, dass wir in ihnen allemale dem – nur noch schwachen – Widerschein längst für überwunden gehaltenen Aberglaubens begegnen. Diese Texte scheinen also auf ein Volksbewusstsein zurückzugehen, das – aus der Sicht der Protagonisten – solch fragwürdige Haltung einfach hinnahm bzw. – aus der Sicht der Leser – den Zu- Bei Else Lasker-Schüler gibt es das dämonisierte „Katzentier“ in einer Ballade, die pikanterweise den Untertitel trägt „Aus den sauerländischen Bergen“. Darin heißt es: von Manfred Raffenberg „Er hat sich in ein verteufeltes Weib vergafft, in sing Schwester! Wie ein lauerndes Katzentier Kauerte sie vor seiner Tür Und leckte am Geld seiner Schwielen …“ (Bänkel und Brettl, S. 199) Hier wird die ins Magische gesteigerte Anziehungskraft einer Frau auf einen Mann aus deren Zusammenspiel mit dem Teufel („verteufeltes“) und der metaphorischen Verwandlung in eine „lauernde(n) Katze“ in Verbindung gebracht, um auszudrücken, dass dieser Mann von weiblicher Schönheit verzaubert, d. h. verhext ist. Die Nähe der Katze zu Teufeln und Hexen, im heutigen Sprachgebrauch noch vielfach lebendig, geht wohl auf mittelalterlichen Aberglauben zurück, wonach sich der Teufel am liebsten als schwarze Katze gab. Daher hieß es auch, dass Katzen die Lieblingstiere der Hexen seien. Kein Wunder also, dass der Dürerschüler Hans Baldung in seinem Gemälde „Hexensabbat“ (1514) eine Katze als Gefährtin der Hexen abbildet (vgl. „Hexen Gerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland“, S. 171). Möglicherweise reicht dieser Aberglaube sogar zurück bis auf die Legende von Galanthias, der in eine Katze verwandelt wurde und Priester der Hekate (einer in der Unterwelt hausenden Zaubergöttin) wurde (Brewer’s „Dictionary of Phrase and Fable“, S. 202). Das Motiv der verteufelten Katze dürfte also zum europäischen Kulturgut gehören, und seine Spuren in den angesprochenen Texten verwundern um so weniger, wenn man sich vergegenwärtigt, wie stark es noch bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein den Aberglauben im schottischen Hochland mit geprägt hat. Dort gab es Cait Sith (cait shee), schwarz und übergroß und, wie andere ihrer Art, eine verwandelte Hexe. In einer zuletzt 1824 belegten Zeremonie, dem TAGHAIRM, wurden vier Tage und Nächte lang lebendige Katzen an Spießen geröstet, bis ihr dämonischer Gott erschien und das Ende der Grausamkeiten damit erkaufte, dass er tat, 201 S AUERLAND N R . 4/2008 was die Folterknechte von ihm verlangten (Katherine Briggs, „A Dictionary of Fairies“, S. 60). Haben wir es hier etwa mit ins Brauchtum verlagerten Hexenverbrennungen zu tun? Denn ob man eine der schwarzen Künste verdächtigte Frau oder eine schwarze Katze verbrannte, war bei deren Austauschbarkeit gleich. Christine Kochs „Kick“, sagg’ de Katte … entstammt also wohl verbreitetem europäischem Volksgut, in dem sich Reste westeuropäischen Aberglaubens wiederfinden. Vor allem die Rolle der Katze als Sündenbock legt den Gedanken nahe, dass sich dieser Aberglaube hier als Nachhall des Hexenwahns manifestiert haben könnte, der ja vor allen Dingen in der Zuweisung unbewiesener Schuld für Unglück, Krankheit und Tod (zumeist von Haustieren) sowie beinahe jegliche Art von Schaden seine mörderische Macht – vor allem gegenüber Frauen – entfaltete. Welche verheerende Wirkung diese auch im Sauerland entwickelt haben muss, bezeugen ja die „Oberkirchener Hexenprotokolle“ auf schauerliche Weise. Darin bekennt Greta Moller, „Johanns Weib vom Astenbergh“, sie: Sei von dem teuffel in katzengestald verendert und ein mall sechs oder sieben in ihres nachbarn Abrahams haus wie auch auf die creutzwege und Kalen Astenberg gelaufen, alstan ihr der bose feind einen kahlen gurtel zweier finger breit, gebracht, welchen sie umgebunden und in solchs tier verendert wurden (S. 34). schen gezeigt, aber ihr Schurren, Knurren und Streiten lässt doch unschwer erkennen, dass sie kaum an sich halten können, an „dät Duiwelsgebruie“ heranzukommen. Dann geht’s „auf struwwelgen Beßmen… no’m Satansgelog’oppem Brocken“. Kehren wir nun abschließend zu der von Christine Koch hinzugefügten dritten Strophe ihres dem Volksgut entnommenen Katzen-Gedichtes zurück, so hat sie dort möglicherweise, ob in Kenntnis des Grimmeschen Textes oder nicht, den Bogen zum mittelalterlichen, in ihrer sauerländischen Heimat einst verbreiteten Aberglauben zurückgespannt, und zwar in verschlüsselter Form. Denn bei der schwarzen Katze im „Waterpott“ muß man nun weniger an das versuchte Ersäufen einer Katze denken als daran, wie eine Hexe mit Hilfe des Teufels gerettet wird. Sie tut einen „gewaltigen Flug“ und assoziiert damit die den Hexen immer wieder zugeschriebene Fähigkeit, mit Hilfe des Teufels fliegen zu können. In den anderen Texten dagegen geht es den Katzen zumeist richtig ans Leben. Das gilt auch für Kinder-Abzählverse! In dem von Klute zitierten Beispiel zum „Flötenklopfen“ bleibt der Katze nichts anderes, als ihren Quälgeist doppelt zu verfluchen: „Sall diek doch de Duiker halen!“ Der Teufel ist also auf die eine oder andere Weise fast immer mit im Spiel, andeutungsweise selbst noch in Luise Rinsers moderner Kurzgeschichte über „diesen roten Teufel von einer Katze“. Auch Anna Kempers von der Mittelsorpen ist in „katzengestalt gelaufen“ (S. 64). Dass er die Katze in Christine Kochs Gedicht aus dem „Waterpott“ rettet („Uese swuarte Katte hiät de Duiwel haalt!“), macht die Situation durchsichtig für die häufig überlieferte Hexenprobe: Der Remblinghauser Heimatdichter Jost Hennecke (1873–1940) lässt diese Zeit in seinen „Balladen und Sagen“ auf schauerliche Weise wieder lebendig werden. In „Dai Wahrwulf van Daalbke“ mit dem Untertitel „De Häxentauern“ umringen schwarze Katzen die Hexe, die überm Dreifuß „dät Duiwelsgebrügge“ rührt. Man warf die Angeklagte gebunden ins Wasser, um herauszufinden, ob sie schuldig war oder nicht. Schwamm sie oben, war das ein Zeichen ihrer Schuld; denn dann stand sie mit dem Teufel im Bunde, der ihre Seele besaß, so dass ihr Körper leichter war als normal. Ging sie unter, bewies das ihre Unschuld. Dann hatte der Böse keine Macht über sie. „Am Kietel do schnurret und knurret un stritt / Dai Häxen, in Katten verwandelt.“ Dabei stellt er möglicherweise eine Art Urszene der Katze in der (Hexen)Küche dar, insofern diese fast alle Elemente enthält, die in den angesprochenen Texten – mit Ausnahme von „Arm Kätzchen“ und „Die rote Katze“ – eine Rolle spielen. Zwar werden die Katzen in Henneckes Gedicht nicht beim Na- Christine Koch hält es mit der Katze, zumal diese wie die Hexen unschuldig ist. Indem sie jegliche Form von manifester Grausamkeit ausschließt, rettet sie ihrem Gedicht die befreiende Komik dieser so plastisch gefassten und sie von den übrigen Texten unterscheidenden Gesamtszene – nicht zuletzt durch die Figur der ihres Verstandes nicht wirklich – wie bei Grimme – beraubten Köchin. So bleibt dieser Text bei aller Hintergründigkeit böser historischer Er fahrungen doch eher lustig und fügt sich in die lebensfreundliche Grundhaltung ein, die auch im „Arm Kätzchen“ begegnet. Spielt dabei eine Rolle, dass sie eine Frau ist? Oder ist es ihre geistige Nähe zu Joseph Pape? In dessen Erzählung „Et leßte Häxengerichte“ wird auch eine der Hexerei Angeklagte zum Schluss vor der Verurteilung gerettet. Wie auch der Hinweis auf Pape belegt, war diese dunkle Phase der Geschichte ihrer Heimat für deren Mundartautoren noch im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Thema. Literatur: Christine Koch. Esloher Werkausgabe III, S. 23; I, S. 205 u. 126 Friedrich Hebbel, „Aus der Kindheit“. In: Unser Lesebuch für die Oberstufe der Volksschule. Dritter Band für das 5. bis 8. Schuljahr. Märkischer Verlag Rudolf Heinke, Lüdenscheid 1947, S. 244-245 Luise Rinser, „Die rote Katze“. In: Das Karussell. Geschichten aus unserer Zeit. Hrsg. walter urbanek, c.c. buchners verlag, bamberg 1965, S. 116-122 Ludwig Klute, „Pflanzen und Tiere im Sprachgebrauch unserer Vorfahren“. Selbstverlag. S. 96 u. 97; S.117 „Abzählen bei dem Spiel“. In: Arnim/Brentano, „Des Knaben Wunderhorn. Alte Deutsche Lieder gesammelt von L. Arnim und Clemens Brentano“. Deutscher Bücherbund Stuttgart/Hamburg. Vollständige Ausgabe, o. J., S. 845 Wilhelm Kathol, „Bassmes Hof“, Hrsg. Magdalena Padberg. Grobbel. Serie: Sauerländische Heimat. Verl. Josef Grobbel KG, Fredeburg 1979, S. 36 Peter Bürger, „Aanewenge, Leuteleben und plattdeutsches Leutegut im Sauerland“. Maschinen- und Heimatmuseum Eslohe, 2006, S. 237 ff. Georg Nellius, „Ruhrgold. Opus 52. Volkstümlich schlichte Weisen aus Westfalen“. Verlag von Karl Hochstein, Heidelberg , o. J., S. 40 ff. Friedrich W. Grimme, „Paulus Kaukendaif“. In: Werke, Heimatverlag Dr. Wagener, Meschede 1939, S.60 – 63 Else Lasker-Schüler, „Ballade. Aus den sauerländischen Bergen“. In: Bänkel und Brettl, Ein Vortragsbuch für das Haus-Cabarett aus drei Jahrhunderten und unserer Zeit. Gesammelt und herausgegeben von Hyazinth Lehmann, Cabarettist. Limes Verlag, Wiesbaden 1953, S. 199 Brewer’s Dictionary of Phrase and Fable. 14th Edition, Revised by Ivor H. Evans. Cassell Publishers Ltd, London 1990, S. 202 „Hexen-Gerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland“. Hrsg. Schieferbergbau-Heimatmuseum SchmallenbergHolthausen. Grobbel-Druck, Fredeburg 1984, S. 171 Katharine Briggs, A Dictionary Of Fairies. Hobgoblins, Brownies, Bogies And Other Supernatural Creatures. Penguin Books 1977, S. 60 Joseph Pape, „Et leßte Häxengerichte. Erzählung in sauerländischer Mundart“. Hrsg. Peter Bürger, Christine-Koch-Archiv. Maschinen- und Heimatmuseum Eslohe, 1999 Jost Hennecke, „Versunkene Klocken. Balladen und Sagen von Jost Hennecke.“ Sauerländer Heimatverlag der Josefs-Druckerei, Bigge 1925, S. 45 202 BÜCHER S AUERLAND N R . 4/2008 • SCHRIFTTUM Annalen von Kloster Brunnen Wie entstand im 18. Jahrhundert inmitten der sauerländischen Waldeinsamkeit ein Kloster und wie gestalteten die hier wirkenden Mönche ihr frommes Leben? Auf diese Fragen antworten die beteiligten Kapuziner selbst ausführlich und anschaulich in der Sprache ihrer Lebensform, dem Latein. Ein neu erschienenes Buch erschließt uns ihre Jahresberichte, Annalen genannt, im lateinischen Original und einer deutschen Übertragung. Der rührige Vorsitzende des Freundeskreises Kloster Brunnen, Klaus Baulmann, hat den handschriftlichen lateinischen Urtext in Druckschrift gefasst, ihn ins Deutsche übersetzt und durch Anmerkungen erläutert, in der Tat eine beachtliche Leistung! So ist ein seltenes zeitgenössisches Dokument entstanden, das mit dem Einsiedler Johannes Fölling aus Werl beginnt, der sich nahe dem Dorf Brenschede im Wald eine Klause erbaute. Ganz einsam war die Einsiedelei nicht, denn hier entsprang eine Quelle, die als heilkräftig galt und im Sommer Besucher zum „Brenscheder Brunnen“ führte, die durch das Quellwasser Heilung suchten. Von diesem „Badebetrieb“ hätte man gern noch mehr gehört, aber er taucht immer nur am Rande auf. Um so mehr erfahren wir in den Annalen vom Ursprung und der Entwicklung seiner Einsiedelei innerhalb weniger Jahrzehnte zum „Kloster Brunnen“. Über die Anfänge des Klosters erfahren wir sogar in zwei parallel verlaufenden Annalen, die einen aufschlussreichen Vergleich ermöglichen, was den jeweils Schreibenden besonders bemerkenswert war. Der Inhalt der Annalen, der sich im Staatsarchiv Münster erhalten hat, (S. 21 – 208) kann hier nur skizzenhaft wiedergegeben werden: Ursprünglich nur ein gelegentlicher Gottesdienstort für einzelne, von Fölling gewonnene Priester, bildet sich hier eine Kapuzinerfamilie, durch Versetzung ihrer Mitglie- der häufig wechselnd, aber kontinuierlich als Priester tätig. Ihre Superioren (Hausoberen) haben die Annalen aufgezeichnet von 1722 – 1796. Sie schildern, wie sie nach den ersten Jahren ihres Wirkens ein Klostergebäude anfangen, weil sie eine größere Unterkunft brauchen, mühevoll in dem felsigen Gelände einen ausgedehnten Garten anlegen, schließlich eine Kirche bauen, die 1748 feierlich geweiht werden kann. Neben der Darstellung der priesterlichen Tätigkeit mit einem Schwergewicht auf der weite Resonanz findenden Durchführung von Prozessionen nach Werl, sind die Annalen chronologische Bauberichte mit all ihren Schwierigkeiten u. a. mit den protestierenden Dörflern der Umgebung, als diese erkennen, dass die Kapuziner zunächst statt der dringend erwarteten Kirche ein Kloster errichten. Aber der Konflikt wird gelöst, und die Annalisten können bis 1796, als sich die Kriegswirren der Revolutionszeit schon abzeichnen, die weitere Ausgestaltung von Kirche und Klosteranlagen melden, interessanterweise auch ausführliche Berichte mit Titelangaben über das erstaunliche Anwachsen der Klosterbibliothek. Aber nicht nur das spezielle Klosterleben erschließen die Annalen, auch die Umwelt wird lebendig z. B. durch die Hinweise auf das schneereiche Wetter, z. B. dass im Mai 1773 Schnee in Höhe von fast zwei Metern fiel (S. 175). Und wie stellte man Klosterknechte ein? 1760 heißt es z. B. „Johannes Fincke war einverstanden mit einem Jahreslohn von 12 Reichstalern. Er bekam ein Paar Schuhe, zwei Felle und eine Hose. Ein volkstümlich Camesol (Oberhemd) genanntes Kleidungsstück wurde aus abgelegten Habiten genäht.“ Derartige sozialgeschichtlich interessante Einzeldaten vermitteln die Annalen zahllos und sind daher eine Fundgrube für die Lokalgeschichte. Dazu gehört u. a. auch das Testament von Fölling, geschrieben in der umständlich ungelenken Ausdrucksweise von 1726, ebenfalls übertragen von Klaus Baulmann. Bleibt noch zu erwähnen, dass das Buch durch Kurzbiographien aller Kapuziner von Kloster Brunnen von 1722 – 96, durch ein ausführliches Glossar, durch Orts- und Personenregister und Literaturangaben gründlich erschlossen ist und uns im Sinne des Vorworts eine bewegende und interessante Reise in eine vergangene Welt ermöglicht. Dr. Erika Richter Klaus Baulmann (Hg.): Annalen der Kapuziner von Kloster Brunnen 1705 – 1796, Lateinischer Text, deutsche Übersetzung und Anmerkungen, Paderborn (Bonifatius Verlag) 2008, 304 S., 29,80 Euro. Franz Wilhelm von Spiegel aus Canstein erzählt sein Leben Über den Freiherrn Franz Wilhelm von Spiegel zum Desenberg-Canstein, Landdrost des Herzogtums Westfalen, Minister des letzten Kurfürsten des Kölner Kurstaates gibt es eine Reihe von historisch-biographischen Untersuchungen. Nun ist ein neuartiges Buch zu diesem wichtigen Aufklärer des 18. Jahrhunderts erschienen, das sein Verfasser Alexander von Elverfeldt „Romanbiographie“ nennt. Wie versteht er seine Darstellung? Er lässt Spiegel in der IchForm selbst sein Leben erzählen und malt viele Szenen phantasievoll aus, die Spiegel selbst nur streift oder ganz auslässt. So erleben wir als Leser zunächst den kleinen Franz Wilhelm im heimischen Schloss Canstein, liebenswert – anschaulich geschildert inmitten seiner Spielkameraden. Wir erleben ihn in der Kutsche nach Arnsberg, wo sein Vater, auch Landdrost, residierte – die abenteuerlich-unbequeme Schüttelei der Reisekutsche auf den holprigen, von Schlaglöchern durchzogenen damaligen Straßen ist ein immer wiederkehrendes Thema – wir erleben ihn als Pagen am Bonner Hof des Kurfürsten, den der wissensdurstige junge Mann verlässt, um in Löwen zu studieren. Das dortige Studium befriedigt ihn nicht, aber er lernt viel von den im Handel welterfahrenen Bekannten seines Vaters in den reichen Niederlanden. Er wählt Göttingen als nächsten Studienort, die aufklärerisch gesinnten Professoren der hochberühmten modernen Universität prägen ihn selbst als fortschrittlichen, an der Verbesserung der veralteten Zustände leidenschaftlich interessierten Aufklärer für sein ganzes weiteres Wirken. In Göttingen wird er auch zum Freimaurer, die geheimnisvolle Eintrittsszene in die Göttinger Loge ersteht dramatisch-anschaulich vor dem 203 S AUERLAND N R . 4/2008 Seit über 25 Jahren. Wir bieten alles, was mit Reisen zu tun hat! ● ● ● ● ● ● ● ● ● Flug-Pauschal-Reisen PKW-Reisen Bahn-Reisen Bus-Reisen Fern-Reisen Individual-Reisen Sport-Reisen Club-Reisen Städte-Reisen ● ● ● ● ● ● ● ● LAST-MINUTE-REISEN Flüge weltweit Rund- und Studien-Reisen Kreuzfahrten Trekkings Wohnmobile Mietwagen Reiseversicherungen … Wir freuen uns auf Ihren Anruf oder auf einen Besuch. DIENSTLEISTUNG wird bei uns groß geschrieben. Fordern Sie uns. Lange Wende 125 · 59755 Arnsberg Telefon (0 29 32) 9 74 50 · Telefax 8 15 11 · eMail [email protected] www.theis-reisen.de Leser (S. 53 ff.) In solchen Momenten wird die Biographie wirklich zum Roman. Auch die Begegnung mit der holden Weiblichkeit lässt uns der Verfasser nachempfinden, für Spiegel um so schwieriger, als er seinem Vater zuliebe aus finanziellen Gründen zum Domherrn wird, was ihn zum Zölibat zwingt. Da ein Domherr den Nachweis eines Studiums in Theologie und Kanonistik erbringen muss, sucht er das ferne Rom auf, wieder erleben wir eine reizvolle Reise mit vielen interessanten Gefährten. In der Ewigen Stadt folgt er zwar vielen Abendeinladungen bei namhaften Kardinälen, lernt die berühmten Kirchen und Bauwerke kennen, auch Künstler, bei denen er selbst Unterricht im Malen nimmt. Von theologischen Studien ist nicht die Rede, auch eine Papstaudienz kommt nur ganz kurz weg. Wieder in Hildesheim schildert er seine Mühe, in die verlotterte Finanzverwaltung Ordnung zu bringen, eine Tätigkeit, die ihm von nun an in allen Stätten seines künftigen, unablässigen Wirkens zum Hauptanliegen wird. Als 1779 sein Vater stirbt, kehrt er in die Heimat zurück, wird wie der Vater Landdrost des Herzogtums Westfalen und müht sich auch hier intensiv um die total vernachlässigte Verwaltung, womit er sich wenig Freunde erwirbt. Die farbig erzählte Biographie verliert nun das „Romanhafte“, sie wird zum sachbezogenen Arbeitsbericht, allerdings vor einem un- gewöhnlich bewegten zeitgeschichtlichen Hintergrund: der Französischen Revolution und den folgenden Kriegen. Die Franzosen erobern das Rheinland, der Kurfürst flieht nach Osten und stirbt 1801 in Wien. Das Kölner Domkapitel sucht Zuflucht in Arnsberg, die Hofkammer in Brilon: Mit der Säkularisation endet der Kurstaat, die Mönche müssen die aufgehobenen Klöster räumen. Spiegel hatte das Mönchswesen immer verachtet, hatte sogar einmal ausdrücklich formuliert, dass „jeder Catholik, der den gelaeuterten Prinzipien seiner Religion folgen wollte, längst die Aufhebung der Kloester wünsche“, aber die Art, wie sich die Verhältnisse nun entwickelten, findet nicht seine Zustimmung. Die das Herzogtum nun besetzenden Hessen geben ihm nicht die erwartete leitende Stelle. Gichtgeplagt und tief gekränkt, dass seine Lebensleistung nicht die gebührende Anerkennung findet, zieht er sich ganz auf seinen Besitz Canstein zurück. Ihn regiert er streng ganz nach seinen fortschrittlichen Grundsätzen, die er seitenlang auflistet. Ganz besonders beschäftigt ihn die Verbesserung des Schulwesens, wie er es schon getan hatte, als er entsprechende Erziehungsmaßregeln im ganzen Herzogtum durchführen konnte. Nun droht er den Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schickten, harte Strafen an (S. 121). Sein Bekenntnis über die Bedeutung der Erziehungsarbeit kommt in einer Gedenktafel im Schloss Canstein zum Aus- druck, die mit den Worten schließt, dass „Wohlfahrt ohne Bildung des Verstandes nicht bestehen“ kann. Alexander von Elverfeldt will mit seiner Darstellung, wie er im Vorwort schreibt, seine Leser zur Hochachtung vor Franz Wilhelm von Spiegel und zur Anerkennung seiner Lebensleistung bewegen. Mit dieser Romanbiographie ist es ihm überzeugend gelungen. Dr. Erika Richter Alexander Josef Freiherr von Elverfeldt sen. im Selbstverlag und Vertrieb: Am Echelnstein 12, 34431 Marsberg-Canstein. 2008, 151 S. Jahrbuch Westfalen 2009 Das an Jubiläen reiche Jahr 2009 bringt für Westfalen ein spezifisches Gedenkjahr: Auf westfälischem Boden brachten vor 2000 Jahren germanische Stämme den heranrückenden kampferprobten und sieggewohnten römischen Legionen eine vernichtende Niederlage bei. Diesem historischen Ereignis widmet der Herausgeber Peter Kracht im Westfalen-Jahrbuch 2009 ein aspektreiches Schwergewicht. Er berichtet nicht nur kartengestützt ausführlich über die „Varusschlacht“, sondern auch über die Debatten an der „Forscherfront“ über die Lage des Schlachtortes. Die Probleme der Knochen- und Münzenfunde am Fundort Kalkriese werden ebenfalls geschildert. Auch über die Bodendenkmale, d. h. die verschiedenen Römer- 204 lager (auf dem Tönsberg in der Senne, in Heidemünden, Kneblinghausen und Anreppen) finden sich interessante Beiträge. Und wer weiß, dass auch in Minnesota ein kleinerer Bruder „Hermann The German“ des Denkmals im Teutoburger Wald aufragt? So wird das Wirken des Arminius – schon 1924 gab es einen patriotischen Stummfilm über ihn – in aller Vielfalt vorgestellt. Selbstverständlich sind die bewährten Rubriken des Jahrbuchs auch wiederum mit lesenswerten Beiträgen gefüllt. Aus der Fülle können hier nur einige im engeren und weiteren Sinne das Sauerland betreffende Artikel genannt werden. Im Eingangsteil „Geschichten und Geschichte“ begleitet uns die Westfälische Landeseisenbahn, deren Ursprünge in Warstein zu finden sind, auch eine Untersuchung über den „Hanseweg von Soest nach Brilon“. Im Abschnitt „Museen in Westfalen“ wird auf das „generalüberholte“ und modernisierte Attendorner Museum aufmerksam gemacht. Bemerkenswert ist auch der „Kulturspiegel“, in dem das musikalische Highlight „Sauerland-Herbst“, nun ein Jahrzehnt alt, gewürdigt wird, aber auch das Mund- S AUERLAND N R . 4/2008 art-Archiv in Cobbenrode als ein „Himmelreich fürs Sauerländer Platt“. Insgesamt stellt das Jahrbuch die westfälischen Regionen erfreulich facettenreich und auch optisch ansprechend vor, eine gelungene Sammlung von Wissens-, Sehens- und Liebenswertem aus unserer Heimatregion. Als Weihnachtsgabe vortrefflich geeignet! Dr. Erika Richter Jahrbuch Westfalen 2009, Hg. Peter Kracht, Münster (Aschendorff) 2008, 272 S., Preis 19,50 Euro Südsauerland-Heimatstimmen aus dem Kreis Olpe 3/2008 Folge 232. S. Falk: Freizeit und Muße - gestern und heute. R. Kirsch-Stracke: Ein Wort vorneweg. Annegret Tack: 625-Jahr-Feier in Altenkleusheim. R. Kirsch-Stracke: Ein Baum ist mehr als ein Baum ... und Baumfrevel ist kein Kavaliersdelikt. B. Haberhauer-Kuschel: Ressort Baupflege im Kreisheimatbund Olpe e. V. Alt- und Neubauten in Attendorn. B. Reißner: Ein engagierter und ehrenwerter Unter nehmer wurde 80 Jahre. Herzlichen Glück- wunsch an Julius (Lutz) Grünewald! G. Burghaus: Heinz Quellmalz aus Dahl 70 Jahre. Ein verdienter Mitarbeiter in der Heimatpflege. O. Höffer: Funde und Hinweise aus dem Archiv des Freiherrn von Fürstenberg- Herdringen (Teil 17). F. K. Azzola: Die Grab-Kreuzsteine der Familie Vasbach an der Pfarrkirche St. Peter und Paul in Kirchhundem. U. Selter: Sportgeschichte(n). Petra Weschollek. A. Stahl: De Tufelen (in Dräulzer Mundart). H. Jungblut-Bergenthal (†) Hiärwest – Dankgebiät. H.-W. Voß: Heimatchronik vom 1. April 2008 bis 30. Juni 2008. Buchbesprechungen. Neuerscheinungen Subskription „Plattdeutsches Wörterbuch für Olpe und das Olper Land“. Hrsg. vom Kreisheimatbund Olpe e. V., Geschäftsstelle: Kreisarchiv Olpe, Danziger Straße, 57462 Olpe, Tel.: 0 27 61/81-5 42 Bes u ch en Si e u n s i m I n t e rn e t: w w w . s a u e r la e n d e r - h e im a tb u n d . d e Wer kennt diese Fotos? Der Arnsberger Heimatbund benötigt Hilfe. Ab sofort sind im Internet unter www.arnsberger-heimatbund.de Fotos aus dem Archiv von Friedhelm Acker mann eingestellt, die nicht zugeordnet werden können. Die Fotos stammen aus dem ganzen Sauerland und möglicherweise darüber hinaus. Viele der rund 15 000 Kleinbilddias und 7000 6 x 6-Mittelformatdias konnten bestimmt werden. Bei einigen hundert Bildern stellen sich aber folgende Fragen: • Was ist zu sehen (Name des Ortes, des Gebäudes, der Personen, der Objekte usw.)? • Welches Ereignis, welches Fest oder welche Veranstaltung ist festgehalten worden? • Wo war der Standort des Fotografen? • Wann wurde das Motiv fotografiert (Zeitraum)? Da die Fotos immer wieder ergänzt, hinzugefügt oder ausgetauscht werden, sollten alle Interessierten von Zeit zu Zeit wieder die Internetseiten des Heimatbundes anschauen. Über viele Rückmeldungen per Mail an [email protected] oder per Brief an die Geschäftsstelle, Fasanenweg 1, 59821 Arnsberg oder an Torsten Kapteiner, Berbke 15, 59821 Arnsberg, würde sich der Arnsberger Heimatbund sehr freuen. 205 S AUERLAND N R . 4/2008 holzwurmumbra und heimatgrün K CMY K CMY K CMY CM CY MY 08.12.2008 13:28:00 Uhr 'RAY#ONTROL3TRIP-s&/'2!s)3/GRAYBALANCECONDITION@#)%,!"BLACKINKs/FFSETONGLOSSORMATTCOATEDPAPER04s)3/!MDs2EFERENCE&/'2!sWWWECIORGWWWBVDMORG farbe bekennen mit becker-druck.de 206 S AUERLAND N R . 4/2008 PERSONALIEN Heinz Rosen † Heinz Rosen aus Bruchhausen, Zweiter Vorsitzender des Franz-Stock-Komitees und engagierter Freund des Borberges, starb am 12. Sept. 2008 nach langer Krankheit im Alter von 71 Jahren. Wer am 17. Sept. 2008 den langen Trauerzug sah oder miterlebte, mußte einsehen, dass hier ein besonderer Bürger zu Grabe getragen wurde. Mit Heinz Rosen starb ein Freund des Friedens und der Versöhnung, ein Freund des Borberges, des Kolpingwerkes und des FranzStock-Komitees. Als stellvertretender Leiter im Fachdienst „Strukturförderung und Regionalentwicklung“ kannte er den Hochsauerlandkreis bis in die letzten Winkel und Funktionen. Die zukunftsorientierte Kreisentwicklung lag Heinz Rosen besonders am Herzen. Bevor Heinz Rosen nach ArnsbergBruchhausen kam, hatte er bereits drei Jahre als Entwicklungshelfer in Tansania gearbeitet. Durch seine langjährige Arbeit im Kolpingwerk schon in seiner Heimat Gelsenkirchen fand er auch im Raum Arnsberg schnell Kontakt zum Kolpingwerk und hatte hier führende Tätigkeiten. Durch diese Arbeit stieß er auch in Neheim zum Franz-Stock-Komitee, wo er bis zu seinem Tode Zweiter Vorsitzender war. Hier setzte er seine ganze Kraft für diese spezielle Friedensarbeit und Versöhnung mit Frankreich ein. Die besondere Liebe galt dem 660 m hohen Borberg bei Brilon und der Ka- Mitarbeiter dieser Ausgabe: Dr. Adalbert Müllmann, Brilon Prof. Dr. Hubertus Halbfas, Drolshagen Anton Lübke, Allendorf Harmut Hegeler, Dortmund Reinhard Köhne, Meschede Werner Neuhaus, Sundern Werner F. Cordes, Attendorn Franz Rosen, Menden Carola Matthiesen Birgit C. Haberhauer- Kuschel, Attendorn Wolfgang Frank, Arnsberg Manfred Raffenberg. Schmallenberg Dr. Erika Richter, Meschede Karl Föster, Arnsberg pelle, die Maria, der „Friedenskönigin" gewidmet ist: „Der laiwen Mutter Guaddes vom Gudden Friäen bugget van den Luien heurümme.“ An den großen Friedenswallfahrten zum Borberg war er sehr beteiligt. Noch das letzte Treffen im August 2008 hatte er mit Frau Elisabeth Engel und Frau Maria Gierse von Pax Christi vorbereitet. Eine Freude war Heinz Rosen im Jahre 2008 doch noch vergönnt: An den großen Feiern zu Ehren Franz Stocks in Frankreich konnte er noch teilnehmen, an dem Besuch auf der Hinrichtungsstätte Paris-Mont Valerien, an den Gesprächen des französischen Staatspräsidenten und dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, beim Besuch des Grabes von Franz Stock und der Kathedrale von Chartres und war Teilnehmer der großen Schar der Friedenspilger. Aus Heinz Rosens Erleben als Entwicklungshelfer entstand auch vielleicht seine intensive Freundschaft mit Erzbischof Karl Hesse, Papua-Neuguinea, und so wurde er Sprecher des OzeanienKreises. Für all das fundamentale Wirken für Kirche und Allgemeinheit verlieh die Kirche im Jahre 2006 Heinz Rosen den Päpstlichen Orden „Pro Ecclesia et Pontifice“ – Für Kirche und Papst –. Heinz Rosen wird vielen Freunden und Weggefährten fehlen. Karl Föster Auszeichnung für Ella Fischer-Dornieden Mit dem Bundesverdienstkreuz wurde die langjährige Ortsheimatpflegerin von Bruchhausen bei Olsherg ausgezeichnet. Bei der Verleihung hob Landrat Dr. Karl Schneider ihre vielfältigen Verdienste um die Dorfgemeinschaft hervor. Dazu gehört ihr ideenreicher Einsatz im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ und bei der Aktion „Saubere Landschaft“. Beim europäischen Blumenwettbewerb setzte sie sich eben falls stark ein. Bekanntlich errang Bruchhausen damals die Goldmedaille. Die SGV-Abteilung Bruchhausen verdankt ihr wichtige Impulse in den Bereichen Wandern, Brauchtumspflege, Naturschutz und Skisport. Der Ortsvorsteher Karl-Josef Wiegelmann schloss seinen Glückwunsch mit den Worten: „Ganz Bruchhausen ist stolz auf Dich.“ Auch der Sauerländer Hei- matbund gratuliert seinem langjährigen Mitglied in heimatlicher Verbundenheit. Dr. A. M. SAUERLAND Zeitschrift des Sauerländer Heimatbundes (früher Trutznachtigall, Heimwacht und Sauerlandruf) 41. Jahrgang • Heft 4, Dezember 2008 ISSN 0177-8110 Herausgeber und Verlag: Sauerländer Heimatbund e. V., Postfach 14 65, 59870 Meschede Vorsitzender: Dieter Wurm, Am Hainberg 8 a, 59872 Meschede, Tel. (02 91) 71 90 p, Fax (02 91) 71 90 p, 94-16 05 d, Fax 94-2 61 71. Stellv. Vorsitzende: Wilma Ohly, Goerdelerweg 7, 57462 Olpe, Tel. (0 27 61) 6 16 98. Ehrenvorsitzender: Dr. Adalbert Müllmann, Jupiterweg 7, 59929 Brilon, Tel. (0 29 61) 13 40 Geschäftsstelle: Hochsauerlandkreis, Fachdienst Kultur/Musikschule, Karin Kraft, Telefon (02 91) 94-14 62, Telefax (02 91) 9 42 61 71, Anja Hagedorn, Telefon (02 91) 94-14 65, e-mail: [email protected], Postfach 14 65, 59870 Meschede Internet: www.sauerlaender-heimatbund.de Konten: Sparkasse Arnsberg-Sundern (BLZ 466 500 05) 4 000 600. Jahresbeitrag zum Sauerländer Heimatbund einschließlich des Bezuges dieser Zeitschrift 12,– EUR. Einzelpreis 3,50 EUR. Erscheinungsweise vierteljährlich. Redaktion: Günther Becker, Lennestadt. Werner Cordes, Attendorn. Dr. Theo Bönemann, Menden. Susanne Falk, Lennestadt. Norbert Föckeler, Brilon. Professor Dr. Hubertus Halbfas, Drolshagen. Heinz Lettermann, Bigge-Olsberg. Dr. Adalbert Müllmann, Brilon. Heinz-Josef Padberg, Meschede. Dr. Erika Richter, Meschede. Michael Schmitt, Sundern. Dr. Jürgen Schulte-Hobein, Arnsberg. Dieter Wiethoff, Meschede. Dieter Wurm, Meschede. Schlussredaktion: Hans Wevering, Schloßstr. 54, 59821 Arnsberg, Tel. (0 29 31) 32 62, Fax (0 29 31) 1 29 83, e-mail: [email protected], Martin Reuther, Alter Soestweg 85, 59821 Arnsberg, Tel. (02 91) 94-14 58, e-mail: [email protected] Redaktionsanschrift: Sauerländer Heimatbund, Postfach 14 65, 59870 Meschede Lithografie, Layout und techn. Redaktion: Hans Wevering, Schloßstraße 54, 59821 Arnsberg, Tel. (0 29 31) 32 62, Fax (0 29 31) 1 29 83, e-mail: [email protected] Druck: becker druck, F. W. Becker GmbH, Grafenstraße 46, 59821 Arnsberg, Tel. (0 29 31) 52 19-0 Anzeigenverwaltung: becker druck, F. W. Becker GmbH, Grafenstr. 46, 59821 Arnsberg, Tel. (0 29 31) 52 19-21, Fax (0 29 31) 52 19-6 21. Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 9 vom 1. Jan. 2006. 140 JAHRE DIE JUBILÄUMSFLASCHE ei Ganz Alter Schneider handelt es sich um eine ausgesprochen hochwertige Spezialität, die sich in ihrem Stammgebiet - dem Sauerland traditioneller Beliebtheit erfreut. ieser Edel-Kornbrand mit 38% vol. lagert mindestens 2 Jahre in kleinen LimousinEichenholzfässern und bekommt so seinen besonderen bernsteinfarbenen Glanz und die milde, feine und weiche Note. Er wurde 4x mit dem Goldenen Preis der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG), Frankfurt ausgezeichnet. Sparkassen-Finanzgruppe en: s s a l n erate Jetzt b ente“ -R p u r ü „R rsorge, tersvo l rt! A a e p n s i E n r ue die Ste Gut, wenn man auf der sicheren Seite ist. 9 Pfändungsschutz 9 Insolvenzsicherheit 9 Hinterbliebenenrente 9 und vieles mehr Sparkassen im Hochsauerlandkreis