Laudatio 2012 - Festival des deutschen Films

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Laudatio 2012 - Festival des deutschen Films
Es gilt das gesprochene Wort. Sperrfrist 20.6.2012, 21 Uhr.
PREIS FÜR SCHAUSPIELKUNST AN OTTO SANDER
Laudatio von Dr. Michael Kötz ©
20. Juni 2012
Meine Damen und Herren,
ich darf Sie herzlich begrüssen zu diesem besonderen Abend des 8. Festival des deutschen
Films, zur Verleihung des diesjährigen „Preises für Schauspielkunst“.
Der Abend, meine Damen und Herren, soll Ihnen gehören, hauptsächlich aber doch einem
Mann, der zu den ganz Grossen gehört, wenn es um die Kunst des Schauspielens in
Deutschland geht – und mit tiefer Bewunderung, meine Damen und Herren, darf ich ihn
begrüssen bei uns – Otto Sander!
Manchmal ist die Aufgabe ein bisschen grösser als es einem lieb ist, so gewaltig ist der
Respekt, und sei der Mann selbst auch noch so freundlich und bescheiden, vor dem
ungeheuren Ausmass der bisherigen Lebensleistung, und ich darf Ihnen verraten, ich hab gar
nicht gewusst, wo ich anfangen soll. Es sind nicht nur Dutzende und Aberdutzende von
Filmrollen und eine nahezu unendliche Kette von Hörspielen und Sprechrollen aller Art, es ist
eben obendrein auch so, dass dieser Mann mit seiner Wirkung und Eindringlichkeit deutsche
Theatergeschichte geschrieben hat, weshalb es ganz unmöglich ist, diesen Otto Sander hier
nur als Filmschauspieler zu ehren, der er zwar auch aber eben überhaupt nicht nur ist.
So gesehen waren auch unsere Ausschnitte zu Beginn weniger als der halbe Otto Sander.
Ich würde viele Stunden brauchen, um Ihnen auch nur halbwegs nahe zu bringen, was dieser
Künstler aus Peine bei Hannover, rothaarig, hager und schon von der Gestalt her ein eben
ganz besonderer Typ, in seinem bisherigen Leben geleistet hat. Er und alle, die ihn gut
kennen, mögen mir also verzeihen, dass es nur Ausschnitte und Schlaglichter sein können, die
ich Ihnen heute hier präsentiere. Und gleich vorweg möchte ich Reklame machen für ein
Buch, das zu einem der schönsten Künstlerporträts gehört, die ich seit langem gelesen habe,
nämlich das Buch mit dem Titel „Otto Sander“, von Klaus Dermutz und Karin Meßlinger,
erschienen im Henschel-Verlag vor 10 Jahren, nicht mehr so leicht zu kriegen im Buchhandel,
problemlos aber im Internet, Merke „Otto Sander, Henschel-Verlag“.
Es wäre geradezu unfair, nicht für dieses Buch zu werben, wo ich ihm doch mindestens die
Hälfte meiner heutigen Rede verdanke.
Peine bei Hannover also, wo es so manch anderen schlanken Rothaarigen gab und gibt und
doch nur einen, den alle kennen, geboren am 30. Juni 1941, weshalb ich vorschlage, wir
gratulieren ihm schon mal, wenn auch 10 Tage zu früh – unseren Glückwunsch Otto Sander
zum 71!
Dass es komisch ist, wie schnell die Zeit vergeht, ist klar, und dass sich Otto Sander vielleicht
sogar selber manchmal wundert, dass er noch so heil auf der Welt ist, auch. Denn auf
Sicherheit hat er nie gespielt. Vielleicht, weil er mitten im Krieg zur Welt kam und sein Vater
diesen nur mühsam überlebt hat? Der Regisseur Leander Haußmann vergleicht ihn deshalb
nicht zufällig mit einem „risikofreudigen Bomberpiloten“, wie er sagt. „Man denkt, er stürzt
gleich ab, aber im letzten Moment reißt er das Steuer hoch und schwingt sich in gefährliche
Höhen, mit Looping und allem. Er kann einem schon Angst machen, der Otto.“
Weshalb der Untertitel des Buches, das ich eben erwähnte, ja auch lautet: „Ein Hauch von
Anarchie darf schon dabei sein...“ Das Risiko, der volle Einsatz, Sander sagt selbst:
„Eigentlich eine ständige Nervenüberreizung“, und immer verschwenderisch im Umgang mit
der eigenen Ökonomie, niemals wirklich haushaltend mit den eigenen Kräften, und immer,
schreibt Gerhard Stadelmaier in der F.A.Z. seien bei ihm „mögliche Schmerzen unterm
wissenden Lächeln des großen Komikers begraben“.
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Otto Sander macht in Kassel Abitur und geht danach zur Marine, die er als Fähnrich zur See
verlässt. Ein schönes Bild an sich. In München studiert er fünf Jahre lang Literatur- und
Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte, Philosophie. Er geht dann 1964 auf die Münchner
Otto-Falckenberg-Schule, die er aber mit einer externen Prüfung abschließt, weil man ihn
vorher von der Schule wieder verwiesen hat – wenn das stimmt, muss er mal erzählen,
warum. Wie gesagt, der Untertitel des Buches heißt: „Ein Hauch von Anarchie darf schon
dabei sein...“
Mit großem Respekt verschlingt Sander die Arbeit und das Können seiner großen arrivierten
Kollegen und gleichzeitig ergattert er sich, während seine Kollegen Komparsen sind, eine
erste kleine Rolle unter der Regie von Fritz Kortner an den Münchner Kammerspielen,
Shakespeares Richard III. Übrigens sei Peter Stein damals Kortners Assi gewesen, erzählt
Otto Sander, der Kaffeeholer, nennt er das, so habe er ihn kennengelernt...
Ein erstes richtiges Theaterdebüt gibt er dann in Düsseldorf, 1965, Kammerspiele,
Avantgarde-Underground-Theater mit einem Stück von Vaclav Havel. Danach Heidelberg,
Stadttheater; jetzt gabs 500 Mark und er hat 550 verlangt. Und gemeinsam mit Ulrich
Wildgruber, Anfänger` wie er, holen sie den jungen Claus Peymann nach Heidelberg, damit
er dort inszeniert, Ende der 60er Jahre und mitten in der Grossen Kulturrevolution, hätte ich
jetzt beinah gesagt: den großen Umwälzungen von 68. Bald reizt ihn das experimentelle
Kontrastprogramm der Freien Volksbühne in Berlin-West, Samstags um 23 Uhr, ein gewisser
Peter Zadek inszeniert hier, und dann auch Claus Peymann. In Tschechows „Der
Kirschgarten“ ist Otto Sander der Jascha – und der Aufstieg beginnt. Es ist ein Aufstieg im
Kollektiv, um es in der Terminologie von damals zu sagen. Denn mit Beginn der 70er Jahre
sammelt ein gewisser Peter Stein an der Schaubühne in Berlin all jene, die mit Otto Sander
berühmt werden werden, das Ensemble aus Jutta Lampe, Bruno Ganz, Edith Clever und
vielen anderen. Der Otto Sander, der sah dabei perfekt aus wie ein Revolutionär aus dem
Bilderbuch: rothaarig und bärtig und schlank-schlacksig, nervös und entschlossen zu jedem
Kampf. Wir befinden uns in diesen frühen 70ern in einer Zeit, die alle, die damals noch in den
Kindergarten gingen, niemals verstehen werden. Denn wo heute jeder froh ist, wenn er sich
was leisten kann und glücklich, wenn er zum Bürgertum oder dem, was davon noch übrig ist,
gehört, da beherrschten zu jener Zeit die Selbstzweifel, die Selbstkritik in fast maoistischer
Dimension das innere Terrain der Bürgerkinder – und entsprechend Furore machen damals
„Die Sommergäste“, Gorkis Stück von 1904, inszeniert von Peter Stein und seiner
Schauspieltruppe, nämlich als Einsetzen für die Gesellschaft statt Spießertum und eitlem
Müßiggang, hier aber auch als neue Lebensfreude in Szene gesetzt. Das saß und traf den
Zeitgeist mitten ins Herz. Und ich könnte wetten, dass das Stück nach dem Schließen des
Vorhangs direkt weiterging, und zwar in Otto Sanders Wohnung. Und die andern waren auch
dabei und alle haben jetzt mal gesagt, was sie wirklich denken. Otto Sander jedenfalls
bestimmt.
10 Jahre später – die Revolution ist doch nicht erfolgt – darf auch wieder gelacht werden, was
Otto Sander ohnehin sehr gerne macht. Es gibt zwar auch Robert Wilson oder Samuel
Beckett, aber auch die Komödien kommen jetzt in Sanders Blick, das Boulevard, was
Leichtes, das Lachen der Außenseiter, Leben jenseits des Vernünftigen, des manchmal
fruchtbar Absichtsvollen. Aber ein Dauerzustand wird das auch nicht.
1989 spielt er bei Peter Zadek im Theater am Kurfürstendamm und in den 90ern ist er dabei,
wenn Thomas Bernhard seine Angriffe auf die ehrwürdigen Salzburger Festspiele führt, in
Salzburg selbst oder in Wien. Im Schauspielhaus Zürich ist Otto Sander dann bei Botho
Strauß. Sie sehen also, ich hatte Recht: dass dieser Mann mit seiner Wirkung und
Eindringlichkeit deutsche Theatergeschichte geschrieben hat. Und nie hatte er dabei
irgendeine Art von Distanz zu dem, was er tat. Er fing an, wie er sagt, seinen absurden Alltag
in Tagebüchern festzuhalten, diese nächtelangen Gespräche über Gott und die Welt, bei
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besagter „permanenter Nervenüberreizung“ und vermutlich Hektolitern von Trinkbarem. So
gesehen, verehrter Otto Sander, ist es alles andere als selbstverständlich in zehn Tagen den 71.
zu feiern, und das mit einem Lächeln und mitten in der Arbeit. Vielleicht hat er das aber auch
jemand anderem zu verdanken, jemandem, dem Otto Sander bei aller Hektik und Aufregung
des Schauspielerlebens dann Jahrzehntelang die Treue hält, seiner Frau nämlich, die
eigentlich heute hier sein wollte, aber – und auch das gehört ja zum Leben – zu einer
Beerdigung muss.
1973, glaube ich, war es, als er sie traf, die Kollegin Monika Hansen, die zwei ziemlich kleine
Kinder mitbrachte, den Ben Becker und die Meret Becker, die sie heute alle kennen als
großartige jüngere Schauspieler. Otto Sander wurde ihr Vater – und zwar nicht nur auf dem
Papier, sondern ziemlich real. Ich denke, er hat sie geprägt. Diese Familie wird ihn am Leben
gehalten haben all die Jahre, von denen Otto Sander erzählt, er habe sich damals stets von
einem Job erholt, in dem er den nächsten annahm, der aber erfrischend anders war. Wer also
ist Otto Sander? Eigentlich ein ziemlich diskret-verschlossener Mensch, hannoveranisch
vielleicht. Er lebe davon, dass er es ziemlich gut gehabt haben müsse als er klein war, erzählt
er, dass er von damals die Kräfte des Weichen, Offenen, Zarten habe. Und zu seiner
Schüchternheit müsse er sich eben bekennen. Wobei das schon eine seltsame, eine sehr
verborgene Form von Schüchternheit ist, wenn einer sich so präsentieren kann wie Otto
Sander. Aber es ist typisch für ihn, dass er von ihr spricht, der Schüchternheit, die man gar
nicht haben kann, wenn man so von ihr zu berichten weiß, oder eben doch, aber eben anders.
Und treffsicher erzählt er dann von Charles Chaplin, bei dem er in seinen Filmen dieselbe
heimliche Angst vor den Menschen gesehen habe. Und dass er vielleicht noch lernen müsse,
auch seine zu formulieren, dann gäbe es vielleicht was zu Lachen. Aber er blute nicht im
Verborgenen und Depressionen hielten sich in Grenzen. Er hätte auch Schriftsteller werden
können, der Otto Sander, Sie merken es.
Aber was ist mit dem Film? Den hätten wir jetzt beinah ganz vergessen vor lauter Ehrfurcht
gegenüber seinem Wirken im deutschen Theater.
Es war Roland Klick, der ihn zum Film brachte. „Ludwig“ hieß der Kurzfilm und er erhielt
eine „Kulturfilmprämie des Bundesinnenministers“ 1963. Ich vermute übrigens, dass er die in
Mannheim erhielt, auf der „Mannheimer Kultur- und Dokumentarfilmwoche“, dem heutigen
Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg, das wir auch verantworten und wo
dereinst in den 50ern und frühen 60ern stets diese Kulturfilmprämien der Bundesregierung
vergeben wurden. Otto Sander ist bei vielen damaligen Kurzfilmen und Abschlussfilmen der
DFFB, der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin dabei. Aber auch schon bei
größeren Filmen, bei „Nicht fummeln, Liebling“ von 1969, bei „Einer von uns beiden“, dem
ersten Thriller des späteren Hollywood-Regisseurs Wolfgang Petersen, 1973, bei den
„Berlin-Übungen“ von Rebecca Horn, 1975 – den ersten Rauminstallationen der großen
Künstlerin, dann natürlich 1975, als die „Sommergäste“ in der Regie von Peter Stein, Kamera
Michael Ballhaus, auch ein Film werden, dem man heute übrigens mühelos als DVD kaufen
kann. 1976 ist Otto Sander der Forstmeister, der Bruder der Marquise, nämlich der „Marquise
von O“, nach Heinrich von Kleist, in der Regie von Eric Rohmer, den Sie sich ebenfalls
unbedingt in Ihre DVD-Sammlung stellen sollten. Ebenso wie dieses Werk von 1978: „Die
Blechtrommel“ nämlich, von Günter Grass, Regie Volker Schlöndorff – mit Otto Sander als
Musiker, der als glühender Nazi mit Feuereifer zur SA geht und den Otto Sander kraft seiner
subtilen Darstellung trotzdem als jemanden zeigt, der das gar nicht so souverän, sondern eher
aus Trotz und aus Trauer gegenüber dem Leben macht.
1979 wird Otto Sander in „Palermo oder Wolfsburg“ zum Vorurteilsbeladenen Staatsanwalt,
dem wunderbaren Film von Werner Schroeter, den wir hier auf der Insel noch vor kurzem zu
Gast hatten, mit seinem letzten Film „Diese Nacht“, bei seinem letzten Besuch eines
Festivals.
1980 spielt Otto Sander in „Die Ursache“ von Michael Verhoeven den Dichter Anton Seiler,
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und dann hat er das Glück bei einem Film mitzuwirken, der weltweit Furore macht, 1980 war
das, und der Film heißt „Das Boot“, Regie Wolfgang Petersen. Otto Sander ist hier der
Kapitän Thomsen, und in einer wunderbaren Szene gibt er sturzbetrunken zu erkennen, was er
als Marineoffizier alter Schule vom großen Flottensachverständigen, wie er dort sagt, und
unbeweibten Führer und Malerlehring aus Österreich hält. Und einen zentralen Blick des
Films darf Otto Sander werfen, nämlich auf das vor ihm auslaufende U-Boot, seinem
Schicksal entgegen - und die ganze Sinnlosigkeit der kommenden Ereignisse lässt Sander hier
sich auf seinem Gesicht spiegeln. Ich sage das, obwohl ich „Das Boot“ damals als Kritiker
eindeutig nicht mochte. Denn von Buchheim als autobiografischer Anti-Kriegsroman
geschrieben, wirkte der Film am Ende doch eher wie ein Heldenepos von den tapferen Jungs,
wofür die ihn darauf konditionierten Zuschauer in den USA auch sehr geliebt haben. Es war
dieser Blick von Otto Sander, der Blick auf das tapfer-tragisch auslaufende U-Boot, der in
diesem Film sozusagen den skeptischen Gegenakzent aus Europa gesetzt hat.
1983, in „Eine Liebe in Deutschland“ von Andrzej Wajda, dem polnischen Meisterregisseur,
inszeniert nach Rolf Hochhuth, ist Otto Sander der Erzähler, der sich mit seinem 17-jährigen
Sohn in die Vergangenheit aufmacht, und Ben Becker spielt ihn.
Dann 1985 „Rosa Luxemburg“ von Margarethe von Trotta. Otto Sander in einer Rolle, die
buchstäblich für ihn und nur ihn geschnitzt war: Karl Liebknecht spielt er. Und er liest alles,
was er kriegen kann, um diesem ja historisch realen Menschen gerecht zu werden: vor allem
die Gestik und die Redeweise wollte er haben. Und jetzt ist es so, dass sein Liebknecht
geradezu die Verkörperung des Liebknechts geworden ist, auf lange Zeit hin, so plastisch und
glaubhaft wirkt er in diesem Film. Barbara Sukowa, die hier Rosa Luxemburg spielt,
hingegen bleibt da, für mich jedenfalls, viel eher die Sukowa. Sander aber verschwindet
buchstäblich in seiner Rolle, am 1. Mai 1916 zum Beispiel, in der großen Kundgebung in
Berlin. Schauen Sie mal nach!
Und ein Jahr später ist Otto Sander schon Richard Wagner – in „Richard und Cosima“, mit
hochmütiger Lebensenergie und innerer Verzweiflung, aber auch, wie Sander sagt, „das
Genie in Unterhosen zeigend“, „am Monument kratzend“.
1986 dann einer seiner besten Rollen in einem großartigen Film: „Der Himmel über Berlin“
von Wim Wenders. Einen Engel spielt er hier. Aber wie spielt man den? Wo es ihn doch nicht
gibt und wenn, dann nur in der Einbildung, dort aber dann wirklich: „als Begriff von den
Dingen, ohne sinnliche Form“, wie Sander sagt, oder als „Experten ohne Erfahrung“, wie es
beim Drehen hieß als Arbeitsbegriff. Otto Sander ist hier ein Engel, der sich verbietet, ein
Mensch sein zu wollen. Weshalb Wim Wenders auch zwei Jahre später, nämlich nach der
Wende, der Maueröffnung, die im „Himmel über Berlin“ noch gar nicht denkbar erscheint,
eine Fortsetzung dreht mit dem Titel „In weiter Ferne, so nah“. Und der Engel Otto Sander
steht jetzt hoch oben auf der Siegessäule, dem goldenen Engel von Berlin, schaut sich die
Menschen an und sagt: Ihr seht uns nicht und hört uns nicht und glaubt uns in weiter Ferne,
aber wir sind da. Und unterschwellig ist die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands dafür
der Beweis. Als Engel darf Otto Sander hier Michail Gorbatschow deshalb die Hand auf die
Schulter legen. Selten ist ein Film der wirklichen Geschichte so nah.
Und Wim Wenders sagt über Otto Sander, er habe die Schwere und die Leichtigkeit des Seins
immer beide und zur selben Zeit.
Stichwort Leichtigkeit. Otto Sander, ich sagte es schon, liebt auch das Leichte. Es sei das
Ernsteste, was es gibt, Zuschauer zum Lachen zu bringen, sagt er. Und Filmkomödien habe er
immer besonders geliebt. Aus einer Liebe zum Abseitigen nämlich, der leicht versetzten
Annäherung. „Der Mann im Pyjama“ 1981, mit Elke Sommer, oder „Wer spinnt denn da,
Herr Doktor?“, „Nicht fummeln, Liebling“, „Meine Sorgen möchte ich haben“ von Wolf
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Gremm 1974, mit Sunnyi Melles, oder die Kriminalkomödie „Der Bruch“ von Frank Beyer,
mit Götz George und Ralf Hoppe.
Und dann die eine Million Fernsehrollen: „Vier gegen die Bank“, „Gentlemen in roten
Zahlen“, „Plastikfieber“, „Polizeiruf 110“, die zahlreichen „Tatorts“, aber auch
„Nikolaikirche“ 1995 , in der Otto Sander der Superintendent ist und Ulrich Mühe ist der
Pfarrer. Im Jahr 2000 spielt er mit Gerard Depardieu in „Les Miserables“, einer großen
europäischen Fernsehproduktion.
Und hat er auch selbst Regie geführt? Am eindrucksvollsten mit dem Film „Gedächtnis“,
1981, einem Dokumentarfilm über Curt Bois und Bernhard Minetti, die zwei berühmten
Schauspieler. Otto Sander teilt sich hier die Regie mit Bruno Ganz und eine gemeinsame
Reflexion über den Beruf des Schauspielers ist die Folge – mit einer wunderbaren Szene, in
der Curt Bois den Spieß umdreht und die beiden Regisseure befragt, die das erst gar nicht
merken. Ein Film ganz ohne den Gestus von jemandem, der etwas über jemanden sagt und
eher ein Werk des Respekts und des selber darin verstrickt Seins.
Und etwas anderes dürfen wir hier auch nicht vergessen, auf gar keinen Fall, meine Damen
und Herren, und das ist: Otto Sanders Stimme! Die Kunst des Sprechens, die eigentlich die
der Pausen ist, des Nachklingen-Lassens und der Ahnungen der Zuhörer, ich würde sagen: des
sich in seine Zuhörer Versetzens, die eben nie hören, ohne sich selbst etwas zu denken und
vorzustellen und deren Verbündeter man sozusagen sein muss, nicht der, der sie belehrt oder
aufklärt, sondern der, der mit ihnen gemeinsam etwas erkundet... Wobei das jetzt nicht die
Worte von Otto Sander waren, sondern von mir, der ich ja ebenfalls gerne und viel rede –
leider aber ohne dieses wunderbare Spektrum an Zwischentönen, am Singen und Klingen Lassen des Otto Sander. In sage und schreibe über 200 Hörspielen, und ich weiß nicht wie
vielen Lesungen, hat er das zu einer echten Meisterschaft gebracht, dieses Sprechen des Otto
Sander, dabei immer Regisseur seiner selbst. Denn ich glaube nicht, dass einer eine Chance
hätte, ihm reinzureden, wenn er erstmal erzählt. Und was ich viel umständlicher formulierte,
das fast Otto Sander in einem einzigen Satz über seine Kunst des Erzählens: Nie selber schon
bewerten, was man sagt.
2005 spielt Otto Sander in „Das Parfüm“ von Tom Tykwer, 2006 in „Das Herz ist ein dunkler
Wald“ von Nicolette Krebitz – hier auf der Insel zu sehen. 2009 in „Das Leben ist zu lang“
von Dani Levy - und 2011 in „Bis zum Horizont, dann links!“ von Bernd Böhlich – als Chef
einer Seniorengruppe beim Abhauen aus der Wirklichkeit. Vielleicht nicht die schwerste
schauspielerische Herausforderung seiner Laufbahn aber die zwischenzeitlich jüngste.
Weshalb wir sie Ihnen gern nachher präsentieren möchten – als kleinen und gemessen an der
ungeheuren Leistung dieses Otto Sander geradezu verscheidend kleinen Einblicks in seine
Fähigkeiten.
Otto Sander hat für seine Leistungen 1979 den Deutschen Kritikerpreis erhalten, 1980 und
dann noch einmal 1989 den Deutschen Darstellerpreis, 1982 den Ernst-Lubitsch-Preis, 1997
den Berliner Bär, 2008 die Berlinale Kamera, 2010 den Deutschen Vorlesepreis.
Meine Damen und Herren, ich bin ganz sicher, dass Sie mir zustimmen, dass er unseren
diesjährigen „Preis für Schauspielkunst 2012“ mit einem Recht erhält wie kaum ein anderer.
Bitte begrüßen Sie mit mir – Otto Sander !