Johannes Gutenberg-Universitä t Mainz FB - ingo
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Universita t: Johannes Gutenberg-Universita t Mainz Fachbereich: FB Sozialwissenschaften, Institut fur Soziologie Dozent: Dr. R. Sudek Ubung: Jugendsoziologie Autor: Ingo Ostwald Thema: Die gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreicht Studienfa cher: Mathematik (7), Sozialkunde (7) und Informatik (3) auf Lehramt Adresse: Talstra䔠 e 68 / 55218 Ingelheim Telefon: 07000 ostwald (= 07000 6789253) e-mail: [email protected] Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . G Gliederung der vorliegenden Arbeit: 0. Einleitung 1 1. Einfu hrung und Schwerpunkte der 12. Shell Jugendstudie ´Jugend “97ä 1 1.1 Das Jugendwerk der Deutschen Shell 1 1.2 Ausgangslage, Methoden und Schwerpunkte der 12. Shell-Jugendstudie 2 2. Befunde zur Lebenssituation Jugendlicher 3 2.1 Hauptprobleme Jugendlicher 3 2.2 Die Jugend als u bergangsphase 5 2.3 Zukunftsvisionen der Jugend 7 2.4 Jugendkultur und Freizeitpraferenzen 8 2.5 Demokratieverdrossenheit 9 2.6 Politische Aktivitaten, Motivationen und Wertorientierungen 11 3. Fazit 13 3.1 Bewertung des methodischen Vorgehens 13 3.2 Bewertung der inhaltlichen Aussagen 14 4. Literaturverzeichnis 15 Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 1 Einleitung 0. In dieser Arbeit mo chte ich die wesentlichen Aussagen der 12. Studie des Jugendwerks der Deutschen Shell ´Jugend “97äherausstellen und zueinander in Bezug setzen. Dabei liegt der Schwerpunkt nicht auf einer exakten Analyse der statistischen Erhebungen, z umal diese sicher den Rahmen einer solchen Arbeit sprengen w u rden, sondern vielmehr auf der Bedeutung der Folgerungen, insbesondere der These der Autoren der Studie: ´Die gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreichtä . Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: In Kapitel 1 wird zunachst erlautert, was eigentlich eine Shell-Studie ist (1.1), worin die Schwerpunkte und methodischen Besonderheiten dieser Studie liegen und von we lcher Definition von Jugend die Autoren ausgingen (1.2). Kapitel 2 befaÜt sich mit der aktuellen Lebenslage Jugendlicher und ihrer Bedeutung f u r die Jugend als Lebensphase. Hierfu r wird zunachst auf die Hauptprobleme Jugendlicher (2.1) und deren Auswirkungen auf die Jugend als Ubergangsphase (2.2) und die Zukunftsvisionen Jugendlicher (2.3) eingegangen, dann werden Kultur und Freizeitpraferenzen der Jugend analysiert (2.4), die Frage nach Politikverdrossenheit der Jugend diskutiert (2.5) und schlieÜlich eroiert, in welcher Form sich Jugendliche aufgrund welcher Motivationen und Werte engagieren oder dies eben nicht tun (2.6). Das Fazit (Kapitel 3) ist eine perso nliche Stellungnahme zur Shell-Studie unter Einbeziehung verschiedener o ffentlicher A uÜerungen bzgl. der Studie. Den AbschluÜ bildet das Literaturverzeichnis (Punkt 4). Zu diesem und zur Zitie rweise sei noch angemerkt, daÜ einige Internet-Vero ffentlichungen benutzt wurden, die u ber keine Seitenangaben verfu gen. 1. Einfu hrung und Schwerpunkte der 12. Shell Jugendstudie ´Jugend “97ä 1.1 Das Jugendwerk der Deutschen Shell Das Jugendwerk der Deutschen Shell gru ndete sich 1950 mit dem Ziel, ´nicht nur finanzielle Unterstu tzung [zu] liefern, sondern Problemfelder von Jug endlichen [zu] erkennen 1 und aktiv an Lo sungen mit[zu]arbeiten.ä Sein Engagement erstreckte sich u ber Aktivita- ten wie z.B. die Ausru stung von Kindertagesstatten, die Gestaltung von Ferienfreizeitprogrammen oder die Durchfu hrung von Kinderfreizeiten und Sportveranstaltungen. Im 1 Deutsche Shell (Hrsg.) 1997 Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 2 Laufe der Jahre bildeten sich die Bereiche Jugendverkehrserziehung und Jugendfo rschung als Schwerpunkte heraus. Wahrend die Verkehrserziehung inzwischen ein fester Bestandteil der Grundschule ist, gelten die Shell-Studien als ´Gradmesser fu r Befindlich2 keit der Jugend im Land.ä Die Idee der Jugendstudien ist in den 50er Jahren aufgrund des Bedarfs von Erziehern und Jugendbetreuern an ´wissenschaftlich fundierten Unterla3 gen u ber Meinungen und Verhaltensweisen der Nachkriegsjugend im Bun desgebietä entstanden. Seit 1953 beauftragt die Deutsche Shell in Abstanden von mehreren Jahren fu hrende Meinungsforschungsinstitute mit der Durchf u hrung entsprechender Studien, stellt die notwendigen Mittel zur Verfu gung, nimmt jedoch keinen EinfluÜ auf den Inhalt. 1.2 Ausgangslage, Methoden und Schwerpunkte der 12. Shell-Jugendstudie Die von Arthur Fischer (Meinungsforschungsinstituts Psydata in Frankfurt) und Prof. Dr. Richard Mu nchmeier (Institut fu r Sozial- und Kleinkindpadagogik der FU Berlin) verfaÜte 12. Shell-Studie wurde der O ffentlichkeit am 13.05.97 prasentiert und beleuchtet somit die Lebenslage der Jugendlichen im Hinblick auf die knapp 10 Jahre zuru ckliegende Wiedervereinigung. Im Gegensatz zu den vorangehenden Studien se tzte sich die 12. Studie ein Thema: Ziel war die Analyse der Voraussetzungen, Motive und Formen sowie des Verstandnisses des sozialen, gesellschaftlichen und politischen Engagements Jugendl icher. Die Studie versuchte, ´Jungsein aus der Perspektive der Jugendlichen selbst zu 4 portratierenä und ´zu erfahren, wie sie fu r sich selbst Politik und (politsches) Engage5 ment definierenä , ohne dabei einer Festlegung durch Erwachsene zu unterliegen. Um die tatsachliche Lebensrealitat Jugendlicher und deren Verstandnis von Jungsein beschreiben zu ko nnen, wurden 19 biografische Portraits angefertigt und 60 narrative Interviews gefu hrt. Aus den Ergebnissen dieser qualitativen Studie heraus entstand das Instrumentarium fu r die darauffolgende quantitative Fragebogenerhebung unter 2100 reprasentativ ausgewahlten Jugendlichen zwischen 12 und 24 Jahren. Hierbei wurden offene Fragen gestellt, die Antworten also nicht vorgegeben. Zudem wurden neue Ma Üskalen entwickelt, da traditionelle Skalen der politischen Sozialisationsforschung der Realitat nicht mehr zu entsprechen schienen, so konnte z.B. der Eintritt in politische O rgani2 3 4 5 Feddersen 1997 [die tageszeitung (taz), 14.05.98] Deutsche Shell (Hrsg.) 1997 Fischer/Mu nschmeier 1997, S.11 Freitag 1998 Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 3 sationen nicht mehr als Indikator fu r die Engagementbereitschaft Jugendlicher dienen. Trotz der Eingrenzung auf ein Thema folgt die 12. Shell-Jugendstudie damit methodisch 6 ihren Vorgangern, ko nnte als ´thematisch ausgerichtete Panoramastudieä bezeichnet werden. Die Analyse der Hauptprobleme Jugendlicher setzt eine zumindest kurze Besch aftigung mit der Frage daru ber, was Jugend eigentlich heiÜt, voraus. Jugend ist zum einen ´eine subjektive biographische Lebensphase [...] der inneren Entwicklung, des Lernens, und 7 der Identitatsbildungä , zum anderen auch eine gesellschaftlich bestimmte Lebenslage, verbunden mit gesellschaftlichen Bedingungen und Erwartungen mi t dem Ziel des Erwachsenwerdens, der Vorbereitung auf die Arbeitswelt und der Verbindung von Gege nwart und Zukunft. Dieser Definition folgend ist Jugend eine Ubergangsphase, eine Zwischenstellung zwischen Nicht-mehr-Kind- und Noch-nicht-Erwachsen-Sein und hat nur dann Zukunft, wenn sie nach den Zukunftsmo glichkeiten der Gesellschaft ausgerichtet ist. Die Qualitat von Jugend ist demnach abhangig vom Gelingen und der Sinnhaftigkeit der Einfu gung dieser Lebensphase in den Lebenslauf und der Frage, ob die Jugen d Zukunft ero ffnet, nicht aber primar von Wohlstandsniveau, Qualifikationsmo glichkeiten und 8 Lebensqualitat. Aussagen wie ´Der Jugend ging es noch nie so gut wie heuteä mo gen zwar auf den Lebensstandard, nicht aber unbedingt auf die Zukunftsaussichten und damit auf die eigentliche Qualitat von Jugend zutreffen.9 2. Befunde zur Lebenssituation Jugendlicher 2.1 Hauptprobleme Jugendlicher Um zu ergru nden, in welchen Problemen Jugendliche Hauptprobleme sehen, wurden zwei verschiedene Befragungsmethoden angewendet: Zum einen wurde die Frage ´Welches sind nach Deiner Meinung die Hauptprobleme der Jugendlichen heute? äoffen gestellt, zum anderen wurden den Jugendlichen Antworten vorgegeben, unter denen sie 6 7 8 9 Fischer/Mu nchmeier 1997, S.13 Fischer/Mu nchmeier 1997, S.13 Fischer/Mu nchmeier 1997, S.277 vgl. Fischer/Mu nchmeier 1997, S.13 und S.277f. Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 4 beliebig viele ankreuzen konnten. Bei der offenen Frageform gaben die Befragten im Schnitt drei Antworten.10 Das Problem der Arbeitslosigkeit wurde von fast jedem zweiten Jugendlichen genannt (45,3%), bei der geschlossenen Frage bezeichneten es 92% der Befragten als gro Ües oder sehr groÜes Problem. Unter den Berufstatigen (64,4%) ist die Problemwahrnehmung sogar deutlicher als unter den Arbeitslosen (62,4%), mit dem Erlangen der E rwerbstatigkeit stellt sich also offenbar subjektiv nicht das Gefu hl langfristiger Sicherheit ein. Des weiteren ist festzustellen, daÜ mit zunehmenden Alter auch die Problemwahrnehmung zunimmt. Fu r 12- bis 14-Jahrige, die sich in der Ubergangsphase vom Kind zum Jugendlichen und auf der Suche nach Selbstandigkeit und eigener Identitat befinden, stehen Schul- und Ausbildungsprobleme (43,9%), Probleme mit Personen im Nahbereich (41,0%), z.B. Autoritatskonflikte aufgrund der Abkopplung von der Familie, und Drogenprobleme (38,3%), die ihre Ursache sicher in der Hinwendung zu (experimentie rfreudigen) Peers haben, deutlich vor Lehrstellenmangel (18,2%) und Arbeitslosigkeit (18,0%). Fu r Personen in der Ubergangsphase vom Jugendlichen zum Erwachsenen, die zwar soziokulturell selbstandig, aber meist noch o konomisch abhangig sind, ist die Arbeitslosigkeit dagegen aufgrund der starkeren perso nlichen Betroffenheit und unabhangig von ihrem Berufsstatus das Hauptproblem (58,5% bei den 18- bis 21-, 62,5% bei den 21- bis 24-jahrigen). Das Problem des Lehrstellenmangels bewerten Arbeitslose (35,9%) ho her als Studenten (28,3%) und Berufstatige (23,4%), die ja selbst keinen Bedarf mehr oder noch keinen Bedarf an Lehrstellen haben. Wohl aufgrund ihres wen iger festgelegten (beruflichen) Werdegangs weisen Studenten bei Zu kunftsangsten und Perspektivlosigkeit einen wesentlich ho heren Wert (42,1%) auf als Berufstatige (24,4%) und Arbeitslose (23,1%).11 Der Ost-West-Vergleich zeigt tendenziell kaum Unterschiede, wohl aber eine durchweg starkere Problemwahrnehmung im Osten; im Westen wird nur der Umweltschutz h aufiger genannt. Die subjektive Einschatzung der Jugendlichen scheint der objektiven Realitat zu folgen. So ist die Arbeitslosigkeit ist bei beiden ein groÜes Problem (45,5%/ 43,5%)12, im Osten deutlich starker vertreten sind Lehrstellenmangel (41,4%/23,8%), Mangel an Freizeitmo glichkeiten (30,2%/13,0%) und Kriminalitat, Banden und Gewalt 10 11 vgl. Fischer/Mu nchmeier 1997, S.278f. zu den Zahlenwerten in diesem und den beiden nachfolgenden Absatzen dieses Kapitels vgl. Fischer/Mu nchmeier, S.279-285, insbesondere die dort aufgefu hrten tabellarischen Ubersichten Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 5 (27,2%/17,8%). Wenn auch die fast identische Reihenfolge der Probleme zumindest eine gewisse Angleichung von Ost und West in Bezug auf Einstellungen, Werte und Ve rhaltensweisen zeigen mag, so kann in Bezug auf Lebenslagen und Zukunftsperspektiven nicht von einer solchen Angleichung gesprochen werden. Auch der Vergleich der von Jungen und Madchen ergibt eine gleiche Plazierungen bei den fu nf meistgenannten Problemen, bei jedoch unterschiedlicher Gewichtung charakteristischer Themen: Madchen nannten o fter Probleme mit Personen im Nahbereich, Arbeitslosigkeit, Drogen und Lehrstellenmangel, Jungen o fter Geldprobleme und mangelnde Freizeitmo glichkeiten. Vergleicht man mannliche und weibliche Jugendliche in West und Ost, so wird deutlich, daÜ signifikante Unterschiede nicht zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen Ost und West bestehen, die Geschlechterunterschiede werden 13 also ´durch Regionalunterschiede u berformt und modifiziertä . Insgesamt scheinen sich jedoch die strukturelle Bedingungen der Jugendphase von Jungen und M adchen angeglichen zu haben. Offenbar erleben Jugendliche anstelle eines ´typischenäEntwicklungsproblems das gesellschaftlich-o konomische Problem der Krise der Erwerbslosigkeit als ´pragende Genera14 tionenerfahrungä . Da ohne Erwerbsarbeit kann kein gesichertes Einkommen erzielt und somit auch keine gesicherte Erwachsenenexistenz erreicht werden kann, bedroht dies die eingangs erlauterte Sinnstruktur der Jugendphase, was die Autoren der Studie zu ihrer 15 Hauptthese veranlaÜte: ´Die gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreicht.ä 2.2 Die Jugend als Ubergangsphase Auf die Frage, ob die Befragten sich eher als Jugendliche oder eher als Erwachsene ei nstufen, antworteten fast zwei Drittel, sie sahen sich eher als Jugendliche. Zwischen den Geschlechtern gibt es hierbei kaum Unterschiede, wohl aber zwischen ost - und westdeutschen Jugendlichen: Der Anteil der Ostdeutschen, die sich selbst subjektiv bereits als Erwachsene ansehen, ist um ca. 10% geringer. ´Dies korrespondiert sehr auffallig mit 12 13 14 15 Der jeweils erstgenannte Wert gilt fu r Ostdeutschland, der letztgenannte fu r Westdeutschland. Fischer/Mu nchmeier 1997, S. 284 Fischer/Mu nchmeier 1997, S. 14; bei dieser Folgerung ist zu hinterfragen, ob die Formulierung der Frage mo glicherweise die Nennung gesellschaftlicher Probleme in den Vordergrund stellt; vgl. hierzu auch das Fazit. Fischer/Mu nchmeier 1997, S.13 Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 6 16 den gro Üeren Problemen des Erwachsenwerdens im Ostenä und legt die Vermutung nahe, daÜ junge Menschen sich um so langer als Jugendliche einschatzen, je gro Üer die Schwierigkeiten mit dem AbschluÜ der Jugendphase (oder deren Wahrnehmung) sind. Dies wird auch durch die Antworten auf die Frage ´Wie schnell willst du ein Erwachsener werden?äbestatigt: vor allem die, deren Ubergang in die Lebenslage Erwachsener besonders unsicher ist, wie Frauen, Arbeitslose und Ostdeutsche mo chten sich mehr Zeit lassen als Berufstatige, Westdeutsche und Manner. Die Begriffe ´Jugendlicheräund ´Erwachsenerästellen demnach eher einen sozialen als einen Altersstatus dar. Deutlich wird dies vor allem bei der Differenzierung nach dem Berufsstatus: Im Gegensatz zu Studenten (Durchschnittsalter 21,9 Jahre) f u hlen sich Jugendliche, die sich in der Berufsausbildung befinden (Durchschnittsalter 18,6 Jahre) eher schon als erwachsen. Dies liegt daran, daÜ mit dem Ende der Schulzeit und dem Beginn der Ausbildung auch tatsachlich ein wesentlicher Schritt zum Erwachsensein vollzogen wird. Studenten dagegen sind bzgl. ihrer (beruflichen) Zukunft noch wenig fes tgelegt. AuÜerdem ist das Studentsein ein relativ gesicherter, legitimer und meist auch positiv bewerteter Jugendstatus, so daÜ der Wunsch, ihn zu verlassen, nicht haufig geauÜert wird.17 Die paradoxe Aufgabe der Bewaltigung der Jugendphase scheint darin zu liegen, einerseits Erwachsenwerden zu wollen, andererseits aber jugendlich bleiben zu mu ssen. Damit entsteht eine neue Lebensphase zwischen dem klassischen Jugendalter und dem Erwachsensein, die als Postadoleszenz bezeichnet wird. Diese ist gekennzeichnet ´einerseits [durch] die Ausdehnung und Verselbstandigung eines eigenstandigen Jugendlebens mit eigenen Stilen und Mustern, andererseits [durch] eine unfreiwillige Verl angerung der 18 (o konomisch) abhangigen Jugendä . Jungbleiben wollen Jugendliche nicht aufgrund ju- gendkultureller Gesichtspunkte, .sondern um sich nicht standig an den schwieriger gewordenen Bedingungen des biografischen Ubergangs zu stoÜen, aber auch, um zugunsten spaterer besserer Chancen ihre Qualifikationsphase zu verl angern. Der schwieriger werdende Ubergang in den Beruf hat ‚ ebenso wie der Ausbau des Bildungswesens seit den 60er Jahren, die Verlangerung der Schul- und Ausbildungszeit, und der soziale und kulturelle Wandel sowohl in den Familien als auch in der Gesellschaft ‚ die Ausgangs16 17 18 Fischer/Mu nchmeier 1997, S.285 zu beiden Fragestellungen vgl. Fischer/Mu nchmeier 1997, S.285-289 Fischer/Mu nchmeier 1997, S.289 Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 7 konstellation der Jugendphase und folglich auch deren Aufgaben und Ziele, kurz die Struktur dieser Phase verandert. 2.3 Zukunftsvisionen der Jugend Um die Lebenslage Jugendlicher zu analysieren, genu gt es nicht, nur die auÜeren Lebensbedingungen zu untersuchen, auch der Bezug zur biografischen und gesellschaftlichen Zukunft spielt eine bedeutende Rolle. Bei der Frage nach der Zukunft der Gesellschaft halten sich du stere und zuversichtliche Visionen die Waage (je 50%), am skeptischsten sind 15- bis 17-jahrige und ‚ erwartungsgemaÜ ‚ Arbeitslose. Bei der letzten Perso nliche Zukunftsaussichten eher zuversichtlich gemischt eher du ster Shell-Studie 1991 blickten ‚ sicher auch auf1984 47% 44% 9% 1991 59% 37% 4% 1997 35% 51% 14% grund der Aufbruchsstimmung nach der gerade vollzogenen Wiedervereinigung ‚ noch 72% eher zuversichtlich in die Zukunft. Der eigenen Zukunft sieht jeder Zweite mit gemischten Gefu hlen entgegen, 35% eher zuversichtlich, 14% eher du ster; 1991, aber auch 1984 waren die Jugendlichen, wie nebenstehende Tabelle zeigt, noch wesentlich optimistischer. Bei beiden Fragen spiegeln geschlechts- und regionalspezifischen Unterschiede die bereits im vorangehenden Kapitel beschriebene ungleiche Verteilung der Risiken wider. Die eigene Zukunft mit gemischten Gefu hlen zu betrachten, scheint die Reaktion auf die Ambivalenz der gesellschaftlichen Zukunft zu sein. In dem Ma Üe, in dem die gesellschaftlichen Krisenphanomene zur Sozialisationserfahrung Jugendlicher werden, werden die gesellschaftlichen Zukunftsperspektiven eine zentrale Bedingung der Lebenslage; die Jugend ist kein Schonraum mehr, sondern wird mit Problemen der Lebensplanung und ‚ bewaltigung belastet. Behauptungen, daÜ der Jugend die Zukunft noch alle Wege offenstu nden, sind vor diesem Hintergrund kaum noch verifizierbar. H. Riehl -Heyse (SZ) formulierte in einem Artikel u ber die Studie, daÜ ´wenig Zweifel daran [bestehen], daÜ es junge Leute heute so schwer haben wie noch nie seit dem Krieg: mit Sicherheit schwerer als in den fu nfziger Jahren, in denen man objektiv viel armer, in denen aber 19 jeder sicher war, es ko nne nur noch aufwarts gehen.ä 19 Riehl-Hyse 1997 [Su ddeutsche Zeitung (SZ), 17.05.97]; zum vorangegangen Absatz vgl. Fischer/Mu nchmeier, S.290-293 Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 2.4 8 Jugendkulturen und Freizeitpraferenzen Traditionell spielen subkulturelle Gruppenstile Jugendlicher f u r Freizeit und kulturelle Orientierung eine groÜe Rolle. Die Studie zeigt jedoch, daÜ jugendkulturelle Stile zunehmend an Bedeutung, Ganzheitlichkeit und Abgrenzung verlieren. Jugendlichen f allt es schwer, sich mit einem bestimmten Stil zu identifizieren, statt sich von anderen abz ugrenzen greifen sie mangels eigenscho pferischer Leistung auf verschiedene Stilmittel zuru ck und nutzen diese ´poetisch und pragmatisch fu r ein individuell arrangiertes Ge20 misch.ä So werden oftmals verschiedene jugendkulturelle Stile parallel und in schneller Abfolge praktiziert und nehmen damit ahnlich schnellebige und diffuse Formen an wie die Gesellschaft selbst. Dieses Verwischen von Grenzziehungen und Polarisierungen beinhaltet eine Absage an langerfristige Verbindlichkeiten (z.B. Mitgliedschaften) und somit eine Absage an Verbands- oder Vereinskarrieren; gesellschaftliche und politische Institutionen und Organisationen sowie deren Reprasentanten werden z.T. ironisiert oder erfahren starke Ablehnung. Angenommen werden vor allem Jugendstile, ´die SpaÜ machen, Zerstreuung und Unterhaltung bieten und einen unkomplizierten Umgang mit 21 Gleichgesinnten ermo glichen.ä Vor dem Hintergrund abnehmender politischer und ideo- logischer Ausrichtung scheint es zunachst fraglich, von ´Gleichgesinntenäzu sprechen, dies erklart sich aber damit, daÜ jugendkulturelle Stile noch immer den Charakter einer Gegenwelt haben, die sich zwar nicht mehr als Alternative fu r eine bessere Gesellschaft, aber als Gegengewicht zur schwieriger gewordenen Situation im Leistungs- und Anforderungsbereich darstellt. Im Sinne einer ´Frustprophylaxeä(´SchluÜ mit frustigä )22 ru ckt die Haltung der Jugend insgesamt in eine Position des Zuschauers und begrenzten Nutz ers, des Ausprobierens und Experimentierens, nicht der Opposition und des Ausl ebens. Von einer Fun-Generation kann jedoch keine Rede sein, in der Studie heiÜt es z.B.: ´Die Freizeitbeschaftigung, die bei der SpaÜgeneration in den letzten Jahren am meisten an Be23 deutung gewonnen hat, ist ‚ die berufliche Weiterbildung.ä Bei der Vorstellung der Studie betonte Mu nchmeier diesbezu glich: ´Zwar verlangten die jungen Leute nach 24 SpaÜ, aber auch dieser sei zielgerichtet.ä Anders ausgedru ckt: ´SpaÜ ist nicht alles, 20 21 22 23 24 Kahl 1997 [taz, 15.05.97] Fischer/Mu nchmeier, S.21 beide Zitate aus: Fischer/Mu nchmeier S.21 Riehl-Heyse 1997 [SZ, 17.05.97] Schulte 1997 [Hannoversche Algemeine Zeitung (HAZ), 14.05.98] Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 9 25 aber ohne SpaÜ ist alles nichtsä , auch ´Engagement soll Jugendlichen SpaÜ machen. SpaÜ bedeutet ihnen nicht selbstbezogenes Vergnu gen, sondern die Freude am Erleben 26 der eigenen Wirksamkeit.ä Dies kann auch als Orientierungssuche in der Unu bersicht- lichkeit verstanden werden, die im u brigen von einer recht zeitintensiven selbstverst andlichen Nutzung neuer Medien flankiert wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Analyse der Vorbilder Jugendlicher: Wahrend dies in den 50er Jahren noch Personen aus dem Nahbereich ‚ wie z.B. Eltern oder Lehrer ‚ waren, werden heute seltener Vorbilder genannt, und wenn, dann vor allem Perso nlichkeiten aus den Medien.27 Die Veranderungen im Bereich der jugendkulturellen Stile haben auch Auswirkungen auf das Freizeitverhalten Jugendlicher. ´Die Zugeho rigkeit zu einer Gruppe ist [...] nicht 28 mehr so wichtig fu r die eigene Identifikation.ä Daher ist der ´Organisationsgrad in hie29 rarchischen und von Erwachsenen dominierten Bezugsgruppen ä insgesamt niedrig, am ho chsten noch bei mannlichen und ju ngeren Jugendlichen im Westen. 2.5 Demokratieverdrossenheit? Bei der Frage nach dem Vertrauen gegenu ber politischen Institutionen und Organisationen erhielten Umweltschutzgruppen, Bu rgerinitiativen und Menschenrechtsgruppen die besten Bewertungen. Trotz der beschriebenen allgemeinen r u cklaufigen Identifikation schaffen deren moralisch-wertbezogene Ausrichtung und ihr meist spontan wirkender Einsatz vor allem fu r gesellschaftliche Zukunftsthemen offenbar Vertrauen und G laubhaftigkeit, insbesondere bei Ju ngeren, bei Madchen und im Westen. Ebenfalls gut bewertet wurden Polizei und Gerichte. Am wenigsten Vertrauen bringen Jugendliche den klass ischen politischen Institutionen, namlich dem Bundestag, der Bundesregierung und den politischen Parteien, aber auch den Kirchen, entgegen. 30 Im Osten ist die Institutionendistanz generell ho her, die Noten sind insgesamt schlechter. Im Unterschied zu westdeutschen Jugendlichen gaben die ostdeutschen auch den Gerichten recht schlechte Noten, was sicherlich mit Erfahrungen (oder Erzahlungen) aus 25 26 27 28 29 30 KSK Tu bingen (Hrsg.) 1997 Kahl 1997 [taz, 15.05.98] vgl. Fischer/Mu nchmeier 1997, S.21 N.N. 1997 [Westdeutsche Zeitung (WZ), 14.05.98] Fischer/Mu nchmeier 1997, S.21 zu diesem und den nachsten beiden Absatzen vgl. Fischer/Mu nchmeier 1997, S.296ff. und S.17ff. Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 10 der DDR zusammenhangt. Die besonders schlechten Bewertungen gegenu ber der Kirche lassen sich mit der historisch bedingt niedrigen Zahl von Kirchenanhangern erklaren. Ein Vergleich der Altersgruppen zeigt, daÜ mit zunehmendem Lebensalter das Vertrauen bzgl. aller Institutionen sinkt. Dies mag zwar darin begru ndet sein, daÜ Ju ngere (noch) naiv vertrauensvoller sind, ko nnte aber auch ein Signal dafu r gedeutet werden, daÜ Jugendliche nicht in die Gesellschaft hineinwachsen. Jugendliche beschreiben die gesellschaftliche Position der Jugend gegenu ber den Erwachsenen entweder ein Macht- (Erwachsene lassen Jugend nicht mitreden) oder ein Vernachlassigungsverhaltnis (Probleme Jugendlicher, also Zukunftsprobleme spielen bei Erwachsenen keine Rolle). Vor dem Hintergrund der durch Arbeitslosigkeit bestimmten Lebenslage steht diese (subjektiv a ngenommene) gesellschaftliche Position im Widerspruch zur Sinnstruktur der Jugendphase: Der Jugend ´geho rtäzwar die Zukunft, sie sieht sich aber in der Rolle, Fehler und Versaumnisse der Erwachsenengeneration ausbaden zu mu ssen und kommt zu der ´Uberzeugung, daÜ eigene Interessen im politischen Bereich nicht durchsetzungsf ahig sind 31 und am Widerstand der Erwachsenen scheitern.ä Eine Korrelationsanalyse zeigt deut32 lich, daÜ dieser ´erlebte Gegensatz der Generationenä mit der generellen Entfremdung vom politischen System mit all seinen Organisationen und Ritualen zusammenhangt. Dem Vertrauensmangel und dem Gefu hl, aktiv kaum etwas verandern zu ko nnen, entsprechend lehnen Jugendliche es meist ab, sich in politischen Organisationen zu e ngagieren. Nicht die Jugendlichen sind also an der Politik desinteressiert, sondern die P olitik an ihnen. Diese Privatisierung (der Ru ckzug in die eigene kleine Welt) ist auch als Anpassung, als Zuru ckstellung der eigenen Interessen, zu sehen. 33 Inhaltliche Kritik an der These der ´Jugendverdrossenheit der Politikäwird z.B. vom Politikwissenschaftler Lutz Meyer geauÜert, der die Ansicht vertritt, daÜ die Verweigerungshaltung Jugendlicher lediglich ´als eine Art Selbstlegitimation einer Fun- und SpaÜ-Generation [dient], die schlicht keine Lust hat, den mu hseligen Ausgleich unterschiedlicher Interessen und Fo r34 derungen zu suchen.ä 31 32 33 34 Fischer/Mu nchmeier 1997, S.18 Fischer/Mu nchmeier 1997, S.17 vgl. Fischer /Mu nchmeier, S.297f. und S.17 Freitag 1997; die A uÜerungen Meyers stammen nach den Angaben im zitierten Text urspru nglich aus: Die Zeit, 23.05.97. Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 11 In jedem Fall stellt sich die Frage, ´ob ‘die Kinder der Freiheit tatsachlich zukunftsfahig 35 sindä , d.h. ob ohne Akzeptanz der demokratischen Instanzen die Demokratie bei der Jugend Zukunft haben kann. Distanz zu politischen Institutionen bedeutet jedoch nicht unbedingt Demokratieverdrossenheit. Die Umfrage ergab vielmehr ein prinzipielles B ekenntnis zur Demokratie und daÜ gerade die politisch Interessierten, Gebildeten und gesellschaftlich Engagierten den Institutionen gegenu ber die Skeptischsten sind. 36 Man ko nnte auch, wie H. Klink (Bundeselternrat), argumentieren, ´daÜ auf diese Weise ‘die Kinder der Freiheit eine bunte Rebellion gegen Stumpfsinn und fremde Pflichten betre iben, die letztlich die Voraussetzung fu r eine verlaÜliche und dauerhafte Demokratie der 37 ‘zweiten Moderne ware.ä Reinhard Kahl (taz) geht noch weiter, in dem er von einem Umbruch zu einer zweiten Moderne spricht, einem Ubergang von politischen GroÜorganisationen hin zu einem feingliedrigen Engagement, ´einer erfindungsreiche[n], gewissermaÜen kapillare[n] Politik der eigenen Lebensfu hrung. Wichtiger als Ideologien werden Personen. [...] Die Jugendlichen wollen Leben in den Stadtteil bringen. Sie wollen sich exponieren. Indessen ist ‘politisch sein im Sinne der Politiker-Politik ein Schimpfwort geworden wie ‘Streber oder ‘korrupt , es wird zur Signatur fu r Weltverbraucher und End38 verbraucher, jener letzten Menschen, die nichts mehr anfangen wollen. ä Kahl sieht den neuen Politikbegriff in der Jugend entstehen. Um von einer ´unpolitischenäJugend sprechen zu ko nnen, mu Üte also zumindest gepru ft werden, wo eigentlich die Grenzen zwischen ´politischäund ´unpolitischäoder zwischen ´engagiertäund ´nicht engagiertäverlaufen.39 2.6 Politische Aktivitaten, Motivation und Wertorientierungen Prinzipiell lassen sich drei Dimensionen politischer Aktivitaten festhalten: nicht-konflikthafte, konflikthafte und institutionaliserte politische Aktivitaten. Mit dem Ergebnis der Umfrage ist eine solche Abgrenzung jedoch schwierig; deutliche Unterschie de waren nur zu erkennen zwischen denen, die sich u berhaupt engagieren und denjenigen, die keine Engagement zeigen. Zwischen den theoretisch angenommenen Dimensionen wurden 35 36 37 38 39 Klink 1997 vgl. Fischer/Mu nchmeier 1997, S.296 und S.16, sowie Riehl-Heye 1997 [SZ, 17.05.98] Klink 1997 Kahl 1997 [taz, 15.05.98] vgl. Fischer/Mu nchmeier 1997, S.296 und S.16 Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 12 deutliche Korrelationen festgestellt, d.h. gerade Jugendliche, die sich z.B. nichtkonflikthaft engagieren, zeigen auch Bereitschaft zu konflikthaften oder institutionalise rten Aktivitaten. Wie auch die Untersuchung bzgl. des Institutionenvertrauens ergab, f allt es vielen Jugendlichen schwer, ihre Interessen, Motivationen und W u nsche mit den erlebten Bedingungen und Mo glichkeiten des Politikfeldes zu vereinbaren. Insgesamt kann 40 man also von einer ´ungebundenen vagabundierende Engagementbereitschaftä spre- chen, wogegen das Etikett ´unpolitischäfu r die Beschreibung der Situation unangemessen scheint.41 Bei der Analyse der Wertorientierungen Jugendlicher ergab sich ein ahnliches Bild, da auch zwischen ihnen starke Korrelationen festgestellt wurden. Um die Wertorientierungen Jugendlicher zu ermitteln, wurde ihnen eine Liste von Eigenschaften u nd Verhaltensweisen vorgelegt. Sie sollten ihre Wichtigkeit anhand einer Skala von 1 (unwichtig) bis 7 (sehr wichtig) einstufen. Die ho chsten Bewertungen erhielten individuelle Werte wie ´eigene Fahigkeiten entfaltenä(68,8%)42, ´das Leben genieÜenä(65,4%) oder ´unabhangig seinä(62,0%). Nicht weit dahinter wurden soziale Werte wie ´anderen Menschen helfenä(54,2%) oder ´Ru cksicht auf andere nehmenä(51,7%) genannt, dazwischen steht aber wiederum ein sehr materialistischer Wert: ´ein hohes Einkommen anstrebenä(52,1%). Hier zeigen sich die erwahnten Korrelationsbeziehungen. Trennlinien zwischen grundlegenden Orientierungen (z.B. postmateriell ‚ materiell) schienen nicht jeden Punkt zu treffen, an dem die Befragten ihre Werte festmachen. So ist z.B. der G egensatz materiell / postmateriell nur dann sinnvoll, wenn die gesellschaftlichen und bi ografischen Bedingungen stimmen, so setzen z.B. postmaterielle Werte stabile materiellen Lebensbedingungen voraus. Die Unscharfe der Wertorientierungen und ihre verwirrende Gleichzeitigkeit sind als Anpassung an die aktuelle Situation zu verstehen, sie zeigen die Pluralisierung der Muster der Lebensfu hrung und Veranderungen der soziokulturellen Muster. Den Wertorientierungen entsprechend ist auch bei den Parteiaffinit aten im Vergleich zu 1981 eine deutliche Zerfaserung der klaren Konturen festzustellen: CDU/CSU -Anhanger sympathisieren zunehmend mit Umweltschutzgruppen, Sympathisanten der Gr u nen stehen kommerziellen Jugendstilen nicht mehr ablehnend gegen u ber, SPD-Anhanger stehen 40 41 42 Fischer/Mu nchmeier, S.20 vgl. Fischer/Mu nchmeier, S.19f. In Klammern: Anteil der Befragten, die bzgl. der Eigenschaft die Zustimmungswerte 6 oder 7 gewahlt haben. Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 13 dazwischen. Allen gemeinsam ist jedoch, daÜ sie den Parteien wenig Vertrauen entgegenbringen und sich daher als Nachwuchs fu r diese schlecht eignen. 43 Unter denen, die sich politisch oder gesellschaftlich engagieren, lassen sich zwei vom Bildungsgrad unabhangige Motive voneinander abgrenzen: die nutzen- und die zielorientierte Motivation. Bei der meist bei ju ngeren Jugendlichen anzutreffenden nutzenorie ntierten Motivation steht ein perso nlicher Nutzen im Vordergrund. Damit ist nicht etwa eine finanzielle Entschadigung, ein Freizeitausgleich oder eine Freistellung von der Sch ule gemeint, sondern, daÜ selbstandig und ohne Vorschriften anderer gearbeitet wird, daÜ Freunde mitmachen und daÜ Abwechslung (z.B. zum Schulalltag) geboten wird. Bei der zielorientierten Motivation vor allem alterer Jugendlicher (ab 15 Jahre) sind ´Aspekte des 44 Inhalts, der Form und der Funktion der perso nlichen Beteiligungä wichtiger. Im Vorder- grund steht demnach, daÜ man mitbestimmt, was man tut, daÜ man seine Fahigkeiten einbringen kann und daÜ letztlich das Ziel angemessen erreicht wird. Interesse an der Mitarbeit in Vereinen und Institutionen besteht zwar bei beiden Motivationsfomen, die Sozialisation durch deren Verhaltensnormen wird jedoch meist abgelehnt.45 3. Fazit 3.1 Bewertung des methodischen Vorgehens Die Intention, Jungsein aus der Perpektive der Jugend selbst zu beschrieben, ´vermittelt der Studie phasenweise Farbigkeit, Lebendigkeit, Vielfalt und Unmittelbarkeit. [...] Dadurch gewinnt die Studie [...] Uberzeugungskraft auf der Basis einer unverf alschten Ehr46 lichkeit.ä Ganz unverfalscht kann eine Studie sicherlich nicht sein. Zwar scheinen mir die angewandten Methoden, insbesondere die offenen Fragestellungen ein sehr geei gnetes Mittel zu sein, um den EinfluÜ des Fragenden zu minimieren, dennoch stellt sich die Frage, ob nicht schon die Formulierung der Fragestellung eine bestimmte Antworten implizieren ko nnte; dies jedoch schrankt die Aussagekraft von Ergebnissen bei jeder Art der empirischen Erhebung ein. Im Gegensatz zu vielen anderen Studien holt die Shell 43 44 45 46 vgl. Fischer/Mu nchmeier 1997, S.18 Fischer/Mu nchmeier 1997, S.19 vgl. Fischer/Mu nchmeier, S.18f. Kleinschmidt 1997 Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 14 Studie aber ´eine groÜe Bandbreite von Informationen zur Lebensrealitat Jugendlicher 47 und ihrem Selbstverstandnis als Jugendlicheä ein und laÜt ´farbige Lebens-Bilder von gegenwartigen Jugendlichen entstehen, die nicht auf die nur in Kurven, Tabellen und Korrelationen reduzierten statistischen Durchschnittjugendlichen beschr ankt sindä . Als potentiell Befragter kann ich auch sagen, daÜ ich mich selbst und meine Gedanken und Einstellungen zu politischem Engagement in der Studie recht deutlich wiederfinden kann. Dies wurde mir besonders klar, als ich in einem Zeitungsbericht folgendes, sehr treffendes anhand der wichtigsten Aussagen der Studie skizziertes Beispiel sah: ´Junge Leute engagieren sich [...] nicht weniger als fru her in der Politik, aber anders. Politisch ist [z.B.], wenn einer [...] bei einem Bu rgerbegehren mitmacht gegen die SchlieÜung eines Schwimmbades [...]. Eine ganz besondere Kunst wird in solchen Aktivitaten eingeu bt, eine Kunst, die man gut mit der versuchten Quadratur des Kreises vergleichen ko nnte: zu wissen, daÜ man ‘im groÜen kaum etwas bewirken kann ‚ und sich doch ‘im kleinen zu engagieren [...]. Und dabei [...] auch noch SpaÜ zu haben, [...] weil es nun mal ein tolles Gefu hl ist, eine Schu lerdisco auf die Beine zu stellen oder in einem Ferienlager Kinder zu betreuen [...]. Das alles ist gut f u r die Schu lerdiscos und Ferienlager ‚ es ist aber vor allem auch gut fu r diejenigen, die sich dafu r ein48 setzen und so herausfinden, wer sie sind oder sein wollen [...].ä 3.2 Bewertung der inhaltlichen Aussagen Die These der Autoren war, daÜ die gesellschaftliche Krise die Jugend erreicht hat. In Anbetracht der Ausfu hrungen u ber die eher du steren Zukunftsvisionen der Jugend (2.3) und das Zusammenbrechen der Sinnstruktur von Jugend als Ubergangsphase (2.2) aufgrund des Hauptproblems Arbeitslosigkeit (2.1), ist diese These sicherlich schwer abz ustreiten. Auch die Politik hat dies erkannt. Bei der Vorstellung der Shell-Studie auÜerte die damalige Bundesjugendministerin Claudia Nolte (CDU): ´Damit haben die Jugendli49 chen die Erwachsenenwelt eingeholtä , und H. Wieczorek-Zeul (SPD) forderte mit der Erkenntnis ´Wer schon zu Beginn seines Arbeitslebens keine Einst iegsmo glichkeiten hat, 50 kann zeitlebens Probleme bekommenä ein Sofortprogramm fu r die Jugend. Ich teile zwar die Ansicht, daÜ die gesellschaftliche Krise die Jugend erreicht hat, mo chte aber doch anmerken, daÜ dies nicht mit einer allgemeinen Demokratieverdrossenheit (2.4) einhergeht und die Jugend durchaus noch bereit zu politischem und gesellschaftlichen 47 48 49 50 dieses und das nachfolgende Zitat aus: Freitag 1997 Riehl-Heyse 1997 [SZ, 17.05.97] N.N. 1997 [WZ, 14.05.98] Wieczorek-Zeul 1997 Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 15 Engagement ist (2.5). Deshalb teile ich nicht den immer wieder angedeuteten Pessimi smus. So sagen die aufgrund der Schnelligkeit des Wechsels zwischen jugendkulturellen Stilen entstehenden ´Patchwork-Identitatenäzwar ´eine Menge u ber das Selbstwertgefu hl und daru ber, wie verzweifelt schwierig es ist, irgendwo einen Halt zu finden, wenn 51 alles wegrutschtä , sie bieten aber auch die Mo glichkeit, flexibel auf aktuelle Gegeben- heiten reagieren, sich anpassen zu ko nnen. So hat die gesellschaftliche Krise die Jugend mindestens genauso erreicht wie die u brige Gesellschaft, ihr aber auch gleichzeitig Chancen ero ffnet, vielleicht besser als A ltere damit zurecht zu kommen.52 4. Literaturverzeichnis Jugendwerk der Deutschen Shell (Hrsg.): Jugend „ 97. Zukunftsperspektiven, Gesellschaftliches Engagement, Politische Orienterungen. Opladen 1997, S. 11-23 und S. 177-301. Deutsche Shell (Hrsg.): Das Jugendw erk der Deutschen Shell. http://www.deutsche-shell.de/uebers/jugend_f.htm, 21.11.1998. Farin, Klaus: “ W ir liegen im m er k onsequent danebenß. die tageszeitung, 27.06.1997, S.12-13, auf: Homepage von ´die tageszeitungä , http://www.taz.de/~taz/spezial/jugend/sp_T970627.131.htm, 21.11.1998. Feddersen, Jan: Die Last m it der Zuk unft. die tageszeitung, 14.05.1997, auf: Homepage des Instituts fu r Sozial- und Kleinkindpadagogik der FU Berlin, http://sozpaed.erwiss.fu-berlin.de/Pressespiegel/TAZ_97_05_14.2.html, 21.11.1998. Freitag, Michael: 12. Shell-Jugendstudie “ Jugend „ 97ß. Homepage der Evangelischen Jugend, http://www.evangelische-jugend.de/shellstudie.html, 21.11.1998. 51 52 Riehl-Heyse 1997 [SZ, 17.05.98] vgl. hierzu auch Riehl-Hyse 1997 [SZ, 17.05.98] Ingo Ostwald: Die gesellschaftliche K rise hat die Jugend erreicht . 16 KSK Tu bingen (Hrsg.): Jugend 97: Ohne Spaä lauft nichts. Homepage der Kreissparkasse Tu bingen, http://www.ksk-tuebingen.de/wir/wa/jugshe.html, 21.11.1998. N.N.: 12 Jahre ü und Angst vor Arbeitslosigk eit. Die Chancen der Jugendlichen, ihre Zukunft zu gestalten, sind schlechter geworden. Doch sie sind bereit, sich zu engangieren. Westdeutsche Zeitung, 14.05.1997, auf: Homepage des Instituts fu r Sozial- und Kleinkindpadagogik der FU Berlin, http://soz.paed.erwiss.fu-berlin.de/Pressespiegel/WZ_97_05_14.html, 21.11.1998. Kahl, Reinhard: Eine zw eite P olitisierung? 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Shell-Jugendstudie: Arbeit bestimmt den Alltag der Jugend / Keine Lust auf Laberei. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 14.05.1997, auf: Homepage des Instituts fu r Sozial- und Kleinkindpadagogik der FU Berlin, http://soz.paed.erwiss.fu-berlin.de/Pressespiegel/HAZ_97_05_14.html, 21.11.1998. Wieczorek-Zeul, Heidemarie: Sofortprogram m fu r die Jugend. Homepage der SPD Wiesbaden, http://www.spd-wiesbaden.com/kommentar.htm, 21.11.1998.