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Jahrbuch 2013/2014 | Rinne, Oliver | Raumzeiten bis ins Unendliche rechnen
Raumzeiten bis ins Unendliche rechnen
From here to infinity on a single computer
Rinne, Oliver
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, Potsdam-Golm
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Bei der numerischen Lösung der Einstein-Gleichungen stellt sich das Problem, w ie man eine unendliche,
asymptotisch flache Raumzeit mit endlichen Rechenkapazitäten behandelt. Hier w ird eine Zerlegung der
Raumzeit in hyperboloidale Flächen untersucht, die bis ins lichtartige Unendliche reichen. Nach der
Kompaktifizierung treten in den Einstein-Gleichungen formal singuläre Terme auf, die dennoch explizit
ausgew ertet w erden können. Mit dieser Methode konnten stabile numerische Zeitentw icklungen von
Raumzeiten mit schw arzen Löchern und Gravitationsw ellen bzw . Materiefeldern erzielt w erden.
Summary
W hen solving Einstein's equations numerically, one faces the problem of treating an infinite asymptotically flat
spacetime w ith finite computing resources. Here a decomposition of spacetime into hyperboloidal surfaces
approaching lightlike infinity is considered. Upon compactification the Einstein equations develop formally
singular terms, w hich can nevertheless be evaluated explicitly. Based on this method, stable numerical
evolutions of spacetimes containing black holes and gravitational w aves or matter fields have been achieved.
In den letzten Jahren konnten auf dem Gebiet der numerischen Relativitätstheorie große Fortschritte erzielt
w erden. Simulationen
von
verschmelzenden
Schw arzen
Löchern
und
anderen
kompakten
Objekten,
jahrzehntelang ein ungelöstes Problem, sind inzw ischen Routine. Doch bleiben etliche Fragen offen, die von
einem verbesserten mathematischen Verständnis der Feldgleichungen und der globalen Eigenschaften ihrer
Lösungen profitieren können. Im Folgenden w ird ein Beispiel für eine solche Frage erläutert.
Viele astrophysikalisch interessante Phänomene kann man in guter Näherung als isoliertes System betrachten,
d. h. als eine asymptotisch (im Unendlichen) flache Raumzeit, die ein kompaktes Objekt enthält (z. B. einen
Stern),
das
seinem
eigenen
Gravitationsfeld
überlassen
ist.
Im
Zentrum
sind
die
Einstein'schen
Feldgleichungen hochgradig nichtlinear und per Hand nur in Spezialfällen lösbar; hier ist man auf numerische
Rechnungen angew iesen. Aber w ie kann die gesamte, unendlich ausgedehnte Raumzeit mit endlichen
Rechenkapazitäten behandelt w erden?
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A bb. 1: P e nrose -Dia gra m m de r fla che n (Mink owsk i-)
R a um ze it. Die Ze it ve rlä uft in ve rtik a le r, de r R a um in
horizonta le r R ichtung (nur e ine R a um dim e nsion, de r R a dius,
ist ge ze igt). Einge tra ge n sind da s rä um liche Une ndliche i0,
da s ze ita rtige Une ndliche i± und da s Null-Une ndliche I ± ,
je we ils Zuk unft (+) bzw. Ve rga nge nhe it (-) be tre ffe nd. Die
gra ue R e gion soll e ine Q ue lle von Gra vita tionsstra hlung
(gra ue P fe ile ) a nde ute n. Die horizonta le n Linie n ze ige n e ine
Ze rle gung de r R a um ze it in ra um a rtige Hype rflä che n, die sich
de m rä um liche n Une ndliche n a nnä he rn, a be r a n e ine m
e ndliche n Absta nd a bge schnitte n we rde n (ve rtik a le Linie ).
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Die allgemeine Relativitätstheorie kennt drei verschiedene Arten von „unendlich”: das räumlich Unendliche, das
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zeitartige (Zukunft und Vergangenheit betreffende) Unendliche und das Null-Unendliche (dieser Unendlichkeit
nähern sich Lichtstrahlen). Dies kann in einem sogenannten Penrose-Diagramm veranschaulicht w erden, das
den kausalen Zusammenhang von verschiedenen Punkten in der Raumzeit darstellt (Abb. 1).
Zeitentwicklung mit künstlichem Rand
Nach der Standard-Methode zerschneidet man die Raumzeit in raumartige Hyperflächen, die sich dem
räumlichen Unendlichen nähern (siehe Abb. 1). Jede dieser Hyperflächen entspricht einer Momentaufnahme
des Raums zu einem bestimmten Zeitpunkt. In der 3+1-Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie (drei
Raumrichtungen und eine Zeitrichtung) teilen sich die Einstein-Gleichungen auf: in Zw angsgleichungen, die auf
den einzelnen Hyperflächen gelten, und in Entw icklungsgleichungen, die beschreiben, w ie man von einer
Hyperfläche zur nächsten kommt. W ie aus Abbildung 1 ersichtlich, verlässt die abgegebene Strahlung mit
fortschreitender Zeit nie die raumartigen Hyperflächen, denn alle Flächen enden im räumlichen Unendlichen. Es
ist daher keine gute Idee, die räumlichen Koordinaten auf den Hyperflächen zu kompaktifizieren, um das
räumliche Unendliche auf einen endlichen Abstand abzubilden. Die Folge davon w äre, dass die Wellenlänge
der auslaufenden Strahlung bezüglich der kompaktifizierten Koordinaten zunehmend kleiner w ird und letztlich
numerisch nicht mehr aufgelöst w erden kann.
In der Regel schneidet man daher die raumartigen Hyperflächen an einem bestimmten Abstand von der Quelle
ab und löst die Gleichungen nur in dem so entstandenen Innenraum. Es müssen Randbedingungen gestellt
w erden, die auf dem so erzeugten künstlichen zeitartigen Rand gelten. Idealerw eise sollten diese unter
anderem garantieren, dass die Lösung auf dem abgeschnittenen Gebiet identisch mit der Lösung auf dem
unbegrenzten Gebiet ist. Insbesondere möchte man erreichen, dass abgestrahlte Gravitationsw ellen die
Grenzfläche ohne physikalisch unsinnige Reflexionen passieren.
Leider kann Gravitationsstrahlung in der Allgemeinen Relativitätstheorie an einem endlichen Abstand nicht
eindeutig definiert w erden. Bestenfalls kann man kleine Abw eichungen von einer gegebenen (z. B. der
flachen) Hintergrund-Raumzeit betrachten, aber das ist nur eine Näherungslösung. Der einzige Ort, an dem
Gravitationsstrahlung w ohldefiniert ist, ist das Null-Unendliche. Ziel ist daher, diese Art des Unendlichen bei
der Rechnung am Computer einzubeziehen. Damit w ürde man zw ei Fliegen mit einer Klappe schlagen und
sow ohl die Probleme vermeiden, die durch einen künstlichen zeitartigen Rand verursacht w erden, als auch die
Gravitationsstrahlung eindeutig (unabhängig von den gew ählten Koordinaten) auslesen können. Letzteres ist
von großer Bedeutung für die Gravitationsw ellen-Datenanalyse.
Eine Annäherung an das Null-Unendliche
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A bb. 2: Ge ze igt ist da s gle iche Dia gra m m wie in Abbildung 1,
a lle rdings die sm a l m it e ine r hype rboloida le n Ze rle gung de r
R a um ze it.
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Eine Möglichkeit, das Null-Unendliche in die Rechnung mit einzubeziehen, besteht darin, die Raumzeit in
raumartige Hyperflächen zu zerlegen, die sich anstelle dem räumlichen Unendlichen dem Null-Unendlichen
annähern (Abb. 2). Hyperflächen dieses Typs bezeichnet man als hyperboloidal: Wenn eine solche Fläche in
den Standard-Koordinaten der flachen (Minkow ski-) Raumzeit dargestellt w ird, sieht sie aus w ie ein
Hyperboloid (Abb. 3). In gekrümmten Raumzeiten kann man allgemeiner z. B. Flächen konstanter mittlerer
Krümmung w ählen. Betrachtet man erneut die auslaufende Strahlung (Abb. 2), so erkennt man, dass sie nun
im Laufe der Zeit die hyperboloidalen Flächen verlässt und dass es somit keine Probleme mit der Auflösung
gibt.
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Helmut Friedrich erzielte w ichtige Fortschritte in der Behandlung der Einstein-Gleichungen auf solchen
hyperboloidalen Zerlegungen der Raumzeit [1]. Er entw ickelte eine Neuformulierung der Gleichungen, die im
Null-Unendlichen völlig regulär ist und w eitere reizvolle mathematische Eigenschaften hat. Eine Reihe von
Autoren (Peter Hübner, Jörg Frauendiener, Sascha Husa und Mitarbeiter) verw endeten Varianten von
Friedrichs System für numerische Simulationen [2]. Ein großer Teil dieser Arbeiten entstand in den späten
1990er Jahren am Albert-Einstein-Institut.
Ein etw as anderer Ansatz w ird vom Autor des vorliegenden Artikels zusammen mit Vincent Moncrief (Yale
University) verfolgt: die direkte Rechnung mit den Einstein-Gleichungen in einer einfachen 3+1-Zerlegung auf
Flächen konstanter mittlerer Krümmung. Die Motivation dafür ist, dass auf den umfangreichen Erfahrungen
aufgebaut w erden soll, die numerische Relativisten inzw ischen mit ähnlichen Formulierungen der EinsteinGleichungen gew onnen haben. Ähnlich w ie in [1] w ird eine konforme (w inkelerhaltende) Transformation auf
die
Metrik
der
Raumzeit
angew endet.
Bezogen
auf
ein
in
geeigneter
Weise
kompaktifiziertes
Koordinatensystem (w ie im Penrose-Diagramm) ist die konforme Metrik überall endlich. W ird diese Form der
Metrik jedoch direkt in die Einstein-Gleichungen eingesetzt, so entstehen Terme, die im Null-Unendlichen
formal
singulär
sind.
Entw icklungsgleichungen
Glücklicherw eise
konnte
im Null-Unendlichen
gezeigt
tatsächlich
w erden
völlig
[3],
regulär
dass
diese
ausgew ertet
Terme
w erden
in
den
können,
vorausgesetzt, die Zw angsgleichungen sind erfüllt. Aufbauend auf diesen analytischen Ergebnissen konnten
stabile numerische Zeitentw icklungen für eine Reihe von Situationen erzielt w erden, die im Folgenden
beschrieben w erden.
A bb. 3: Eine hype rboloida le Flä che in de r Mink owsk iR a um ze it. Die Ze it ve rlä uft in ve rtik a le r, de r R a um in
horizonta le r R ichtung. Die se Flä che k a nn k om pa k tifizie rt
we rde n, inde m m a n sie a uf die im unte re n Te il de r Abbildung
ge ze igte soge na nnte P oinca ré -Sche ibe projizie rt.
© P ublic dom a in, W ik im e dia C om m ons
Anwendungen auf Raumzeiten mit Schwarzen Löchern
In [4] w urden Vakuumlösungen der Einstein-Gleichungen – also ohne Materie – untersucht. Um den
Rechenaufw and zu reduzieren, w urde die Raumzeit als axialsymmetrisch angenommen. Die Anfangsdaten
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bestehen aus einem Schw arzen Loch vom Schw arzschild-Typ (d. h. nicht rotierend) mit einer schw achen
Gravitationsw elle. Dieses System konnte für sehr lange Zeiten numerisch stabil simuliert und die abgegebene
Gravitationsstrahlung im Null-Unendlichen ausgelesen w erden. Ein Teil der Gravitationsstrahlung fällt dabei in
das Schw arze Loch und regt es zu Schw ingungen an. Es verhält sich dann im Wesentlichen w ie ein
gedämpfter
harmonischer
Oszillator
und
gibt
Strahlung
mit
charaketristischen
Frequenzen
(Quasinormalmoden) ab. Für die hier betrachtete relativ schw ache Gravitationsstrahlung stimmen die
numerischen Ergebnisse gut mit der linearen Störungstheorie überein.
In einer w eiteren Arbeit [5] w urde Materie in die Formulierung mit einbezogen. Es konnte gezeigt w erden,
dass das analytische Ergebnis aus [3] hinsichtlich der Regularität der Gleichungen im Null-Unendlichen nicht
beeinflusst w ird, vorausgesetzt, der Energie-Impuls-Tensor der Materie erfüllt bestimmte Bedingungen. Diese
Bedingung ist für die meisten strahlenden Materieformen erfüllt. Exemplarisch w urden ein masseloses
Skalarfeld und die Yang-Mills-Theorie (eine nichtlineare Verallgemeinerung des Elektromagnetismus, die das
Quark-Gluon-Plasma beschreibt) untersucht. Unter der Annahme von Kugelsymmetrie w urden numerische
Entw icklungen der Einstein-Gleichungen mit verschiedenen Anfangsbedingungen durchgeführt. Dabei w urden
sow ohl Situationen betrachtet, bei denen die Materie im Laufe der Zeit zerfließt und dabei die flache Raumzeit
zurücklässt, als auch solche, bei denen sie zu einem Schw arzen Loch zusammenstürzt.
A bb. 4: Num e rische Sim ula tion de r Einste in-Gle ichunge n m it
e ine m k uge lsym m e trische n m a sse lose n Sk a la rfe ld, da s zu
e ine m Schwa rze n Loch k olla bie rt. Da rge ste llt ist da s
Sk a la rfe ld Φ a ls Funk tion de r Ze it t im Null-Une ndliche n
(durchge zoge ne Linie ) und a m Horizont de s ge ra de
e ntsta nde ne n Schwa rze n Lochs (ge striche lte Linie ). Zu spä te n
Ze ite n e rk e nnt m a n da s Abk linge n na ch e ine m P ote nzge se tz
(in die se r doppe ltloga rithm ische n Da rste llung e ine Ge ra de ).
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Abbildung 4 zeigt beispielhaft die numerische Simulation eines kollabierenden Skalarfeldes. Zu späten Zeiten
ist hier das Abklingen des Feldes deutlich erkennbar. Dabei fällt auf, dass das Feld bei einem endlichen
Abstand (hier am Horizont des Schw arzen Lochs) schneller abklingt als im Null-Unendlichen. Mit der oben
beschriebenen herkömmlichen Methode unter Einführung eines künstlichen zeitartigen Rands w äre dieser
Unterschied nicht zu sehen.
Ähnliche Ergebnisse w urden für Yang-Mills-Felder erzielt. Diese Materieform zeigt beim Gravitationskollaps eine
außergew öhnlich reichhaltige Dynamik, die zurzeit w eiter untersucht w ird.
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Literaturhinweise
[1] Friedrich, H.
Cauchy problems for the conformal vacuum field equations in general relativity
Communications in Mathematical Physics 91, 445-472 (1983)
[2] Husa, S.
Numerical relativity with the conformal field equations
Lecture Notes in Physics 617, 159-192 (2003)
[3] Moncrief, V.; Rinne, O.
Regularity of the Einstein equations at future null infinity
Classical and Quantum Gravity 26, 125010 (2009)
[4] Rinne, O.
An axisymmetric evolution code for the Einstein equations on hyperboloidal slices
Classical and Quantum Gravity 27, 035014 (2010)
[5] Rinne, O.; Moncrief, V.
Hyperboloidal Einstein-matter evolution and tails for scalar and Y ang-Mills fields
Classical and Quantum Gravity 30, 095009 (2013)
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