Das Blaue Wunder - Old-School

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Das Blaue Wunder - Old-School
G S 1000/1327
Pics: Dennis Witschel | Text: Hendrik Sloot
Das Blaue Wunder
Ein etwas anderes Superbike auf GS 1000-Basis
Wes Cooley erfuhr damit einst ganze AMA-Meisterschaften,
und Herr Yosihmura höchstpersönlich konnte lange Zeit einfach
nicht die Finger von ihr lassen – die Rede ist von Suzukis Mutter
aller Superbikes, der sagenhaften GS 1000S. Thema heute: Eine
Extrem-Variante der Neuzeit.
D
ie dunkle Seite der Wucht hat ihre Tücken:
„Schönes Teil. Jau, die macht an...“, ungefähr
das waren sinngemäß die letzten klaren Gedanken, bevor ich mich auf das blau-weiße AltSuperbike schwinge. Als der Trumm unter mir röchelnd
erwacht, wird augenblicklich klar: Normal war doch irgendwie anders. Rustikaler Sound mit viel Bass. Beunruhigend
dicht unterm eigenen Gemächt saugt ein Trichterquartett
quasi spürbar an der Atmosphäre. Völlig schamlos und klar
vernehmlich. Na, das kann ja heiter werden. Doch die
Kupplung läßt sich recht zivil bedienen, und die Fuhre
setzt sich schließlich ganz unkapriziös und harmlos in Bewegung. Knapp oberhalb des Standgas-Levels sind die
unteren Gänge rasch durchsortiert. Dritter Gang, die
Drehzahlnadel zittert irgendwo bei Halbfünf. Das rechte
Handgelenk juckt, wir schenken ein: Augenblicklich versucht mir die Fuhre den Lenker zu entreißen, das Heck
winselt um Grip. Als der Pneu schließlich auf dem Asphalt
einrastet, verwandelt sich der Apparat in ein ballistisches
Geschoß. Absätze und Bodenwellen quittiert die Lenkung
mit leichtem Bocken. Kein Wunder, denn das Vorderrad
wird recht leicht (...), und einen Lenkungsdämpfer gibt’s
hier nicht. Zeit für den nächsten Gang? Hmm. Dabei ist
die 8.000er Marke nicht mal erreicht. Egal. Da: Vierter
Gang, und sie macht’s schon wieder. Die Alte geht buchstäblich ab wie ein Zäpfchen. Gute Güte, das gibt’s doch
gar nicht...
Abrissbirne
Drehzahlniveau und Leistungsentwicklung wollen hier
nach aktuellen Maßstäben einfach nicht zusammenpassen.
Bereits in unteren Drehzahlregionen brennt der olle
Langhuber ein performantes Feuerwerk ab, das schlicht
und ergreifend schwindelig macht. Selbst im letzten Gang
sind drei Viertel der kompletten Touren-Skala nicht nur
irgendwie nutzbar, sondern auch noch unverschämt druckvoll – und zwischen 7.000 und 9.500 wird’s dann völlig pervers: Was moderne Supersportler runde 3.000 U/min später abliefern, rotzt der unscheinbare Oldie in komprimierter Form kackfrech schon weit vor der 10.000er Marke
’raus. Expresszuschlag inklusive. Eine Art Größenwahn
macht sich breit, nicht nur in den Handschuhen wird es
feucht. Die nächste Ecke naht. Bremsen, bloß bremsen (...)
– aber der Horizont stürzt dermaßen fix ins Visier, daß
man sich fast zwangsläufig erst mal verschätzt. Das Ding
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Standardprogramm bei Alteisen-Rennern der Legends-Klasse: Modifizierte
GSX-R-Komponenten und hochwertige
Federelemente in multiverstellbarer
Güte.
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ist ein Hot Rod. Doch kaum ist der Gashahn geschlossen,
läßt sich das gummibereifte Kraftwerk willig umklappen.
Zahm und freundlich agiert das Fahrgestell. Und am Kurvenscheitel kann man sich den Luxus erlauben, das Gas
ganz entspannt aus dem Drehzahlkeller anzulegen – das
fühlt sich richtig gut an, und mehr als genug Schmackes
ist ja sowieso da. Kaum zu glauben, daß Rahmen und Motor im Grunde runde 30 Jahre auf dem Buckel haben.
Das „Atom-Katapult“
Klar, daß es hier nicht mit rechten Dingen zugeht: Der
rustikale Brutalo-Bolide entstand bei Old-School-Superbikes unter den kundigen Händen von Ingo Wrubel – sozusagen als technische Visitenkarte des Hauses. Ingo ist ein
ausgemachter Motor-Experte, der nicht nur in der Classic
Superbike-Szene einen famosen Ruf genießt. Mittlerweile
legendär ist sein GS 1000-Erdgeschoß, das in Fachkreisen
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Simpel, rustikal... – und drückt ziemlich
ätzende 185 PS ab: Der 1327er Bigblock
hat bei 9.500 U/min fertig.
als Blaues Wunder berüchtigt ist - wenn er damit die Startaufstellungen der CSBK aufmischt, ist auch schon mal
vom „Atom-Katapult“ die Rede. Eine wunderschöne Wortschöpfung, die altes Kriegsgerät mit modernen Zeiten verbindet und damit den Nagel ziemlich exakt auf den Kopf
trifft. Fairerweise muß man dabei natürlich feststellen,
daß der Motor eigentlich nicht zum GS 1000-Chassis gehört: Das Vierventil-Aggregat des Blauen Wunders sieht
zwar (bis auf den Zylinderkopf) genauso wie der originale
GS-Zweiventiler aus – und ist in diesem Fall auch noch
genauso alt wie der Rahmen (beide sind Baujahr 1980),
aber der GSX-Treibsatz vereint mit modernem Brennraum-Design und rollengelagerter Langhub-Auslegung die
Vorteile zweier Motor-Generationen in einem geradezu
schußfesten Gehäuse. Und verfügt damit selbstverständlich über beste Voraussetzungen für Extrem-Frisuren – die
großen GSX-Motoren sind in Dragster-Kreisen nicht ohne
Grund auch heutzutage noch sehr beliebt.
Kraft- und Fahrwerk
Um’s gleich vorweg zu nehmen: Bei diesem „gemachten“
GSX-Motor handelt es sich um kein gewagtes HighendAbenteuer – sondern um solide Handwerksarbeit mit
Knowhow. Natürlich in fortgeschrittenem Stadium. Doch
ähnliche Ausbaustufen sind bei OSS (Old-School-Superbikes) tatsächlich auch schon für den schnöden Straßenbetrieb realisiert worden. Die Gelegenheit bei eben genau
diesem Motortyp fällt auch recht verlockend aus. Der Zylinderkopf bekam neben feinjustierten REC-Nockenwellen
und deutlich erhöhter Verdichtung die üblichen Kanalarbeiten spendiert. Inklusive bearbeiteter Ventilsitze sowie
größerer Ventile. Ein Stockwerk tiefer ging’s allerdings in
die Vollen. Denn hier wurden im Serien(!)-Zylinderbankett
exorbitante XXL-Buchsen nebst 80er REC-Kolben installiert – wobei der Bock zum Gärtner wurde, denn OSS vertreibt REC-Technik für den Motorrad-Sektor. Bei 60 Millimetern Hub (verstiftete Serien-Kurbelwelle) resultieren
daraus beachtliche 1.327 kubische Zentimeter. Dem Gehäuseoberteil ließ Ingo zugunsten Motor-interner Aerodynamik einige Modifizierungen angedeihen, die sich spätestens ab 6.000 U/min recht deutlich bemerkbar machen –
verminderter Streß in der Mechanik sorgt für Laufruhe,
Drehwilligkeit und natürlich auch Leistung. Hinzu kommen penibel abgestimmte Mikuni-Flachschieber der Konfektionsgröße 40 – und eine verlängerte Endübersetzung,
denn „...sonst ist das Teil in den unteren drei Gängen einfach unfahrbar“. Tja, und beim letzten Prüfstandsbesuch
zerrten dann recht abenteuerliche 185 Pferde bei 9.500 U/
min an der Kurbelwelle – und damit ist noch nicht mal das
Ende der Fahnenstange erreicht. Angesichts dieser dramatischen Messwerte wirkt das modifizierte Fahrwerk beinahe schon zu simpel: Bis auf die unteren Motorhalterungen
bedurfte der Rahmen überhaupt keiner Änderung, während der Rest auf dem „Suzuki-Baukasten“-Prinzip basiert. Hamamatsu sei Dank. Gabel, Bremsen und SchwinFB | 63
ge (letztere für Stereo-Federbeine modifiziert) stammen
aus der 11er GSX-R-Serie der frühen ’90er, während das
Räderwerk modernen Banditen entliehen wurde. Mittels
multi(höhen)verstellbarer Wilbers-Federbeine stellte der
OSS-Profi die Geometrie noch ein wenig auf die Nase –
fertig war die Laube. Obwohl Ingo aus beruflichen Gründen
(...) mit diesem Monstrum noch nicht mal alle Läufe der
vergangenen CSBK-Saison bestreiten konnte, sah das
Endresultat doch recht erfreulich aus (Nachzulesen ab
Seite 36 dieser FB-Ausgabe). Von dem Gerät hätte sich
vermutlich nicht nur Mr Cooley all’ zu gern sämtliche
Arme ausreißen lassen: Solch ein Blaues Wunder erlebt
man doch gern. n FB
Riecht hier schwer nach Adrenalin
und Benzin: Oldschool-Superbiker
Ingo W. aus Z. mit seinem BrutaloEisen. Die Trophäe (2. Platz beim
Fischereihafenrennen) auf dem Sitz
gab’s gleich beim ersten Versuch,
ein Rennen zu bestreiten – daher
auch das besonders breite Grinsen.
TECHNISCHE DATEN
G S 1000/1327
Das „Atom-Katapult“ mit der
Nummer 27 wirbelt öfter mal die
Startaufstellung durcheinander
– hier zum Beispiel beim Fischereihafenrennen.
Suzuki GS 1000, Bj’80
Aufgebaut von: Old-School-Superbikes (Ingo Wrubel),
Dorfstraße 18a, 23911 Ziethen/Ratzeburg,
Fon: 04541/857999
eMail: [email protected]
Web: www.old-school-superbikes.de
Antrieb
Motor: GSX 1100, auf 1327 ccm aufgebohrt, 80 mmREC-Kolben, stark modifizierter Zylinderkopf, Verdichtung 12,5 : 1, jeweils 2 mm größere Ventile (29er
Einlaß- und 25er Auslaß-Ventile), REC-Nockenwellen,
modifiziertes Gehäuseoberteil, geänderte ÖlpumpenÜbersetzung, verstärkte Kupplung, längere SekundärÜbersetzung, Dyna 2000-Zündung, Lichtmaschine
entfernt (stark modifizierter Deckel), kein E-Starter
185 PS (an der Kurbelwelle) bei 9.500 U/min, 155 NM
bei 7.200 U/min
Gemischaufbereitung: 40er Mikuni RS-Flachschiebervergaser
Kühler: 19-reihiger Racimex mit Thermostat
Auspuff: Harris-4-1 mit modifiziertem „Schalldämpfer“
Rahmen/Fahrwerk/Bremsen
Rahmen: Suzuki GS 1000
Schwinge: GSX-R 1100, modifiziert, aufgeschweißte
Federbeinaufnahmen
Federbeine: Wilbers, voll einstellbar
Gabel: GSX-R 1100, modifizierte Abstimmung
Gabelbrücken: GSX-R 1100, oben modifiziert (Lenkeraufnahme)
Räder: GSF 1200 Bandit, vorn 3,5“ x 17“,
hinten 5,5“ x 17“
Bereifung: Bridgestone Battlax BT-002, vorn 120/70/17,
hinten 180/55/17
Lenker: Micron-Superbike
Bremsen: vorn Tokico-Sechskolbenzangen, BremboGußscheiben, Stahlflexleitungen, hinten GSF 1200,
Stahlflexleitung
Fußrastenanlage: modifizierte GSX-R-Grundplatten,
Eigenbau-Mechanik
Body
Tank: GS 1000
Verkleidung: GS 1000S-Replikat, rahmenfeste Montage (Eigenbau-Halterung)
Höcker:GS 1000, Giuliari-Sitzbank, modifiziert
Kotflügel: GSG Mototechnik
Armaturen: radiale 19“-Bremspumpe,
GSX-R/SRAD-Kupplungshebelei
Instrumente: GSX-R-Drehzahlmesser
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Herr Cooley hatte einst dasselbe
Problem: Lichtmaschine amputiert, E-Starter samt Freilauf
entfernt, Deckel ordentlich
zurechtgestutzt – und trotzdem
setzt die Fuhre manchmal hart
auf.
Gewichte/Füllmengen
190 Kilo ohne Benzin (18 Liter)