Schfleller, höher, spektakulärer – ufld gaflz saflft

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Schfleller, höher, spektakulärer – ufld gaflz saflft
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Schneller, höher, spektakulärer – und ganz sanft
Schneller, höher, spektakulärer – und ganz sanft
Tanzextreme von Bruno Beltrao und Rahouane el Meddeb bei Theater der Welt
Veröffentlicht am 30.05.2014, von Isabelle von Neumann-Cosel
Mannheim - Bruno Beltrao hat seine Sache von der Pike auf gelernt – nämlich auf der Straße. Brasiliens Star-Choreograf reiste als
Jugendlicher in den Vororten von Rio de Janeiro von HipHop-Battle zu Battle, bevor er den urbanen Streetdance salonfähig, sprich
theaterbühnentauglich machte. Sein jüngstes Stück „CRACKz“ (2013), für das er seine international besetzte Company „Grupo de
Rua“ auf zwölf Tänzer plus ein weibliches Maskottchen aufstockte, reist seitdem von Festival zu Festival – ohne im Geringsten an
Attraktivität einzubüßen. Auch in Mannheim wussten die Zuschauer, wie man am Ende mit dem entsprechenden Beifall noch jede
Menge solistische tänzerische Bonbons hervorlockt.
Zuvor hatte Bruno Beltrao einmal mehr gezeigt, wie man das Bewegungsvokabular der Straße analysieren, dekonstruieren und
nach allen Regeln der choreografischen Zunft wieder neu zusammensetzen kann.
Für die Feldforschung im 21. Jahrhundert schickte er seine Tänzer allerdings nicht mehr zu den einschlägigen, realen Contests,
sondern ins Internet. Ein ganzes Jahr Vorbereitung hat sich die Gruppe gegeben, um 25 im Netz gefundene Bewegungsfolgen
dem eigenen Körpern einzuschreiben. Bruno Beltrao hat daraus ein Stück gemacht, das in den Hinterhöfen einer virtuellen
nächtlichen Großstadtwelt spielt – überall und nirgends. So war die Bühne des Schauspielhauses bis zu den Wänden hin offen;
aus seitlichen Rückzugsorten entwickelten die Tänzer eine rasante Performance zu den hypnotisierenden Klängen der
experimentellen finnischen Elektro-Jazz-Formation „The Vladislav Delay Quartet“.
Unerhört schnell, dynamisch und akrobatisch kommt diese Mischung aus verschiedenen Streetdance Styles daher, mit hohen
Sprüngen, schnellen Kicks, rasanten Drehungen und die Grenzen menschlicher Koordinationsfähigkeit ausweitendem Breakdance.
Dabei entsteht der attraktive Coolness-Faktor einerseits aus der Lässigkeit, mit der die Tänzer zwischen unerhörtem Tempo und
relaxter Präsenz wechseln, andererseits aus den unerwarteten Störungen und Brechungen, die das Bewegungsmaterial
kennzeichnet. In der tänzerischen Popkultur sind gerade Linien und simple Körperachsen out – neben der Zerlegung des Körpers in
Einzelteile, die sich quasi unabhängig voneinander bewegen könnten, ist es der gewillte Einbau von Schwierigkeiten, mit denen
man den Gesetzen der Schwerkraft noch das eine andere spektakuläre Schnippchen schlagen kann. Besser als in „CRACKz"
kann man die Globalisierung von Streetdance & Co nicht deutlich machen.
Ein absolutes Kontrastprogramm dazu war das Solo des tunesischen Choreografen Radhouane El Meddeb „Sous leurs pieds, le
paradis“. Auf den ersten Blick ist der füllige Mann mit weichen, manchmal weiblich wirkenden Formen das Gegenmodell eines
Tänzers; auf den zweiten und dritten Blick offenbaren sich seine darstellerischen Qualitäten, die er ganz in den Dienst einer
dominierenden Stimme vom Band stellt. Die ägyptische Sängerin Oum Kalthoum, eine langjährige Legende in der arabischen
Welt, betrauert in einem ihrer bekanntesten Werke die Trennung und den Verlust der Liebe. Mal minimalistisch-tastend, mal
expressiv-drängend tritt der Solist in einen Dialog mit ihrer Stimme. Das war im besten Sinne des Wortes eigenartig, natürlich auch
fremdartig und im Mittelteil für europäisches Tempogefühl auch ein bisschen langatmig.
Bruno Beltraos "CRACKz" bei Theater der Welt
© Ruhrtriennale / Ursula Kaufmann
Radhouane El Meddeb bei Theater der Welt in
Mannheim
© Agathe Poupeney
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