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UNTERRICHTSMATERIALIEN UNTERRICHTSMATERIALIEN INHALT DER FILM 3 Synopsis Umsetzung Die Buchvorlage Der Regisseur 2 Angaben zum Film, Cast, Crew 4 DIE WICHTIGSTEN FIGUREN 5 THEMEN UND MOTIVE 6 Schritte aus der Isolation Queen of the ABCs Identität und Solidarität Politik in PRECIOUS ZUSATZINFORMATIONEN PRECIOUS, Push und Die Farbe Lila Die Rezeption von PRECIOUS in den USA 7 8 9 10 11 12 FILMSPRACHE 14 Traumsequenzen und Voice-over Einsatz von Filmmusik Genre und Bildsprache 15 17 SEQUENZPROTOKOLL 19 LINKS UND LITERATUR 22 ARBEITSBLÄTTER ANHANG Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt Kognitiver Spracherwerb mit Hilfe von „Dialogue-Journals“ Harlem, 1987 Repräsentationen von Afroamerikanern in der Populärkulur Personen und Begriffe, die in PRECIOUS erwähnt werden Filmglossar Impressum / Kontakt DER FILM SYNOPSIS Als herauskommt, dass Precious schwanger ist, fliegt sie von der Schule. Die Direktorin meldet sie an der alternativen Schule „Each One Teach One“ an, wo Precious in die Anfängerklasse zu Ms. Rain geschickt wird. Hier, unter Frauen, die aus ähnlichen Verhältnissen kommen und ähnliche Geschichten zu erzählen haben, erlebt sie zum ersten Mal eine angstfreie Atmosphäre. Sie erfährt Solidarität und Freundschaft und lernt mit wachsender Begeisterung lesen und schreiben. Täglich schreiben die Mädchen in ihr „Journal“ und Ms. Rain schreibt zurück. Zunächst stellt jeder Buchstabe eine Herausforderung für Precious dar, doch dann entdeckt sie das Schreiben als Weg, ihre Stimme zu finden, gesehen und gehört zu werden. Sie schöpft Hoffnung. Die Geburt von Precious‘ zweitem Kind schildert der Film als glückliche Zeit. Precious ist in einem hellen, freundlichen Krankenhauszimmer untergebracht. Sie wird liebevoll umsorgt, bekommt Post und Besuch und findet einen weiteren Freund in Pfleger John. Aber ihre Probleme sind bei weitem nicht vorbei. Als sie sich gegen eine Adoption entscheidet und mit ihrem Sohn zur Mutter zurückkehrt, wird Mary handgreiflich. Precious flieht, findet zunächst einen Unterschlupf bei Ms. Rain und deren Partnerin und schließlich einen Platz in einem „Halfway House“ (siehe Seite 16). Wenig später erfährt sie, dass ihr Vater an AIDS gestorben ist und sie selbst HIV-positiv ist, ihre Kinder jedoch nicht. Trotz der Rückschläge kämpft Precious weiter. Sie geht zur Schule, kümmert sich um ihre Kinder und besucht eine Gesprächsgruppe für Inzest-Überlebende. Die letzte Szene des Films stellt ein erschütterndes Gespräch auf dem Sozialamt dar. Precious‘ Sozialhelferin Ms. Weiss konfrontiert die Mutter mit den Missbrauchsvorwürfen. Diese bestreitet nichts sondern bricht zusammen und erzählt schließlich, dass der Missbrauch begann, als Precious drei Jahre alt war. Sie hat nichts dagegen unternommen und sie macht Precious im Grunde immer noch verantwortlich dafür, ihr den Mann abspenstig gemacht zu haben. Precious nimmt ihre Kinder und geht. Das letzte Bild zeigt, wie sie zielstrebig und aufrecht mit ihren beiden Kindern durch die Straßen New Yorks geht. 3 Copyright Prokino 2010 PRECIOUS ist die Geschichte einer Befreiung. Der Film spielt in Harlem, New York im Jahr 1987. Hauptperson ist die 16jährige übergewichtige Afroamerikanerin Claireece Precious Jones, genannt Precious. Precious kommt aus extrem unterprivilegierten Verhältnissen. Die Familie lebt von Sozialhilfe, die Mutter Mary ist gewalttätig, beide Eltern missbrauchen die Tochter. Precious bekommt bereits zum zweiten Mal ein Kind vom eigenen Vater. Sie muss sich daheim um den gesamten Haushalt kümmern und hat nie richtig lesen und schreiben gelernt. Das erste Kind, das Precious „Little Mongo“ nennt, ist mit DownSyndrom zur Welt gekommen und lebt bei der Großmutter. Precious schweigt viel, denkt sich ihren Teil und wehrt sich wenn nötig mit Gewalt gegen die Bullies in der Schule. Sie fantasiert sich in eine Glamourwelt, in der sie attraktiv, erfolgreich und vor allem sichtbar ist. PRECIOUS – DAS LEBEN IST KOSTBAR (USA 2009) ORIGINALTITEL: PRECIOUS: BASED ON THE NOVEL Push BY SAPPHIRE LÄNGE: 109 Minuten FASSUNG: deutsche Fassung und OmU KINOSTART: 25.3.2010 VERLEIH: polyfilm REGIE: Lee Daniels BUCH: Geoffrey Fletcher nach dem Roman Push von Sapphire PRODUKTION: Lee Daniels, Sarah SiegelMagness, Gary Magness Ausführende Produktion: Oprah Winfrey, Tyler Perry, Lisa Cortés, Tom Heller KAMERA: Andrew Dunn SCHNITT: Joe Klotz KOMPOSITION: Mario Grigorov MUSIK: Lynn Fainchtein DARSTELLER: Gabourey Sidibe (Precious), Mo’Nique (Mary), Aunt Dot (Precious’ Großmutter Tootsie), Paula Patton (Ms. Rain), Mariah Carey (Ms. Weiss), UMSETZUNG Weiss), Lenny Kravitz (Krankenpfleger John), Sherri Shepherd (Cornrows), Stephanie Andujar (Rita), Xosha Roquemore (Jo Ann) u.a. Die Gewalt zu Hause ist nicht das einzige Handicap, mit dem Precious zu kämpfen hat. Als schwarze Frau aus der Unterschicht, noch dazu übergewichtig und mit einem behinderten Kind, befindet sich Precious in der sozialen Rangordnung ganz unten, mit wenig Hoffnung auf ein besseres Leben. Dennoch liefert der Film weder sie noch die Zuschauer der Hoffnungslosigkeit aus. Das Mädchen Precious und ihr Überlebenswille bleiben stets der Mittelpunkt des Films. Immer wieder übernimmt die Kamera ihre Perspektive. Traumsequenzen und innere Monologe erzählen von Precious‘ Weigerung, vor den Verhältnissen zu kapitulieren. Zudem ist eine positive Entwicklung spürbar: trotz herber Rückschläge erobert sich Precious mit zunehmender Bildung langsam immer mehr Handlungsspielräume. Die Inszenierung verbindet ‚realistische‘ Momente wie den Schlußmonolog der Mutter mit einer expressiven Bildsprache, die die Höhen und Tiefen von Precious‘ Odyssee intensiviert und zuspitzt. So wird die Wohnung der Mutter zur dunklen, lichtlosen Höhle und das Klassenzimmer zum lichtdurchfluteten ‚Himmel‘. Ironische Brechungen, komisch-melodramatische Übertreibungen der Inszenierung und Precious‘ trockener Galgenhumor ermöglichen immer wieder auch leichtere Momente. FSK: 12 ALTERSEMPFEHLUNG: empfohlen ab 15 Jahren KLASSENSTUFEN: ab 10. Klasse UNTERRICHTSFÄCHER: Deutsch, Englisch, Religion/Ethik, Geschichte und Sozialkunde, Geographie und Wirtschaftskunde, Philosophie, Psychologie THEMEN: Familie und Individuum, Erwachsenwerden, Identität und Vorbilder, Bildung, sexualisierte Gewalt, Klassengesellschaft, Rassismus, Sexismus, Schwangerschaft von Minderjährigen, Analphabetismus, HIV/AIDS, Behinderung/Anderssein, Down-Syndrom, Feminismus, Homosexualität, Ernährung, Stadt, Sozial- und Bildungssystem, Harlem, Black Cinema/Literature DIE BUCHVORLAGE DER REGISSEUR Copyright Prokino 2010 PRECIOUS – DAS LEBEN IST KOSTBAR basiert auf dem Roman Push der Dichterin Sapphire (Ramona Lofton, *1950). Das Buch, das im Jahr 1996 erschien und mit einer Reihe von Preisen ( u.a. Mind Book of the Year Award, New York Library Books for the Teen Age Award) ausgezeichnet wurde, basiert auf Sapphires Erfahrungen als Alphabetisierungslehrerin in Harlem und der Bronx. In einem einzigen langen „stream of consciousness“ erzählt die Protagonistin des Buches von ihrem Alltag und ihren Erinnerungen. Eine Besonderheit von Push ist die Sprache: Precious spricht afroamerikanischen Slang und schreibt in der phonetischen Rechtschreibung einer Analphabetin: „I’m walking down the hall from homeroom to first period maff. Why they put some shit like maff first period I don‘t know. Maybe to gone ’n git it over with.“1 Im Laufe des Buches wird ihre Schreib- und Ausdrucksweise zunehmend souveräner und korrekter. Der Roman endet mit einer fiktiven Zusammenstellung von Gedichten und Erzählungen, die Precious und ihre Klassenkameradinnen in ihren „Journals“ geschrieben haben. PRECIOUS ist die zweite Regiearbeit von Lee Louis Daniels (*1959), der zunächst in Hollywood als Besetzungsagent arbeitete und später eine eigene Produktionsfirma gründete. Seine erste eigene Produktion MONSTER‘S BALL (Regie: Marc Forster, 2001) wurde mit zwei Oscars ® ausgezeichnet und machte Daniels zum ersten afroamerikanischen Produzenten eines Oscar ® -Preisträgers. Weitere Produktionen waren THE WOODSMAN (Regie: Nicole Kassel, 2004) und TENNESSEE (Regie: Aaron Woodley, 2008). Im Jahr 2005 führte Daniels zum ersten Mal selbst Regie in SHADOWBOXER, einem eigenwilligen Auftragskiller-Familien-Drama, das bereits viele ästhetische Elemente von PRECIOUS vorweg nimmt. 1 4 Sapphire, Push, New York, 1997, S. 4 DIE WICHTIGSTEN FIGUREN CLAIREECE PRECIOUS JONES (Gabourey Sidibe), genannt Precious, ist die Protagonistin und Erzählerin des Films. Precious ist 16 Jahre alt und bereits das zweite Mal schwanger von ihrem Vater. Ihr erstes Kind, Mongo, wurde mit Down-Syndrom geboren und lebt bei der Großmutter Tootsie. Nach außen wirkt Precious verschlossen und aggressiv, in Wirklichkeit ist sie ein lernbegieriger Teenager, der auf seine Chance wartet. MARY JONES (Mo’Nique) Precious’ Mutter Mary ist eine aggressive, verbitterte, psychisch kranke Frau. Sie lässt Precious den gesamten Haushalt erledigen, beschimpft und missbraucht sie. Anstatt Precious vor dem übergriffigen Vater zu beschützen, wirft sie ihrer Tochter vor, ihr den Mann weggenommen zu haben. Sie verlässt das Haus kaum und lebt von Sozialhilfe, die sie für sich, Precious und deren Tochter bezieht. TOOTSIE JONES (Aunt Dot) Precious’ Großmutter Tootsie kümmert sich um Precious’ Tochter little Mongo. Immer wenn die Sozialarbeiterin zu Besuch kommt, bringt sie das Kind vorbei. Tootsie ist Precious wohlgesonnen und besucht sie auch im Krankenhaus, aber eine wirkliche Hilfe ist sie nicht, da sie Angst vor ihrer Tochter Mary hat. BLU RAIN (Paula Patton) Ms. Rain ist die lesbische Alphabetisierungslehrerin, die Precious in der alternativen Schule „Each One Teach One“ Lesen und Schreiben beibringt. Sie ist die erste Frau, die an Precious glaubt und ihr hilft. Sie wird für Precious zum Vorbild und zur Inspiration. Als Precious bei Blu und ihrer Freundin Catherine übernachtet, ist sie gerührt, dass zwei Fremde soviel netter zu ihr sind als die eigene Familie. MS. WEISS (Mariah Carey) Ms. Weiss ist Precious’ Sachbearbeiterin auf dem Sozialamt. Sie ist eine ambivalente Figur. Einerseits ist sie Precious wohlgesonnen, andererseits schlägt sie vor, Precious aus der Schule zu nehmen und in einem „workfare“-Programm unterzubringen. JOHN McFADDEN (Lenny Kravitz) Im Krankenhaus freundet sich Precious mit dem netten Pfleger John an, einem der wenigen Männer in Precious’ Welt, die nicht über sie hinwegsehen oder gewalttätig sind. DIE ALPHABETISIERUNGSKLASSE Die Mädchen in Precious‘ Alphabetisierungsklasse werden schnell zu Freundinnen und Verbündeten. Die ex-drogensüchtige Lateinamerikanerin Rita (Stephanie Andujar), Rhonda (Chyna Layne), eine Einwanderin aus Jamaika, Jermaine (Amina Robinson) aus der Bronx, die alberne Jo Ann (Xosha Roquemore) und die zickige und immer flirtende Consuelo (Angelic Zambrana) haben alle ähnliche Schicksale hinter sich und teilen einen ruppigen Sinn für Humor. LIGHT SKINNED BOYFRIEND Precious’ hellhäutiger Fantasiefreund taucht DAS NACHBARMÄDCHEN (RUBY) Die 8-jährige Tochter von Precious’ Nachbarn wird von ihren Eltern ähnlich vernachlässigt wie Precious. Zunächst ignoriert Precious die Versuche des Kindes, Kontakt aufzunehmen, doch zum Schluss erkennt sie in dem Mädchen ihre Leidensgenossin. 5 Alle Fotos: Copyright Prokino 2010 immer wieder in ihren Träumen auf. THEMEN UND MOTIVE Copyright Prokino 2010 SCHRITTE AUS DER ISOLATION Seit ihrem 3. Lebensjahr ist Precious ein Opfer sexueller und physischer Gewalt. Der Vater vergewaltigt das Mädchen regelmäßig über mehrere Jahre, die Mutter schlägt sie und missbraucht sie ebenfalls. Zum Zeitpunkt des Films liegt die sexualisierte Gewalt überwiegend in der Vergangenheit, die Folgen für Precious sind jedoch immer noch schwerwiegend. Immer wieder wird das Mädchen von Erinnerungen an die Vergewaltigung heimgesucht, sogenannten „Flashbacks“, die durch bestimmte „Trigger“ ausgelöst werden. Das können bestimmte Situationen, Geräusche TRAUMATISIERUNG DURCH SEXUALISIERTE und Gerüche sein, wie zum Beispiel die Kombination aus brutzelndem GEWALT Abendessen und Aggression der Mutter, die Precious‘ ersten Flashback im Film auslöst. Plötzlich überfällt sie die Erinnerung an ein anderes Der Begriff Trauma stammt aus der PsychoAbendessen an einem anderen Tag, an den schwitzenden Vater und an logie (griech. „Wunde“) und bezeichnet ein den Riss in der Decke über dem Bett. gewaltvolles oder überwältigendes Ereignis, das die Bewältigungsstrategien eines MenAus den unerträglichen Erinnerungen flüchtet sich Precious in intensive schen überfordert, so dass dieser Mensch Tagträume, die die Umwelt für einen Moment vollkommen ausblenauf besondere Notfall- oder Überlebensden. Der Riss in der Decke weitet sich zu einer Öffnung auf eine ganz strategien zurückgreifen muss. Häufig geht andere Szene, in der Precious als erfolgreicher, begehrter Star hofiert dieses Ereignis mit einer lebensgefährlichen wird. Ebenso reagiert sie, als die Mutter ihr eröffnet, dass ihr Vater HIVBedrohung einher. Kennzeichnend ist ein positiv war. Grelle Tagträume brechen in ihr Bewusstsein ein. Precious’ ausgeprägtes Erleben von Ohnmacht, HilfVerschlossenheit, Aggressivität, ihr unterentwickeltes Selbstbewusstlosigkeit und Auslieferung. Eine Traumatisein, ihre Schulschwierigkeiten und Essstörungen sind weitere typische sierung ist die Reaktion eines Menschen auf Reaktionen auf Missbrauchserfahrungen. dieses Ereignis, die individuell sehr unterschiedlich sein kann. Mit ihren Erlebnissen und Problemen ist Precious vollkommen allein. Ausser ihrer Mutter und der verängstigten Großmutter hat sie keinerlei Neben Traumata, die durch „höhere soziale Kontakte. In der Schule sitzt sie nur schweigsam da. Aus Scham Gewalt“ wie Naturkatastrophen oder und Angst wagt sie es nicht, sich jemandem anzuvertrauen. Weder schwere Erkrankungen verursacht werden und kollektiven Formen der Traumatisierung wie Krieg oder Verfolgung, gibt es Traumata durch Angriffe, Überfälle, sexualisierte und häusliche Gewalt. Besonders gravierend sind dabei traumatische Verletzungen, die in der Kindheit und über längere Zeit durch Bezugspersonen zugefügt werden, da das Kind abhängig vom Erwachsenen ist und sich daher nicht in Sicherheit bringen oder wirkungsvoll zur Wehr setzen kann. Bei sexualisierter Gewalt kommt hinzu, dass Scham- und Körpergrenzen massiv überschritten werden, meist besteht zusätzlich ein Redeverbot, das verhindert, sich in dieser Situation Hilfe zu holen. die Rektorin, noch das Sozialamt noch die Familienbetreuerin wissen, dass ihr eigener Vater sie geschwängert hat. Erst in der alternativen Schule „Each One Teach One“ findet Precious ein soziales Umfeld, in dem sie respektiert wird. Der erste Schritt aus der Isolation ist Precious’ Entschluss, sich in der angstfreien Atmosphäre von „Each One Teach One“ zu Wort zu melden und vorzustellen. Auf dem Sozialamt spricht Precious schließlich auch über den Missbrauch zu Hause, obwohl sie glaubt, damit ihre Mutter zu verraten. Im Verlaufe des Films lernt sie, 6 Ein Trauma ist dadurch gekennzeichnet, dass es überwältigend ist, d.h. nicht mit den üblichen Strategien handhabbar gemacht werden kann. Seele und Körper können der Situation nicht entgehen, weder Flucht noch Kampf (flight or fight) sind möglich. Die Seele greift dann zu einer Notfall-Reaktion, indem sie „dissoziiert“ (Dissoziation=Abspaltung). Das Erleben wird ausgeblendet, um sich vor Schmerz und Ohnmacht zu schützen, ähnlich dem Totstell-Reflex im Tierreich. Im Gehirn werden die traumatischen Erfahrungen in einem eigens hierfür vorgesehenen Gedächtnisspeicher aufbewahrt, der sich vom Alltagsgedächtnis unterscheidet. Durch Auslösereize, sogenannte TRIGGER (z.B. ein Geräusch, ein Geruch, ein Bild o.ä.) kann das Trauma-Gedächtnis aktiviert werden, so dass plötzlich Erinnerungsblitze in das Alltags-Erleben „einschießen“. Diese werden auch als FLASHBACKS bezeichnet und führen dazu, sich von Trauma-Erinnerungen überflutet zu fühlen. Oft ist eine Unterscheidung zwischen Trauma-Erinnerung und realer Situation kaum noch möglich, es kommt zu einem Hier-und-Jetzt-Erleben. immer offener mit ihren Erfahrungen umzugehen und das Geschehen dabei neu zu bewerten. Zuerst sagt sie noch, dass ihr Vater ihr „ein Kind gemacht hat“, später nennt sie die Vergewaltigung beim Namen und besucht eine Gesprächsgruppe für Inzest-Überlebende. In der letzten Szene des Films arrangiert die Sozialarbeiterin ein Treffen mit der Mutter, bei dem Precious endgültig klar wird, dass sie von ihrer Mutter schwer misshandelt wurde und sie ihr das auch mitteilt: „I never knew what you were until this day (…) You ain‘t gonna see me no more“. FRAGEN UND ARBEITSAUFGABEN # Warum wirkt Precious am Anfang des Films verschlossen und warum reagiert sie oft aggressiv? # In welchen Situationen überfallen Precious Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch? # Wie geht Precious mit diesen Erinnerungen um? Ändert sich ihre Strategie im Laufe des Films? Weitere Symptome von Traumatisierungen sind: Schlafstörungen, deutlich erhöhte Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit, Übererregbarkeit, Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen, verminderte Belastbarkeit und Erschöpfung, Depressionen, sozialer Rückzug, Suchterkrankungen, Ess-Störungen, Lebensüberdruss und Suizidalität, Selbstverletzendes Verhalten # Wie ändert sich Precious’ Verhältnis zu ihrer Mutter im Lauf des Films? # Warum beginnt Precious über den Missbrauch zu sprechen? Warum vertraut sie sich nicht früher jemandem an? Wer wären geeignete Ansprechpartner? QUEEN OF THE ABCs Bildung, bzw. das Erlernen von Lese- und Schreibfähigkeit, wird zum Wendepunkt in Precious‘ Leben. Der Film schildert die Entwicklung vom passiv gedachten Satz „I just sit there“ des Anfangs zum selbstbewussten ausgesprochenen Entschluss „... after that, college“ der letzten Szene. Die Überwindung von Diskriminierung und von Isolation ist für Precious vor allem ein Prozess der Sprachfindung. Copyright Prokino 2010 „Es gibt nur eines, was nachweislich und nachhaltig den ökonomischen Status von Frauen verändert, und das ist Bildung. Nicht die Ehe, nicht Mindestlohn-Jobs, nicht Jehova, nicht Jesus, nicht Islam, sondern Bildung. Ich war auf der richtigen Seite, und tat das Richtige für die richtigen Menschen. Darüber wollte ich schreiben.“ (Sapphire) Am Anfang erfahren die Zuschauer nur über ihre Gedanken, wie sie sich fühlt. Nach einem Lob durch den Mathematiklehrer Mr. Wicher kommentiert sie aus dem Off: „My heart is all warm inside“. Als Precious sich bei „Each One Teach One“ meldet, ist es das erste Mal, dass sie in der Schule etwas sagt. Ms. Rain fragt sie, wie sich das anfühlt. Sie antwortet: „It make me feel here – ich fühle mich anwesend“. In der neuen Schule lernt sie nicht nur Lesen und Schreiben, sondern auch, ihre Gefühle und Gedanken wahrzunehmen und zu äußern, zunächst schriftlich, dann auch unmittelbar. Schließlich erzählt sie den Freundinnen ohne Umschweife, was sie bedrückt: „I got the AIDS Virus“, und erlebt deren Mitgefühl und Anteilnahme. Es ist das erste Mal, dass wir sie weinen sehen. Lesen und Schreiben wird zu einem neuen Identitätskern, an dem sie sich in Krisensituationen festhält. Wenn Precious nach einer körperlichen Auseinandersetzung mit ihrer Mutter nachts 7 Copyright Prokino 2010 durch New Yorker U-Bahnhöfe läuft, sagt sie bei jedem Schritt einen Buchstaben des Alphabets auf. Im schriftlichen Dialog übt Precious auch, eine Position zu formulieren und zu verteidigen. Vom Krankenzimmer aus führt sie eine Diskussion mit Ms. Rain darüber, ob sie die Kinder behalten oder – wie Ms. Rain es ihr nahelegt – zur Adoption freigeben soll. Precious behauptet ihren Standpunkt und setzt ihn anschließend auch in der Realität um. Im Verlauf des Filmes wird sie zunehmend souveräner. Am Ende der Geschichte trifft sie KOGNITIVER SPRACHERWERB MIT die Entscheidungen ihres Lebens selbst und setzt sich gegen das SozialHILFE VON „DIALOGUEamt, gegen die Mutter und auch gegen Ms. Rain durch. Sie beschließt JOURNALS“ ihre Kinder alleine groß zu ziehen und auf’s College zu gehen. Ms. Rain unterrichtet ihre Alphabetisierungs-Klasse unter anderem mit „Dialog-Tagebüchern“, einer Methode des FRAGEN UND ARBEITSAUFGABEN: Spracherwerbs, die in den späten 80er Jahren entwickelt wurde und in den USA # Wie kommt es, dass Precious im Alter von 16 Jahren noch inzwischen auch in der Erwachsenenbilnicht lesen und schreiben kann? dung und im Fremdsprachenunterricht eingesetzt wird. Im Gegensatz zu anderen # Was bedeutet es für Precious, lesen und schreiben zu Methoden legen die Dialog-Tagebücher können? den Schwerpunkt auf individuellen Ausdruck und den Austausch von Ideen. # Warum sagt Precious auf ihrer Flucht vor der Mutter das Alphabet vor sich hin? Nennen Sie weitere entscheidende Die Methode entspricht einem schriftlichen Stationen von Precious‘ Lernprozess? Gespräch zwischen Lehrer und Schüler: Die Schülerinnen und Schüler schreiben regel# Übung: Führen Sie jeweils zu zweit eine handschriftliche mäßig in ihr Tagebuch. Dies kann zu Hause Diskussion zu einem Thema Ihrer Wahl. Gibt es Unterschiede oder in einem vorgegebenen Zeitfenster zu einer mündlichen Auseinandersetzung? von 10 – 15 Minuten im Klassenraum geschehen. Es gibt keine vorgegebenen # Projekt für Fremdsprachen-Klassen: Führen Sie ein Formen oder Inhalte. Berichte aus dem „Dialogue-Journal“. Leben, Fragen, Essays sind ebenso möglich wie Gedichte oder Geschichten. Ebenso ist die Länge variabel. Meistens gibt die Lehrerin ein Minimum von beispielsweise 3 IDENTITÄT UND SOLIDARITÄT Sätzen vor. Die Lehrerin oder Mentorin liest jeden In der ersten Szene von PRECIOUS sehen wir einen roten Schal inmitEintrag und schreibt zurück. Dabei kann ten der grauen Szenerie einer Hochbahn hängen. Es folgt eine Traumsie auf Fragen eingehen, oder selbst Frasequenz: eine rot gekleidete Frau überreicht Precious den Schal wie gen stellen und neue Themen einbringen. eine Auszeichnung. Die gute Fee ist Susan Taylor, Chefredakteurin des Wichtig ist, dass die Lehrerin in der Übung Essence-Magazins, Autorin und Initiatorin eines Mentorenprogrammes als Gesprächspartnerin der Schüler agiert für benachteiligte Kinder und Jugendliche. Dann greift ein knallrotes und die Texte weder bewertet noch kor„Exit“-Zeichen die Farbe wieder auf. Der Schal begleitet Precious wie rigiert. Rechtschreibung und Grammatik ein Talisman durch den gesamten Film, bis sie ihn nicht mehr benötigt spielen in dieser Übung keine Rolle. und im Wartezimmer des Sozialamtes an das kleine Nachbarmädchen weitergibt. Der Schal erinnert an die rote AIDS-Awareness-Schleife, er ist ein Zeichen der Hoffnung und er bindet Precious und das kleine Mädchen in die Gemeinschaft afroamerikanischer Frauen ein. Es ist eine Gemeinschaft, die Regisseur Lee Daniels in Details wie dem berühmten Hotel Theresa oder dem traditionsreichen Namen „Each One Teach One“ beschwört. Precious selbst entdeckt erst im Laufe des Films und mit zunehmender Bildung ihre Community. Zweimal weist 8 sie das kleine Mädchen ab, als es mit ihr spielen will. In ihren Träumen wünscht sie sich einen hellhäutigen Freund und als sie am Anfang des Films in den Spiegel sieht, fantasiert sie von sich als weißer, blonder Frau. Erst in Ms. Rain von „Each One Teach One“ findet sie ein positives Rollenbild: eine schwarze Frau, die klug, schön und selbstbewusst ist. Precious beginnt, sich als Teil schwarzer Kultur und Geschichte wahrzunehmen. Nach dem Museumsbesuch sieht sie sich im Klassenzimmer umgeben von ikonischen Bildern der (nicht nur schwarzen) Bürgerrechtsbewegung: Martin Luther King, Malcolm X, der Tianamen Platz. Als sie gegen Ende des Films noch einmal in den Spiegel sieht, erblickt sie sich selbst und ist einverstanden mit dem, was sie sieht. Die Dialog-Tagebücher sind eine verhältnismäßig zeitaufwendige aber äußerst effektive Arbeitsmethode. Vorteile sind u.a.: # Verlängerung der Lehrer-Schüler Kontaktzeit: Über die Dialog-Tagebücher lernen Lehrer ihre Schüler und deren Lebensumstände optimal kennen und können unmittelbar auf sie eingehen. # Management von Klassen mit unterschiedlichen Lernniveaus: alle Schüler können gleichermaßen an der Übung teilnehmen. In ihren Antworten gehen die Lehrenden automatisch auf das Sprachniveau der Schülerinnen ein. # Sehr guter Spracherwerb: Dialog-Tagebücher stellen Inhalt über Form und beschäftigen sich mit den Themen und Anliegen, die die Schüler direkt betreffen. Indem Lehrer auf einem etwas höheren Sprachniveau zurückschreiben, bieten sie ein Vorbild korrekten Sprachgebrauchs und einen Anreiz zum Spracherwerb. Das Vertrauen der Schüler in die eigene Schreibfähigkeit wird gestärkt. Mit der Entwicklung des eigenen Selbstwertgefühls bildet sich auch ihre Fähigkeit, andere Menschen anzunehmen und sich eine neue ‚Familie‘ aufzubauen. In den schwarzen und hispanischen Mädchen in ihrer Klasse findet sie zum ersten Mal Freundinnen. Als sie entdeckt, das Ms. Rain lesbisch ist, ist sie für einen Moment schockiert und reflektiert dann: „Homos not ones who rape me and what do that make you? Homos not ones who let me sit in class all them years and never learn nothin‘. And homos not ones who sell crack to peoples in Harlem.“ Es ist ein weiterer Bruch mit ihrer Mutter, für die Homosexuelle ‚bad people‘ sind. FRAGEN UND ARBEITSAUFGABEN # Wie würden Sie Precious´ Selbstbild am Anfang des Films beschreiben? Wie verändert es sich im Lauf des Films? Nach: Joy Kreeft Peyton Dialogue Journals: Interactive Writing to Develop Language and Literacy auf www.cal.org # Welche Menschen unterstützen Precious in diesem Prozess und auf welche Weise? # Wofür steht der rote Schal, der am Anfang des Film zu sehen ist? An welchen Stellen taucht er erneut auf? Warum? # Welche historischen Szenen sieht Precious vor sich, als sie nach dem Museumsbesuch im Klassenzimmer sitzt? Was bedeuten die Szenen für sie? POLITIK IN PRECIOUS Copyright Prokino 2010 PRECIOUS erzählt kein Einzelschicksal: in der letzten Volkszählung (2000) des U.S. Census Bureaus lag das Durchschnittseinkommen einer afroamerikanischen Familie bei 14.437 Dollar und damit 1/3 unter dem Durchschnittseinkommen aller amerikanischen Familien. Während Afroamerikaner im Jahr 2000 12% der Gesamtbevölkerung stellten, lag der Anteil von schwarzen Familien an Familien unterhalb der Armutsgrenze bei 27%. In den Bereichen Gesundheit und Bildung sieht es ähnlich katastrophal aus. Jüngste Zahlen des Centers for Disease Control aus dem Jahr 2007 belegen, dass der Anteil von Afroamerikanern an den HIV Infizierten bei 51% liegt. Im Jahr 1990 lag der Anteil schwarzer und hispanischer Frauen (19% der Bevölkerung) an den HIV-Infizierten sogar bei 72%, was auch auf die große Anzahl Drogenabhängiger unter der afroamerikanischen Bevölkerung zurückzuführen ist. Auch wenn sich seit dem Ende der Rassentrennung in den 1970er Jahren die Ausbildungserfolge der Angehörigen von ethnischen Minderheiten in den USA denen der weißen Mehrheit 9 deutlich angenähert haben, bestehen immer noch gravierende Unterschiede. Aus der Studie „Educational Attainment in the United States: 2003“ des U.S. Census Bureaus geht hervor, dass fast 90% aller weißen Amerikaner die High School abschließen. Bei schwarzen Schülern sind es nur 80% und bei lateinamerikanischen sogar nur 57%. Einen College Abschluss erwerben 34% aller weißen Amerikaner, aber nur 17% der Afroamerikaner. Aus der gleichen Studie geht hervor, dass weiße Amerikaner bei gleicher Qualifikation über ein Viertel mehr verdienen als Afroamerikaner. Copyright Prokino 2010 Eine Untersuchung des Brookings Institute aus dem Jahr 1998 (www.brookings.edu/articles/1998/spring_education_darling-hammond.aspx) führt die Unterschiede in der Ausbildung vor allem auf die Tatsache zurück, dass Schulen kommunal finanziert werden und entsprechend unterschiedlich HARLEM, 1987 ausgestattet sind. Die reichsten 10% der Schulbezirke der USA geben Der New Yorker Stadtteil Harlem nimmt in zehnmal soviel wie die ärmsten 10% der Schulbezirke aus. Haben Schüder afroamerikanischen Geschichte einen ler aus den ärmeren Bezirken Zugang zu einer optimalen Ausbildung bedeutenden Stellenwert ein. Von einem (das heißt: kleine Klassen, einen anspruchsvollen Lehrplan und hochunbedeutenden Vorort wird Harlem durch qualifizierte Lehrer), gleichen sich die Leistungen an. den Bau der Hochbahn im Jahr 1880 zum attraktiven Innenstadtviertel und löst einen Als schwarze Frau aus der Unterschicht, noch dazu übergewichtig und rasanten Bauboom aus. Nach dem Zusammit einem behinderten Kind, ist Precious auf mehreren Ebenen Diskrimenbruch des Wohnungsmarktes 1904 öffminierungen ausgesetzt. Entscheidende gesellschaftliche Institutionen net sich der Markt erstmals für Schwarze. des Films sind die Schule und das Sozialamt. In beiden werden Weichen Die ‚Afro-American Realty Company‘ von gestellt, die darüber entscheiden, ob Precious es schaffen kann, ihre Philip Payton mietet in großem Stil HäuVerhältnisse zu überwinden und sich einen besseren gesellschaftlichen ser an und vermietet die Wohnungen an Status zu erarbeiten. afroamerikanische Mieter weiter, die die Gelegenheit begeistert wahrnehmen und vor der Enge und den Rassenunruhen aus Tenderloin und San Juan Hill nach Harlem fliehen. Von 1920 bis 1930 steigt der Anteil der schwarzen Bevölkerung Harlems von 32% auf 70%.1 Das normale Schulsystem wird als defizitär dargestellt. Eine kurze Szene im Mathematikunterricht hinterlässt den Eindruck, dass Mr. Wicher es kaum schafft, seine Schüler zur Ruhe zu bringen, geschweige denn zu unterrichten. Und tatsächlich hat Precious ihre guten Noten, wie sie später erzählt, ja auch vor allem für ihr Schweigen erhalten. Trotz guter Noten wird sie dann von der Schule geworfen – weil sie ungewollt schwanger geworden ist. Ähnlich ambivalent ist das Sozialamt porträtiert. Während die Sozialarbeiterin sich bei einem Hausbesuch kaum mit der ihr zugeteilten Familie beschäftigt, scheint Ms. Weiss ehrlichen Anteil an Precious’ Schicksal zu nehmen. Sie hilft ihr, sich von ihrer Mutter zu lösen. Andererseits schlägt sie vor, die junge Frau zu „workfare“ zu verpflichten – 10 In den 20er Jahren wird Harlem zur kulturellen Hauptstadt des schwarzen Amerika. Die Protagonisten der „Harlem Renaissance“ sind Schriftsteller und Dichter, Intellektuelle, Maler und Musiker. Zu den Bekanntesten gehören die Dichter Langston Hughes, James W. Johnson und Countee Cullen, der Theoretiker W.E.B. Du Bois und die Jazzgrößen Duke Ellington, Count Basie, Bessie Smith und Josephine Baker. Zahlreiche berühmte Clubs und Bühnen entstehen wie der Cotton Club (der nur für weiße Gäste zugänglich war) und das Apollo Theatre. Ebenso wird Harlem zum Hauptquartier für politische und soziale Organisationen wie die NAACP (National Association for the Advancement of Coloured People), die National Urban League und Marcus Garveys Universal Negro Improvement Association. Von 1952-63 leitet Malcolm X in Harlem den Temple No. 7 für die Nation of Islam. Mehrfach kommt es zu Unruhen, so unter anderem nach der Ermordung von Martin Luther King im Jahr 1968. eine Arbeitsmaßnahme, die Precious Ausbildung unterbrechen und sie auf ein Leben als ungelernte Arbeiterin festlegen würde. Letztlich ist Precious für das Schul- und Sozialsystem nur eine Akte, die mit Tests einsortiert und in Maßnahmen platziert wird. FRAGEN UND ARBEITSAUFGABEN # Wie unterscheiden sich die Unterrichtsmethoden von Precious erster Schule und „Each One Teach One“? Warum hat Precious in ihrer ersten Schule nichts gelernt? # Welche Funktion hat die Sozialarbeiterin Ms. Weiss in Precious Leben? Übt sie einen positiven oder einen negativen Einfluß auf Precious aus? # Precious schreibt an Ms. Rain: „the welfare help mama“ worauf Ms. Rain antwortet: “You look and see how much welfare has helped your mother”. Was meint sie damit? Wie müsste ein Sozialsystem aussehen, das den Betroffenen hilft? # In Precious‘ Akte empfiehlt Ms. Weiss, sie zu einer Arbeitsmaßnahme zu verpflichten, wahrscheinlich als Dienstmädchen. Können Sie die Sichtweise der Sozialarbeiterin verstehen? Warum protestieren Precious und ihre Freundinnen? PRECIOUS, PUSH UND DIE FARBE LILA Sapphires Roman Push wurde 1996 veröffentlicht. Der Roman nimmt explizit Bezug auf Alice Walkers Roman Die Farbe Lila. Der Ausgangspunkt der Protagonistinnen von Push und Die Farbe Lila ist ähnlich: Wie Precious hat Celie zwei Kinder von ihrem Vater, und erfährt schlimme Misshandlungen und Vergewaltigungen, auch ihr Weg zur Selbstfindung beginnt darüber, dass sie lesen lernt. Celies Lernprozess findet nach dem Prinzip „Each one teach one“ statt: Weil sie selbst nicht zur Schule gehen darf, bringt ihre Schwester Nettie ihr das Buchstabieren bei. Eine weitere Stufe auf Celies Weg zur Selbstfindung ist ihre Einführung in weibliches Selbstbewusstsein und lesbische Sexualität durch die Geliebte ihres Mannes, die Bluessängerin Shug Avery. Bereits in den 20er Jahren beginnt auch der Verfall des Stadtviertels. Um die überhöhten Mieten zahlen zu können, nehmen viele Familien Untermieter auf und leben auf engstem Raum zusammen. Die Vermieter teilen die geräumigen Wohnungen auf, um ihre Einkommen zu maximieren und vernachlässigen zugleich deren Erhalt. Weiße Stadtreformer ignorieren den überwiegend schwarzen Stadtteil fast vollständig. Mit der Großen Depression in den 30er Jahren beginnt sich die Lage zu verschlimmern, eine Entwicklung, die sich auch durch die sozialen Wohnungsbauprojekte in den 60er Jahren nicht aufhalten lässt. In den 80er Jahren, in denen PRECIOUS spielt, hat die Entwicklung ihren Tiefpunkt erreicht. Mittelschichtfamilien haben den Stadtteil verlassen, zurückgeblieben sind die Allerärmsten und schlecht Ausgebildeten. AIDS, Drogen, Gewaltverbrechen und Armut führen dazu, dass die Lebenserwartung der Bewohner im Jahr 1990 derjenigen in Indien (Frauen) und Angola (Männer) entspricht.2 Seit Mitte der 90er Jahre erlebt Harlem eine rasante Gentrifizierung. Mit der „Zero Tolerance“-Politik von Ralph Giuliano geht die Verbrechensrate um 2/3 zurück. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts entdecken gut verdienende Schwarze und Weiße die attraktive Lage und die bezahlbaren Altbauten in Harlem. 2001 mietet Bill Clinton Büroräume im Herzen von Harlem an, erstmals gibt es wieder ein Kino, einen Supermarkt, Coffeeshops und Restaurants. Während der Anteil der Weißen an der Bevölkerung in Central Harlem 1980 bei gerade mal 0.6% lag, ist er inzwischen auf 6,5% gestiegen.3 1Ö„Harlem‘s Als Celie nach langen Jahren der Unterdrückung ihren Mann Albert endlich verlässt, wird sie von Albert mit Worten beschimpft, die auch Precious’ Mutter sagen könnte: „You’re black, you’re poor, you’re ugly, you’re a woman – You’re nothing at all!“ Celie antwortet: „I’m poor, black, I may even be ugly, but dear God: I’m here! I’m here!“ Die Worte „It makes me feel here!“, die Precious spricht, als Ms. Rain sie fragt, wie es sich anfühlt, zum ersten Mal im Klassenzimmer zu sprechen, erscheinen wie ein Echo von Celies Selbstidentifikation. Shifting Population“ by Andrew Beveridge August 27, 2008 in www.gothamgazette. com/article//20080827/255/2635 2ÖMcCord C and HP Freeman. „Excess Mortality in Harlem.“ New England Journal of Medicine 322(1990):173-177 3Ö„Harlem‘s Shifting Population“ by Andrew Beveridge August 27, 2008 in www.gothamgazette. com/article//20080827/255/2635 Roman und Verfilmung von Die Farbe Lila enden versöhnlich. Celie findet ihre Schwester und ihre Kinder wieder, Shug Avery versöhnt sich mit ihrem Vater, einem bigotten Prediger, selbst Celies gewalttätiger Ehemann findet über eine Art Buße zum Frieden. Diese Erlösung gibt es in PRECIOUS und Push nicht. Wenngleich Precious am Ende des Film zu Selbstsicherheit und einem höheren Grad an Selbstbestimmung gefunden hat, sind nicht alle Probleme dadurch 11 verschwunden. Sapphires Roman und Lee Daniels’ Verfilmung beinhalten eine tiefergehende Kritik gesellschaftlicher Zusammenhänge. PRECIOUS sagt nicht, dass Bildung und Selbstbewusstsein alle Proleme löst. Aber Film wie Roman zeigen, dass Bildung und Selbstbewusstsein eine Voraussetzung sind, um den Kampf gegen die Hindernisse gesellschaftlicher Diskriminierung überhaupt aufzunehmen. In Push wird auch auf Kontroversen angespielt, die die Verfilmung von Die Farbe Lila durch Steven Spielberg im Jahr 1985 betreffen, und die sich aktuell wieder an PRECIOUS entzünden: „I love The Color Purple, that book give me so much strength. Ms. Rain say a group of black men wanted to stop movie from the book. Say unfair picture of nigger men. She ax me what do I think. Unfair picture? Unfortunately it a picture I know (...)“ 1 REPRÄSENTATIONEN FRAGEN UND ARBEITSAUFGABEN # Arbeitsaufgabe: Sehen Sie sich Stephen Spielbergs Film DIE FARBE LILA an. Wo sehen Sie Paralellen? Inwiefern unterscheiden sich die beiden Filme? REZEPTION VON PRECIOUS IN DEN USA PRECIOUS hat in den USA eine hitzige Debatte um die Repräsentation von Afroamerikanern im Kino ausgelöst: „Seit THE BIRTH OF A NATION hat kein Mainstream-Film die Idee vom Leben schwarzer Amerikaner so sehr herabgesetzt wie Precious. Voller offen schamloser rassistischer Klischees (Precious stiehlt und isst einen ganzen Eimer mit gebratenen Hähnchen), ist er eine soziologische Horrorshow“, schrieb der Filmkritiker der New York Press, Armond White. Der Filmkritiker Ed Gonzalez schrieb im „Slant“-Magazin, Daniels betone in PRECIOUS „nur das Schlechteste der menschlichen Natur, und zwar auf eine Weise, in der die Vorurteile (und Fetische) des liberalen weißen Publikums eher hofiert als konfrontiert werden.“ In Blogs, auf Social-Media-Plattformen und auf Kommentarseiten von Internet-Filmmagazinen stehen zwei Kritikpunkte im Vordergrund: Dem Film wird einerseits vorgeworfen, gängige Klischees über Afroamerikaner zu bedienen, zum anderen seien die positiven Figuren in PRECIOUS (Ms. Rain, Ms. Weiss) besonders hellhäutig. Damit wiederhole der Film eine rassistische Logik, in der eine dunkle Hautfarbe mit einem niedrigen sozialen Status verknüpft wird. Armond White bezieht sich auf den rassistischen Filmklassiker THE BIRTH OF A NATION (R.: D.W. Griffith, 1915), weil dort zum ersten Mal das Klischee des schwarzen Vergewaltigers als Rechtfertigung für weiße Gewalt – und die Gründung des Ku Klux Klan – gezeigt wurde. Auch die Figur von Precious‘ Mutter Mary wurde als stereotype Darstellung einer faulen Schwarzen, die das Sozialsystem betrügt, kritisiert. Alleinerziehende schwarze Mütter sind in der US-amerikanischen Öffentlichkeit Hauptziel von Kampagnen gegen sog. „Sozialmissbrauch“. Zahlreiche Kritiker haben den Film gegen den Vorwurf, stereotype Darstellungen von Afroamerikanern zu zeigen, verteidigt. Nicholas 1ÖSapphire, 12 Push, New York, 1997, S. 82 f. VON AFROAMERIKANERN IN DER POPULÄRKULUR Klischeehafte Darstellungen von Afroamerikanern sind seit den Minstrel Shows des 19. Jahrhunderts Teil der amerikanischen Populärkultur. In Minstrel Shows schminkten weiße Schauspieler sich die Gesichter schwarz („Blackface“), und parodierten zum Amüsement des weißen Publikums die schwarze Kultur. Dabei bedienten sie sich fester Charaktere, die weit in die moderne Unterhaltungskultur hineinwirken, so etwa der Figur des „Jim Crow“, eines sorglosen, dummen Sklaven oder des „Zip Coon“ eines freien Schwarzen, der versucht, sich Stil und Kultur anzueignen und daran scheitert. Im frühen Hollywood-Kino, etwa in D. W. Griffiths rassistischem THE BIRTH OF A NATION tauchen diese Stereotypen wieder auf. An Minstrel-Shows angelehnte TV-Shows wie AMOS AND ANDY waren in den USA bis in die 50er Jahre hinein populär. Dem „Blaxploitation“-Kino der siebziger Jahre wurde häufig vorgeworfen, mit seinen stereotypen Figuren der schwarzen Zuhälter und Drogendealer auf die gleichen Rollenbilder zurückzugreifen. Aktuell stehen zahlreiche schwarze RapKünstler in der Kritik, ähnliche Stereotypen wieder zu beleben und damit den Vorurteilen des weißen Publikums zu schmeicheln. So wird dem Mitbegründer der politischen Hip-Hop-Gruppe „Public Enemy“ Flavor Flav mit seinen MTV-Shows „THE FLAVOR OF LOVE“ vorgeworfen, eine lächerliche Version des „Zip Coon Niggers“ darzustellen. Den bedeutendsten Beitrag des Kinos zu dieser Diskussion lieferte der afroamerikanische Regisseur Spike Lee mit seinem Film BAMBOOZLED (2000). Der Film handelt von einem schwarzen Drehbuchautor, der eine „Blackface“-Minstrel-Show im TV initiiert, in der rassistische Klischees mit den Powers schrieb im Magazin „The Indypendent“: „Wenn Kritiker sie (Sapphire) beschuldigen, Bilder von beschädigten Schwarzen zu zeigen, die Weißen das Vergnügen des Voyeurismus geben und verdrängte Ängste schüren, sollten wir die dialektische Schraube enger ziehen. Sollen Opfer systematischer Unterdrückung keine Symptome zeigen? Sind schwarze Verbrechen nicht eines dieser Symptome? Stimmt es nicht, dass die Machtlosen oft jene angreifen, die schwächer sind als sie selbst? Warum können wir nicht sagen, dass das mit uns passiert? Männer greifen Frauen an. Mütter greifen Kinder an. Erinnerungen greifen die Gegenwart an. Wie sollen wir heilen, wenn wir nicht sehen können, wie wir uns gegenseitig weh tun?“ Wie Powers argumentierte auch Matt Mazur im „PopMatters“-Magazin, dass die Geschichte von Precious‘ Leiden rassistische Klischees überwindet und transzendiert. „Mary und Precious sind nicht deswegen bemerkenswert, weil sie als Funktionen weißer Vorstellungen oder als stereotype Archetypen existieren, sondern weil sie gerade einen neuen Umfang afroamerikanischer Erfahrungen zeigen, die selten von Filmzuschauern oder Kritikern gefeiert werden, und weil sie in paradoxer Weise durch eine Erzählung, die Rassenbeziehungen transzendiert, einen öffentlichen Dialog über Rassenbeziehungen erzwingen.“ Der zweite Vorwurf, der gegen PRECIOUS erhoben wird, ist, dass die positiven Figuren im Film alle hellhäutig sind. In Sapphires Romanvorlage ist Ms. Rain eine dunkelhäutige Frau mit Dreadlocks, im Film spielt die hellhäutige Paula Patton die Rolle und sie trägt ihre Haare glatt, was Precious als „nice Hair“ bezeichnen würde. Daniels reflektiert diese Entscheidungen im Film im Rahmen eines Dialogs zwischen Precious und der von Mariah Carey gespielten Ms. Weiss. „What color are you anyway?“ fragt Precious. „What color do you think I am?“ fragt Ms. Weiss zurück. Mariah Carey ist als Popsängerin eine Ikone. Als sie zu Beginn ihrer Karriere im einflussreichen „Rolling Stone“-Magazin als „noch ein weißes Mädchen, dass schwarz klingen will“ beschrieben wurde, beharrte sie emphatisch darauf, dass ihr Vater ein schwarzer Venezulaner ist. Ihre Mutter ist eine irische Opernsängerin. Carey ist eine der Figuren des öffentlichen Lebens, an der sich die Frage des „Colorism“ besonders deutlich entzündet hat, und die zu Diskussionen geführt hat, was Schwarz-Sein eigentlich ausmache. Die Inszenierung artikuliert und reflektiert die Frage, wie hellhäutig jemand sein muss, um erfolgreich zu sein oder um als schwarz oder weiß zu gelten und stellt diese rassistischen Zuordnungen in Frage. FRAGEN UND ARBEITSAUFGABEN: # In den USA ist PRECIOUS kontrovers diskutiert worden. Können Sie sich mögliche Gründe vorstellen? # PRECIOUS ist vorgeworfen worden, mit stereotypen Darstellungen von afroamerikanischen Männern und „welfare mothers“ Vorurteile zu bestätigen. Wie beurteilen Sie diese Vorwürfe? # Nennen Sie Beispiele für stereotype Darstellungen in Film und Fernsehen. Wie sehen sie die Figuren in PRECIOUS im Vergleich? 13 Mitteln der Minstrel Show zugleich übertrieben dargestellt und entlarvt werden. Lee zeigte in seinem Film, dass es möglich ist, mit Mitteln der Übertreibung rassistischer Klischees diese zu entlarven und stellte sich auf die Seite von Rap-Künstlern, die solche Mittel anwenden. Auch Sapphire, die Autorin der Romanvorlage von PRECIOUS spielt mit den Rollenklischees der Minstrel-Tradition. Sie entnahm ihr Pseudonym von einer Figur aus den rassistischen AMOS AND ANDYShows. „Sapphire“ hieß dort die maskuline, dominante, herrschsüchtige Ehefrau einer der Hauptfiguren. Die verbreitetste schwarze Stereotype in der Populärkultur ist die Figur der schwarzen „Mammy“, die immer tapfer bleibt, ihren weißen Herren aufopfernd dient und jederzeit bereit ist, den Boden aufzuwischen und ein ordentliches Abendessen zu kochen. Exemplarisch wurde die Figur von Hattie McDaniel in VOM WINDE VERWEHT (1939) dargestellt. Mit der Figur des „magical negro“ benannte Spike Lee 2001 in einem Vortrag an der Yale University ein weiteres aktuelles rassistisches Rollenklischee. Die Rolle kann sowohl von männlichen als auch von weiblichen Schauspielern ausgefüllt werden. Ein schwarzer Nebendarsteller erscheint in diesem Stereotyp, um dem weißen Helden auf eine geheimnisvolle Art und Weise zu helfen, mit tiefer Weisheit oder sogar wirklicher Zauberkraft. Als typische „magical negro“Figuren sind etwa Morgan Freemans Rollen in DIE VERURTEILTEN (SHAWSHANK REDEMPTION), BRUCE ALLMÄCHTIG und MILLION DOLLAR BABY, Samuel L. Jackson in BLACK SNAKE MOAN oder Jennifer Hudson als Carrie Bradshaws weise Assistentin in SEX AND THE CITY beschrieben worden. Die Klischees des „magical negro“ und der „Mammy“ erscheinen in diesen Filmen einerseits als Beleg des Antirassismus, andererseits haben die idealisierten Figuren lediglich mythische Qualität und funktionieren innerhalb der Geschichten nur durch ihren Bezug auf die Probleme der weißen Protagonisten. FILMSPRACHE TRAUMSEQUENZEN UND VOICE-OVER Im Zentrum von PRECIOUS steht das Mädchen Precious und ihr Blick auf die Welt. Es gibt keine einzige Szene, in der Gabourey Sidibe, die Precious spielt, nicht anwesend ist. Mit ganz wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel in der letzten Szene, in der noch eine Interaktion zwischen Mary und Ms. Weiss zu sehen ist, nachdem Precious den Raum schon verlassen hat, ist Precious immer präsent. Die Kamera wechselt dabei zwischen beobachtenden Einstellungen und solchen, die Precious‘ Blick übernehmen PERSONEN oder ihre Gefühle akzentuieren. Zusätzlich arbeitet PRECIOUS mit wiederkehrenden Traum- und Erinnerungssequenzen und inneren Monologen, die einen Einblick in die Gedankenwelt der Heldin geben. Zum ersten Mal treten die Träume auf, als eine Begebenheit in der Küche Precious plötzlich an die Vergewaltigung durch ihren Vater erinnert. Als die schmerzliche Erinnerung unerträglich wird, verwandelt sie sich in einen grellbunten Traum. Auch im Folgenden sind die Traumsequenzen mit Stresssituationen verbunden, etwa wenn Precious Ms. Rain aus dem Bilderbuch vorlesen soll oder als Precious erfährt, dass sie HIV-positiv ist. Im Laufe des Films nehmen sie ab. Auch die Voice-over-Kommentare geben Einblick in die subjektive Perspektive der Heldin. Zunächst sind sie der einzige Anhaltspunkt dafür, was hinter Precious’ abweisender Miene vorgeht. Während Precious UND BEGRIFFE, DIE IN PRECIOUS ERWÄHNT WERDEN SUSAN L. TAYLOR Ikone der afroamerikanischen Community. Bis 2007 Chefredakteurin des populären „Essence“-Magazins und einer gleichnamigen TV-InterviewShow. Autorin des Buches „The Inspirational Writings of Susan L. Taylor“. Gründerin des „National Cares Mentoring Movement“, eines Mentorenprogramms innerhalb der afroamerikanischen Community in den USA, in dessen Rahmen Erwachsene unterstützende Beziehungen zu benachteiligten Kindern und Jugendlichen und zu Insassen von Jugendhaftanstalten aufbauen. BET-VIDEO Precious träumt davon in einem BET-Video zu tanzen. Black Entertainment Television ist ein TV-Sender, der sich vor allem mit Musikvideos an schwarze Jugendliche richtet. Copyright Prokino 2010 WESTCHESTER Vorort von New York, vor allem von der oberen Mittelschicht bewohnt. beispielsweise in der zweiten Szene äußerlich apathisch und stumm im Matheunterricht sitzt, erzählt sie im Voice-over etwas ganz Anderes: „I like math. I don‘t say nothin‘. I don‘t open my book even. I just sit there. Everyday I tell myself something‘s gonna happen. Like, I‘mma breakthrough. Or somebody gonna break through to me. I‘m gonna be normal and pay attention. And sit in the front of the class. Someday.“ Ihre innere Anteilnahme am Geschehen, ihre Sehnsucht nach Bildung, ihre Fähigkeit zur Selbstreflektion und ihr trockener Humor macht die Zuschauer zu Komplizen. Ihre Kommentare konfrontieren die Zuschauer mit den eigenen Vorurteilen: Im Wechsel zwischen der Außensicht auf ein übergewichtiges, renitent und langsam wirkendes Mädchen 14 NUMBERS GAME Precious’ Mutter verlässt das Haus nur, um die „Numbers“ zu spielen. Das „Numbers Game“ ist eine illegale Lotterie, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA gespielt wurde. In Harlem war das „Numbers Game“, auch als „policy racket“ bekannt. Seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Händen schwarzer Gangster, wurden „policy banks“ zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in der schwarzen Community und gewannen über Immobiliengeschäfte großen Einfluß auf den legalen Wirtschaftssektor. Mit der Einführung staatlicher Lotterien in den 80er Jahren verloren die „policy banks“ an Bedeutung. In Teilen der armen Bevölkerung wird das „Numbers Game“ trotzdem weiter gespielt, unter anderem, weil es möglich ist, kleine Summen zu wetten und zur Not auch auf Kredit wetten zu können. Copyright Prokino 2010 EACH ONE TEACH ONE Redewendung, die ihre Wurzeln in der Zeit der Sklaverei hat, als schwarze Sklaven systematisch von Bildung abgeschnitten waren. Es war verboten, Sklaven das Lesen und Schreiben beizubringen. Also gab jeder (each one), der Lesen und Schreiben beherrschte, dieses Wissen an eine andere Person weiter (teach one). und der Innensicht einer Frau, die mit Verstand und Energie gegen die Hindernisse ihrer Herkunft ankämpft, muss der Betrachter den ersten Eindruck immer wieder korrigieren und genauer hinschauen. Manchmal sorgt das Zusammenspiel von Filmrealität und Voice-over auch für humorvolle Momente, etwa wenn Precious im Voice-over sagt: „I don‘t understand a word they are saying“ und gleich darauf Ms. Rain Precious in der Filmrealität fragt: „Do you understand?“. FRAGEN UND ARBEITSAUFGABEN # Wann treten Traumsequenzen auf und wovon träumt Precious? Woran erkennt man, dass es sich um eine Erinnerung, einen Traum oder die Realität handelt? HOTEL THERESA Das Hotel Theresa war bis 1973 das höchste Gebäude in Harlem und ein Zentrum der schwarzen Kultur von den 40er bis 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Louis Armstrong, Duke Ellington, Billie Holiday, Josephine Baker, Ray Charles, Muhammad Ali und andere schwarze Prominente übernachteten im Hotel Theresa. Malcolm X führte seine „Organization of Afro-American Unity“ von hier aus, nachdem er die „Nation of Islam“ verlassen hatte. John F. Kennedy und Eleanor Roosevelt warben im Hotel Theresa um Wählerstimmen. 1967 wurde das Hotel geschlossen und nach längerem Leerstand im Jahr 1971 zu einem Bürogebäude umfunktioniert. EINSATZ VON FILMMUSIK VITTORIO DE SICA UND LA CIOCARA (UND DENNOCH LEBEN SIE) 1960 Nach einem Roman von Alberto Moravia erzählt De Sica die Geschichte einer Mutter (Sophia Loren), die ihre Tochter gegen Ende des zweiten Weltkriegs vor dem sie umgebenden Chaos und der allgegenwärtigen Gewalt zu beschützen versucht. Gegen Ende des Films werden beide Frauen in einer Kirche vergewaltigt. Eines der letzten großen neorealistischen Meisterwerke De Sicas, in denen er die psychischen Schäden von Krieg und Gewalt demonstriert. Lee Daniels setzt in diesem Film sowohl einen klassischen Filmscore als als auch Soul, Gospel, Funk und Hip Hop ein. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Filmen wird die Musik nicht lediglich als atmosphärischer Hintergrund benutzt. Songs und Songetxte erscheinen vielmehr als Kommentar zur Filmhandlung. Wenn Precious das erste Mal zum Hotel Theresa geht, ist im Hintergrund Sunny Gales Version des Musicalsongs „Did You Ever See A Dream Walking“ zu hören. Die Swing-Nummer wirkt zunächst wie ein ironischer Kommentar zu Precious’ zögerlichem Gang. Der Text des Songs in der Szene lautet: BILDER UND PERSONEN, VON DENEN PRECIOUS IM MUSEUM UMGEBEN IST: Malcolm X, Martin Luther King, Shirley Chisholm (die erste schwarze Abgeordnete im Repräsentantenhaus und Präsidentschaftskandidatin), Ballets Russes, Oliver North, Mahalia Jackson, Tianamen Platz, eine sich öffnende Blüte, ein Ziffernblatt mit sich rasend schnell drehenden Zeigern # Worüber redet Precious in ihren inneren Monologen? Wie würde sich der Film ändern, wenn Precious‘ Kommentare fehlen würden? # Arbeitsaufgabe: Schreiben Sie eine Filmszene, in der eine Traumsequenz oder eine Erinnerung eine Rolle spielt. Wer ist die Hauptperson? Was ist der Anlaß für den Traum/die Erinnerung? Wovon träumt er/sie? Woran erkennt man in Ihrem Film, dass es sich um einen Traum oder eine Erinnerung handelt? 15 GED Der General Educational Development Test (GED) schließt einen postschulischen Kurs zum Erlangen der US-Hochschulreife ab. Er wird bei über 95 % der US-Hochschulen als gleichwertig zum High School Diploma anerkannt und entspricht dem deutschen zweiten Bildungsweg. „Did you ever hear a dream talking? Well I did. Did you ever have a dream thrill you with will you be mine? Oh, it’s so grand and it’s too, too divine. Did you ever see a dream dancing? Well I did. Did you ever find heaven right in your arms, Saying I love you I do? Well the dream that was talking And the dream that was walking And the heaven in the arms was you.“ AFDC Aid to Families with Dependent Children. Staatliche Finanzhilfen für Familien mit geringem Einkommen. Zuerst im Rahmen von F.D. Roosevelts „New Deal“ beschlossen. Unter Bill Clintons Administration wurde die AFDC mit dem Argument, dass die staatliche Unterstützung die Arbeitsbereitschaft senke, auf insgesamt fünf Jahre im Leben des Empfängers insgesamt begrenzt und in „Temporary Assistance to Needy Families“ (TANF) umbenannt. Was zunächst als Ironie erscheint, wird im Nachhinein zu einer Bekräftigung von Precious innerem Erleben. Tatsächlich findet sie ihren Traum, jemand möge zu ihr durchdringen und jemand möge sie lieben, in ihrer Klasse bei „Each One Teach One“ erfüllt. Der Traum wird in dem Maße wirklich, in dem sie sich selbst findet. Gleichzeitig reflektiert der Song eine schwarze Kulturgeschichte. Sunny Gale ist eine weiße Jazz-Sängerin und der Song aus dem Jahr 1933 entstammt einem Ginger Rogers-Musical. Das ist der Kontext, in dem der Jazz beim weißen Publikum populär wurde. Zu dieser Zeit war das Hotel Theresa noch ausschließlich weißen Gästen vorbehalten und der Swing wurde im Cotton Club von schwarzen Musikern für ein ausschließlich weißes Publikum gespielt. Copyright Prokino 2010 WORKFARE Zwischen 1981 und 1987 experimentierten 28 amerikanische Bundesstaaten mit workfare - eine Wortschöpfung aus work (Arbeit) und welfare (Wohlfahrt) – Programmen. In dem sie von Sozialhilfeempfängern verpflichtende gemeinnützige Arbeit verlangten, wollten die Kommunen einerseits die Anzahl von Sozialhilfeempfängern reduzieren, andererseits die gemeinnützige Arbeit ausbauen. 1988 beschloss der Kongress den „Family Support Act“ und implementierte workfare-Programme bundesweit. Die Programme, die auch Vorbild für den Umbau der Sozialsysteme in vielen europäischen Staaten waren, sind umstritten. HALFWAY HOUSE Bezeichnung für betreute Wohngruppen in den USA. In PRECIOUS spielt der Begriff außerdem auf die Zeit der Sklaverei an. „Halfway Houses“ wurden Schutzhäuser für entflohene Sklaven im Rahmen des Fluchthilfe-Netzwerks „Underground Railroad“ genannt. „It took a long time to get to this place And now that I‘m here no one can ever erase The joy that I feel way down deep inside. The love that I have for me will never, never die. I can see in color the first sign of spring. The rose buds are blooming: I got a new song, new song to sing.“ 16 Copyright Prokino 2010 Wenn Precious zum ersten Mal ihr Kind Abdul sieht, erklingt Mary J. Bliges Song „I Can See In Color“. Hier gibt es nicht einen Hauch von Ironie, aber ebenfalls ein starkes Bewusstsein schwarzer Geschichte. Blige, eine der bedeutendsten aktuellen Soul- und R’n’B-Musikerinnen, hat den Song für diese Szene geschrieben. „I Can See In Color“ ist ein klassischer Deep-Soul-Song, der auf Traditionen von Soul, Blues und Gospel zurückgreift und auf jede Raffinesse in der Produktion verzichtet. Statt dessen erklingt eine Gospel-Orgel, wenn Blige singt: Copyright Prokino 2010 Die Songs, die Lee Daniels in PRECIOUS einsetzt, haben wenig mit dem Sound zu tun, den schwarze Jugendliche 1987 hörten. Sie kommentieren, akzentuieren und reflektieren verschiedene emotionale, historische und politische Elemente der Handlung. „I’m gonna teach my Baby all of this!“ sagt Precious, während sie im Klassenzimmer Mahalia Jacksons Auftritt als erste Gospel-Sängerin in der Carnegie Hall sieht. „System, don’t bother me“, singt Patti Labelle, FILMGLOSSAR wenn für Precious vor ihrem HIV-Test ihr weiteres Leben auf dem Spiel steht. Daniels erzählt auch auf der Ebene des Soundtracks eine VOICE-OVER Der Begriff Voice-over Geschichte der Emanzipation der schwarzen weiblichen Stimme. stammt ursprünglich aus dem Hörfunk und bezeichnet eine Tonspur, die eine andere Tonspur überlagert. In Filmen bezeichnet FRAGEN UND ARBEITSAUFGABEN: Voice-over eine Stimme, die der Zuschauer nicht direkt einer im Bildausschnitt sicht# Die Szene, in der Precious zum ersten Mal zu „Each One baren Person physikalisch zuschreiben Teach One“ geht, wird vom Swing-Stück „Did You Ever See kann. Beispiele für Voice-over sind etwa die A Dream Walking“ begleitet. In welchem Verhältnis steht die eingesprochenen Kommentare im DokuMusik zur Handlung? mentarfilm, Erzähler oder Ich-Erzähler, innere Monologe oder die Stimme eines # Fallen Ihnen weitere Beispiele ein, in denen die Musik als Darstellers, die ein anderer Darsteller in Kommentar, Untermalung oder Kontrast wirkt? Gedanken hört, z.B. in der Erinnerung oder beim Lesen eines Briefes. Oft wird Voice# Nennen Sie Filme, in denen Musik eine wichtige Rolle spielt. over wie in PRECIOUS dazu verwendet, um Wie wird die Musik eingesetzt? die Gedanken oder Gefühle einer Person zu erläutern, oder Hintergrundinformationen zu geben. GENRE UND BILDSPRACHE Filme, in denen es um Lehrer und ihre Schüler geht, gehören zu den beliebtesten und erfolgreichsten internationalen Produktionen. Die Motive und Szenen sind so standardisiert, dass man von einem SubGenre des melodramatischen Kinos bzw. des Problemfilms sprechen kann. Die ersten erfolgreichen Produktionen aus den 30er Jahren BOYS TOWN von 1938 und GOODBYE MR. CHIPS von 1939 liefern die Blaupausen für zahlreiche Produktionen der folgenden Jahrzehnte. BLACKBOARD JUNGLE (Die Saat der Gewalt) von 1955 machte den jungen Sidney Poitier zum Star und etablierte das Genre als eines, in dessen Rahmen Fragen des Rassismus verhandelt werden konnten. Seit den 80er Jahren entstanden zahlreiche Filme wie DANGEROUS MINDS (1995) und FREEDOM WRITERS (2007) , in denen die Krise der amerikanischen Innenstädte und Defizite des Schulsystems im Rahmen des Genres verhandelt werden. Typisch für das Genre ist die Berufung auf eine wahre Geschichte. Vorlagen sind Autobiographien von Lehrern in sozialen Brennpunkten (BLACKBOARD JUNGLE, DANGEROUS MINDS, PRECIOUS), Selbstzeugnisse von Schülern (THE MIRACLE WORKER, FREEDOM WRITERS) sowie Medienberichte und Biografien erfolgreicher Lehrer. Die Erzählungen folgen fast immer einem ähnlichen Schema: ein Lehrer (oder eine Lehrerin) kommt neu an eine Schule und muss sich zunächst gegen Widerstände seiner Schüler und oft auch seiner Umwelt behaupten. Schließlich findet er dennoch einen meist unorthodoxen Zugang zu seinen Schülern, der ihn 17 OFFSCREEN / ONSCREEN Die Begriffe Off- oder Onscreen beschreiben, ob Geräusche oder Ereignisse eines Filmes eine Entsprechung auf der Leinwand haben. Wenn beispielsweise ein Autounfall nicht zu sehen, sondern nur zu hören ist, werden die Unfallgeräusche als „offscreen“ und das Ereignis als „off-camera“ bezeichnet. Offscreen-Geräusche werden als Bestandteil des gefilmten Universums wahrgenommen, auch wenn ihre Ursache nicht im Bild zu sehen ist. Häufig ist dies zum Beispiel in Dialogen der Fall, wenn der Gesprächspartner gerade nicht zu sehen, aber noch zu hören ist. Geräusche, die von außerhalb der filmischen Realiät stammen, wie z.B. eine romantische musikalische Untermalung, bezeichnet man als ‚extradiegetisch‘. DIEGETISCHER/EXTRADIEGETISCHER TON Geräusche, Stimmen oder Musik, die ihren Ursprung in der gefilmten Realität haben, d.h. von den Figuren einer Szene gehört werden könnten, bezeichnet man als ‚diegetischen‘ Ton. Die Dialoge Copyright Prokino 2010 und Hintergrundgeräusche einer Szene sind meistens diegetisch, im Gegensatz zur Filmmusik, die in der Regel extradiegetisch eingesetzt wird, um eine Szene zu untermalen oder zu kommentieren. Ein Beispiel für diegetische Filmmusik wäre z.B. wenn die Protagonisten des Films eine Party besuchen oder Musik machen: die Musik, die Zuschauer und Akteure des Films hören, ist dann identisch. SCORE Als Score bezeichnet man die Hintergrundmusik eines Films. Meist wird der Score von einem einzigen Komponisten speziell für den Film komponiert. Oft gibt es ein musikalisches Leitmotiv, das sich durch den gesamten Film zieht. Das vielleicht berühmteste Beispiel für einen Filmscore ist Enrico Morricones Score für Sergio Leones Western SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD. nicht selten in Konflikt mit der Schulverwaltung bringt. Schlüssel zum Erfolg ist oft das Vertrauen einzelner, besonders unzugänglicher Schüler. Privat hat der Lehrer oft mit zerbrechenden Beziehungen zu kämpfen, da ihn seine Arbeit vollständig in Anspruch nimmt. PRECIOUS steht einerseits in der Tradition des Hollywood-Kinos, andererseits variiert und kommentiert der Film die Regeln des Genres und weicht in entscheidenden Punkten ab. PRECIOUS erzählt seine Geschichte nicht wie üblich aus der Perspektive der Lehrerin, sondern aus der Perspektive der Schülerin, die dadurch zum Subjekt der Handlung und zur Identifikationsfigur für den Zuschauer wird. Die persönliche Geschichte der Lehrerin, die in anderen Filmen des Genres einen großen Teil des Plots einnimmt, ist hier nur insofern relevant, als sie Precious zum Nachdenken über ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Vorurteile anregt. SOUNDTRACK Ursprünglich beschreibt der Begriff „sound track“ die gesamte Tonspur eines Films, die sich aus Dialog, Geräuschen und Musik zusammensetzt. Mit dem Beginn der Vermarktung der Filmmusik in den 50er Jahren setzte sich der Begriff Soundtrack für die Veröffentlichung der Filmmusik durch. Im Gegensatz zum Score besteht der Soundtrack zumeist aus einzelnen Songs verschiedener Interpreten. Auch für Precious wird Ms. Rain zur charismatischen Erlöserin. Lee Daniels übersteigert ihre Funktion sogar bewusst in der Szene, in der Precious das Klassenzimmer zum ersten Mal betritt. Sprunghafte Schnitte, sogenannte Jump-cuts, unterstreichen Precious‘ Nervosität und Unsicherheit als sie sich der Klasse nähert. Als sie die Tür dann öffnet, wird sie von strahlend weißem Licht geblendet, aus dem nach und nach wie eine Erscheinung Ms. Rain zum Vorschein kommt. Ähnlich expressiv ist am anderen Ende des Spektrums Marys Wohnung gestaltet: eine düstere verwinkelte Höhle, in der die Kamera oft aus schrägen Perspektiven filmt. FRAGEN UND ARBEITSAUFGABEN: # Filme, in denen eine charismatische Lehrerin ihre Schüler inspiriert, sind in Hollywood ein beliebtes Sub-Genre. Nennen Sie weitere Beispiele. # Inwiefern unterscheidet sich PRECIOUS von den genannten Filmen? # Was verbinden Sie mit dem Begriff Realismus im Kino? Halten Sie Precious für einen realistischen Film? Begründen Sie Ihre Meinung. 18 Copyright Prokino 2010 Daniels‘ „expressiver Realismus“ stellt PRECIOUS damit auch in die Bildtradition des engagierten amerikanischen und europäischen Realismus, wie sie sich in den nervösen Jazzfilmen von John Cassavetes und den überhöhten politischen Melodramen von Rainer Werner Fassbinder findet. SEQUENZPROTOKOLL Titel. Traumsequenz. S 1 0.00 – 0.01 In der Schule. Precious träumt im Matheunterricht. Im Büro der Direktorin Mrs. Lichenstein erfahren wir, das Precious zum zweiten Mal schwanger ist und von der Schule verwiesen wird. S 2 0.01 – 0.06 In der Wohnung der Jones. Mary wirft einen Aschenbecher nach Precious, als diese das Geschirr abwäscht. Precious hat einen Flashback einer Vergewaltigung durch ihren Vater. Die Szene wandelt sich in einen Traum, in dem Precious ein beliebter Filmstar ist. S 3 0.06 – 0.07 Mrs. Lichenstein teilt Precious über die Fernsprechanlage mit, dass sie sich bei „Each One Teach One“ melden soll. Mary bekommt einen Wutanfall. Sie beschimpft Precious und stürzt sich auf sie, um sie zu verprügeln. S 4 0.07 – 0.13 Mary tanzt im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Precious träumt in ihrem Zimmer davon, dass ihre Mutter und der Mathelehrer Mr. Wicher sie lieben. S 5 0.13 – 0.15 Precious geht morgens zum Hotel Theresa. Auf dem Weg weist sie ein kleines Mädchen zurück, das mit ihr spielen will. Musik: Sunny Gale – „Did You Ever See A Dream Walking“. In der Schule sind Aufnahmeformalitäten zu erledigen. Precious kann die Fragen im Einstufungstest nicht beantworten. Auf dem Weg zur Schule wird sie von drei Jungen belästigt und zu Boden gestoßen. Sie träumt sich in eine Glamourwelt. Musik: Queen Latifah: „Come Into My House“. S 6 0.15 – 0.21 Morgens sieht sich Precious im Spiegel als weißes Mädchen. Ihre Mutter masturbiert im Schlafzimmer und ruft sie zu sich. S 7 0.21 – 0.23 Precious stiehlt eine große Portion Hähnchenschenkel in einem Diner und isst sie auf dem Weg zur Schule. Dort übergibt sie sich in einen Papierkorb. Sie begegnet Ms. Rain und betritt zum ersten Mal das Klassenzimmer von „Each One Teach One“. S 8 0.23 – 0.27 In der Klasse bittet Ms. Rain die Schülerinnen sich vorzustellen. Rita, Rhonda, Jermaine, und Jo Ann stellen sich vor. Consuelo weigert sich. Precious schweigt zunächst ebenfalls, spricht dann aber doch das erste Mal in der Klasse. Auf dem Weg nach Hause denkt sie über die neue Schule und die neue Art des Unterrichts nach. Am nächsten Tag beleidigt Consuelo Precious im Unterricht. Precious schlägt auf sie ein. Ms. Rain trennt beide. S 9 0.27 – 0.35 In Ms. Rains Büro soll Precious etwas vorlesen. Sie hat einen Flashback zu den Beschimpfungen durch ihre Mutter und einer Vergewaltigung durch ihren Vater. Sie gibt schließlich zu, dass die Seiten für sie alle gleich aussehen. Ms. Rain bringt sie dazu, den ersten Satz zu lesen. S 10 0.35 – 0 38 Weil Mary das Essen, das Precious gekocht hat, nicht gefällt, zwingt sie Precious dazu, die ganze Portion aufzuessen. Im Fernsehen läuft Vittorio de Sicas Film LA CIOCARA (UND DENNOCH LEBEN SIE – 1960). Precious sieht sich und ihre Mutter als Figuren des Films. S 11 0.38 – 0.44 19 Auf dem Sozialamt. Precious soll der Kinderpsychologin und Sozialarbeiterin Ms. Weiss von ihrer Familie erzählen. Sie berichtet von ihrer Tochter Mongo, die Down-Syndrom hat. Dann spricht sie von ihrer Mutter, und einem Besuch der Sozialarbeiterin in der Familie, bei dem Mary ein heiles Familienleben vorspielt und vorgibt, Mongo lebe bei ihr. Schließlich entgleitet ihr die Bemerkung, dass ihr Vater ihr zwei Kinder gemacht habe. Im Bus sagt sie, sie könne nicht mehr lügen, hätte aber nichts von all dem sagen dürfen. S 12 0.44 – 0.51 Im Museum. Rita nimmt Precious’ Hand. Zurück in der Klasse sieht Precious Projektionen von historischen Dokumenten aus der Bürgerrechtsbewegung. Sie sagt, sie wolle das alles ihrem Baby beibringen. Die Schülerinnen lesen Texte vor. Precious spricht davon, dass sie gerne lernt. Als sie einen Text vorlesen will, setzen die Wehen ein. S 13 0.51 – 0.55 Im Krankenhaus bekommt Precious ihr Baby. Musik: Mary J. Blige: „I Can See In Color“. Bei einem Besuch der Mädchen aus der Schule sprechen sie mit Pfleger John über Ernährung. Precious schreibt im Dialog mit Ms. Rain in ihr Journal. Sie diskutiert mit Ms. Rain, die ihr vorschlägt, das Baby zur Adoption frei zu geben. Die Freundschaft zwischen Precious und den Mädchen in der Klasse vertieft sich bei deren Besuchen. John schenkt Precious eine Weihnachstkarte und 20 Dollar. S 14 0.55 – 1.02 Precious kehrt mit dem Baby nach Hause zurück. Auf der Treppe weist Precious noch einmal das kleine Mädchen zurück. In der Wohnung bekommt Precious’ Mutter einen Wutanfall und schlägt auf sie ein. Gospelmusik. Zerknitterte Fotos zeigen Precious, Mary und Abdul als glückliche Familie. Precious stürzt mit Abdul die Treppe hinunter, während Mary hinter ihr tobt. Auf dem Weg aus dem Haus stößt sie das kleine Mädchen zur Seite. Mary verwüstet die Wohnung. Precious läuft durch den Schnee und kommt an einer Kirche vorbei, in der eine Gospelgruppe probt. Sie träumt sich in einen festlichen Auftritt der Gospelgruppe hinein. Ihr hellhäutiger Phantasiefreund lächelt sie an. Precious fährt durch die Stadt. Auf dem Weg durch einen U-Bahnhof sagt sie bei jedem Schritt das Alphabet auf. S 15 1.02 – 1.09 Am Morgen entdecken Ms. Rain und die Schulsekretärin, dass Precious die Nacht in der Schule verbacht hat. Ms. Rain kümmert sich um eine Unterkunft für Precious, während Rhonda versucht, den Unterricht in der Klasse zu übernehmen. S 16 1.09 – 1.13 Precious verbingt die Nacht bei Ms. Rain und deren Lebensgefährtin Catherine. Precious setzt sich mit ihren Vorurteilen gegenüber homosexuellen Frauen auseinander. S 17 1.13 – 1.16 Precious erhält einen Preis für ihre Bildungs-Fortschritte. In der Schule wird ein Fest gefeiert. John fragt Precious nach Ms. Rain. Sie stellt ihn der Rezeptionistin vor. Nach dem Fest sprechen Ms. Rain und Precious allein miteinander. Precious schildert aus dem Off, welche Vorbildfunktion Ms. Rain für sie einnimmt. Sie erzählt von einem Buch in dem sie die Erklärung des Begriffs „Halfway House“ gelesen hat, beschreibt ihr Leben dort und ihre Liebe zu Abdul. S 18 1.16 – 1.19 20 Mary berichtet Precious, dass ihr Vater an AIDS gestorben ist. Precious sieht sich in einer grellen Traumsequenz als Star von Fotografen umlagert. Sie rät ihrer Mutter, zu einem Arzt zu gehen. Aus dem Fenster blickend, sieht sie ihre Mutter die Straße herunter gehen, während der Liebhaber ihrer Träume ihr zuerst zuwinkt und dann resigniert. S 19 1.19 – 1.21 In der Schulklasse. Rhonda erkärt den Begriff „unerbittlich“. S 20 1.21 – 1.22 Musik: Labelle – „System“. Precious erfährt, dass sie selbst HIV-positiv ist. Sie erzählt davon in ihrer Schulklasse. Sie weint, spricht über ihren Schmerz und darüber von niemandem geliebt zu werden. Ms. Rain sagt ihr, dass sie sie liebt und fordert sie auf, ihre Geschichte aufzuschreiben. S 21 1.22 – 1.26 In Ms. Weiss’ Büro. Precious fragt sie, welche Hautfarbe sie eigentlich hätte. Sie lässt sich von Ms. Weiss etwas zu trinken besorgen und stiehlt ihre Akte. Ms. Weiss kündigt ein Zusammentreffen von Precious und ihrer Mutter in ihrem Büro an. S 22 1.26 – 1.28 Precious thematisiert den Inhalt ihrer Akte in der Schulkasse. Sie hat darin gelesen, dass Ms. Weiss sie im Rahmen des workfare-Programms arbeiten lassen will. Sie will sich weigern und weiter zur Schule gehen. Die Mädchen diskutieren über workfare. Precious rechnet den Stundenlohn eines Hausmädchens im Bereitschaftsdienst aus. S 23 1.28 – 1.31 Precious geht zur Gruppe für Inzest-Überlebende. Im Wartebereich des Sozialamts reflektiert sie über ihren Wunsch, hellhäutig und dünn zu sein. Ms. Rain hat gesagt, sie sei schön, wie sie ist, und sie beginnt, ihr zu glauben. Währenddessen beobachtet sie, wie die Mutter des kleinen Mädchens aus S 6 und S 15 das Kind beschimpft. Sie steht auf und gibt dem Mädchen ihr rotes Tuch. Sie blickt in den Spiegel und sieht sich selbst an. S 24 1.31 – 1.32 Konfrontation von Precious und ihrer Mutter im Büro von Ms. Weiss. Ms. Weiss fragt Mary nach dem Missbrauch. Mary spricht über den Beginn des Missbrauchs und ihre Eifersucht. Sie gibt ihrer Tochter die Schuld an den Vergewaltigungen. Schließlich bringt sie Mongo ins Büro. Precious sagt Ms. Weiss, dass sie weiter zur Schule und danach auf das College gehen wolle. Ihrer Mutter sagt sie, dass sie sie niemals wiedersehen wird. Sie nimmt ihre Kinder und geht. S 25 1.32 – 1.42 Musik: Labelle: „It Took A Long Time“. Precious geht mit ihren Kindern die Straße hinunter. Abspann mit Widmung: FOR PRECIOUS GIRLS EVERYWHERE. S 26 1.42 – 1.49 21 HILFREICHE LINKS UND LITERATURHINWEISE OFFIZIELLE WEBSEITE www.das-leben-ist-kostbar.de MATERIALIEN www.cineclass.at ROMANVORLAGE Original: Sapphire, Push: A Novel. Vintage Contemporaries, New York 1997 Deutsche Fassung: Sapphire, Push. Rowohlt tb, Hamburg 2000 INFORMATION ZUR REZEPTION VON PRECIOUS IN DEN USA Armond White, New York Press, 4. 11. 2009: www.nypress.com/article-20554-pride-precious.html Ishmael Reed, Counterpunch, 4-6. 12. 2009: www.counterpunch.org/reed12042009.html Nicholas Powers, The Indypendent, 9. 12. 2009: www.indypendent.org/2009/12/08/precious-or-howi-learned-to-stop-worrying-and-love-the-movie Matt Mazur, PopMatters, 11. 12. 2009: www.popmatters.com/pm/feature/116194-state-of-the-race/P0 INFORMATIONEN ZUM THEMA SEXUELLER MISSBRAUCH arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/SexuellerMissbrauch.shtml www.missbrauchopfer.info www.praevention.org www.sexualaufklaerung.de/cgi-sub/fetch.php?id=171 Ursula Enders, Zart war ich, bitter war‘s: Handbuch gegen sexuellen Mißbrauch. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2009 INFORMATIONEN ZUR GESCHICHTE UND KULTUR HARLEMS www.columbia.edu/cu/iraas/harlem www.mywire.com/a/Enc-African-American-History-from-1896/Harlem/ 9451879/?&pbl=295&pos=2&relId=9444820 www.fr-online.de/in_und_ausland/panorama/2191484_Umwaelzungin-New-York-Harlem-wird-weiss.html ZAHLEN UND FAKTEN ZUM AMERIKANISCHEN BILDUNGSSYSTEM www.census.gov/prod/2004pubs/p20-550.pdf www.brookings.edu/articles/ 1998/spring_education_darling-hammond.aspx INFORMATION ZU HIV/AIDS IN DER AFROAMERIKANISCHEN COMMUNITY www.cdc.gov/hiv INFORMATIONEN ZU „DIALOGUE-JOURNALS“ www.cal.org/resources/Digest/peyton01.html INFORMATIONEN ZUR FILMSPRACHE Bender, Lexikon der Filmbegriffe, www.bender-verlag.de/lexikon James Monaco, Film verstehen: Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien. Mit einer Einführung in Multimedia, Rowohlt Tb., Hamburg 2000, Werner Faulstich, Grundkurs Filmanalyse. Stuttgart 2008 Helmut Korte; Einführung in die Systematische Filmanalyse: Ein Arbeitsbuch. Schmidt (Erich), Berlin 2004 22 IMPRESSUM Erstellt im Auftrag von Prokino, Berlin, 2010. VERANTWORTLICH: f i l m a g g r e g a t e texte/ konzepte/ veranstaltungen Hendrike Bake, www.filmaggregate.de. TEXT / REDAKTION: Hendrike Bake, Thomas Dorow. GESTALTUNG: zett media, Leipzig KONTAKT FÜR SCHULVOR STELLUNGEN IN ÖSTERREICH: polyfilm Verleih Margaretenstr. 78, 1050 Wien www.cineclass.at T: 01/581 39 00 - 26 M: [email protected] ARBEITSBLATT PRECIOUS – DAS LEBEN IST KOSTBAR FRAGEN UND ARBEITSAUFGABEN ZUM INHALT 1. Der Film PRECIOUS - DAS LEBEN IST KOSTBAR basiert auf dem Roman Push von Sapphire. Was verbinden Sie mit den beiden Titeln? An welcher Stelle taucht der Titel des Romans im Film auf? 2. Precious lebt bei ihrer Mutter. Wie ist ihr Verhältnis zu Beginn des Films? Wie ändert es sich im Verlauf des Films? Nennen Sie Schlüsselmomente. 3. Nach dem Sprachtest bei „Each One Teach One“ sagt Precious: “These tesses paint a picture of me with no brain”. Später stiehlt sie ihre Akte, um Genaueres über Ms. Weiss‘ Beurteilung zu erfahren. Welche Rolle spielen Tests und Akten in Precious‘ Leben? 4. Im Laufe des Films gewinnt Precious immer mehr an Selbstbewusstsein. Nennen Sie Stationen dieses Prozesses. Wie beeinflussen die verschiedenen Menschen in ihrem Leben diesen Prozess? 5. In PRECIOUS tauchen zwei wichtige Figuren ohne Namen auf: das kleine Nachbarmädchen und der imaginäre ‚hellhäutige Freund‘. Welche Bedeutung haben die Beiden und in welchen Szenen tauchen sie auf? 6. Welche Rolle spielt es für Precious, dass ihre Lehrerin Ms. Rain homosexuell ist? Wie verändert dieser Umstand ihre Weltsicht? 7. In Szene 13 ist Precious umgeben von Bildern, die sie an Menschen und Ereignisse erinnern, die sie ihrem Kind beibringen möchte. Fertigen Sie eine Liste mit politischen Ereignissen, Vorbildern und Gedanken an, die Sie geprägt haben. 8. PRECIOUS ist die Geschichte einer persönlichen Befreiung. Ist jeder für sein Leben selbst verantwortlich oder gibt es gesellschaftliche Faktoren, die den Verlauf determinieren? Begründen Sie Ihre Meinung. 9. Warum glauben Sie, dass die Geschichte so endet? Hat der Film ein tragisches oder ein hoffnungsvolles Ende? Welche Zukunft können Sie sich für Precious vorstellen? 10. PRECIOUS spielt 1987. Glauben Sie, der Film könnte auch heute spielen? Was wäre anders? FRAGEN UND ARBEITSAUFGABEN ZUR FILMSPRACHE 1. Precious wird von Erinnerungen heimgesucht und flüchtet sich häufig in Tagträume. Nennen Sie Beispiele. Wann treten die Träume/Erinnerungen auf und wie sind sie als Träume erkennbar? Welche Rolle spielen sie für Precious? 1 ARBEITSBLATT PRECIOUS – DAS LEBEN IST KOSTBAR Copyright Prokino 2010 Copyright Prokino 2010 Copyright Prokino 2010 2. Betrachten Sie die drei Filmstills aus dem Klassenzimmer, Marys Wohnung und dem Sozialamt in Hinblick auf Kamera, Lichtsetzung, Farbgebung und Raumkonstruktion. Was erzählen sie über die Rolle, die diese Orte in Precious‘ Leben spielen. Wie sind Precious und ihre Mutter, Ms. Rain und Ms. Weiss zueinander in Beziehung gesetzt? 3. Im Voice-over erzählt Precious von ihren Gedanken und Gefühlen. Kennen Sie andere Beispiele für Filme, in denen mit Erzählern gearbeitet wird. Nennen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Welche Funktion erfüllt die Erzählerstimme in PRECIOUS? 4. Precious läuft in zahlreichen Szenen des Films zu Fuß durch Harlem. Oft werden ihre Gänge von Musik oder ihren Erzählungen begleitet. Was erfahren wir in diesen Szenen über Precious, den Ort, an dem sie lebt, und ihre Sicht auf die Welt? Unterscheiden sich die Szenen? In welcher Beziehung stehen sie zum Ende des Films? 5. Empfanden Sie den Film als traurig? Haben Sie komische Elemente entdeckt? Welche Szenen haben Sie besonders berührt oder amüsiert? Warum? 2