"Das Unerwartete passiert andauernd", Badische Zeitung

Transcrição

"Das Unerwartete passiert andauernd", Badische Zeitung
18
w ir t s chaf t
badische zeitung
BZ-Thema:
Was verursachte die Krise?
f r ei tag, 3 0. nov e m be r 2012
„Das Unerwartete
BZ-INTERVIEW:
Für den Ökonomen Thomas Mayer tragen falsche Annahmen der
Warum hat so gut wie niemand
vor der Finanzkrise 2007/2008
gewarnt, deren Folgen noch heute
zu spüren sind? Für den früheren
Chef-Volkswirt der Deutschen
Bank, Thomas Mayer, sind die
ausgebliebenen Mahnungen eine
Folge von unzureichenden volkswirtschaftlichen Theorien, auf die
sich die Verantwortlichen stützten.
Im BZ-Interview erläutert er,
was schieflief, und warum die
österreichische Konjunkturtheorie
aus seiner Sicht besser zur
Erklärung der Wirklichkeit taugt.
Von Bernd Kramer
Z
u niedrige Zinsen können nach
Ansicht des Ökonomen Thomas Mayer dramatische Folgen
haben. Es entstehen Preisblasen an den Vermögensmärkten, zu denen beispielsweise der Immobilien-, der
Aktienmarkt und der Markt für festverzinsliche Wertpapiere gehören.
BZ: Herr Mayer, südbadische Häuslebauer
können heute ihr Haus zu einem Zinssatz
von knapp über zwei Prozent finanzieren.
Das ist so hoch wie die Inflationsrate. Was
den Häuslebauer freut, beunruhigt die
Bundesbank. Die sagt, dass alle Zutaten für
eine Immobilienpreisblase vorhanden seien. Sind die Zinsen in Deutschland zu niedrig, droht uns schon bald das gleiche
Schicksal wie den USA, die nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes
2007/2008 einen wirtschaftlichen Einbruch erlebten?
Mayer: Die Zinsen sind in der Tat im historischen Vergleich sehr niedrig. Zum Teil
haben wir sogar eine negative Realverzinsung, das heißt, die Zinsen sind niedriger
als die Inflationsrate. All dies passt nicht zu
einer Wirtschaft, die weiter wächst. Bei einer Wachstumsrate von einem Prozent
müssten die realen Kreditzinsen (tatsächlicher Zins minus Inflationsrate) mindestens
Im Wien zur Kaiserzeit (hier das 1883 fertiggestellte Parlament) wurden Theorien entwickelt, die noch heute viel zum Verständnis von Wirtschaft . . .
ein Prozent betragen. Hinzu kommen der
Inflationsausgleich und ein entsprechender Risikozuschlag, weil man nicht mit Sicherheit weiß, ob der Schuldner die Schulden zurückbezahlt. Dann käme man auf einen Wert, der deutlich über drei Prozent
liegt. Weil die Zinsen nicht angemessen
sind, haben wir in einigen Ballungszentren
übertriebene Immobilienpreise. Das ist
noch keine flächendeckende Entwicklung,
aber es ist nicht ausgeschlossen, dass in der
Bundesrepublik Ähnliches geschieht, wie
wir es in den USA, Großbritannien oder
Spanien in den vergangenen Jahren beobachten konnten.
BZ: Die Vertreter der österreichischen
Konjunkturtheorie haben stets vor zu niedrigen Zinsen gewarnt. Ist der Zins zu gering, werden schuldenfinanzierte Investitionen wie beispielsweise der Immobilienerwerb attraktiver. Die Zinsbelastung sinkt
ja. Das führt nach Ansicht der Österreicher
zu einer Kreditausweitung und Überinvestitionen – grob gesagt werden zu viele neue
Häuser errichtet, zu viel Kapital fließt in
Immobilien. Das treibt die Preise in ungerechtfertigte Höhen. Haben die Österreicher recht?
Mayer: Die österreichische Konjunkturtheorie hat die Preisblase an den Immobilienmärkten deutlich besser erklärt als herkömmliche Ansätze. Vor diesem Hintergrund sollte man die Situation in der Bundesrepublik genau beobachten. Wir sind
noch sehr weit von einer großen Blase mit
anschließendem Crash entfernt. Aber
Wachsamkeit ist auf jeden Fall geboten.
BZ: Wie kann denn eine Zentralbank, die ja
die Leitzinsen bestimmt, eine Preisblase
verhindern? In der Vergangenheit haben
die Zentralbanken nur reagiert. Sie haben
den Leitzins gesenkt, wenn die Immobilienpreise oder Börsenkurse drastisch in
den Keller fielen, Banken in Schwierigkeiten gerieten und das Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung verlorenging.
Mayer: Die Österreicher waren gegenüber Zentralbanken immer sehr skeptisch
eingestellt. Für sie gelten Zentralbanken als
Auslöser von Krisen. Wegen des politi-
schen Drucks halten Zentralbanken nach
Ansicht der Österreicher die Zinsen zu lange zu niedrig mit den entsprechenden negativen Folgen. Es ist unrealistisch, die
Zentralbanken abzuschaffen und die Schaffung von Geld zu privatisieren, wie es manche Österreicher fordern. Die Zentralbanken sollten jedoch bei ihren Leitzins-Entscheidungen und ihrer Geldpolitik stärker
die Entwicklung an den Kreditmärkten und
damit auch an den Märkten für Immobilien, Aktien oder Bonds (festverzinsliche
Wertpapiere) berücksichtigen. Bislang sind
die Zentralbanken vor allem darauf bedacht, ein bestimmtes Inflationsziel zu erreichen. Grundlage dafür ist jedoch die Entwicklung des Konsumentenpreisindex, in
den zum Beispiel die Preise von Nahrungsmitteln einfließen. Das Geschehen am Finanzmarkt bleibt jedoch weitgehend in
diesem Index unberücksichtigt. Das bedeutet: Es kann durchaus sein, dass Zentralbanken ihr Inflationsziel von beispielsweise zwei Prozent erreichen und trotzdem zum Handeln gezwungen sind. Nämlich dann, wenn gleichzeitig die Preise am
Aktien- oder Immobilienmarkt drastisch
steigen – also Inflation am Finanzmarkt
herrscht. Dann sollte die Zentralbank einschreiten und zum Beispiel gegebenenfalls
den Leitzins erhöhen.
BZ: Warum hat das keiner der Verantwortlichen vor der Krise getan?
Mayer: Unter bestimmten Annahmen in
volkswirtschaftlichen Modellen wie der
der rationalen Erwartungen und der der effizienten Märkte (siehe Artikel rechts unten), kann man die Geldpolitik auf die
Steuerung der Inflationsrate reduzieren.
Weil die Leute rational handeln, sich also
nicht täuschen lassen, und alle zur Verfügung stehenden Informationen bei ihren
Entscheidungen berücksichtigen, braucht
man sich in diesen Modellen nicht um den
Finanzmarkt zu kümmern. Die Kurse – also
die Preise für Aktien, Bonds oder Immobilien – sagen hier stets die Wahrheit, weil es
ganz einfach keine systematischen Fehleinschätzungen seitens der Finanzmarktteilnehmer gibt und alle Informationen sofort verarbeitet werden.
333
ÖSTERREICHISCHE SCHULE
Hochburg des Geistes
Das Wien der Kaiser- und Zwischenkriegszeit bescherte der Welt viele neue Einsichten
Friedrich von Hayek
Ökonom (1899–1992)
Karl Popper
Philosoph (1902–1994)
Sigm. Freud, Psychoanalytiker (1856-1939)
Billy Wilder
Regisseur (1906-2002)
Ludwig Wittgenstein
Philosoph (1889-1951)
Joseph Roth
Autor (1894–1939)
Kaum jemand hat es besser beschrieben
als der österreichische Schriftsteller und
Journalist Joseph Roth (1894–1939):
das Gefühl, die Heimat zu verlieren und
dabei zusehen zu müssen, wie die eigene
Kultur unter dem Einfluss zerstörerischer
Kraft zusammenbricht. Roth erzählt in
seinen Werken vom Niedergang der österreichisch-ungarischen Donaumonarchie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs
1918, den Wirren der Zeit zwischen den
Weltkriegen und dem Siegeszug der Nazis. Er zwang ihn und viele andere österreichische Intellektuelle zur Emigration
oder verwehrte ihnen die Rückkehr in
die Heimat. Zu diesen Vertriebenen gehörten Persönlichkeiten (Fotos), die mit
ihrem Denken noch heute das Verständnis der Welt prägen, deren Filme gern gesehen werden und über deren Ansichten
weiter diskutiert wird.
Die österreichische Hauptstadt Wien
war bis zum erzwungenen Anschluss Ös-
terreichs an Nazi-Deutschland 1938 ein
Ort, der kluge Köpfe aus dem Gebiet des
ehemaligen Vielvölkerstaates ÖsterreichUngarn geradezu magisch anzog. Die
Universität Wien galt als Elite-Uni, die
den Vergleich mit ihren Konkurrentinnen in den USA, Großbritannien und
Deutschland nicht zu scheuen brauchte.
In diesem geistigen Reizklima florierte
auch die Volkswirtschaftslehre. In Wien
wurde die einflussreiche österreichische
Schule der Ökonomie begründet. Ihr erster großer Vertreter war Carl Menger
(1840–1921). Eine seiner berühmten
Einsichten: Der Wert eines Gutes und damit der Preis hängt von der persönlichen
Einschätzung desjenigen ab, der das Gut
haben will und dem es einen Nutzen
bringt. Ist das Gut kaum vorhanden, also
knapp, und der Käufer will es unbedingt,
wird er bereit sein, einen höheren Preis
zu bezahlen. Damit stellte sich Menger
gegen eine weit verbreitete Meinung: Sie
besagt, dass der Preis eines Gutes von den
Produktionskosten abhängt.
Vom Wiener Ökonomie-Professor Eugen von Böhm-Bawerk (1851–1914)
stammt die These, dass sich die Politik
nicht auf Dauer über ökonomische Gesetze hinwegsetzen kann. Auf heute bezogen: Erfüllt eine Währungsunion nicht
bestimmte Anforderungen wie eine hohe
Mobilität der Arbeitskräfte und die Bereitschaft der Teilnehmerländer, sich mit
Hilfen zu unterstützen, läuft sie Gefahr
zusammenzubrechen.
Der später in Freiburg lehrende, aus
Wien stammende Ökonomienobelpreisträger Friedrich August von Hayek
(1899–1992) entwickelte zusammen mit
Ludwig von Mises (1881–1973) die österreichische Konjunkturtheorie. Sie
spielte in der ökonomischen Diskussion
lange eine untergeordnete Rolle, ehe die
Finanzkrise diesem Ansatz wieder größere Aufmerksamkeit bescherte.
bkr
w ir t s chaf t
f r e i tag, 3 0. n ov e mbe r 2012
badische zeitung
19
passiert andauernd“
Wirtschaftswissenschaften und zu niedrige Zinsen eine große Mitschuld an der Finanzkrise
Das heißt aber noch nicht, dass der EZBChef den Euro gerettet hat. Die Eurokrise
ist auf die fehlende Fähigkeit einzelner Länder zurückzuführen, mit den hohen Anforderungen einer Währungsunion zurechtzukommen. Zu diesen Anforderungen zählen zum Beispiel strenge Disziplin bei den
Staatsausgaben und auch eine hohe ökonomische Flexibilität, sprich Wettbewerbsfähigkeit. Solange dies nicht gegeben ist,
werden wir weiter von einer Krise sprechen. Draghi hat nur den Patienten in der
Intensivstation stabilisiert, aber ob er gesund aus dem Krankenhaus herauskommt,
ist noch gar nicht sicher.
BZ: Hätte man nach ihrer Ansicht besser
mit der Krise umgehen können? Stünden
wir heute mit einer Insolvenz Griechenlands und einem Austritt des Landes aus
der Eurozone besser da? Oder mit einem
Austritt Deutschlands aus der Währungsunion?
Die Macht des Kredits
Kreditimpuls = Änderung der Kreditströme
vom Finanz- zum privaten Nichtbankensektor
in % des BIP
Kreditimpuls (I.S.)
Konsum und Investition (real, r.S.)
. . . und dem Geschehen an den Finanzmärkten (hier die Frankfurter Börse) beitragen.
FOTOS: WOLFGANG GRABHERR/HEINZ WURZER/DPA (5)/BZ (3)
12
3 3 3 Die Finanzmärkte sind hier der
Wohnwagen, der vom Rest der Wirtschaft
gezogen wird, und hinterherzuckelt. Wenn
diese Annahmen aber nicht stimmen, der
Leitzins zu niedrig gesetzt ist, kann der
Wohnwagen ins Schlingern kommen und
so das ganze Gespann aus der Bahn werfen.
BZ: Wie kann sich eine Theorie durchsetzen, die auf Annahmen beruht, die dem gesunden Menschenverstand und der historischen Erfahrung widersprechen? Es gab ja
schon genügend Crashs an den Finanzmärkten in der Vergangenheit – zum Beispiel den Schwarzen Freitag 1929, als die
Börsenkurse nach einer wahren BörsenEuphorie in den Keller gingen oder die Tulpen-Hausse im 17. Jahrhundert, als die
Niederländer viel Geld in die Blumen investierten, weil sie hofften reich zu werden
und dann bitter enttäuscht wurden.
Mayer: Wissenschaftliche Theorien bilden sich nicht im luftleeren Raum. Sie unterliegen wie religiöse Überzeugungen
Glaubensströmungen, die sich aus Erfahrungen herausbilden. In der 70er Jahren
taugte der Vulgärkeynesianismus nicht
mehr dazu, die Wirklichkeit zu erklären.
Mehr staatliche Ausgaben und eine Tolerierung höherer Inflationsraten führten
nicht wie angenommen zu sinkenden Arbeitslosenraten, sondern zur Stagflation, also mehr Arbeitslosen und stetig steigenden
Inflationsraten. Das war die Stunde der Reformer, die nach vorne drängten und wie in
der Reformation ihre neuen Thesen an die
Wand schlugen. Dazu gehörten die Vertreter der rationalen Erwartungen, die dem
staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft wesentlich skeptischer gegenüberstanden
und die damalige Krise besser erklären
konnten. Deren Modelle wurden grob gesagt später noch verfeinert und dienten bis
heute als Arbeitspferd der Ökonomen.
Jetzt, nach der Krise, nachdem das alte Modell Schiffbruch erlitten hat, ist man wieder
auf der Suche.
BZ: Wird die österreichische Konjunkturtheorie alsbald wieder zum Pflichtstoff im
Volkswirtschaftsstudium?
Mayer: Es wäre geboten, weil diese Theorie sehr viel zum Verständnis des Finanzmarkts beiträgt. Aber sie wird sich nicht in
der Wirtschaftspolitik durchsetzen, weil
sie den Politikern nicht passt. Ich glaube,
andere Ansätze sind für die Politik attraktiver. Also solche, die besagen, dass an den
Finanzmärkten sehr viel Emotionen im
Spiel sind und deshalb die Forderung nach
einer stärkeren und sehr detaillierten Re-
gulierung des Finanzmarkts beinhalten.
Solch eine Position kommt der Politik entgegen, weil sie ihr Handlungsspielräume
eröffnet. Sie kann etwas tun, schafft aber
damit mehr Komplexität, die nicht mehr
überblickt werden kann und bereitet damit
am Ende schon wieder die nächste Krise
vor. Bei den Österreichern ist das anders.
Sie sagen, wir müssen die Märkte so gestalten, dass sich die Anreize ungestört entfalten können. Also: Wir schaffen einen einfachen Rahmen, überlassen aber ansonsten
das System sich selbst. Das ist die beste Voraussetzung für Stabilität. Für die Politik ist
ZUR PERSON
THOMAS MAYER
Der Wirtschaftswissenschaftler
(geboren 1954) gehört derzeit zu den
am stärksten beachteten deutschen
Ökonomen. Vor Kurzem hat der britische Economist, ein von Politikern,
Managern und Wissenschaftlern weltweit
gern gelesenes Magazin, sein neues Buch
„Europas unvollendete Währung“ besprochen. Mayer hat an der Universität
Kiel 1982 promoviert, und arbeitete
später unter anderem für den Internationalen Währungsfonds und
die Investmentbank Goldman Sachs.
2002 kam er zur Deutschen Bank.
Dort ist er heute Berater der Geschäftsleitung.
–
Thomas Mayer hält am Dienstag,
4. Dezember, um 19 Uhr die HayekVorlesung unter dem Titel: „Eine österreichische Antwort auf die Krise der modernen Makro- und Finanzökonomie“ (Haus
zur Lieben Hand, Löwenstraße 16, Freiburg).
Veranstalter sind das Walter-Eucken-Institut
und die Friedrich-August-von-HayekGesellschaft.
bkr
das aber nicht sonderlich attraktiv. Ist der
Rahmen erst einmal gesetzt, hat der Macher nichts mehr zu tun.
BZ: Können Sie das anhand von Beispielen
genauer erläutern?
Mayer: Nehmen Sie das Beispiel Bankenregulierung. Wenn eine Marktwirtschaft
funktionieren soll, müssen Haftung und
persönliches Handeln im Einklang stehen.
Wer etwas tut, muss nachher auch dafür geradestehen. Man muss also für Gesetze sorgen, die diesen Einklang herbeiführen. Eine solche gesetzliche Regelung wäre zum
Beispiel ein Insolvenzrecht für Banken. Es
würde erlauben, dass eine Bank vom Markt
verschwinden kann, die Eigentümer haften und der Steuerzahler nicht zur Kasse
gebeten wird, um die Bank zu retten.
Ein Beispiel für eine schlechte Regulierung wäre die von vielen geforderte Trennung von Investmentbanking und normalen Bankgeschäft bei Großbanken. Es ist
völlig unklar, ob das für mehr Stabilität und
Sicherheit im Finanzsystem sorgt. Lehman
Brothers war eine reine Investmentbank,
als sie zusammenbrach. Northern Rock
war eine einfache Bausparkasse, als sie in
Schwierigkeiten geriet und den ersten
Bank-Run seit der Jahrhundertwende in
Großbritannien hervorrief. Kunden stürmten die Bank damals, weil sie Angst um ihr
Erspartes hatten.
BZ: Unter welche Kategorie fallen die geplanten Basel-III-Regeln für Banken? Sie
besagen, dass Banken über einen höheren
Eigenkapitalpuffer verfügen müssen, um
Krisen besser durchzustehen. Schlechte
Regulierung oder guter Rahmen?
Mayer: Teils, teils. Basel III geht zumindest in die richtige Richtung. Die volkswirtschaftlichen Modelle, welche die Entscheidungsgrundlage für die Banken waren, haben sich ja als äußerst unzuverlässig erwiesen. Anders gesagt: Die Bankmanager haben ein falsch programmiertes GPS-System
verwendet. Wie die Piloten in einem Flugzeug ihrer Navigationshilfe vertrauen, haben sich die Banken auf Modelle verlassen.
Diese haben sie in falscher Sicherheit gewogen. Die Modelle gaben zum Beispiel
an, wie hoch das Risiko einer Bank zu einem bestimmten Zeitpunkt ist. Wegen der
schon erwähnten falschen Annahmen
taugten die Angaben jedoch wenig. Die Piloten der Banken flogen gegen den Berg.
Die Risiken waren viel höher, weil größere
Störungen öfters auftreten als in der Vergangenheit angenommen wurde. Das Unerwartete passiert andauernd. Weil dies so
ist, sind größere Reserven zwingend. Das
sieht Basel III vor.
Andererseits kann niemand genau sagen, wie hoch das Eigenkapital sein muss,
damit eine Bank eine größere Krise durchstehen kann. Die Österreicher würden hier
auf den Markt vertrauen. Stehen Haftung
und Handeln bei den Bankern im Einklang
und können Kunden zwischen verschiedenen Finanzinstituten wählen, würde sich
eine optimale Eigenkapitalquote am Markt
bilden. Auf Dauer würden die Kunden
nämlich nur der Bank trauen, die genügend
Reserven haben.
BZ: Sie haben viel über zu niedrige Kreditzinsen gesprochen. In den europäischen
Krisenländern haben wir eine völlig andere
Situation. Dort sind die Kreditzinsen hoch,
die Banken scheuen davor zurück, Darlehen zu vergeben. Italien und Spanien können sich am Kapitalmarkt nur deshalb zu
einigermaßen günstigen Zinsen refinanzieren, weil die Europäische Zentralbank
angekündigt hat, im Notfall deren Staatsanleihen zu kaufen, um die Renditen, also
die Zinsen zu drücken. Das hat gewirkt. An
der Eurofront ist es deutlich ruhiger geworden. Hat EZB-Chef Mario Draghi den Euro
gerettet?
Mayer: Draghi hat den Euro vorerst aus
dem Feuer geholt, weil er die Zentralbank
hinter die Einheitswährung gestellt hat.
% des BIP
Veränderung
USA
8
4
0
-4
-8
-12
1928 '38 '48 '58 '68 '78 '88 '98 2008
BZ-Grafik/zeh
Quelle: US Federal Reserve
Mayer: Es ist im Nachhinein immer
schwer zu sagen, was passiert wäre, wenn
dies oder jenes geschehen wäre. Ich glaube
aber, dass wir bei einem frühzeitigen Schuldenschnitt in Griechenland heute ein
Stück weiter wären. Nun ist es leicht, als
Ökonom vom grünen Tisch aus Vorschläge
zu machen. Es ist eine andere Sache, als Politiker andere Euroländer von diesen Vorschlägen zu überzeugen und sie anschließend auch umsetzen zu müssen. Da gelten
andere Rahmenbedingungen. Wir sind alle
durch einen kollektiven Lernprozess gegangen. Und wenn wir uns fragen, wo wir
heute angekommen sind, dann zeigen sich
durchaus Fortschritte. Ich habe zusammen
mit meinem Freund Daniel Gross Anfang
2010 die Idee eines Europäischen Währungsfonds ins Spiel gebracht. Damals hat
keiner daran geglaubt. Heute haben wir
ihn in Form der Euro-Rettungsschirme.
EINFLUSSREICHE THEORIEN
Rationale Erwartungen
Effiziente Märkte
Wie Verbraucher, Unternehmer oder
Verbände ihre Erwartungen für die
zukünftige wirtschaftliche Entwicklung
bilden, ist eine der spannendsten Fragen
der Ökonomie. Das liegt daran, dass
die Annahmen über die Erwartungsbildung einen enormen Einfluss auf die
Schlüsse haben, die aus ökonomischen
Modellen gezogen werden. Rationale
Erwartungen besagen, dass die Handelnden keine systematischen Fehler
bei der Vorhersage der Entwicklung
wirtschaftlicher Größen machen. Das
heißt zum Beispiel: Die erwartete Inflationsrate entspricht ziemlich genau
dem tatsächlichen Wert. Eine expansive
Geld- oder Fiskalpolitik, die darauf beruht, Konsumenten und Firmen dauerhaft zu täuschen, hat bei rationalen
Erwartungen keine Aussicht auf Erfolg.
Bei effizienten Märkten spiegeln sich
alle verfügbaren Informationen sofort
in den Preisen, beispielsweise den Aktienkursen, wider. Die Anleger handeln
hier auch rational. Ein Beispiel: Ein
börsennotiertes Unternehmen gibt bekannt, dass es gute Geschäfte erwartet.
Anleger weltweit erhalten diese Information. Sie rechnen mit höheren Gewinnen und wollen Aktien des Unternehmens kaufen. Wegen der vielen
Bestellungen schnellt der Kurs der Aktie
sofort in die Höhe. Nimmt man zusätzlich an, dass sich die Börsenkurse zufällig
entwickeln, ist es nicht möglich, Börsenkurse vorherzusagen. Für „BörsenGurus“ ist kein Platz. Zudem kann keiner
auf Dauer den Markt schlagen, also mit
seiner Aktienauswahl besser als beispielsweise der Dax sein.
bkr/kö