Wort, das tröstet und befreit
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Wort, das tröstet und befreit
Wort, das tröstet und befreit - Die Bibel als Begleiterin sterbender Menschen. Ein Praxisbericht Klaus M. Schweiggl SJ Sie hat mich sehr betroffen gemacht, als ich sie zum ersten Mal las: Fridolin Stiers „Geschichte“, „Das Wort Gottes kommt in die Stadt“. Dann habe ich sie beinahe wieder vergessen. In den ersten Jahren als Hospizseelsorger war sie dann eines Tages erneut ganz gegenwärtig. „Das Wort Gottes kommt in die Stadt“, klopft an Haustüren und findet keinen Einlass. In der Kirche wird es feierlich empfangen, - „aber das Wort Gottes selbst kam nicht zu Worte“. Zuletzt, zu Besuch bei einem Theologen, sieht es sich mit der Frage konfrontiert: „Was wollen Sie von mir?“ - Und gleichsam den Grund seines Kommens offenbarend, antwortet es, „Sie will ich“, „Sie!“1 Das Zeugnis des Johannesevangeliums, dass „das Licht in der Finsternis leuchtet“ und „das Wort unter uns gewohnt hat“ (1,5.14) lädt ein, darauf zu vertrauen, dass es auch heute dort gegenwärtig ist, wo Menschen leiden, wo Angst, Hoffnungslosigkeit, Tod und Trauer das Leben verdunkeln. Klopft also das Wort Gottes nicht gerade an die Türen derer, bei denen ich als Hospizseelsorger zu Besuch bin? Die Frage trieb mich um. Oft „hörte“ ich es geradezu: „Aber lassen Sie mich doch hinein, ich habe Ihnen ein ganz persönliches Wort zu sagen, nämlich mich selbst in meiner eigenen Person“2. Dass uns Gottes Wort bei der Feier der Krankensakramente, beim Gebet am Totenbett oder in der Begräbnisliturgie begegnet, bezweifle ich nicht. Das Bedrängende der Frage ist aber, ob wir dort jene Begegnung mit ihm erleben, die wir erleben könnten? Wird dabei der Anspruch des Wortes Gottes erfahrbar - „ein ganz persönliches Wort“3 zu sein, das mir gilt, weil es „mich will“? Wird es in der Verkündigung als das Wort erlebbar, „das tröstet und befreit“4, als das Wort, das den Anspruch erhebt, „wenn Sie auf mich hören, tut sich etwas mit Ihnen …“5 ? Sonntag, 28.09.14 26. Sonntag im Jahreskreis L I Ez 18,25-28 L II Phil 2,1-11 E Mt 21,28-32 Montag, 29.09.14 Michael, Gabriel und Rafael L Dan 7,9-10.13-14 E Joh 1,47-51 Dienstag, 30.09.14 L Ijob 3,1-3.11-17.20-23 E Lk 9,51-56 Mittwoch, 01.10.14 L Ijob 9,1-12.14-16 E Lk 9,57-62 Donnerstag, 02.10.14 Hl. Schutzengel L Ijob 19,21-27 E Mt 18,1-5.10 Freitag, 03.10.14 L Ijob 38,1.12-21; 40,3-5 E Lk 10,13-16 Samstag, 04.10.14 Y Jom Kippur (Versöhnungstag) s.S. 36 Z Id al-Adha (Opferfest) L Ijob 42,1-3.5-6.12-17 E Lk 10,17-24 Sonntag, 05.10.14 27. Sonntag im Jahreskreis L I Jes 5,1-7 L II Phil 4,6-9 E Mt 21,33-44 Montag, 06.10.14 L Gal 1,6-12 E Lk 10,25-37 Dienstag, 07.10.14 L Gal 1,13-24 E Lk 10,38-42 Mittwoch, 08.10.14 L Gal 2,1-2.7-14 E Lk 11,1-4 Donnerstag, 09.10.14 YBeginn Sukkot (Laubhüttenfest) s.S. 36 L Gal 3,1-5 E Lk 11,5-13 Freitag, 10.10.14 L Gal 3,6-14 E Lk 11,14-26 Samstag, 11.10.14 L Gal 3,22-29 E Lk 11,27-28 Es gibt vieles, das es uns schwer macht, dort Christus zu hören, ihn der „selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden“6. „Und dann hob der Prediger an, das Wort Gottes zu preisen […]. Und so sprach er darüber, aber das Wort Gottes kam selbst nicht zu Worte“7. Ist nicht das der entscheidende Grund, - dass das Wort Gottes selbst nicht zu Wort kommt? Die Fragen haben mich nicht mehr losgelassen. Zuerst noch etwas zurückhaltend, habe ich begonnen, Menschen bei meinem Besuch manchmal einen Abschnitt aus der Bibel vorzulesen. Nicht im Sinne einer gemeinsamen „Schriftlesung“, sondern bewusst beschränkt auf „Lesen“ und „Hören“. Eines Tages fragte mich eine Frau, sie bezog sich auf den letzten Halbvers bei Matthäus (Mt 28,20b: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“): „Gilt das auch für mich?“ Das hat mich bewegt, mutiger zu werden. Anfangs hatte ich vor, mir eine Sammlung „passender“ Schriftstellen anzulegen. Diesen Gedanken habe ich bald modifiziert. Von der „Tagesverfassung“ der betroffenen Menschen ausgehend, versuche ich Texte zu wählen, in denen die Hörenden (möglicherweise) Spuren des eigenen Lebens entdecken können. Häufig lese ich deshalb Psalmen. Gerne schöpfe ich auch aus dem Schatz anderer biblischer Gebetstexte. Gelernt habe ich dabei, dass es hilfreich ist, kurz den Lebenskontext der betenden biblischen Gestalt zu erläutern. Weiter wähle ich Schriftstellen, die von der Glaubensgeschichte einer Person berichten. Ich nenne sie Texte mit „einem Gesicht“. Nicht zuletzt wähle ich Schriftstellen, die uns Gottes „Mühen“ um den Menschen vor Augen stellen. Dazu gehören bevorzugt Texte, durch die erfahrbar wird, wie Jesus auf Menschen „zugeht“ und mit ihnen „umgeht“. Eine wichtige Quelle sind biblische „Bezugstexte“, die mit den Lebensfragen sterbender und trauernder Menschen in engerem Zusammenhang stehen. Dies sind naturgemäß die Themen Krankheit, Leid und Tod, die Erfahrung von Schuld (Täter und Opfer) und Vergebung (Gewähren und Empfangen) das Erleben von Sünde und Versöhnung, die Frage nach dem Sinn (leidvollen, endlichen) Lebens und „die“ Frage nach dem „Nachher“. Diese Texte lese ich vorwiegend im Zusammenhang mit Gesprächen, aus denen sie sich gleichsam „ergeben“. Nach einiger Zeit habe ich auch begonnen, Menschen, die nicht mehr sprachlich kommunizieren können, leise und langsam Schriftstellen vorzulesen, richtiger „vorzubeten“. Das sind häufig ausgewählte Psalmen und (chronologisch gelesene) Evangelien. Auch in der Zeit unmittelbar nach Eintritt des Todes lese ich gerne aus einem der Evangelien. Das laute Verlesen biblischer Texte ist eine heilsame Erfahrung. Es offenbart die sprachliche Kraft des biblischen Wortes und seine Zielgerichtetheit, gehört zu werden. Immer neu deutlich wird dabei auch, dass wir alle, zuerst und zuletzt, Hörende sind. Unmittelbar erfahren können wir zugleich, dass Gottes Wort von uns weiter gesagt werden muss und wir, die wir es hören, es als „gute Nachricht“, als „Frohbotschaft - an mich“ (C.M. Martini SJ) verstehen dürfen. Nicht zuletzt bezeugt das „Hören“ auf das Wort den Glauben an seine erlösende, befreiende Kraft. Das „Lesen“ und „Hören“ im Alltag der Hospizseelsorge hat mir diese Kraft neu erschlossen, von der wir in der Feier der Eucharistie bittend (unhörbar!) Zeugnis geben: „Herr, durch dein Evangelium nimm hinweg unsere Sünden“8. Klaus M. Schweiggl SJ Seelsorger im Mobilen Hospiz und dem Tageshospiz der Caritas der Erzdiözese Wien 1 Fridolin Stier, Vielleicht ist irgendwo Tag. Aufzeichnungen. Freiburg 1981. 25-28. 2 Ebd., 26. 3 Ebd., 26. 4 Huub Oosterhuis. Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr. In: Gotteslob, 422/3. Strophe. 5 Fridolin Stier, 26. 6 Liturgiekonstitution des II. Vat., SC 7. 7 Fridolin Stier, 26. 8 Die Feier der Gemeindemesse, Stillgebet nach der Verkündigung des Evangeliums. 15