Halabja Tagung in Berlin

Transcrição

Halabja Tagung in Berlin
Samstag, 15. März 2008
14.00 Uhr
15.00 Uhr
- 17.00 Uhr
Eröffnung & Begrüßung
Grußwort: S.E. Alaa Al-Hashimy, Botschafter der Republik Irak in
Deutschland
Opening Statement:
Joost Hiltermann (International Crisis Group) Brüssel
Panel 1:
20 Jahre nach Halabja, 20 Jahre voller Versäumnisse?
Hans Branscheidt (MESOP), Frankfurt/Main
›Krämer des Todes. Der deutsche Export von Material zur Fertigung von
Massenvernichtungswaffen‹
Mohamed Saleh Ahmedi, Rechtsanwalt und Nebenklagevertreter
im sog. Anfal-Tribunal Bagdad (angefr.)
Moderation: Thomas Uwer, Berlin
17.30 Uhr
- 19.00 Uhr
Panel 2
Weiterleben nach dem Angriff
Gesprächsrunde mit Falah Murad Khan Shakm, Shlair Kamil Saber
und Quaysar Rahman Ahmed.
Moderation: Ruth Ciesinger (Tagesspiegel), Berlin
Falah Murad Khan Shakarm, geboren 1975 in Halabja, hat als Kind den Giftgasangriff auf die Stadt erlebt und floh danach mit seiner Familie in den Iran.
Er ist Rechtsanwalt und seit 1998 für WADI tätig.
Shlair Kamil Saber studierte in Baghdad Psychologie und arbeitet als Therapeutin mit Frauen und Kindern in der Anfal-Region Germian. Sie ist eine der
wenigen im Nordirak tätigen Psychologinnen.
Qaysar Rahman Ahmed wurde 1976 in Halabja geboren. Nach den Giftgasangriffen lebte er jahrelang in Flüchtlingslagern im Iran. Vor wenigen jahren gehörte er zu den Mitgründern des unabhängigen Jugendradios »Dengue Niewe«
und arbeitet für Jugendliche in Halabja.
Ende der Veranstaltung gegen 19.00 Uhr.
Nach dem Angriff
Tagung zum 20. Jahrestag des Giftgasangriffs auf die Stadt Halabja
Wadi e.V. + Herborner Str. 64 + 60439 Frankfurt am Main + www.wadinet.de
+ [email protected] | Europäisches Zentrum für Kurdische Studien / Berliner
Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie + Emser Straße 26 + 12051 Berlin +
Tel.: 030-62 60 70 32 + www.kurdologie.de | Die Tagung wird gefördert von der
Botschaft der Republik Irak.
Programm
Samstag, 15. März 2008
14.00 - 19.00 Uhr
DGB Gewerkschaftshaus
Keithstraße / Ecke Kleiststraße
10787 Berlin
Nach dem Angriff
Die Verantwortlichen
»Die Vorfälle von Halabja«
Weapons of Mass Destruction - Massenvernichtungswaffen - sind ein heißes Thema, wann
immer es um die Sicherung von Frieden im Nahen Osten geht. Zumeist geht es dabei um
die Bedrohung regionaler Sicherheit durch den potentiellen Einsatz derartiger Waffen in
zwischenstaatlichen Konflikten und konkret um die Sicherheit Israels vor der möglichen
Entwicklung nuklearer Waffensysteme.
Der Angriff auf Halabja war Teil einer größeren Kampagne gegen die kurdische Zivilbevölkerung,
die seit Mitte der 1970er Jahre bis Ende der 1980er Jahre anhielt und in den vom irakischen Präsidenten Saddam Hussein nach der achten Koransure »Anfal« (=Beute) genannten Operationen
zwischen Februar und Dezember 1988 ihren Höhepunkt fand. Im Verlaufe der verschiedenen
Militärkampagnen zerstörte die irakische Armee systematisch mehr als 90 Prozent der kurdischen Ortschaften, deportierte große Teile der Bevölkerung in Sammelstädte (»Mujamat«) oder
Lager im Zentral- und Südirak und ermordete etliche 10.000 Jungen und Männer durch Massenexekutionen. Zu den für die Anfal-Operationen typischen »speziellen Maßnahmen« (so der
Sprachgebrauch irakischer Behörden) zählten3: Massenexekutionen und ‚Verschwindenlassen’
vieler zehntausender Zivilisten; der Einsatz chemischer Waffen; die Zerstörung von rund 2.000
Dörfern und einem guten Dutzend Städten; die Zerstörung ziviler Einrichtungen (Schulen, Brunnen etc.); die Tötung von Tierherden; die willkürliche Verhaftung ganzer Dorfbevölkerungen in
»Sperrgebieten« (manateq al-mahdoureh); die Inhaftierung zehntausender Frauen, Kinder und
älterer Menschen unter unmenschlichen Bedingungen; die Vertreibung von mehr Einhunderttausend Dorfbewohnern und ihre Deportation in Gegenden weit ab ihrer Heimatdörfer; die
vollständige Zerstörung der kurdischen (Land-)Wirtschaft und Infrastruktur.
Möglich wurde die Vernichtungskampagne durch die weitreichende logistisch-militärische Belieferung des Irak mit Waffensystemen, aber auch mit Material und Know-How
zur Fertigung chemischer Kampfstoffe. Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland
gehörten zu den wichtigsten Lieferanten des irakischen Programms zur Produktion chemischer Waffen, das unter dem Namen Staatliches Programm zur Pestizid Produktion
(SEPP) firmierte. Dazu zählte u.a. die Unterstützung beim Aufbau einer »Pestizid«fabrik
im zentralirakischen Samarrah, teils gedeckt durch Hermesbürgschaften und mitfinanziert von der Deutschen Bank.
Die in einem um die Namen der beteiligten Firmen gekürzten Bericht der Bundesregierung
von 1991 dargelegten Erkenntnisse (Bt-Drs 12/487), die Ermittlungen der Darmstädter
Staatsanwaltschaft im sogenannten »Giftgasverfahren«, die Quellen und Dokumente internationaler Organisationen legen nahe, dass der Bundesregierung hätte bekannt sein müssen,
dass es durchaus nicht um die Produktion von Pestiziden. Oder wie es ein Mitarbeiter des
Unternehmens Walter-Thosti-Boswau formulierte: »Da lagern die Waschmittel für zweibeinige Fliegen«. (Der Spiegel, 4/89) Dennoch antwortete die Bundesregierung noch 2001 auf
die in einer Kleinen Anfrage gestellte Frage, welche Schritte unternommen wurden, um die
an der Giftgasproduktion beteiligten Firmen zu »humanitären Gesten und Taten zu Gunsten
der Opfer« zu bewegen: »Die ausschließliche Verantwortung für die Vorfälle von Halabja
liegt bei der irakischen Regierung.« (Bt-Drs. 14/5720)
Unterhalb der Ebene nuklearer Waffentechnik verfügen viele Staaten des Nahen Ostens
längst über chemische und möglicherweise auch biologische Waffen und haben diese zum
Teil auch bereits eingesetzt. Im iranisch-irakischen Krieg setzte das irakische Militär regelhaft chemische Waffen gegen iranische Bodentruppen ein. Am stärksten betroffen aber
war die kurdische Zivilbevölkerung des Irak. Seit Mitte der 1970er richtete die irakische
Regierung im Krieg gegen die Kurden im Norden des Landes ihre Angriffe verstärkt gegen
die Zivilbevölkerung. Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre wurden dabei auch chemische
Kampfstoffe - Sarin, Tabun und VX - eingesetzt. Human Rights Watch dokumentiert 39
verschiedene Einsätze von chemischen Kampfstoffen gegen kurdische Ortschaften,1 der
gravierendste darunter gegen die kurdische Stadt Halabja, am 16. März 1988.
Am
frühen Morgen des 16. März 1988 flogen irakische MiG-23 Kampfbomber
erste Angriffe gegen Halabja. Es folgten wiederholte Angriffswellen, während
derer chemische Kampfstoffe über der Stadt abgeworfen wurden. Eingesetzt wurde
ein sog. Cocktail unterschiedlicher Kampfstoffe. Sicher eingesetzt wurden Sarin, Tabun
und VX, auch Rückstände von Cyanid wurden gefunden. Der Einsatz verschiedener
Kampfstoffe sollte die Behandlung der Opfer erschweren. Ein Reporter der Financial
Times, der sich während des Angriffs außerhalb der Stadt befand und einer der ersten
internationalen Zeugen war, die den Schauplatz danach betraten, berichtete:
»Alles Leben hatte angehalten, wie wenn man einen Film sieht und er plötzlich stehen bleibt. ... Man ging in einen Raum, eine Küche, und sah den Körper einer Frau,
die noch das Messer hält, mit dem sie gerade eine Karotte geschnitten hat. ... Die
Nachwirkungen waren noch schlimmer. Bauern kamen zu unserem Hubschrauber.
Sie brachten 15 oder 16 Kinder und flehten uns an, sie zu einem Hospital zu bringen. Alle Pressevertreter saßen also da und jeder bekam ein Kind auf den Schoß.
Als wir starteten lief irgendeine Flüssigkeit aus dem Mund meines Mädchens und
sie starb in meinen Armen.«
80.000 Menschen lebten in der Stadt Halabja. Etwa 5.000 von ihnen starben während oder
in direkter Folge des Angriffs. In den Straßen stapelten sich die Leichen, blau angelaufen, in
schmerzhaften Posen verzerrt. Mehr als 10.000 Menschen, so wird geschätzt, starben bislang
an den Folgewirkungen des Angriffs. Dazu zählen schwere Atemnot und Ersticken, Krebs,
schwere Missbildungen von Neugeborenen, Todgeburten, schwere Haut- und Augenkrankheiten, Unfruchtbarkeit, neurologische Störungen und schwere psychischen Erkrankungen2.
Administrativ verantwortlich für die Durchführung der Operationen war Ali Hassan
al-Majid, ein Cousin des Staatspräsidenten Saddam Hussein und »Secretary General of
the Northern Bureau« der irakischen Ba’th-Partei. Zentrale Agenturen des Mordes an
den Kurden wurden unter al-Majid das Erste und Fünfte Korps der irakischen Armee,
der »Allgemeine Sicherheitsdienst« (»Mudiriyat al-Amn al-Ameh«) und der militärische
Nachrichtendeinst (»Istikhbarat«). Daneben wurden zivile Behörden und weitere militärische Einheiten in die Durchführung der Operationen eingebunden, die nach al-Majid
darin bestanden, »das Kurdische Problem zu lösen und die Saboteure abzuschlachten«.
Eine großer Teil der irakischen Führungselite war in die Anfal-Kampagne direkt verwickelt4, nur ein kleiner Teil wurde zur Rechenschaft gezogen.
1
vgl. Human Rights Watch, »Iraq’s Crime of Genocide - The Anfal Campaign against the Kurds«,
Hrsg.: Human Rights Watch/Middle East, 1995, Yale University Press, New Haven and London
2
Christine M. Gosden, „The 1988 Chemical Weapons Attack on Halabja, Iraq“, in: Super
Terrorism: Biological, Chemical, and Nuclear, by Yonah Alexander and Milton Hoenig, Editors.
Transnational Publishers, Inc., 2001.
3
vgl. GENOCIDE IN IRAQ The Anfal Campaign Against the Kurds
A Middle East Watch Report, New York, Washington, Los Angeles, London 1993.
4
Ali Hassan al-Majid wurde im Juni 2007 gemeinsam mit den Mitangeklagten Sultan Hashim
Ahmad al-Tai (ehemaliger Verteidigungsminister) und Hussein Rashid Mohammed (ehemaliger
Bis heute leidet die Bevölkerung Halabjas an den Spätfolgen des Giftgasangriffs vor 20
Jahren. Zwar Symbol der Unterdrückung und Verfolgung der Kurden wird die Stadt dennoch bis heute weitgehend vernachlässigt. In den 1990er Jahren übernahmen islamistische
Gruppen vorübergehend die Kontrolle über die Stadt. Halabja ist heute gekennzeichnet von
Arbeitslosigkeit, Armut und Unterentwicklung. Langfristige medizinische Studien wurden
nicht durchgeführt, es fehlt an Fachärzten und klinischen Einrichtungen für die Betreuung
der Opfer.
Auch von deutscher Seite wurden niemals Anstrengungen unternommen, sich für das
mitverschuldete Leid wenigstens symbolisch zu entschuldigen, eine Mitverantwortung überhaupt einzugestehen und die Bevölkerung der Stadt wirkungsvoll zu unterstützen.
stellvertretender Einsatzleiter der Streitkräfte) für ihre Verwicklung in die Anfal-Operation
und den damit verbundenen Massenmord zum Tode verurteilt. Farhan Mutlaq Saleh,
ehemaliger Leiter des Büros für den Militärnachrichtendienst des Ostiraks, und Sabir alDouri, ehemaliger Direktor des Militärnachrichtendienstes, wurden mit lebenslangem
Freiheitsentzug bestraft. Der Beschuldigte Taher Tawfiq al-Ani, ehemaliger Statthalter
von Mosul und Leiter des Komitees für die Belange des Nordiraks, wurde aus Mangel an
Beweisen vom Anklagevorwurf freigesprochen.