Joanna Darek - Newspeak Magazin

Transcrição

Joanna Darek - Newspeak Magazin
Ausgabe 1 / 2012
Joanna Darek
| ITALIENISCH
Krzysztof Gubanski | LITERATUR
Marc-Philipp Maeck
| RECHTSREFORMEN
Damian Mandzunowski | FILMSPRACHE
Georg Simic | SEMANTIK
Inhalt | Artikel
5
Nothing Left but to Cry
7
The Social Construction of
Literature - Revision of Concepts of
Literariness
Joanna Darek
Krzysztof Gubanski
11
Rechtsreform in China
13
Die Filme für die neuen Zeiten.
Über die Fünfte Generation der
chinesischen Filmemacher
Marc-Philipp Maeck
Damian Mandzunowski
16
Bist Du politically correct?
Georg Simic
Inhalt | Rubriken
2Editorial
3Manifesto
10
Bab(b)elfischkolumne
18
Call for papers
Impressum
Herausgeber
Aleksander Wiatr
Kontakt
Redakteur
[email protected]
www.newspeakmagazin.de
www.facebook.com/ZirkelBabel/
Autoren dieser Ausgabe
ISSN: wird nachträglich angegeben
Georg Simic
Joanna Darek, Krzysztof Gubanski, Marc-Philipp Maeck,
Damian Mandzunowski, Georg Simic, Aleksander Wiatr
Layout & Design
Adam Borowski (Titelbaltt)
Damian Mandzunowski, Aleksander Wiatr
Fotos
www.AdrianBakaj.com
Grafiken
Katarzyna Szokalska
| newspeak magazin 1 / 2012 | Seite 2 |
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass nun wie geplant die erste und sicherlich nicht letzte Ausgabe
des Newspeak Magazins auf Eurem Bildschirm flimmert. Bei der Idee für ein neues
Magazin stellt sich immer zuerst die Frage, ob es dieses überhaupt benötigt. Und
wir, vom Kulturell-Sprachlichen Zirkel BABEL, einer studentischen Initiative die
erst zu Beginn des Sommersemesters 2012 gegründet wurde, waren absolut dieser
Meinung. Denn ein populärwissenschaftliches Magazin für Sprache und Kultur
kannten wir noch nicht. Mit unserer digitalen Zeitschrift wollten wir daher etwas
neuartiges herausbringen: Ein Magazin in dem wir nicht nur unsere eigenen kleinen
wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlichen können, sondern diese auch einem
(hoffentlich großen) Leserkreis zugänglich präsentieren können.
Von der bloßen Idee bis zur fertigen Ausgabe sind bewundernswerterweise lediglich
drei Monate vergangen. Die Herausforderung, vor welcher wir standen, unter
Berücksichtigung aller unseren anderen Termine und Pflichten, die das studentische
Leben so mit sich bringt, lässt sich sicherlich nicht mit der Etikette „leicht“ versehen.
Nichtsdestotrotz haben wir es geschafft, eine internationale Autorenschaft zu
gewinnen, die sich für die erste Ausgabe sehr viel Zeit und Mühe gemacht hat.
Als Hauptthema und Antrieb des Magazins legten wir die breit zu verstehenden
Begriffe der Sprache und der Kultur fest, ohne die Inhalte genauer zu präzisieren (ob
dadurch die Aufgabe leichter war, wissen wir allerdings noch nicht). Gelungen sind
die Artikel von Joanna, Damian, Georg, Krzysztof und Philipp allemal, denn durch
ihre verschiedenen und einzigartigen Sichtweisen ziehen sie uns in die Welt der
Sprache und der Kultur hinein.
Von dem Gebiet der kulturellen Revolution in China und damit verbundenen
Reformen des Rechts und der Filmsprache her, über die soziologische Betrachtung
der Literatur, zur politischen Korrektheit und einer gemütlichen Gondelfahrt durch
die Sprache Italiens hin breiten sich die Abhandlungen aus, welche zur Einsicht und
Kritik der Redaktion gestellt worden sind. Überflüssig wollen wir an dieser Stelle aber
nicht sein, daher verraten wir auch nicht mehr.
Sehr gespannt warten wir nun auf Eure Anmerkungen, Anregungen, Ideen und vor
allem auf Eure Mitarbeit an künftigen Ausgaben, so dass sich der Weg zu einem
vielseitigen und viele Persönlichkeiten anziehenden Lesestück entwickeln kann.
Nochmals möchten wir uns bei allen, die bei der ersten Ausgabe mitgearbeitet haben,
aus tiefstem Herzen bedanken. Ohne Autoren, Layouter, Grafiker und mentalen
Unterstützern wäre es nicht möglich gewesen, nun dieses Editorial zu schreiben.
An diesem Punkt laden wir Euch alle zum Lesen des Magazin ein und verbleiben
fröhlich, freundlich und studentisch mit unserem Motto: „klein beginnen, um groß
zu werden“.
Redaktion Newspeak Magazin
| newspeak magazin 1 / 2012 | Seite 3 |
Manifesto
des Studentischen Kulturell-Sprachlichen Zirkels BABEL
Der Zirkel Babel ist eine studentische Initiative, die einen intensiven Austausch der an Sprache und Kultur interessierten Studenten
aller Fachrichtungen ermöglichen soll. Die Idee des Arbeitskreises wurde im März 2012 in den Köpfen zweier Studierenden
der Slavistik und Italianistik an der LMU München geboren. Am ersten organisatorischen Treffen, nahmen Studierende der
Sinologie, Komparatistik und Romanistik teil. Heute zeigen, neben den besagten Fachrichtungen, u.a. auch Studierende der
Rechtswissenschaften und der Soziologie ihr Engagement. Dazu bekommt der Zirkel immer mehr Annerkennung seitens der
Dozenten.
Unser Ziel ist es interdisziplinäre, fakultäts- und universitätsübergreifende Arbeit zu leisten, indem wir als Schnittstelle für
Studenten, sowohl in Deutschland, als auch im Ausland fungieren.
Zunächst geht es darum, den Zirkel in dem studentischen Kreis zu etablieren. Der Zirkel stellt eine Plattform für alle Studenten dar,
die sich durch Mitwirkung an Vorträgen, durch die Publikationen von Artikeln, oder auch durch Forschungsreisen wissenschaftlich
profilieren wollen.
Ziel ist es, vor allem eine neue studentische Initiative zu kreieren und einen gemeinsamen Wissensbestand zu generieren und dies
nicht nur innerhalb der Seminarräume. Die in anderen Ländern seit langem funktionierenden studentischen Gemeinschaften
finden in Deutschland bislang nur mäßigen Anklang. Vergessen wird dabei leider zu oft, dass man nicht nur aus dem vorgelegten
Lehrplan profitieren kann, sondern gerade auch interdisziplinär von einem studentischen Austausch ein großes Maß an Wissen,
Kontakten und neuen Ideen akquirieren kann.
Die Leitthemen, die unserer Initiative als Leitfäden für die Tätigkeiten dienen sind Sprache und Kultur in einem breiten Sinne und
das Newspeak Magazin ist in gewissem Maße die Stimme des Zirkels, die eine breite Rezipientenschaft anziehen soll.
Wir laden alle ein, sich an unserem Zirkel zu beteiligen, ihn mit uns zusammen zu gestalten und aus gegenseitigem Wissen zu
profitieren. Jeder Austausch ist uns immer sehr willkommen.
Die gegenwärtige Tätigkeit umfasst:
- ein zweimal im Jahr erscheinendes Magazin
- Organisation interassenter Gastvorträge von renommierten Wissenschaftlern - nicht nur aus der LMU
- Beteiligung an außer-universitären Konferenzen
- wissenschaftliche Ausflüge in erforschbare Regionen zu planen und zu organisieren
- Interesse an Kultur und Sprache zu fördern
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Nothing Left but to Cry
von Joanna Darek
T
he title of Benini’s comedy illustrates how difficult communication within Italy is, due to it being a remarkably
linguistically diverse country.
The official language of the Apennine Peninsula is Italian.
However, the reality is not this simple. In fact, we have only
been able to talk about an Italian language for the last 150
years, since all regions of the Italian “boot” have been united.
The Italian we use nowadays is a Romance language, containing a mixture of Latin and Greek. It is very melodious and
lively with many regional variations but even more than this,
there are actually a great number of dialects. Within Italy
there are 18 regions, each one having its own dialect. However there are also many regional combinations, meaning that
on top of this there are an additional 1500 dialects! Over 100
million people speak Italian– outside the Peninsula, it is also
used in Switzerland, Corsica, Malta, Tunisia and in Italian emigration clusters such as Australia, Argentina, USA or old Italian colonies in Albania, Ethiopia, Libya and Somalia. Before
we can discuss the subject of language and dialects in Italy, it
is essential to understand the difference between these two
words. A Language has a socio-cultural and political status
which makes it superior to other linguistic systems such as
dialects . A Dialect is a regional or social variety of a language,
distinguished by pronunciation, grammar, or vocabulary, especially a variety of speech differing from the standard literary language or speech pattern of the culture .
How a Dialect Becomes an Official Language
At the end of the medieval times, Italy had many regions which
were under the rule of different sovereigns. This caused great
cultural and, as a result, language diversification. The first person to describe the phenomenon of language diversification
was Dante Alighieri in a book entitled De vulgari eloquentia,
which only became the subject of study many years after its
publication.
At
this time there was no one common language and in the
16th century the intellectualists of the époque gathered
to discuss the idea of a united language. They decided that
the most beautiful dialect should become an official written
language of the Apennine Peninsula. The choice was unexpected- instead of choosing a dialect from a powerful city
such as Rome or Venice, the decision was very… romantic.
Usually, the dialect of the most influential city spreads to all
the regions and becomes the official language. It happened
like this in France (French derived from the Parisian dialect)
and in Portugal (where the Lisbon dialect formed the basis
of Portuguese ). In case of Italy, the dialect that was to become the mother tongue for millions of people was the language used in the Divine Comedy, a book written by Dante.
Intellectualists chose the Tuscan dialect that was used in
Florence years before, the language of Dante Alighieri, Boccaccio and Petrarch in the 14th century. It was perceived
as artistic and was directed at scholars, poets and educated people. No other language has such a poetic history.
In 1861 the Risorgimento took place, which means Realm of
the United Italy. In this year a census was undertaken for the
first time. Thanks to this, many years later De Mauro was able
to do some research and discover a few surprising facts. He
found out that in 1861 only 2.5% of people living in the Italian
Peninsula spoke Italian! It is only from this moment that there
was rapid growth in the use of Italian, which was influenced
by a few factors.
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What Influenced the Spreading of Italian?
spreading local culture. Nino D’Angelo,
an Italian singer, responded to the accusation immediately. “O sole mio is a popular song that people all over the world
love and, what is more, it is so popular
that clients, foreigners and Italians alike,
request it!”
Firstly, the industrial revolution created many new jobs, causing a lot of internal migration. As people mixed more with others from different regions, people could not
use dialects so much. Secondly, cities were growing, so the language of countryside
became used by less and was replaced by a common language. Thirdly, in 1863 education became obligatory and state bureaucracy developed hugely. This resulted in
the need for a common language to be developed, which could be understood by
all. Fourthly, mass communication was spreading, therefore more people came into You are probably more confused after
contact with the Italian language. All of these reasons stimulated the growth of an reading this article than before. The truth
official language.Nevertheless, the real breakthrough came while Mussolini was in is, it is impossible to understand all the
power. The unification of Italy was the moment when the official language was in- nuances of the Italian language. Howtroduced, but the turning point in history of Italian was at the time of Mussolini’s re- ever, even if you do not speak a word of
gime. Fascism portrayed dialects a symbol of vulgarity. In order to introduce the new Italian, you can often use gestures to be
ideology effectively, dialects became officially forbidden - books or magazines could understood. The most important thing
not be published in a taboo language, nor could television or radio be broadcasted to remember is that Italian is not only a
in dialect. This meant that they were no longer used in public. After the fascism fell, language. It is a lifestyle.
dialects started to be used without fear and at the end of the Second World War the
Bibliography:
situation in Italy had changed again. Historically most people usually spoke in either
Italian or dialect. Today, there is diglossia, meaning that people speak both Italian Damaszko Joanna (2012): „Mówić po włosku, mówić po toskańsku.”
http://www.oliwazoliwek.pl/jezyk-wloski/mowic-po-wlosku-mowicand dialect. Nowadays, almost every Italian uses these two communication forms.
po-toskansku/[accessed 01.07.2012]
In 2001 the Italian statistic office published new facts about the language being
used in Italy. Today, only 6% of the population speaks exclusively dialect. Other than
this, the use of official language is: 44% with family, 48% with friends and 72% with
strangers. This shows to what extent Italian has become popularized, which is largely
due to better education standards. Nowadays, people are completely free to use language as they like. Recently, an official weekly news bulletin given in Sicilian dialect
has started to be broadcasted. The authors of the idea said that they want to restore
the original and pure dialects from the past. This has been welcomed with great enthusiasm from viewers, local television stations and sponsors.
Although Italy was united almost 300 years ago, we have to be aware that this wonderful country still has many diverse sounds and melodies. To illustrate how diverse
the language used in Italy is, we can take a look at a 1956 analysis by a Swedish scholar, Rober Ruegg. He gave a list of 242 words to 124 people from 54 provinces and
asked them to write the equivalent word that they use in everyday life. The results
were surprising - the only word that is used in all the provinces was ‘espresso’ (original word: caffe’ forte). This shows how difficult it is for Italians to interact between
each other.
Communication without Words
Wszystko o italii (2012): „Wybrali najpiękniejszy z lokalnych dialektów i nazwali go językiem włoskim.”, http://wszystkooitalii.
blogspot.com/2012/06/wybrali-najpiekniejszy-z-lokalnych.html [accessed 01.07.2012]
Batzarov Zdravko (2001): “Italian language. General overview”http://
www.orbilat.com/Languages/Italian/Italian.htmljo
[accessed
01.07.2012]
Grochowska Anna (2011): „Wewnętrzne zróżnicowanie językowe
we Włoszech. Dialekty a język narodowy.” http://www.kwartjez.
amu.edu.pl/teksty2011_3/Grochowska_2011_3.pdf
[accessed
18.06.2012]
Gazeta.pl (2010): „Wenecja: co mają śpiewać gondolierzy?” http://
podroze.gazeta.pl/podroze/1,114204,8452076,Wenecja__co_maja_
spiewac_gondolierzy_.html [accessed 04.06.2012]
Młynarczyk Dorota (2012): „Język włoski to nie tylko słowa czyli parę
słów o mowie ciała”, http://www.oliwazoliwek.pl/obyczaje/jezykwloski-to-nie-tylko-slowa-czyli-pare-slow-o-mowie-ciala/ [accessed
01.07.2012]
Aurucci Carlo (2010): “Italian in 10 minutes- best complete gesture’s
lesson” http://www.youtube.com/watch?v=aHZwYObN264 [accessed 02.07.2012]
http://www.thefreedictionary.com/dialect[accessed 08.06.2012]
Foto:
Indeed, to communicate in Italy, the knowledge of words and grammar is not
enough. Almost 80% of the communication process is non-verbal communication. In the sunny Peninsula, body language has a widely developed system. Gestures help to express feelings or show what we think, without using words. It is
so common that it is known as one of the core parts of Italian culture and has
been written in textbooks and many publications which discuss Italian culture.
Let’s have a look at some useful gestures; if you want to say buonissimo (delicious),
you have to join your thumb and forefinger, and kiss them. If you do not understand
something, or do not believe what someone is saying, you move your hand up and
down. And perhaps a less instinctive one - clapping with one open hand and the forefinger of the other means of course. You can find more examples of sign language
on YouTube - I recommend Italian in 10 minutes- best complete gesture’s lesson by
Carlo Aurucci.
Problems in Venice
The phenomenon of dialects is a very complex issue and causes a lot of confusion.
The problem is illustrated with one of the most beautiful songs in the world, entitled O sole mio, which has its origins in Naples but is sung by Gondoliers in Venice. A
councilor from the Northern League (a separatist party) has accused the Association
of Gondoliers of not promoting the local culture. He has stated that, since every year
the association gets 600,000 Euros from the government, they should be aware of
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S. 5: Venedig / http://www.adrianbakaj.com
Endnotes:
1. Migliorini Brunoin Grochowska Anna (2011): „Wewnętrzne
zróżnicowanie językowe we Włoszech. Dialekty a język narodowy.” http://www.kwartjez.amu.edu.pl/teksty2011_3/Grochowska_2011_3.pdf [accessed 18.06.2012] w „polskim oryginale”- „Język
posiada status społeczno-kulturowo oraz polityczny gwarantowany
przez państwo, jest nadrzędny w stosunku do innych systemów”
2. http://www.thefreedictionary.com/dialect[accessed 08.06.2012]
3. D’Angelo Nino InGazeta.pl (2010): „Wenecja: co mają śpiewać
gondolierzy?”
http://podroze.gazeta.pl/podroze/1,114204,8452
076,Wenecja__co_maja_spiewac_gondolierzy_.html
[accessed
04.06.2012] ] w „polskim oryginale”- „Nikt nie kazał gondolierom
jej śpiewać; ona jest po prostu tak piękna, że to sami klienci, cudzoziemcy, Włosi, o nią proszą”.
The Social Construction of Literature
Revision of Concepts of Literariness
von Krzysztof Gubanski
W
hat is a social construct anyway? According to dictionaries it is a phenomenon or category created
and developed by society. Its ontological status depends therefore on a perception of a group, that constructs
it self through cultural and social practice. Thus, social construct is something that is not, necessarily, inherently true in
nature. The concept has been widely discussed, criticized since the mid-twentieth century and was one of the milestones
of postmodern thinking. The book The social construction
of reality (Berger and Luckmann) which started this trend,
has been hailed by scientists one of the most important sociological position of all time. However, I struggle with the
question of why its social impact is so small. Honestly, I feel
uncomfortable in conversations with colleagues who do not
wonder about the practical implications of the phenomenon.
Constructionism is not easy and requires rejection of habits
of thought, but as a consequence gives us wide possibilities
for criticism and discussion of the seemingly obvious issues.
Therefore I would like to revise the constructionist perspective using as an example one of the most important acts of
human communication. Communication mediated by the
printed paper – literature. What gives us the right to call something a book? Why does the library decide to buy a particular book and omit others? Why in the school we are forced
to realize the canon of reading? What are the principles of
literariness?
Objectivism – Looking for universal features
Ethics and aesthetics have always been very closely related.
Ethical values are associated with social order and as a result
with universal order. The aim of traditional aesthetics is to
answer the questions: what makes things beautiful? What is
the role of personal taste in judgment? Why is originality so important? How we define beauty or originality? Also in history of literary
studies we can find many concepts
on what makes the book literature.
The landscape is differentiated. Let’s have a look at some of ideas.
that include evaluative statements or at least new criteria
of axiological judgment. So stated Russian critique and formalist Viktor Shklovskij who looked for special features of
literary language. For him literary (poetical) language slows
down our perception of reality. While reading we do not see
objects, but we recognize them from their features. Poetry
makes things harder to recognize in order to strengthen our
perception, to force us to look in a new way, read slowly. This
phenomenon he called defamiliarisation – getting rid of axiological schemes (Shklovski). Shklovski’s idea was used as an
inspiration for dada and avant-garde movements. Actually,
his definition is deviation oriented – what makes a book literature is its otherness from normal language.
His Czech contemporary, literary theorist Jan Mukařovský
focused on the aesthetic function of literature. In art the meaning is inside the sign, it is eternal. The representation of an
art can be found when we attach aesthetic function to it says
Mukařovský (Mukařovský). The aesthetic function of literature is generally more metaphorical than metonymic, more
connotative than denotative and we interpret it in that way
instead of taking everything literally. So he states that our
decision to read something as a literature precedes our act of
reading. Radical proponents of aesthetic function even refuse to discuss any criteria of value: you see it or not. It does not
have to be proven when it exists. However, Marcel Duchamp
putting everyday objects into the framework of the gallery
drew our attention to the fact that any object looks differently when you put in a museum, an institution of judgment. It
is a common sociological statement that only when you break the rule, you can realise what the rule actually looked like.
This is what Duchamp did.
When asked what is literature we
usually begin to refer to certain
characteristics that distinguish it
from non-literature. This approach
is called objectivism. Accordingly,
there is an objective aesthetic value – no matter if everybody is able
to see it or not (like mathematical
schemes in music). Objectivists
are confident that they are able to
define certain features and criteria
of literariness. What makes a text
a good text? It could be content
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and ongoing processes of unconscious
bargaining and negotiation. Groups may
actively renegotiate the meanings in
order to adopt them to their living conditions. Feminist struggle is usually perceived as a struggle for equal rights for
man and women, so they want to change (not necessarily consciously) the content of gender construct. However there
are also movements which fights against gender as an artificial construct and
proclaim the relativity of human gender.
This leads to the question of who determines the rule, who sets this function? How
can we know whether an object posses an aesthetic function or not? When do we
know that we should read something as literature? This remains unexplained. This is
the first step to the notion that text can give different responses in different contexts
and not necessarily aesthetic. Accordingly, there is no one objective function of an
aesthetic object – it is objectified by context, culture and society.
Moreover, Roman Jakobson characterized poetic (aesthetic) function as a feature of
language in general. Thus, poetry is present also in everyday communication. We use
metaphors and we barely say something straight. Deviation-oriented definitions of
literature cannot be generalised then. Arbitrary of this judgment was also criticised
as an tool of symbolic violence and control used by certain class of people who are
able and privileged to call something aesthetic – so stated Pierre Bourdieu in his Distinction: a Social Critique of the Judgment of Taste.
Relativism – Doubt in universals
German philosopher Wolfgang Welsch orejects this traditional point of view. For he
and many contemporaryies there is no such thing as an essence of art. Aesthetics is
helpless in terms of classifying what is literature and what is not. Why did contemporary scholars give up on the search for universal characteristics of literature? The
simple answer is they jumped on the postmodern bandwagon. Is it an intellectual
disease, a fashion or a manifestation of a new perspective on reality? Even before the
birth of postmodernism, American logician, Charles Sanders Peirce, came up with an
idea of dividing semiotic systems into three groups: index signs, icons and symbols.
Index signs and icons posses some similarities between the sign and represented object (like painting). Whereas symbols have absolutely no direct relation between a
sign and an object that it signifies (Peirce). The point is that also a language is a symbol, an arbitrary system of signs, sounds or figures to which we attach meaning – a
signifier and a referent are constituted by cultural practice. So language is an obvious
example of social construct.
Language is a social construct that is also a material object. We can see and hear
it. We attach meanings to material objects which do not posses internal meaning
at all. A kind of intellectual somersault made by postmodernism is the notion that
people can attach the meaning to things that actually do not exist as objects. Social
construction is often in reference not only to worldly items, like things and facts – but
also to beliefs about them. Think about justice, love, truth, even ethics exist as phenomena, which means they are observable and we can describe them. Treating phenomena as if they were objects is called objectification in philosophy. If phenomena
were objects they would be stable and unchangeable. But change them in long term
In relativism value is not a quality of an
object. Value involves a subject to appreciate object and object that is appreciated. When you look at Duchamp’s pissoir your optics changes, because your
aesthetic lens is socially influenced. Even
if we critique a piece of art according to
some criteria, our evaluation is always
based on collective judgment. Extremists of relativism would say: if somebody
says he likes it or finds it an aesthetic object, it is beyond of discussion whether it
is or not. We identify our reading of the
text with the eternal meaning of the text
– it is absolute for us. But the issue is whether ones judgment would be collectively affirmed? Immanuel Kant asked why is
it that when we pass an aesthetic judgment we expect others to agree with us?
Is it possible to prove empirically your
aesthetic assessment? (Kant) Only when
collectively approved a text can be defined as literature. A so-called objective
statement is still a subjective statement
coherent with socially objectified criteria. We may ask if it is not naive to ask for
one accurate answer about literariness
nowadays? Even Google and other research engines have become personalised and never give you the same answer
– the answer is always contextualised,
estimated according to your potential
needs. Do you expect the truth? In what
context?
Consequently, we came to the statement
there is no such thing as literariness (as
an object). There is no simple quality
shared by all the texts which are literature. We look at some texts as literature
and we make it literature. Our approach
constitutes text as an aesthetic object.
It is a category, but it is still an open category, arbitrary and not objective. All
texts have a potential to be counted as
literary. Still, we can feel this is far from
so-called common sense! It could be useful to look at some practical impacts of
this statement.
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Practical implications
solutely best in a given context.
Constructionism does not treat judg- I do not state that looking for objective features of literariness was the biggest miments as if they were stable. Still, they stake ever. It is useful and necessary. Constructionism does not reject the sense of
can be respected and useful. Sooner or aesthetics completely. Nevertheless, it is safer to know it is not absolutely given whilater Shakespeare may not survive the le using it for judgments. Nowadays, assessment and evaluation are made on many
test of time. He created modern drama, levels and have significant consequences. Whether a book will be published is based
but it is not empirically true that he will on a value judgment. Should it be printed in a high number of copies? Should it be wibe always high regarded. This continuity dely advertised? Libraries have to decide on which books to spend their funds as well.
is an illusion – the history of literature is
actually discontinuity of judgment that is To conclude briefly, literature will probably always exist as a construct but the conhistorically variable. However it does not tent of this construct will change according to particular conditions. In our contemmean we should reject his drama as wor- porary situation of vanishing the canon accomplished by the formation of niches and
thless. It is still appropriate to interpret independent networks without hierarchies, we may get many competing literatures
our contemporary problems. The set of and literariness. You can’t judge book by looking at its cover – this proverb includes
canonical readings is habitually criticised the fact that we are forced to judge and we have to filter our reality. But its deeper
by students who are tired of symbolic va- meaning is very appropriate. Those judgments are always fragile and contextualised,
lues they grew up in and sometimes do and therefore not inherently true.
not see relationship between readings
and their reality. In this way students Thanks to Wendy Bell for language consultation.
struggle for a redefinition of literary values. This is to say, creative destruction
of former construct in order to set up Bibliography:
new, more relational to our conditions – Berger Peter and Luckmann Thomas, The Social Construction of Reality: A Treatise in the Sociology of Knowledge, Garden City 1966
Bourdieu Pierre, Distinction: a Social Critique of the Judgment of Taste, Cambridge 1984
constructed reality re-maintaining itself Mukařovský Jan, Aesthetic Function, Norm and Value as Social Fact, Michigan 1970
Peirce Sanders Charles, Nomenclature and Divisions of Triadic Relations, as Far as They Are Determined, in: Collected Papers, Cambridge
in order to persist. On the other hand, 1958
(vol.2)
people still need a normative framework Shklovskij Viktor, Art as Technique, in: Literary Theory: An Anthology, Malden 2004
Schiller Friedrich, On the aesthetic education of man in a series of letters, Oxford 1967
they can act within. Everything could be Based also on notes from Lectures in Literary Studies (2012) by prof. Christoph Bode (LMU)
treated as an aesthetic object. However, Bilder:
this does not happen! We are social beDuchamps / http://geneseelibby.tumblr.com/post/28195310600/marcel-duchamp-28-july-1887-2-october-1968
ings and we are trained to categorize ob- S.S. 7:8: Marcel
http://www.adrianbakaj.com
jects as literature only when they were
put in particular context. Constructs and
thus literature cannot vanish due to the
human need of classification that allows
us to share meanings and therefore, to
communicate.
Are there again any objective features
of literary text? My answer is, there are
to some extent but they are not stable –
they are constructed. When asked what
is the colour of the grass we answer:
green. Relativist would answer: no, this
is just the way you perceive it (implicitly,
another entity can perceive it differently). However we reject this, because it is
impractical in everyday communication.
This is absolutely right and pragmatic.
The problem appears when we start to
discuss about rudimental principles. It is
helpful to be aware of the socially constructed nature of our judgments in order to avoid unnecessary conflicts. We
have an imagination and we can abstract
from what we do. We can step outside of
ourselves and do not have to be genius
in order to try a different approach. Having the awareness that what and how
one is currently doing something is not
the only possible way to do that activity
gives us the intellectual freedom, allows
for open criticism and efficient discussion when we want to define what is ab-
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Die Euro in Polen und Ukraine war mein Oktoberfest und
mein Amsterdam-Trip. Über 40 Stunden Livefußball innerhalb drei Wochen und nochmal genauso viel TV-Zeit für die
Vor- und Nachberichte, sowie für die amüsanten Pressekonferenzen des DFB-Teams. Bei dieser hohen Konzentration an
Fußballfachwissen die einem unverdünnt verabreicht wird,
fallen einem die trendigen Ausdrücke und Wendungen, die
die moderne Sportsprache so mit sich bringt, natürlich in extremen Maße auf.
So redet der Fußballfachmann in den Medien beispielsweise nicht mehr vom schnöden ‚Lupfen eines Balles‘, sondern
vom galanten ‚Chippen‘, was zuvor eigentlich nur am Golf-,
und nicht etwa am Fußballplatz praktiziert wurde. Auch die
‚Defensivarbeit‘ ist längst out, denn wer was von sich hält
nennt es heutzutage ‚das Spiel gegen den Ball‘. Zudem wird
sich wahrscheinlich kaum ein selbst ausgewiesener Experte
mit Sätzen wie ‚Spiel in die Spitze‘, oder dem ‚steilen Pass
nach vorne‘ beflecken. Stattdessen redet man vom geometrisch viel korrekter klingenden ‚vertikalen Spiel‘. Aber auch
andere Klassiker der Fußballfachsprache scheinen sich zu
verflüchtigen. Schließlich ist das, was früher ein ‚Allrounder‘
war nunmehr ein ‚polyvalenter Spieler‘ und das was einst der
‚Joker‘ war, ist aktuell nur noch als ‚Backup-Stürmer‘ bekannt.
Aber kein Interview, keine Diskussionsrunde und keine Berichterstattung scheint heute vollständig zu sein, wenn nicht
mindestens dreimal das Wort ‚Antizipation‘ (inklusive seiner
Abwandlungen) gebraucht wurde. Wenn bei der letzten EM
2008 die Spieler noch ‚gut mitgedacht haben‘, ‚oft anspielbereit waren‘ und ‚viel mitgelaufen‘ sind, so haben sie vier Jahre
später nur noch ‚gut antizipiert‘.
von Georg Simic
Bab(b)elfisch: eine Kolumne über die Sprache
und so . . .
D
ie großen Fußballturniere sind für die Fans in etwa
vergleichbar mit dem, was für die maßlosen Biertrinker das Münchner Oktoberfest darstellt, oder für die
Potheads der jährliche Trip nach Amsterdam. Denn endlich
hat der Fußballverrückte die Gelegenheit, sich schamlos
gehen zu lassen und endlich muss er sich mal nicht von allen Seiten anhören, dass man zu oft vor dem Fernseher sitzt
um das runde Leder rollen zu sehen. Schließlich lassen sich in
diesen Zeiten ebenso diejenigen vom Fußballfieber einer EM
oder WM anstecken, die nicht die Bedeutung der zahlreichen
wichtigen Begegnungen in Bundesliga, Zweite Liga, DFBPokal, Champions League, Euro League und anderen Spielen
aus England, Spanien, oder Italien begreifen.
In der Politik würde man den vielen Journalisten, ehemaligen
Profis, Trainern und all denjenigen, die sich genauso gerne vor
der Kamera über den Fußball austauschen, vorwerfen, dass
sie sich mit ihrem Sprachgebrauch von der Basis entfernen.
Vielleicht ist diese, manchmal etwas prätentiös wirkende
Wortwahl, jedoch auch nur ein Anzeichen der Veränderlichkeit der Sprache. Denn wie jede normale Sprache entwickeln
sich auch Fachsprachen, zu der man die Sportsprache unterordnen muss, immer weiter.
Aber seien wir doch mal ehrlich, uns Fans kann es ja auch egal
sein, wie der Kommentator in Zukunft das ‚Abseits‘ benennt,
oder was er dazu sagt, wenn ein Abwehrspieler den Ball ‚von
der Linie rettet‘. Solange wir hören und lesen, dass unser
Team gewonnen hat, ist die Fußballwelt sowieso in Ordnung.
| newspeak magazin 1 / 2012 | Seite 10 |
Rechtsreform in China
von Marc-Philipp Maeck
„Egal, ob die Katze schwarz oder grau ist, Hauptsache sie fängt
Mäuse“ – Deng Xiaoping (鄧小平) –
D
ieses wohl bekannteste Zitat Dengs markiert einen
der folgenschwersten Wendepunkte des 20. Jahrhunderts. Ein Fünftel der Menschheit war von dieser Entwicklung direkt betroffen mit damals noch ungeahnten Auswirkungen, die sich bis heute sowohl auf weltpolitischer, wie
auch auf weltgeschichtlicher Ebene bemerkbar machten.
China befindet sich im Wandel. Durch die Reform und Öffnung nach außen (改革开放, „geige kaifang“) im Jahr 1978
unter dem Reformer und zweifach zum „Mann des Jahres“1
durch das amerikanische Wochenmagazin „Time“ gekürten
Deng Xiaoping, hat sich die Volksrepublik China innerhalb
dreier Jahrzehnte zur zweitgrößten Volkswirtschaft entwickelt. Nachdem die Wirtschaft, sowie die Entwicklung des
Rechtssystems der Volksrepublik, zuvor ein halbes Jahrhundert unter den Einflüssen Mao Tse-Tungs wie des Bürgerkriegs
zwischen der Kommunistischen Partei China (KPCh) und den
Guamindangs zum erliegen kam, hält das Wirtschaftswachstum Chinas nunmehr seit 30 Jahren unvermindert an und
China wird bisweilen als Hegemonialmacht Ostasiens und als
zukünftige Macht in einer bipolaren, zumindest aber multipolaren Weltordnung angesehen.
Entwicklungsgeschichte des chinesischen Rechts
Das chinesische Recht war bis in die Periode der imperialistischen Besetzung und der aus dem Boxeraufstand um 1900
resultierenden Reform ein Gewohnheitsrecht, das seinen
wesentlichen Ursprung in den Lehren des Konfuzianismus
fand2. So sei der vorbildliche Mensch nach Vorstellung der
Konfuzianer derjenige, der aus Einsicht in die natürliche Ordnung der Welt Verhaltensregeln als notwendig und sinnvoll
erkennt, diese freiwillig befolgt und daher seine eigenen Interessen um der Wahrung jener Harmonie Willen in Bescheidenheit und Demut zurückstellt3. War doch das oberste Ziel
des Menschen in völligem Einklang zu leben mit Himmel und
Erde, belebter und unbelebter Natur eines einheitlich harmonisch geregelten Universums, wird ersichtlich, weshalb in den
zahlreich folgenden Dynastien zivilrechtliche Gesetzgebung
konfuzianischer Ideologie, mit der Folge eines stark unterentwickelten Zivilrechts. Erste Reformversuche im Jahr 1904
unter dem Gesetzesreformminister Shen Jiaben (1840-1913)
scheiterten noch an dem Widerstand der konfuzianischen
Orthodoxie6, versiegten größtenteils in einer Revidierung
des Qing-Kodex7 und markierten bereits den Niedergang
der Qing-Dynastie, der in der Gründung der Republik China
1911 seine Endgültigkeit fand. Durch Chiang Kai-shek und der
von ihm geführten liberalen Guomindang-Partei kehrte 1926
nach dem Bürgerkrieg unter Warlords Ruhe im Land ein, die
u.a. für die Entwicklung und Kodifizierung des Privatrechts
genutzt wurde. Dabei beeinflusste das deutsche und schweizer Recht in Anknüpfung an die ersten Reformversuche die
Ausarbeitung8 der „Sechs Kodiz (六法 „liufa“), die zwischen
1929 und 1935 verabschiedet wurden9. Unter der neuen Führung der KPCh, die 1949 der Volksrepublik China proklamierte, wurde alle Gesetzgebung der Guomindang im September 1949 als imperialistisches Gedankengut aufgehoben, an
deren Stelle Gesetze und politische Richtlinien („zhengce“)
traten10. Das planwirtschaftliche System, das Staatseigentum an den Produktionsmitteln den Vorzug gab, konnte auf
ein rechtsstaatliches Straf-, Sachen- und Vertragsrecht, sowie Handels- und Gesellschaftsrecht verzichten11. Von 1957
bis 1978 wurde nicht ein einziges Gesetz im Festland China
verabschiedet12 und mündete zu Zeiten der Kulturrevolution
zwischen 1966 bis 1969 sowie ihren Folgen bis 1976 in einer
offenen Rechtsfeindschaft bei der gerade Juristen verfolgt,
gequält und zur Landarbeit in fernen Provinzen gezwungen
oder gar umgebracht wurden13.
Der Wendepunkt im Jahr 1978 unter Deng läutete eine neue
Ära der Reform und Öffnung ein und eine Annäherung an
eine soziale Marktwirtschaft14. Die damalige Notwendigkeit
der Rechtsreform ist offensichtlich, insbesondere unter dem
Aspekt der Ankurbelung ausländischer Investitionen, welche
Rechtsgrundlagen zur Rechtssicherheit voraussetzt. So stellte das Zentralkomitee in einem Beschluss vom Oktober 1984
fest, dass die Reform des Wirtschaftsystems und der Entwicklung der Volkswirtschaft es erfordere, die immer komplexer werdenden wirtschaftlichen Beziehungen und Aktivitäten
durch die Form des Gesetzes festzuschreiben.
„Man hat sich die Freiheit zu nehmen, die Leistungen der Rechtskultur der gesamten
Menschheit in sich aufzunehmen: man hat die Vorstellung von der Instrumentalität des
Rechts zu ändern und der Vorstellung von den Grundwerten des Rechts – Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Menschenrechte – Geltung zu verschaffen.“
entbehrlich, mehr noch, bisweilen sogar unerwünscht war.
Demgegenüber stand das aus der legalistischen Strömung
unter den Lehren des Meister Han Fei (280 bis 233 v. Chr.)
entstandene Strafrecht, des planvoll gesetzten Rechts „fa“ (
法)4, das den auf Pflichterfüllung gerichteten Gesetzesbefehl
des Kaisers behandelt, dem ein ausgeprägtes Strafrecht und
Verwaltungsrecht entsprang5. Somit entstand ein Staatskonfuzianismus aus legalistischer Staatsmaschinerie und
Merkmale und Folgen der Reform
Das chinesische Recht stand unter starkem Einfluss des ausländischen Rechts innerhalb des letzten Jahrhunderts. Ohne
Übertreibung lässt sich sagen, dass fast jeder chinesische
Rechtswissenschaftler rechtsvergleichend forscht, da China
bei der raschen Modernisierung seines Rechts kaum an eigene Rechtstraditionen anknüpfen kann15. Dabei wurden vor
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allem in jüngster Zeit im Zivilrecht deutsche Rechtskonzepte und Begriffe rezipiert.
Chinas werden abzuwarten sein und bis
Allerdings stellt sich die Frage der Annahme eines zu großen Teilen rezipierten, dahin wird das Reich der Mitte weiter die
transplantierten Rechts. Die kommunistische Ideologie des sozialistischen Marktes Möglichkeiten der Rechtsvergleichung
ist de facto kaum noch spürbar16. Jedoch lassen sich die Tiefenstrukturen, die in Eur- für sich beanspruchen. Li Buyan stellte
opa aufgrund Jahrhunderte andauernder Umwandlungsprozesse tief verwurzelt sind, bereits auf der Tagung zum Thema “Renicht einfach importieren. So lassen sich zwar Ideologien implantieren, Geschichte form des chinesischen Rechtssystems”
als solche aber nicht17. Die rechtskulturellen Reformen bringen Bürgern immer mehr in Peking 1989 (treffend) fest:
Gestaltungsfreiheit und ein Wandel der Rechtskultur zeichnet sich ab. Eine neue Phase hat ihren Anfang gefunden, in der die Menschen beginnen, die neuen rechtlichen „Man hat sich die Freiheit zu nehmen, die
Möglichkeiten zu erproben18.
Leistungen der Rechtskultur der gesamten
Die Grundprinzipien des Zivilrechts sind in § 2 ff. der allgemeinen Grundsätze des Menschheit in sich aufzunehmen: man hat
Zivilrechts (民法通则, „minfa tongze“, im Folgenden “AGZ”) von 1988 geregelt. Sta- die Vorstellung von der Instrumentalität
tuiert wird die Freiwilligkeit, Gerechtigkeit, wertentsprechende Entgeltlichkeit und des Rechts zu ändern und der Vorstellung
das Gebot von Treu und Glauben�. Der Freiwilligkeitsbegriff entspricht dabei der von den Grundwerten des Rechts – FreiRechtsterminologie der Privatautonomie westlicher Länder. Die Privatautonomie heit, Demokratie, Gleichheit und Menbasiert auf dem Gedanken des Liberalismus und räumt dem Staat eine möglichst ge- schenrechte – Geltung zu verschaffen.“24
ring beeinflussende Stellung ein19. Der vernunftgemäß handelnde Mensch soll sein
Schicksal autonom, also unabhängig von den überkommenen feudalen, politischen
und religiösen Bindungen und Autoritäten frei gestalten, in Selbstverantwortlichkeit
somit auch durch den Abschluss von Verträgen frei darüber entscheiden können, ob
und mit wem er eine rechtlich anerkannte Verpflichtung übernehmen und wie er Bibliographie:
Bu, Yuanshi: Einführung in das Recht Chinas, Schriftenreihe der Jurisdiese inhaltlich ausgestalten will20. Dienlich der wirtschaftlichen Entwicklung, den- tischen
Schulung, Band 191, 2009
noch in Zeiten der Planwirtschaft völlig unbekannt, musste doch ein Unternehmen
Bu, Yuanshi: Chinesisches Zivil- und Wirtschaftsrecht aus deutscher
gerade auf Geheiß des Wirtschaftsentwicklungsplan tätig werden, kommt diesem Sicht. Neuere Entwicklungen im Sachen-, Konkurs-, Arbeits-, WettbeGrundsatz eine ganz besondere Bedeutung zu. Wenn auch nicht ausdrücklich im werbs-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008
BGB geregelt, beherrscht sie das gesamte Privatrecht Deutschlands und setzt sich Heuser, Robert: “Rechtssystem in der Entwicklung”, in: Doris FischLackner (Hrsg.) Länderbericht China der Bundeszendiesem voraus. Daraus folgen u.a. die Vertragsfreiheit, Eheschließungsfreiheit als ertraleundfürMichael
politische Bildung , Schriftenreihe Band 631, Teil F, S. 421auch Eigentumsfreiheit. Das Vertragsgesetz (合同法, „hetongfa“) von 1999 knüpft 432, 2007
an die AGZ an und statuiert zentrale Begriffe des Vertragsrechts und die Grundprinzi- Heuser, Robert: Einführung in die chinesische Rechtskultur. 中国法律
pien i.S.d. Leitgedanken der Vertragsfreiheit und bekräftigt nochmals die Grundsät- 文化概要, Hamburg 2002
ze der Gleichheit, Freiwilligkeit, Gerechtigkeit, Treu und Glauben, Verbot der Geset- Huang, Philip C. C.: Chinese Civil Justice. Past and Present, 2010
zes- und Sittenwidrigkeit, sowie die der Rechtsverbindlichkeit. Besonders umstritten Rüthers/Stadler: Allgemeiner Teil des BGB, München, 15. Auflage
aufgrund der noch immer anhaltenden ideologisierenden Tendenz21 und die damit 2007
Konrad: China. Eine Weltmacht kehrt zurück, München, 5. Aueinhergehende Schwierigkeit der Umsetzung, war die Verabschiedung eines Sachen- Seitz,
flage 2006
rechts unter sozialistischer Ideologie. Der wirtschaftlich zuträglichen Schaffung von
Senger, von Harro: Die Einwirkung der Rezeption westlichen Rechts
Rechtssicherheit und insbesondere der Anerkennung, sowie dem Schutz des Privat- auf
die sozialen Verhältnisse in der chinesischen Rechtskultur, Heineigentums vor staatlichem Eingriff nachgebend, folgte 2007 aber das Inkrafttreten rich Scholler (Hrsg.), 1993 S. 19-33
des Sachenrechtsgesetz (物权法, „wuquanfa“). Die Anlehnung an westliche Rechts- Wangsheng Zhou: Chinesische Gesetzgebung in den letzten 50 Jahren,
1. Überblick über die Gesetzgebung Chinas zwischen 1949 und
systeme ist unverkennbar, wenn auch der anglo-amerikanische Einfluss stärker aus- Teil
1999, 2000
geprägt ist, als bei den anderen Gesetzen.
Zweigert, Konrad/Kötz, Hein: Einführung in die Rechtsvergleichung.
Dem Rechtssystem Chinas stehen in den nächsten Jahrzehnten neue anspruchsvol- Auf dem Gebiet des Privatrechts, Tübigen, 3. Auflage 1996
le Aufgaben bevor. Sowohl der Oberste Volksgerichtshof als auch die KPCh werden Fußnoten:
auf die neue Zivilgesellschaft weiter reagieren müssen. Ganze Rechtsgebiete wie das 1 Seitz, China: Eine Weltmacht kehrt zurück, S. 294
Streikrecht oder die Kodifizierung des Zivilrechts bedürfen der weiteren Entwicklung 2 Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 282
aaO.
bzw. Verbesserung, ebenso wie detaillierte Rechtsinstitute z.B. der Schadenspau- 43 Zweigert/Kötz,
Seitz, China: Eine Weltmacht kehrt zurück, S. 40
China: Eine Weltmacht kehrt zurück, S. 48
schalierung/Vertragsstrafe (,侵权法 „qinquanfa“) der Ausdefinierung bedürfen. Die 56 Seitz,
Heuser, BPB, Rechtssystem in der Entwicklung, Teil F, S. 425; HeuReformen räumen Bürgern wie Unternehmen mehr und mehr Dispositionsfreiheit ser. Einführung chinesisches Recht, S. 1307
Heuser, Einführung chinesisches Recht, S. 132
ein, die insbesondere junge, gut ausgebildete Chinesen auch für sich beanspruchen. 7.8 Huang,
Chinese Civil Justice, S. 232; Zweigert/Kötz, Einführung in
Rechtsvergleichung, S. 285
Hier findet sich der Beleg dafür, dass die pragmatisch ausgerichtete Rezeption nicht 9dieHeuser,
, BPB, Rechtssystem in der Entwicklung, Teil F, S. 425
nur die Übernahme ausländischen Rechts mit sich bringt, sondern dabei auch die 10 Heuser, BPB, Rechtssystem in der Entwicklung, Teil F. S. 426
11
Heuser,
BPB, Rechtssystem in der Entwicklung, Teil F. S. 426
entsprechende Wertung Eingang in die chinesische Rechtsordnung Eingang findet22 12 Wangsheng
Zhou, Chinesische Gesetzgebung, S.9
Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 287
und damit nicht zuletzt auch auf die gesellschaftliche Struktur Chinas seine Auswir- 13
14 Bu, Einführung in das Recht Chinas, § 1 Rn. 2
kungen zeigt. Übernommene Grundprinzipien und Rechtsinstitute wie das Gebot 15 Bu, Einführung in das Recht Chinas, § 1 Rn. 8
Seitz, China: Eine Weltmacht kehrt zurück, S 385
von Treu und Glauben, dem Minderjährigenrecht oder dem Eigentum und Eigen- 16
17 Wilhelm E. Mühlmann, zitiert in: Senger, Einwirkung der Rezeption westlichen Rechts
tumsschutz entfalten ihre mittelbare Wirkung auf die Bevölkerung und verankern 18
Bu, Einführung in das Recht Chinas, § 1 Rn. 17
sich im Laufe der Zeit unweigerlich in der gesellschaftlichen Struktur Chinas. Der 19 Das Gebot von Treu und Glauben gem. § 242 BGB ist eines der Grundstatuten des deutschen Rechts und gehört zu den wohl bekannParadigmenwechsel in der Rechtskultur bringt zudem jährlich hunderttausende testen und wichtigsten Regelungen des BGB
Rüthers/Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, § 3 Rn.2
Juristen hervor, die durch ihre Tätigkeit das Bewusstsein und die Verhaltensweisen 20
21 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 315
ihrer Mitmenschen beeinflussen23. Das Recht des Einzelnen ist dabei wichtiger denn 22 Huang, Chinese Civil Justice, S 232
Bu, Einführung in das Recht Chinas, § 1 Rn. 16
je. Noch ist die Volksrepublik auf ihrem “long march towards the rule of law”, wie 23
24 aaO.
Li Buyan auf der Tagung über „Reform des chinesischen Rechtsdas Buch von Randall Peerenboom tituliert. Die Auseinandersetzung mit der eige- 25
systems“ im Rechtsinstitut der Chinesichen Akademie fürSozialwisnen neuen Rechtskultur und der Rechtsvergleichung befindet sich gegenwärtig auf senschaften, Peking 22.02.1989, FXJY 1989, Nr. 2, S. 10 f.
einem Höhepunkt und birgt weiter große Möglichkeiten und Entwicklungsspielräume. Die zukünftigen tiefenpsychologischen Auswirkungen auf die Gesellschaft
| newspeak magazin 1 / 2012 | Seite 12 |
Die Filme für die neuen Zeiten.
Über die Fünfte Generation der chinesischen
Filmemacher
von Damian Mandzunowski
I
m Jahre 1978 wurde die Beijing Film Academy, nach einer
mehr als zehnjährigen Pause, erneut eröffnet. Der Grund
der Zwangsschließung war die Kulturrevolution – der Plan
Mao Zedongs eine neue chinesische Gesellschaft zu prägen,
die ihre Geschichte und traditionelle Kultur mit einer neuen,
den kommunistischen Maßstäben entsprechenden, ersetzt.
In dieser Ära war eine Filmhochschule entbehrlich, denn es
gab keine Zeit für künstlerische und engagierte Filme. Oder
besser gesagt: die Filme durften nur in einer konkreten Weise
agieren – nämlich in Richtung der neuen gesellschaftlichen
Ordnung, die Mao und seine Befürworter in der Yan’an Doktrin festgesetzt haben. Wenn man sich die Filme aus den Jahren der Kulturrevolution (1966-76) heute anschaut, hat man
nicht nur den Eindruck, man sei in einer anderen Welt gelandet, man fühlt sich auch auf eine gewisse Weise unwohl. Die
erzählten Geschichten sind zu einfach, die Protagonisten zu
oberflächlich und alles wirkt zu schwarz-weiß. Die bei diesen
Filmen durchdringende Propaganda, ist für solche Gefühle
bei den heutigen Zuschauern verantwortlich. Diejenigen, die
1978 den ersten Jahrgang der
Pekinger Filmhochschule gründeten, hatten ihre ganze Jugend
nur solche Filme sehen können.
Als sie dann vier Jahre später das
Studium abgeschlossen haben
und anfingen ihre eigenen Filme zu drehen, war eines für sie
sicher: sie wollten nichts mit den
früheren Propagandafilmen zu
tun haben, sondern ihre eigene
Filmsprache definieren. Letzten Endes revolutionierten ihre
Filme nicht nur das chinesische
Kino, sondern sogar die gesamte
chinesische Kunstwelt
Eine neue Generation
Es waren Zhang Yimou, Chen Kaige, Tian Zhuanzhuang,
Zheng Junzhao und andere, die man heute unter dem Namen
der Fünften Generation der chinesischen Filmemacher kennt.
Geboren wurden sie alle in den ersten Jahren der 1950er und
somit überschnitt sich ihre Jugend mit der Kulturrevolution. Die meisten von ihnen mussten die großen Städte verlassen, um als Kinder der Intelligenz, entweder aktiv an der
Revolution teilzunehmen, oder das „wahre Leben“ auf dem
Land kennen zu lernen. Und so arbeitete zum Beispiel Zhang
Yimou in einer Baumwollfabrik und Chen Kaige war als Roter Gardist tätig. Die Kulturrevolution unterließ ein tiefes
und schmerzendes Mal in der chinesischen Gesellschaft und,
unabhängig von deren persönlichen Ablauf, war dies eine
Erfahrung, die auf alle einen großen Einfluss hatte. Dieses
Echo wird man noch viele Jahre später in den Filmen dieser
Generation sehen können. Die ähnlichen Erfahrungen ihrer
Jugend, die neue politische Situation des Landes, das Bewusstsein, dass sie die ersten neuen Filmemacher in China
seit fünfzehn Jahren sind – das alles war ein guter Beginn um
feste Freundschaften zu gründen. Während dem gesamten
Studium waren sie eng miteinander befreundet, verbrachten
viel Zeit zusammen und waren, wie man in „Memories from
The Beijing Film Academy“ von Zhen Ni lesen kann, wie eine
große Familie. Ihre Freundschaften wurden nach dem Studium im künstlerischen Leben weitergeführt, was auch in ihren
ersten Filmen sehr gut ersichtlich ist: der eine ist der Regisseur, der andere der Kameramann, noch einer der Drehbuchautor. Das war nicht so, weil es einen Mangel an qualifizierten
Leuten in der Filmbranche gab, sondern wegen dem Streben
nach einer neuen Filmsprache im chinesischen Kino. Dieses
Streben teilten sie alle. Es war etwas, was sie nur gemeinsam
erreichen konnten. Als den ersten Film der Fünften Generation bezeichnet man One and Eight (1983) von Zheng Junzhao.
Bis zum Ende der 80er Jahren erschienen noch unter
anderem Chen Kaiges Yellow
Earth (1985), The Big Parade
(1987) und King of the Children (1989), Zhang Yimous
Red Sorghum (1987), sowie
The Red Elephant (1982) und
Horse Thief (1986) von Tian
Zhuangzhuang. Nach den
Ereignissen des Frühlings
1989, in einer neuen, viel
mehr westlichen Wirklichkeit
der neunziger Jahre und mit
dem Erscheinen einer nächsten, Sechsten Generation
haben sich die Filme der Mitglieder der Fünften Generation sichtlich verändert. Diese ersten Filme haben jedoch sehr
viel gemeinsam und man kann in ihnen wahrlich Autoren aus
einer Generation und ein Suchen nach einer neuen Filmsprache erkennen.
Eine neue Filmsprache
Wie aber sollte sich die neue Filmsprache von der bisherigen
unterscheiden? Die Filmsprache ist, nach James Monaco, all
das, womit der Film mit dem Zuschauer spricht. Es sind also
die Bilder, die Zeichen, die Farben, die Kameraführung, die
Gesten, die Bildkomposition, die Perspektive, der Ton und
vieles, vieles mehr. Schon auf den ersten Blick sieht man,
dass die ersten Filme der Fünften Generation eine ganz andere Art von Filmen sind als jene, die man aus China zu Zei-
| newspeak magazin 1 / 2012 | Seite 13 |
ten der kommunistischen Propaganda kennt. Die Stimmung der Erzählungen grenzt typisiert. Sie waren immer eine Repräoft an filmische Poesie, während die Bilder beinahe dokumentarisch sind. Viele von sentation von konkreten Charaktermerkden Filmen der ersten Phase spielen auf dem Land, in einer Umgebung, in der es malen. Der Böse war sofort zu erkennen,
kaum Elemente der modernen Zivilisation gibt. Trotzdem sind sie sehr oft politisch genauso wie der Gute. Beispielhaft hierengagiert - und das nicht nur auf einer von der Partei akzeptierten Ebene. So musste für ist der sehr propagandistische Film
beispielsweise Chen Kaige die letzte Szene in The Big Parade komplett ändern und The Warfare of Landmine (1974) .Hier
trotzdem wurde der Film 1987 beim Festival in Cannes von China zurückgezogen. wird die Rückkehr eines Soldaten zu eiAuch Tian Zhuangzhuang durfte wegen seinem Film The Blue Kite das Heimatland nem Großereignis stilisiert . Die Frauen
ein paar Jahre lang nicht betreten. Die Filme haben eine moderne, durchdachte und aus seinem Heimatort umarmen ihn und
bedeutende Kameraführung, durch die, sie eine tief gehende Aussage bekommen. alle wollen seine Kriegsgeschichte höBesonders gut ist das in den Filmen, in denen die Kamera von Zhang Yimou geführt ren. Dem Zuschauer wird sofort bewusst,
wird, zu sehen – die langen und sehr statischen Aufnahmen der Natur in Yellow Earth dass dieser Soldat ein wahrer Held ist und
oder die subtil und individualistisch porträtierten Soldaten in The Big Parade bleiben die Japaner, gegen die er im Krieg kämpdem Zuschauer noch lange im Gedächtnis. Auch in den anderen Filmen ist zu er- fen musste, das pure Böse darstellen. In
kennen, was für ein großen Wert die Bilder haben. Grob betrachtet besteht ein Film solchen Filmen hatte jeder seine klare
aus Ton und Bild, es gibt jedoch so viele Anwendungen von diesen zwei Grundele- und von der Propaganda vorgesehene
menten, wie es Filmemacher gibt. Bei der Fünften Generation ist es, zumindest in gesellschaftliche Rolle. In den Filmen der
deren Anfangsphase, deutlich zu erkennen, dass das Bild viel wichtiger als der Ton ist. Fünften Generation wird diese Situation
So gibt es in Tian Zhuangzhuangs eineinhalbstündigem Werk Horse Thief, insgesamt diametral verändert. Die Menschen sind
nicht mehr als zehn Minuten Dialoge. Trotzdem hat der Film eine besonders starke echte Menschen und keine Statuen. Die
und berührende Aussage. Es sind auch einige, für alle diese Filme gemeinsame, Ele- Kinder, die der junge Lehrer in King of the
mente zu erkennen, wenn man die Bilder und die Kameraführung untersucht und Children unterrichtet, sehen aus wie echvergleicht. Die Natur wird sehr oft in Großaufnahmen porträtiert, sodass ihre Kom- te Bauernkinder. Die tibetanischen Einplexität und Stärke sichtbar wird. Auf deren Hintergrund werden Menschen gezeigt, wohner der Gebirge in Horse Thief sind
die klein und beinahe nicht zu erkennen sind. Die Farben sind sehr oft um eine in wahre Vertreter dieser Minderheit. Bei
der Szene dominierende Farbe konzentriert, meistens sind das auch Farben, die als der Produktion von Yellow Earth musste
Metapher fungieren. Ein weiteres Stilmittel, dass in vielen Filmen Verwendung findet, die Filmtruppe sogar mehrere Wochen
sind die Silhouetten-Aufnahmen, die eine schwarze Kontur auf einem stark beleuch- vor Drehbeginn auf dem Land mit den
teten Hintergrund zeichnen. Eine Technik, die populär in der Fotografie ist, aber in dort lebenden Menschen wohnen, damit
einem Film eher ungewöhnlich erscheint und deswegen zusätzliche Gefühle bei dem diese sich mit den Kameras anvertrauen
Betrachter erweckt. Es ist nicht die einzige aus der Photographie übernommene konnten. Sie spielten dann aktiv in dem
Methode die Bilder zu zeigen. Was man auch sofort bemerkt ist das sehr intensive Film mit, um die erzählte Geschichte
porträtartige Darstellen der Personen. In diesen Aufnahmen sieht man für mehrere so realistisch wie möglich zu gestalten.
Sekunden nur das Gesicht der porträtierten Person, das ein retardierendes Moment Die Menschen haben ihre Schwächen.
in der filmischen Erzählung darstellt und aus dem sehr viel zu herauszulesen ist. Sie sind nicht eindeutig bewertet. Die
Hauptdarsteller (sogar wenn sie von
Eine andere sehr wichtige Ebene der neuen Filmsprache sind die Menschen, die in Schauspielern, die danach sehr berühmt
den Filmen spielen – wie sie aussehen, wie sie sich benehmen, wie sie gezeigt wer- wurden, gespielt werden) werden so chaden. In den Filmen der siebziger Jahre waren die dargestellten Menschen sehr stark rakterisiert, dass es sehr oft nicht klar ist,
ob das, was sie machen, positiv oder negativ von dem Regisseur bewertet wird.
Am deutlichsten ist es in The Horse Thief
zu sehen, in dem sich der Zuschauer mit
dem Protagonisten, trotz seiner schlechten Taten, identifizieren kann. Aber auch
die Frauen werden anders gezeigt. Sie
sind tapfer und emanzipiert (wie in Red
Sorghum), abenteuervoll (wie in The Red
Elephant) und lachend und energievoll
(wie in King of the Children). Unabhängig
davon, wie und wer sie sind, haben die
Frauen in den Filmen eine wichtige Rolle und sind nicht nur flache Begleiter des
Mannes. Die Männer hingegen verlassen
das Helden-Sujet und so gelingt es ihnen
beispielsweise nicht immer, ihre Versprechen zu halten. Dass es fast keine happy
ends in den Filmen gibt ist auch sehr bedeutend. Nur in The Red Elephant, einem
Abenteurfilm für Kinder, deren seriöse
und tiefer gehende Ebene nicht sofort
sichtbar ist, erreichen die kindlichen Protagonisten ihr Ziel und kehren glücklich
nach Hause zurück.
| newspeak magazin 1 / 2012 | Seite 14 |
Eine alte Kunst für die neuen Zeiten
Film ist eine Sprache, eine Sprache der
Bilder, der Motive, der Symbole. Durch
diese Sprache kann man Menschen erreichen und Gefühle in ihnen erwecken
– Gefühle und Gedanken, aus denen mit
der Zeit etwas Neues entstehen kann. In
China war die Filmsprache seit dem Beginn der Kulturrevolution, nur für einen
Zweck genutzt worden. Es ist deswegen
umso interessanter die Filmsprache der
neuen Generation zu untersuchen – sie
wurde nicht nur als ein mit der Realität
nicht viel gemeinsam habendes künstlerisches Manifest entwickelt, sondern war
ebenso ein Teil eines größeren Wandels,
der die ganze Gesellschaft des Landes
beeinflusst hat. Diese Filme sind auch
heute immer noch aktuell und berührend. Es sind einzigartige Filme und auch
wenn sie bei dem ersten Mal nicht ganz
verständlich oder zu rätselhaft wirken,
darf man nicht aufgeben. Letztlich sieht
sogar Martin Scorsese Horse Thief als
den besten als den besten Film der frühen 90er Jahre.
Bibliographie
Zhen, Ni: Memories from the Beijing Film Academy, Durham/London 2002
Larson, Wendy: „The Fifth Generation. A Reassessment”, in: Lim, Song Hwee and Ward, Julian (ed.): The Chinese Cinema Book, London 2011,
S. 113–121
Berry, Chris: „China’s Fifth Generation Faces the Bottom Line“, in: Berry, Chris (Hg.): Chinese Cinema, London 1991, S. 114–125
Monaco, James: Film Verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Neuen Medien, Hamburg 2009
Die ersten Filme der Fünften Generation:
Zheng Junzhao: One and Eight (1983)
Chen Kaige: Yellow Earth (1985), The Big Parade (1987), King of the Children (1989)
Zhang Yimou: Red Sorghum (1987)
Tian Zhuangzhuang: The Red Elephant (1982), Horse Thief (1986)
Bilder:
1. The Warfare of Landmine [Dilei Zhan, 地雷战] (1974): 14‘ 45‘‘
2. The Red Elephant [Hong Xiang, 红象] (1982): 12‘ 35‘‘
3. The Big Parade [Da Yuebing, 大阅兵] (1987): 1h 35‘ 00‘‘
| newspeak magazin 1 / 2012 | Seite 15 |
Bist du politically correct?
von Georg Simic
D
ie Political Correctness ist in aller Munde und heute aus
unserer Gesellschaft kaum wegzudenken. In Anlehnung an Hughes, der mit seinem Buch „Political Correctness. A History of Semantics and Culture“ (2009) eine unterhaltsame wie umfassende Arbeit über dieses Thema verfasste, lässt sich zusammenfassend umreißen, dass sich die
Politische Korrektheit grundlegend damit beschäftigt, Normen in Verhalten und Sprache zu ändern. Im weiteren Sinne
dient sie außerdem dazu, vorurteilsbehaftete Stereotypen
und Tabus zu vermeiden, sowie Andersartigkeit respektvoll
zu betonen. Doch woher kommt diese, scheinbar immer stärker zunehmende Tendenz, zum Ausdruck politisch korrekter
Wörter und Wendungen?
rer Wörter und führten zu derartigen Änderungen in unserer
Sprache. Weitere Beispiele hierfür finden sich ebenso in der
Erfindung des, mittlerweile wenig gebräuchlichen, BinnenI, oder in Berufsbezeichnungen: So existierten zuvor keine
‚Kauffrauen‘ oder ‚Kaufleute‘, sondern lediglich ‚Kaufmänner‘.
Doch Sexismus-Debatten waren nur ein Bereich, in welchem
die Political Correctness eingefordert wurde. Große Auswirkungen auf den öffentlichen Wortgebrauch gab es schließlich
ebenso bei brisanten Wörtern in Bezug zur NS-Zeit1.
Durch eine öffentliche Sprachsensibilisierung stiegen letzten
Endes ebenso die Wirkungsgebiete der Political Correctness
im Laufe der folgenden Jahrzehnte, sodass sie heute in vielen Bereichen des Lebens zu finden ist. Neben der bereits
erwähnten Gender-Problematik, bestehen auch viele Umwertungen und Wortneuschöpfungen in Bereichen bezüglich
Ethnien, Religionen, Krankheiten, oder aber auch Gesellschaftsschichten.
Auch wenn man die Politcal Correctness schon längst nicht
mehr (nur) mit politischen Themen in Verbindung bringen
kann, so lässt sich der Ursprung dieses Begriffs wenig überraschend in der Politik finden. Genauer genommen geht der
erstmalige Gebrauch des Wortes auf Mao Tse-Tung zurück,
Doch der Drang nach mehr Achtung und Gerechtigkeit in der
der dies in eine seiner Schriften Ende der 1920er-Jahre geSprache fand auch seine Zweifler und Gegner.
brauchte und hiermit aussagen wollte, dass man ‚der Linie
der (marxistischen) Partei entsprechend‘
politisch unkorrekt
politisch korrekt
handeln sollte. Im Laufe der Jahrzehnte
unterlief die Bedeutung des Wortes jedoch
Alkoholiker
Suchtkranker / Alkoholkranker
einigen Änderungen, sodass man die Poalter Mensch
Senior
litische Korrektheit in unserem heutigen
arbeitslos
arbeitssuchend
Verständnis erst seit den 80er Jahren kennt.
Das Mutterland dieser ‚modernen‘ Political
Ausländer
Mensch mit Migrationshintergrund
Correctness sind die USA. Kein Zufall also,
Behinderte
Menschen mit Behinderung / Mendass es wohl keinen anderen demokraschen mit Dysfunktionalitäten
tischen Staat auf der Welt gibt, in der sie
behindertengerecht
barrierefrei
derart rigoros praktiziert wird und Verstödumm
bildungsfern
ße gegen sie mitunter sehr stark geahndet
werden. Über den Ozean gelang das Wort
Eskimo
Inuit
dann Anfang der 90er zu uns. Dennoch
Frisöse
Friseurin
gab es auch in Deutschland weitaus früher
geisteskrank
psychisch krank
öffentliche Diskussionen um politisch korrektes Verhalten und Begriffe.
geistig behindert
minderbegabt
Indianer
Amerikanischer Ureinwohner
Der wahrscheinlich wichtigste Eckpfeiler
obdachlos
ohne festen Wohnsitz
der hierfür zu nennen ist, stellt die sprachkulturelle Revolution, für die sich die 68erStewardess
Flugbegleiterin
Generation verantwortlich fühlen darf, dar.
taub
(ge)hörgeschädigt
Es war die Zeit der Studentenproteste, der
Tierbesitzer
menschlicher Fürsorger
Minderheitenbewegungen und den lauten
weiß (Hautfarbe)
kaukasisch / europid
Rufen nach Frieden. Und im Zuge jener
gesellschaftlich-politischen AuseinanderZigeuner
Sinti und Roma
setzungen wurde auch in der, damals noch
jungen, Bundesrepublik öffentlich Kritik
So werfen Kritiker dem scheinbar immer häufiger vorkomam Sprachgebrauch geäußert und unter anderem ebenso ein
menden Verlangen nach Politischer Korrektheit vor, dass es
gerechterer Umgang mit der Sprache gefordert. Und diese
sich
hierbei um eine Art der „Wortzensur“ handle und mittöffentlichen Diskurse wurden mit Erfolg geführt. Schließlerweile
ein gewisser „Tugendterror“ begonnen habe. Ob
lich wird heute nahezu jedem der Begriff ‚Studierende‘ als
die
negative
Einstellung der, meist in der demokratischen
gewöhnlich erscheinen – zu Beginn der 60er-Jahre war diese
Rechten
beheimateten,
Gegner übertrieben ist, soll an dieser
Abwandlung von ‚Studenten‘ jedoch noch undenkbar. Erst
Stelle
nicht
diskutiert
werden.
Allerdings ist ein zunehmender
die Forderungen zur Gleichberechtigung von Männern und
Drang
nach
neutralen
Formen
für heikle Begriffe relativ leicht
Frauen erreichten auch ein Umdenken mit der Wahl unse-
| newspeak magazin 1 / 2012 | Seite 16 |
feststellbar. Mehr noch wird die Anzahl der Wörter die als heikel gelten, immer größer, sodass man sich häufig lieber zurückhält zu erwähnen, ob jemand mit dunkler
Hautfarbe noch ein ‚Schwarzer‘, oder schon ein ‚Afro-Europäer‘ ist2. Und eben dieser Aspekt dürfte die Hauptproblematik mit unserer, wirklich gut gemeinten, Politischen Korrektheit sein. Denn mittlerweile geraten – nicht zuletzt wegen der großen
Einflüsse unserer schnellen medialen Welt – Wörter immer schneller in Verruf und
erfahren eine negative Markierung, sodass nicht selten die Gefahr einer positiven
Diskriminierung entsteht.
Bibliographie:
Eichhoff, Jürgen (1999), Politische Korrektheit. In: Der Sprachdienst 43 1999, 3: 97-100.
Hughes, Geoffrey (2009), Political Correctness: A History of Semantics and Culture, Malden, MA:Wiley-Blackwell.
Wengeler, Martin (2002), ‚1968‘, öffentliche Sprachsensibilität und ‚political correctness‘. In: Muttersprache 112, 1: 1-14.
o. A. (2006), „Informationen für Journalisten zum korrekten sprachlichen Umgang mit rechtsextremistischen oder rassistisch motivierten
Straftaten“ aus: http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41722/kleiner-formulierungs-ratgeber-fuer-journalisten
[Zugriff: 19.06.12]
Fußnoten:
1. Ausführlichere Informationen mit weiteren Beispielen zu diesem Thema finden sich bei Wengeler, 2002.
2. Was hier vielleicht ein wenig polemisch abgehandelt wird, ist jedoch für Journalisten in der Tat ein äußerst sensibles Thema. Daher
wird mittlerweile dazu geraten, in den Medien besser auf Hinweise bezüglich der Ethnie zu verzichten, wie in der Veröffentlichung
„Informationen für Journalisten zum korrekten sprachlichen Umgang mit rechtsextremistischen oder rassistisch motivierten Straftaten“
nachzulesen ist.
| newspeak magazin 1 / 2012 | Seite 17 |
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| newspeak magazin 1 / 2012 | Seite 18 |
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